Matthias Adolf Energiesicherheitspolitik der VR China in der Kaspischen Region
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Matthias Adolf Energiesicherheitspolitik der VR China in der Kaspischen Region
VS RESEARCH Energiepolitik und Klimaschutz Herausgegeben von PD Dr. Lutz Mez, Freie Universität Berlin
Matthias Adolf
Energiesicherheitspolitik der VR China in der Kaspischen Region Erdölversorgung aus Zentralasien Mit einem Geleitwort von PD Dr. Lutz Mez
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Freie Universität Berlin, 2010 D 188 Die Dissertation entstand im Rahmen des von der VolkswagenStiftung geförderten Projekts „Energiepolitik in der Kaspischen Region“ unter Leitung von PD Dr. Lutz Mez.
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Verena Metzger / Britta Göhrisch-Radmacher VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17961-2
Geleitwort
Die Volksrepublik China zählt seit Jahren zu den wichtigsten energiepolitischen Akteuren, weil das Land inzwischen nicht nur der weltweit größte Energieverbraucher und der drittgrößte Energieproduzent sondern seit 1993 auch Nettoimporteur von Erdöl ist. Damit konkurriert die Volksrepublik mit den beiden anderen großen Energieimporteuren - den USA und der EU - sowie dem Energielieferanten Russland um die Kontrolle der Erdöl- und Erdgaslieferungen. Matthias Adolf untersucht am Beispiel der Erdölversorgung die Entwicklung der chinesischen Energiesicherheitsstrategie. Diese unterteilt er in die Energieinnensowie Energieaußenpolitik. Der außenpolitische Fokus liegt dabei auf einer Policy-Prozessanalyse der Realisierung der Kasachstan-China-Erdölpipeline, die im Jahre 2009 in Betrieb genommen wurde. Methodisches Fundament ist der Pfaabhängigkeits-Ansatz und die Policy-Analyse. Der Autor folgt dabei der Leitfrage, welche Elemente die Energieversorgungsstrategie der VR China hinsichtlich der Diversifizierung der verschiedenen Energieträger enthält und welche Chancen bezüglich einer autarken Energieversorgung bestehen bzw. wie die Strategie auf eine maritime und kontinentale Importabhängigkeit bei Erdöl und Erdgas ausgerichtet ist. In diesem Kontext wird die Bedeutung der Energieressourcen der Kaspischen Region für die VR China untersucht. Durch ein Wirtschaftswachstum von fast zehn Prozent pro Jahr seit 1978 und das wachsende Bedürfnis der Bevölkerung am steigenden Reichtum Chinas zu partizipieren, wird der chinesische Energieverbrauch auch in Zukunft weiter wachsen. Die Volksrepublik ist seit 2007 der weltweit größte Verbraucher von Kohle und Wasserkraft, der zweitgrößte bei Erdöl und der elftgrößte bei Erdgas. Bis zum Jahr 2030 prognostizieren IEA und EIA für China einen Anteil von 18,9 bzw. 21 Prozent des globalen Energieverbrauchs. In der VR China herrscht ein zentralisiertes Energiesystem, das von verschiedenen Akteuren geprägt ist (Regierung, staatliche Konzerne, Militär), die wiederum versuchen, ihre zum Teil divergierenden politischen und/oder wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen. Als Fallbeispiel für die Importpolitik dient die Kasachstan-China-Pipeline. Matthias Adolf skizziert die verschiedenen Etappen bzw. Phasen der Realisierung dieser Pipeline. Das erste Teilstück von Atyrau nach Kenkiyak wurde bereits im März 2003 in Betrieb genommen. Die Phase 2 wurde Ende 2005 von Atasu nach Alashankou fertig gestellt und im Mai 2006 in Betrieb genommen.
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Geleitwort
Das dritte und letzte Teilstück von Kenkiyak über Aralsk nach Kumkol wurde im Juli 2009 fertig gestellt. Ferner wird die Schlacht um die Übernahme der kanadischen PetroKazakhstan durch PetroChina, wodurch China ein Topakteur im kasachischen Erdölsektor wurde, analysiert. Matthias Adolf hat eine beeindruckende Dissertation vorgelegt, die sehr gut strukturiert und empirisch äußerst gehaltvoll ist. Die Verbindung von Theorie und Methode mit der Empirie ist in dieser Arbeit vollauf gelungen. PD Dr. Lutz Mez Koordinator Berlin Centre for Caspian Region Studies Freie Universität Berlin
Danksagung
Diese Doktorarbeit wäre ohne die Unterstützung einer ganzen Reihe von Menschen in der vorliegenden Form nicht zustande gekommen. Diese Menschen haben mich motiviert, angeleitet, kritisiert, unterstützt und mit mir die Höhen und Tiefen eines Dissertationsprojektes geteilt. Die Arbeit ist im Rahmen des Projektes „Energiepolitik in der Kaspischen Region“ an der Forschungsstelle für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin entstanden. Hier bedanke ich mich an erster Stelle bei der Volkswagen-Stiftung für das Stipendium. Mein „Doktorvater“ PD Dr. Lutz Mez war Leiter des Projektes. Ihm gebührt mein Dank für die Integration in das Projekt und die vielen Hinweise, Rat- und Vorschläge, die mir den langen Weg des Verfassens einer Dissertation ebneten. Ohne die Einbindung in das Projekt wären viele spannende Reisen in die Kaspische Region und in die VR China wohl nicht möglich gewesen und der Arbeit wäre einiges an Tiefe abhanden gekommen. Ebenso gilt mein Dank meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Hajo Funke, der den Fortschritt meiner Arbeit stets verfolgte und mir mit Rat und Tat zur Seite stand. Auch bei meinem Mentor Dr. Behrooz Abdolvand, mit dem ich seit über einem Jahrzehnt zusammenarbeite, möchte ich mich für die vielen fruchtbaren Diskussionen und seinen Einsatz für mich bedanken. Der Dahlem Research School der Freien Universität Berlin danke ich für die Gewährung eines Stipendiums zum Abschluss meiner Arbeit. Bei meinen Eltern möchte ich mich bedanken, dass sie in jeglicher Situation unterstützend für mich da waren und für ihr Verständnis für all meine Stimmungen und Launen, die eine solche Arbeit mit sich bringt. Für die konstante Unterstützung in Form des Korrekturlesens, Gedankenaustausches und der konstruktiven Kritik danke ich Jan Köstner, Matthias Corbach, Sybil Steuwer, Kim Weidenberg und André Amberg. Meinem interdisziplinären Arbeitskreis in Berlin danke ich für die Geduld, sich oftmals die Vorträge zu meinem Thema angehört zu haben, die vielen Ideen und die kreative sowie sachkundige Kritik. Auch den TeilnehmerInnen des Colloquiums von PD Dr. Lutz Mez gilt in dieser Hinsicht mein Dank. Bei Dr. Dietrich Sperling bedanke ich mich für die vielen ausführlichen, originellen und aufschlussreichen Debatten sowie für eine denkwürdige Iranreise. Ich danke den WissenschaftlerInnen, die heute im interdisziplinären Zentrum „Berlin Centre for Caspian Region Studies“ und dem PhD-Studiengang „Caspian Region Environmental and Energy Studies“ tätig sind, für viele wert-
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Danksagung
volle Informationen, Debatten und kurzweilige gemeinsame Reisen in die Region. Meinem Freundes- und Bekanntenkreis sei an dieser Stelle dafür gedankt, mit mir alle Freuden und Leiden geteilt, mir unermüdlich zugehört, mich mit viel Wärme und Geduld unterstützt zu haben. Aber auch dafür, dass ihr mir immer wieder Freiräume geschaffen habt, die nötig sind, um mit neuer Kraft und Elan die Arbeit voranzutreiben. Dank hier vor allem an Steff Mollenhauer, Meik Skoda, Robert Richter, Anja Quiring, Gesa Bohn, Sabine Günther, Stephanie Riemann, Sandra Reeder, Mischa Bechberger, Heinrich Schulz, Erich Pöltner, Sascha Bauer, Michael Liesener und Faridah Mughrabi. Ein ganz spezieller Dank geht last but not least an CNPC und KazMunaiGaz, die die Kasachstan-China-Pipeline drei Monate früher als geplant fertig gestellt haben. So fiel die Eröffnung der Pipeline noch in den Untersuchungszeitraum der vorliegenden Dissertation. Matthias Adolf
Inhalt
Geleitwort ............................................................................................................ 5 Danksagung......................................................................................................... 7 Inhalt.................................................................................................................... 9 Abkürzungsverzeichnis .................................................................................... 13 Abbildungsverzeichnis ..................................................................................... 17 Tabellenverzeichnis .......................................................................................... 21 1
Einleitung................................................................................................... 23 1.1 Problemdarstellung .......................................................................... 23 1.2 Forschungsstand .............................................................................. 25 1.3 Zielsetzung, Fragestellung und Hypothesen .................................... 30 1.4 Vorgehensweise und Methoden....................................................... 34 1.4.1 Vorgehensweise........................................................................ 34 1.4.2 Methoden: Umgang mit Literatur und Policy-Analyse ............ 36 1.5 Theoretische Einbettung der Arbeit ................................................. 42 1.5.1 Pfadabhängigkeit ...................................................................... 42 1.5.2 Die grundlegende Energiesituation in der Kaspischen Region. 44 1.5.2.1 Die Interessen der USA......................................................... 49 1.5.2.2 Die Interessen Russlands ...................................................... 54 1.5.2.3 Die Interessen der EU ........................................................... 58 1.5.2.4 Die Interessen der VR China ................................................ 61 1.5.2.5 Die divergenten Interessen in der Kaspischen Region.......... 67
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Die Geschichte der Energiesicherheit am Beispiel Erdöl ...................... 69 2.1 Die Transformation von Kohle zu Erdöl ......................................... 69 2.2 Die Verstaatlichung des iranischen Erdölsektors............................. 75 2.3 Der Suezkanal: Ein Nadelöhr der Weltwirtschaft............................ 84 2.4 Die Gründung der OPEC: Kartell der Erdöl produzierenden Mächte?92 2.5 Der Machtwechsel in Libyen........................................................... 96
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Inhalt 2.6 2.7 2.8 2.9 2.10
Die Erdölpreiskrise von 1973 ........................................................ 100 Die Erdölpreiskrise von 1979 ........................................................ 107 Die Erdölwährung US-Dollar ........................................................ 113 Marktmechanismus oder Spekulation? .......................................... 118 Erkenntnisse aus dem historischen Kontext .................................. 126
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Energiesicherheit: ein globales einheitliches Konzept? ....................... 129 3.1 Die Definition der Energiesicherheit der UNO.............................. 130 3.2 Die Energiesicherheitsstrategie der EU ......................................... 138 3.2.1 Die Energiesicherheitsstrategie – Richtlinien statt Verpflichtungen...................................................................... 138 3.2.2 Die Risiken der EU-27 für eine langfristige, gesicherte Energieversorgung.................................................................. 147 3.3 Die Energiesicherheitsstrategie der VR China............................... 156 3.3.1 Die Entstehung der Energiesicherheitsstrategie der VR China ...................................................................................... 156 3.3.2 Import von Erdöl über die Straße von Malakka ..................... 159 3.3.3 Konflikte um Offshore-Reserven ........................................... 162 3.4 UNO, EU, China: Ein einheitliches Konzept?............................... 167
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Die Energiepolitik der VR China .......................................................... 171 4.1 Der Energiemix der VR China....................................................... 174 4.2 Produktion und Verbrauch von Primärenergie in der VR China ... 176 4.3 Verbrauchsprognose der Primärenergie bis 2030 .......................... 181 4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch . 188 4.4.1 Erdöl ....................................................................................... 189 4.4.1.1 Die historische Perspektive der Erdölproduktion................ 190 4.4.1.2 Deregulierung des Preises von Erdöl und Erdölprodukten . 198 4.4.1.3 Produktion von Erdöl in der VR China............................... 205 4.4.1.4 Die internationale Pipelineinfrastruktur der VR China....... 210 4.4.1.5 Zwischenergebnis Erdöl...................................................... 218 4.4.2 Erdgas..................................................................................... 218 4.4.2.1 Die Bedeutung von Erdgas für die VR China ..................... 218 4.4.2.2 Produktion von Erdgas in der VR China............................. 220 4.4.2.3 Import von Erdgas in die VR China.................................... 225 4.4.2.4 Zwischenergebnis Erdgas ................................................... 243 4.4.3 Kohle ...................................................................................... 243 4.4.3.1 Die Regierungsreformen des Kohlesektors......................... 246 4.4.3.2 Die politische Struktur des Kohlesektors ............................ 250 4.4.3.3 Die Preisderegulierungen auf dem Kohlemarkt .................. 252
Inhalt
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4.4.3.4 Investitionen und neuere Anwendungen im Kohlesektor ... 254 4.4.3.5 Zwischenergebnis Kohle..................................................... 257 4.4.4 Atom....................................................................................... 258 4.4.4.1 Die historische Perspektive der Atompolitik in der VR China................................................................................... 262 4.4.4.2 Die Handhabung des Atommülls ........................................ 266 4.4.4.3 Die Machtverhältnisse zwischen Wirtschaft und Politik..... 268 4.4.4.4 Zwischenergebnis Atom ..................................................... 271 4.4.5 Erneuerbare Energie ............................................................... 272 4.4.5.1 Wasserkraft ......................................................................... 278 4.4.5.2 Windenergie........................................................................ 280 4.4.5.3 Solarenergie ........................................................................ 283 4.4.5.4 Biomasse ............................................................................. 285 4.4.5.5 Geothermie.......................................................................... 286 4.4.5.6 Meeresenergie ..................................................................... 287 4.4.5.7 Zwischenergebnis Erneuerbare Energie.............................. 287 4.4.6 Elektrizitätssektor ................................................................... 288 4.4.6.1 Die Entscheidungsstruktur zwischen Konzernen und Regierung............................................................................ 293 4.4.6.2 Preis(de)regulierung............................................................ 294 4.4.6.3 Zwischenergebnis Elektrizitätssektor.................................. 297 4.5 Energieintensität, Energieeffizienz und Energieeinsparung .......... 298 4.5.1 Energieintensität ..................................................................... 298 4.5.2 Energieeffizienz...................................................................... 303 4.5.3 Energieeinsparung und der Wunsch nach Technologietransfer ................................................................ 307 4.5.4 Zwischenergebnis Energieintensität, Energieeffizienz und Energieeinsparung .................................................................. 310 4.6 Akteure im Erdölsektor der VR China........................................... 311 4.6.1 Struktur der staatlichen Erdölkonzerne................................... 313 4.6.2 Die historische Komponente der Arbeitsorganisation ............ 314 4.6.3 Der Privatisierungsprozess unter staatlicher Kontrolle........... 319 4.6.4 Machtverhältnisse im Erdöl- und Erdgassektor...................... 323 4.6.4.1 Die National Development and Reform Commission (NDRC)............................................................................... 327 4.6.4.2 Das Energiebüro.................................................................. 327 4.6.4.3 Die Energy Leading Group und das State Energy Office ... 329 4.6.4.4 Die drei staatlichen Erdölkonzerne ..................................... 332 4.6.4.5 Das Militär .......................................................................... 338
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Inhalt 4.6.4.6 Die Auswirkungen der Machtkonstellation auf die Energiepolitik...................................................................... 341 4.6.5 Ausländische Investitionen in die chinesische Wirtschaft...... 344 4.6.6 Chinesische Investitionen im globalen Erdölmarkt ................ 348
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Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien.......................... 355 5.1 Das Fallbeispiel der Kasachstan-China-Pipeline ........................... 355 5.2 Der kasachische „Jahrhundertvertrag“........................................... 357 5.3 Euphorie und Realitätsverlust........................................................ 363 5.4 Die erste Machbarkeitsstudie von 1999......................................... 367 5.5 Das Ende der Pipeline? .................................................................. 370 5.6 Kasachische Zweifel an chinesischen Investitionen ...................... 373 5.7 Neue Hoffnung durch Erdölfund im Kaspischen Meer ................. 375 5.8 Neue Diplomatie nach dem 11. September 2001? ......................... 378 5.9 Der Wettlauf um die Reserven im Kaspischen Meer..................... 381 5.10 Phase I: Die Kenkiyak-Atyrau-Pipeline......................................... 383 5.11 Der harte Kampf um Kashagan ..................................................... 386 5.12 Die Planung der zweiten Phase: Atasu-Alashankou ...................... 388 5.13 Erdöl für den freien Weltmarkt...................................................... 392 5.14 Chinesische Fortschritte in Kasachstan ......................................... 393 5.15 Sicherung der Investitionen durch militärische Unterstützung ...... 398 5.16 Phase II: Der Bau der Atasu-Alashankou-Pipeline........................ 403 5.17 Ausweitung der chinesischen Tätigkeiten in Kasachstan .............. 409 5.18 Die Schlacht um PetroKazakhstan................................................. 412 5.19 Das Ende der zweiten Bauphase der Kasachstan-China-Pipeline.. 417 5.20 Die Konkurrenz um kasachische Erdölreserven verschärft sich.... 423 5.21 Phase III: Der Bau der Kenkiyak-Kumkol-Pipeline ...................... 431 5.22 Zwischenergebnis des Politikprozesses um die KasachstanChina-Pipeline ............................................................................... 436
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Resümee und Politikempfehlungen ....................................................... 439 6.1 Resümee ........................................................................................ 439 6.2 Politikempfehlungen...................................................................... 449
Literaturverzeichnis ....................................................................................... 453 Bücher, Dokumente, Journale ...................................................................... 453 Presseartikel, Fachmagazine ........................................................................ 469 Webseiten .................................................................................................. 486
Abkürzungsverzeichnis
AIOC APOC AQSIQ
Anglo-Iranian Oil Company Anglo-Persian Oil Company General Administration of Quality Supervision and Inspection and Quarantine ARAMCO Arabian-American Oil Company ASEAN Association of Southeast Asian Nations BIP Bruttoinlandprodukt BP British Petroleum Bpd Barrel per Day BSP Bruttosozialprodukt BTC Baku-Tbilissi-Ceyhan-Pipeline CCS Carbon-Capture-and-Storage CENTCOM United States Central Command CERA Cambridge Energy Research Associates CGNPC China Guangdong Nuclear Power Holding Co., Ltd. CMC Central Military Commission CNG Compressed Natural Gas CNNC China National Nuclear Corporation CNOOC China National Offshore Oil Corporation CNPC China National Petroleum Corporation CPC Caspian Pipeline Consortium-Pipeline CSIRO Commonwealth Scientific and Industrial Research Organization SSR Tschechoslowakei EEG Erneuerbare-Energie-Gesetz EG Europäische Gemeinschaft EGKS Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl EIA Energy Information Agency ELG Energy Leading Group EU Europäische Union EURATOM European Atomic Energy Community EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft FED Federal Reserve Bank GTZ Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GUS Gemeinschaft Unabhängiger Staaten GW Gigawatt
14 IAEA IEA IMF INOGATE KPC KPdSU kW kWh LNG MEDA MoC MoE MoF Mtoe MW MWe NATO NDRC NPC NYMEX OECD ONGC OPEC OVKS PfP PHWR PLA PSA PWR RATS SCO SDDX SDPC SEC SEO SETC SinoU SIS TACIS
Abkürzungsverzeichnis Internationale Atomenergie Agentur Internationale Energie Agentur Internationaler Währungsfond Interstate Oil and Gas Transport to Europe Kommunistische Partei der Volksrepublik China Kommunistische Partei der Sowjetunion Kilowatt Kilowattstunde Liquified Natural Gas Mésures d’accompagnement financières et techniques Ministry of Construction Ministry of Energy Ministry of Finance Millionen Tonnen Erdöläquivalent Megawatt Megawatt elektrischer Leistung North Atlantic Treaty Organization National Development and Reform Commission National People’s Congress New York Mercantile Exchange Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Oil and Natural Gas Corporation Organisation der erdölexportierenden Staaten Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit Partnership for Peace Pressurised Heavy Water Reaktor People’s Liberation Army Production Sharing Agreements Pressurised Water Reaktor Regional Anti-Terrorism Structure Shanghai Cooperation Organization Township Level Electrification Program in Western Provinces State Development Planning Commission State Energy Commission State Energy Office State Economic and Trade Commission China Nuclear International Uranium Corporation Secret Intelligence Service Technical Aid to the Commonwealth of Independent States
Abkürzungsverzeichnis TEN-E TNG TNK TRACECA TW UdSSR UNDESA UNDP UNECE UNO USA WBSP WTI WTO
Transeuropäisches Netzwerk der Energie Kazakh National Company Oil and Gas Transport Tyumen Oil Company Transport Corridor Europe Caucasus Asia Terrawatt Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken UN Department of Economic and Social Affairs United Nations Development Programme United Nations Economic Commission for Europe United Nations Organization Vereinigte Staaten von Amerika Weltbruttosozialprodukt West Texas Intermediate World Trade Organization
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19: Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23: Abbildung 24: Abbildung 25: Abbildung 26:
Der Policy-Cycle nach Bridgman und Davis......................... 37 Das Advocacy-Koalitionsmodell........................................... 39 Die Staaten der Kaspischen Region....................................... 46 Die Herzlandtheorie von Halford Mackinder ........................ 51 Die Region „Greater-Middle-East” ....................................... 52 Das Baku-Tbilissi-Ceyhan Erdölpipeline Projekt ................. 57 Das Nabucco Erdgaspipeline Projekt .................................... 60 Chinas „String of Pearls“-Strategie ....................................... 83 Die Entwicklung der Erdölpreise (1861-2007 (Dollar/ Barrel))................................................................................ 102 Die Erdölexporte der OPEC nach Regionen (1969- 2007) ................................................................................... 105 Die „Strategische Ellipse“................................................... 108 Erdöl: Hauptexportrouten weltweit (2007) ......................... 110 Chinesische Exportkapazität bei Erdöl (1965-2007)........... 111 Handelsbilanz 1960-2008 ................................................... 115 Erdölpreisentwicklung 2002-2009 ...................................... 119 Erdölproduktion und -konsum USA – China im Vergleich (1965-2007) ........................................................................ 120 Entwicklung des Wechselkurse Euro/US-Dollar 20002009 .................................................................................... 125 Die Ostseepipeline „Nord-Stream“ ..................................... 148 Primärenergieverbrauch in Millionen Tonnen Erdöläquivalent (1990-2030) .............................................. 150 Frankreich: Primärenergieverbrauch in Millionen Tonnen Erdöläquivalent (1990-2030) .............................................. 151 Polen: Primärenergieverbrauch in Millionen Tonnen Erdöläquivalent (1990-2030) .............................................. 152 Deutschland: Primärenergieverbrauch in Millionen Tonnen Erdöläquivalent (1990-2030) ................................. 152 Erdölkonflikte im Ostchinesischen Meer 164 Erdölkonflikte in der Südchinesischen See......................... 166 Chinas BIP nach Preisen von 2006 in Milliarden Renminbi (1952-2006)........................................................ 175 Chinas BIP pro Kopf in Renminbi (1952-2006) ................. 175
18 Abbildung 27: Abbildung 28: Abbildung 29: Abbildung 30: Abbildung 31: Abbildung 32: Abbildung 33: Abbildung 34: Abbildung 35: Abbildung 36: Abbildung 37: Abbildung 38: Abbildung 39: Abbildung 40: Abbildung 41: Abbildung 42: Abbildung 43: Abbildung 44: Abbildung 45: Abbildung 46: Abbildung 47: Abbildung 48: Abbildung 49: Abbildung 50: Abbildung 51: Abbildung 52: Abbildung 53: Abbildung 54:
Abbildungsverzeichnis Primärenergieverbrauch in der VR China in Mio. Tonnen Erdöläquivalent (1965-2007) .............................................. 177 Primärenergieverbrauch der Welt in Mio. Tonnen Erdöläquivalent (1965-2007) .............................................. 178 Primärenergieproduktion und -konsum in der VR China.... 185 Pro-Kopf-Energieverbrauch in China, Indien und anderen ausgewählten Staaten (2005) .............................................. 186 Erdölproduktion und -verbrauch in der VR China (19652007) ................................................................................... 194 Raffineriekapazität und -durchleitung in der VR China ..... 195 Erdölpreis in US-Dollar pro Barrel (1983-2007) ................ 201 Gesicherte Erdölreserven in der VR China (Milliarden Barrel) ................................................................................. 206 Erdölproduktion in Daqing (Millionen Tonnen) ................. 207 Erdölimporte bzw. Überproduktion der VR China (Millionen Tonnen)............................................................. 208 Chinas Erdöl- und Erdgasreserven und Versorgungsinfrastruktur (2007)......................................... 209 Geplante Pipelines in die VR China.................................... 211 Geplante Pipeline: Angarsk (Russland) nach Daqing (VR China).................................................................................. 213 Die Atasu-Alashankou-Pipeline.......................................... 216 Erdgasproduktion und -verbrauch in der VR China (19702007) ................................................................................... 219 Erdgasinfrastruktur in der VR China (2005)....................... 223 Globale Handelsrouten - Erdgas ......................................... 226 Erdgaspipelines: Kasachstan-China und TurkmenistanChina................................................................................... 228 Russische Erdgasfelder und konzipierte Pipelines.............. 232 Entscheidungsstruktur bei Erdgasprojekten in der VR China................................................................................... 238 Kohleproduktion und -konsum in der VR China ................ 244 Chinas größte Kohlelagerstätten ......................................... 245 Einflussstruktur im Kohlesektor der VR China (1998)....... 251 Atomstrom Verbrauch in der VR China ............................. 259 Atomkraftwerke in der VR China ....................................... 265 Erneuerbare Energie in der VR China: 1990 – 2030 (TWh).................................................................................. 274 Strom aus Wasserkraft in der VR China ............................. 279 Stromproduktion in der VR China ...................................... 289
Abbildungsverzeichnis Abbildung 55: Abbildung 56: Abbildung 57: Abbildung 58: Abbildung 59: Abbildung 60: Abbildung 61: Abbildung 62: Abbildung 63: Abbildung 64: Abbildung 65: Abbildung 66: Abbildung 67: Abbildung 68: Abbildung 69: Abbildung 70: Abbildung 71: Abbildung 72: Abbildung 73: Abbildung 74: Abbildung 75: Abbildung 76:
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Privateigentum an energieintensiver weißer und brauner Ware in China (1985-2030) ................................................ 290 Die Preiskette des Elektrizitätssektors in China (2006) ...... 296 Internationaler Vergleich der Energieintensität (19802004) ................................................................................... 299 Energieintensität bei Gesamtenergie, Kohle und Öl (1985-2004) ........................................................................ 300 Energieintensität in China nach Sektoren (1995-2004) ...... 302 Akteursdreieck im chinesischen Energiesektor................... 312 Die Energiebürokratie der VR China.................................. 324 Angestellte ausgewählter Erdölkonzerne und Regierungsbehörden (2005)................................................ 336 Sonderwirtschaftszonen in der VR China ........................... 346 Die Kasachstan-China Pipeline........................................... 356 Pipelines in der Kaspischen Region.................................... 364 Erdöl in Aserbaidschan: Produktion, Verbrauch, Exportkapazität (1985-2007) .............................................. 365 Erdöl in Kasachstan: Produktion, Verbrauch, Exportkapazität (1985-2007) .............................................. 365 Das Kashagan Erdöl-Feld ................................................... 376 Chinesische Erdölbeteiligungen in Kasachstan bis 2003 .... 394 Exportpipelines in Westkasachstan..................................... 395 Erdgaspipelines: Kasachstan-China und TurkmenistanChina................................................................................... 397 Pipelines in China ............................................................... 405 Chinesische Beteiligung im kasachischen Erdölsektor Anfang 2005 ....................................................................... 410 Chinesische Beteiligung im kasachischen Erdölsektor Anfang 2006 ....................................................................... 421 Chinesische Beteiligung im kasachischen Erdölsektor Anfang 2007 ....................................................................... 428 Erdgas in Turkmenistan: Produktion, Verbrauch und Exportkapazität (1985-2007) .............................................. 435
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16:
Erdöl- und Erdgasreserven in der Kaspischen Region in Millionen Tonnen Erdöläquivalent (Mtoe) (2007)................. 46 Erdölproduktion und -verbrauch in der Kaspischen Region in Barrel am Tag (bpd) (2007) ............................................... 47 Erdgasproduktion und -verbrauch in der Kaspischen Region (2007) ........................................................................ 48 Bruttoinlandprodukt der VR China im internationalen Vergleich (2005) .................................................................. 176 Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate des Konsums einzelner Energieträger in Prozent ....................... 180 Primärenergieverbrauch der VR China (Mtoe) .................... 183 Primärenergieverbrauch weltweit (Mtoe)............................. 184 Chinas sektoraler Konsum an Primärenergie (Mtoe) ........... 185 Chinas Haupt-Erdölfelder nach Produktion, 2006 ............... 207 Verdampfungsterminals in der VR China ............................ 240 Atomkraftwerke in der VR China (2008)............................. 260 Ausgewählte Maßnahme im Bereich der Energieeffizienz .. 306 Ausgewählte chinesische Auslandsinvestitionen im Erdölsektor seit 2005............................................................ 349 Weltweite Präsenz chinesischer Ölkonzerne (2006) ............ 353 Erdöl in Kasachstan: Produktion, Verbrauch, Exportkapazität (1997-2007)................................................ 391 PetroKazakhstan in Zahlen................................................... 413
1 Einleitung
„Wir müssen damit fortfahren, unser Denken zu emanzipieren, und wir müssen die Wahrheit weiterhin in den Fakten suchen. Wir müssen mit der Zeit Schritt halten, kühne Veränderungen und Innovationen wagen, uns von Starrheit und Stagnation fernhalten, kein Risiko scheuen, und uns niemals durch Interventionen verwirren lassen.“1
1.1 Problemdarstellung Die Volksrepublik China stellt mit rund 1,3 Milliarden Menschen etwa 22 Prozent der Weltbevölkerung und ist somit das bevölkerungsreichste Land der Erde. Seit den Wirtschaftsreformen unter Deng Xiaoping2 des Jahres 1978, ist in der Volksrepublik ein durchschnittliches jährliches Wirtschaftswachstum von rund 9,5 Prozent zu verzeichnen. Trotzdem ist China nach wie vor ein Schwellenland und die Industrialisierung ist nicht abgeschlossen. Doch etabliert sich in der Volksrepublik eine Mittelschicht, die am Reichtum des Wirtschaftsaufschwungs partizipiert und sich Produkte, wie Klimaanlagen, Pkws, Fernseher und/oder Waschmaschinen leisten kann. Der Energieverbrauch in China steigt aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung und des zunehmenden Gebrauchs von elektrischen Geräten um durchschnittlich 3,2 Prozent pro Jahr. Deshalb transformierte die Volksrepublik im Jahre 1990 zum Nettoimporteur von Energie. Drei Jahre später überstieg der Verbrauch von Erdöl erstmals die eigene Produktion. Damit war das grundlegende Ziel einer autarken Energieversorgung vorerst unerreichbar. Die Regierung in Beijing musste ihr Konzept einer Energieversorgungssicherheitsstrategie3 neu überdenken.4 1 Hu Jintao zitiert nach: Naisbitt, John; Naisbitt, Doris (2009): Chinas Megatrends: Die 8 Säulen einer neuen Gesellschaft; Hanser Fachbuch; München; S. 42. 2 Deng Xiaoping wurde am 23. Juli 1977 vom 3. Plenum des X. Zentralkomitees (ZK) in alle seine Staats- und Parteiämter wiedereingesetzt. Dazu gehörte unter anderem die Funktion des Vizepremiers, stellvertretender Vorsitzender der Kommunistischen Partei, erster Stellvertreter des Staatsratsvorsitzenden und stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsrates. Domes, Jürgen; Heilmann, Sebastian (2003): Volksrepublik China; in: Staiger, Brunhild; Friedrich, Stefan; Schütte, Hans-Wilm (Hg.): Das große China-Lexikon; S. 832-837; Wissenschaftliche Buchgesellschaft; Darmstadt; S. 835f. 3 Die Begriffe Energiesicherheitsstrategie und Energieversorgungssicherheitsstrategie werden in der vorliegenden Arbeit synonym verwendet. 4 National Bureau of Statistics of China (2006): China Statistical Yearbook 2006; China Statistics
M. Adolf, Energiesicherheitspolitik der VR China in der Kaspischen Region, DOI 10.1007/978-3-531-92738-1_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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1 Einleitung
Allerdings gibt es in der Volksrepublik nach wie vor keine kohärente Strategie zur gesicherten Energieversorgung. Sie setzt sich vielmehr aus einer Vielzahl von Dokumenten zusammen. Die relevantesten Ziele der Strategie sind in den Fünfjahresrichtlinien enthalten:5 Die Entwicklung der heimatlichen Erdölund Erdgasindustrie, die Steigerung der Energieeinsparung und -effizienz sowie der Umweltverträglichkeit. Es sollen eine strategische Erdölreserve angelegt, Produzentenländer und Energiequellen diversifiziert, eine Sicherungsstruktur für den Import aufgebaut werden. Zudem sollen Anreize für ausländische Investoren in die chinesische Energiebranche geschaffen sowie in den Auf- und Ausbau regionaler Produktionsstätten und Pipelines investiert werden.6 Aus den Zielen geht u.a. hervor, dass die Regierung Chinas ein Interesse an der Diversifizierung der Produzentenstaaten und Energiequellen hat. Hinsichtlich Erdöl und Erdgas ist die Situation Chinas besonders problematisch. Die maritimen Importe durchqueren zu 80 Prozent die Straße von Malakka, eine Meerenge, die von der US-Marine überwacht wird und in einem Gebiet liegt, in dem Piraterie zur Tagesordnung gehört. Eine weitere Steigerung der Importe über den Seeweg scheint deshalb keine Option zu sein. Aufgrund der geographischen Besonderheiten kann China die kontinentale Diversifizierung jedoch nur in Richtung Russland und Kaspische Region7 vorantreiben. Andere Möglichkeiten sind durch den Himalaya hinfällig, der das Grenzgebirge zu Afghanistan, Pakistan, Indien, Nepal, Buthan und Birma darstellt. Eine Pipeline durch das Hochgebirge zu bauen, ist weder wirtschaftlich sinnvoll noch technologisch durchführbar.8 Press; Beijing; S. 64/269; IEA (2007): World Energy Outlook 2007; OECD/IEA; Paris; S. 117; IEA (2002): World Energy Outlook 2002; IEA/OECD; Paris; Umbach, Frank (2001): Geostrategische und Geoökonomische Aspekte der chinesischen Sicherheits- und Rüstungspolitik zu Beginn des 21. Jahrhunderts – Die Verknüpfung traditioneller Sicherheitspolitik mit Ressourcenfragen im geopolitischen Denken Chinas; in: Gunter Schubert (Hg.): China – Konturen einer Übergangsgesellschaft auf dem Weg ins 21. Jahrhundert; S. 341-404; Hamburg. 5 Zudem veröffentlichte die Regierung 1996 die „China Energy Strategy Study (2000-2050)“ und im Juni 2004 „China’s Medium and Long-Term Energy Development Plan, 2004-2020“. Andere Analysen, die Politikvorschläge hinsichtlich der Energieversorgungsstrategie enthalten werden in Denkfabriken, Universitäten und den staatlichen Energiekonzernen entworfen. 6 Government of the People’s Republic of China (PRC) (2001): Tenth Five-Year Plan for National Economic and Social Development; Beijing; Government of the PRC (2001): The 10th Five-Year Plan for Energy Conservation and Resources Comprehensive Utilization; Beijing; Government of the People’s Republic of China (PRC) (2006): Eleventh Five-Year Plan for National Economic and Social Development; Beijing. 7 Die Kaspische Region ist in dieser Arbeit definiert durch die südkaukasischen Staaten Georgien, Armenien, Aserbaidschan und die zentralasiatischen Länder Kasachstan, Turkmenistan, Usbekistan, Kirgistan, Tadschikistan. Der Iran wird zur Region des Persischen Golfes zugeordnet. Russland ist als eigenständige Großmacht keiner Region zugehörig. 8 Clingendael International Energy Programme (2004): Study on Energy Supply Security and Geopolitics; Institute for International Relations ‘Clingendael’; The Hague; S. 46; Handke, Susann
1.2 Forschungsstand
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Durch das verstärkte chinesische Engagement in der Kaspischen Region sind jedoch Verteilungs- und Machtkonflikte mit den dort tätigen Akteuren Russland, USA und Europäische Union (EU) abzusehen. Trotzdem ist es der chinesischen Regierung und den staatlichen Erdölkonzernen gelungen, eine Erdölpipeline zu realisieren, die sich vom kasachischen Teil des Kaspischen Meeres bis über die chinesische Grenze erstreckt. Aus diesen Gründen werden in der vorliegenden Dissertation die energieund machtpolitischen Rahmenbedingungen in China untersucht. Besonderer Fokus liegt hierbei auf der Analyse der chinesischen Energiesicherheitsstrategie. Exemplarisch wird die Umsetzung der Strategie am Politikprozess um den Bau der Kasachstan-China-Pipeline dargestellt.
1.2 Forschungsstand In der deutsch- und englischsprachigen politik- und wirtschaftswissenschaftlichen Literatur gibt es kaum eine Studie, die sich kohärent und dezidiert mit dem Thema der Arbeit auseinandersetzt. Die bisherigen Analysen gleichen sich in ihren Einschätzungen, dass die zunehmenden Erdöl- und Erdgasimporte Chinas einerseits zu einer verstärkten regionalen sowie globalen Kooperation und einer beschleunigten Eingliederung Chinas in die Weltwirtschaft führen werden. Andererseits kann der zunehmende Energiebedarf auch zu Konflikten führen, wenn die Volksrepublik ihrer „traditionell-historischen »strategischen Sicherheitskultur« folgt, die von weitgehender Autarkie, Selbstversorgung und Verringerung von Abhängigkeiten gegenüber ausländischen Mächten und Märkten gekennzeichnet ist.“9 Eine Artikelreihe des James A. Baker III Institutes gibt vorwiegend aus machtpolitischer Sicht einen genaueren Einblick in die Problematik der Rivalität um Erdöl- und Erdgasressourcen in der Kaspischen Region. Dies geschieht unter Berücksichtigung der innen- und außenpolitischen Transformation Chinas auf dem Weg zur Weltmacht. Außenpolitisch analysieren die Experten des Baker Institutes die Fragilität im ost- bzw. südostasiatischen Raum, welche bei verstärktem Engagement Chinas und gleichzeitiger Containmentpolitik10 von Seiten (2006): Securing and Fuelling China’s Ascent to Power; Clingendael International Energy Programme; The Hague; S. 5f.; Hieber, Saskia: Energiesicherheit in China; Verlag Ernst Vögel; Stamsried. 9 Umbach, Frank (2001): Chinas Energiepolitik; Internationale Politik; 1/2001; S. 43-48; Berlin; S. 43. 10 Containmentpolitik bedeutet die politische und militärische Eindämmung eines Staates. Diese Form der Politik geht auf die Truman-Doktrin von 1947 zurück und wurde von den USA gegenüber der Sowjetunion betrieben (vgl. Kapitel 2.2).
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1 Einleitung
der USA zu internationalen Krisen und Konflikten führen könnte. Ferner könnte innenpolitisch durch die weitere Verbreitung von Fernsehen und Internet Kritik am Einparteiensystem Chinas aufkommen. Diese Kritik könnte zu Protestbewegungen auswachsen und zur Destabilisierung des Staates führen, der durch Einschränkung der Meinungs- und Bewegungsfreiheit geprägt ist. Als Reaktion, im Sinne der außenpolitischen Ablenkung von innenpolitischen Problemen, könnte sich die Kommunistische Partei Chinas (KPC) auf militärische Konflikte mit Klein- oder Mittelmächten in Asien einlassen, welche dann wiederum in internationalen Sanktionen bei der Ölversorgung Enden könnten.11 Eberhard Sandschneider argumentiert ebenfalls aus machtpolitischer Sicht und bestätigt einerseits die Instabilität im wirtschaftlichen sowie politischen System der Volksrepublik, indem er auf das binnenwirtschaftliche Gefälle, zunehmende Arbeitsmigration durch 150 Millionen Wanderarbeiter, unrentable Staatsbetriebe und ethnische Unruhen hinweist. Er warnt aber gleichzeitig vor einer zu euro- bzw. US-zentristischen Sichtweise, welche aufgrund ideologischer Voreingenommenheit und falscher Bewertung von wirtschaftlichen Makrodaten leicht zu Schwarzweißmalerei führen könne. Im historischen Kontext sei Instabilität in China nichts Abnormes und könne Reformen vorantreiben, wenn der Druck der internationalen Staatengemeinschaft hinsichtlich der Öffnung des Marktes nicht überhand nehme. Die Strategie der westlichen Staaten solle eher auf flexible Reaktionen denn auf unsichere Prognosen aufgebaut sein, da China längst Motor von Globalisierungseffekten geworden sei, Chinas Rolle als entwicklungspolitischer Akteur stark zunimmt und die Kooperationsbereitschaft mit anderen Staaten – bspw. über die im Jahre 2001 gegründete Shanghai Cooperation Organization (SCO) – wächst. Ferner könnten durch eine flexible Herangehensweise aufkommende energiepolitische Konkurrenzen der Staaten in Asien besser bewertet werden.12 Frank Umbach betont in diesen Konkurrenzen zumindest bilaterale Rüstungswettläufe13 „zwischen Nord- und Südkorea sowie China und Taiwan; aber auch zwischen China und Japan, China und Indien sowie Malaysia und Singa11 The James A. Baker III Institute for Public Policy (1999): Main Study; in: China and Long-Range Asia Energy Security: An Analysis of the Political, Economic and Technological Factors Shaping Asian Energy Markets; Rice University; Houston; S. 21/42f. 12 Sandschneider, Eberhard (2003): Chinas Zukunft; Internationale Politik; 2/2003; S. 10-16; Berlin; Sandschneider, Eberhard (2004): Asiatische Ambivalenzen; Internationale Politik; 9/2004; S. 1-8; Berlin. 13 „Unter Berücksichtigung von Kaufkraftparitäten beziffern das Pentagon, westliche Experten und das IISS in London die Verteidigungsausgaben Chinas auf 50-70 Milliarden Dollar. Damit würde China über die weltweit drittgrößten Verteidigungsausgaben (nach den USA und Russland, aber noch vor Japan) verfügen. Umbach, Frank (2004) Aufrüstung und neue Sicherheitskooperationen in AsienPazifik; Internationale Politik; S. 65-72; Berlin; S. 68f.
1.2 Forschungsstand
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pur.“14 Das sei auch dem wirtschaftlichen und politischen Aufstieg Chinas geschuldet, der trotz Einrichtung von multilateralen Sicherheitsorganisationen wie bspw. dem Council for Security Coperation in the Asia Pacific, bei seinen Nachbarn Besorgnisse hervorrufe.15 Diese Bedenken werden durch das chinesische Engagement hinsichtlich der Erdöl- und Erdgasquellen in Zonen umstrittener maritimer Grenzziehungen im Süd- und Ostchinesischen Meer verstärkt, wie Philip Andrews-Speed, Xuanli Liao und Roland Dannreuther bescheinigen.16 Demgegenüber erläutert Felix K. Chang, dass die chinesische Flotte zu schwach sei, den Seetransport von Erdöl und Erdgas zu überwachen. Daher habe sich die Regierung in Beijing dazu entschlossen, Pipelineprojekte in Richtung Russland und Zentralasien voranzutreiben.17 In diesem Zusammenhang stellt Christian Constantin aus politökonomischer Sicht fest, dass es nicht offensichtlich sei, ob die Interessen der chinesischen Regierung und der drei großen staatlichen Erdölkonzerne im Rahmen der Zou chu qu-Politik („schwärmt aus“) nahe beieinander liegen. Die staatlichen Erdölkonzerne sollten mit Investitionen in internationale Erdölvermögenswerte die chinesische Energiesicherheitsstruktur wie folgt unterstützen: Erstens die Ölversorgung diversifizieren, zweitens eine bessere Kontrolle der Produktion der Quellen garantieren und drittens die internationalen und nicht die nationalen Ressourcen18 dezimieren. Weiterhin erwarte die Regierung, um die Wirtschaft vor Schocks von außerhalb zu bewahren, dass die chinesischen Erdölkonzerne Verluste in Kauf nehmen werden, um die Inlandspreise aufrecht zu erhalten.
14
Umbach, Frank (2004) Aufrüstung und neue Sicherheitskooperationen in Asien-Pazifik; Internationale Politik; S. 65-72; Berlin; S. 65. Umbach, Frank (2004) Aufrüstung und neue Sicherheitskooperationen in Asien-Pazifik; Internationale Politik; S. 65-72; Berlin; S. 66. 16 Andrews-Speed, Philip; Liao, Xuanli; Dannreuther, Roland (2002): The Strategic Implications of China’s Energy Needs; Adelphi Paper 346; Oxford University Press; Oxford; S. 49. 17 Chang, Felix K. (2001): Chinese Energy and Asian Security; in: Orbis; S. 211-240; Foreign Policy Research Institute; Philadelphia; S. 240. 18 Definition: Reserven: „Diejenigen Mengen eines Energierohstoffes, die mit großer Genauigkeit erfasst wurden und mit den derzeitigen technischen Möglichkeiten wirtschaftlich gewonnen werden können. Synonym gebräuchlich sind: bauwürdig ausbringbare Reserven, sicher (und wahrscheinlich) gewinnbare Vorräte.“ Ressourcen: „Diejenige Mengen eines Energierohstoffes, die entweder nachgewiesen, aber derzeit nicht wirtschaftlich gewinnbar sind, oder aber die Mengen, die auf Basis geologischer Indikatoren noch erwartet werden und mittels Exploration nachgewiesen werden können. Bei Kohlenwasserstoffen wird dabei, ähnlich wie bei den Reserven, nur der als gewinnbar eingeschätzte Teil berücksichtigt. Bei der Kohle sind es „in situ“-Mengen, d.h. die Gesamtmenge unabhängig von ihrer Gewinnbarkeit.“ Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (2004): Reserven, Ressourcen und Verfügbarkeit von Energierohstoffen 2004; BGR; Hannover; S. 32f. 15
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1 Einleitung
Constantin attestiert, dass in dieser Strategie Rentabilität und Sicherheit kaum übereinstimmen können.19 Die mangelnde Rentabilität könnte jedoch durch Investitionen ausländischer Akteure auf mehrere Schultern verteilt werden. Nach einer energiepolitischen Analyse Saskia Hiebers zeigen bspw. Saudi-Arabien und Kuwait großes Interesse, nicht nur den chinesischen Energiemarkt zu entwickeln, sondern auch in die petrochemische Industrie zu investieren.20 Schon 1995 unterzeichnete der damalige Generalsekretär der KPC und Staatspräsident Jiang Zemin ein Abkommen mit Saudi Arabien, nach dem in Südchina für 1,5 Milliarden US-Dollar eine Raffinerie und ein petrochemischer Komplex für saudisches Erdöl errichtet werden sollte. Mithilfe dieses Vertrages sollte die Ära einer „strategischen Ölpartnerschaft“ zwischen den beiden Staaten eingeleitet werden. Robert A. Manning argumentiert aus interessenspolitischer Perspektive, dass über solche Investitionen in den Downstreamsektor21 der dynamischen asiatischen Wirtschaft saudische Petrodollar22 recycelt werden könnten.23 Aus gleicher Sichtweise verdeutlichen Amy Myers Jaffe und Robert A. Manning, dass Russland mit Japan und China bei Investitionen in Pipeline- und Liquified Natural Gas-Projekte (LNG)24 im fernen Osten kooperieren sollte. Einerseits könne Russland so die Suche nach Deviseneinnahmen und Auslandsinvestitionen befriedigen. Andererseits wäre bei Realisierung der Projekte über trilaterale bis multilaterale Beziehungen, eine Einbindung in die politökonomischen Strukturen in Ostasien möglich.25 Diesen Gedanken transferieren Andrews-Speed, Xuanli Liao und Roland Dannreuther auf die Pipelinepolitik Chinas, indem sie erklären: „They [Chinese government] might yet decide that the current dependence on the Gulf for oil supplies is excessive, that a stronger Chinese presence in Central Asia is required 19
Constantin, Christian (2005): China’s Conception of Energy Security: Sources and International Impacts; Centre of International Relations; University of British Columbia; Vancouver; S. 34. 20 Hieber, Saskia (2004): Energiesicherheit in China: Instrumente zur Versorgungssicherheit; China aktuell; Institut für Asienkunde; April 2004; Hamburg; S. 401. 21 Im Energiesektor wird bei extraktiven Reserven zwischen Up- und Downstream unterschieden. Upstream beinhaltet die Exploration und Produktion von Erdöl und Erdgas. Das heißt die Prozesse, die nötig sind, um den Energieträger aus dem Boden zu holen. Downstream bezeichnet alle Prozesse von Raffinieren und Verkauf des Energieträgers und seiner Folgeprodukte (vgl. Kapitel 4.4.1.). 22 Petrodollar sind die US-Dollar, die Erdöl-Produktionsstaaten für den Verkauf ihrer Reserven erhalten. Diese Petrodollar werden dann bspw. durch den Kauf von Industrieprodukten in den Industrienationen recycelt (vgl. Kapitel 2.8.). 23 Manning, Robert A. (2000): The Asian Energy Predicament; Survival; Spring 2000; S. 73-88; London; S. 81. 24 LNG ist unter Druck und Abkühlung verflüssigtes Erdgas, das dann in speziellen Schiffen in die Abnehmerstaaten transportiert werden kann (vgl. Kapitel 4.4.2.3.3.). 25 Jaffe, Amy Myers; Manning, Robert A. (2001): Russia, Energy and the West; Survival; Summer 2001; S. 133-152; London; S. 144f.
1.2 Forschungsstand
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to counter-balance the growing US influence, and that the Kazakhstan oil pipeline should be constructed, regardless of cost.“26 Die Zurückdrängung des Einflusses der USA in der Kaspischen Region erkennen Jaffe und Manning auch beim Ausbau der kommerziellen Zusammenarbeit zwischen Russland und der EU zu einer strategischen Partnerschaft.27 Die internationale Kooperation hinsichtlich Energiefragen steht zudem bei Xuewu Gu und Maximilian Mayer im Vordergrund. Anstatt der VR China einen maßlosen „Energiehunger“ zu unterstellen, sollte der Gesamtenergiebedarf betrachtet werden und die Auswirkungen eines neuen Akteurs im internationalen Energiesektor nicht zu pessimistisch betrachtet werden.28 Bereits Mitte der 1990er Jahre erklärten die USA die Kaspische Region zur „Region ihrer nationalen strategischen Interessen“29, um – laut einer geopolitischen Analyse Alexander Rahrs – „Russland daran zu hindern, sein ehemaliges Imperium im Süden der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) wiederherzustellen.“30 Den Wettstreit um die strategischen Ressourcen zwischen Russland und den USA sieht Rahr eher als sekundäres Problem und betont die drohende Destabilisierung der Region. Pipeline-Projekte wie die Baku-Tbilissi-CeyhanPipeline (BTC) seien zwar wirtschaftlich nicht rentabel, aber politisch relevant und deshalb aufrecht zu erhalten.31 Zu konträrem Schluss kommen Uwe Halbach und Friedemann Müller. Sie schätzen die Ressourcen der Kaspischen Region, auch wenn sie bedeutend kleiner seien als die der Persischen Golf Region, als reichhaltig genug ein, um Relevanz für die EU und die VR China zu erlangen. Problematisch für den Transport in Richtung EU sei jedoch vorwiegend der Kaukasus, der von außergewöhnlicher ethnischer Vielfalt und einer Fülle ethno-territorialer Streitfälle geprägt sei, die nirgendwo im postsowjetischen Raum in solcher Verdichtung auftreten wür-
26 Andrews-Speed, Philip; Liao, Xuanli; Dannreuther, Roland (2002): The Strategic Implications of China’s Energy Needs; Adelphi Paper 346; Oxford University Press; Oxford; S. 61. 27 Jaffe, Amy Myers; Manning, Robert A. (2001): Russia, Energy and the West; Survival; Summer 2001; S. 133-152; London; S. 138f. 28 Gu, Xuewu; Mayer, Maximilian (2007): Chinas Energiehunger: Mythos oder Realität?; Oldenbourg; München, Wien; S. 171ff. 29 Rahr, Alexander (2001): Energieressourcen im Kaspischen Meer; in: Internationale Politik; 1/2001; S. 37-42; Berlin; S. 38. 30 Rahr, Alexander (2001): Energieressourcen im Kaspischen Meer; in: Internationale Politik; 1/2001; S. 37-42; Berlin; S. 38. 31 Rahr, Alexander (2001): Energieressourcen im Kaspischen Meer; in: Internationale Politik; 1/2001; S. 37-42; Berlin; S. 40; Berlin;; Rahr, Alexander; Watanabe, Koji; Garnett, Sherman W (Hrsg.) (2001):Trilateral Commission: Der Kaspische Raum vor den Herausforderungen der Globalisierung: Die Verantwortung der Trilateralen Staaten für die Stabilität der Region; ein Bericht an die Trilaterale Kommission; Leske und Budrich; Opladen.
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den wie hier.32 Die Bedeutung Chinas als Akteur mit wachsendem Interesse an der Region wird in den Studien von Müller nur marginal angerissen. Seine Analysen konzentrieren sich vorwiegend auf die energie- und machtpolitischen Interessen Russlands, der USA und der EU.33 Ebenso tritt die Analyse chinesischer Energieinteressen bei Rizvan Nabiyev in den Hintergrund. Zwar arbeitet er die Akteure und deren energie- sowie machtpolitische Bestrebungen in der Kaspischen Region heraus, setzt seinen Schwerpunkt jedoch aus aserbaidschanischer Perspektive, auf die Darstellung der Projekte westlich des Kaspischen Meeres.34 Die wissenschaftliche Literatur enthält somit noch einige Forschungslücken, da sie energie- und machtpolitische Analysen kaum zusammenführt und die VR China als zunehmend relevanten Akteur, zumindest in Regionalstudien, vernachlässigt. Ferner ist der Forschungsbedarf, auch ob der Aktualität des Themas, in der deutschsprachigen Literatur sehr hoch; vor allem wegen der eventuell aufkommenden energiepolitischen Konkurrenz zwischen der EU und der VR China in der Kaspischen Region. Zudem sind, aufgrund der komplexen Situation und der von schnellem Wandel betroffenen Staaten von der Kaspischen Region bis Ost- und Südostasien, permanente Forschungen notwendig, um die politischen und ökonomischen Prozesse transparent darstellen zu können. Vor allem für den Faktor der fossilen Energieträger Erdöl und Erdgas ist dies von großer Bedeutung, da er durch den steigenden Bedarf in Asien, Europa und den USA ein wachsendes Konfliktpotential in sich birgt. Dies gilt sowohl für die Eigentumsrechte an den Quellen, die Vereinbarungen über die Transportwege als auch für umwelt- und klimapolitische Aspekte.
1.3 Zielsetzung, Fragestellung und Hypothesen Die vorliegende Arbeit untersucht anhand einer dezidierten Länderstudie die Entwicklung der Sicherheitsstrategie der Energieversorgung der VR China mit Fokus auf den fossilen Energieträger Erdöl. Dabei wird beispielhaft auf die Diversifizierungsmöglichkeiten anhand der im Juni 2009 fertig gestellten Kasachstan-China-Pipeline eingegangen. Ziel ist es, die Energieinnenpolitik Chinas zu 32
Müller, Friedemann; Halbach, Uwe (2001): Persischer Golf, Kaspisches Meer und Kaukasus Entsteht eine Region vitalen europäischen Interesses?; SWP-Studie; Berlin. Müller, Friedemann (2002): Energiepolitische Interessen in Zentralasien; Aus Politik und Zeitgeschichte; 8/2002; S. 23-31; Berlin; Müller, Friedemann (2003): Versorgungssicherheit; Internationale Politik; 3/2003; S. 3-10; Berlin; Müller, Friedemann (2004): Klimapolitik und Energieversorgungssicherheit; SWP-Studie; Berlin. 34 Nabiyev, Rizvan (2004): Erdöl- und Erdgaspolitik in der kaspischen Region; Verlag Dr. Köster; Berlin. 33
1.3 Zielsetzung, Fragestellung und Hypothesen
31
analysieren, um die Perspektiven der Volksrepublik hinsichtlich einer nachhaltigen Energiesicherheitspolitik aufzuzeigen. Ein weiteres Ziel ist die Energieaußenpolitik Chinas darzustellen und zu erörtern, welche Instrumente die einzelnen Akteure einsetzen, um ihre Interessen hinsichtlich einer maritimen bzw. kontinentalen Diversifizierung der Importquellen durchzusetzen. Die zentrale Fragestellung der Arbeit lautet:
Welche Elemente enthält die Energieversorgungsstrategie der VR China hinsichtlich der Diversifizierung der verschiedenen Energieträger und welche Chancen bestehen bezüglich einer autarken Energieversorgung, bzw. wie ist die Strategie auf eine maritime und kontinentale Importabhängigkeit bei Erdöl und Erdgas ausgerichtet?
Folgende sekundären Fragen lassen sich hieraus ableiten:
Welche Maßnahmen hat die chinesische Regierung bisher zur langfristigen Sicherung der nationalen Energieversorgung getroffen? Welche historischen Ereignisse, welche demographischen, geographischen und ökonomischen Aspekte haben die Energiesicherheitsstrategie der VR China bisher beeinflusst? Inwiefern unterscheidet sich die Energiesicherheitsstrategie der VR China von Strategien der UN, der IEA und der EU? Welche Richtlinien für den Aufbau eines nachhaltigen Energiemixes hat die chinesische Regierung bisher erlassen; was ist der Stand der Debatte innerhalb der Entscheidungsträger und welche Machtverhältnisse bestehen zwischen den einzelnen Akteuren? Inwieweit ist die Energieversorgungspolitik Chinas auf die Energieressourcen der Kaspischen Region ausgerichtet und welche Akteure sind daran beteiligt? Welche energiepolitischen Verhandlungen hinsichtlich des Baus einer Versorgungsinfrastruktur sind bisher mit den Regierungen der energiereichen Staaten der Kaspischen Region geführt worden und was sind die Ergebnisse? Welche Instrumente verwendeten die chinesische Regierung und die staatlichen Energiekonzerne bei den Verhandlungen um Kasachstan-ChinaPipeline zur Durchsetzung ihrer Interessen? Gibt es eine Konkurrenz zwischen China und der EU um die Energieversorgung aus der Kaspischen Region und wenn ja, inwieweit können die kaspischen Anrainer davon profitieren bzw. daran Schaden nehmen?
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Die zentrale Fragestellung sowie die sekundären Fragen sind also auf zwei komplexe Themengebiete ausgerichtet. Das erste Themengebiet beinhaltet die innenpolitische Dimension des Feldes der Energiepolitik einschließlich der Akteure, Interessen und Instrumente. Die außenpolitische Dimension der chinesischen Energiepolitik ist fokussiert auf die Energieversorgung aus der Kaspischen Region und dem Aufeinandertreffen der Interessen sowohl der energiereichen Staaten in der Region als auch denen auswärtiger Mächte. Zur Analyse der innenpolitischen und außenpolitischen Vorgehensweise der VR China sollen folgende vier Hypothesen im Verlauf der Arbeit überprüft werden: 1.
Die schnelle wirtschaftliche Entwicklung Chinas führt zu einer Umgestaltung der Energiesicherheitsstrategie und zu Machtverschiebungen bei den energiepolitisch relevanten Akteuren.
Die schnelle wirtschaftliche Entwicklung der Volksrepublik führt zu einem rapiden Wachstum beim Energieverbrauch. Um die Energieversorgung flächendeckend und wirtschaftlich zu gestalten, treten in einem bevölkerungsreichen Flächenstaat wie China Probleme bei der Politikgestaltung auf. Die Regierung kann nur bedingt auf internationale Erfahrungen hinsichtlich einer nachhaltigen Ausrichtung der Energiepolitik zurückgreifen, die sich auf das eigene Land übertragen lassen. Aufgrund der abzusehenden steigenden Energieimportabhängigkeit sind jedoch Maßnahmen zur Eingliederung Chinas in den Weltmarkt notwendig. Bei den dafür notwendigen Reformen entstehen Spannungen zwischen Regierung, Energiekonzernen, Militär und Endverbrauchern. 2.
Aus Gründen der Diversifizierung der Erdöl- und Erdgasversorgung und der einhergehenden Emanzipation von Nahostreserven steigt das Interesse der VR China an den Erdöl- und Erdgasressourcen der Kaspischen Region. Hierdurch entstehen Investitionsanreize für die Umsetzung von Pipelineprojekten, welche die wirtschaftliche Entwicklung Chinas begünstigen.
Der rasch ansteigende Energiebedarf Chinas wird zu einer verstärkten Diversifizierung von Energieproduzenten und -quellen führen. Über die hierbei zu verwirklichenden Pipelineprojekte werden zumindest mittelfristige Investitionen in die Infrastruktur der betreffenden Staaten getätigt, was wiederum langfristige Entwicklungseffekte wie bspw. Arbeitsplätze und wirtschaftliches Wachstum nach sich ziehen kann. Durch die Zuleitung der Energieträger nach China wird dort im Besonderen ein langfristiger Wachstumseffekt weiter unterstützt, da die Volksrepublik über eine differenzierte Wirtschaft verfügt und nicht Gefahr läuft
1.3 Zielsetzung, Fragestellung und Hypothesen
33
wie Iran, Turkmenistan und Kasachstan als Rentierstaat zu verharren. Somit wird sich hauptsächlich China weiterhin schnell zu einer Großmacht entwickeln. Dies führt zu folgender Hypothese: 3.
Durch die Energieinteressen Chinas in der Kaspischen Region – insbesondere an den kasachischen Öl- bzw. den turkmenischen Gasreserven – kommt es zu zunehmenden energie- und machtpolitischen Überschneidungen zu Russland, den USA und der EU.
Durch die Pipelinepolitik bekommt China zunehmenden politischen Einfluss in der Kaspischen Region. Da Russland die zentralasiatischen und südkaukasischen Staaten zu seinem direkten Einflussgebiet – dem so genannten „Nahen Ausland“ – zählt, steht der Einfluss Chinas dem Interesse Russlands gegenüber. Die USA sind im Zuge des so genannten „Anti-Terrorkrieges“ und der Containmentpolitik gegenüber Russland, China und dem Iran in der Region involviert. Ein neuer starker Akteur wie China kann alleine oder im Bündnis mit Russland diesen Einfluss vermindern, indem Versuche unternommen werden, die zentralasiatischen Staaten über bi- bzw. trilaterale Abkommen stärker an sich zu binden. Dies hätte dann, wie das Beispiel Usbekistan zeigt, die Schließung von USMilitärbasen in der Region zur Folge35. Die EU hat vorwiegend aus Diversifizierungsmotivation Interesse an den kaspischen Ressourcen. Es ist jedoch umstritten, ob bspw. die BTC-Pipeline ökonomisch unrentabel wird, wenn sie ausschließlich aserbaidschanisches und nicht zusätzlich – wie in der Planung vorgesehen – kasachisches Öl transportiert. Kasachstan könnte sich jedoch aus Kostengründen dazu entschließen, seine Ressourcen stattdessen in Richtung China zu leiten. Somit können die beiderseitigen Interessen an den Ressourcen der Kaspischen Region zu Verstimmungen zwischen der EU und China führen. 4.
Aufgrund des verstärkten Engagements der VR China in der Kaspischen Region wird sie die Beziehungen zu Staaten wie Indien, Russland und Japan verbessern, um die eigenen energiepolitischen Interessen durchsetzen zu können.
Durch ungeklärte Grenzfragen im Süd- und Ostchinesischen Meer sowie beim Grenzverlauf zu Russland, können sich Konflikte zwischen Russland und China bzw. Japan und der Volksrepublik ergeben. Energiepolitische Streitigkeiten können zu Indien, Russland und/oder Japan hinsichtlich des Verlaufs von Pipelines 35
Die Welt: USA ziehen ihre Soldaten aus Usbekistan ab; www.welt.de/data/2005/11/23/807445.html; Zugriff: 23.11.2005.
34
1 Einleitung
und der Übernahme von Energiekonzernen sowohl in der Kaspischen Region als auch in Russland entstehen. Dies ist ein Grund für die Beteiligung Chinas an multilateralen regionalen Zusammenschlüssen, wie der SCO, in der auch Russland, Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan integriert sind; Indien, Pakistan und Iran Beobachterstatus haben. Gemeinsame chinesischrussische Militärmanöver, wie bspw. im August 2005, sollen nach russischem Wunsch in Zukunft Indien mit einbeziehen.36 In Neu Delhi fand im November 2005 ein Energieforum „Stabilität, Sicherheit und Nachhaltigkeit“ statt, auf dem auch Treffen auf Ministerebene möglich waren. Als Exporteure waren bspw. Russland, Aserbaidschan, Turkmenistan und als Verbraucher Indien, China, Japan und Südkorea vertreten.37
1.4 Vorgehensweise und Methoden 1.4.1 Vorgehensweise Um die Fragestellung der Arbeit beantworten und die aufgestellten Hypothesen überprüfen zu können, ist die vorliegende Untersuchung wie folgt gegliedert. Nachdem der grundlegende Rahmen der Arbeit in Kapitel 1 festgelegt wurde, folgt in Kapitel 2 eine detaillierte Untersuchung der allgemeinen Bedingungen, nach denen sich die chinesische Energiesicherheitsstrategie entwickelt hat. Dazu wird im ersten Schritt aus einer historischen Perspektive geklärt, welche weltpolitischen Ereignisse Grundlage für verschiedene Instrumente einer allgemeingültigen Strategie am Beispiel des Energieträgers Erdöl waren. Dabei finden Faktoren wie das Spannungsfeld zwischen autarker und importabhängiger Energieversorgung, die Sicherung ausländischer Energieimporte und die Diversifizierung der Produzentenstaaten und Energiequellen eine besondere Beachtung. Es wird auch aufgezeigt, wie sich eine Machtstruktur zwischen Produzenten-, Verbraucher- und Konzernkartellen generierte. In einem zweiten Schritt wird daraufhin in Kapitel 3 der heutige Entwicklungsstand von drei exemplarischen Energiesicherheitsstrategien beleuchtet. Die Elemente der Strategie der Vereinten Nationen werden dabei als Beispiel für allgemeine, möglichst auf alle Staaten anwendbare Instrumente herangezogen. Um aufzuzeigen, dass zwar einige Instrumente universal eingesetzt werden können, es aber dennoch aufgrund geographischer, politischer, wirtschaftlicher und 36 Berliner Morgenpost: China und Russland üben erstmals gemeinsam Krieg;
post.de/content/2005/08/19/politik/774042.html; Zugriff: 19.08.2005. 37 Ria Novosti: Energieforum beginnt in Delhi; http://de.rian.ru/world/20051125/42210218.html; Zugriff: 26.11.2005.
1.4 Vorgehensweise und Methoden
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demographischer Faktoren zu nterschieden in der Strategie kommen muss, werden anschließend die Strategien der EU und der VR China erst einzeln analysiert und danach miteinander verglichen. In Kapitel 4 der Arbeit wird daran anschließend die Energiepolitik der VR China detailliert untersucht. Dazu werden zuerst die einzelnen Energieträger auf ihre Verfügbarkeit im Land, den Stand ihrer Nutzung und ihre historische Perspektive analysiert. Einhergehend werden politische Maßnahmen hinsichtlich der Regulierung bzw. Liberalisierung geprüft. Dabei wird auch ein Fokus auf die beteiligten Akteure und deren Interessen und Instrumente gelegt. Daraufhin wird für die Energieträger eine Prognose der zukünftigen Bedeutung für den Energiemix der VR China gezeichnet, um darzustellen, welche Maßnahmen die chinesische Regierung entwickeln wird, um eine Energieversorgung des Landes zu sichern. Daran anschließend wird die Machtstruktur zwischen den einzelnen Akteuren – Regierung, staatliche Konzerne, Militär – am Beispiel des Energieträgers Erdöl erörtert. Anhand dieser Analyse wird dargestellt werden, welche Akteure die Energiepolitik Chinas maßgeblich bestimmen. In Kapitel 5 folgt die Analyse der Energieaußenpolitik der VR China am Beispiel des Politikprozesses um die Kasachstan-China-Pipeline. In der Untersuchung wird zum einen dargestellt, welche Strategien und Instrumente von Seiten der chinesischen und kasachischen Akteure die am Prozess beteiligt waren Anwendung finden. Zum anderen wird aufgezeigt, welche Interessen die USA, die EU und Russland an den Rohstoffen in der Kaspischen Region verfolgen und welche Instrumente sie eingesetzt haben, um sich einen Anteil an den Erdöl- und Erdgasreserven Zentralasiens zu sichern. Dabei wird auch analysiert, ob und in welcher Art und Weise die auswärtigen Akteure auf den Politikprozess um die Kasachstan-China-Pipeline Einfluss hatten. Danach werden in Kapitel 6 die Untersuchungsergebnisse zur Beantwortung der Fragestellung in einem Resümee zusammengeführt und die aufgestellten Hypothesen überprüft. Ein Ausblick auf die Weiterentwicklung der chinesischen Energiesicherheitsstrategie hinsichtlich der zu erwartenden Energieaußenpolitik und die Formulierung von Politikempfehlungen beschließen die Arbeit. In der vorliegenden Arbeit wurde der Untersuchungszeitraum differenziert. Der historische Teil in Kapitel 2 umfasst die Jahre 1913 bis 2009, da das erste relevante Ereignis hinsichtlich der Energiesicherheitsstrategie am Beispiel Erdöl die Umstellung der britischen Marine von Kohle auf Erdöl war. Der Untersuchungszeitraum für Kapitel 3 und Kapitel 4 ist von der Gründung der VR China im Jahre 1949 bis 2009, um die bisherige Entwicklung und die Perspektiven der einzelnen Energieträger und der Energiepolitik herausarbeiten zu können. Der Untersuchungszeitraum für die Analyse des Politikprozesses um die KasachstanChina-Pipeline ist auf den Zeitabschnitt zwischen den Jahren 1991 und 2009
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1 Einleitung
angelegt. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion rückten die Neuen Unabhängigen Staaten in den Fokus internationalen Interesses. Auch die VR China legte zu dieser Zeit die Grundlagen für eine Energiediplomatie in Richtung der Kaspischen Region. Der Rahmen für diese Grundlagen wurde bspw. durch Verhandlungen und Vereinbarungen über Grenzverläufe mit Kirgistan, Tadschikistan sowie Kasachstan gebildet, wodurch Eisenbahntransporte und Verhandlungen über Pipelines erleichtert wurden.38 Enden wird der Untersuchungszeitraum mit der Fertigstellung aller drei Abschnitte der Erdölpipeline zwischen Kasachstan und China am 30. Juni 2009. Die Inbetriebnahme des zweiten Abschnittes der Pipeline zwischen dem kasachischen Atasu und dem chinesischen Alashankou am 15. Dezember 2005 ermöglichte erstmals eine Zuleitung von Erdöl nach China aus der Region, die nicht auf Eisenbahntransporte angewiesen war.39 Der Untersuchungszeitraum erlaubt eine präzise Analyse der verschiedenen Akteure und Strategien, sowohl bezogen auf die VR China und die Kaspische Region, als auch hinsichtlich der USA, der EU und Russland.
1.4.2 Methoden: Umgang mit Literatur und Policy-Analyse In der vorliegenden politikwissenschaftlichen Analyse wurden hauptsächlich Printmedien, Dokumente, Fachliteratur sowie die Sekundäranalyse vorhandener Forschungsergebnisse ausgewertet. Durch Exkursionen in die Kaspische Region und in die VR China konnten die gewonnen Erkenntnisse vertieft und ergänzt werden. Auf Workshops in verschiedenen Ländern der Untersuchungsregion und in Deutschland sowie auf internationalen Konferenzen konnten die Zwischenergebnisse der Arbeit wiederholt präsentiert und in Expertengesprächen zur Diskussion gestellt werden. Die Arbeit wurde ermöglicht durch das von der Volkswagenstiftung finanzierte Forschungsprojekt Energiepolitik in der Kaspischen Region, das von PD Dr. Lutz Mez von der Forschungsstelle für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin beantragt und geleitet wurde. In diesem Rahmen konnten weitere hilfreiche Informationen gesammelt und Diskussionen geführt werden. Ein möglichst breit angelegtes Analysespektrum war im Falle dieser Arbeit notwendig, um den unterschiedlichen ideologisch geprägten Meinungen, die in der Auswertung von Fachliteratur und Printmedien zu Tag traten, entgegenzuwirken. Dieses Problem betraf auch die Diskussion mit Experten auf Konferen38 Böhm, Peter: Militärbasen, Pipelines und Grenzverläufe; le monde diplomatique;
de/pt/2004/10/08.nf/mondeText.artikel,a0063.idx,19; Zugriff: 08.10.2004. 39 RIA Nowosti: Erdölleitung Kasachstan-China wird im Dezember 2005 in Betrieb genommen; http://de.rian.ru/business/20050704/40841939.html; Zugriff: 04.07.2005.
1.4 Vorgehensweise und Methoden
37
zen und Workshops in der Kaspischen Region. Da das Thema der Arbeit zudem Staaten betrifft, in denen Meinungs- sowie Pressefreiheit zum Teil stark eingeschränkt sind und die Informationshoheit bei der Regierung liegt, traten weitere Probleme bezüglich der Überprüfbarkeit von Daten auf. Deshalb basiert Kapitel 5, in dem der Politikprozess hinsichtlich der Kasachstan-China-Pipeline analysiert wurde, zu großen Teilen auf einer umfassenden Datenbankrecherche. Durch die Auswertung von sämtlichen zugänglichen Pressemitteilungen zu bestimmten Schlagwörtern in den Datenbanken Factiva und LexisNexis über den Zeitraum zwischen den Jahren 1991 und 2009 konnten irreführende Informationen jedoch ausgeschlossen werden. Abbildung 1:
Der Policy-Cycle nach Bridgman und Davis
Bridgman, Peter; Davis, Glyn (2003): What Use is a Policy Cycle? Plenty, if the Aim is Clear; in: Australian Journal of Public Administration; S. 98-102; Nr. 62; Blackwell Publishing Limited; S. 100.
Die Ergebnisse der Literaturrecherche und Literaturauswertung wurden nach dem Ansatz der Policy-Analyse strukturiert und niedergeschrieben. Dabei wurde die Policy-Analyse als Grundlage gesetzt. Sie wird in dieser Arbeit nicht auf ihre Funktionalität überprüft. Innerhalb der Policy-Analyse werden die am Politik-
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1 Einleitung
prozess beteiligten Akteure darauf untersucht, über welche Ressourcen zur Durchsetzung ihrer Interessen sie verfügen und in welcher Politikarena und mit welchem Handlungsspielraum sie den Politikprozess beeinflussen können. Dies hilft politische Hemmnisse zu identifizieren, Strategien zur Durchsetzung von Zielen zu entwickeln und Wege für Kompromisse aufzutun. Dabei kann zuerst eine systematische Übersicht über die Akteure eines Politikfeldes erstellt werden. Weiterführend können in einem zweiten Schritt kohärente Politikempfehlungen und langfristige Strategien generiert werden.40 Innerhalb der Policy-Analyse und des darin enthaltenen Policy-Cycles als Instrument zur Gliederung der verschiedenen Phasen eines Politikprozesses, sind die Kapitel 4 und 5 dieser Arbeit an das von Paul A. Sabatier entwickelte Advocacy-Coalition-Modell angelehnt. Ein Policy-Cycle gliedert einen Policy-Prozess in verschiedene Abschnitte, die dann einzeln analysiert werden können (Abb. 1). Das Modell der Advocacy-Koalition (Abb. 2) entstammt ursprünglich aus dem maßgeblich von David Easton und Harold Lasswell 1965 entwickeltem Phasenmodell. Dieses Modell wurde von Charles O. Jones in den Jahren 1970 und 1977 in verschiedene Abschnitte unterteilt. Die Abschnitte bestehen aus der Problemdefinition, der Agendagestaltung, der Politikformulierung, der Politikimplementation, der Politikevaluation und der Reformulierung der zuvor verfolgten Politik. Ein Vorteil des Phasenmodells für die Policy-Forschung war, dass die Wissenschaftler über den Rand der einzelnen Institutionen hinausblicken und somit größere Zusammenhänge analysieren konnten. Dies ermöglichte die Überwindung von traditionellen institutionellen Analysen, die sich nur auf einen Beschluss richteten, ohne die Betrachtung des Ergebnisses und der Auswirkung der Politik. Dadurch entstand eine verstärkte Interdisziplinarität mit dem Ziel der Optimierung der Instrumente in ihrer Wirksamkeit.41 Neben dieser wesentlichen Errungenschaft, blieben dem Phasenmodell jedoch nach Sabatier auch einige Nachteile verhaftet: Erstens handelt es sich dabei nicht um ein Kausalmodell. D.h., es zeigt keine Verbindungen im Ablauf der einzelnen Phasen auf. Zweitens lässt sich das Modell ohne die Grundlage von Kausalannahmen weder empirisch bestätigen, noch lassen sich Veränderungen feststellen und es fehlt eine Elaborationsfähigkeit. Drittens gibt es häufig eine Abweichung von dem im Phasenmodell genau festgelegtem Ablauf der Phasen. Viertens besteht eine „legalistische Sicht ‚von-oben-nach-unten’“, die für eine 40
Weible, Christopher M. (2006): An Advocacy Coalition Framework Approach to Stakeholder Analysis; in: Journal of Public Administration Research and Theory; S. 95-117; Oxford University Press; S. 97. 41 Sabatier, Paul A. (1995): Advocacy-Koalitionen, Policy-Wandel und Policy-Lernen: Eine Alternative zur Phasenheuristik; in: Héritier, Adrienne (Hg.): Policy Analyse. Kritik und Neuorientierung; S. 116-146; PVS Sonderheft 24; Opladen; S. 116f.
1.4 Vorgehensweise und Methoden
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Betrachtung eines Problemfeldes unzureichend ist, bei dem alle Interessensgruppen gleichberechtigt sind. Somit ist das Phasenmodell nur für die Betrachtung einer Politik im Stile des top-down, aber nicht bottom-up geeignet.42 Abbildung 2:
Das Advocacy-Koalitionsmodell
RELATIV STABILE PARAMETER 1. Grundlegende Merkmale des Problembereichs (Gutes) 2. Grundlegende Verteilung der natürlichen Ressourcen 3. Grundlegende soziokulturelle Wertvorstellungen und Sozialstruktur 4. Grundlegende Merkmale der Verfassungsstruktur (rechtlicher Regeln)
EXTERNE (SYSTEM-) EREIGNISSE 1. Wandel in den sozioökonomischen Bedingungen 2. Wandel in der öffentlichen Meinung 3. Policy-Entscheidungen und -Auswirkungen aus anderen Subsystemen
Restriktionen und Ressourcen des Subsystems Akteure
POLITISCHESUBSYSTEME PolicyKolalition B Vermittler a. policy- Wertvorstellungen b. Ressourcen
Kolalition A a. policy- Wertvorstellungen b. Ressourcen
Strategie A1 SteuerungsInstrumente
Strategie B1 SteuerungsInstrumente
Entscheidungen von vorgesetzten Instanzen
Ressourcen und allgemeine Policy-Orientierung der Behörde
Policy-Entscheidungen
Policy-Wirkungen
Sabatier, Paul A. (1995): Advocacy-Koalitionen, Policy-Wandel und Policy-Lernen: Eine Alternative zur Phasenheuristik; in: Héritier, Adrienne (Hg.): Policy Analyse. Kritik und Neuorientierung; S. 116-146; PVS Sonderheft 24; Opladen; S. 122.
Fünftens geht das Modell nur geringfügig auf die Verflechtung mehrerer Policy-Zyklen auf verschiedenen politischen Ebenen – in ihrer horizontalen wie vertikaler Dimension – ein. Dadurch werden die Realität der verschiedenen konkurrierenden Policy-Eliten und deren Einfluss auf den Policy-Output weitestgehend ausgeblendet. Sechstens ist die Phasenmetaphorik nicht „in der Lage, als Instrument zu dienen, um die Rolle der Policy-Analyse und die Rolle des policy42 Sabatier, Paul A. (1995): Advocacy-Koalitionen, Policy-Wandel und Policy-Lernen: Eine Alternative zur Phasenheuristik; in: Héritier, Adrienne (Hg.): Policy Analyse. Kritik und Neuorientierung; S. 116-146; PVS Sonderheft 24; Opladen; S. 118.
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1 Einleitung
orientierten Lernens durch den ganzen öffentlichen Policy-Prozess hindurch analytisch zu integrieren“. Einer linearen Analysekonzeption steht eine weitaus dynamischere Wirklichkeit gegenüber, die in erheblichen Umfang Interaktionen bzw. Wechselwirkung aufweist.43 Aufgrund dieser Schwächen der Phasenmodelle entwickelte Sabatier den Advocacy-Koalitionsansatz: „Der Advocacy-Koalitionsansatz basiert auf drei grundlegenden Annahmen: Erstens, daß der Prozeß des Policy-Wandels und die Rolle des policy-orientierten Lernens, auf dem dieser beruht, nur in einer Zeitperspektive von einem Jahrzehnt oder mehr verstanden werden kann. Zweitens, daß die sinnvollste Art und Weise, PolicyWandel im Rahmen einer solchen Zeitspanne zu erfassen, darin besteht, daß man ‚Policy-Subsysteme’ betrachtet, d.h. die Interaktionen von Akteuren verschiedener Institutionen, die an einem Policy-Bereich interessiert sind. Drittens, daß staatliche Maßnahmen in der gleichen Art konzeptualisiert werden können wie handlungsleitende Orientierungen oder ‚belief systems’, d.h. als Sets von Wertprioritäten und kausalen Annahmen darüber, wie diese zu realisieren sind:“44
Die erste Grundannahme ist relevant in dem Sinne, dass zur Bewertung eines Policy-Outputs zumindest ein Durchlauf eines Politikformulierungs-, Implementierungs- und Reformulierungszyklus abgeschlossen sein muss, um u.a. eventuell auftretende äußere Einflüsse – so genannte externe Faktoren – gebührend zu berücksichtigen. Die zweite Grundannahme geht davon aus, dass es im Laufe eines PolicyWandels zu Verschiebungen in den einzelnen Subsystemen kommen kann. Zum einen könnten einzelne Akteure das Problemfeld nicht mehr in dem Maße als relevant ansehen, um sich noch wie Anfangs zu investieren. Anstelle dessen könnten sie sich als Reaktion zurückziehen. Zum anderen ist es denkbar, dass sich neue Akteure bei steigendem öffentlichem Interesse in einer Koalition engagieren und sie somit vergrößern – sowohl im quantitativen als auch im qualitativen Sinne. Eine andere Möglichkeit ist, dass Akteure die Seite wechseln und dadurch das Machtverhältnis verschieben. Der Advocacy-Koalitionsansatz stützt sich dabei auf einen Untersuchungszeitraum von mindestens zehn Jahren. Es wird weniger der Fokus auf nur ein spezielles Policy-Ereignis gelegt, sondern vielmehr auf die Möglichkeit eines Politikwandels, was im Falle der Energiepoli43
Sabatier, Paul A. (1995): Advocacy-Koalitionen, Policy-Wandel und Policy-Lernen: Eine Alternative zur Phasenheuristik; in: Héritier, Adrienne (Hg.): Policy Analyse. Kritik und Neuorientierung; S. 116-146; PVS Sonderheft 24; Opladen; S. 119. 44 Sabatier, Paul A. (1995): Advocacy-Koalitionen, Policy-Wandel und Policy-Lernen: Eine Alternative zur Phasenheuristik; in: Héritier, Adrienne (Hg.): Policy Analyse. Kritik und Neuorientierung; S. 116-146; PVS Sonderheft 24; Opladen; S. 119f.
1.4 Vorgehensweise und Methoden
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tik in der VR China seit den Reformen von 1978 und der Nettoimportabhängigkeit bei Energie seit 1990 sehr hilfreich ist. Dabei werden eine Reihe historischer und kontextbezogener Einflussfaktoren analysiert. Zudem wird untersucht, welche Akteursgruppen (Advocacy-Koalitionen) unter Zuhilfenahme welcher Instrumente einen Policy-Wandel gestalten können.45 Die dritte Grundannahme bezieht sich darauf, dass „staatliche Programme implizite Theorien darüber enthalten, wie bestimmte Ziele zu erreichen sind.“ Das heißt, dass jede Koalition ihre Instrumente danach ausrichten wird, an welche Wertvorstellungen sie gebunden ist. Aus dieser handlungsleitenden Orientierung, die die Bearbeitungsrichtlinie des Problemfeldes bestimmt, lässt sich unter dem Faktor Zeit ableiten, welchen Einfluss die einzelnen Akteure auf den Entscheidungsprozess haben werden.46 Hinzu kommt, dass für das Agenda-Setting bis hin zur Implementierung von Gesetzen zumeist nur ein gewisses Zeitfenster – Window of Opportunity – zur Verfügung steht, in dem aufgrund externer und interner Einflüsse eine Einigung der verschiedenen Akteurs-Koalitionen möglich ist.47 In dieser Arbeit entspricht das den Grundvoraussetzungen für die Aufnahme von Verhandlungen über die Kasachstan-China-Pipeline zwischen chinesischen und kasachischen Akteuren. Dies war bspw. erst nach Ende der Blockkonfrontation und der Beilegung der Grenzstreitigkeiten möglich (Kap. 5). Durch den Advocacy-Koalitionsansatz lassen sich somit die Akteure, deren Strategie und die verwendeten Steuerungsinstrumente detailliert analysieren. Folglich lassen sich auch während des laufenden Politikzyklus Tendenzen erkennen, die Rückschlüsse auf die Policy-Entscheidung zulassen. Für die Bewertung der endgültigen Policy-Wirkung und den eventuell folgenden zweiten und dritten Durchlauf des Zyklus ist jedoch durch die Vielzahl der Einflussfaktoren externer wie interner Art, die Zeit ein ausschlaggebendes Kriterium. Der Ansatz ist allerdings nicht unumstritten. So gab es frühzeitig die Kritik, dass er sich nicht für die Erklärung politischer Entscheidungsprozesse in politischen Systemen außerhalb der USA anwenden ließe, da sich diese politischen Systeme in ihren Institutionen und politischen Rahmenbedingungen zu stark unterscheiden
45
Hirschl, Bernd (2008): Erneuerbare Energien-Politik – Eine Mulit-Level Policy Analyse mit Fokus auf den deutschen Strommarkt; VS-Verlag; Wiesbaden; S. 41. 46 Sabatier, Paul A. (1995): Advocacy-Koalitionen, Policy-Wandel und Policy-Lernen: Eine Alternative zur Phasenheuristik; in: Héritier, Adrienne (Hg.): Policy Analyse. Kritik und Neuorientierung; S. 116-146; PVS Sonderheft 24; Opladen; S. 120. 47 Birkland, Thomas A. (2006): Lessons of disaster: Policy change after catastrophic events; Georgetown University Press; Washington DC; Sabatier, Paul A.; Weible, Chris (2007): The advocacy coalition: Innovations and clarifications; in: Sabatier, Paul A.: Theories of the policy process; S. 189220; Boulder; Westview.
42
1 Einleitung
würden.48 Demgegenüber stehen jedoch viele internationale Analysen, die sich auf das Advocacy-Koalitionsmodell als methodischen Rahmen beziehen oder ihn erfolgreich auf seine Anwendbarkeit auf andere Staaten, bzw. Regionen überprüfen.49
1.5 Theoretische Einbettung der Arbeit In der vorliegenden Untersuchung wird sowohl die innen- als auch die außenpolitische Dimension der chinesischen Energiesicherheitsstrategie analysiert. Dabei wird sich der Thematik aus verschiedenen Perspektiven genähert. Die Perspektiven lassen sich grob kategorisieren in eine historische, eine sozioökonomische und eine politologische Herangehensweise. Um die verschiedenen Herangehensweisen zu einem einheitlichen Resultat zu führen, kann allerdings nicht eine einzelne Methode verwendet werden, da ansonsten nur partielle Ergebnisse hätten erreicht werden können. Insofern basiert diese Arbeit auf einem Theorie-Mix. In den verwendeten theoretischen Ansätzen spiegeln sich die verschiedenen Näherungsweisen in der Pfadabhängigkeit (historisch), der Geoökonomie (sozioökonomisch) und der Geopolitik (politologisch) wieder. Der Ansatz der Pfadabhängigkeit ist dabei im Rahmen der Policy-Analyse ein Instrument zur Überprüfung, was in einem bestimmten Feld geschieht und welche normative Begründung eine Entscheidung in sich trägt.50
1.5.1 Pfadabhängigkeit Die historische Ableitung der Handlungsoptionen der verschiedenen Akteure beruht auf der Analyse der Pfadabhängigkeit. Der theoretische Ansatz der Pfadabhängigkeit geht davon aus, dass etablierte Normen und Werte einzelner Akteure oder Akteursgruppen die Entscheidungsrichtungen – also den verschiedenen 48 Z.B. Carter, Neil (2001): The politics of the environment: Ideas, activism, policy; Cambridge University Press; Cambridge; John, Peter (2000): Analysing public policy; Continuum International Publishing Group; London. 49 Als einige Beispiele von vielen sollen hier nur genannt werden: Hirschl, Bernd (2008): Erneuerbare Energien-Politik – Eine Mulit-Level Policy Analyse mit Fokus auf den deutschen Strommarkt; VS-Verlag; Wiesbaden; Bechberger, Mischa (2009): Erneuerbare Energien in Spanien. Erfolgsbedingungen und Restriktionen; Ibidem-Verlag; Stuttgart; Reiche, Danyel (2005): Zur zentralen Bedeutung des Nationalstaates im Mehrebenensystem; FFU-Report 04-2005; Berlin. 50 Scharpf, Fritz W. (2002): Kontingente Generalisierung in der Politikforschung; in: Mayntz, Renate (Hg.): Akteure – Mechanismen – Modelle.; Zur Theoriefähigkeit makro-sozialer Analysen S. 213235; Campus; Frankfurt a.M.; S. 215.
1.5 Theoretische Einbettung der Arbeit
43
Pfaden, denen sie folgen – maßgeblich beeinflussen. Veränderungen innerhalb eines bestimmten Belief-Systems51 können dabei nicht schnell durchgesetzt werden. Die Entscheidungen, die in der Vergangenheit getroffen wurden und die von vielen Akteuren nach wie vor als legitim erscheinen, bestimmen weitgehend auch die Entscheidungen, die in Gegenwart und Zukunft getroffen werden.52 Dabei haben Institutionen in der Bedeutung einer Organisation einer bestimmten interessengeleiteten Akteursgruppe eine besondere Stellung: „Institutions interact with the ideas and identities of actors and […] the distributional consequences of institutions affect the power and legitimacy of actors.”53 Einerseits bietet der Ansatz der Pfadabhängigkeit also die Grundlage für eine Untersuchung kausaler historischer Ereignisketten und den daraus resultierenden politischen Entscheidungen: „Vergangene Konflikte wirken sich auf gegenwärtige Beziehungen zwischen Staaten aus, in einer früheren historischen Situation gewählte Politiken (»policy legacies«) beeinflussen heutige Entscheidungen, und Institutionen, mit denen auf eine vergangene Problemsituation reagiert wurde, stellen auf Grund ihrer Beharrungskraft Restriktionen für gegenwärtiges Problemlösungshandeln dar.“54 Pfadabhängige Prozesse können jedoch auch zur Annahme führen, dass Akteure in ihren Entscheidungen ausschließlich inflexibel sind. Dabei wird übersehen, dass es innerhalb von Entwicklungen Kreuzungspunkte oder Gabelungen gibt, an denen eine andere Entscheidung hätte getroffen werden können. Dieser Entscheidungsspielraum kann entstehen durch die Destabilisierung überkommener Strukturen, das Auftreten neuer Optionen wie bspw. durch technologische Innovationen oder zunehmende Veränderungen der Anreizstruktur.55 All dies 51
Laut Sabatier lässt sich ein Belief-System in drei hierarchische Kategorien unterteilen: erstens existieren tiefe grundlegende Überzeugungen, die normativ-fundamental angelegt sind. Sie umfassen verschiedene politische Subsysteme und sind nur äußerst schwer veränderbar, wie bspw. politische Weltanschauungen. Dem untergeordnet sind zweitens grundlegende politische Annahmen, die normativ-empirisch basiert sind und ein politisches Subsystem bestimmen. Auf der untersten Ebene gibt es sekundäre Überzeugungen, die sich empirisch fundiert auf eine Subkomponente eines Subsystems beziehen. Sabatier, Paul A.; Jenkins-Smith, Hank C. (1999): The advocacy coalition framework: An assessment; in: Sabatier, Paul A.: Theories of the policy process; S. 117-168; Boulder; Westview Press; S. 133. 52 Beyer, Jürgen (2005): Pfadabhängigkeit ist nicht gleich Pfadabhängigkeit!; in: Zeitschrift für Soziologie; Jahrgang 34; Heft 1; S. 5-21; http://www.mpifg.de/pu/mpifg_ja/ZfS_1-05_Beyer.pdf; Zugriff: 04.05.2009. 53 Bennett, Andrew; Elman, Colin (2006): Complex Causal Relations and Case Study Methods: The Example of Path Dependence; in: Political Analysis; S. 250-267; Nr. 14; S. 252. 54 Mayntz, Renate (2002): Zur Theoriefähigkeit makro-sozialer Analysen; in: Mayntz, Renate (Hg.): Akteure – Mechanismen – Modelle.; Zur Theoriefähigkeit makro-sozialer Analysen S. 7-43; Campus; Frankfurt a.M.; S. 27f. 55 Mayntz, Renate (2002): Zur Theoriefähigkeit makro-sozialer Analysen; in: Mayntz, Renate (Hg.): Akteure – Mechanismen – Modelle.; Zur Theoriefähigkeit makro-sozialer Analysen S. 7-43; Cam-
44
1 Einleitung
sind Faktoren, die in der historischen Entwicklung der Energiesicherheitspolitik hinsichtlich des Energieträgers Erdöl aber auch der Entwicklung der verschiedenen Energieträger in der VR China dominant sind (Kap. 2 u. 4). Die Pfadabhängigkeit bildet die Grundlage für die Policy-Analyse innerhalb der vorliegenden Arbeit. Da sich die Dissertation allerdings auch mit der Außenpolitik verschiedener Staaten befasst, die in der Kaspischen Region zusammentreffen, in der die energiereichen Staaten ihren Haushalt fast ausschließlich von den Revenuen aus dem Verkauf ihrer Rohstoffe zusammenstellen, wird diese Grundlage ergänzt durch den Ansatz der Geopolitik und den der Geoökonomie. Dabei werden die Theorien und die analytischen Modelle jedoch nicht auf ihre Gültigkeit und Kohärenz überprüft, wie dies bspw. in der Arbeit von Bernd Hirschl geschehen ist. Sie werden als Eingrenzung der Arena genutzt und zur Definition der beteiligten Akteure, ihrer Interessen und der zur Durchsetzung der Interessen angewandten Instrumente. Innerhalb der vorliegenden Dissertation betrifft das bspw. die komplexe Problematik der kaspischen Energieressourcen. Diese definieren sich über hohe Investitionen und Förderkosten, fehlenden direkten Zugang zu den Weltmeeren sowie stark divergierenden Prognosen hinsichtlich des Ressourcenumfangs. Daraus kumuliert die Frage, ob der geplante Aufbau der panasiatischen globalen Energiebrücke56 durch die VR China rein energiepolitisch und somit ökonomisch vertretbar oder auch machtpolitisch bedingt ist. Die grundlegende geopolitische bzw. geoökonomische Situation in der Kaspischen Region hinsichtlich der fossilen Energieträger Erdgas und Erdöl wird im Folgenden grob umrissen.
1.5.2 Die grundlegende Energiesituation in der Kaspischen Region Nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Gründung der Neuen Unabhängigen Staaten, geriet die Kaspische Region (Abb. 3) in den Blickpunkt der bisher aus der Region ausgeschlossenen Großmächte USA, EU und zunehmend der VR China. Aber auch Mittelmächte, wie Japan, die Türkei, der Iran und Indien erkannten die neuen Möglichkeiten für Handel, Energieversorgung und regionale Integration. In der gängigen wissenschaftlichen Literatur wird dieses Streben nach Einfluss in der Kaspischen Region häufig mit dem so genannten Great Game57 des ausgehenden 19. Jahrhunderts und beginnenden 20. Jahrhunderts pus; Frankfurt a.M.; S. 29. 56 Gu, Xuewu; Mayer, Maximilian (2007): Chinas Energiehunger: Mythos oder Realität?; Oldenbourg; München, Wien; S. 79. 57 Für die Konfrontation zwischen Russland und England in der Kaspischen Region hatte Captain Arthur Conolly im 19. Jahrhunderts die Bezeichnung „Great Game“ geprägt. Hopkirk, Peter (1992):
1.5 Theoretische Einbettung der Arbeit
45
verglichen. Zu jener Zeit drangen die britische Armee aus Richtung Indien und die russische Armee aus dem Norden nach Zentralasien vor. Getrieben wurden die Armeen durch den politischen Willen ihrer Regierungen, neue Kolonien zu erobern, bzw. einen Zugang zum Indischen Ozean zu erlangen. Sicherlich gibt es Parallelen zur Situation nach Ende der Blockkonfrontation, aber auch viele wesentliche Unterschiede. So hat bspw. die Anzahl der Akteure zugenommen und die Interessen sind seit Ende des letzten Jahrtausends zu einem großen Teil von der Ausbeutung der in der Region vorhandenen Energieträger und der Eroberung neuer Wirtschaftsräume und Handelsrouten geprägt.58 Allerdings wurden laut Alexander Rahr die Erdölvorräte in der Region in den 1990er Jahren aus politischen Gründen „künstlich hochstilisiert.“59 Da die Exploration in der Region noch nicht abgeschlossen ist, lässt sich die Aussage Rahrs zwar nicht bestätigen; die Hoffnungen, welche Anfang der 1990er die Ressourcen der Kaspischen Region mit dem Persischen Golf verglichen haben, wurden jedoch bisher nicht erfüllt.60 Trotzdem scheint genügend Erdöl und Erdgas vorhanden zu sein, um Beträge in Milliardenhöhe in den Aufbau von Produktionsanlagen und der Transportinfrastruktur zu investieren. Der Weltanteil an gesicherten Reserven in der Kaspische Region betrug im Jahre 2007 bei Erdöl vier Prozent (6,5 Milliarden Tonnen), bei Erdgas 4,3 Prozent (7,6 Milliarden Kubikmeter) (Tab. 1). Das entspricht ungefähr den Vorkommen der Nordsee. Diese Zahlen scheinen das Engagement internationaler Energiekonzerne in der Region und die Zuführung der Reserven auf den Weltmarkt vorerst zu legitimieren.61 Wird allerdings die Produktion mit dem Verbrauch verglichen, um die eigentliche Exportkapazität zu errechnen, wird erkennbar, dass das ein Großteil des geförderten Erdöls und Erdgas in der Region verbraucht wird. Die Produktion an Erdöl betrug im Jahre 2007 rund 2,7 Millionen Barrel am Tag. Der Verbrauch lag im selben Jahr bei etwa 560.000 Barrel am Tag. Das entspricht einer Exportkapazität von rund zwei Millionen Barrel am Tag oder anders aus-
The Great Game; The struggle for Empire in Central Asia; Kodasha Verlag; New York, Tokyo, London; S. 513-534. 58 Halbach, Uwe; Müller, Friedemann (2001): Persischer Golf, Kaspisches Meer und Kaukasus Entsteht eine Region strategischen europäischen Interesses?; SWP-Studie 2001/S 01, Berlin. 59 Rahr, Alexander (2001): Energieressourcen im Kaspischen Meer; in: Internationale Politik 1/2001; S. 37-42; DGAP; Berlin; S. 37. 60 bspw. Engerer, Hella; von Hirschhausen, Christian (1998): Die Energiewirtschaft am Kaspischen Meer: Enttäuschte Erwartungen – unsichere Perspektiven; DIW Diskussionspapiere; Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung; Berlin. 61 BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online;
multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff:26.06.2008.
46
1 Einleitung
gedrückt dem Fassungsvermögen zweier großer Pipelines wie bspw. der BTCPipeline (Tab. 2). Abbildung 3:
Die Staaten der Kaspischen Region
Quelle: Perry-Castañeda Library Map Collection (2000): Caucasus and Central Asia; in: The University of Texas at Austin Online; http://www.lib.utexas.edu/maps/commonwealth/caucasus_cntrl _asia_pol_00.jpg; Zugriff: 16.06.2009.
Tabelle 1: Erdöl- und Erdgasreserven in der Kaspischen Region in Millionen Tonnen Erdöläquivalent (Mtoe) (2007)
Aserbaidschan Kasachstan Turkmenistan Usbekistan Insgesamt
Erdöl (Weltanteil) tausend Mtoe 1,0 (0,6%) 5,3 (3,2%) 0,1 (< 0,1%) 0,1 (< 0,1%) 6,5 (~ 4,0 %)
Erdgas (Weltanteil) Milliarden m3 1,3 (0,7%) 1,9 (1,1%) 2,7 (1,5%) 1,7 (1,0%) 7,6 (4,3%)
Quelle: BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff: 26.06.2008.
1.5 Theoretische Einbettung der Arbeit
47
Tabelle 2: Erdölproduktion und -verbrauch in der Kaspischen Region in Barrel am Tag (bpd) (2007) Erdöl (2007) Armenien Aserbaidschan Georgien Kasachstan Kirgistan Turkmenistan Usbekistan Insgesamt
Produktion (Tsnd. bpd) 868 1.490 198 114 2.670
Verbrauch (Tsnd. bpd) 42 93 13 219 10 107 119 564
Tadschikistan ist in der Tabelle nicht mit berücksichtigt, da für das Land keine Zahlen verfügbar sind. Quelle: BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff: 26.06.2008.
Bei Erdgas zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Im Jahre 2007 wurden in der Region rund 164 Milliarden Kubikmeter Erdgas gefördert. Der Verbrauch lag im selben Jahr bei etwa 99 Milliarden Kubikmetern Erdgas. Das bedeutet, dass für den Export ein Volumen von circa 65 Milliarden Kubikmetern zur Verfügung stand. Das entspricht wiederum in etwa dem Fassungsvermögen von zwei großen Erdgaspipelines (Tab. 3). Sowohl bei Erdöl als auch bei Erdgas müsste also die Produktionskapazität in den kommenden Jahren um ein vielfaches ausgebaut werden, um die geplanten Pipelines auslasten zu können. Am Beispiel Turkmenistan bedeutet das folgendes: Das zentralasiatische Land exportierte im Jahre 2007 rund 45 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Russland, 6,5 Milliarden Kubikmeter wurden in den Iran transportiert. Das ergibt Gesamtausfuhren in Höhe von 51,5 Milliarden Kubikmetern. Bei einer Jahresproduktion von 67,4 Milliarden Kubikmeter Erdgas und einem Eigenverbrauch von rund 22 Milliarden Kubikmetern war Turkmenistan demnach, wenn alle Exportverpflichtungen eingehalten wurden, im Jahre 2007 auf den Import des Energieträgers angewiesen (Tab. 3).62
62
BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/ multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff:
48
1 Einleitung
Tabelle 3: Erdgasproduktion und -verbrauch in der Kaspischen Region (2007) Erdgas (2007) Armenien Aserbaidschan Georgien Kasachstan Kirgistan Turkmenistan Usbekistan Insgesamt
Produktion (Milliarden m3) 10.3 27,3 0 67,4 58,5 163,5
Verbrauch (Milliarden m3) 1.3 8,3 1 19,8 1 21,9 45,6 98,9
Tadschikistan ist in der Tabelle nicht mit berücksichtigt, da für das Land keine Zahlen verfügbar sind. Quelle: BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff: 26.06.2008.
Im Dezember des Jahres 2009 wurde eine Erdgaspipeline mit einer Kapazität von 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr in Richtung China fertig gestellt.63 Russland will seine Importe aus Turkmenistan um 45 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr erhöhen. 30 Milliarden Kubikmeter pro Jahr sollen in den kommenden Jahren in Richtung Pakistan und Indien fließen; die EU plant eine Einleitung turkmenischen Erdgases in die geplante Nabucco-Pipeline von 15 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Das bedeutet, die turkmenische Regierung müsste die Produktionskapazitäten im Lande in den nächsten Jahren um mindestens 110 Milliarden Kubikmeter steigern, um den zukünftigen Exportverpflichtungen nachkommen zu können. Darin ist allerdings der steigende Eigenbedarf noch nicht berücksichtigt. Eine Steigerung der Förderkapazität in dieser Höhe ist jedoch unwahrscheinlich, da die Investitionskosten in Exploration und den Aufbau der Produktionsanlagen und der Transportinfrastruktur nicht von Turkmenistan allein getragen werden können. Dazu sind lange Verhandlungen notwendig, wenn die entsprechenden Erdgasvorkommen, deren Ausbeutung wirtschaftlich und technologisch durchführbar ist, gefunden wurden.64
63
Watkin, Eric: Turkmenistan-China gas line to be commissioned; in: Oil & Gas Journal Online; http://www.ogj.com/index/article-tools-template/_saveArticle/articles/oil-gas-journal/transportation2/pipelines/construction/2009/12/turkmenistan-china-gas.QP129867.cmpid%3dEnlDailyDecember 112009.html; Zugriff: 13.12.2009. 64 BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff: 26.06.2008.
1.5 Theoretische Einbettung der Arbeit
49
Durch das nach wie vor große Interesse an den kaspischen Energiereserven und die hohen Investitionsprogramme in der Region können jedoch Konflikte um die Beteiligung an den Exportkapazitäten entstehen. Für die auswärtigen Akteure ist der Zugriff auf das Erdöl und Erdgas aus verschiedenen Motiven relevant. Russland benötigt die kaspischen Erdgasreserven, um die eigenen Exportverpflichtungen in Richtung EU weiterhin aufrecht erhalten zu können. Für die USA bedeutet die Etablierung der angloamerikanischen Erdölkonzerne in der Region eine Aufrechterhaltung der Kontrolle des weltweiten Erdölmarktes. Die EU und die VR China haben ein großes Interesse daran, ihre Energieeinfuhren zu diversifizieren.65 Verschiedene Wissenschaftler, wie bspw. Philip Andrews-Speed et al., fordern die chinesische Regierung dazu auf, Pipelineprojekte in der Region zu verwirklichen, auch wenn die Rentabilität in Frage steht. Diese sollten u.a. gebaut werden, um den Einfluss der USA im kaspischen Raum einzuschränken.66 D.h., das internationale Interesse an den Öl- und Gasressourcen der Kaspischen Region ist nicht nur energiepolitisch – bspw. im Sinne der Diversifizierung der Produzentenstaaten – sondern auch geopolitisch, geostrategisch und geoökonomisch bedingt.67
1.5.2.1 Die Interessen der USA Die Interessen und Instrumente der einzelnen Akteure unterscheiden sich dabei deutlich und umfassen die gesamte Bandbreite von wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Interessen sowie die Instrumente von Soft- bis Hardpower – von Anreiz und Vorbild, bis Sanktionen und militärischer Aktivität. So etablierten die USA nach dem 11. September 2001 in verschiedenen zentralasiatischen Staaten Armeestützpunkte und intervenierten in Afghanistan. Offiziell geschah das, um den internationalen Terrorismus zu bekämpfen, inoffiziell um eine Einkreisungspolitik gegenüber Russland, China sowie dem Iran weiterzuführen. Dabei 65
Abdolvand, Behrooz; Adolf, Matthias; Bechberger, Mischa (2005): Geoökonomie des Weltenergiemarktes; in: Reiche, Danyel (Hrsg.): Grundlagen der Energiepolitik; S.291-314; Peter Lang Verlag; Frankfurt am Main; S. 292; Abdolvand, Behrooz; Adolf, Matthias (2003): Verteidigung des Dollars mit anderen Mitteln; in: Blätter für deutsche und internationale Politik; S. 175-185; Februar 2003; Berlin; S. 178f.; Abdolvand, Behrooz; Adolf, Matthias; Sadegh-Zadeh, Kaweh (2006): GasGigant Russland; Blätter für deutsche und internationale Politik; S. 469-482;April 2006; Berlin. 66 Andrews-Speed, Philip; Liao, Xuanli; Dannreuther, Roland (2002): The Strategic Implications of China’s Energy Needs; Adelphi Paper 346; Oxford University Press; Oxford; S. 61. 67 bspw. Abdolvand, Behrooz; Adolf, Matthias (2003): Verteidigung des Dollar mit anderen Mitteln; Der Ölkrieg im Kontext der kommenden Währungsbipolarität; in: Blätter für deutsche und internationale Politik; S. 175-186; Berlin.
50
1 Einleitung
folgen die USA, neben geoökonomischen und globalisierungspolitischen Herangehensweisen, klassischen geopolitischen Konzepten, wie der Heartland-Theorie von Halford Mackinder aus dem Jahre 1904 oder der Umkehrung des Modells, der Rimland-Theorie von John Nicholas Spykeman aus dem Jahre 1944 (Abb. 4).68 In diesem Sinne analysiert der ehemalige Außenminister und Sicherheitsberater der USA Henry A. Kissinger die weltpolitische Lage 1994 wie folgt: „Geopolitisch betrachtet, ist Amerika eine Insel weitab der riesigen Landmasse Eurasiens, dessen Ressourcen und Bevölkerung die der Vereinigten Staaten bei weitem übertreffen. Und nach wie vor ist die Beherrschung einer der beiden Hauptsphären Eurasiens – Europas also und Asiens – durch eine einzige Macht eine gute Definition für die strategische Gefahr, der sich die Vereinigten Staaten einmal gegenübersehen könnten, gleichviel, ob unter den Bedingungen eines Kalten Krieges oder nicht. Denn ein solcher Zusammenschluß wäre imstande, die USA wirtschaftlich und letztlich auch militärisch zu überflügeln, eine Gefahr, der es selbst dann entgegenzutreten gälte, wenn die dominante Macht offenkundig freundlich gesinnt wäre. Sollten sich deren Absichten nämlich jemals ändern, dann stieße sie auf eine amerikanische Nation, deren Fähigkeit zu wirkungsvollem Widerstand sich erheblich vermindert hätte und die folglich immer weniger in der Lage wäre, die Ereignisse zu beeinflussen.“69
Um diesen Zusammenschluss des eurasischen Kontinents zu verhindern sollte bspw. die NATO durch die spätere Osterweiterung die Eindämmungspolitik der USA, deren Ziel eine unipolare Weltordnung war, unterstützen. So bot die BushAdministration Russland im Jahre 1991 an, eine Partnerschaft einzugehen, die als Grundlage für eine postkommunistische Weltordnung im 21. Jahrhundert genutzt werden sollte. Kurz darauf wurde, nicht zuletzt als Instrument der US68
Kurz umrissen sah Mackinder die Möglichkeit, über die Beherrschung des „Herzlandes“ (in Abb. 2 die Pivot Area) auch den „Inner or Marginal Crescent“ zu beherrschen. Dadurch konnte seiner Ansicht nach der gesamte eurasische Kontinent unter Kontrolle gebracht werden. Durch Handelsrouten über den Landweg geraten Mackinder zufolge die maritimen Mächte USA und Großbritannien ins Hintertreffen. Seiner Theorie nach beherrscht derjenige die Welt, der das Herzland und somit den eurasischen Kontinent kontrolliert. Spykeman drehte das Modell um, da es seiner Ansicht nach zwei Mächten des „Inner or Marginal Crescent” (das Deutsche Reich und Japan) während des zweiten Weltkrieges fast gelungen war das „Herzland“ unter ihre Kontrolle zu bringen. Er geht davon aus, dass die Mächte, die den „Inner or Marginal Crescent” beherrschen, den eurasischen Kontinent kontrollieren können. Spykeman räumte also den maritimen Mächten weit mehr Handlungsspielraum ein als Mackinder das tat. Mackinder, Halford (1904): The Geographical Pivot of History; in: Geographical Journal; Nr. 23; S. 434ff.; Spykeman, John Nicholas (1944): The Geography of the Peace; Harcourt Brace and Company; New York; S. 55ff; Brzezinski, Zbigniew K. (1989): Planspiel. Das Ringen der Supermächte um die Welt; Straube Verlag; Erlangen, S. 63. 69 Kissinger, Henry A. (1994): Die Vernunft der Nationen. Über das Wesen der Außenpolitik; Siedler Verlag; Berlin; S. 904.
1.5 Theoretische Einbettung der Arbeit
51
Politik zur Integration unter ihre Vorherrschaft, der Nordatlantische Kooperationsrat (seit 1997 Euro-Atlantischer Partnerschaftsrat) gegründet, der ein Konsultativgremium von NATO- und ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten sowie bündnisfreien Ländern darstellte und der die im Jahre 1994 gegründete Verbindung Partnership for Peace (PfP) koordiniert. Dieser Initiative traten in der Kaspischen Region zwischen den Jahren 1994 und 2002 die Staaten Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan bei.70 Abbildung 4:
Die Herzlandtheorie von Halford Mackinder
Quelle: Mackinder, Halford (1904): The Geographical Pivot of History; in: Geographical Journal; Nr. 23; S. 435.
Die NATO wurde also benutzt, um die US-Außenpolitik des Containment fortzuführen, da über diese als Instrument kollektiver Sicherheit wahrgenommene Institution, die moralischen und geopolitischen Ziele der Vereinigten Staaten am besten miteinander in Einklang gebracht werden konnten.71 Zudem brauchten die USA eine gestärkte europäische Identität in der NATO nicht zu fürchten, da die EU ohne die politische und logistische Unterstützung der Vereinigten Staaten keine militärische Aktion durchführen konnte oder kann. Gleichzeitig beugten 70 Varwick, Johannes, Woyke Wichard (2000): Die Zukunft der NATO. Transatlantische Sicherheit im Wandel; Leske und Budrich; Opladen; S. 117. 71 Kissinger, Henry A. (1994): Die Vernunft der Nationen. Über das Wesen der Außenpolitik; Siedler Verlag; Berlin; S. 911.
52
1 Einleitung
die USA einer erneuten engen Annäherung Deutschlands an Russland vor, indem sie ihre Truppen auf dem „alten Kontinent“ stationiert ließen.72 Ernst-Otto Czempiel beschreibt die von den Vereinigten Staaten unter George Bush Anfang der 1990er Jahre betriebene Außenpolitik, als eine Politik, die sich am Entwurf des ehemaligen Präsidenten Richard Nixon orientierte. Die USA behielten den auf ökonomische und militärische Stärke gegründeten Führungsanspruch bei. „In den bilateralisierten Beziehungen zu den Staaten der Welt, den Bundesgenossen und den Bündnissen dimensionierten sie deren Bewegungsfreiheit. Diese Weltordnung war daher in erster Linie eine »NegativOrdnung.«“73 Abbildung 5:
Die Region „Greater-Middle-East”
United States Central Command (CENTCOM) boundaries
Österreichische Militärische Zeitschrift: The „Greater Middle East“; in: Österreichisches Bundesheer Online; http://www.bmlv.gv.at/misc/image_popup/popup.php?x=11&y=15&blnOriginalSize=1&int Seite=1280&intHoehe=800&intMaxSeite=1280&intMaxHoehe=770&strAdresse=%2Fomz%2F grafiken%2Fvollbild%2Fbrill_5502.png&blnSlideshow=0&intPercentage=75&blnFremd=1; Zugriff: 11.06.2009.
72 Kissinger, Henry A. (1994): Die Vernunft der Nationen. Über das Wesen der Außenpolitik; Siedler Verlag; Berlin; S. 915/916. 73 Czempiel, Ernst-Otto (2002): Weltpolitik im Umbruch. Die Pax Americana, der Terrorismus und die Zukunft der internationalen Beziehungen; C.H. Beck Verlag; München; S. 78.
1.5 Theoretische Einbettung der Arbeit
53
Zudem konnte die Sicherheitspolitik der USA im Mittleren Osten auf Asien ausgeweitet werden. Während des Zweiten Weltkriegs richteten die Vereinigten Staaten und Saudi-Arabien eine Öl-für-Sicherheit-Partnerschaft ein, in deren Rahmen die USA die saudischen Streitkräfte trainierten und logistisch betreuten. Das enge Bündnis wurde 1980 weiter gefestigt, als Präsident Jimmy Carter im Rahmen der so genannten Carter-Doktrin den freien Transport von Erdöl im Persischen Golf als ein vitales Interesse der USA definierte und eine Verteidigung dieses Interesses „mit allen notwendigen Mitteln“ ankündigte. Zur Durchsetzung dieses Anspruchs etablierte das Pentagon 1983 das United States Central Command (CENTCOM) zur Koordinierung militärischer Aktivitäten in GreaterMiddle-East und errichtete ein System von Militärbasen (Abb. 5). Diese militärische Infrastruktur diente den USA auch zur Unterstützung der Militäroperationen gegen den Irak 1991 und 2003 sowie gegen Afghanistan im Jahre 2001 und wird vom Hauptstützpunkt auf der britischen Insel Diego Garcia im indischen Ozean geleitet.74 Aufgrund dieser Historie war die Außenpolitik der Administration unter Präsident George Bush Senior geprägt von der beginnenden NATOOsterweiterung, der Verstärkung ihrer ostasiatischen Allianzen und der Kontrolle des Erdöls in der Persischen Golf-Region. Es ging vorerst um die unipolare Aufrechterhaltung der USA als einzige Weltmacht, denn um die Verbreitung der Demokratie in den postsozialistischen Staaten.75 Die eingesetzten Instrumente gegenüber den „Neuen Unabhängigen Staaten“ reichen dabei, im Sinne des klassischen Realismus, von der Integration in internationale Institutionen und der Einbettung in den Weltmarkt bis hin zu militärischer Unterstützung und dem Aufbau von US-Militärbasen in der Region. An den Leitlinien dieser Politik änderte sich auch unter dem demokratischen Präsidenten William Clinton (Amtszeit 1993-2001) nicht viel.76 Verstärkt wurde das politisch-militärische Vorgehen jedoch vor allem vom 43. Präsidenten der USA, von George W. Bush (Amtszeit 2001-2008). Beeinflusst von den neokonservativen und religiösen Weltanschauungen von Richard Perle, Richard Armitage, Paul Wolfowitz, Lewis Libby und Karl Rove in der USAdministration, den Eindrücken des 11. September 2001 und der Theorie des Kampfes der Kulturen von Samuel P. Huntington, erlebte eine manichäische Sicht auf die Welt in den USA einen Höhepunkt:77 74
Klare, Michael; Volman, Daniel (2006): America, China and the Scramble for Africa’s Oil; in: Review of African Political Economy; S. 297-309; Vol. 33; Issue 108; S. 298. 75 Brzezinski, Zbigniew (1999): Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft; Fischer Taschenbuch; Frankfurt am Main. 76 Adolf, Matthias (2008): Demokratieexport? Die außenpolitischen Leitlinien der USA seit Ende der Blockkonfrontation; VDM Verlag; Saarbrücken; S. 91 ff. 77 Brzezinski, Zbigniew (2007): Second Chance. Three Presidents and the Crisis of American Super-
54
1 Einleitung „The result was a Manichaean doctrine with which neither of the two scholars could ever have felt at home: democracy passionately propagated as the inevitable historical destination of mankind engaged in an existential clash of basic values. […] In any case, the notion of democratic “end of history” as the endpoint of a grand collision with fundamentalist Islam became for the neocons the clarifying beam of light piercing the post-Cold War mists. These two visions – globalization as a rising tide and neoconservatism as a call to action – came to dominate the political scene and overshadow alternative viewpoints.”78
Die Aufteilung der Welt in Gut und Böse zeigte sich dabei im Kampf gegen den Terrorismus, in dem jeder Staat, dessen Regierung sich nicht auf Seiten der USA stand Gefahr lief von der US-Regierung und Teilen der US-Bevölkerung angefeindet zu werden. In der Amtszeit von George W. Bush wurden Kriege in Afghanistan (2001) und dem Irak (2003) begonnen. Ziel war dabei u.a. die militärische Expansion in Gebiete, die vorher von der Sowjetunion beeinflusst oder beherrscht wurden. Zudem versuchen die USA über ihre militärische Präsenz in der Region die Investitionen angloamerikanischer Konzerne zu sichern. Die Motivation der USA „Nachbar jeder Ölquelle” zu sein, rührt dabei nicht zuletzt daher, den Handel von Erdöl und Erdgas in der Weltwährung US-Dollar aufrecht zu erhalten. Wäre dies nicht mehr der Fall und Erdöl würde bspw. hauptsächlich in Euro gehandelt, verlören die USA die Vorteile der Weltwährung. Aufgrund der hohen Staatsverschuldung von über zehn Billionen US-Dollar und des Handelsbilanzdefizits von rund 800 Milliarden US-Dollar, wären die USA in dieser Situation in kürzester Zeit insolvent (Kap. 2.8).79 Deshalb sind die USA auch in der Kaspischen Region präsent, um einerseits den Machtbereich Russlands, Chinas und des Irans einzuschränken und andererseits die Kontrolle über die Erdöl- und Erdgasreserven zu erlangen.
1.5.2.2 Die Interessen Russlands Um dem wachsenden Einfluss der USA in der Kaspischen Region zu begegnen, verstärkte Russland die Bedeutung der am 7. Oktober 2002 gegründeten Organipower; Basic Books; New York; S. 39ff. 78 Brzezinski, Zbigniew (2007): Second Chance. Three Presidents and the Crisis of American Superpower; Basic Books; New York; S. 40. 79 Abdolvand, Behrooz; Adolf, Matthias (2003): Verteidigung des Dollars mit anderen Mitteln; Blätter für deutsche und internationale Politik; Februar 2003; Berlin; S. 175-185; Abdolvand, Behrooz (2008): Die kaspischen Energieressourcen und die geoökonomischen Interessen der USA: Die Kaspische Region in einer multipolaren Welt; VDM Verlag; Saarbrücken.
1.5 Theoretische Einbettung der Arbeit
55
sation des Vertrages über kollektive Sicherheit (OVKS) (Russland, Belarus, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Armenien), während China im Juni 2001 die SCO (China, Russland, Kasachstan, Tadschikistan, Usbekistan) aus der Taufe hob. Über diese zwei Organisationen konnten die zentralasiatischen Staaten regional eingebunden werden, so dass sie die Kooperation mit den USA zunehmend einschränkten. Neben diesen Organisationen benutzt der Kreml den Handel mit Energieträgern als strategisches Instrument, um seinen Einfluss in der Region wiederherzustellen. Russland braucht den politischen und ökonomischen Einfluss in Zentralasien, um seinen Großmachtstatus als so genannte „Energiesupermacht“ wiederherzustellen. So stammten im Jahre 2005 mindestens 15 Prozent der russischen Gasexporte nach Europa aus seinem „Nahen Ausland“. Also versuchen russische Energiekonzerne wie Lukoil und Gazprom Konkurrenten bei Direktinvestitionen aus den Rentierstaaten Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan, auch gegen die Interessen der kaspischen Staaten, herauszuhalten. Als Versorger für die VR China tritt Russland hingegen nicht zuletzt auf, um ein energiepolitisches Druckmittel gegen die EU zu haben. So erklärt Gazprom zwar, dass das westsibirische Gas für die EU reserviert sei, lässt jedoch durchblicken, dass es auch Richtung China gepumpt werden könnte, wenn die EU russischen Energiekonzernen keinen Marktzugang gewährt.80 Russland hat inzwischen, trotz anfänglicher Verluste nach dem Zerfall der Sowjetunion, zumindest seine energiepolitische Kontrolle im ressourcenreichen kaspischen Raum wiederhergestellt.81 In diesem Sinne war bspw. der russische Stromgigant RAO-UES bestrebt, 40 Prozent des staatlichen Stromproduzenten in Tadschikistan zu übernehmen. Bereits Anfang März 2003 kaufte Russland zudem die Stromnetze Armeniens und Georgiens.82 Auch um seine Rolle als Energiepartner der EU weiter auszubauen, treibt Moskau die Expansion auf dem Energiemarkt in der Kaspischen Region voran. So unterzeichnete Lukoil mit der usbekischen Usbekneftegas ein Abkommen über Erdgasförderungen in den Gebieten Buchara und Chiwa im Südwesten Usbekistans. Investitionen in der Höhe von rund einer Milliarde US-Dollar – 90 Prozent Lukoil, zehn Prozent Usbekneftegas – sollten es ermöglichen, ab 2007 jährlich bis zu 8,8 Milliarden Kubikmeter Gas zu fördern und die erforderliche Infrastruktur für Verarbeitung und Transport aufzubauen.83 Mit der Übernahme 80 Abdolvand, Behrooz; Adolf, Matthias; Sadegh-Zadeh, Kaweh (2006): Gas-Gigant Russland; Blätter für deutsche und internationale Politik; S. 469-482;April 2006; Berlin. 81 Warkotsch, Alexander (2004): Zwischen Konfrontation und Kooperation. Die russische Zentralasienpolitik, in: Blätter für deutsche und internationale Politik; 9/2004; S. 1112-1122. 82 Damoisel, Mathilde; Gente, Regis (2003): Zwischen Hammer und Amboss. Georgien, Abchasien und die Russische Föderation; in: Le Monde diplomatique; 10/2003; S. 4. 83 Russland.RU: Russischer Ölkonzern LUKoil und usbekisches Unternehmen Usbekneftegas unter-
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1 Einleitung
der drei größten Gasvorkommen Usbekistans in Urga, Kuanysch und Aktschalak für 25 Jahre hatte Lukoil den Gasexport aus Usbekistan faktisch monopolisiert. Im Gegenzug forderte Taschkent von Moskau Hilfe gegen Umsturzversuche und Schutz vor der politischen Einwirkung durch die USA und die EU.84 Bereits Ende Februar 2004 erwarb Gazprom 85,16 Prozent der kirgisischen Ölgesellschaft Kirgisneft. Am 27. Januar 2006 wurde ein Memorandum of Understanding über die Gründung eines Joint Ventures unterzeichnet, welches die Entwicklung der Öl- und Gasbranche Kirgistans umfassen soll. Für das Land sei es „außerordentlich wichtig, dass das Flaggschiff der russischen Wirtschaft nun auf den kirgisischen Markt kommt“, betonte der kirgisische Premierminister Felix Kulow.85 Damit die Interessen Gazproms bei Produktion und Transport angemessen berücksichtigt werden, wurde von russischer Seite für eine koordinierte Erdgaspolitik in der GUS plädiert. Es läge im Interesse der betreffenden Staaten, Erdgas zu einem möglichst hohen Preis zu verkaufen. Wenn jedoch jeder Akteur seine Preispolitik individuell bestimme, wähle der Verbraucher den Verkäufer und könne jederzeit den Preis drücken.86 Welche strategischen Möglichkeiten diese energiepolitische Verzahnung bietet, zeigte eine Reise des damaligen russischen Präsidenten Putin und des Chefs von Gazprom, Alexej Miller, vom 10. bis 12. Mai 2007 in die kasachische sowie turkmenische Hauptstadt: Astana und Ashgabat. Kurz zuvor war der deutsche Außenminister Steinmeier mit einer hochrangigen EU-Delegation nach Kasachstan und Turkmenistan gereist, um u.a. die Lieferung von Erdgas aus der Kaspischen Region für die EU zu sichern. Das Ergebnis war ein Memorandum of Understanding. Während ihres Aufenthaltes gelang es Putin und Miller ebenfalls, ein Memorandum of Understanding mit den Präsidenten der beiden zentralasiatischen Staaten – Nursultan Nasarbajew und Gurbanguli Berdimuchamedow – zu unterzeichnen. Die Vereinbarung sah vor, die Kapazitäten der Erdgaspipelines nach Russland von 60 auf 90 Milliarden Kubikmeter pro Jahr bis zum Jahre 2014 auszubauen. Die entsprechenden Dokumente für den Bau der neuen Leitungen wurden im Juni 2008 vorbereitet. Inzwischen sind die Pipelines in die Bauphase übergegangen, während die EU noch keine Verträge unterzeichnen konnte. Damit konnte Russland auch mit den Rentierstaaten Kasachstan und zeichneten Kooperationsabkommen; in: Russland.RU Online; http://russlandonline.ru/ mainmore.php?tpl=Wirtschaft&iditem=773; Zugriff: 17.06.2004. 84 Abdolvand, Behrooz; Adolf, Matthias; Sadegh-Zadeh, Kaweh (2006): Gas-Gigant Russland; Blätter für deutsche und internationale Politik; S. 469-482;April 2006; Berlin. 85 Russland.RU: Gasprom und Kirgisien planen Gründung eines Joint Ventures; in: Russland.RU Online; http://wirtschaft.russlandonline.ru/Gasprom/morenews.php?iditem=489; Zugriff: 29.01.2006. 86 Russland.RU: Gasprom und Kirgisien planen Gründung eines Joint Ventures; in: Russland.RU Online; http://wirtschaft.russlandonline.ru/Gasprom/morenews.php?iditem=489; Zugriff: 29.01.2006.
1.5 Theoretische Einbettung der Arbeit
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Turkmenistan die politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen verstärken (Kap. 5.19).87 Abbildung 6:
Das Baku-Tbilissi-Ceyhan Erdölpipeline Projekt
Quelle: E-Politik (2009): The Georgia Crisis and the Global Balance of Power; in: E-Politik Online; http://www.e-politik.de/lesen/artikel/2008/the-georgia-crisis-and-the-global-balance-of-power/; Zugriff: 16.06.2009.
Die Politikinstrumente und der Politikstil, die von Russland angewandt werden, ähneln denen der USA. Auf der einen Seite werden die „Neuen Unabhängigen Staaten“ in regionale Organisationen, wie die OVKS, GUS oder SCO eingebunden. Daneben plant Moskau eine Zollunion mit Kasachstan und Belarus, um die beiden Staaten mit wirtschaftlichen Instrumenten an Russland zu binden.88 Schert eine Regierung jedoch aus, so werden auch militärische Mittel 87 Konicz, Tomasz (2007): Erfolg für Putin; in: AG Friedensforschung an der Uni Kassel; http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Russland/kaspi2.html; Zugriff: 14.05.2009; RIA Novosti: Turkmenistan, Russland und Kasachstan bereiten Dokument über Bau Kaspischer Gaspipeline vor; in: RIA Novosti Online; http://de.rian.ru/postsowjetischen/20080617/110958166.html; Zugriff: 14.05.2009. 88 Ria Novosti: Russland und Kasachstan unterzeichnen Memorandum zur Gründung von Zollunion; in: Ria Novosti Online; http://de.rian.ru/postsowjetischen/20090521/121697665.html; Zugriff: 21.05.2009.
58
1 Einleitung
angewandt, wie der Georgienkrieg im Jahre 2008 gezeigt hat. Ein weiteres Machtmittel ist die energiewirtschaftliche Anbindung der Kaspischen Region an Russland, das während und eine gewisse Zeit nach der Blockkonfrontation den Vorteil hatte, dass alle Exportpipelines aus der Region über russisches Territorium verliefen. Um sich diesem Monopol Russlands zu entziehen, begannen europäische und US-amerikanische Konzerne – unterstützt von ihren Regierungen – nach Zusammenbruch der Sowjetunion, alternative Pipelines zu planen und zu bauen. Beispiele hierfür sind die im Jahre 2005 fertig gestellte BTC-Erdölpipeline (Abb. 6) und die in Planung befindliche Nabucco-Erdgaspipeline, die beide Erdöl bzw. Erdgas aus der Region in Richtung EU leiten und dabei russisches Territorium umgehen sollen.
1.5.2.3 Die Interessen der EU Obwohl die Gasreserven der Kaspischen Region und des Iran für die Deckung des Weltmarkts nur eine marginale Rolle spielen, sind sie angesichts der vorhandenen förderbaren Kapazitäten sehr attraktiv. Sie sollen ab 2010 bis zu zehn Prozent des Erdgasbedarfs der EU decken.89 Daher sind europäische Energiekonzerne und Banken bemüht, diesen geographischen Raum möglichst unter Umgehung des russischen Machtbereichs zu erschließen. Die Bedeutung des Vorhabens wird auch durch die im „Grünbuch“ der EUKommission zur Energieversorgungssicherheit aufgezeigten potentiellen Energiekonflikte und Gefahren einseitiger Abhängigkeiten bestätigt: „Energie verbrauchende Länder beginnen, einander als potentielle Rivalen für die Lieferungen zu sehen“, heißt es dort. „Und das zu einer Zeit, in der Europa mehr Energie als je zuvor importiert. Dieser Trend wird sich noch bedeutend beschleunigen.“ Deshalb werden sechs Prioritäten definiert, die die effiziente Energieversorgung Europas sicherstellen sollen. Dazu gehören Schritte in Richtung einer gemeinsamen Energie-Außenpolitik, die Vollendung des EU-Gas- und Elektrizitätsbinnenmarkts sowie mehr Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten bei Engpässen hinsichtlich der Energieversorgung.90
89
Andreas Seeliger, Die Europäische Erdgasversorgung im Wandel, in: EWI Working Paper 04/2004. 90 Europäische Kommission, Grünbuch (2000): Hin zu einer europäischen Strategie für Energieversorgungssicherheit; Brüssel; Endbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags (2002): Nachhaltige Energieversorgung unter den Bedingungen der Globalisierung und der Liberalisierung; BT-Ds. 14/2687.
1.5 Theoretische Einbettung der Arbeit
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Gerade im Zuge der im Jahre 2007 aufgelegten Zentralasieninitiative unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft bot sich eine Chance für die Staaten der EU Einheit zu demonstrieren, um nicht mehr gegeneinander ausgespielt zu werden. Denn so lange keine gemeinsame Außenpolitik und Energiesicherheitsstrategie bestehen, können sich Ereignisse, wie nach dem Besuch des Dalai Lama im Mai 2008 in Berlin wiederholen. Nach dem Besuch, der aus Sicht der chinesischen Regierung ihre Ein-Staat-Politik untergrub und eine Einmischung in innere Angelegenheiten darstellte, sagte Beijing den juristischen und den Menschenrechtsdialog mit Deutschland ab. Ferner wurde der „Strategische Dialog der Außenministerien“ eingefroren. Als neuer wirtschaftlicher Partner in Europa für China galt plötzlich Frankreich und nicht mehr die Bundesrepublik.91 Zwar dauerte die deutsch-chinesische Eiszeit nur wenige Monate, sie zeigt aber deutlich die Schwäche der EU als Machtblock in den internationalen Beziehungen. Trotzdem versucht die EU vor allem über wirtschaftliche Anreize sowie wirtschaftliche, politische, kulturelle und bildungspolitische Zusammenarbeit ihre Interessen in der Außenpolitik durchzusetzen. Dazu wurde auch die Zentralasienstrategie entworfen, mit der der Einfluss auf die Region erhöht und der Zugriff auf die Erdöl- und Erdgasreserven gesichert werden soll. Andere Instrumente sind Initiativen wie Interstate Oil and Gas Transport to Europe (INOGATE) oder Transport Corridor Europe Caucasus Asia (TRACECA) aus den 1990er Jahren, die zum Aufbau der Energie- und Transportinfrastruktur in der Region gedacht waren.92 Die EU könnte sich mit ihrer Strategie aber auch als Konkurrent für China hinsichtlich der kaspischen Energieressourcen etablieren. Bspw. partizipieren europäische Konzerne an der BTC-Pipeline (Abb. 6), über die Erdöl aus Kasachstan und Aserbaidschan in Richtung Mittelmeer transportiert wird. Die geplante Nabucco-Pipeline (Abb. 7) könnte nach Fertigstellung auch turkmenisches Gas über den Iran, die Türkei und den Balkan in die EU leiten. Doch stehen die Chancen auf eine ausreichende Auslastung der Nabucco-Pipeline mit Erdgas im Frühjahr 2009 nicht gut. Um den Rohstoff aus Turkmenistan in die Pipeline einzuleiten gibt es drei Optionen. Die erste Möglichkeit wäre eine transkaspische Pipeline von Turkmenistan nach Aserbaidschan, die Anschluss an die Baku91
Rheinische Post: Dalai Lama besucht Frankreich; in: RP-Online; http://www.rponline.de/public/article/politik/ausland/600720/Dalai-Lama-besucht-Frankreich.html; Zugriff: 11.08.2008; ORF: Dalai-Lama-Besuch: Eiszeit zwischen Berlin und Peking; in: ORF Online; http://www.orf.at/?href=http%3A%2F%2Fwww.orf.at%2Fticker%2F271517.html; Zugriff: 25.05.2008; Tagesschau: Zank und Streit begleiten Dalai Lama; in: Tagesschau Online; http://www.tagesschau.de/inland/dalailama122.html; Zugriff: 16.05.2008. 92 Europäische Union: Energy Portal; in: Europäische Union Online; http://www.inogate.org/; Zugriff: 03.06.2009; Europäische Union: TRACECA; in: Europäische Union Online; http://www.traceca-org.org/; Zugriff: 03.06.2009.
60
1 Einleitung
Erzurum Erdgaspipeline hätte. Jedoch führte die Transkaspipipeline durch eine erdbebengefährdete Region (Abb. 6). Eine Havarie einer OffshoreErdgaspipeline93 durch ein Erdbeben zöge im sensiblen Ökosystem des Kaspischen Meeres massive Schäden nach sich.94 Abbildung 7:
Das Nabucco Erdgaspipeline Projekt
Quelle: Nabucco Gas Pipeline International GmbH: Project Description/Pipeline Route; in: Nabucco Gas Pipeline International GmbH Online; http://www.nabucco-pipeline.com/project/projectdescription-pipeline-route/project-description.html; Zugriff: 16.06.2009.
Eine zweite Option wäre es, die Erdgasfelder zwischen Turkmenistan und Aserbaidschan miteinander zu verbinden. So könnte das turkmenische Erdgas von einem Feld zum nächsten gepumpt werden, bis es in Aserbaidschan in die Baku93
Als onshore werden alle Explorations-, Produktions-, oder Transportprojekte bezeichnet, die an Land stattfinden. Offshore definiert im Gegensatz dazu alle See-Projekte. 94 Russland.RU: Aserbaidschan und Turkmenistan erwägen Bau von Transkaspi-Pipeline; in: Russland.RU Online; http://russland.ru/aserbaidschan/morenews.php?iditem=148; Zugriff: 16.06.2009; WWF (2003): Volles Rohr Risiko: Die BTC-Pipeline; WWF-Hintergrundinformationen Online; http://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/pdf-alt/regionen/welt/hintergrund-pipeline.pdf; Zugriff: 16.06.2009.
1.5 Theoretische Einbettung der Arbeit
61
Tblissi-Erzurum-Pipeline eingespeist werden könnte. Dem steht allerdings gegenüber, dass der rechtliche Status des Kaspischen Meeres nach wie vor nicht geklärt ist. Solange es keine dort keine Grenzziehung gibt, ist die Kostenfrage einer solchen technischen Pipeline kaum zu lösen. Die dritte Option wäre eine Pipeline, die durch den Iran verliefe, bzw. ein Swap-Geschäft, das vorsähe, dass turkmenisches Erdgas in den Nordosten des Irans transportiert und die gleiche Menge iranisches Gas im Nordwesten des Landes in die Türkei geliefert würde. Allerdings stehen dieser Option die internationalen Sanktionen gegen den Iran entgegen. So sieht bspw. der Iran-LibyenSanction-Act vor, Unternehmen, die mehr als 40 Millionen US-Dollar pro Jahr im Iran investieren, hart zu bestrafen. Zwar ist der Sanction-Act nur ein USGesetz, dass für europäische Konzerne nicht bindend ist. Allerdings kann auf diese Druck ausgeübt werden, sobald sie auch Investitionen in den USA tätigen.95 Weitere Hindernisse für Nabucco sind ein russisches Pipelineprojekt, die so genannte „South-Stream-Pipeline“, die zentralasiatisches Erdgas in Richtung Italien transportieren soll sowie eine Pipeline aus dem Iran nach Pakistan, die wiederum Produktionskapazitäten aus Turkmenistan und dem Iran bindet. Allerdings ist auch eine Pipeline, die spätestens ab Januar 2010 Erdgas aus Turkmenistan in Richtung der VR China transportieren wird, nicht im Interesse der EU. Insofern scheint der europäische außenpolitische Ansatz einer auf wirtschaftlicher Kooperation und Multipolarität ausgelegten Energieaußenpolitik in Richtung der kaspischen Energiereserven, an der von Realismus geprägten Außenpolitik Russlands zu scheitern. Doch auch die VR China konnte mit ihrer Politik der An- und Einbindung der Kaspischen Region bisher im energiepolitischen Bereich mehr Erfolge erzielen als die EU.
1.5.2.4 Die Interessen der VR China Die VR China versucht sich seit der Öffnungspolitik Ende 1970er Jahre im internationalen Wirtschafts- und Staatensystem zu integrieren. Dabei hat die Volksrepublik bisher eine multipolare Weltordnung angestrebt und nicht eine unipolare, wie es bspw. die USA versuchen. Durch den späten Eintritt in internationale Organisationen, wie der WTO oder die erst jungen Ansätze zur regionalen Kooperation, zum Beispiel durch den Aufbau der SCO über die Shanghai Five Ende der 1990er Jahre, ist China im internationalen System allerdings nach 95 US-House of Representatives (1996): Iran and Libya Sanction Act of 1996; in: Federation of American Scientists Online; http://www.fas.org/irp/congress/1996_cr/h960618b.htm; Zugriff: 16.06.2009.
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1 Einleitung
wie vor relativ isoliert. Während sich die ASEAN-Staaten am Vorbild des wirtschaftlichen Zusammenschlusses der EU orientieren, betreibt Beijing gegenüber Russland, den USA und der EU eine Art Pendeldiplomatie, die zwar multipolar ausgerichtet ist, sich aber nach den nationalen Interessen Chinas richtet. Ziel dieser Politik ist es auch, eine internationale Isolation durch eine Frontbildung gegenüber der Volksrepublik zu verhindern.96 Die nationalen Interessen sind dabei die Integration in das Weltwirtschaftsund Weltfinanzsystem, Wahrung der nationalen Souveränität und Sicherheit – vor allem zur Verhinderung einer Situation, wie im 19. und frühen 20. Jahrhunderts – und die „Ein-China-Politik.“ Der Beitritt als offizielles Mitglied der WTO nach 15-jährigen Verhandlungen, im November 2001 belegt den starken Wunsch nach Integration als gewichtiger Akteur in das Weltwirtschaftssystem.97 Gegenüber Entwicklungs- und Schwellenländern versucht die Volksrepublik als gleichberechtigter Partner aufzutreten, um Zugriff auf für das Wirtschaftswachstum relevante Ressourcen zu bekommen und Unterstützung im UNSicherheitsrat zu gewinnen. Die gleichberechtigte Verhandlungsposition wird daraus abgeleitet, dass auch China, ähnlich wie viele heutige Entwicklungsländer, von der Kolonialpolitik der westlichen Staaten betroffen war und somit die gleichen historischen Demütigen ertragen musste. Dabei steht jedoch die Anerkennung der „Ein-China-Politik“ – also die Ansicht, nach der Taiwan zur Volksrepublik gehört – durch Drittstaaten als Voraussetzung für die Aufnahme von diplomatischen und Handelsbeziehungen im Vordergrund.98 Das generelle Ziel bei der Gestaltung der internationalen Politik ist für die Regierung in Beijing das Erreichen einer globalen harmonischen Gesellschaft. Dabei bedeutet Harmonie, jedoch anders als in europäischer Lesart, nicht die Abwesenheit von Dissonanz, sondern deren Integration. Diese Sichtweise, die auch im Yin und Yang abzulesen ist, hat in China eine lange Tradition, die historisch weit vor Konfuzius und Buddha anzusiedeln ist. Nach der chinesischen Sichtweise, bedingen sich hell und dunkel, männlich und weiblich sowie Gut und Böse gegenseitig. Sie sind nicht voneinander zu trennen, wobei sich die Gegensätze in einer pragmatischen Lebenseinstellung nur mit einem Kompromiss überwinden lassen. Somit wird ein reines Gut oder reines Böse, wie es in der Philosophie der „Wiedergeborenen“ in den USA besteht, fast ausgeschlossen und durch eine breite Skala an Grautönen ersetzt. Die Perfektion bleibt allein 96 Chan, Martin Guan Djien (2008): Der erwachte Drache. Großmacht China im 21. Jahrhundert; WBG; Darmstadt; S. 95; Heilmann, Sebastian (2004): Das politische System der Volksrepublik China; VS Verlag für Sozialwissenschaften; Wiesbaden; S. 248. 97 China Internet Information Service: Chinas Beitritt zur WTO; in: German.China.Org Online; http://german.china.org.cn/german/shuzi-ger/zt/htm/zt4.htm; Zugriff: 16.06.2009. 98 Heilmann, Sebastian (2004): Das politische System der Volksrepublik China; VS Verlag für Sozialwissenschaften; Wiesbaden; S. 250f.
1.5 Theoretische Einbettung der Arbeit
63
dem Himmelreich überlassen. Dieses Phänomen beschreibt der Sozialwissenschaftler Martin Guan Djien Chan in Hinsicht auf die innerchinesische Gesellschaft wie folgt:99 „Wenn die chinesische Regierung ihren Völkern verspricht, in den kommenden Jahrzehnten eine harmonische Gesellschaft zu errichten, meint sie damit keine politische Utopie […] sondern eine politisch realisierbare postmoderne Gesellschaftsform. In dieser harmonischen Gesellschaft wird es weiterhin auch Verbrechen, Korruption und Umweltverschmutzung geben, aber nicht mehr in einem die Gesellschaft als Ganzes bedrohenden Ausmaß. Unter Mao Tse-tung gab es kaum private Verbrechen, typisch für jeden totalitären Polizeistaat, aber diese Epoche war alles andere als harmonisch. Die überzogene Präsenz des Staates ist nicht harmonisch. Der Neoliberalismus ist ebenfalls nicht harmonisch. Hat sich der Staat aus vielen gesellschaftlichen Bereichen zu stark zurückgezogen, überlässt er die Armen und Schwachen ihrem Schicksal. […] In einer harmonischen Gesellschaft besteht ein Interessenausgleich zwischen reich und arm, staatlicher Kontrolle und privater Freiheit, ökonomischem Gewinn und gesunder Umwelt. Wie genau eine solche Gesellschaft im China des einundzwanzigsten Jahrhunderts aussehen soll, das weiß natürlich noch niemand, ganz zu schweigen davon, wie dieses Ziel letztendlich zu erreichen ist. Aber die Grundzüge sind erkennbar.“100
Die innenpolitischen Grundgedanken in Bezug auf die Harmonie, werden in Beijing auch auf die Außenpolitik übertragen. Die logische Konsequenz daraus ist, dass es kein uni- oder bipolares sondern nur ein multipolares System gegeben kann, da die ersten beiden Varianten meistens von manichäischer Sichtweise geprägt sind. Das war der Status während der Blockkonfrontation, während der auf beiden Seiten des „Eisernen Vorhangs“ die Nachteile im jeweils anderen System hervorgehoben wurden. Und auch während der 1990er Jahre versuchten die USA ihre Position als einzige Weltmacht durchzusetzen, über die Diffamierung der islamischen Welt, die angeblich gegen das christlich geprägte Wertesystem, dem die liberale Demokratie entsprungen war, einen Krieg führte. Auch diese Vorstellung einer unipolaren Weltordnung mit den USA an der Spitze trägt stark manichäische Züge.101 Im Gegensatz zur Außenpolitik der USA, aber auch der Russlands, die nach wie vor starke realistische Züge enthalten und einen Fokus auf harte politische sowie militärische Mittel legt, scheint sich China eher am System der wirtschaft99
Chan, Martin Guan Djien (2008): Der erwachte Drache. Großmacht China im 21. Jahrhundert; WBG; Darmstadt; S. 72. 100 Chan, Martin Guan Djien (2008): Der erwachte Drache. Großmacht China im 21. Jahrhundert; WBG; Darmstadt; S. 72f. 101 Brzezinski, Zbigniew (2007): Second Chance. Three Presidents and the Crisis of American Superpower; Basic Books; New York; S. 39f.
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1 Einleitung
lichen Interdependenz der EU zu orientieren. Dabei werden Absatzmärkte für die chinesische Exportindustrie gesucht und versucht, den Zugriff auf strategische Ressourcen zu sichern. Dies geschieht aber weniger über den Aufbau des Militärs als über die Etablierung regionaler und internationaler Kooperation – auch wenn die chinesischen Rüstungsausgaben im Jahre 2008 die zweitgrößten der Welt waren.102 Auf dem XVI. Parteikongress am 8. November 2002 erklärte der damalige chinesische Generalsekretär des Zentralkomitees (ZK)103, Vorsitzende des Militärkomitees und Vorsitzender der VR China Jiang Zemin die chinesische Strategie mit folgenden Worten: „The first two decades of the 21st century are a period of important strategic opportunities, which we must seize tightly and which offers bright prospects. […] We need to concentrate on building a well-off society […] in this period. […] The two decades of development will serve as an inevitable connecting link for attaining the third-step strategic objectives for our modernization drive. […] A new world war is unlikely in the foreseeable future. It is realistic to bring about a fairly long period of peace in the world and a favorable climate in areas around China.”104
Um dieses freundliche Klima in den Gebieten um China zu forcieren, musste die Volksrepublik nach Ende der Blockkonfrontation einige Altlasten beseitigen, um überhaupt als vertrauenswürdiger Verhandlungspartner an Ansehen zu gewinnen. Dazu gehörten Einigungsgespräche über strittige Gebiete im Grenzverlauf mit Russland, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan. Die Verhandlungen über eine Einigung hinsichtlich der Grenzziehung begannen zwar schon im Jahre 1989, also noch kurz vor dem Zerfall der Sowjetunion, zogen sich aber bspw. über die 1.700 Kilometer lange Grenze mit Kasachstan bis ins Jahr 1999 hin.105 Im August des Jahres 1999 ratifizierte das Parlament der Republik Kasachstan einen Nachtrag zur Vereinbarung über die kasachisch-chinesische Grenze. Damit wurde der Grenzverlauf nach zehn Jahren Verhandlung endgültig geklärt und der Weg war frei für eine engere Kooperation der beiden Staaten auf den 102
Lampton, David M. (2008): The Three Faces of Chinese Power; Might, Money and Minds; University of California Press; Berkeley; Los Angeles; S. 25ff. Nach zwei Amtsperioden konnte Jiang Zemin auf dem XVI. Parteitag nicht mehr wiedergewählt werden. Hu Jintao wurde am 8. November 2002 zum neuen Generalsekretär des ZK. Peters, Helmut (2009): Auf der Suche nach der Furt. Die VR China aus dem Mittelalter bis zum Sozialismus; Neue Impulse Verlag; Essen; S. 470. 104 Lampton, David M. (2008): The Three Faces of Chinese Power; Might, Money and Minds; University of California Press; Berkeley; Los Angeles; S. 27. 105 Reuters: Kazakh PM Visits Builds Cina Oil, Commerce Ties; in: Reuters News; factiva; 9.05.1998; Collett-White, Mike: Yeltsin “fit” for China, Central Asia talks; in: Reuters News; factiva; 24.08.1999. 103
1.5 Theoretische Einbettung der Arbeit
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Gebieten des Kampfes gegen Extremismus, Separatismus, Terrorismus, Drogenhandel, aber auch im Ausbau des bilateralen Handels sowohl mit chinesischen Exportprodukten als auch kasachischem Erdöl und Erdgas.106 Ähnliche Verträge wurden Ende der 1990er Jahre mit Tadschikistan und Kirgistan unterzeichnet.107 Neben den Verhandlungen über den gemeinsamen Grenzverlauf rückte die Region jedoch auch in anderer Hinsicht zusammen. Im Dezember 1991 erkannte China die zentralasiatischen Staaten als unabhängig an. Im Januar 1992 erfolgte die Einrichtung vollständiger diplomatischer Beziehungen. In den Folgejahren entwickelten sich die Beziehungen weiter und erreichten ihren ersten Höhepunkt im Jahre 1996 mit der Gründung der so genannten „Shanghai Five“ – China, Russland, Kasachstan, Tadschikistan und Kirgistan. Ziel der Organisation war es, die regionale Kooperation zu intensivieren und viele der Streitigkeiten, die die Mitgliedsstaaten untereinander pflegten, zu lösen.108 Im Jahre 2001 trat Usbekistan als Vollmitglied der „Shanghai Five“ bei, um seine Außenbeziehungen weiter zu diversifizieren und dadurch von Russland unabhängiger zu werden. Daraufhin wurden die „Shanghai Five“ in SCO umbenannt. Die SCO wurde für Beijing zur wichtigsten regionalen Organisation, in der alle regionalen Probleme multilateral diskutiert werden konnten. So erleichterte die Organisation den Aufbau des regionalen Handels und konnte einige Befürchtungen der kleineren zentralasiatischen Staaten zumindest dahingehend beruhigen, dass sie in Zukunft nicht von Russland und China gemeinsam dominiert würden.109 In der Folge der Anschläge vom 11. September 2001 und der Ausweitung der US-amerikanischen militärischen Aktivitäten in Zentralasien, erlitt die SCO einen kurzfristigen Rückschlag. Doch Russland und China, deren Regierungen nach dem Beginn der Kriege in Afghanistan im Oktober 2001 und im Irak im März 2003 stärkere Vorbehalte gegenüber einer von den USA dominierten unipolaren Weltordnung hatten, schafften es, die zentralasiatischen Staaten im Rahmen der SCO dazu zu bewegen, im Juni 2003 eine gemeinsame Deklaration herauszugeben, die sich gegen die Politik der USA wandte.110
106
Collett-White, Mike: Yeltsin “fit” for China, Central Asia talks; in: Reuters News; factiva; 24.08.1999. 107 Swanström, Niklas (2005): China and Central Asia: a new Great Game or traditional vassal relations?; in: Journal of Contemporary China; Nr. 14; S. 569-584; Routledge; S. 573. 108 Swanström, Niklas (2005): China and Central Asia: a new Great Game or traditional vassal relations?; in: Journal of Contemporary China; Nr. 14; S. 569-584; Routledge; S. 575. 109 Swanström, Niklas (2005): China and Central Asia: a new Great Game or traditional vassal relations?; in: Journal of Contemporary China; Nr. 14; S. 569-584; Routledge; S. 576. 110 Atal, Subodh (2005): The New Great Game; in: The National Interest; Fall 2005; S. 101-105; The Nixon Center; S. 102.
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1 Einleitung
Daraufhin wurde die SCO auch als militärisches Bündnis ausgebaut. Im Jahre 2004 wurde die Regional Anti-Terrorism Structure (RATS) als permanentes Organ eingerichtet, um gemeinsam gegen Terrorismus, Separatismus und Extremismus vorzugehen. In diesem Zuge wurden regelmäßig gemeinsame militärische Manöver in Russland und Zentralasien abgehalten. Vor allem nachdem der Iran, Indien und Pakistan im Juli 2005 einen Beobachterstatus in der SCO bekamen, wuchsen in westlichen Staaten die Bedenken, die SCO könnte sich zu einem rein militärischen Bündnis entwickeln, das im Extremfalle zukünftig einen Gegenpol zur NATO darstellen könnte, und deren Mitglieder eine neue bipolare Weltordnung anstrebten. Allerdings wird dabei übersehen, dass auch ein permanentes Organ zur Lösung von Energiefragen und Wasserdisputen existiert und dass die SCO zur der Lösung von Grenzstreitigkeiten und dem Aufbau des bilateralen aber auch regionalen Handels und der Aufbau der Infrastruktur in Zentralasien beigetragen hat.111 China profitiert bisher von seinen Beziehungen nach Zentralasien vor allem durch den Bau von Pipelines für Erdöl und Erdgas, was für den steigenden Energiebedarf des Landes eine kontinentale Diversifizierung der Produzenten und der Handelswege bedeutet. Das Interesse dabei liegt auf der Reduzierung der maritimen Erdölimporte durch die Straße von Malakka. Durch die auf wirtschaftliche Interdependenz ausgerichtete Außenpolitik ist China die Ausweitung nicht nur des wirtschaftlichen, sondern auch des politischen Einflusses in die Region gelungen, ohne dabei die Beziehungen zu Russland zu zerstören, das die zentralasiatischen Staaten aufgrund der geographischen Nähe und der jüngeren Geschichte nach wie vor als seinen „Hinterhof“ betrachtet. Die staatlichen chinesischen Erdöl- und Erdgaskonzerne haben es mit Unterstützung der chinesischen Regierung geschafft, Zugriff auch auf kasachische, usbekische und turkmenische Erdöl- und Erdgasreserven zu bekommen. Dieser Erfolg setzte jedoch einen zähen Verhandlungsprozess voraus, der auch von Rückschlägen geprägt war, so dass einige Experten Zweifel an der Realisierung der ehrgeizigen Projekte hegten.112
111
Atal, Subodh (2005): The New Great Game; in: The National Interest; Fall 2005; S. 101-105; The Nixon Center; S. 102; Germanovich, Gene (2008): The Shanghai Cooperation Organization: A Threat to American Interests in Central Asia?; in: China and Eurasia Forum Quarterly; Vol. 6; Nr. 1; S. 3-10; Central Asia-Caucasus Institute & Silk Road Studies Program; S. 29. 112 Nabiyev, Rizvan (2003): Erdöl- und Erdgaspolitik in der kaspischen Region; Verlag Dr. Köster; Berlin; S. 285ff.
1.5 Theoretische Einbettung der Arbeit
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1.5.2.5 Die divergenten Interessen in der Kaspischen Region Die Situation in der Kaspischen Region ist also geprägt von den verschiedenen Interessen. Die „Neuen Unabhängigen Staaten“ versuchen sich seit Ende der Blockkonfrontation aus der einseitigen Abhängigkeit Russlands zu befreien. Dies geschieht durch die Vertiefung von politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu westlichen Staaten und zur VR China. Zudem wird die Integration in regionale und internationale Organisationen wie NATO, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), SCO und OVKS gesucht. Allerdings wird die Zusammenarbeit mit den Staaten der Region durch zahlreiche Konflikte um Territorien, Ressourcen und unterschiedliche außenpolitische Orientierung erschwert. Ein weiteres Hindernis für eine Integration der Staaten in das Weltwirtschaftssystem ist die innenpolitische Lage. Zum Teil ist diese geprägt durch die negativen Auswirkungen der Rentierstaatlichkeit in den energiereichen Staaten der Region oder die ideologische Ausrichtung an westliche Staaten. Beides hat in der Region zu autoritären Staatsmodellen geführt. Die Situation in der Region wird verschärft durch die Interessen der auswärtigen Akteure. Russland, China, die EU und die USA wollen ihr Gewicht in die Region verstärken bzw. wiederaufbauen. Dabei stehen zum einen der politische Einfluss und zum anderen das Interesse an den Energieressourcen und Transitrouten der Region im Fokus. Durch die unterschiedlichen außenpolitischen Prämissen der auswärtigen Akteure wird das Konfliktpotential in der Region verschärft. Während die EU und China eher an wirtschaftlicher Interdependenz im geoökonomischen Sinn interessiert sind, greifen die USA und Russland auf klassische geopolitische Instrumente zurück. Vor allem bei der EU und China steht jedoch auch der Diversifizierungsgedanke hinsichtlich der Produzentenstaaten von Erdöl und Erdgas im Zentrum des Interesses. Dabei zeichnet sich allerdings ab, dass das Kaspische Meer – zumindest solange der Rechtsstatus noch nicht geklärt ist – eine Grenzlinie des Engagements bildet.113 Trotzdem versuchen beide Akteure, ihr energiepolitisches Engagement auch über diese Grenze hinaus zu vertiefen, um ihre Energieversorgungssicherheit weiterhin zu garantieren. Im folgenden Kapitel wird deshalb am Beispiel des Energieträgers Erdöl analysiert, welche weltpolitischen Ereignisse in welcher Hinsicht für die Etablierung von Instrumenten in einer allgemeinen Energiesicherheitsstrategie Bedeutung hatten. Die Elemente der allgemeinen Energiestrategie werden dabei mit denen der Strategie der VR China verglichen.
113
Pawletta-Januz, Barbara (2007): Gegenwärtige Entwicklungen betreffend den völkerrechtlichen Status und das Regime des Kaspischen Meeres; Neisse Verlag; Dresden.
2 Die Geschichte der Energiesicherheit am Beispiel Erdöl
„Energy security is squarely on the agenda again. Once more, the impact of energy on both foreign policy and the global economy is starkly clear. The problem is not one of running out. Though some worry as to whether world oil production will soon peak, the real risk to supplies over the next decade or two is not geology but geopolitics.”114
Erdöl ist der Treibstoff der modernen industrialisierten Welt. Ohne Erdöl brechen der motorisierte Straßenverkehr und die petrochemische Industrie in sich zusammen. Daher ist die langfristige Sicherung der Erdölversorgung ein bedeutendes nationales Interesse eines jeden Staates. Allerdings war dies nicht immer der Fall. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde aus Erdöl Leuchtmittel hergestellt, es diente vorwiegend als Lichtquelle. Das stinkende und rußende Petroleum wurde peu à peu durch Elektrizität ersetzt. Erdöl verlor zunehmend an Bedeutung. Erst mit der Erfindung des Verbrennungsmotors wurde der Energieträger für die Weltwirtschaft unabkömmlich. Jedoch kam der Durchbruch nicht durch die zivile Nutzung, sondern durch die Umstellung der britischen Kriegsflotte von Kohle auf Erdöl.
2.1 Die Transformation von Kohle zu Erdöl Die Transformation der britischen Flotte von Kohle- auf Erdölantrieb im Zuge dreier Flottenausbauprogramme der Jahre 1912, 1913 und 1914 durch den damaligen Marineminister und späteren Premierminister Winston Churchill, hatte eine tiefgreifende Wirkung auf die britische Energiesicherheitsstrategie.115 Kohle war 114
Yergin, Daniel (2005): Energy Security and Markets; in: Kalicki, Jan H.; Goldwyn, David, L.: Energy and Security; S. 51-64; Woodrow Wilson Center Press; Washington; S. 51. 115 Nach dem „Panther-Sprung nach Agadir“ im Juli 1911, als das deutsche Kanonenboot Panther in den marokkanischen Hafen von Agadir einlief und dem deutschen Wunsch auf einen „Platz an der afrikanischen Sonne“ Gewicht geben sollte, revidierte Churchill seine Forderung nach einem englisch-deutschen Marineabkommen. Er betonte die Gefahr, dass der rasche Ausbau der deutschen Flotte eine Bedrohung Britanniens darstelle, der entgegengetreten werden müsse. Da das Gerücht umging, dass die neuen deutschen Schiffe mit Erdöl anstatt mit Kohle betrieben wurden, überdachte Churchill die Vorteile eines Ölantriebs: Ein Frachtdampfer konnte durch die Umstellung auf Öl 78 Prozent Treibstoff sparen und 30 Prozent Frachtraum gewinnen. Die Geschwindigkeit der Schiffe
M. Adolf, Energiesicherheitspolitik der VR China in der Kaspischen Region, DOI 10.1007/978-3-531-92738-1_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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2 Die Geschichte der Energiesicherheit am Beispiel Erdöl
in Großbritannien – ähnlich wie in der VR China – reichlich vorhanden. Diese wurde nun durch das weit entfernte US-amerikanische, russische und vor allem persische Erdöl ersetzt.116 Churchill äußerte sich dementsprechend vor dem House of Commons am 17. Juli 1913: „Eine große zusätzliche Zahl von ölgetriebenen Schiffen zu bauen bedeutete, unsere Vorherrschaft zur See auf Öl zu gründen. Doch Öl war auf unseren Inseln nicht in nennenswerten Mengen vorhanden. Bei Bedarf mussten wir es in Friedens- oder Kriegszeiten auf dem Seeweg aus fernen Ländern heranschaffen. Andererseits verfügten wir über erstklassige Vorräte der besten Heizkohle der Welt, sicher in unseren Bergwerken im eigenen Land. Die Navy unwiderruflich auf Öl festzulegen, hieß tatsächlich »sich rüsten gegen ein Meer von Mühen«. Aber es bedeutete auch bessere Schiffe, bessere Mannschaften, mehr Wirtschaftlichkeit, intensivere Formen der Kampfkraft, […] der Preis des Wagnisses war die Überlegenheit schlechthin.“117
Aber es ging nicht nur um Erdöl zur Steigerung der Mobilität und der Schlagkraft der Flotte. Es ging auch um den technologischen Vorsprung gegenüber anderen Staaten, die an der Transformation des Schiffsantriebs von Kohle auf Erdöl forschten.118 Zudem begründete Churchill die Umgestaltung mit der Chankonnte von 21 auf 25 Knoten erhöht werden, der Aktionsradius vergrößerte sich. Zudem bot sich die Möglichkeit auf See aufzutanken, ohne dafür ein Viertel der Mannschaft abzuziehen, wie dies bei Kohle der Fall war und es halbierte sich die Zahl der Heizer. Auch in der Schlacht bot sich ein immenser Vorteil: „Wenn ein Kohleschiff seine Kohle aufbrauchte, […] mussten immer mehr Männer von den Geschützen abgezogen werden, um die Kohle von weit entfernten und schwer zugänglichen Bunkern in andere, näher an den Kesseln gelegene oder in die Kessel selber umzuschaufeln, wodurch die Kampfkraft des Schiffes im kritischsten Moment der Schlacht geschwächt wurde. Die Verwendung von Öl ermöglichte bei jedem Schiffstyp größere Feuerkraft und höhere Geschwindigkeit bei geringerer Größe oder geringeren Kosten.“ Yergin, Daniel (1991): Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht; Fischer Verlag, Frankfurt am Main; S. 198ff. 116 Seit 1859 waren die USA Hauptförderland für Petroleum. In der zweiten Hälfte der 1880er Jahre kamen Russland, Galizien, Rumänien und asiatische Staaten als Produzenten hinzu. Anfangs benötigte Großbritannien Petroleum zum Zwecke der Beleuchtung. Später kam Heiz- und Schmieröl dazu, bis sich ab der Jahrhundertwende Otto- und Dieselmotoren durchzusetzen begannen. Hagen, Antje (1997): Deutsche Direktinvestitionen in Großbritannien, 1871-1918; Dissertation an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena; S. 295/305. 117 Yergin, Daniel (1991): Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht; Fischer Verlag, Frankfurt am Main; S. 202f. 118 Auch Staaten, wie Deutschland, Japan und die USA erachteten Erdöl als Treibstoff für ihre Flotte als zukunftsträchtig. Bspw. fuhren 1910 zwei Schlachtschiffe, vier Zerstörer und vier U-Boote der US-Marine mit dem neuen Kraftstoff. Die beiden Schlachtschiffe waren Hybridfahrzeuge, d.h. das Öl wurde zusätzlich zur Kohle verwandt. Absoluter Vorreiter bei der Entwicklung der neuen Technologie war aber Großbritannien unter Admiral John A. Fisher und Winston Churchill. Dort waren oder wurden 1911 56 Zerstörer und 74 U-Boote gebaut, die nur mit Diesel betrieben wurden. Andere Schiffe wurden mit einer Öleinspritzung für Kohleöfen ausgestattet. Erst nachdem absehbar war, dass die britische Strategie erfolgreich war, sahen sich die USA genötigt denselben Weg einzuschlagen, um nicht ins Hintertreffen zu gelangen. Ende 1913 waren oder wurden vier Schlachtschiffe, 41
2.1 Die Transformation von Kohle zu Erdöl
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ce, andere Zweige der Wirtschaft abzusichern: „Wenn wir kein Öl bekommen können, können wir kein Getreide bekommen, keine Baumwolle und nicht tausendundein Güter, die für die Erhaltung der wirtschaftlichen Energien Großbritanniens notwendig sind.“ Ferner erklärte Churchill, dass die Admiralität imstande sein müsse, Rohöl zu verarbeiten und Erdölfolgeprodukte herzustellen. „Wir dürfen von keiner einzelnen Sorte, keinem einzelnen Verfahren, keinem einzelnen Land, keiner einzelnen Route und keinem einzelnen Feld abhängig sein. Sicherheit und Verlässlichkeit beim Öl liegen in der Vielfalt, und nur in der Vielfalt.“119 Mit dieser Feststellung erklärte Churchill einen der nach wie vor relevantesten Punkte der Energiesicherheit: der Diversifizierung der Produzentenstaaten und der Quellen zur Sicherung der Erdölversorgung. Wenn die britische Regierung dieser Strategie folgen wolle, so Churchill weiter, sei es in jedem Falle folgerichtig, „Eigentümer oder jedenfalls Kontrolleur an der Quelle“ zu sein. Damit wurde der Grundstein für eine nationale Erdölversorgungsstrategie gelegt.120 Die Strategie der Diversifizierung ist in allen Energiesicherheitsstrategien der Konsumentenstaaten zu finden. Bei den Mitgliedsstaaten der International Energy Agency (IEA) wurde sie bei der Gründung der Organisation festgeschrieben. In der VR China ist dieser Punkt spätestens seit der Transformation vom Nettoexporteur zum Nettoimporteur ein energiepolitisches Instrument und wird durch die Zou chu qu-Politik unterstützt. Durchgesetzt wurde die von Winston Churchill vorgeschlagene Strategie der Kontrolle der Ölquellen durch einen Antrag, der vom britischen Parlament am 17. Juni 1914 angenommenen wurde. In der Folge investierte die britische Regierung 2,2 Millionen Pfund in die Anglo-Persian Oil Company (APOC)121 und sicherte sich damit 51 Prozent der Anteile. Zudem wurden zwei Direktoren in den Vorstand der APOC entsandt, die mit Vetorechten hinsichtlich Fragen zu Lieferverträgen für die Admiralität und in wichtigen politischen Angelegenheiten ausgestattet waren. In einem zweiten geheimen Vertrag schloss die Admiralität
Zerstörer, 30 U-Boote gebaut, die ausschließlich auf Erdölprodukte als Treibstoff ausgelegt waren. DeNovo, John A. (1955): Petroleum and the United States Navy before World War I; in: The Mississippi Valley Historical Review; Vol. 41; Nr. 4; S. 641-656; Organization of American Historians; 644f, 656. 119 Yergin, Daniel (1991): Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht; Fischer Verlag, Frankfurt am Main; S. 208. 120 Yergin, Daniel (1991): Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht; Fischer Verlag, Frankfurt am Main; S. 208. 121 1935 wurde die APOC in Anglo-Iranian Oil Company (AIOC) umbenannt, ab 1954 ist sie Teil der British Petroleum Company (BP). BP: Geschichte der internationalen BP; in: BP Online; http://www.deutschebp.de/genericsection.do?categoryId=9028901&contentId=7052988; Zugriff: 01.07.2009.
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2 Die Geschichte der Energiesicherheit am Beispiel Erdöl
ein langfristiges Abkommen über 20 Jahre mit dem Unternehmen, das die Lieferung von Treibstoffen aus Erdöl garantierte.122 Der Vertrag stellte eine Win-Win-Situation sowohl für die Regierung, als auch für die APOC dar. Die britische Regierung sicherte sich den Zugriff auf Erdölquellen und die Transportinfrastruktur. Die APOC sicherte sich dauerhaft einen Großkonsumenten – direkt durch die Umstellung der Flotte auf Erdöl und indirekt durch das in britischem Staatseigentum befindliche indische Eisenbahnnetz. Außerdem konnte die Regierung über ihren diplomatischen und militärischen Einfluss im Nahen Osten bei der Aushandlung und Aufrechterhaltung von Erdölkonzessionen behilflich sein. So etwa als in Persien Differenzen zwischen der APOC und der persischen Regierung über einen 60-Jahresvertrag aufkamen.123 Der Zuspruch der britischen Regierung war deshalb ein kommerzieller Gewinn von höchster Priorität: Das Unternehmen profitierte in hohem Maße davon, auch wenn dafür ein Regierungsangestellter im Aufsichtsrat saß.124 Das Zusammenspiel bei der Anbahnung und Durchführung von Auslandsinvestitionen zwischen Regierung auf der diplomatischen und der Konzerne auf der wirtschaftlichen Ebene ist nach wie vor üblich. Dies betrifft sowohl westlichdemokratische Staaten als auch Russland oder die VR China. Durch die Struktur der staatlichen Erdölkonzerne in China wird dieses Zusammenspiel noch begünstigt, so dass direktes Einwirken der beiden Akteursseiten etwa beim Austarieren von Interessen oder direkten bzw. indirekten Subventionen, im Gegensatz zur getrennten Akteurskonstellation in marktwirtschaftlich orientierten Staaten, vereinfacht wird (Kap. 4.7.1). Kurz nach Churchills Vorstoß vom 17. Juni 1914 kaufte die APOC am 28. Juni desselben Jahres alle Anteile der Türkischen Nationalbank an der Türkischen Petroleumgesellschaft auf.125 Die Gesellschaft war zur Ausbeutung der 122
Yergin, Daniel (1991): Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht; Fischer Verlag, Frankfurt am Main; S. 209. 123 Zahrani, Mostafa T. (2002): The coup that changed the Middle East: Mossadeq v. the CIA in retrospect; in: World Policy Journal; Vol. 19; Nr. 2; S. 93-99; Alt-Watch; S. 93. 124 Es war davon auszugehen, dass die APOC nichts gegen diesen Schritt einzuwenden hätte, da Markus Samuel, Eigner der Shell Transport and Trading Company, der Regierung eine Kontrollstimme und einen Sitz im Aufsichtsrat angeboten hatte. Das Angebot eines Platzes im Aufsichtsrat wiederholte er 1911. Zu diesem Zeitpunkt gehörten 60 Prozent des Unternehmens der niederländischen Royal Dutch. Seit 1907 hieß das Unternehmen Royal Dutch Shell Group. Als Präferenz wollte Samuel Admiral Fisher mit in den Aufsichtsrat holen. Solche Anfragen waren gang und gäbe, da sich die Unternehmen bei ihren internationalen Vorhaben politische Unterstützung ihrer Regierung erhofften. Jones, G. Gareth (1977): The British Government and the Oil Companies 1912-1924: The Search for an Oil Policy; in: The Historical Journal; Vol. 20; No. 3; S. 647-672; Cambridge University Press; 647f. 125 Am selben Tag wurde ein Anschlag auf den österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand ausgeführt. Dieses Attentat gilt als Auslöser für den 1. Weltkrieg.
2.1 Die Transformation von Kohle zu Erdöl
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Erdölvorkommen in den Vilayets Mosul und Bagdad als Joint Venture der Deutschen Bank (25 Prozent), Royal Dutch-Shell (25 Prozent) und Türkischer Nationalbank (50 Prozent) gegründet worden. Dieser Schritt verhalf der britischen Regierung über ihre Vernetzung mit der APOC, die Strategie der Kontrolle der Reserven rund um den Persischen Golf voranzutreiben. Die Sicherung der Transportwege sollte über das britische Militär garantiert werden.126 Doch Churchill wollte sich nicht allein auf die Ölversorgung durch die APOC verlassen und setzte sich im Frühjahr 1914 mit einem der schärfsten Konkurrenten, der damals niederländischen Royal-Dutch Shell, in Verbindung. Auch diese Verhandlungen führte er erfolgreich zu Ende und verschaffte somit der Admiralität einen zweiten Lieferanten.127 Persien blieb jedoch das Hauptlieferland. Das lag daran, dass der Begründer der dortigen Erdölindustrie William Knox D‘Arcy mit Schah Musaffar al-Din sehr günstige Konzessionen ausgehandelt hatte. Mit der Konzession von 1901 hatte er das Recht erhalten in Persien Erdöl zu explorieren, zu fördern und über Pipelines zu transportieren. Ausgenommen waren davon fünf Nordprovinzen, die von Russland als Sicherheitszone gegenüber den Briten betrachtet wurden. Die Konzession war auf 60 Jahre bis zum 28. Mai 1961 angelegt. Als Gegenleistung sollte D‘Arcy innerhalb von zwei Jahren eine britisch-persische Gesellschaft einrichten. Das gelang ihm mit der Gründung der APOC allerdings erst nach acht Jahren im April 1909. Die Regierung in Teheran bekam Anteile dieser Gesellschaft im Wert von 20.000 Pfund und die gleiche Summe in bar. Ferner sah der Vertrag vor, dass Persien pro Jahr 1.800 Pfund und 16 Prozent des jährlichen Nettogewinns erhalten sollte.128 Dennoch blieben die Einnahmen Teherans aus 126
„Zusammen mit den Konzessionen zum Bau der Bagdadbahn hatte die Deutsche Bank im Jahr 1903 das Recht erlangt, entlang der auch durch das Vilayet Mosul führenden Bahntrasse nach Bodenschätzen zu schürfen. […] Die Deutsche Bank, die ihr Engagement in der Ölförderung der Realisierung der Bagdadbahnpläne unterordnete, hatte ihre Ölkonzessionen an diese neue Gesellschaft übertragen, um durch Zugeständnisse an England in der Ölfrage den Weg für den Bahnbau bis nach Basra freizumachen. Zudem verfügte das deutsche Kapital nicht über ausreichende Finanzmittel, um die Ölquellen alleine auszubeuten. Der Ausbruch des Krieges verhinderte den Abschluß des Konzessionsvertrages für die Vilayets Mosul und Bagdad zwischen dem osmanischen Finanzministerium und der Turkish-Petroleum Co. Schon bei Kriegsbeginn hatten die britischen Mehrheitseigentümer der Deutschen Bank die Verfügungsgewalt über ihren Anteil an der Ölgesellschaft entzogen und später im Abkommen von San Remo im Jahr 1920 der alliierten Siegermacht Frankreich diesen Anteil übertragen.“ Brauns, Nick (2003): Nordirak: Kirkuk im Kampf ums mesopotamische Öl; in: AG Friedensforschung an der Uni Kassel Online; http://www.uni-kassel.de/fb5/ frieden/regionen/Irak/kurden3.html; Zugriff: 06.02.2008. 127 Yergin, Daniel (1991): Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht; Fischer Verlag, Frankfurt am Main; S. 211f. 128 Yergin, Daniel (1991): Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht; Fischer Verlag, Frankfurt am Main; S. 177f; Blank, Jürgen E. (2000): Marktstrukturen und Strategien auf dem Weltölmarkt im Wandel der Zeit; in: Technische Universität Kaiserslautern Online; http://www.wiwi.uni-kl.de/
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2 Die Geschichte der Energiesicherheit am Beispiel Erdöl
dem Erdöl gering, was zu einer zunehmenden Feindseligkeit der iranischen Bevölkerung gegenüber der APOC führte.129 Solange die Feindseligkeiten allerdings nicht zu einer Einstellung der Erdölexporte in Richtung des Inselstaates führten, konnte dieses Problem vorerst vernachlässigt werden. Dennoch war Großbritannien im Sinne der von Churchill aufgestellten Strategie der Vielfalt bemüht, seine Importstrukturen zu diversifizieren. Der Inselstaat importierte sein Erdöl aus den USA, Russland, Persien und dem Irak. Weniger Erfolgreich im Vergleich dazu war Japan, das 80 Prozent der Erdölimporte aus den USA bezog. Im Jahre 1940 versuchte Japan, seine Erdölimporte über eine Invasion in Französisch-Indochina zu diversifizieren. Die USA reagierten darauf mit der Einschränkung der US-amerikanischen Erdölexporte nach Japan. Tokio weitete daraufhin das militärische Engagement, um Zugriff auf Erdölreserven in Südostasien zu bekommen. Am 25. Juli 1941 verhängte Washington schließlich einen vollständigen Erdölboykott gegenüber Japan. Dem schlossen sich Großbritannien und Niederländisch-Ostasien an. Die drei Staaten froren zudem alle japanischen Guthaben ein. Damit fehlte Japan zu einem großen Teil die Versorgung mit Erdöl, die nicht nur für die Versorgung der Truppen mit Treibstoff, sondern auch zur Aufrechterhaltung der Wirtschaft des Landes notwendig gewesen wäre.130 Seit die VR China 1993 vom Nettoexporteur zum Nettoimporteur von Erdöl transferierte ist sie, hinsichtlich der Importstruktur, in einer ähnlichen Lage, wie Japan in den 1940er Jahren. Der Unterschied ist, dass China die Einfuhr von Erdöl auf verschiedene Staaten verteilt hat. Allerdings werden bis zu 80 Prozent der Importe durch die Straße von Malakka transportiert, die von der US-Marine kontrolliert wird. So erklärte Präsident Hu Jintao im Oktober 2006, dass die chinesische Erdölimportstrategie überdacht werden müsse, da „some big countries attempted to control the transportation channel at Malacca.“131 Dennoch hat China andere Voraussetzungen als Japan. Japan ist seit jeher auf den Import
dekanat/blank/Energieoekonomik/minraloelwirtschaft.pdf; Zugriff: 18.02.2008; S. 9. 129 Zwischen 1914 und 1932 war die Erdölproduktion in Persien von rund 170.000 Barrel am Tag auf knapp drei Millionen Barrel am Tag gestiegen, was einem Wachstum von rund 1.700 Prozent entspricht. Die Produktion von Kerosin, Benzin und Gasöl war von 1920 bis 1930 von rund 63.000 Barrel am Tag auf knapp zwei Millionen Barrel am Tag angestiegen. Asadpour, Ahmad Ali (2002): Der Iran in der internationalen Politik 1939-1948; in: Deutsche Nationalbibliothek Online; http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=968790879&dok_var=d1&dok_ext=pdf&filename= 968790879.pdf; S. 214; Zugriff: 18.02.2008. 130 Yergin, Daniel (1991): Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht; Fischer Verlag, Frankfurt am Main; S. 353f. 131 Collins, Gabe: China seeks oil security with new tanker fleet; in: Oil & Gas Journal; October 2006; S. 20.
2.2 Die Verstaatlichung des iranischen Erdölsektors
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seines gesamten Erdölbedarfs angewiesen, während China in der weltweiten Rangliste der Erdölproduzenten auf Platz acht steht.132 Doch zurück zur Lage im Nahen Osten und den Streitigkeiten Großbritanniens mit Persien zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre.
2.2 Die Verstaatlichung des iranischen Erdölsektors Die Tantiemen für Teheran ergaben sich aus dem Nettogewinn der APOC, der durch überzogene Abschreibungen, immense Investitionen und buchhalterische Kniffe künstlich niedrig gehalten wurde. Des Weiteren drückte die sowjetische Konkurrenz auf den Erdölpreis. Als sich dann der Zusammenbruch der Börse in New York im Oktober 1929 Anfang der 1930er Jahre zu einer Weltwirtschaftskrise entwickelte, fielen die Revenuen Teherans immens. Allein zwischen den Jahren 1931 und 1932 reduzierten sie sich um 76 Prozent von 1,3 Millionen Pfund auf etwa 300.000 Pfund. Währenddessen erhielt die APOC im Jahre 1932 einen Gewinnanteil von 3,5 Millionen Pfund, die britische Regierung partizipierte am iranischen Ölgeschäft über Steuern mit rund einer Million Pfund.133 Im Jahre 1932 wurde schließlich der Konzessionsvertrag mit der APOC von Seiten des Iran aufgekündigt und unter Einwirkung des Internationalen Gerichtshofs neu ausgehandelt. Die Änderungen im neuen Vertrag sahen vor, das Konzessionsgebiet um drei Viertel zu verkleinern und feste Förderzinsen für Teheran in Höhe von vier Schilling pro Tonne einzurichten, was die Regierung gegen Schwankungen beim Ölpreis absichern sollte. Zudem erhielt Teheran 20 Prozent der Gewinne der Gesellschaft; zumindest aber eine jährliche Zahlung von 750.000 Pfund. Die Konzession sollte bis zum Jahre 1993 Gültigkeit haben, also 32 Jahre länger als die Vorherige. Das neue Abkommen vom 29. April 1933 verhalf Teheran zwar zu mehr Prestige und Selbstbewusstsein, doch trotz günstigerer Konditionen änderte sich am Gesamtbild nicht viel. Zwischen 1945 und 1950 verbuchte die von APOC in Anglo-Iranian Oil Company (AIOC) umbenannte britisch-persische Firma einen Gewinn von 250 Millionen Pfund. Über diesen Zeitraum betrug der iranische Gewinnanteil allerdings nur 90 Millionen
132 Dannreuther, Roland (2003): Asian Security and China’s Energy Needs; in: International Relations of the Asia-Pacific Volume 3 (2003) 197–219; Oxford; S. 205. 133 Asadpour, Ahmad Ali (2002): Der Iran in der internationalen Politik 1939-1948; in: Deutsche Nationalbibliothek Online; http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=968790879&dok_var=d1& dok_ext=pdf&filename=968790879.pdf; Zugriff: 18.02.2008.
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2 Die Geschichte der Energiesicherheit am Beispiel Erdöl
Pfund. Die Steuereinnahmen der britischen Regierung aus dem Ölgeschäft waren nach wie vor höher als der Gewinnanteil Teherans.134 Aber nicht nur die Regierung von Persien kämpfte um bessere Konditionen in den Verträgen mit den internationalen Erdölkonzernen. Nach harten Verhandlungen in den Jahren 1949 und 1950 gelang es der saudischen Regierung mit der Arabian-American Oil Company (ARAMCO) ein neues Abkommen auszuhandeln, demzufolge die Revenuen zu gleichen Teilen zwischen Königshaus und Konzern aufgeteilt werden sollten. Schon während der Verhandlungen drangen Details nach außen. Daraufhin wurde nun auch vom iranischen Parlament, dem Majlis, eine gerechtere Aufteilung der Gewinne eingefordert. Die AIOC dagegen, die über das Abkommen der ARAMCO mit der saudischen Regierung verärgert war, versuchte Neuverhandlungen in Persien zu vermeiden. Der Wendepunkt war der 19. Juli 1949. An diesem Tag lehnte es der Majlis ab den neuen Konzessionsvertrag, der zwischen dem regierenden Monarchen Mohammad Reza Schah Pahlavi und der AIOC ausgehandelt worden war, zu ratifizieren. Nach längerem Zögern entschied sich die AIOC schließlich einem neuen Vertrag zuzustimmen, der die Verteilung des Gewinns zu gleichen Teilen zwischen Konzern und persischer Regierung vorsah. Die iranische Opposition forderte hingegen die Nationalisierung der im Land tätigen Erdölkonzerne durch die persische Regierung. Am 15. März 1951 verabschiedete der Majlis, dass die Regierung alle notwendigen Schritte einleiten soll, um die Rechte an den natürlichen Ressourcen wieder zu erlangen. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen wurde Mohammad Mossadeq – Vorsitzender der Jebhe Melli (der Nationalen Front des Iran) und des Ölausschusses im Parlament – zum Premierminister gewählt und nach Zustimmung des Schahs am 28. April 1951 in diesem Amt vereidigt. Am 1. Mai 1951 trat das Gesetz zur Verstaatlichung der Erdölindustrie in Kraft.135 Dieser Schritt war für die britische Erdölindustrie und die britische Regierung ein schwerer Schlag und widersprach in vollem Umfang ihrer eigentlichen Haltung: 134
Yergin, Daniel (1991): Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht; Fischer Verlag, Frankfurt am Main; S. 353f.; 560; Zahrani, Mostafa T. (2002): The coup that changed the Middle East: Mossadeq v. the CIA in retrospect; in: World Policy Journal; Vol. 19; Nr. 2; S. 93-99; Alt-Press Watch; S. 94. 135 „Mossadeq schickte den Gouverneur der Provinz Chusistan zum Sitz des Unternehmens [AIOC] nach Chorramschahr. Dort angekommen, opferte der Gouverneur vor dem Verwaltungsgebäude ein Schaf und verkündete anschließend der vor Begeisterung rasenden Menge, daß der Staat der Ölgesellschaft die Konzession entzogen habe. Ihre Anlagen im Iran sowie das dort geförderte Öl gehörten jetzt der iranischen Nation.“ Yergin, Daniel (1991): Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht; Fischer Verlag, Frankfurt am Main; S. 566; Zahrani, Mostafa T. (2002): The coup that changed the Middle East: Mossadeq v. the CIA in retrospect; in: World Policy Journal; Vol. 19; Nr. 2; S. 93-99; Alt-Press Watch; S. 94.
2.2 Die Verstaatlichung des iranischen Erdölsektors
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„The strength of British oil lies in the fact that we hold concessions all over the world, in which we are ourselves developing the oil and controlling its distribution and disposal. It would weaken our position if countries began to develop their own oil. If Persia began to develop her own oil in the north, it might not be very long before she would want to do this in the south also. We should not encourage them to develop their own oil. (FO 371/Persia 1945/45443.)“136
Die Strategie der britischen Regierung, die Kontrolle über die Erdölquellen und die Transportwege aufrecht zu erhalten, schien mit dem Vorstoß der persischen Regierung gescheitert zu sein. 40 Prozent des im Nahen Osten produzierten Erdöls war der Kontrolle vor allem durch britische aber auch US-amerikanische Konzerne entzogen worden. Die Konzerne versuchten daraufhin das iranische Erdöl zu boykottieren und durch andere Quellen zu substituieren137: „The United Kingdom can do without this oil, although it would be an advantage to have it flowing into its traditional markets once more.”138 Zudem brach London im November 1951 alle diplomatischen Beziehungen mit dem Iran ab,139 Vermittlungsbemühungen durch die US-Regierung scheiterten.140 136
Abrahamian, Ervand (2001): The 1953 Coup in Iran; Science and Society; Vol. 65; Nr. 2; S. 182215; New York; S. 185. 137 Ein Boykott hatte schon bei der Verstaatlichung des Erdölsektors in Mexiko geholfen. Im Jahre 1936 kam es dort zu vermehrten Streiks gegen die menschenunwürdigen Bedingungen auf den Ölfeldern. Die neue Regierung unter Lázaro Cárdenas geriet zunehmend unter Druck und versuchte sich mit den ausländischen Erdölkonzernen zu einigen. Nachdem alle Versuche gescheitert waren, kam es am 18. März 1938 zur Verstaatlichung von 17 ausländischen Erdölkonzernen. Obschon die Konzerne massiven Protest einlegten verfolgte US-Präsident Franklin D. Roosevelt seine Politik der „Guten Nachbarschaft“ weiter und erklärte: „Die Vereinigten Staaten werden nichts für Personen tun, die in Mexiko für einen Pappenstiel riesige Ländereien aufgekauft haben.“ Daraufhin boykottierten US-amerikanische, britische und niederländische Konzerne mexikanisches Erdöl, was dazu führte, dass Mexiko schließlich 130 Millionen US-Dollar Entschädigung an die ehemaligen Besitzer bezahlte. Erst im 2. Weltkrieg wurde der Boykott aufgehoben. Bis dahin war jedoch Venezuela zum größten Erdölproduzenten der Welt und maßgeblichen Versorger für die USA aufgestiegen. Sampson, Anthony (1976): Die Sieben Schwestern. Die Ölkonzerne und die Verwandlung der Welt; Rowohlt; Hamburg; S. 94. 138 Central Intelligence Agency (1954): Overthrow of Premier Mossadeq of Iran; CS Historical Paper No. 208; in: http://cryptome.org/cia-iran-all.htm; Appendix C; S. 1; Zugriff: 10.02.2008. 139 Die britische Regierung erklärte, dass der Kauf von iranischem Erdöl von nun an illegal sei und dass gegen Verstöße des Boykotts rechtlich vorgegangen werde. Mossadeq reagierte darauf mit der Ankündigung, dass er alle britischen Arbeiter der AIOC am 4. Oktober 1951 entlassen werde. Um ihre Interessen in Persien zu schützen, erwog die britische Regierung Mossadeq mit Hilfe eines iranischen pro-britischen Netzwerks aus Politikern, Unternehmern, Militärs und einflussreichen Mitgliedern der Elite seines Amtes zu entheben. Als dieser Plan fehlschlug, brach Großbritannien im November 1951 die diplomatischen Beziehungen mit dem Iran ab, schloss die Botschaft in Teheran und berief alle Mitarbeiter zurück. Damit endete die lange Ära britischer Dominanz über den Iran. Zahrani, Mostafa T. (2002): The coup that changed the Middle East: Mossadeq v. the CIA in retrospect; in: World Policy Journal; Vol. 19; Nr. 2; S. 93-99; Alt-Press Watch; S. 94f. 140 Um den Konflikt um das Erdöl beizulegen traf sich Mossadeq mit der US-amerikanischen Regie-
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Zu dieser Zeit war China noch mit den Wirren der kommunistischen Revolution von 1949 beschäftigt. Im Bereich des Erdöls wurde eng mit Russland zusammengearbeitet. Auch wenn viele russische Ingenieure in China tätig waren, so blieben die Eigentums- und Besitzrechte an den Erdölquellen in der Hand der chinesischen Regierung. Nach der Öffnung Chinas in den späten 1970er Jahren wurde verstärkt darauf geachtet, ausländische Erdölkonzerne zu Investitionen in den Erdölsektor anzuregen. Dabei ging es allerdings vorwiegend um eine Aufteilung des Risikos bei Exploration und Produktion auf mehrere Akteure und die Aneignung von Technologie und Know-how durch die international tätigen Konzerne. Die staatlich dominierte Struktur innerhalb des Erdölsektors konnte auch mit ausländischen Direktinvestitionen nicht aufgeweicht werden. Insofern stellte sich die Frage der Enteignung im Erdölsektor im Produzentenland China im Gegensatz zur Persischen Golf Region nicht.141 Allerdings hatte Beijing mit der aggressiven Politik Großbritanniens zuvor schon Erfahrungen gemacht. So setzte die britische Armee in den Opiumkriegen 1839-1842 sowie 1856-1860 für die East India Company einen Absatzmarkt für Opium in China durch, obwohl die chinesische Gesetzeslage den Verkauf der Droge in China unterband.142 Es ging hier zwar um einen anderen Rohstoff und um die Etablierung eines Absatzmarktes, im Gegensatz zur Persischen Golfregion, wo es um die Kontrolle der Produktion ging. Allerdings waren die Mittel zur Durchsetzung der britischen Interessen sehr ähnlich. Nachdem klar wurde, dass eine Diversifizierungsstrategie den Verlust der Erdöllieferungen aus Persien nicht auf Dauer ausgleichen konnte, verschärften die britische und die US-amerikanische Regierung den Ton gegenüber Teheran. In CIA-Dokumenten über den Sturz Mossadeqs wird der Regierung im Iran unterstellt, dass sie Ende des Jahres 1952 nicht in der Lage gewesen sei, eine Vereinbarung mit westlichen Staaten hinsichtlich des Erdöls zu verabschieden. Ferner hätte sie eine gefährliche und weit fortgeschrittene Stufe der illegalen sowie defizitären Finanzierung erreicht und die Verfassung des Irans missachtet, indem Mossadeqs Amtszeit verlängert wurde. Die Politik der Regierung sei rung, inklusive des Präsidenten Harry S. Truman, dem Außenminister Dean Acheson und dem stellvertretenden Außenminister George McGhee. Zu diesem Zeitpunkt betrachtete die USAdministration Mossadeq und seine Partei als potentielle Barriere gegen den wachsenden Einfluss der Sowjetunion im Iran. Die Regierung versuchte im Konflikt zu vermitteln. Doch das USamerikanische Engagement hatte Grenzen. Als Mossadeq um finanzielle und technische Hilfe hinsichtlich der Erdölindustrie bat, verweigerte die US-Regierung ihre Unterstützung. Zahrani, Mostafa T. (2002): The coup that changed the Middle East: Mossadeq v. the CIA in retrospect; in: World Policy Journal; Vol. 19; Nr. 2; S. 93-99; Alt-Press Watch; S. 95. 141 Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy Crisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton. 142 Seefelder, Matthias (1996): Opium. Eine Kulturgeschichte; Nikol Verlag; Hamburg; 74.
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hauptsächlich bestimmt von Mossadeqs Bestrebungen, seine Macht auszubauen. Sie sei bestimmt von unverantwortlicher Politik, basierend auf Emotionen und hätte den Schah sowie die iranische Armee gefährlich geschwächt. Zudem habe die Regierung eng mit der Tudeh Partei (Kommunistische Partei Irans) kooperiert.143 Im März 1953 wurde die CIA durch das US-Außenministerium informiert, es sei festgestellt worden, dass es nicht im US-amerikanischen Interesse sei, die Regierung unter Mossadeq weiter im Amt zu lassen. Daraufhin wurde im April desselben Jahres der britische Secret Intelligence Service (SIS) für eine gemeinsame Operation unter dem Namen TPAJAX gewonnen.144 Für das US-Außenministerium waren vor Beginn der Operation zum Sturz Mossadeqs zwei Punkte von äußerster Relevanz:
Eine Nachfolgeregierung im Iran wird erst dann eingesetzt, wenn ein Erdölabkommen mit den USA vereinbart wurde. Die britische Regierung wird ankündigen, dass sie mit einer Nachfolgeregierung schnell zu einer Vereinbarung über die Erdölressourcen kommen wird, bei der die Interessen aller Seiten berücksichtigt werden.145
Der Plan der US-Regierung sah also vor, die Kontrolle über die Erdölquellen im Iran wieder zu erlangen. Diesmal sollte sie allerdings nicht allein Großbritannien vorbehalten sein. Vielmehr sollten US-Konzerne stärker am Geschäft mit dem iranischen Erdöl partizipieren können. Als Nachfolger für Mossadeq wurde General Fazlollah Zahedi ausgewählt, da er sich als einzige Person von Rang offen gegen den Premierminister gestellt hatte.146 Nach anfänglichen Schwierigkeiten147 kam der Staatsstreich am 19. 143
Central Intelligence Agency (1954): Overthrow of Premier Mossadeq of Iran; CS Historical Paper No. 208; in: http://cryptome.org/cia-iran-all.htm; Summary; S. iii; Zugriff: 10.02.2008. 144 Central Intelligence Agency (1954): Overthrow of Premier Mossadeq of Iran; CS Historical Paper No. 208; in: http://cryptome.org/cia-iran-all.htm; Summary; S. iv; Zugriff: 10.02.2008. 145 Central Intelligence Agency (1954): Overthrow of Premier Mossadeq of Iran; CS Historical Paper No. 208; in: http://cryptome.org/cia-iran-all.htm; Summary; S. vf; Zugriff: 10.02.2008. 146 Central Intelligence Agency (1954): Overthrow of Premier Mossadeq of Iran; CS Historical Paper No. 208; in: http://cryptome.org/cia-iran-all.htm; Summary; S. vii; Zugriff: 10.02.2008. 147 „Action was set for 16 August [1953]. However, owing to a security leak in the Iranian military, the chief of the Shah’s bodyguard, assigned to seize Mossadeq with the help of two truckloads of pro-Shah soldiers, was overwhelmed by superior armed forces still loyal to Mossadeq. […] Upon hearing that the plan had misfired, the Shah flew to Baghdad.” „When the Shah dismissed Mossadeq as prime minister, and then fled the country after National Front demonstrators took to the streets. This was followed by counterdemonstrations promoted by the Central Intelligence Agency (CIA) and Britain’s Secret Intelligence Service, and when it appeared that Operation Ajax was succeeding, the Shah returned to reclaim the Peacock Throne. Once back in his palace, the Shah thus thanked Kermit Roosevelt, grandson of Theodore and head of the CIA’s Middle East Department: »I owe my throne
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August 1953 zu Stande. Zahedi wurde als Premier eingesetzt, der Schah kehrte aus seinem kurzzeitigen Exil in Bagdad zurück, Mossadeq und seine Anhänger waren auf der Flucht oder verhaftet.148 Mit diesem von CIA und SIS unterstützten Putsch war der Vorstoß iranischer Kräfte gescheitert, dem Einfluss westlicher Regierungen und Erdölkonzerne entgegenzutreten und den iranischen Erdölsektor zu verstaatlichen. Die Verstaatlichung des Erdölsektors war für Mossadeq eng an die Souveränität des Irans und die Befreiung aus dem britischen Imperialismus geknüpft gewesen: „Did the Shah desire to carry on the battle to victory […] or to compromise, and again fall under British rule?”149 Im Gegensatz dazu wollte der Schah seine Macht erhalten und bei geringem Risiko auch erweitern. Die Anstrengungen seines Premierministers sah er als gefährlich für seine Legitimität, Macht, Prestige und persönliche Sicherheit sowie für die territoriale Integrität des Iran an. Später schrieb er: „The worst years of my reign, indeed of my entire life, came when Mossadeq was Prime Minister. [...] Every morning I awoke with the sensation that today might be my last one on the throne.”150 Ein Alleingang bei der Verstaatlichung der Erdölreserven und -industrie war in den Staaten der Region des Persischen Golfes vorerst gescheitert; jedenfalls bis zum Zusammenschluss der Organisation der erdölexportierenden Staaten (OPEC) vom 10. bis 14. September 1960 in Bagdad. Für Großbritannien hingegen war die Operation TPAJAX ein Erfolg. Ein großer Teil der Erdölquellen im Nahen Osten stand wieder unter der Ägide der inländischen Erdölkonzerne. Eine (Eigen-) Versorgung mit dem für Transport, Industrie, Haushalt und vor allem für die Verteidigung wichtigen Energieträger für den Inselstaat schien gesichert. Zwar konnte auch der dreijährige Boykott von iranischem Erdöl und Erdölprodukten der Abnehmerstaaten durch Produktionserhöhungen im Irak, Saudi Arabien und anderen substituiert werden. Je wichtiger Erdöl zum Erhalt des weltweiten Machtstatus und des inländischen Lebens-
to God, my people, my army—and to you!«” Central Intelligence Agency (1954): Overthrow of Premier Mossadeq of Iran; CS Historical Paper No. 208; in: http://cryptome.org/cia-iran-all.htm; Summary; S. x; Zugriff: 10.02.2008; Zahrani, Mostafa T. (2002): The coup that changed the Middle East: Mossadeq v. the CIA in retrospect; in: World Policy Journal; Vol. 19; Nr. 2; S. 93-99; Alt-Press Watch; S. 93. 148 Central Intelligence Agency (1954): Overthrow of Premier Mossadeq of Iran; CS Historical Paper No. 208; in: http://cryptome.org/cia-iran-all.htm; Summary; S. xii; Zugriff: 10.02.2008. 149 Zahrani, Mostafa T. (2002): The coup that changed the Middle East: Mossadeq v. the CIA in retrospect; in: World Policy Journal; Vol. 19; Nr. 2; S. 93-99; Alt-Press Watch; S. 94. 150 Zahrani, Mostafa T. (2002): The coup that changed the Middle East: Mossadeq v. the CIA in retrospect; in: World Policy Journal; Vol. 19; Nr. 2; S. 93-99; Alt-Press Watch; S. 94.
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standards wurde, desto relevanter wurde jedoch die direkte Kontrolle über die Ressourcen, die Handelswege und somit des gesamten Nahen Ostens.151 Hauptgewinner der Operation waren aber die USA. Sie hatten sich durch ihren Einsatz einen Anteil von 40 Prozent an der iranischen Erdölproduktion gesichert, die davor ausschließlich von britischen Konzernen kontrolliert worden war.152 Das brachte die USA dem Ziel näher, entweder über eine Partnerschaft mit Großbritannien153 oder im Alleingang den Welterdölmarkt zu steuern. Laut einer Studie des National Security Resources Boards aus dem Jahre 1948 war das notwendig, denn mit höherem Importanteil aus dem Nahen Osten könne eine Million Barrel pro Tag aus westlicher Förderung eingespart werden. Das war ein relevanter Faktor für die Energieversorgungssicherheit der USA, da die Einsparung wiederum dazu führte, dass in den USA „ein militärischer Vorrat in der Erde bliebe – »die ideale Lagerstätte für Erdöl«.“154 Das bedeutet, dass die USRegierung spätestens ab den späten 1940er Jahre über eine strategische Erdölreserve zur Vorsorge gegen Engpässe beim Import nachdachte. Ein zweiter Zugewinn für die USA war die Ausweitung ihres Einflusses nach Teheran und somit über den Iran. Seit der Truman-Doktrin155 vom Februar 151 Odell, Peter R. (1968): The Significance of Oil; in: Journal of Contemporary History; Vol. 3; No. 3; S. 93-110; Sage Publications Ltd.; S. 96f. 152 Bereits im Dezember 1941 gab es eine Anfrage eines Vertreters der Standard Oil New Jersey Company Probebohrungen in den Nordprovinzen durchzuführen. Aber auch die Sowjetunion hatte Verhandlungen über Konzessionen im Nordiran mit Teheran begonnen. Durch diesen Interessenkonflikt der Großmächte, den die iranische Regierung nicht lösen konnte und wollte, scheiterten die ersten Pläne Washingtons einen Fuß in den persischen Erdölmarkt zu setzen. Asadpour, Ahmad Ali (2002): Der Iran in der internationalen Politik 1939-1948; in: Deutsche Nationalbibliothek Online; http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=968790879&dok_var=d1&dok_ext=pdf&filename=9 68790879.pdf; S. 215ff.; Zugriff: 18.02.2008. 153 Bei einem Treffen zwischen dem britischen Botschafter in Washington, Lord Halifax und USPräsident Franklin D. Roosevelt am 18. Februar 1944 im Weißen Haus, zeigte Roosevelt Halifax eine grobe Skizze des Nahen Osten. Dazu erklärte er: „Das persische Öl […] gehört Ihnen. Das Öl im Irak und Kuwait teilen wir uns. Und was das saudische Öl betrifft, das gehört uns.“ Dem anschließenden Vorstoß Roosevelts das iranische Erdöl aufzuteilen, wurde jedoch von der britischen Regierung mit Misstrauen begegnet. Zu einer Einigung in Hinsicht auf eine gemeinsame Kontrolle des Welterdölmarktes kam es erst nach der Entmachtung Mossadeqs. Yergin, Daniel (1991): Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht; Fischer Verlag, Frankfurt am Main; S. 507f. 154 Yergin, Daniel (1991): Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht; Fischer Verlag, Frankfurt am Main; S. 539f. 155 Die Rede des US-Präsidenten Harry Truman vom 12. März 1947 stellt eine Zäsur in der USAußenpolitik dar und rechtfertigt eine Bekämpfung des Einflusses der Sowjetunion in Drittstaaten auch mit Gewalt. Sie gilt als der Grundstein der Containmentpolitik der USA gegenüber der UdSSR: „We shall not realize our objectives, however, unless we are willing to help free peoples to maintain their free institutions and their national integrity against aggressive movements that seek to impose upon them totalitarian regimes. This is no more than a frank recognition that totalitarian regimes imposed on free peoples, by direct or indirect aggression, undermine the foundations of international peace and hence the security of the United States. […] At the present moment in world history nearly
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2 Die Geschichte der Energiesicherheit am Beispiel Erdöl
1944 und der daraus abgeleiteten Containmentpolitik gegenüber der UdSSR, waren aus Sicht Washingtons gute Beziehungen zu möglichst vielen Regierungen im Nahen Osten notwendig. Dadurch sollten erstens die Erdölreserven und Transportwege in der Region gesichert werden. Zweitens sollte die Sowjetunion in der Region daran gehindert werden ihre Interessen am Persischen Golf durchzusetzen. Die Mittel, die sowohl von der britischen als auch von der USamerikanischen Regierung zur Durchsetzung ihrer Interessen und der Interessen der angloamerikanischen Erdölkonzerne eingesetzt wurden, standen vorwiegend in der Tradition imperialen Denkens. Die Kontrolle über die Förderung von Erdöl in der Region des Persischen Golfes wurde, wie im Falle des Putsches gegen Mossadeq, auch mit militärisch-kriegerischen Elementen durchgesetzt. Die Leitlinien der Politik waren von klassischer Großmachtpolitik kombiniert mit einer bipolaren Betrachtungsweise des Weltsystems geprägt. Wie oben gezeigt, war das Vorgehen der westlichen Mächte davon bestimmt, den Iran unter eigenem Einfluss zu halten. Ansonsten wäre – nach Interpretation der Truman-Doktrin – der Staat in den Machtbereich der Sowjetunion eingegliedert worden. Um die eigenen Interessen durchzusetzen, versuchten die Regierungen Großbritanniens und der USA, ihr Militärkontingent in der Region zu erweitern. Dazu konnten jedoch nicht mehr ausschließlich die Instrumente einer Kanonenbootdiplomatie eingesetzt werden. Die USA etablierten dafür kurz nach dem 2. Weltkrieg eine „Öl für Sicherheit“-Partnerschaft mit Saudi Arabien, die auf Interdependenz ausgerichtet schien (Kap. 2.8).
every nation must choose between alternative ways of life. The choice is too often not a free one. […] One way of life is based upon the will of the majority, and is distinguished by free institutions, representative government, free elections, guarantees of individual liberty, freedom of speech and religion, and freedom from political oppression. The second way of life is based upon the will of a minority forcibly imposed upon the majority. It relies upon terror and oppression, a controlled press and radio; fixed elections, and the suppression of personal freedoms. I believe that it must be the policy of the United States to support free peoples who are resisting attempted subjugation by armed minorities or by outside pressures. I believe that we must assist free peoples to work out their own destinies in their own way. I believe that our help should be primarily through economic and financial aid which is essential to economic stability and orderly political processes. […] The world is not static, and the status quo is not sacred. But we cannot allow changes in the status quo in violation of the Charter of the United Nations by such methods as coercion, or by such subterfuges as political infiltration. In helping free and independent nations to maintain their freedom, the United States will be giving effect to the principles of the Charter of the United Nations. […] The seeds of totalitarian regimes are nurtured by misery and want. They spread and grow in the evil soil of poverty and strife. They reach their full growth when the hope of a people for a better life has died. We must keep that hope alive.” Truman, Harry S. (1947): Address before a Joint Session of Congress, March 12, 1947; in: The Avalon Project at Yale Law School; http://www.yale.edu/lawweb/avalon/trudoc.htm; Zugriff: 19.02.2008.
2.2 Die Verstaatlichung des iranischen Erdölsektors Abbildung 8:
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Chinas „String of Pearls“-Strategie
Quelle: Spinetta, Lawrence (2006): “The Malacca Dilemma” – Countering China’s “String of Pearls” with Land-Based Airpower; School of Advanced Air and Space Studies Air University Maxwell Air Force Base; Alabama; S. 8.
Dieser Wandel in der Großmachtpolitik entsprach den Vereinbarungen der Atlantik Charta vom 14. August 1914. Inhaltliche Aspekte der Charta waren u.a. der Verzicht auf territoriale Expansion, gleichberechtigter Zugang zum Welthandel und zu Rohstoffen, Verzicht auf Gewaltanwendung, Selbstbestimmungsrecht, Liberalisierung des Handels, Freiheit der Meere.156 Allerdings blieben in der angewandten Politik Instrumente der klassischen Großmachtpolitik erhalten. Dazu gehörte auch der Ausbau der militärischen Infrastruktur zur Sicherung der Seehandelswege. Dabei haben vorwiegend Kap Horn, das Kap der Guten Hoffnung oder enge Passagen, wie die Straße von Malakka, der Panamakanal, der Bosporus, die Straße von Gibraltar oder der Suezkanal strategische Bedeutung, da sich hier Knotenpunkte des Seehandels befinden. Diese können von der Macht, die sie kontrolliert, für ausgewählte Schiffe, bspw. eines geächteten Staates oder den ganzen Verkehr, geschlossen werden. Somit sind sie für die Energieversorgungs156
Die Charta wurde später als Grundlage für die Charta der Vereinten Nationen maßgeblich. The National Archives: The Atlantic Charter; in: The National Archives Online;http://www.archives.gov/ education/lessons/fdr-churchill/#documents; 01.08.2008.
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sicherheit eines Staates von großer Bedeutung, denn eine Schließung kann empfindliche Folgen für die eigene Wirtschaft haben. Um an der Kontrolle des Seehandels zu partizipieren, hat die chinesische Regierung in den 1980er Jahren angefangen ihre Hochseeflotte auszubauen und verschiedene Militärstützpunkte und Tiefseehäfen in der Südchinesischen See und dem indischen Ozean einzurichten (Abb. 8). Durch diese Strategie der sogenannten „String of Pearls“ soll auch die zukünftige maritime Erdölversorgung für die VR China besser garantiert werden können.157 Wie relevant die Kontrolle der Seewege auch aus Perspektive einer nachhaltigen Energieversorgungssicherheit ist, zeigt sich am historischen Beispiel der Schließung des Suezkanals durch den Ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser in den Jahren 1956 bis 1957.
2.3 Der Suezkanal: Ein Nadelöhr der Weltwirtschaft Eine strategisch bedeutende Wasserstraße ist der 160 Kilometer lange Suezkanal, der das Rote Meer mit dem Mittelmeer verbindet und durch die ägyptische Wüste führt. Erbaut wurde der Kanal zwischen 1859 und 1869. Die Betreibergesellschaft stand erst unter französischer Kontrolle. Das änderte sich im Jahre 1875 mit dem Aufkauf von 44 Prozent der Anteile durch die ägyptische Regierung unter dem osmanischen Vizekönig. Mit der britischen Besetzung Ägyptens im Jahre 1882 geriet der Kanal unter britisch-französischer Kontrolle. Der Suezkanal verkürzt den Transport von Erdöl aus dem Persischen Golf nach Europa, der vorher um das Kap der Guten Hoffnung verlief um rund 7.200 Kilometer auf 10.400 Kilometer. Bereits im Jahre 1955 bestanden über 60 Prozent der durch den so genannten „Highway nach Indien“ beförderten Schiffstonnage aus Erdöl. Zwei Drittel der Erdöllieferungen nach Europa wurden über den Kanal transportiert.158 Im Jahre 1955 erklärte der britische Außenminister Selwyn Lloyd gegenüber dem ägyptischen Präsidenten Gamal Abdul Nasser in Kairo, dass der Kanal „ein integraler, für Großbritannien lebenswichtiger Bestandteil des Ölkomplexes im Nahen Osten“ sei. Ähnlich allerdings wie bei der Erdölförderung im Iran, erhielten Frankreich und Großbritannien den größten Teil der Gewinne aus den Benutzungsgebühren und nur ein kleiner Rest blieb für die ägyptische Regie157
Pehrson, Christopher J. (2006): String of Pearls: Meeting the Challenge of China’s Rising Power Across the Asian Littoral; Strategic Studies Institute; U.S. Army War College; Carlisle; S. 3f.; Reuters: India Encircled by China’s String of Pearls?; in: Reuters Online; http://blogs.reuters.com/ india/2009/07/28/india-encircled-by-chinas-string-of-pearls/; Zugriff:15.10.2009. 158 Yergin, Daniel (1991): Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht; Fischer Verlag, Frankfurt am Main; S. 599f.
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rung. Nasser wollte den ägyptischen Gewinnanteil jedoch steigern, um verschiedene Großprojekte, wie bspw. den Assuanstaudamm und seine panarabischen Ideen umsetzen zu können. Er argumentierte, im Zuge des sich verbreitenden Nationalismus im Nahen Osten, dass die saudische Regierung 50 Prozent der Erdöleinnahmen bekomme und Ägypten das gleiche Recht auf die Gewinne aus den Benutzungsgebühren des Kanals habe. Doch weder aus Frankreich noch aus Großbritannien kam eine Reaktion auf die Forderungen Kairos.159 Im Februar 1955 kam es zu vermehrten Luftangriffen zwischen Ägypten und Israel, die in beiden Staaten zum Wunsch nach Aufrüstung führten. Doch Nassers Bemühungen in westlichen Staaten Waffen zu kaufen scheiterten, da Frankreich, Großbritannien und die USA gemäß der Tripartite Declaration vom 25. Mai 1950 für ein Machtgleichgewicht in der Region sorgen wollten und sich verpflichtet hatten Waffenlieferungen einzuschränken.160 Infolgedessen wandte sich Nasser an Moskau und erhielt im August 1955 eine Lieferung sowjetischer Waffen aus der SSR.161 159
Yergin, Daniel (1991): Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht; Fischer Verlag, Frankfurt am Main; S. 602f; Shupe, Michael C.; Wright, William M.; Hipel, Keith W.; Fraser, Niall M. (1980): Nationalization of the Suez Canal; Journal of Conflict Resolution; Vol. 24; Nr. 3; S. 477-493; Sage Publications Inc.; S. 479. 160 „The Governments of the United Kingdom, France, and the United States, having had occasion during the recent Foreign Ministers meeting in London to review certain questions affecting the peace and stability of the Arab states and of Israel, and particularly that of the supply of arms and war material to these states, have resolved to make the following statements: 1. The three Governments recognize that the Arab states and Israel all need to maintain a certain level of armed forces for the purposes of assuring their internal security and their legitimate self-defense and to permit them to play their part in the defense of the area as a whole. All applications for arms or war material for these countries will be considered in the light of these principles. In this connection the three Governments wish to recall and reaffirm the terms of the statements made by their representatives on the Security Council on August 4, 1949, in which they declared their opposition to the development of an arms race between the Arab states and Israel. 2. The three Governments declare that assurances have been received from all the states in question, to which they permit arms to be supplied from their countries that the purchasing state does not intend to undertake any act of aggression against any other state. Similar assurances will be requested from any other state in the area to which they permit arms to be supplied in the future. 3. The three Governments take this opportunity of declaring their deep interest in and their desire to promote the establishment and maintenance of peace and stability in the area and their unalterable opposition to the use of force or threat of force between any of the states in that area. The three Governments, should they find that any of these states was preparing to violate frontiers or armistice lines, would, consistently with their obligations as members of the United Nations, immediately take action, both within and outside the United Nations, to prevent such violation.“ Tripartite Declaration Regarding the Armistice Borders (1950): Statement by the Governments of the United States, The United Kingdom, and France, May 25, 1950; in: The Avalon Project at Yale Law School; http://www.yale.edu/lawweb/avalon/mideast/mid001.htm; Zugriff: 19.02.2008. 161 Der Deal beinhaltete militärisches Gerät im Wert von 200 Millionen US-Dollar gegen ägyptische Baumwolle. Unter anderem wurden zwischen 150 und 200 Kampfjets und 35 zweimotorige Bomber
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Ein weiterer Streitpunkt zwischen den Westmächten und Ägypten entstand bei der Auseinandersetzung über Finanzhilfen zur Realisierung des Assuanstaudamms. Der Bau des Damms stellte ein Kernstück Nassers Politik des sozialen und wirtschaftlichen Aufbaus dar, denn mit seinem Bau sollten über 400.000 Hektar neue Agrarfläche entstehen. Zudem war er für die Elektrifizierung Ägyptens von Bedeutung, da er über eine Kraftwerksleistung von 2.100 MW verfügen sollte. Zur Finanzierung des ehrgeizigen Projektes hatte sich Nasser Finanzhilfen aus dem Westen versprochen.162 Zuerst sah die britische Regierung in der Bereitstellung von Krediten für das Staudammprojekt eine Chance, den eigenen Einfluss in Ägypten erneut zu erhöhen. Die anfängliche Motivation der US-Administration, den Bau finanziell zu unterstützen, war einerseits durch den Ausbau des eigenen politischen Gewichts in der Region geprägt. Andererseits erkannte die US-Regierung eine Gelegenheit, um den Prämissen der Atlantik Charta zu folgen und sich für mehr Eigenständigkeit des Entwicklungslandes einzusetzen. So wurde Anfang des Jahres 1956 gemeinsam mit der Weltbank ein Finanzierungsangebot ausgearbeitet und Nasser vorgelegt. Dieser wies die Offerte jedoch zurück, da sie seiner Auffassung nach unvorteilhaft für die Unabhängigkeit des Landes, dafür aber zweckmäßig für die Dominanz des Westens war.163 Während die Verhandlungen über die Konditionen der Finanzierung weitergeführt wurden, kam es im April 1956 erneut zu Angriffen Israels auf Ägypten, woraufhin Nasser wiederum seine Streitkräfte erweitern wollte. Am 16. Mai desselben Jahres hatten sich Großbritannien, die USA und die Sowjetunion aber darauf geeinigt, keine weiteren Waffen an die Staaten im Nahen Osten zu liefern. Infolgedessen wandte sich Nasser an die VR China, die er in diesem Zuge als souveränen Staat anerkannte. Das Vorgehen des ägyptischen Präsidenten rief an Ägypten verkauft. Rubin, Barry (1982): America and the Egyptian Revolution, 1950-1957; Political Science Quarterly; Vol. 97; No. 1.; S. 73-90; APS Books; S. 84; Shupe, Michael C.; Wright, William M.; Hipel, Keith W.; Fraser, Niall M. (1980): Nationalization of the Suez Canal; Journal of Conflict Resolution; Vol. 24; Nr. 3; S. 477-493; Sage Publications Inc.; S. 479. 162 Shupe, Michael C.; Wright, William M.; Hipel, Keith W.; Fraser, Niall M. (1980): Nationalization of the Suez Canal; Journal of Conflict Resolution; Vol. 24; Nr. 3; S. 477-493; Sage Publications Inc.; S. 479f. 163 Die Kosten des Projektes wurden auf 1,3 Mrd. US-Dollar über zwölf bis 15 Jahre veranschlagt. Großbritannien und die USA wollten 30 Prozent dieser Summe tragen, Ägypten sollte 70 Prozent beisteuern. Ferner waren eine Reihe von Konditionen an das Abkommen gekoppelt: 1. Ein Drittel der Staatseinnahmen Ägyptens sollte über zehn Jahre in das Projekt fließen. 2. Die Regierung sollte ökonomische Maßnahmen treffen, um die Inflation im Lande unter Kontrolle zu bringen, um Anreize für einen Kapitalzustrom aus dem Ausland zu schaffen. 3. Die Aufträge für den Bau des Damms sollten öffentlich ausgeschrieben werden. 4. Unterstützung aus der Sowjetunion und deren Satelliten musste abgelehnt werden. Shupe, Michael C.; Wright, William M.; Hipel, Keith W.; Fraser, Niall M. (1980): Nationalization of the Suez Canal; Journal of Conflict Resolution; Vol. 24; Nr. 3; S. 477-493; Sage Publications Inc.; S. 479f.
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Ressentiments in den westlichen Regierungen hervor, die daraufhin ihr Engagement hinsichtlich des Aufbaus der ägyptischen Infrastruktur überdachten.164 Am 19. Juli 1956 schließlich lehnte US-Außenminister John Foster Dulles die Gewährung eines Kredites für Ägypten ab. In der Begründung hieß es, dass eine Auslandshilfe nur einer der beiden blockfreien Regierungen zukommen könne: entweder für Josip Broz Tito in Jugoslawien oder Nasser in Ägypten. Dulles entschied sich für Tito und überraschte damit Nasser und die Weltbank, die von einem Kredit für Ägypten ausgegangen waren.165 Nachdem sich auch Moskau nicht bereit erklärte eine Finanzierung des Staudamms zu gewähren, erkannte Nasser als alternative Finanzierungsmöglichkeit die Verstaatlichung des Suezkanals. Diesen Plan ließ er am 26. Juli 1956 umsetzen. Für die westliche Welt kam diese Tat überraschend und es wurde spekuliert, ob Nasser mit der Sowjetunion paktierte.166 Nach mehreren Monaten diplomatischer Verhandlungen mit und dem Einsatz von nichtmilitärischen Druckmitteln167 gegenüber Ägypten, brachten London und Paris am 29. Oktober 1956 Israel dazu, die Sinaihalbinsel anzugreifen. Um den Druck auf Ägypten weiter zu erhöhen stellten Großbritannien und Frankreich einen Tag später ein Ultimatum in dem sie erklärten, dass sie die Kanalzone besetzten, wenn Nasser die Verstaatlichung nicht rückgängig machte. Am 31. Oktober bombardierte die britische Luftwaffe ägyptische Flugplätze, woraufhin sich die ägyptische Armee von der Sinaihalbinsel zurückzog.168
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Shupe, Michael C.; Wright, William M.; Hipel, Keith W.; Fraser, Niall M. (1980): Nationalization of the Suez Canal; Journal of Conflict Resolution; Vol. 24; Nr. 3; S. 477-493; Sage Publications Inc.; S. 480. 165 Yergin, Daniel (1991): Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht; Fischer Verlag, Frankfurt am Main; S. 603f. 166 Über die Kontrolle des Kanals hätte Kairo im Jahre 1955 91 Millionen US-Dollar brutto und ca. 32 Millionen US-Dollar netto für den Staatshaushalt erwirtschaften können. Gleichzeitig hätte die Verstaatlichung die Blockfreiheit Ägyptens unterstrichen. Nasser wartete mit der Verstaatlichung des Kanals bis die britischen Truppen sich am 13. Juni 1956 aus ihrem Stützpunkt in Ägypten wie vertraglich geregelt zurückgezogen hatten. Shupe, Michael C.; Wright, William M.; Hipel, Keith W.; Fraser, Niall M. (1980): Nationalization of the Suez Canal; Journal of Conflict Resolution; Vol. 24; Nr. 3; S. 477-493; Sage Publications Inc.; S. 481; Rubin, Barry (1982): America and the Egyptian Revolution, 1950-1957; Political Science Quarterly; Vol. 97; No. 1.; S. 73-90; APS Books; S. 88. 167 Bspw. zog die Suezkanal-Gesellschaft Mitte September die britischen und französischen Lotsen zurück, in der Hoffnung, dies würde Kairo zum Nachgeben bewegen, da der Schiffsverkehr nicht mehr aufrecht erhalten werden könne. Aber es war schon einige Jahre zuvor ein Programm zur Ausbildung ägyptischer Lotsen eingerichtet worden. Die Aktion der Westmächte verlief somit ergebnislos. Yergin, Daniel (1991): Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht; Fischer Verlag, Frankfurt am Main; S. 604f. 168 Yergin, Daniel (1991): Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht; Fischer Verlag, Frankfurt am Main; S. 614.
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Nassers Antwort auf die Bombardierung war die Blockierung des Suezkanals. Dazu ließ er dutzende mit Steinen und Zement gefüllte Schiffe versenken. Zudem sabotierten syrische Ingenieure auf Weisung aus Kairo Pumpstationen an den Pipelines der Iraq Petroleum Company. Diese zwei Maßnahmen brachten den Erdöltransport aus dem Nahen Osten vorläufig zum Erliegen, da der Rohstoff nun um das Kap der Guten Hoffnung transportiert werden musste.169 Aber nicht nur die westlichen Staaten waren von der Stilllegung des Suezkanals betroffen. Auch das Erdöl, das aus dem Kaspischen Meer über den Wolga-DonKanal, durch das Schwarze Meer den Kanal in Richtung China passierte, konnte nicht mehr auf dieser Route verschifft werden.170 Die Interessen, die hinter dem militärischen Eingreifen der westlichen Staaten standen waren erstens die Abwehr sowjetischer Einflussnahme im Nahen Osten. Dies sollte über Instrumente, wie bspw. dem Bagdad-Pakt von 1955 durchgesetzt werden.171 Zweitens ging es um die direkte Kontrolle des Suezkanals als wichtigstem Nadelöhr für den Transport von Erdöl vom Persischen Golf, genauso wie es im Iran um die direkte Kontrolle des Erdöls gegangen war.172 Im Verlust dieser Kontrolle sah Großbritannien eine immanente Gefahr für die eigene Versorgungssicherheit mit Erdöl. Drittens erkannte Frankreich in Nasser eine Bedrohung für seine Position in Nordafrika, da der ägyptische Präsident Rebellen für den algerischen Befreiungskampf ausbilden ließ. Viertens ging London davon aus, dass ein Verlust des Suezkanals eine Art Dominoeffekt in der Region auslösen würde. Darüber erlitte das Ansehen Großbritanniens erheblichen Schaden und die Versuche der Verstaatlichungen kolonialer Konzerne im Nahen Osten würden sich häufen. Dabei 169
Yergin, Daniel (1991): Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht; Fischer Verlag, Frankfurt am Main; S. 615. 170 Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy Crisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton; S. 12. 171 Der Pakt stellte eine Verteidigungsvereinbarung zwischen der Türkei, dem Iran, dem Irak und Großbritannien, mit Förderung von Seiten der USA, dar. Kurz darauf verließ der Irak den Pakt wieder. Später wurden Pakistan und erneut der Irak Mitglieder des Pakts (1959 wurde der Pakt in Central Treaty Organization (CENTO) umbenannt). Ziel der Vereinbarung war es, die Mitgliedsstaaten vor dem Einfluss der UdSSR zu schützen. Nasser sah darin jedoch eher den Versuch den Nahen Osten in einer Art Neoimperialismus unter westlicher Kontrolle zu halten. Seiner Ansicht nach vereitelte der Pakt eine starke Arabische Liga. Ferner erkannte er in ihm die Gefährdung der neutralen Stellung der arabischen Staaten und über Großbritannien die indirekte Assoziierung mit der NATO. Rubin, Barry (1982): America and the Egyptian Revolution, 1950-1957; Political Science Quarterly; Vol. 97; No. 1.; S. 73-90; APS Books; S. 74; Shupe, Michael C.; Wright, William M.; Hipel, Keith W.; Fraser, Niall M. (1980): Nationalization of the Suez Canal; Journal of Conflict Resolution; Vol. 24; Nr. 3; S. 477-493; Sage Publications Inc.; S. 478f. 172 Shupe, Michael C.; Wright, William M.; Hipel, Keith W.; Fraser, Niall M. (1980): Nationalization of the Suez Canal; Journal of Conflict Resolution; Vol. 24; Nr. 3; S. 477-493; Sage Publications Inc.; S. 478f.
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trugen die Anteile an den Ölvorkommen und die Steuern, die von den britischen Erdölkonzernen eingenommen wurden, wesentlich zu den britischen Staatseinnahmen bei. Ein Verlust hätte eine Wirtschaftskrise auslösen können. Der britische Premierminister Robert Anthony Eden erklärte im April 1956 in London gegenüber Nikolai Bulganin, Vorsitzender des Ministerrates der UdSSR, und Nikita Chruschtschow, der zu dieser Zeit Erster Sekretär des Zentralkomitees war: „Wir könnten ohne Öl nicht leben und […] wir haben nicht die Absicht, uns strangulieren zu lassen.“173 Die Versorgungskrise für Großbritannien, die durch die Blockade des Suezkanals entstanden war, verschärfte sich weiter als klar wurde, dass die USA ihre Notfallreserven nicht für London bereitstellen würden. US-Präsident Dwight D. Eisenhower, der über die Intervention weder aus London noch aus Paris informiert worden war und der von Vornherein nichts gegen eine Verstaatlichung des Suezkanals einzuwenden hatte, verweigerte nicht nur seine Hilfe. Er setzte das gesamte diplomatische Gewicht Washingtons für die Beendigung der Intervention und den Rückzug der ausländischen Truppen von ägyptischem Territorium ein.174 So war die militärische Rückeroberung des Suezkanals bereits am 6. November mit einer Niederlage für Großbritannien und Frankreich zu Ende gegangen. Zudem drohten die Supermächte mit Repressalien. Die USA erwogen Wirtschaftssanktionen zu einem Zeitpunkt, an dem Westeuropa von einer Ölkrise bedroht war. Die Sowjetunion erklärte ihre Bereitschaft, einen Atomschlag gegen London und Paris zu führen. Ferner war die britische Regierung mit steigender Unzufriedenheit im Parlament auch aus den eigenen Reihen und zunehmender Kritik aus der Presse konfrontiert. Zahlreiche Mitgliedsstaaten des Commonwealth und große Teile der Generalversammlung der Vereinten Nationen verurteilten die Intervention. In dieser isolierten Lage blieb Großbritannien und Frankreich nur noch der Rückzug aus der Suezkanalzone.175 Die Suezkrise endete aber nicht nur mit einem Gesichtsverlust für London und Paris und einem gestärkten ägyptischen Präsidenten Gamal Abdul Nasser. Sie hatte weitreichende Auswirkungen auf die internationalen Erdölkonzerne. 173
Yergin, Daniel (1991): Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht; Fischer Verlag, Frankfurt am Main; S. 607f. 174 Yergin, Daniel (1991): Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht; Fischer Verlag, Frankfurt am Main; S. 615. 175 Der französische Außenminister Christian Pineau erklärte am 19. Dezember 1956, dass die britisch-französische Entscheidung, die Kampfhandlungen in Ägypten einzustellen auf vier Faktoren beruhte. Diese waren nach ihrer Relevanz: 1. der tiefe Graben in der britischen Meinung, 2. der USamerikanische Druck; 3. der Druck der Vereinten Nationen und 4. die russische Intervention. Smolansky, O. M. (1965): Moscow and the Suez Crisis, 1956: A Reappraisal; Political Science Quarterly, Vol. 80, No. 4., S. 581-605; APS Books; S. 589f/596.
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Bspw. führte sie zu einer Diversifizierung der Produktionsstätten nach Nigeria und Nordafrika, von denen der europäische Markt versorgt werden konnte, ohne den Suezkanal zu frequentieren. Zudem wurde die Tankerflotte der Konzerne ausgebaut; vor allem hinsichtlich der Tanker mit einer Kapazität von mindestens 80.000 Tonnen, die ohne große Gewinnverluste auch die Route um das Kap der Guten Hoffnung nach Europa befahren konnten. Nach der Blockade des Suezkanals ging die Entwicklung der Supertanker so weit, dass einige Konzerne auch solche mit einer Kapazität von 250.000 bis 300.000 Tonnen kauften, die den Kanal aufgrund ihres Tiefgangs nicht mehr befahren konnten. Dies ging wiederum auf Kosten von Ägypten, Libanon, Jordanien und Syrien, die weniger Revenuen aus den Kanalgebühren oder für den Transit durch Pipelines bekamen.176 Dennoch ging Ägypten finanziell gestärkt aus dem Konflikt. Die Kanalgebühren flossen nicht mehr nach Frankreich und Großbritannien, sondern direkt in die Staatskasse in Kairo. Und auch für kommende Krisen konnte sich Nasser bewusst sein, dass er auf Hilfe seiner Nachbarn zählen konnte. So unterstützen die größten arabischen Erdölproduzentenstaaten Ägypten mit monatlich fünf Millionen US-Dollar während der Kanal geschlossen war.177 Im Zusammenhang mit dieser arabischen Solidarität und des verstärkten arabischen Nationalismus erklärte Nassers Berater Muhammad Hassanein Heikal: „You will never be able to get the oil of the Middle East if its people revolt against you and you will not be able to defend the Middle East if its people do not side with you. […] Either you win us forever, or you lose us forever.“178 Um den Verlust des westlichen Einflusses in der Region zu verhindern erließ der US-amerikanische Präsident schließlich im Januar 1957 die EisenhowerDoktrin. Darin wurde festgelegt, dass die USA den Staaten in der Region helfen werde, ihre Souveränität und Integrität gegen Aggressionen „kommunistischer“ oder „kommunistisch dominierter“ Staaten zu verteidigen.179 US-Außenminister John Foster Dulles hielt das für notwendig, da die militärische Intervention der Suezkanalzone die britische Glaubwürdigkeit zerstört und den Bagdad-Pakt ad Acta gelegt habe. Aber die Eisenhower-Doktrin erreichte nicht überall soviel Zustimmung wie in Saudi Arabien, wo sie das „Öl für Sicherheit“-Abkommen
176
Odell, Peter R. (1968): The Significance of Oil; in: Journal of Contemporary History; Vol. 3; No. 3; S. 93-110; Sage Publications Ltd.; S. 107. 177 Odell, Peter R. (1968): The Significance of Oil; in: Journal of Contemporary History; Vol. 3; No. 3; S. 93-110; Sage Publications Ltd.; S.108. 178 Rubin, Barry (1982): America and the Egyptian Revolution, 1950-1957; Political Science Quarterly; Vol. 97; No. 1.; S. 73-90; APS Books; S. 79. 179 Eisenhower, Dwight D. (1957): Special Message to the Congress on the Situation in the Middle East; January 5th, 1957; in: The American Presidency Project Online;http://www.presidency.ucsb. edu/ws/index.php?pid=11007&st=&st1; Zugriff: 26.02.2008.
2.3 Der Suezkanal: Ein Nadelöhr der Weltwirtschaft
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unterstrich. In Kairo wurde die neue US-amerikanische Politik als virtuelle Kriegserklärung aufgefasst.180 Der Krieg um die Kontrolle des Suezkanals war für Frankreich und Großbritannien ein Wendepunkt hinsichtlich der klassischen kriegerisch-militärischen Großmachtpolitik. Konnten sich Großbritannien und die USA noch gegen die Verstaatlichung des iranischen Erdöls erfolgreich mit militärischen Mitteln durchsetzen, so scheiterten London und Paris in diesem Falle. Das energiesicherheitspolitische Konzept, das Großbritannien seit der Umstellung ihrer Marine von Kohle auf Erdöl vollzogen hatte, hatte einen Rückschlag erhalten. Geschuldet war die Niederlage auch der Uneinigkeit in der Außenpolitik der westlichen Staaten. Die USA befanden sich in einen Wandel, in dem sich Strömungen innerhalb der Regierung versuchten durchzusetzen, die die Souveränität der ehemaligen Kolonialstaaten unterstützen wollten. Dabei sollte aber gleichzeitig der Einfluss der Westmächte erhalten bleiben. Insofern setzte die USRegierung in den 1950er Jahren verstärkt auf interdependente Instrumente, die bspw. das Verhältnis zu Saudi Arabien bis heute prägen (Stand 2009). Die Mittel dabei sind u.a. der Aufbau wirtschaftlicher Interdependenz, aber auch der Ausbau der militärischen Präsenz in den Regionen vitalen Interesses. Ähnliche Entwicklungen zeigen sich auch bei militärischen Programmen der USA am Golf von Guinea und in der Straße von Malakka. An erster Stelle dient der Ausbau zur Sicherung der (Erdöl-)Transportwege und der klaren Abgrenzung gegenüber dem Einfluss anderer Staaten und kann als militärisch jedoch vorwiegend nicht kriegerisch bezeichnet werden. Die Gefahr, dass militärisches Potential aber auch wieder zu kriegerisch-militärischer Politik führen kann hat sich in der Persischen Golf-Region mit dem zweiten und dritten Golfkrieg gezeigt.181 Die Kontrolle von Meerengen durch die US-Marine stößt jedoch bei einigen Staaten auf Vorbehalte. Für die chinesische Regierung bedeutet sie eine Einschränkung ihrer Souveränität. Wie oben beschrieben, versucht sie deshalb über die Strategie der „String of Pearls“ ihren Einfluss in Südasien auszubauen. Über den Ausbau der Hochseeflotte und den Aufbau von Militärbasen in der Region soll erstens an der Überwachung der Meerenge partizipiert werden. Zweitens sollen über den Bau von Tiefseehäfen in Pakistan und Burma Möglichkeiten geschaffen werden, die Straße von Malakka auf dem Landweg zu umgehen. Zu
180
Rubin, Barry (1982): America and the Egyptian Revolution, 1950-1957; Political Science Quarterly; Vol. 97; No. 1.; S. 73-90; APS Books; S. 89. 181 Adolf, Matthias (2007): Chinas Hunger auf Energie – und seine (amerikanische) Konkurrenz; Fundiert; Juni 2007; Berlin; S. 126-131; Adolf, Matthias; Köstner, Jan (2007): China versus USA: Der neue Kampf um Afrika; Blätter für deutsche und internationale Politik; April 2007; Berlin; S. 485-490.
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2 Die Geschichte der Energiesicherheit am Beispiel Erdöl
diesem Zweck müssen allerdings kostenintensive Pipelines von dort in die VR China gebaut werden (Abb. 8). Aus historischer Perspektive versucht China im eigenen Interesse den Einfluss fremder Mächte in Südasien zurückzudrängen. Zwar lässt sich diese Situation nur eingeschränkt mit der Konstellation des Suezkanals zur Zeit der Verstaatlichung vergleichen. Allerdings zeigt der Konflikt um die Kontrolle des Suezkanals die immense Bedeutung der Überwachung der Knotenpunkte im Seehandel. Für die Staaten in des Nahen Ostens bedeutete der Erfolg der Verstaatlichung des Suezkanals, dass es Möglichkeiten gab, ihre Interessen nach Nationalismus, wirtschaftlicher und politischer Souveränität und damit dem Ende der Kolonialzeit durchzusetzen. Sie erkannten, dass diese Ziele einer interregionalen Kooperation bedurften, um die Chance des Erfolges zu erhöhen und weitere Niederlagen, wie die gescheiterte Verstaatlichung der iranischen Erdölvorkommen unter Mossadeq, zu vermeiden. U.a. führte diese Erkenntnis zu einer weitreichenden Entscheidung: der Gründung der OPEC.
2.4 Die Gründung der OPEC: Kartell der Erdöl produzierenden Mächte? Bis in die Mitte der 1950er Jahre wurde die Erdölindustrie, mit Ausnahme der Sowjetunion und den USA, sowie ab der Ausrufung der Volksrepublik am 1. Oktober 1949 auch der VR China182, von ein paar großen Erdölkonzernen, den „Sieben Schwestern“183 dominiert. Ein freier Markt für Erdöl existierte nicht, vielmehr hatten die Sieben Schwestern ein System des Handels zwischen Unternehmen nach ihren Regeln etabliert. Dieses System funktionierte nach dem Posted Price184 als Referenzpunkt für den Handel zwischen den Konzernen und 182
Mao Zedong orientierte sich nach der Gründung der VR China in Richtung Sowjetunion. Im Februar 1950 unterzeichnete er einen wechselseitigen Hilfs- und Freundschaftsvertrag mit Stalin. Dieser enthielt neben einem Kredit über 300 Millionen US-Dollar, der Hilfe der Sowjetunion bei der Entwicklung der chinesischen Luftfahrt, des Hafens in Dairen-Dalny (Liuta), der NordostEisenbahnstrecke und der Exploration von Öl und Nichteisenmetallen in Xingjiang. China war bei der Erdölexploration vor allem auf die technologische Unterstützung aus der Sowjetunion angewiesen. Um die ökonomische Verbindung zu unterstreichen und zu unterstützen, wurde der Yuan an den Rubel gekoppelt. Das ideologische und militärische Band wurde durch das gemeinsame Vorgehen im Koreakrieg gefestigt. Chesneaux, Jean (1979): China: The People’s Republic, 1949-1976; The Harvest Press; Stanford; S. 33. 183 Standard Oil of New Jersey (Exxon), Royal Dutch Shell, APOC (BP), Gulf Oil, Texaco, Standard Oil Co. of New York (Mobil) und Standard Oil of California (Chevron). 184 Der „Posted Price“ bzw. Listenpreis bestimmte bis Anfang der 1970er Jahre den Ölhandel. Er wurde von den großen Mineralölgesellschaften, die die Rohölproduktion dominierten, festgelegt und bestimmte auch die Abgaben an die Förderländer. Mineralwirtschaftsverband (2004): Preisbildung am Rohölmarkt; in: MWV Online; http://www.mwv.de/cms/upload/pdf/faq/preisbildung.pdf; S. 5; Zugriff: 04.05.2006.
2.4 Die Gründung der OPEC: Kartell der Erdöl produzierenden Mächte?
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der Abrechnung von Steuern und Royalties an die Regierungen. Das spätere Einkommen pro Barrel war ein festgelegter Proporz dieses Preises.185 Ende der 1950er Jahre zeichnete sich das Aufkommen eines kleinen freien Randmarktes ab und bedrohte die etablierten Praktiken der Sieben Schwestern. Ein paar unabhängige Konzerne in den USA und Westeuropa fingen an, Lizenzen in neuen erdölproduzierenden Regionen zu akquirieren, die andere fiskalische Konditionen boten, als die traditionellen Konzessionen der Staaten im Nahen Osten. In diesem kleinen freien Markt waren die Steuern und Förderabgaben wesentlich niedriger als die in der Region des Persischen-Golfes. Das Erdöl konnte also günstiger angeboten werden. Daraufhin entschieden sich die Sieben Schwestern zwei aufeinanderfolgende Einschnitte beim Posted Price vorzunehmen, um ihre dominierende Position beizubehalten.186 In den Jahren 1958 und 1959 reduzierten sie die Steuern und Förderabgaben gegenüber den Produzentenstaaten. Da die Produzentenstaaten jedoch einen großen Anteil ihres Staatsbudgets aus diesen Abgaben und Steuern einnahmen, sahen sie die Revenuen, nicht nur per Barrel sondern in realen Werten, schwinden. Nach der Entscheidung der Sieben Schwestern, die Preise im Jahre 1960 noch einmal um zehn bis 15 Prozent zu senken, waren die Regierungen der erdölproduzierenden Staaten empört. Eine solche Senkung des Posted Price hätte eine Reduzierung der Ölrevenuen, je nach Land und Vertrag, um fünf bis 74 Prozent bedeutet.187 Die Konzerne insistierten vorerst auf den Senkungen, die sie als kommerzielle Notwendigkeit rechtfertigten. Erst als der Druck aller Erdöl produzierenden Staaten zunahm und dieser die Interessen der Unternehmen und das Ansehen von Großbritannien und den USA in der schwierigen Periode nach der Suezkrise weiter zu gefährden drohte, lenkten sie ein. Dennoch war das Thema Posted Price für die Förderstaaten von solch großer Bedeutung, dass sie sich entschlossen kollektiv zu agieren. Ein auslösender Faktor hierbei war, dass die Sieben Schwestern die Preissenkungen ohne Absprache mit den Produzentenländern durchgeführt hatten. Dadurch fühlten sich die Regierungen übergangen und in einen Kolonialismus zurückgedrängt. Zudem fürchteten sie, dass sie auch weiterhin mit volatilen Einnahmen rechnen mussten und nicht mit einer festen 185
Chalabi, Fadhil J. (1997): OPEC: An Obituary; in: Foreign Policy; No. 109; S. 126-140; Carnegie Endowment for International Peace; S. 127. 186 Bspw. hatte der Chef der italienischen Eni Enrico Mattei mit Moskau einen Ölpreis abgeschlossen der 60 Dollar-Cent unter dem des Nahen Ostens – also dem der Sieben Schwestern – lag; Japan bezog Öl mit erheblichen Rabatten aus Russland. Indien drohte seine gesamte Raffineriekapazität auf das billigere russische Erdöl umzustellen. Daraufhin sahen sich die Sieben Schwestern gezwungen den „Posted Price“ zu senken, um konkurrenzfähig zu bleiben. Sampson, Anthony (1976): Die Sieben Schwestern. Die Ölkonzerne und die Verwandlung der Welt; Rowohlt; Hamburg; S. 158. 187 Odell, Peter R. (1968): The Significance of Oil; in: Journal of Contemporary History; Vol. 3; No. 3; S. 93-110; Sage Publications Ltd.; S. 103f.
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Summe ihre Staatsausgaben planen konnten. Als Konsequenz trafen sich Repräsentanten aus dem Iran, Irak, Kuwait, Saudi Arabien und Venezuela am 14. September 1960 in Bagdad und gründeten die OPEC.188 Die neue Organisation eröffnete den Mitgliedsstaaten neue Optionen. Sie konnten den Posted Price einfrieren und so ihre Erdölrevenuen vor weiteren Einschnitten schützen. Die Gründung war also eine Maßnahme, um die Macht der Sieben Schwestern zu beschneiden und den Einfluss der Regierungen der Produzentenstaaten auf den Ölpreis zu erhöhen. Vor der Gründung der OPEC verhandelten die Sieben Schwestern mit den Regierungen der Einzelstaaten. Durch die Gründung der Organisation konnten die Förderstaaten eine gemeinsame Position aushandeln und diese gegenüber den Sieben Schwestern zusammen vertreten. Das war jedoch am Anfang schwierig durchzusetzen, da die Erdölkon189 zerne weiterhin versuchten mit jedem Staat separate Verhandlungen zu führen. Als weiteres Resultat der Gründung der OPEC konnte das Ende des gerade beginnenden Preiskampfes zwischen den Sieben Schwestern und den kleineren westlichen Konzernen die gesamte Erdölindustrie stabilisieren und deren dominierende Rolle festigen. Schließlich führte die Erweiterung der Organisation um Algerien (1969), Indonesien (1962), Libyen (1962), Nigeria (1971), Katar (1961) und den Vereinigten Arabischen Emiraten (1967) dazu190, dass die Preisstruktur weiter gefestigt wurde. Dies konnte geschehen, da das System der Erdölversteuerung zwischen den neuen und alten Mitgliedern harmonisiert wurde. Die OPEC war somit imstande, einen Basispreis für die Produktion von Erdöl in allen Mitgliedsstaaten zu verifizieren und festzulegen. Der Mindestpreis setzte sich aus den Steuern pro Barrel, also jene Kosten inklusive Steuern, die die Konzerne veranschlagten, um ein Barrel zu produzieren, und einer Profitrate zusammen. Dabei orientierte sich die Preisgestaltung an den Erdölreserven, deren Förderung am teuersten war – den so genannten Grenzreserven.191 Es hat den Anschein, dass die OPEC in den ersten Jahren nach ihrer Gründung ein defensives Instrument der Produzentenstaaten war, das sie in Absprache 188 Odell, Peter R. (1968): The Significance of Oil; in: Journal of Contemporary History; Vol. 3; No. 3; S. 93-110; Sage Publications Ltd.; S. 103f; Chalabi, Fadhil J. (1997): OPEC: An Obituary; in: Foreign Policy; No. 109; S. 126-140; Carnegie Endowment for International Peace; S. 128; Sampson, Anthony (1976): Die Sieben Schwestern. Die Ölkonzerne und die Verwandlung der Welt; Rowohlt; Hamburg; S. 163. 189 Chalabi, Fadhil J. (1997): OPEC: An Obituary; in: Foreign Policy; No. 109; S. 126-140; Carnegie Endowment for International Peace; S. 128f. 190 Gabun (1975-1994) war nur Zeitweise Mitglied. Ecuador war erst zwischen 1973-1992 und wieder seit November 2007 Mitglied. Als vorerst letztes Mitglied kam im Januar 2007 Angola dazu. OPEC: Members; in: OPEC Online; http://www.opec.org/aboutus/; Zugriff: 20.10.2008. 191 Chalabi, Fadhil J. (1997): OPEC: An Obituary; in: Foreign Policy; No. 109; S. 126-140; Carnegie Endowment for International Peace; S. 128f.
2.4 Die Gründung der OPEC: Kartell der Erdöl produzierenden Mächte?
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mit den großen Ölkonzernen nutzten, um den Markt zu stabilisieren. Die Sieben Schwestern ihrerseits versuchten jedoch die OPEC zu schwächen, indem sie mit den einzelnen Regierungen nicht aber mit der Organisation als Ganzes verhandelten, was ihnen bis zum Jahr 1964 gelang. Zudem verzögerten sie die Produktion aus neu explorierten Lagerstätten, um den Ölpreis nicht weiter zu drücken. Die meisten Förderländer wollten aber das genaue Gegenteil: Die Produktion sollte ausgeweitet werden, damit das Wirtschaftswachstum schneller in Gang kommen konnte. Über die Einschränkung der Produktion bestimmten die Sieben Schwestern nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung der Förderstaaten. Versuchte ein Produzentenstaat eigene Interessen durchzusetzen, indem er zum Beispiel die Vertragsbestimmungen verletzte, wurde die Produktion von Seiten der Konzerne weiter eingeschränkt, so dass die Staatseinnahmen sanken.192 Damit verfügten die Konzerne als alleinige Inhaber der Konzessionen über die Erdölfelder weiterhin über ein entscheidendes Machtinstrument.193 Die OPEC schaffte es trotzdem, für ihre Mitgliedstaaten das Profitverhältnis von 50:50 auf 70:30 zu erhöhen. Denn ein wirksames Instrument war ihr zumindest vorerst noch geblieben. Als am 4. Juni 1967 israelische Truppen in Ägypten einmarschierten und damit den Sechs-Tage-Krieg begannen, beschlossen die arabischen Staaten der OPEC einen Boykott gegenüber allen westlichen Staaten. Doch der Boykott wurde schnell auf Großbritannien und die USA eingeschränkt, die als Unterstützer Israels betrachtet wurden. Ein Grund für die Begrenzung war, dass sich der Iran und Venezuela nicht am Embargo beteiligten, sondern vielmehr davon profitierten. Ende Juni erkannte der saudischen König Faisal ibn Abdelaziz Al Saud, dass ein Boykott mit den entsprechenden Lücken nur den eigenen Interessen schaden würde, denn es entgingen allein Saudi Arabien Einnahmen in Höhe von rund 30 Millionen US-Dollar. Daraufhin beschloss der König, dass der in Saudi Arabien tätige Erdölkonzern ARAMCO194 den Export
192 Die Absprachen über die Einschränkung der Produktion waren ein gut gehütetes Geheimnis. Hätten die Förderländer davon gewusst, wären sowohl die Sieben Schwestern als auch die unabhängigen Konzerne unter starken Druck geraten. Sampson, Anthony (1976): Die Sieben Schwestern. Die Ölkonzerne und die Verwandlung der Welt; Rowohlt; Hamburg; S. 1972. 193 Odell, Peter R. (1968): The Significance of Oil; in: Journal of Contemporary History; Vol. 3; No. 3; S. 93-110; Sage Publications Ltd.; S. 103f.; Sampson, Anthony (1976): Die Sieben Schwestern. Die Ölkonzerne und die Verwandlung der Welt; Rowohlt; Hamburg; S. 166/168. 194 Zu dieser Zeit war Aramco ein Konsortium aus Standard Oil of New Jersey und Socony-Vacuum Oil (beide jetzt Exxon Mobil), Socal und Texaco. Erst im Jahre 1980 wurde Aramco zu einem reinen Staatskonzern, an dem die saudische Regierung 100 Prozent hielt umgebaut. Saudiaramco: Timeline Details; in: Saudiaramco Online; http://www.saudiaramco.com/irj/portal/anonymous?favlnk=%2FSau diAramcoPublic%2Fdocs%2FAt+A+Glance%2FOur+Story&ln=en; Zugriff:20.10.2008.
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2 Die Geschichte der Energiesicherheit am Beispiel Erdöl
im üblichen Maße wieder aufnehmen durfte. Woraufhin die anderen arabischen Staaten die Ausfuhren ebenso fortsetzten.195 Es hatte sich gezeigt, dass die OPEC auch im Bereich der politischen Nutzung der zu exportierenden Erdölmenge nur geringe Macht hatte. Die erneute Schließung des Suezkanals im Zuge des Sechs-Tage-Krieges hatte keine Wirkung gezeigt. Die inzwischen entwickelten Supertanker konnten den Kanal aufgrund ihres Tiefgangs nicht nutzen und fuhren um das Kap der Guten Hoffnung. Die USA, die neben Großbritannien Hauptbetroffene des Boykotts sein sollten, hatten das Embargo kaum wahrgenommen, da sie ihre Erdölimporte schon vorher diversifiziert hatten. Die OPEC-Mitglieder Iran, Venezuela und Libyen, die den Boykott unterliefen, konnten ihre Position auf dem europäischen und USamerikanischen Markt ausbauen und die Erhöhung ihrer Förderquoten gegenüber den anderen OPEC-Akteuren auch nach Ende des Embargos durchsetzen. Die Versorgungssicherheit der Abnehmerstaaten war durch das in diesem Falle machtlose Kartell OPEC nicht gefährdet.196
2.5 Der Machtwechsel in Libyen Eine Wende zeichnete sich erst am 1. September 1969 mit dem unblutigen Militärputsch von Muammar Gaddafi in Libyen ab. Das libysche Erdöl deckte aufgrund seiner hohen Qualität und der günstigen Marktlage197 im Jahre 1969 ein Viertel des europäischen Bedarfs. Mit diesem Wissen ausgestattet setzte Gaddafi die dort produzierenden US-amerikanischen Erdölkonzerne Exxon und Occidental (Oxy) unter Druck, den Posted Price für libysches Erdöl um vierzig US-Cent pro Barrel zu erhöhen. Als Exxon nicht nachgab, befahl er Oxy die Produktion im Mai und Juni 1970 von 680.000 Barrel auf 500.000 Barrel am Tag zurückzufahren. Oxy war ein junges Unternehmen, das sich auf dem internationalen Erdölmarkt zwar etabliert hatte, jedoch über wenig Marktanteile verfügte und stark auf die Förderung in Libyen angewiesen war. Aufgrund des Rückgangs der Produktion bekamen die Raffinerien des Konzerns nicht genügend Nachschub und die Oxy-Aktie verlor an Wert. Da Oxy von anderen Ölkonzernen keine Hilfe bekam lenkte der Vorsitzende des Unternehmens, Armand Hammer, schließlich ein und einigte sich mit Gaddafi. Der neue Vertrag sah vor, dass Oxy für ein 195
Sampson, Anthony (1976): Die Sieben Schwestern. Die Ölkonzerne und die Verwandlung der Welt; Rowohlt; Hamburg; S. 175. 196 Sampson, Anthony (1976): Die Sieben Schwestern. Die Ölkonzerne und die Verwandlung der Welt; Rowohlt; Hamburg; S. 175. 197 Der Lieferweg ist im Gegensatz zum Persischen Golf, dem Golf von Guinea und zu Venezuela nicht weit. Ferner müssen die Schiffe keine Meerengen passieren, die in Krisensituationen geschlossen werden können.
2.5 Der Machtwechsel in Libyen
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Barrel 30 US-Cent mehr bezahlte, diese Summe um zwei US-Cent per Annum über fünf Jahre steigerte und eine Steuererhöhung von 50 auf 58 Prozent hinnahm.198 Dadurch, dass Oxy dem Druck von Seiten der neuen libyschen Regierung nachgegeben hatte, konnte Gaddafi auch gegenüber den Sieben Schwestern seine Konditionen durchsetzen. Damit wurde das Monopol der Sieben Schwestern durch einen kleinen „freien“ Akteur auf dem Erdölmarkt durchbrochen. Nach der Entwicklung in Libyen trat in anderen OPEC-Staaten ein „Domino-Effekt“ ein, bei dem erst Irak, dann Algerien, Kuwait und der Iran eine Steuererhöhung auf 55 Prozent gegenüber den Erdölkonzernen forderten. Daraufhin traten am 9. Dezember 1970 die Mitglieder der OPEC in Caracas zusammen. Die dabei demonstrierte neue Einigkeit der Produzentenstaaten führte dazu, dass der Ölpreis für eine kurze Zeit bis Anfang 1971 zum Verhandlungsobjekt zwischen der OPEC und den Erdölkonzernen wurde. In der Zeitspanne zwischen 1969 und 1971 stieg der Preis für ein Barrel Erdöl von 1,80 US-Dollar auf 2,24 USDollar.199 Dazu kam, dass sich durch die Drosselungstaktik der OPEC im Jahre 1970, erstmals seit Bestehen des Kartells eine Ölknappheit abzeichnete. Im Jahresbericht der OPEC wurde das Jahr 1970 als Wendepunkt gekennzeichnet, an dem sich der Käufermarkt in einen Verkäufermarkt transformierte.200 D.h., dass erstmals in der Geschichte des Erdöls die Handlungshoheit des Konzernkartells hinsichtlich des Erdölpreises auf die Erdölproduzenten überging. Damit verloren aber auch die Abnehmerstaaten, deren Regierungen die Konzerne unterstützten, ihre Planungssicherheit bei der Erdölversorgung. Das Abkommen von Teheran vom 14. Februar 1971 und das Abkommen von Tripolis vom 20. März 1971 banden die Mitglieder der OPEC enger aneinander. Die Verträge erlaubten die Erhöhung des Jahrespreises pro Barrel Erdöl über einen Zeitraum von fünf Jahren, ungeachtet der Interessen der Sieben Schwestern.201 Erst danach musste der Preis unter den Mitgliedsstaaten und den westlichen Erdölkonzernen neu ausgehandelt werden. Auch dieses System trug zur friedlichen Kooperation zwischen Konzernen und Regierungen der Förder198
Chalabi, Fadhil J. (1997): OPEC: An Obituary; in: Foreign Policy; No. 109; S. 126-140; Carnegie Endowment for International Peace; S. 129; Sampson, Anthony (1976): Die Sieben Schwestern. Die Ölkonzerne und die Verwandlung der Welt; Rowohlt; Hamburg; S. 212. 199 Inflationsbereinigt nach der Kaufkraft des US-Dollar von 2006 stieg der Preis pro Barrel von 9,94 US-Dollar auf 11,21 US-Dollar. British Petroleum (2007): Statistical Review full workbook 2007; in: BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9017892&contentId=7033503; Zugriff: 05.02.2008. 200 Sampson, Anthony (1976): Die Sieben Schwestern. Die Ölkonzerne und die Verwandlung der Welt; Rowohlt; Hamburg; S. 215. 201 Lixfeld, Simon (2005): OPEC; in: Gieler, Wolfgang (HG.): Internationale Wirtschaftsorganisationen; S. 221-238; Lit. Verlag; Berlin, Hamburg, Münster; S. 224.
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länder bei, da sie den Markt weitestgehend stabilisierte und den OPEC-Staaten ihr regelmäßiges Einkommen garantierte. Allerdings endete diese Vorgehensweise mit der Erdölpreiskrise des Jahres 1973 genauso wie das System der Erdölkonzessionen, die im Besitz der Sieben Schwestern waren. Es kam zur radikalen Umgestaltung der internationalen Erdölindustrie und des Erdölmarktes.202 Bereits in den 1960er Jahren hatte die Entstehung und Entwicklung der OPEC als neuem Akteur auf dem internationalen Erdölmarkt und ihre steigende Macht einige grundlegende Überlegungen in den Abnehmerstaaten ausgelöst, da diese ihre Position zunehmend geschwächt sahen. Aufgrund von Ereignissen, wie der Suezkrise, ging zum Beispiel die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) davon aus, dass ein Kartell wie die OPEC die Wahrscheinlichkeit, dass es erneut zu einer Versorgungskrise kommen konnte erhöhte. Es bestand die Befürchtung, dass einzelne Produzentenstaaten die OPEC nutzen könnten, um ihre Interessen gegenüber der westlichen Welt durchzusetzen. Als Instrument dafür hatte die OPEC schon während des Sechs-Tage-Krieges im Jahre 1967 versucht, den Erdölexport in westliche Staaten zu unterbinden. Der erste Versuch war zwar gescheitert, allerdings arbeiteten die Mitgliedsländer der OPEC nach dem Erfolg Gaddafis enger zusammen. Sie hatten ein Gegenkartell zu den Sieben Schwestern etabliert, was ihnen ein Mitspracherecht bei der Preisbestimmung ermöglichte. Darüber konnten sie die Entwicklung ihrer Wirtschaft bestimmen, hatten aber auch mehr Einfluss auf die Versorgungssicherheit der Abnehmerstaaten. Mit fortschreitender Wirtschaftsentwicklung und der damit einhergehenden höheren Nachfrage nach Pkws, die sich nun von breiteren Schichten der Bevölkerung in den Industrienationen geleistet werden konnten, stieg die Abhängigkeit der europäischen Staaten vom Erdöl aus dem Nahen Osten. Es war erkennbar, dass erneute Versorgungsengpässe zunehmend gravierende Auswirkungen auf die Wirtschaftsentwicklung und den Lebensstandard der Industrienationen haben würden. Dies war ein Grund für den Rat der EWG am 20. Dezember 1968 eine Verpflichtung zu verabschieden, die die einzelnen Staaten anhielt, Mindestvorräte an Erdöl und Erdölerzeugnissen anzulegen. Die Vorräte sollten mindestens dem Tagesdurchschnitt des Inlandverbrauchs von 65 Tagen des vorhergehenden Kalenderjahres entsprechen. Die Vorräte sollten so bald wie möglich, spätestens jedoch bis zum 1. Januar 1971 angelegt und bei der Kommission angegeben werden.203 202
Chalabi, Fadhil J. (1997): OPEC: An Obituary; in: Foreign Policy; No. 109; S. 126-140; Carnegie Endowment for International Peace; S. 129. EWG (1968): Richtlinie 68/414/EWG des Rates vom 20. Dezember 1968 zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten der EWG, Mindestvorräte an Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen zu halten; Amtsblatt Nr. L 308 vom 23/12/1968 S. 0014 – 0016; in: EUR-Lex; http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ
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Aber auch bei den Sieben Schwestern wurde partiell eine Gefahr gesehen, dass die OPEC sich zu einem machtvollen Instrument der Mitgliedsstaaten entwickeln werde. Um dem entgegenzuwirken erweiterten sie ihre globalen Explorations- und Produktionstätigkeiten. Zwischen 1960 und 1966 stieg der Anteil der Produktion der Sieben Schwestern außerhalb Nordamerikas und der Sowjetunion von 72 auf 76 Prozent. Bspw. wurde in den Jahren zwischen 1964 bis 1967 von Exxon ein Explorationsprogramm in Nordamerika, Australien und in der Nordsee in Höhe von 700 Millionen Dollar durchgeführt. Anfang der 1970er Jahre begann daraufhin die Produktion in den neu gefundenen Erdölquellen in Südostaustralien, Kanada, Alaska und der Nordsee. Zudem stieg das Interesse an der VR China als Erdölproduzenten zur Versorgung der westlichen Märkte.204 So hatte die Gründung der OPEC mehrere Effekte auf die Energieversorgungsstrategie der Abnehmerstaaten, aber auch auf die Produzentenstaaten. Zwar konnten die einzelnen Akteure des Kartells zu Anfang von den Sieben Schwestern gegeneinander ausgespielt werden. Mit dem Machtwechsel in Libyen und der erfolgreichen Strategie Gaddafis gegenüber den Konzernen konnte die OPEC ihren Einfluss auf den internationalen Erdölmarkt jedoch stärken. Durch die zunehmende Absprache der Mitgliedsstaaten konnte die OPEC eine Transformation bei Erdöl vom Käufer- zum Verkäufermarkt in Gang setzen. Dadurch konnten die Produzentenstaaten die Gestaltung der Preise für Erdöl mitbestimmen und hatten eine größere Planungssicherheit bei wirtschaftlichen Programmen. Auf Seiten der Verbraucherstaaten lösten die Gründung der OPEC und deren Entwicklung zu einem funktionierenden Kartell verschiedene Gegenmaßnahmen aus. Zum einen wurde innerhalb der EWG strategische Erdölreserven angelegt und ein Solidaritätssystem im Falle von Versorgungsengpässen entwickelt. Zudem ermöglichte der steigende Erdölpreis die Aufnahme der kostenintensiveren Produktion des neu gefundenen Erdöls in der Nordsee, Nordamerika und Australien. Dadurch konnte die Diversifizierungsstrategie der Industrienationen ausgebaut und die Abhängigkeit von OPEC-Öl reduziert werden.
/LexUriServ.do?uri=CELEX:31968L0414:DE:NOT; Zugriff: 12.03.2008. 204 „Im Dezember 1969 gab die Nordsee ihr Öl her. Eine unabhängige amerikanische Gesellschaft namens Phillips erbohrte das riesige Vorkommen Ekofisk im norwegischen Sektor. Im folgenden Jahr gelang der BP ein Fund unweit von Aberdeen, und noch ein Jahr später fanden Shell und Exxon, die immer noch gemeinsam suchten, das Ölvorkommen Brent vor den Shetlandinseln. Die Nordsee war also lohnende Beute für die Gesellschaften und eröffnete für England eine ganz neue wirtschaftliche Perspektive. Die Schätzungen betreffend der Ergiebigkeit stiegen stetig, und bald stand fest, daß England seinen Bedarf auf dreißig Jahre hinaus selber würde decken können und dass auch die Norweger weit mehr gefunden hatten, als sie brauchten.“ Sampson, Anthony (1976): Die Sieben Schwestern. Die Ölkonzerne und die Verwandlung der Welt; Rowohlt; Hamburg; S. 181.
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Dennoch schützten diese Strategie der zunehmenden Diversifizierung der Erdölquellen und die Vorratshaltung von Erdöl die Staaten der EWG nicht vor der Erdölpreiskrise von 1973.
2.6 Die Erdölpreiskrise von 1973 Die Erdölpreiskrise des Jahres 1973 hatte sich über die letzten Jahre angebahnt. Trotz zunehmender Absprachen gab es nach wie vor die Konkurrenz um die Macht der Gestaltung des Ölpreises durch die freien Konzerne und die OPECStaaten. Zudem bauten die Konsumentenstaaten innerhalb der OECD ein „Verbraucher-Kartell“ auf. Dieses Verbraucher-Kartell versuchte über verschiedene Instrumente, wie den Aufbau von strategischen Reserven und der Diversifizierung der Erdölquellen und -produzenten die Macht der Konzerne und der OPEC zu unterlaufen, um selbst ein einflussreicherer Akteur zu werden. Allerdings benötigte die Diversifizierung der Erdölquellen viel Zeit, da zum Teil erst Explorationstätigkeiten in den einzelnen Staaten durchgeführt werden mussten. Nicht zuletzt deshalb konnte das Erdölembargo von 1973 zu einer Erdölpreiskrise führen. Nach dem 6. Oktober 1973, dem Beginn des Jom-KippurKrieges205, kam es zu einem Boykott der OPEC gegenüber den USA und den Niederlanden. Nach der Aufstockung der Waffenlieferungen an Israel und der in Aussichtstellung eines Militärhilfepaketes in Höhe von 2,2 Milliarden USDollar, stellte Saudi Arabien am 20. Oktober 1973 die Erdöllieferungen an die USA und an die Niederlande206 ein; andere OPEC-Staaten folgten dem Beispiel. Kurz darauf wurde das Embargo auf Portugal, Südafrika und Südrhodesien ausgeweitet.207 Allerdings gelang es den OPEC-Staaten – ausgenommen dem Iran und Irak – nicht, ihre „Ölwaffe“ auf diese Staaten zu beschränken. Das lag daran, dass Erdöl nicht auf verschiedenen Märkten, sondern auf einem Weltmarkt gehandelt 205
Am „Versöhnungstag“ (Jom-Kippur) am 6. Oktober 1973, begannen Ägypten am Suezkanal und Syrien auf den Golanhöhen einen Überraschungsangriff auf Israel. Trotz militärischer Überlegenheit der arabischen Staaten konnte Israel den Angriff abwehren und Teile der Sinaihalbinsel erobern. Diese wurden nach zwei Truppenentflechtungs-Abkommen von 1974 und 1975, die unter Vermittlung des damaligen US-Außenministers Henry Kissingers zwischen Israel und Ägypten zustande kamen, teilweise an Kairo zurückgegeben. Shlaim, Avi (1976): Failures in National Intelligence Estimates: The Case of the Yom Kippur War; in: World Politics; S. 348-380; Vol. 28; Nr. 3; John Hopkins University Press; S. 348f. 206 Die Niederlande boten zum einen ihre Flughäfen für Zwischenlandungen der US-Amerikaner an, zum anderen galten sie aufgrund ihres Zentrums für den internationalen Diamantenhandel als Unterstützer und traditionelle Freunde Israels. 207 Yergin, Daniel (1991): Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht; Fischer Verlag, Frankfurt am Main; S. 739.
2.6 Die Erdölpreiskrise von 1973
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wird, der von vielen gegenseitigen Abhängigkeiten bestimmt ist.208 Die Drosselung der Fördermenge zwischen Oktober und Dezember 1973 um fünf Millionen Barrel pro Tag auf 15,8 Millionen Barrel am Tag durch die OPEC und der Anstieg des Weltverbrauchs zwischen 1970 und 1973 um etwa sieben Prozent pro Jahr von 46,1 auf 56,3 Millionen Barrel pro Tag, verursachten eine weltweite Versorgungskrise. Das betraf auch Staaten, die von der OPEC als „freundlich“ eingestuft wurden. Die Auswirkungen des Engpasses auf die Weltwirtschaft wurden dadurch verstärkt, dass die OPEC-Staaten schon am 16. Oktober 1973 die Erhöhung des Posted Price um 70 Prozent auf 5,11 US-Dollar pro Barrel verkündet hatten. Dadurch sollte der Preis auf die Ebene des freien Spotmarktes angehoben werden.209 Die OPEC beschloss den Preis von nun an unilateral, also ohne Absprache mit den Konzernen festzulegen. Das Kartell entschied sich für diesen Kurs, da im Jahre 1973 Erdöl zu einem wesentlich höheren Preis auf dem Markt verkauft wurde, als es in der Vereinbarung von Teheran festgelegt war. Aus Sicht der OPEC handelte es sich also um einen Mehrgewinn für die Unternehmen, der nicht mit den Produzentenstaaten geteilt wurde. In verschiedenen Gesprächen über diesen Missstand wehrten die Konzerne aber eine Preiserhöhung ab, was schließlich zur einseitigen Preisanhebung durch die OPEC-Minister führte.210 Somit entwickelte sich das Embargo gegen die USA und die Niederlande gepaart mit dem Kampf um die Rechte bei der Erdölpreisfestlegung schnell zur ersten Ölpreiskrise, die in der Vervielfachung des Erdölpreises von 1,80 USDollar pro Barrel im Jahre 1970 auf 11,58 US-Dollar pro Barrel im Jahre 1974 gipfelte (Abb. 9).211 Davon betroffen waren vorwiegend die privaten und industriellen Verbraucher in den Abnehmerstaaten. Da die Sieben Schwestern versuchten, die Last des Embargos auf alle Verbraucherstaaten zu verteilen, gab es nicht nur in den USA und den Niederlanden lange Schlangen vor den Tankstellen, sondern auch in allen anderen Staaten der damaligen Europäischen Gemeinschaft (EG). Die westlichen Konzerne gerieten in eine Sonderposition: Auf der einen Seite woll208 Martin, William F.; Haffje, Evan M. (2005): The International Energy Agency; in: Kalicki, Jan H.; Goldwyn, David, L.: Energy and Security; S. 97-116; Woodrow Wilson Center Press; Washington; S. 99. 209 British Petroleum (2007): Statistical Review full workbook 2007; in: BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9017892&contentId=7033503; Zugriff: 05.02.2008; Yergin, Daniel (1991): Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht; Fischer Verlag, Frankfurt am Main; S. 734. 210 Chalabi, Fadhil J. (1997): OPEC: An Obituary; in: Foreign Policy; No. 109; S. 126-140; Carnegie Endowment for International Peace; S. 130. 211 British Petroleum (2007): Statistical Review full workbook 2007; in: BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9017892&contentId=7033503; Zugriff: 05.02.2008.
102
2 Die Geschichte der Energiesicherheit am Beispiel Erdöl
ten sie ihre Förderrechte in den OPEC-Staaten nicht verlieren; mussten also das Embargo unterstützen. Andererseits wurden sie von den Regierungen der USA, Großbritanniens und den Niederlanden unter Druck gesetzt, sich ihnen gegenüber loyal zu verhalten. Darüber beschwerten sich wiederum die Sieben Schwestern.212 Ihnen gelang es jedoch trotz ihrer Lage ihre Machtposition beizubehalten. Dank ihrer Infrastruktur an Erdöltankern, Raffinerien und dem Tankstellennetz, konnten nur sie den Rohstoff in veredelter Form und in ausreichendem Maße zum Endkunden bringen. Durch diese Tatsache schwand auch die Hoffnung der OPEC-Staaten, sie könnten sich über das Embargo der Sieben Schwestern als Zwischenhändler entledigen.213 Abbildung 9:
Die Entwicklung der Erdölpreise (1861-2007 (Dollar/Barrel))
Quelle: Auszug aus British Petroleum (2008): Statistical Review of World Energy; in: BP Online; http://www.deutschebp.de/liveassets/bp_internet/germany/STAGING/home_assets/assets/deutsche_b p/broschueren/de_statistical_review_of_world_energy_full_report_2008.pdf; Zugriff: 20.10.2008.
Schließlich beendeten die OPEC-Staaten gegen Ende des Jahres 1973 den Boykott gegenüber Europa, im März 1974 wurde das Embargo gegen die USA aufgehoben. Das Embargo, das zur Ölpreiskrise führte hatte drei Folgen: Erstens konnte die OPEC ihre Macht als Kartell unter Beweis stellen, was u.a. daran lag, dass auf der anderen Seite nur wenige Ölkonzerne standen. Hätten die OPEC212 Bspw. beschwerte sich ein Topmanager: „Wir wurden die Sklaven der ganzen Welt, von niemandem geliebt, von allen geschlagen und beschimpft.“ Sampson, Anthony (1976): Die Sieben Schwestern. Die Ölkonzerne und die Verwandlung der Welt; Rowohlt; Hamburg; S. 259. 213 Barudio, Günter (2001): Die Tränen des Teufels; Klett-Cotta; Stuttgart; S. 214f.
2.6 Die Erdölpreiskrise von 1973
103
Staaten ihr Erdöl an hundert Gesellschaften verkaufen müssen oder hätten alle Öltanker verschiedene voneinander autarke Eigner gehabt, dann wäre es wesentlich schwieriger gewesen ein Embargo durchzusetzen. Mit einer größeren Anzahl an Akteuren auf dem Erdölmarkt hätte es auch mehr Möglichkeiten gegeben, das Embargo zu unterlaufen. Ein zweiter Effekt war, dass die privaten Erdölkonzerne ihren Gewinn deutlich erhöhen konnten. So teilte Exxon Ende 1973 mit, dass ihre Gewinne im dritten Quartal des Jahres, im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um 80 Prozent gestiegen waren. Der Jahresgewinn des Unternehmens lag mit 2,5 Mrd. US-Dollar auf einem Allzeithoch bei privaten Unternehmen. Die Gewinne setzten sich zusammen aus den Erlösen für die eingelagerten Vorräte, die in ihrem Wert um ein Vielfaches gestiegen waren. Dazu kamen die höheren Einnahmen aus Rohölverkäufen und die Abwertung des US-Dollars durch den Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems (Kap. 2.8). Für die Konsumentenländer entstand der Eindruck, dass die Unternehmen mit den Erzeugerländern eng kooperierten, ganz so wie es den Interessen des Erdölministers Saudi Arabiens, Ahmed Zaki Yamani, entsprach.214 Eine dritte Folge war, dass einige Konsumentenstaaten die Überzeugung erlangten, dass sie sich auch zu einer Art Kartell zusammenschließen mussten, um die Machtposition der OPEC weiter zu schwächen.215 Die Machtmittel die ihr zur Verfügung standen, ließen sich zwar von der OPEC nur schwer steuern, dennoch führten sie in der Ölpreiskrise von 1973 zu einer Schwächung der Wirtschaft in den Abnehmerstaaten. Ziel war es also auch bei einem erneuten Embargo der OPEC gegen einen OECD-Mitgliedsstaat, die Deckung des Erdölbedarfs innerhalb der Organisation der Industrienationen zu garantieren. Zur Entwicklung einer gemeinsamen Energiesicherheitsstrategie und zur Kontrolle der Einhaltung 214
Sampson, Anthony (1976): Die Sieben Schwestern. Die Ölkonzerne und die Verwandlung der Welt; Rowohlt; Hamburg; S. 264. 215 Im Februar 1974 berief Henry Kissinger die 13 wichtigsten Erdölkonsumentenstaaten zu einer Konferenz in Washington ein, um eine Strategie gegen die OPEC zu entwickeln. Während der Konferenz kam es jedoch zu einem Eklat zwischen Frankreich auf der einen, Großbritannien, Deutschland und den USA auf der anderen Seite. Dies führte zu einer zweiten Konferenz in Frankreich, auf der die europäischen Regierungen mit den arabischen zusammen kamen. Trotz dieser Streitigkeiten gelang es jedoch Kissingers Lieblingskind zu gründen: die Internationale Energie Agentur (IEA). „Kissinger betrachtete sie [die IEA] im wesentlichen – obgleich er es nie öffentlich zugab – als ein Gegenkartell, das es mit der OPEC aufnehmen und sie möglichst auseinanderbrechen sollte; sein schneidiger Assistent Thomas Enders erklärte später, im April 1975, ganz offen, die Energiebehörde solle die OPEC letztlich spalten. Die europäischen Mitglieder hatten jedoch nicht die geringste Neigung, sich auf eine derartige Konfrontation einzulassen und zogen es vor, in einer friedlicheren Atmosphäre mit den OPEC-Ländern zu verhandeln.“ Sampson, Anthony (1976): Die Sieben Schwestern. Die Ölkonzerne und die Verwandlung der Welt; Rowohlt; Hamburg; S. 274f.; Martin, William F.; Haffje, Evan M. (2005): The International Energy Agency; in: Kalicki, Jan H.; Goldwyn, David, L.: Energy and Security; S. 97-116; Woodrow Wilson Center Press; Washington; S. 99.
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2 Die Geschichte der Energiesicherheit am Beispiel Erdöl
des Abkommens wurde die Internationale Energie Agentur (IEA) im Jahre 1973 von 16 Industrienationen gegründet. Im Jahre 1974 bezog sie als autarke Einheit innerhalb der OECD ihren Sitz in Paris.216 Das grundlegende Instrument der IEA war das International Energy Program Agreement von 1974. Darin verpflichteten sich die Mitglieder jeweils eine Erdölreserve in Höhe von 90 Tagen Importvolumen anzulegen, zur Vorsorge für eventuelle Unterbrechungen bei den Importen. Weitere Punkte der Vereinbarung sind die Reduzierung des Bedarfs, die Substitution von Erdöl durch andere Energieträger, die Diversifizierung der Produktionsstaaten, die Steigerung der eigenen Energieproduktion und der Aufbau eines Solidaritätsprinzips innerhalb der Mitgliedsstaaten, falls ein Mitglied einen Versorgungsengpass hat.217 Diese Regeln sind in ihren Grundsätzen bis heute gültig (Stand 2009) und bilden auch die Grundlage für Energiesicherheitsstrategien der EU, aber auch von Staaten, die nicht Mitglied in der IEA sind (Kap. 3.2). Der höhere Ölpreis führte nicht dazu, dass sich der Bedarf an Erdöl reduzierte. Gegen jegliche Vermutung stieg die weltweite Nachfrage zwischen 1972 und 1976 von 52,1 Millionen Barrel am Tag auf 58,4 Millionen Barrel am Tag. Es gab zwar nach einem Sprung auf 56,3 Millionen Barrel am Tag im Jahre 1973 einen leichten Einbruch beim Verbrauch auf 54,9 Millionen Barrel im Jahre 1975, eine Bewusstseinsänderung im Hinblick auf den Umgang mit dem Energieträger konnte jedoch nicht festgestellt werden.218 Durch die Explorationen in der Nordsee, in Alaska, Kanada und Australien, die jetzt dank des höheren Ölpreises rentabel waren, schien es eher, dass die Abhängigkeit vom Nahen Osten so weit reduziert werden konnte, dass eine zweite Ölpreiskrise nicht eintreten könnte. Allerdings ging der Anteil der OPEC an den weltweiten Exporten in den Jahren zwischen 1973 und 1979 nur von 86,1 Prozent auf 79,2 Prozent, d.h. um 6,9 Prozent, von 27,2 Millionen Barrel am Tag auf 26,5 Millionen Barrel am Tag zurück. Dennoch funktionierte in Westeuropa die Diversifizierungsstrategie. Dort verringerten sich die Importe aus OPECStaaten von 13,6 Millionen Barrel am Tag im Jahre 1973 auf 10,3 Millionen Barrel am Tag im Jahre 1979. In den USA hingegen ist für diesen Zeitraum ein diametral gegenläufiger Trend zu verzeichnen. Dort nahmen die Importe im selben Zeitraum von 2,3 Millionen Barrel am Tag auf 5,0 Millionen Barrel am Tag zu (Abb. 10).219 216
IEA: About the IEA; in: IEA Online; http://www.iea.org/about/index.asp; Zugriff: 20.10.2008. IEA (2007): Response System for Oil Supply Emergencies; OECD/IEA; Paris; S. 3. 218 British Petroleum (2008): Statistical Review of World Energy; in: BP Online; http://www.deutschebp.de/liveassets/bp_internet/germany/STAGING/home_assets/assets/deutsche_b p/broschueren/de_statistical_review_of_world_energy_full_report_2008.pdf; Zugriff: 20.10.2008. 219 OPEC (2005): Annual Statistical Bulletin 2004; OPEC; Wien; S. 32. 217
2.6 Die Erdölpreiskrise von 1973
105
Abbildung 10: Die Erdölexporte der OPEC nach Regionen (1969-2007) 30000
1.000 Barrel am Tag
25000
20000
Total World Western Europe
15000
Japan United States
10000
Germany
5000
19 69 19 72 19 75 19 78 19 81 19 84 19 87 19 90 19 93 19 96 19 99 20 02 20 05 20 08
0
Quelle: OPEC (2005): Annual Statistical Bulletin 2004; OPEC; Wien; S. 32; OPEC (2008): Annual Statistical Bulletin 2007; OPEC; Wien; S. 32.
Der stark gestiegene Ölpreis und ein zunehmendes ökologisches Bewusstsein führten in der EG zu einer Reduzierung des Verbrauchs, wohingegen in den USA keine Appelle zur Einsparung von Erdöl griffen. Der Trend zum vermehrten Konsum von Erdöl zeigte sich aber auch in Entwicklungs- und Schwellenländern. So stieg der Konsum in der VR China in den Jahren von 1973 bis 1979 von 1,1 Millionen Barrel am Tag auf 1,8 Millionen Barrel am Tag, die allerdings über die heimische Produktion abgedeckt werden konnten. Weltweit erhöhte sich der Verbrauch trotz steigenden Ölpreises von 56,3 Millionen Barrel am Tag auf 64,3 Millionen Barrel am Tag.220 So führte die Erdölpreiskrise von 1973 zu mehreren Veränderungen auf dem Welterdölmarkt und hatte weitreichende Folgen für die Energiesicherheitsstrategie der OECD-Staaten. Durch die bessere Zusammenarbeit konnten die Mitgliedsstaaten der OPEC die Organisation zur Durchsetzung ihrer Interessen nutzen. Sie konnten nun auch ohne Absprache mit den Erdölkonzernen den Preis für das Erdöl zumindest Zeitweise selbst bestimmen. Sie konnte für einen gewis220
British Petroleum (2008): Statistical Review of World Energy; in: BP Online; http://www.deutschebp.de/liveassets/bp_internet/germany/STAGING/home_assets/assets/deutsche_b p/broschueren/de_statistical_review_of_world_energy_full_report_2008.pdf; Zugriff: 20.10.2008.
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2 Die Geschichte der Energiesicherheit am Beispiel Erdöl
sen Zeitraum den Käufer- zum Verkäufermarkt umgestalten. Allerdings wurde ihre Macht durch die Gründung der IEA wieder geschwächt. Der Zusammenschluss der OECD-Staaten zur IEA stellte dem Produzentenkartell ein Verbraucherkartell gegenüber. Durch die Instrumente, die im International Energy Program Agreement aufgestellt worden waren, konnten vor allem die Staaten der EU ihre Abhängigkeit von den Importen aus dem Nahen Osten reduzieren. Die Ölpreiskrise von 1974 und die Gründung der IEA stellen das klassische Beispiel für die Notwendigkeit einer Diversifizierungsstrategie. Der höhere Erdölpreis, der zu autofreien Sonntagen in Deutschland führte und die Mobilität der Bevölkerung einschränkte, war für die Diversifizierungsstrategie dennoch nötig. Erst durch den höheren Preis wurde die Förderung bspw. des teureren Nordseeöls wirtschaftlich rentabel. Im ostasiatischen Raum führte Japan nach der ersten Erdölpreiskrise eine Diversifizierungsstrategie durch. Nachdem ein Projekt zur Produktion von russischem Erdöl in Tyumen für den japanischen Markt gescheitert war, importierte Japan Erdöl aus Indonesien, VR China und Brunei. Diese Erdölimporte, speziell diejenigen aus China, waren aus zwei Gründen signifikant für den Inselstaat. Erstens konnte Japan seine Abhängigkeit vom Erdöl aus dem Nahen Osten reduzieren. Zweitens war es eine Chance, die wirtschaftlichen Beziehungen zu China zu verbessern. Japan konnte die Volksrepublik dadurch mit nötigem Kapital für ihre Modernisierung versorgen und den eigenen Marktzugang verbessern.221 Inzwischen gab es auch von ost- und südasiatischen Erdölverbraucherländern Versuche, dem Vorbild der OECD-Staaten zu folgen und eine Organisation Erdöl importierender Staaten zu gründen. So trafen sich am 6. Januar 2005 die Ölminister Chinas, Japans und Südkoreas zusammen mit acht OPECProduzenten in Indien, um die Bildung einer „Organisation for Oil Importing Countries“ zu diskutieren. Ziel der Vereinigung sollte die Sicherung einer stabilen Erdölversorgung für Asien zu günstigen Preisen sein. Zudem fand am 25. November 2005 ein Treffen der asiatischen Ölminister (Indien, Japan, Südkorea, China und Türkei) zusammen mit den entsprechenden Ministern aus Russland, Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan und Aserbaidschan statt. Hierbei wurde ein 13 Punkte umfassender Aktionsplan zur Entwicklung der asiatischen Erdölund Erdgaswirtschaft verabschiedet. Dieser umfasst auch die Erkundung alternativer Verbindungen der Kaspischen Region mit Südasien.222 Neben der Gründung bzw. der Diskussion über die Etablierung von Verbraucherkartellen sind allerdings auch die anderen Instrumente wie der Auf221 Liao, Xuanli (2007): The petroleum factor in Sino-Japanese relations: beyond energy cooperation; in: International Relations of the Asia-Pacific; Volume 7; S. 23–46; Oxford; S. 28. 222 Lynn, Gillian Goh Hui (2006): China and India: Towards Greater Cooperation and Exchange; in: China: An International Journal; Nr. 4.2; S. 263-284.
2.7 Die Erdölpreiskrise von 1979
107
bau einer strategischen Erdölreserve, das Solidaritätsprinzip, Einsparungen beim Verbrauch von Erdöl und die Substitution hin zu anderen Energieträgern bis heute (Stand 2009) wichtige Elemente in der Energiesicherheitsstrategie der UNO, der IEA, der EU und der VR China – fast aller Erdöl importierenden Staaten (Kap. 3). Trotz dieser gut durchdachten Ansätze wovon die meisten, wie aufgezeigt, aus historischen Erfahrungen resultieren, konnte es 1979 erneut zu einer Erdölpreiskrise kommen.
2.7 Die Erdölpreiskrise von 1979 Insgesamt blieb trotz der zunehmenden Produktion in der Nordsee und in Alaska eine hohe Abhängigkeit der westlichen Abnehmerstaaten vom Erdöl aus dem Nahen Osten und somit den OPEC-Staaten mit 79,2 Prozent vorläufig erhalten. Dadurch waren auch die Auswirkungen von Krisen und Kriegen in der strategischen Ellipse, in der sich 71 Prozent der konventionellen Erdölreserven und 69 Prozent der Erdgasreserven befinden (Abb. 11), auf den Welterdölmarkt weiterhin deutlich spürbar. Ein Beispiel hierfür ist die zweite große Erdölpreiskrise in den Jahren 1978 bis 1980. Ausgelöst wurde diese durch die Ereignisse im Iran von 1978. Mit der Revolution der religiösen Kräfte um Ayatollah Khomenei und der Flucht des Schahs entstand im Iran ein islamisch geprägter Staat.223 Am Sturz des Schahs und damit auch der schiitischen Revolution hatten nicht zuletzt die Arbeiter in der Erdölindustrie einen bedeutenden Anteil. Sie drehten Ende des Jahres 1978 den Exporthahn zu. Zwar standen sie nicht uneingeschränkt auf Seiten der neuen Herrscher, sahen jedoch ob ihrer Situation keine andere Möglichkeit, als sich in die Geschehnisse einzumischen. Die resultierende Einbuße auf dem Weltmarkt von rund fünf Millionen Barrel am Tag wandelte einen geringfügigen weltweiten Produktionsüberschuss an Erdöl in eine Angebotsknappheit um.224 Mit der Besetzung der US-amerikanischen Botschaft in Teheran durch Anhänger der neuen iranischen Regierung kam es endgültig zu einem Zerwürfnis mit den USA. Der Schah hatte in Washington als ein enger Verbündeter gegolten. Sein Regime sollte unter allen Umständen aufrechterhalten werden, auch wenn dieses Ziel innerhalb der US-Administration zu verheerenden Fehleinschätzungen führte. So brachte Präsident Carter noch am Silvesterabend 1977 einen Trinkspruch auf den Schah aus: „Der Iran unter der glanzvollen Regierung 223
Stobaugh, Robert (1979): Nach dem Knick – das „feindliche Öl”; in: Stobaugh, Robert; Yergin, Daniel (Hg.): Harvard Energie Report; S. 27-80; Bertelsmann; München; S. 43. 224 Stobaugh, Robert (1979): Nach dem Knick – das „feindliche Öl”; in: Stobaugh, Robert; Yergin, Daniel (Hg.): Harvard Energie Report; S. 27-80; Bertelsmann; München; S. 43.
108
2 Die Geschichte der Energiesicherheit am Beispiel Erdöl
des Schahs ist eine Insel der Stabilität inmitten einer ansonsten eher Problem beladenen Region der Welt. […] Hiermit drücke ich Ihnen, Majestät, meine allergrößte Hochachtung aus für Ihre Regierung und für die Achtung, Bewunderung und Liebe, die Ihr Volk Ihnen entgegenbringt.“225 Abbildung 11: Die „Strategische Ellipse“
Quelle: Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe: Konventionelles Erdöl; in: BGR Online; http://www.bgr.bund.de/cln_011/nn_331182/DE/Themen/Energie/Bilder/Ene__Erdoel__allg__BI LD2__g.html; Zugriff: 05.02.2007.
Die Situation nach der Revolution im Iran ließ den Staat nach außen hin instabil erscheinen. Bis die Regierung das Land stabilisieren konnte wurde Zeit benötigt. Diesen Zustand versuchte der irakische Präsident Saddam Hussein für seine Interessen auszunutzen. Unterstützt durch westliche Staaten aber auch von der Sowjetunion erkannte er eine Chance das Territorium des Iraks zu erweitern und seine panarabischen Ideen umzusetzen. Der darauffolgende acht Jahre währende erste Golfkrieg (1980-1988) hatte immense Auswirkungen auf die Produktionskapazitäten und entzog dem Weltmarkt in etwa acht Millionen Barrel Erdöl am Tag. In Verbindung mit dem Embargo der USA gegen den Iran führte dies zur zweiten Erdölpreiskrise. Im Laufe der Krise stieg der Ölpreis erneut und erreichte ein Rekordhoch von über 40 US-Dollar pro Barrel. Dies führte wiederum zu einer Versorgungskrise in den westlichen Industriestaaten. Allerdings konnte die 225
Stobaugh, Robert (1979): Nach dem Knick – das „feindliche Öl”; in: Stobaugh, Robert; Yergin, Daniel (Hg.): Harvard Energie Report; S. 27-80; Bertelsmann; München; S. 42f.
2.7 Die Erdölpreiskrise von 1979
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Krise durch die Instrumente der Energiesicherheitsstrategie der IEA abgefedert werden. Sie führte letztlich zur weiteren Diversifizierung der Erdölimporte der EU, die die Abhängigkeit von Nahost-Öl bis zum Jahre 2008 auf unter 40 Prozent reduzierte. Im Gegensatz dazu ist die Abhängigkeit der ostasiatischen Staaten wie China und Japan vom Erdöl aus der Region des Persischen Golfes gestiegen (Abb. 12).226 In der Diversifizierungspolitik hinsichtlich der NichtOPEC-Staaten der Erdölverbraucherländer, gerieten in der zweiten Erdölpreiskrise auch die mexikanischen und chinesischen Erdölvorräte in den Blickpunkt westlichen Interesses.227 Die Förderleistung der VR China hatte in den 1960er Jahren rapide zugenommen, aber ebenso der Verbrauch, so dass im Jahre 1982 etwa eine Viertelmillion Barrel täglich für den Export zur Verfügung standen. Ende der 1970er Jahre schätzten US-Erdölexperten, dass die chinesische Erdölausfuhrkapazität innerhalb von zehn Jahren bis auf zwei Millionen Barrel am Tag ansteigen könnte. Aber selbst dieser Wert, der ohnehin nie erreicht wurde (Abb. 13), hätte die saudi-arabische Position nie erschüttern können. Darüber hinaus – so die weitere Einschätzung der US-Erdölexperten – hätten die neuen Lieferanten in Amerika, Europa, Afrika und Asien kaum freie Förderkapazitäten aufbauen können, so dass keine Regulierungsmöglichkeit für plötzliche Nachfragesprünge oder Produktionsverkürzungen der OPEC existieren werden. Für die US-Strategen war somit klar, dass Saudi-Arabien seine Schlüsselstellung auf dem internationalen Rohölmarkt auch in absehbarer Zukunft behaupten werde.228
226 Starke Auswirkungen hatte sowohl die erste als auch die zweite Erdölpreiskrise auf Entwicklungsund Schwellenländer. Vor allem die Staaten, die keine Währungsreserven bilden konnten und ihre Erdöleinkäufe zu den nun weitaus höheren Preisen über externe Schulden auf privaten Kapitalmärkten absichern mussten. Abgefedert werden sollten diese Kredite wiederum über spezielle „Fazilitäten“ des Internationalen Währungsfonds (IWF). Allerdings scheiterte diese Finanzpolitik Anfang der 1980er Jahre, als die Inflation des US-Dollars mit extremen Zinssteigerungen der Zentralbank der USA (Fed) abgewehrt wurde. Die Auswirkungen für die in US-Dollar verschuldeten Entwicklungsländer war ein „Zinsschock“ der dem „Ölpreisschock“ folgte. Der „Zinsschock“ führte schließlich dazu, dass die verschuldeten Staaten ihre Schulden nicht mehr „ordentlich“ bedienen konnten und sie in eine Schuldenfalle führte. Altvater, Elmar; Mahnkopf, Birgit (1999): Grenzen der Globalisierung; Westfälisches Dampfboot; Münster; S. 208. 227 Seit der Öffnungspolitik Deng Xiaopings mit den Wirtschaftsreformen von 1978, verdoppelte sich die Exportquote der Volksrepublik innerhalb weniger Jahre. Loebeck, Paula (2004): Globalisierung, Armut und Ungleichheit seit 1980; in: Berichte zu globalen Entwicklungsfragen; S. 193-195; GIGA; Hamburg; S. 194f. 228 Stobaugh, Robert (1979): Nach dem Knick – das „feindliche Öl”; in: Stobaugh, Robert; Yergin, Daniel (Hg.): Harvard Energie Report; S. 27-80; Bertelsmann; München; S. 50.
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Abbildung 12: Erdöl: Hauptexportrouten weltweit (2007)
Quelle: British Petroleum (2008): Statistical Review of World Energy; in: BP Online; http://www.deutschebp.de/liveassets/bp_internet/germany/STAGING/home_assets/assets/deutsche_b p/broschueren/de_statistical_review_of_world_energy_full_report_2008.pdf; Zugriff: 20.10.2008.
So behielten die USA im Gegensatz zur EU ihre Verpflichtung als Großabnehmer für Erdöl aus Saudi Arabien bei. Schon während des Zweiten Weltkriegs richtete die US-Regierung eine Öl-für-Sicherheit-Partnerschaft mit SaudiArabien ein, in deren Rahmen die USA die saudischen Streitkräfte trainierten und logistisch betreuten. Ein Manager aus der Ölbranche erklärte dem damaligen US-Präsident Franklin D. Roosevelt im Jahre 1941, dass König Ibn Saud „am Verzweifeln“ sei und schleunigst sechs Millionen Dollar benötige. Washington reagierte mit Beihilfen nach dem am 18. Februar 1941 verabschiedeten LeihPacht-Gesetz.229 Die Vorläuferorganisation des heutigen Nationalen Sicherheitsrats der USA bekräftigte 1945 nochmals die Bedeutung Saudi-Arabiens mit der Erklärung: „Es liegt in unserem nationalen Interesse dafür zu sorgen, dass dieser
229 Das Leih-Pacht-Gesetz bevollmächtigte den US-amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt den Staaten kriegswichtige Güter zur Verfügung zu stellen, die gegen die Achsenmächte im zweiten Weltkrieg kämpften. Krüger, Verena (1999): Lend-Lease-Act; in: Universität Klagenfurt Online; http://eeo.uni-klu.ac.at/index.php/Lend-Lease-Act; Zugriff: 20.04.2009.
2.7 Die Erdölpreiskrise von 1979
111
lebenswichtige Rohstoff [das saudi-arabische Öl] in amerikanischen Händen bleibt.“230 Abbildung 13: Chinesische Exportkapazität bei Erdöl (1965-2007) 6000 4000
1.000 Barrel am Tag
2000 0 Produktion -2000
Verbrauch Exportkapazität
-4000 -6000 -8000
19 65 19 69 19 73 19 77 19 81 19 85 19 89 19 93 19 97 20 01 20 05
-10000
Quelle: British Petroleum (2008): Statistical Review of World Energy; in: BP Online; http://www.deutschebp.de/liveassets/bp_internet/germany/STAGING/home_assets/assets/deutsche_b p/broschueren/de_statistical_review_of_world_energy_full_report_2008.pdf; Zugriff: 20.10.2008.
Das enge Bündnis wurde 1980 weiter gefestigt, als Präsident Carter in der so genannten Carter Doktrin den freien Transport von Erdöl aus dem Persischen Golf als ein vitales Interesse der USA definierte: „The region [the Middle East] which is now threatened by Soviet troops in Afghanistan is of great strategic importance: It contains more than two-thirds of the world's exportable oil. The Soviet effort to dominate Afghanistan has brought Soviet military forces to within 300 miles of the Indian Ocean and close to the Straits of Hormuz, a waterway through which most of the world's oil must flow. The Soviet Union is now attempting to consolidate a strategic position, therefore, that poses a grave threat to the free movement of Middle East oil. This situation demands careful thought, steady nerves, and resolute action, not only for this year but for many years to come. It demands collective efforts to meet this new threat to security in the Persian Gulf and in Southwest Asia. It demands the participation of all those who rely on oil from the Middle East and who are con230
Stobaugh, Robert (1979): Nach dem Knick – das „feindliche Öl”; in: Stobaugh, Robert; Yergin, Daniel (Hg.): Harvard Energie Report; S. 27-80; Bertelsmann; München; S. 33.
112
2 Die Geschichte der Energiesicherheit am Beispiel Erdöl cerned with global peace and stability. And it demands consultation and close cooperation with countries in the area which might be threatened. Meeting this challenge will take national will, diplomatic and political wisdom, economic sacrifice, and, of course, military capability. We must call on the best that is in us to preserve the security of this crucial region. Let our position be absolutely clear: An attempt by any outside force to gain control of the Persian Gulf region will be regarded as an assault on the vital interests of the United States of America, and such an assault will be repelled by any means necessary, including military force.”231
Zur Durchsetzung dieses Interesse etablierte das Pentagon 1983 das CENTCOM zur Koordinierung militärischer Aktivitäten in Greater-Middle-East und errichtete ein System von Militärbasen, die inzwischen von der britischen Insel Diego Garcia im Indischen Ozean kommandiert werden. Diese Infrastruktur diente auch zur Unterstützung der Militäroperationen im Irak 1991 und 2003 und in Afghanistan 2001.232 Trotz der „Öl-für-Sicherheit-Partnerschaft mit Saudi Arabien floss das meiste OPEC-Öl schon im Jahre 1980 nicht in die USA, sondern nach Asien und Westeuropa (Abb. 10). An diesem Trend hat sich bis ins Jahr 2007 nicht viel geändert, außer dass der Importanteil Europas am Erdöl aus dem Persischen Golf weiter sank (Abb. 12). Die Sicherungskosten der USA in den Regionen, die von Diego Garcia aus überwacht werden, wurden im Jahre 2000 in Friedenszeiten auf rund 50 Milliarden US-Dollar jährlich, in Kriegszeiten auf über 200 Milliarden US-Dollar veranschlagt.233 Die USA bezogen im Jahre 2000 jedoch nur 65 Millionen Tonnen Erdöl im Wert von elf Milliarden US-Dollar aus der PersischenGolf-Region; im Jahre 2007 waren es 110 Millionen Tonnen für ca. 47 Milliarden US-Dollar. Die Erdöltransporte aus der Region in Richtung USA hatten einen Anteil von nur etwa 16 Prozent an den gesamten Erdölimporten des Landes.234 Folglich bedeutet das, dass die US-Regierung Unsummen an Dollar investiert, um die Erdölversorgung vorwiegend der asiatischen Staaten – darunter 231
Carter, Jimmy (1980): State of the Union Address 1980; in: Jimmy Carter Library Online; http://www.jimmycarterlibrary.org/documents/speeches/su80jec.phtml; Zugriff: 20.04.2009. 232 Abdolvand, Behrooz (2008): Die kaspischen Energieressourcen und die geoökonomischen Interessen der USA: Die Kaspische Region in einer multipolaren Welt; VDM Verlag; Saarbrücken; S. 447; Klare, Michael; Volman, Daniel (2006): America, China & the Scramble for Africa’s Oil; in: Review of African Political Economy; Volume 33, Number 108, S. 297-309; Routledge; S. 298. 233 Johnson, Chalmers (2000): Ein Imperium verfällt; Karl Blessing; München; S. 120. 234 British Petroleum (2008): Statistical Review of World Energy; in: BP Online; http://www.deutschebp.de/liveassets/bp_internet/germany/STAGING/home_assets/assets/deutsche_b p/broschueren/de_statistical_review_of_world_energy_full_report_2008.pdf; Zugriff: 20.10.2008; Umbach, Frank (2002): Zukünftige Auswirkungen der energiepolitischen Abhängigkeit Chinas und Asiens vom Mittleren Osten und von Zentralasien; in: Reiter, Erich (Hg.): Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2000; Band 2; S. 191-220; Hamburg, Berlin, Bonn; S. 211
2.8 Die Erdölwährung US-Dollar
113
auch die VR China – aus der krisen- und konflikthaften Persischen-Golf-Region zu garantieren. Die militärische Sicherung von Transportwegen ist ein Teil jeder Energiesicherheitsstrategie (Kap. 3.1). Dennoch scheint es auf den ersten Blick, dass diese Sicherung der US-Marine aus wirtschaftlicher Perspektive unrentabel ist. Dies gilt vor allem, da seit einigen Jahren chinesische und russische Erdölkonzerne in der Region tätig sind, was die USA zu Zeiten des Kalten Krieges nicht toleriert hätten. Zudem beteiligen sich Russland und China nicht an den Sicherungskosten – auch nicht indirekt, denn diese werden nicht auf den Erdölpreis angerechnet.235 Die USA betreiben diese Sicherungspolitik weiter, obwohl es bedeutend kostengünstiger wäre, die Erdölimporte in die Vereinigten Staaten aus Venezuela, Mexiko und Kanada auszubauen. Die Gründe hierfür liegen für die USRegierung vor allem darin, die Leitwährungsrolle des US-Dollars beizubehalten, aber auch ihr weltweites System der Überwachung der Seehandelswege aufrecht zu erhalten. Zudem können die USA über ihr Netz von Militärbasen, schnell im Sinne einer Containmentpolitik ein Bedrohungsszenario gegenüber den Staaten in der Region aufbauen, die eine Politik verfolgen, die konträr zu den Interessen der USA verläuft. Das gilt einerseits für energiereiche Staaten wie den Iran oder bis vor ein paar Jahren Libyen. Das hat aber auch Bedeutung für die Kontrolle der Erdöltanker, die vom Mittleren Osten und aus dem Golf von Guinea kommend Erdöl nach China transportieren. Somit ergeben die hohen Kosten, die die USA für die Kontrolle der Region bezahlen müssen für die Energiesicherheitsstrategie des nordamerikanischen Landes kaum einen Sinn. Im Gegensatz dazu profitieren u.a. die EU, China und Japan von der US-Sicherung ihrer Handelswege. Der Nachteil für diese Akteure ist jedoch, dass sie grundlegende Konflikte mit den USA vermeiden müssen, um nicht von einem Embargo durchgesetzt durch die US-Marine betroffen zu sein. Insofern rechnet sich die jährliche Investition von Milliarden von US-Dollar auch für die USA, nämlich durch die weitestgehende Kontrolle der Seetransportwege – und dadurch indirekt auch der Energiesicherheit Chinas – und der Staaten der Region.
2.8 Die Erdölwährung US-Dollar Neben den oben genannten politischen Ereignissen im Nahen Osten hatte die Gestaltung des Weltwirtschaftssystems, wie zum Beispiel der Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems im Jahre 1973, weitreichende Bedeutung für die 235
Abdolvand, Behrooz; Adolf, Matthias; Bechberger, Mischa (2005): Geoökonomie des Weltenergiemarktes; in: Reiche, Danyel (Hrsg.): Grundlagen der Energiepolitik; S.291-314; Peter Lang Verlag; Frankfurt am Main; S. 292.
114
2 Die Geschichte der Energiesicherheit am Beispiel Erdöl
Entwicklung der Energiepreise und im Besonderen für die weitere Entwicklung des Erdölpreises. Nach dem 2. Weltkrieg hatten die USA, deren Territorium kaum von Kriegshandlungen betroffen war, einen Anteil von 60 Prozent am Weltbruttosozialprodukt (WBSP). Der US-Dollar war in Wirtschaftskreisen ab Mitte der 1940er Jahre hoch angesehen und galt „so gut wie Gold“. Letztlich sogar noch besser als Gold, da mit ihm Zinsen erwirtschaftet werden konnten und die Transferkosten wesentlich geringer waren als die des Edelmetalls. Folglich wurde der US-Dollar als Leitwährung im so genannten Bretton-Woods-System etabliert. Die Leitwährung wurde innerhalb dieses Systems an das Gold gebunden. Der Preis für eine Feinunze Gold betrug 35 US-Dollar. Das heißt, die übrigen Währungen waren nicht wie bisher nach dem so genannten „Goldstandard“ direkt, sondern über den US-Dollar indirekt an das Gold gebunden. Innerhalb dieses Devisenwährungssystems bestimmte die Zentralbank, in diesem Falle die Zentralbank der USA (FED), die Knappheit des Geldes. Daraus resultierte für die USA der so genannte Seignorage-Effekt.236 Der Seignorage-Vorteil bedeutet, dass das nationale Geld gleichzeitig Weltwährung und somit internationales Kaufmittel ist. Dadurch können die USA, durch die Möglichkeit der Schöpfung von Geld und Krediten, Ansprüche auf das Wertprodukt anderer nationaler Wirtschaften „drucken“. Damit finanzieren die Vereinigten Staaten ihren Kapitalexport und bezahlen die Transnationalisierung von US-Konzernen. Ein weiterer wichtiger Vorteil ist, dass sich die USA ein hohes Handelsbilanzdefizit und eine hohe Staatsverschuldung237 erlauben können, ohne Sorge über Zahlungsunfähigkeit oder den Schuldendienst haben zu müssen (Abb. 14). Die FED kann nämlich durch die Abwertung der Währung, das heißt durch die Erhöhung der Geldmenge, dafür sorgen, dass der Transfer von Dollarforderungen in das jeweilige Gläubigerland hohe Kursverluste nach sich zieht. Allerdings haben die USA diese Vorzüge nur so lange, wie der US-Dollar als Leitwährung Gültigkeit besitzt. Sollte der Weltwährungsstatus verloren gehen, müssten auch die USA harte Devisen erwerben, um ihre Schulden abzutragen oder sich eventuell auch neue Kredite über den Internationalen Währungsfond (IMF) besorgen.238
236
Altvater, Elmar; Mahnkopf, Birgit (1999): Grenzen der Globalisierung; Westfälisches Dampfboot; Münster; S. 206. 237 Am 6. Juli 2009 betrug die Staatsverschuldung der USA 11,5 Billionen US-Dollar. Brillig: U.S. National Debt Clock; in: Brillig Online; http://www.brillig.com/debt_clock/; Zugriff: 06.07.2009. 238 Altvater, Elmar; Mahnkopf, Birgit (1999): Grenzen der Globalisierung; Westfälisches Dampfboot; Münster; S. 384 f.
2.8 Die Erdölwährung US-Dollar
115
Abbildung 14: Handelsbilanz 1960-2008 100000
Millionen US-Dollar
0 -100000 -200000 -300000 -400000 -500000 -600000 -700000
19 60 19 63 19 66 19 69 19 72 19 75 19 78 19 81 19 84 19 87 19 90 19 93 19 96 19 99 20 02 20 05 20 08
-800000
Quelle: Bureau of Economic Analysis (2009): U.S. International Transactions, 1960-present; http://www.bea.gov/international/index.htm#bop; Zugriff: 08.05.2009.
Seit dem Ende des 2. Weltkriegs hat sich aber die weltweite wirtschaftliche Situation grundlegend verändert. Der Anteil der USA am WBSP hat sich im Laufe der Jahrzehnte verringert. Das liegt daran, dass sich die EU, Japan und die asiatischen Tigerstaaten – nicht zuletzt auch zunehmend an die VR China – durch ihre wirtschaftliche Entwicklung ein größeres Gewicht in der globalen Weltwirtschaft erarbeitet haben. Der US-Dollar büßte an Wert ein und unterlag damit einer Inflation. Zudem ging auch der Anteil der USA an den weltweiten Goldreserven zurück. Hatten die USA Anfang der 1950er Jahre noch rund 70 Prozent der Weltgoldreserven, waren es im Jahre 1970 nur noch knapp 30 Prozent.239 Die inflationäre Dollarmenge, die so genannten Eurodollar, war für den Wertverlust des Dollars verantwortlich und führte in eine Weltwährungskrise. Vor allem die Regierungen Deutschlands und Frankreichs übten ab Ende der 1960er Jahre zunehmend Druck auf die Nixon-Regierung aus. Sie verlangten die Anpassung des Goldpreises an den ständigen Wertverlust des US-Dollars. Ansonsten, so die Drohung, würden sie ihre Devisenreserven sofort in den USA gegen Gold eintauschen – eine Goldmenge, die der US-Regierung jedoch nicht zur Verfügung stand. Anfang der 1970er Jahre wurden schließlich die Goldbin-
239
Abdolvand, Behrooz; Adolf, Matthias (2003): Verteidigung des Dollars mit anderen Mitteln; in: Blätter für deutsche und internationale Politik; S. 175-185; Februar 2003; Berlin; S. 178f.
116
2 Die Geschichte der Energiesicherheit am Beispiel Erdöl
dung des US-Dollars und damit die festen Wechselkurse aufgehoben und durch einen freien Devisenkurs ersetzt.240 Dennoch gelang es der US-Regierung durch geschickte Diplomatie, die Leitwährungsrolle des US-Dollar nach Zusammenbruch des Bretton-WoodsSystems im Jahre 1973 weiter aufrecht zu erhalten. So schickte die USRegierung zum Beispiel ihren Finanzminister William Simon im Jahre 1974 nach Saudi Arabien. Dort erreichte er ein geheimes Abkommen mit dem Königshaus, dem zufolge die saudische Zentralbank US-Treasury Securities außerhalb der normalen Auktionen erwerben konnte. Ein paar Jahre später reiste der Finanzminister Michael Blumenthal ebenfalls nach Saudi Arabien und schloss dort einen weiteren geheimen Vertrag ab, in dem sich die OPEC verpflichtete auch weiterhin ihr Erdöl in US-Dollar zu verkaufen. Geheim mussten diese Verträge bleiben, da die USA anderen Industrieländern versprochen hatten, solche unilaterale Politik nicht zu betreiben.241 Durch die Aufrechterhaltung des US-Dollars als weltweites Zahlungsmittel für den strategisch relevanten Energieträger Erdöl, waren andere Staaten darauf angewiesen, weiterhin hohe Devisenreserven in der Leitwährung anzulegen. Durch die Aufhebung der Bindung an das Gold fingen die Wechselkurse an zu schwankten. Allerdings wurden die meisten Waren in US-Dollar gehandelt, was dazu führte, dass ab 1973 auch der Erdölpreis volatil wurde. Die Devisenreserven wurden also dazu benutzt, sich gegen diese Volatilität abzusichern.242 Ein anderer Grund, warum sich der US-Dollar als internationales Zahlungsmittel für Erdöl durchgesetzt haben dürfte, ist der „traditionelle“ Anteil, den die Leitwährung am Handel mit dem Energieträger auch schon vor dem Jahre 1973 innehatte. Zum Beispiel bildeten für das nach dem 2. Weltkrieg in Wiederaufbau befindliche Westeuropa Erdölimporte den höchsten Budgetposten. Da allerdings die Hälfte der Erdölimporte von US-Konzernen abgewickelt wurde, wurden diese auch in US-Dollar bezahlt. Zwischen 1948 und 1952 sollen bis zu 20 Prozent der Hilfe, die über den Marshall-Plan nach Westeuropa geleitet wurden, in den Import von Erdöl und Raffinerietechnologie geflossen sein.243 So diente der Marshall-Plan zum Wiederaufbau Westeuropas, der Finanzierung von
240
Abdolvand, Behrooz (2008): Die kaspischen Energieressourcen und die geoökonomischen Interessen der USA: Die Kaspische Region in einer multipolaren Welt; VDM Verlag; Saarbrücken; S. 182. 241 Spiro, David E. (1999): The Hidden Hand of American Hegemony; Cornell University Press; New York; S. x. 242 Chapman, John: The Real Reasons Bush Went to War; in: The Guardian; http://www.guardian.co.uk/print/0,3858,4980254-103677,00.html; Zugriff: 28.07.2004. 243 Kneisel, Karin (2006): Der Energiepoker. Wie Erdöl und Erdgas die Weltwirtschaft beeinflussen; FinanzBuch; München; S. 154.
2.8 Die Erdölwährung US-Dollar
117
US-Erdölkonzernen und der Festigung des US-Dollars in seiner Bedeutung als Leitwährung. Die doppelte Funktion des US-Dollars auch bei hoher Staatsverschuldung und immensem Handelsbilanzdefizit aufrecht zu erhalten, setzen die USA vielfältige Mittel ein. Ein Beispiel ist die Intervention der USA im Irak im Jahre 2003. Ende des Jahres 2000 hatte Präsident Saddam Hussein sich entschieden, sein Erdöl nur noch in Euro und nicht mehr in US-Dollar zu verkaufen. Die VR China kündigte Ende 2001 an, ihre Devisenreserven zu einem großen Teil in Euro einzutauschen. Im Jahre 2002 überlegte die iranische Regierung öffentlich, ob sie ihr Erdöl in Zukunft zu 70 Prozent in Euro verkaufte. Zusammengenommen löste Saddam Hussein damit einen Angriff des Euro auf die Leitwährungsrolle des US-Dollar aus. Mit einem schnellen Verlust der Leitwährungsrolle könnten die USA aber ihr Doppeldefizit nicht länger auf Kosten der restlichen Welt aufrechterhalten. Die USA benötigen zur Finanzierung ihrer Schulden einen Finanzzufluss von rund 2,6 Milliarden US-Dollar am Tag. Dieser würde versiegen, sobald der US-Dollar seine Doppelrolle verlöre. Dann hätte kein Staat mehr ein Interesse daran US-Dollarreserven anzulegen. Es gäbe einen schnellen Wechsel zu einer anderen Leitwährung und die USA wären bankrott. U.a. um dies zu verhindern intervenierten die USA im Irak. Damit statuierten sie ein Exempel und sicherten dem US-Dollar die Leitwährungsrolle.244 Während der Zeit des Bretton-Woods-Systems, in dem der US-Dollar mit einem festen Kurs an den Goldpreis gebunden war, war der Preis für Erdöl recht stabil. Er schwankte zwischen den Jahren 1945 und 1972 zwischen 1,60 und 1,90 US-Dollar pro Barrel. Dies änderte sich schlagartig mit der Einrichtung des neuen Weltwährungssystems von 1973. Seitdem reagiert der Ölpreis auf aktuelle politische und finanzpolitische Ereignisse empfindlich. Er stieg aufgrund der Abschaffung der festen Wechselkurse in den Jahren 1971 bis 1973, des JomKippur-Krieges im Jahre 1973 sowie des darauf folgenden Öl-Embargos auf etwa elf US-Dollar pro Barrel. Mit dem ersten Golfkrieg im Jahre 1980 und den daraus resultierenden Produktionskürzungen im Iran und Irak erreichte er über 40 US-Dollar pro Barrel (Abb. 9). Der Produktionsrückgang in den beiden Staaten wurde zum Teil durch den Ausbau der Erdölförderung in Europa, Afrika und Amerika, vor allem aber durch die Steigerung der Produktion in Saudi Arabien ausgeglichen. Durch die erneute Sättigung des Marktes und die Einführung des so genannten „netback pricing“245 244
Abdolvand, Behrooz (2008): Die kaspischen Energieressourcen und die geoökonomischen Interessen der USA: Die Kaspische Region in einer multipolaren Welt; VDM Verlag; Saarbrücken; S. 181f. 245 Dabei werden die Ölpreise aus der Differenz der Produktpreise, die die Raffinerien erzielen können und einem fixen Gewinn abgeleitet. Die Raffinerien waren daher an einem möglichst großen
118
2 Die Geschichte der Energiesicherheit am Beispiel Erdöl
in Saudi Arabien fiel jedoch der Preis bis zum Jahre 1986 auf 13 US-Dollar pro Barrel. Erst mit dem Einmarsch irakischer Truppen in Kuwait im Jahre 1990 stieg der Preis wieder auf 23 US-Dollar pro Barrel an. Folglich hatte sich der Ölpreis bis Mitte der 1990er Jahre – von wenigen Ausnahmen abgesehen – zwischen 15 und 20 US-Dollar pro Barrel eingependelt (Abb. 9).
2.9 Marktmechanismus oder Spekulation? Der nächste Erdölpreisverfall wurde durch die Asienkrise eingeleitet. Im Zeitraum zwischen Mitte 1996 bis Ende 1998 fiel der Ölpreis auf unter zehn USDollar pro Barrel. Um ihre Interessen zu schützen und die Produktion von Grenzreserven246 wirtschaftlich rentabel zu halten, versuchte die OPEC noch einmal ihre Macht als Kartell geltend zu machen. Sie beschloss die Drosselung der Erdölproduktion, um den Preis in die Höhe zu treiben. Allerdings hielt sich bspw. der Irak nicht an diese Vereinbarung und erhöhte die Förderung. Trotzdem reichte dies aus, um den Ölpreis auf 28 US-Dollar pro Barrel im Jahre 2000 anzuheben. Erst der 3. Golfkrieg, der mit der Invasion der Koalition der Willigen unter Federführung der USA im Jahre 2003 begann, trieb den Preis auf 50 USDollar pro Barrel (Abb. 15). Das lag weit über dem von der OPEC angestrebten Korridor von 22 bis 28 US-Dollar pro Barrel, der für die Stabilisierung des Erdölmarktes gedacht war. Wird von der These ausgegangen, dass sich der Preis für Erdöl nur nach Angebot und Nachfrage bestimmt, überrascht diese Entwicklung, da die OPEC mehrmals ihre Erdölförderung erhöht hatte, der Preis jedoch trotzdem auf das neue Rekordhoch von 50 US-Dollar pro Barrel angestiegen war.247 Die These der Preisbestimmung für Erdöl ausschließlich durch Angebot und Nachfrage gerät auch ins Wanken, wenn die Preisentwicklung zwischen den Jahren 1999 und Anfang 2009 analysiert wird. Der Ölpreis stieg zwischen 1999 und Mitte des Jahres 2008 kontinuierlich bis auf etwa 150 US-Dollar pro Barrel. Danach fiel er jedoch innerhalb von drei Monaten unter 40 US-Dollar pro Barrel. Absatz interessiert, und zwar unabhängig vom Preis, der dabei erzielt werden konnte. Das führte in kurzer Zeit zu Überproduktion und zu drastischen Preisverfall. Mabro, Robert (1987): Netback Pricing and the Oil Collapse of 1986; Oxford Energy Studies; S. 5f. 246 Grenzreserven sind jene Erdölvorkommen, deren Produktion zur Deckung der Nachfrage gerade noch notwendig ist. Sie sind in der Förderung am teuersten und bestimmen normalerweise den Mindestpreis für Erdöl. 247 Horn, Manfred (2004): OPEC hält Preise auf hohem Niveau; Wochenbericht des DIW Online; http://www.diw.de/deutsch/wb_8/04_opec_haelt_lpreise_auf_hohem_niveau_neuorientierung_ihrer_ preispolitik/31152.html; Zugriff: 21.04.2009; British Petroleum (2008): Statistical Review of World Energy; in: BP Online; http://www.deutschebp.de/liveassets/bp_internet/germany/STAGING /home_assets/assets/deutsche_bp/broschueren/de_statistical_review_of_world_energy_full_report_2 008.pdf; Zugriff: 20.10.2008.
2.9 Marktmechanismus oder Spekulation?
119
Daraufhin stieg der Preis bis Juli 2009 wiederum auf 70 US-Dollar pro Barrel (Abb. 15). Abbildung 15: Erdölpreisentwicklung 2002-2009
Quelle: Manager Magazin Online; http://boersen.manager-magazin.de/spo_mmo/kurse_einzelkurs_ charts.htm?u=0&p=0&k=0&s=BRENTDAT.RSM&l=276& b=400&n=Brent%20Oil%20Spot&popup =0&zeit=100000&d1=38&d2=200&vergleich=0&typ=0; Zugriff: 02.07.2009.
Zumindest in den Jahren 2003 bis 2005 wurde häufig die VR China für den Preisanstieg verantwortlich gemacht. In vielen Pressemitteilungen wurde die These vertreten, dass die rapide Zunahme des Verbrauchs in China aufgrund der prosperierenden Wirtschaft den Erdölmarkt überlastete.248 Allerdings hätte der Preis dann Mitte des Jahres 2008 nicht rapide auf 36 US-Dollar pro Barrel fallen dürfen, denn der Verbrauch von Erdöl in China und anderen Schwellenländern nahm weiterhin zu. Auch wenn in Abb. 16 der Konsum von Erdöl in China nur bis Ende des Jahres 2007 abgebildet ist, ist ein deutlicher Trend abzulesen, der sich aufgrund des Wirtschaftswachstums nicht einfach umkehren lässt und sich noch über Jahre hinziehen wird.
248
Logan, Jeffrey (2005): Energy Outlook for China: Focus on Oil and Gas; Hearing on EIA’s Annual Energy Outlook for 2005; Committee on Energy and Natural Resources; U.S. Senate 3 February 2005; http://www.iea.org/textbase/speech/2005/jl_china.pdf; 12.08.2007; S. 3.
120
2 Die Geschichte der Energiesicherheit am Beispiel Erdöl
Abbildung 16: Erdölproduktion und -konsum USA – China im Vergleich (19652007) 25000
Millionen Tonnen
20000
Produktion - China
15000
Verbrauch - China Produktion - USA 10000
Verbrauch - USA
2005
2001
1997
1993
1989
1985
1981
1977
1973
1969
0
1965
5000
Quelle: British Petroleum (2008): Statistical Review of World Energy; in: BP Online; http://www.deutschebp.de/liveassets/bp_internet/germany/STAGING/home_assets/assets/deutsche_b p/broschueren/de_statistical_review_of_world_energy_full_report_2008.pdf; Zugriff: 20.10.2008.
Was an den Trends auffällig ist, ist die Tatsache, dass die Produktion von Erdöl in China zunimmt und so die Differenz zwischen Förderung und Konsum, die durch Importe gedeckt werden muss, sich nicht so schnell vergrößert, wie dies in den USA der Fall ist. Zudem ist die VR China seit dem Jahr 1993 Nettoimporteur von Erdöl, womit die Argumentation hinfällig ist, dass der Anstieg des Energieverbrauchs in der Volksrepublik überraschend im Jahre 2003 einsetzte.249 Gegenüber einer so stark ausgeprägten Volatilität des Erdölpreises war auch die OPEC vollkommen machtlos. Sie erhöhte zwischen 2007 und 2008 mehrere Male die Förderkapazität von Erdöl, um das scheinbare Angebotsdefizit auszugleichen. Allein in Saudi Arabien stieg die Förderquote innerhalb eines Jahres um zehn bis 15 Prozent. Dennoch stieg der Ölpreis ungehindert weiter. Und auch als der Preis ab Mitte des Jahres 2008 wieder rapide fiel, hatte die Einschränkung
249
Horn, Manfred (2004): OPEC hält Preise auf hohem Niveau; Wochenbericht des DIW Online; http://www.diw.de/deutsch/wb_8/04_opec_haelt_lpreise_auf_hohem_niveau_neuorientierung_ihrer_ preispolitik/31152.html; Zugriff: 21.04.2009; British Petroleum (2008): Statistical Review of World Energy; in: BP Online; http://www.deutschebp.de/liveassets/bp_internet/germany/STAGING /home_assets/assets/deutsche_bp/broschueren/de_statistical_review_of_world_energy_full_report_2 008.pdf; Zugriff: 20.10.2008.
2.9 Marktmechanismus oder Spekulation?
121
der Förderkapazität der OPEC um mehrere Millionen Barrel am Tag keinen Einfluss.250 Die Anhebung oder Senkung der Fördermenge des Rohöls der OPEC konnte keinen Einfluss auf den Erdölpreis haben, da die Märkte gesättigt waren. Folglich kann die dritte Ölpreiskrise auch nicht auf den Marktmechanismus von Angebot und Nachfrage zurückgeführt werden. Und auch politische Ereignisse zeigten dieses Mal keine Auswirkungen auf den Preis. Selbst als im Vorfeld des Krieges zwischen Russland und Georgien im August 2008 in der Türkei ein Sprengstoffanschlag auf die BTC-Pipeline verübt wurde und dem Weltmarkt 850.000 Barrel Erdöl am Tag fehlten, hatte das keine Folgen. Der Ölpreis fiel bis September 2008 weiter unter die 100 US-Dollar pro Barrel Marke.251 Dies bestätigt die Argumentation der OPEC-Produzenten. Das Kartell sah vor allem Spekulationen, Steuern, die in den Industrieländern auf Kraftstoffe erhoben werden und den Kaufkraftverlust des US-Dollar als Hauptgründe der Ölpreissteigerung.252 Vor allem nach dem Beginn der so genannten SubprimeKrise Mitte des Jahres 2007 begann auf dem Erdölmarkt eine Rally. Aufgrund des zusammenbrechenden Immobilienmarktes in den USA flüchteten Spekulanten in den Rohstoffmarkt, was zu Preissteigerungen bei Metallen, Agrarprodukten und fossilen Energieträgern führte.253 Ein solcher Trend, dass Spekulanten aus zusammenbrechenden Marktsparten in den anscheinend für sie dann sicheren Rohstoffmarkt flüchten ist allerdings kein neues Phänomen. Schon beim Zusammenbruch der New Economy im Jahre 2001 war eine solche Bewegung auf den Internationalen Finanz- und Rohstoffmärkten zu verzeichnen. Auch als die Internet-Blase platzte gab es eine Kapitalflucht aus der New Economy in den Handel mit Rohstoffen und hier vor allem mit den so genannten Futures.254 250 FTD: OPEC - Schöne neue Ölwelt; in: FTD Online; http://www.ftd.de/meinung/kommentare /:Leitartikel%20Opec%20Sch%F6ne%20%D6lwelt/373550.html; Zugriff: 17.06.2008; Worth, Robert F.; Mouawad, Jad: Oil Prices Rise After Saudi Meeting; in: New York Times Online; http://www.nytimes.com/2008/06/23/business/worldbusiness/23iht-24oil.13922939.html; Zugriff: 23.06.2008; Bayer, Tobias: OPEC senkt Fördermenge; in: FTD Online; http://www.ftd.de/boersen_maerkte/aktien/rohstoffe/:Weniger-Nachfrage-Opec-senkt-%D6lF%F6rdermenge/411253.html; Zugriff: 10.09.2008. 251 Watkins, Eric: Fire-damaged BTC oil line could have 5-week shutdown; in: Oil & Gas Journal Online; http://www.ogj.com/articles/save_screen.cfm?ARTICLE_ID=336608; Zugriff: 07.08.2008. 252 Finanznachrichten: OPEC fordert Eindämmung von Öl-Spekulationen; in: Finanznachrichten Online; http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2009-01/12958098-opec-fordert-eindaemmun g-von-oel-spekulationen-009.htm; Zugriff: 28.01.2009. 253 Manager-Magazin: Rohstoffe; in: Manager-Magazin Online; http://boersen.manager-ma gazin.de/spo_mmo/kurse_einzelkurs_uebersicht.htm?s=BRENTDAT&b=400&l=276&n=OIL%20in %20USD; Zugriff: 20.11.2008. 254 Futures sind Terminkontrakte, die eine rechtlich bindende Verpflichtung beinhalten, zu einem festgelegten Zeitpunkt in der Zukunft eine bestimmte Menge einer Ware zu kaufen oder zu verkau-
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2 Die Geschichte der Energiesicherheit am Beispiel Erdöl
Allerdings hat die Mehrheit der Börsenteilnehmer an der New York Mercantile Exchange (NYMEX) oder der Londoner Stock Exchange kein Interesse eine Tankerladung Erdöl auch real geliefert zu bekommen. Vielmehr sind sie daran interessiert, kurzfristige Gewinne zu erzielen. Dazu versuchen sie die zukünftige Marktentwicklung einzuschätzen und spekulieren auf steigende oder fallende Kurse. Dabei verhelfen sie einerseits dem Markt zu größerer Liquidität und übernehmen Risiken, die Hedger255 abzugeben versuchen. Andererseits können Spekulanten jedoch auch die Volatilität des Erdölpreises verstärken – vor allem, wenn sie mit den wirtschaftlichen und technischen Bedingungen der Erdölindustrie nicht vertraut sind.256 Welchen Einfluss ein einzelner Spekulant auf den Erdölpreis haben kann, verdeutlichte Steve Perkins, Börsenhändler beim Londoner Rohstofftrader PVM Oil Associates, am 30. Juni 2009. Um zwei Uhr morgens kaufte er Futures für acht Millionen Barrel Erdöl, woraufhin andere Akteure an der Börse nachzogen. Innerhalb von kürzester Zeit wurden Futures für 16 Millionen Barrel Erdöl gehandelt, was den Preis für ein Barrel der Referenzmarke Brent um 2,5 US-Dollar von 71 auf 73,5 US-Dollar in die Höhe trieb. Das war bis dahin der höchste Stand seit acht Monaten. Zwar wurde das Verhalten von Steve Perkins als „nicht autorisierter Handel“ bewertet und brachte PVM Verluste in der Größenordnung von zehn Millionen US-Dollar ein, aber der Fall zeigt, wie ein einzelner Händler den Preis manipulieren kann. Zudem verdeutlicht er, dass die Instrumente, die von den Kontrollbehörden eingerichtet wurden, um den spekulativen Handel mit Futures einzugrenzen, noch nicht ihre volle Wirksamkeit entwickelt haben. Am 30. Juni 2009 wurden die britische Financial Services Authority und die USamerikanische Commodity Futures Trading Commission – die zuständigen Kontrollbehörden – stundenlang nicht informiert.257 fen. Die Kontrakte sind zur Kontrolle der Qualitäten, Mengen und Lieferbedingungen standardisiert und beziehen sich im Erdölmarkt nur auf ein beschränktes Spektrum an Produkten – Rohöl, Benzin, Diesel und Heizöl. Erdöl-Vereinigung (2005): Erdöl – Preisbildung auf dem Ölmarkt; ErdölVereinigung; Zürich; S. 9; Meyer-Bukow, Barbara: Der Ölmarkt hat sich von den Fundamentaldaten entfernt; in: FAZ Online; http://www.faz.net/s/Rub58BA8E456DE64F1890E34F4803239 F4D/Doc~E0A2FB8C3C0C344DD862FF1715CE5D55B~ATpl~Ecommon~Sspezial.html; Zugriff: 23.05.2008. 255 Hedger sind Marktteilnehmer, die sich anhand von Futures und Optionen gegen Marktrisiken abzusichern versuchen. Mineralölwirtschaftsverband (2004): Preisbildung am Rohölmarkt; Mineralölwirtschaftsverband; Hamburg; S. 22. 256 Erdöl-Vereinigung (2005): Erdöl – Preisbildung auf dem Ölmarkt; Erdöl-Vereinigung; Zürich; S. 11. 257 Spiegel Online: Einzelner Händler trieb Ölpreis auf Jahreshoch; in: Spiegel Online; http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,634063,00.html; Zugriff: 03.07.2009; Blas, Javier: PVM Blames $10m Loss on Unauthorised Trades; in: Financial Times Online; http://www.ft.com/cms/s/0/48365f5c-676a-11de-925f-00144feabdc0.html?nclick_check=1; Zugriff: 03.07.2009; Kaminska, Izabella; Blas, Javier: Questions Grow over Oil Spike Brokerage; in: Finan-
2.9 Marktmechanismus oder Spekulation?
123
Der gesamte Einfluss des Faktors der Spekulation auf den internationalen Erdölpreis ist enorm. In den Jahren zwischen 2003 und 2007 soll die Nachfrage aus der VR China von 1,88 auf 2,8 Milliarden Barrel pro Jahr zugenommen haben. Das ist eine Steigerung von 920 Millionen Barrel. Im selben Zeitraum soll die Nachfrage über die Futures-Märkte um 848 Millionen Barrel pro Jahr gestiegen sein. Das bedeutet, dass das Nachfragewachstum, für das Spekulanten an den Terminmärkten verantwortlich sind, fast so groß ist wie jenes, das von China ausgeht. Die Einkäufe der Spekulanten im Zeitraum zwischen 2003 und 2007 entsprechen einem Gegenwert von rund 1,1 Milliarden Barrel Erdöl, die nach wie vor „auf Halde“ liegen. Diese Menge kommt der achtfachen Größe der strategischen Erdölreserven der USA, beziehungsweise der Deckung des weltweiten Verbrauchs an Erdöl von 13 Tagen des Jahres 2007 gleich.258 Eine Studie des US-Repräsentantenhauses kam zu dem Schluss, dass im Jahre 2008 Spekulanten 71 Prozent aller Erdölkontrakte – ein Erdölkontrakt entspricht in New York 1.000 Barrel Erdöl – an der NYMEX gehalten haben. Im Jahre 2000 waren es nur 37 Prozent.259 Während im Jahre 2002 noch 45,7 Millionen Erdölkontrakte gehandelt wurden, ist diese Zahl bis Ende 2007 auf 121,5 Millionen angestiegen. Die virtuellen Umsätze in diesem Sektor sind damit sprunghaft angewachsen. Pro Tag verbraucht die Weltbevölkerung ca. 86 Millionen Barrel Erdöl, das Handelsvolumen ist jedoch 15-mal so groß. Der USKongress kam in einer Anhörung im Dezember 2007 zu dem Ergebnis, dass die „Spekulation auf dem Rohölmarkt“ für exorbitante Steigerung der Erdölpreise mit verantwortlich ist. So sollten zu dieser Zeit 45 Prozent aller Erdölkontrakte von Spekulanten gehalten worden sein. Das sei dreimal so viel, wie noch zur Jahrtausendwende. Dem Ausschussvorsitzenden der Anhörung, Carl Levin zufolge, würde allein durch diese Tatsache Erdöl mindestens 20 US-Dollar mehr kosten, als wenn der Preis allein durch Angebot und Nachfrage entstanden wäre.260 Allerdings ist der Markt für Erdöl nach wie vor zweigeteilt. Während 40 Prozent des Erdöls frei an der Börse gehandelt werden, sind 60 Prozent an langfristige Verträge gebunden. Die Preise in diesen Verträgen werden durch das System des formula pricing gestaltet. Demzufolge orientiert sich der Preis für das gelieferte Erdöl am Durchschnittspreis der Future-Märkte des Vormonats. cial Times Online; http://www.ft.com/cms/s/0/96ba3ac6-680b-11de-848a-00144feabdc0.html#; Zugriff: 03.07.2009. 258 Energie- und Rohstoffe: Argumente für eine stärkere Regulierung der Rohstoffmärkte; in: FAZ Online; http://www.faz.net/s/Rub58BA8E456DE64F1890E34F4803239F4D/Doc~E57844E12E9D04 ABF981400EB012B973E~ATpl~Ecommon~Sspezial.html; Zugriff: 27.05.2008; . 259 Bayer, Tobias: Spekulation über Ölspekulanten; in: FTD Online;
erkte/aktien/marktberichte/377107.html?nv=nl; Zugriff: 08.07.2008. 260 Balzli, Beat; Hornig, Frank: Energie: Die Ölpreis-Treiber; in: Der Spiegel; Nr. 9/2008, S. 80.
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2 Die Geschichte der Energiesicherheit am Beispiel Erdöl
Dabei dient die US-amerikanische Erdölsorte West Texas Intermediate (WTI) als Maßstab für Erdöl, das nach Nordamerika verkauft wird. Die Erdölsorte Brent aus der Nordsee gilt als Referenz für den Verkauf nach Europa und Afrika, während Erdöl aus Dubai-Oman für die Preisbestimmung des asiatisch-pazifischen Marktes angelegt wird.261 Da sich das Erdöl, das über langfristige Verträge gehandelt wird, an den Terminmärkten orientiert, löst jede Preisveränderung bei so genannten PaperBarrels eine Preisveränderung beim Handel mit realem Erdöl aus. Die Flucht der Spekulanten erst aus der zusammengebrochenen New Economy, später aus der platzenden Immobilienblase in die Rohstoffmärkte, war ein maßgeblicher Grund dafür, dass der Erdölpreis Mitte des Jahres 2008 auf ungefähr 150 US-Dollar pro Barrel steigen konnte. Durch den hohen Ölpreis wurden wiederum Aktien der Erdölkonzerne für Investoren attraktiv, was den Unternehmen immense Gewinne bescherte. Andererseits haben diese Investitionen in die Aktien der Konzerne einen psychologischen Effekt auf den Erdölpreis, was die Volatilität des Preises begünstigt.262 Für den darauf einsetzenden Erdölpreisverfall von knapp 150 US-Dollar pro Barrel auf ungefähr 37 US-Dollar pro Barrel Anfang des Jahres 2009, war vorwiegend der internationale politische Druck auf die Terminmärkte verantwortlich. Laut einer Studie des Hedge-Fonds Master Capital Management zogen aufgrund des steigenden Drucks und der härteren Überwachung die Anleger, die auf steigende Rohstoffpreise gewettet hatten, innerhalb von zwei Monaten rund 39 Milliarden US-Dollar aus den Terminmärkten ab.263 Allerdings zeichnen sich neben dem Einfluss der Spekulation noch andere Faktoren für die Volatilität des Erdölpreises verantwortlich. Wie oben aufgezeigt, gelang es den USA auch nach dem Zusammenbruch des Bretton-WoodSystems, Erdöl in der nationalen und Weltwährung US-Dollar zu handeln. Seit Anfang der 1970er Jahre musste die US-Wirtschaft aber weitere Teile am WBSP an andere Staaten übertragen. Dadurch durchlief auch der US-Dollar weiterhin eine Inflation. Dieser Wertverfall wurde durch Krisen, wie den Niedergang der New Economy von 2001 und der Subprimekrise von 2007, die sich dann zur Weltwirtschaftskrise ausweitete, beschleunigt (Abb. 17). Unterstützt wurde die Inflation auch durch die massiven Konjunkturpakete der USA, um den Krisen zu 261
Abdolvand, Behrooz; Liesener, Michael (2009): Was treibt den Ölpreis?; in: WeltTrends Zeitschrift für internationale Politik, S. 93-103; Jg. 17, Nr. 65, März/April 2009. FAZ Online: Energie: Petrofac-Aktie begleitet den Ölpreis nach oben; in: FAZ Online; http://www.faz.net/s/RubF3F7C1F630AE4F8D8326AC2A80BDBBDE/Doc~E65458F4AD5EB48D 2B12B50C8BF27826D~ATpl~Ecommon~Scontent.html; 02.07.2008. 263 FAZ Online: Ölmarkt: Ölanleger haben mit Verkäufen den Preisverfall ausgelöst; in: FAZ Online; http://www.faz.net/s/Rub58BA8E456DE64F1890E34F4803239F4D/Doc~E2B9FC4DBEBA34E17B 35C385F72D9AF69~ATpl~Ecommon~Sspezial.html; Zugriff: 10.09.2008. 262
2.9 Marktmechanismus oder Spekulation?
125
begegnen.264 Dementsprechend wurde der US-Dollar gegenüber anderen Währungen stärker über mehrere Jahrzehnte abgewertet. Das wiederum trieb den Erdölpreis in die Höhe, da der Kaufkraftverlust des US-Dollars in Korrelation mit den Produkten steht, die auf den internationalen Märkten in der Leitwährung gehandelt werden (Abb. 15 u. 17). Abbildung 17: Entwicklung des Wechselkurse Euro/US-Dollar 2000-2009
Quelle: Manager Magazin Online; http://boersen.manager-magazin.de/spo_mmo/kurse_einzelkurs_ charts.htm?u=0&p=0&k=0&s=BRENTDAT.RSM&l=276&b=400&n=Brent%20Oil%20Spot&popu p=0&zeit=100000&d1=38&d2=200&vergleich=0&typ=0; Zugriff: 07.07.2009.
Der Erdölpreis wird also durch mehrere Faktoren bestimmt. Erstens haben Spekulanten, die in verschiedenen Wirtschaftskrisen in die Rohstoffmärkte fliehen, einen entscheidenden Einfluss auf den Preis. Zweitens ist die Inflation des USDollars, in dem der Rohstoff zu über 90 Prozent gehandelt wird, maßgeblich an der Preisgestaltung beteiligt. Drittens haben politische Ereignisse, wie der Beginn des Irakkriegs, kurzfristige Auswirkungen auf den Preis, die so genannte Risikoprämie. Viertens hat nach wie vor der Marktmechanismus, der durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird, einen Anteil an der Entwicklung des Ölpreises. Auch wenn hierbei die Diversifizierung der Erdölimporte der Verbrau264 Im Februar 2009 belief sich die Summe aus zwei Konjunkturprogrammen der US-Regierung zur Stützung der Wirtschaft und des Finanzsystems auf 1,1 Billionen US-Dollar. Tagesschau Online: Ein Schuldenberg so hoch wie 144 Mount Everests; in: Tagesschau Online;http://www.tagesschau.de/aus land/obamasteuererleichterungen100.html; Zugriff: 25.03.2009.
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2 Die Geschichte der Energiesicherheit am Beispiel Erdöl
cherstaaten weit fortgeschritten ist, kann es aufgrund mangelnder Investitionen in die Exploration und die Weiterverarbeitung von Rohöl zu Engpässen kommen. Die Auswirkungen des Erdölpreises auf die Energiesicherheit der einzelnen Staaten sind dabei enorm. Ohne Erdöl bricht jede Volkswirtschaft zusammen. Erdöl ist nicht nur notwendig, um den Transportsektor aufrecht zu halten. Es wird auch für die Herstellung vieler Produkte des täglichen Lebens benötigt. Um die Volatilität des Erdölpreises abzufedern und somit die Versorgung mit dem Energieträger zu sichern, legen die Staaten, die es sich leisten können, hohe Devisenreserven in US-Dollar an. Die Staaten, die dies aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation nicht leisten können, sind einem hohen Ölpreis direkt ausgeliefert. Sie können die Versorgung ihrer Wirtschaft mit Erdöl nicht mehr garantieren und geraten – wie oben beschrieben – in eine Schuldenfalle, die sie von westlichen Staaten, dem IMF und der Weltbank abhängig macht. Durch die neoliberalen Konditionen, die an die aufgenommenen Kredite gekoppelt sind, haben die Entwicklungsländer dann kaum noch eine Chance sich aus dieser Schuldenfalle zu befreien. Eine nachhaltig gesicherte Energieversorgung und damit auch eine langfristig planbare wirtschaftliche Entwicklung bleiben für diese Staaten meist unerreichbar. Dies sieht bei den Industrienationen anders aus.
2.10 Erkenntnisse aus dem historischen Kontext Wie aufgezeigt wurde hatten Industriestaaten seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Möglichkeit ihre Energiesicherheitsstrategie in einem Prozess des learning by doing immer weiter zu präzisieren, indem sie auf historische Ereignisse reagierten. So war die Erkenntnis aus der Umstellung der britischen Marine von Kohle auf Erdöl, dass dies die Kontrolle der Erdölquellen in den Produzentenstaaten der Strategischen Ellipse und die Sicherung der Transportwege für den Energieträger nach sich zog. Umgesetzt wurde die Kontrolle zuerst mit klassischer Großmachtpolitik, die in der Tradition des Imperialismus stand. Eingesetzt wurden vorwiegend kriegerisch-militärische Mittel. Beispiele hierfür sind der Putsch gegen Mossadeq im Iran oder der gescheiterte Krieg zur Kontrolle des Suezkanals gegen Ägypten. Erst mit dem sich verbreitenden Nationalismus in den arabischen Staaten, der erfolgreichen Politik Libyens gegenüber den Sieben Schwestern und der Gründung der OPEC konnten die Produzentenstaaten mehr Einfluss über die Rohstoffe und die Preisgestaltung erlangen. Dadurch änderte sich auch die Politik der westlichen Staaten von einer kriegerisch-militärischen zu einer friedlichmilitärischen Vorgehensweise. Ein Beispiel dafür ist die Öl-für-Sicherheit-
2.10 Erkenntnisse aus dem historischen Kontext
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Partnerschaft der USA mit Saudi Arabien. Allerdings mussten die westlichen Staaten, im Sinne ihrer Erdölversorgungssicherheit auf den Machtgewinn der Produzentenstaaten reagieren. Dies geschah mit der Gründung der IEA in der Form eines Verbraucherkartells. Von den Instrumenten die dabei etabliert wurden gründen wiederum viele auf historischen Erfahrungen. Dass eine Diversifizierungsstrategie hinsichtlich der Erdölquellen und der Produzentenstaaten sinnvoll ist, wurde spätestens nach den ersten Boykottversuchen der OPEC erkannt. Auf diesen Erfahrungen basieren auch das in der IEA festgeschriebene Solidaritätsprinzip und der Aufbau von strategischen Erdölreserven in der Größenordnung von 90 Importtagessätzen. Mit diesen Instrumenten konnte auch die Versorgung während der zweiten Erdölpreiskrise gesichert werden. Mit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-System und der sich verstärkenden Volatilität des Erdölpreises erhielten Aspekte wie die Einsparung von Erdöl, eine Steigerung der Energieeffizienz und die Substitution von Erdöl durch andere Energieträger ein stärkeres Gewicht. Allerdings ist bisher noch kein Instrument entwickelt worden, das der Spekulation auf dem Erdölmarkt Grenzen setzt. Solange die extremen Preisschwankungen aber fortgesetzt werden können, haben Erdölpreise von 150 US-Dollar soziale Auswirkungen. Diese sind zum einen auf der internationalen Ebene, mit der zunehmenden Verschuldung von Entwicklungsländern spürbar. Zum anderen schränkt ein solcher Ölpreis auch den Lebensstandard von ärmeren sozialen Schichten in den Industriestaaten ein. Ein relativ neuer Faktor, der mit der Einführung des Euro hinzukam, ist die Austragung des Streites um die Leitwährungsrolle auf dem Energiemarkt. Durch die strategische Relevanz von Erdöl und dessen Fakturierung in US-Dollar versuchen verschiedene Akteure den Euro in diesem Bereich als Konkurrenzwährung zu etablieren, um die Vormachtstellung der USA zu untergraben. Das hat sich u.a. bei der Intervention der USA und ihren Alliierten im Irak gezeigt, nachdem Saddam Hussein seine Erdölverkäufe auf Euro umgestellt hatte. Dabei ist auch eine erneute Kehrtwende in der Politik zu verzeichnen. Denn die USA haben in diesem Falle wiederum auf eine kriegerisch-militärische Vorgehensweise zurückgegriffen. Dies lag daran, dass die Aufrechterhaltung der Leitwährungsfunktion des US-Dollars ein rudimentäres vitales Interesse der USA ist. Zur Durchsetzung dieses Interesses und zur Verhinderung eines Dominoeffekts, der durch Saddam Hussein hätte ausgelöst werden können, erkannte die USRegierung wahrscheinlich in friedlich-militärischen Mitteln nicht mehr die Wirksamkeit, die die Bush-Administration mit kriegerisch-militärischen Instrumenten durchsetzen konnte. Die Geschichte der Energiesicherheitsstrategie wird damit jedoch noch nicht beendet sein. Auch in Zukunft wird es Entwicklungen und Ereignisse geben, nach denen Staaten ihre Strategie zumindest ändern müssen. Aufbauend auf
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2 Die Geschichte der Energiesicherheit am Beispiel Erdöl
den Erkenntnissen aus der Vergangenheit stehen heute (Stand 2009) jeder Regierung im Bereich der Energieversorgungssicherheit übergeordnete Instrumente zur Verfügung. Im folgenden Kapitel 3 wird deshalb zuerst anhand der Energiesicherheitsstrategie der Vereinten Nationen analysiert, welche übergeordneten Instrumente die in jedem Staat Anwendung finden können zur Verfügung stehen. Danach werden die Fallbeispiele EU und der VR China näher beleuchtet um darzustellen, dass Energiesicherheitsstrategien in verschiedenen Staaten und Regionen je nach vorherrschenden geographischen, demographischen, wirtschaftlichen und politischen Faktoren Unterschiedlichkeiten aufweisen.
3 Energiesicherheit: ein globales einheitliches Konzept?
Die Frage einer nachhaltig gesicherten Energieversorgung ist für eine Volkswirtschaft von vitalem Interesse. Von einer ausreichenden und gesicherten Energieversorgung hängt die Industrie ebenso ab wie private Haushalte, der Verkehr, der Dienstleistungssektor und somit die innere aber auch die äußere Sicherheit eines Staates. Allerdings sind die Konzepte für eine hinreichende Energiesicherheitsstrategie sehr unterschiedlich. Sie hängen von verschiedenen Grundvoraussetzungen ab. Bspw. ist es ein wesentlicher Unterschied, ob ein Staat eine unabhängige Energieversorgung über interne Quellen gewährleisten kann oder vom Import von Elektrizität, Erdöl, Erdgas, Kohle und/oder Uran abhängig ist. Neben den staatlichen Energiesicherheitsstrategien gibt es zudem Strategien von regionalen oder globalen Institutionen wie den Vereinten Nationen, der IEA und – in Ansätzen – von der EU. Auch hier ist davon auszugehen, dass diese Strategien sich in verschiedenen Punkten unterscheiden, je nachdem von welchen Interessen sie gelenkt sind. Werden die nationalen bzw. regionalen, die Produzenten- und Konsumenteninteressen analysiert ergeben sich verschiedene Fragen: Wie wurde die jeweilige Definition des Begriffs der Energiesicherheit festgelegt? Kann es eine gemeinhin gültige Energieversorgungssicherheitsstrategie geben oder ist diese anhand von verschiedenen Voraussetzungen wie bspw. der Abhängigkeit von Importen oder der geografischen Lage auf den jeweiligen Staat oder die jeweilige Region zugeschnitten? Gäbe es eine allgemeingültige Strategie, würde das bedeuten, dass alle Staaten im Bereich der Energieversorgungssicherheit die gleichen Interessen verfolgten. Damit würden Verhandlungen über die Gründung eines internationalen Verbraucherkartells relativ leicht vonstatten gehen können. Auch die Kompromissbildung bei Klimaverhandlungen käme schneller zustande, da alle Staaten das Interesse hätten, möglichst schnell hoch emittente Energieträger durch bspw. Erneuerbare Energien zu ersetzen. Für die vorliegende Arbeit bedeutete dies, dass die Energiesicherheitsstrategie der UNO, der IEA oder der EU sich unverändert auf die VR China anwenden ließe. Kann im Gegensatz dazu keine allgemeingültige Strategie entworfen werden, so stehen solchen Zusammenschlüssen und Kompromissbildungen diverse Aspekte wie geographische, ökonomische, demographische Faktoren gegenüber.
M. Adolf, Energiesicherheitspolitik der VR China in der Kaspischen Region, DOI 10.1007/978-3-531-92738-1_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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3 Energiesicherheit: ein globales einheitliches Konzept?
Dies wird im Folgenden anhand eines Vergleiches verschiedener Energiesicherheitsstrategien erörtert. Grundlage hierfür war die historische Herleitung der Instrumente von Energiesicherheitsstrategien und die sich daraus ergebenden Problemstellungen sowohl für die Produzenten- als auch die Abnehmerstaaten. Dadurch wurde die Komplexität des Untersuchungsfeldes dargestellt, um aufzuzeigen, dass energiepolitische Entscheidungen weitreichende Folgen nicht nur auf den betreffenden Staat, sondern auf die ganze Staatengemeinschaft haben können. Analysiert wird auf dieser Basis das übergeordnete Konzept des United Nations Development Programme (UNDP). Zudem werden die Strategien der EU und der VR China herangezogen. Die Auswahl der Konzepte geschah aufgrund folgender Kriterien. Die EU ist ein im historischen Vergleich jüngerer Staatenverbund, der erst eine konsistente Struktur mit den dazugehörigen Strategien entwickelt. Dabei gelten in verschiedenen Staaten unterschiedliche Grundvoraussetzungen. Bspw. ist Deutschland in der geografischen Mitte auf dem Festland verankert, wohingegen Großbritannien ein Inselstaat im Nordwesten ist. Dies hat Auswirkungen u.a. auf die Transportmöglichkeiten für Energieträger. Die VR China ist durch die seit Jahrzehnten prosperierende Wirtschaft und das immense Potential an Arbeitskraft im Aufstieg zu einer Weltmacht begriffen. Dies zieht wiederum eigene Probleme für eine nachhaltige Energieversorgung nach sich, da in Schwellenländern der Energiebedarf zumeist schneller ansteigt als in Industrienationen. Gerade in einem Staat, in dem 1,3 Milliarden Menschen an Aufschwung und zunehmendem Wohlstand partizipieren wollen und das durch seinen schnellen Aufstieg von anderen Weltmächten zunehmend als Konkurrent gesehen wird, werden hohe Ansprüche an das politische Gespür der Regierung gestellt. Als globaler „Dachverband“, der die Interessen möglichst aller 192 Mitgliedsstaaten in Einklang zu bringen versucht, gilt die UNO. Hier kann die Definition einer Energiesicherheitsstrategie bzw. des Begriffes der Energiesicherheit nur sehr pauschal ausfallen. Es ist zu erwarten, dass die UNO in einem übergeordneten Konzept vor allem Leitlinien formuliert, da sich die Interessen der Mitgliedsstaaten stark voneinander unterscheiden und sich nicht im Detail in Einklang bringen lassen.
3.1 Die Definition der Energiesicherheit der UNO Die Definition von Energiesicherheit ist aufgrund der Komplexität des Feldes innerhalb der UNO umstritten. So gibt es von verschiedenen UNO-
3.1 Die Definition der Energiesicherheit der UNO
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Tochterinstitutionen unterschiedliche Annäherungen an das Thema. Die kürzeste Definition, stammt vom UNDP aus dem Jahr 2001: „Energy security means the availability of energy at all times in various forms, in sufficient quantities, and at affordable prices. These conditions must prevail over the long term if energy is to contribute to sustainable development.”265
Der fehlende Aspekt der Ökologie wurde in der erweiterten Definition von 2004 berücksichtigt: „Energy security is a term that applies to the availability of energy at all times in various forms, in sufficient quantities, and at affordable prices, without unacceptable or irreversible impact on the environment. These conditions must prevail over the long term if energy is to contribute to sustainable development.”266
Der Verweis auf die Verfügbarkeit von Energie zu jeder Zeit und in ausreichender Quantität beinhaltet, dass genug Energie für alle Bewohner eines Staates bzw. einer Region vorhanden sein soll. Der soziale Aspekt spiegelt sich auch in der Forderung nach einem erschwinglichen Preis wieder. Wobei hier ebenso die Ökonomie hineinspielt, denn der Preis für fossile Energieträger wie Erdöl und Erdgas wird von verschiedenen Akteuren des (Welt-) Marktes bestimmt (Kap. 2.9). Vom UNDP wird dieser Punkt wie folgt berücksichtigt: „Energy security has both a producer and a consumer side to it. In terms of energy resources world-wide to meet energy demand for the foreseeable future there is no energy security problem. However, whether these resources will be available in the marketplace at affordable prices depends on how markets perform, on government taxation and regulation, and on the role of policies such as electrification or subsidies.”267
Wird der Preis nur vom globalen Markt bestimmt kann bspw. ein hoher Erdölpreis dazu führen, dass weite Teile der Bevölkerung in Entwicklungsländern 265
United Nations Development Programme (2001): World Energy Assessment: Energy and the challenge of sustainability; in: UNDP Online; http://www.energyandenvironment.undp.org /undp/indexAction.cfm?module=Library&action=GetFile&DocumentAttachmentID=1020; S. 11; Zugriff: 06.01.2008. 266 United Nations Development Programme (2004): World Energy Assessment: Overview 2004 update; in: UNDP Online; http://www.energyandenvironment.undp.org/undp/indexAction.c fm?module=Library&action=GetFile&DocumentAttachmentID=1010; S. 42; Zugriff: 06.01.2008. 267 United Nations Development Programme (2004): World Energy Assessment: Overview 2004 update; in: UNDP Online; http://www.energyandenvironment.undp.org/undp/indexAction.c fm?module=Library&action=GetFile&DocumentAttachmentID=1010; S. 42; Zugriff: 06.01.2008.
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3 Energiesicherheit: ein globales einheitliches Konzept?
unter Energieknappheit leiden, da sie sich den Energieträger dann nicht mehr leisten können. Dagegen kann die Regierung zwar das Mittel der Subvention einsetzen, was aber mangels Devisenreserven häufig zu einer weiteren Verschuldung und der Abhängigkeit von IMF- oder Weltbankprogrammen führt. Um dieser Gefahr einer oder weiterer externen Abhängigkeit zu begegnen, sind im World Energy Assessment des UNDP aus dem Jahre 2001 verschiedene Optionen zur Förderung der Energiesicherheit enthalten, von denen viele aus den oben dargestellten historischen Erfahrungen abgeleitet sind:
268
Vorbeugung einer exzessiven Importabhängigkeit durch Erhöhung der Energieeffizienz beim Endverbraucher und Ausbau lokaler Ressourcen (speziell solcher, deren Entwicklung andere positive Effekte haben, wie zusätzliche Arbeitsplätze, Aufbau von Kompetenz und Umweltschutz). Voraussetzung ist, dass dies nicht zu unverhältnismäßigen Kosten und der Verschwendung von knappen Ressourcen führt. Diversifizierung der Lieferungen (sowohl der Produzenten als auch der Energieträger) Etablierung größerer politischer Stabilität durch internationale Zusammenarbeit und langfristige Übereinkommen unter Energie importierenden Staaten sowie zwischen Import- und Exportstaaten. Bspw. sollte der EnergieCharter-Vertrag268 breiter adaptiert und effektiver implementiert und die gemeinsame Nutzung der Transportinfrastruktur für Erdgas weiter ausgebaut werden. Ermutigung zu Technologietransfer (zum Beispiel über Joint-Ventures und Public-Private Partnership) in Richtung der Entwicklungsländer, damit diese eigene Ressourcen entwickeln und ihre Energieeffizienz steigern können.
Der Energie Charta Vertrag und das Energie Charta Protokoll über Energieeffizienz und diesbezügliche Umweltaspekte wurden im Dezember 1994 unterzeichnet und traten im April 1998 in Kraft. Im Januar 2008 hatte sie 52 Mitglieder, von denen fünf den Vertrag noch nicht ratifiziert hatten (Australien, Belarus, Island, Norwegen und Russland). 19 Staaten haben einen offiziellen Beobachterstatus. Der Vertrag wurde auf Grundlage der Europäischen Energie Charta von 1991 entwickelt. Die Vorschriften im Vertrag fokussieren auf fünf umfassende Gebiete: Den Schutz und die Förderung von ausländischen Energieinvestitionen, fußend auf der Erweiterung von nationalen Verfahren oder dem am meisten favorisierten nationalen Verfahren; freier Handel von Energieträgern, -produkten und Energiebezogenem Equipment, basierend auf den Regeln der World Trade Organisation (WTO); keine Einschränkungen beim Energietransfer durch Pipelines und Netze (auch die von anderen Konzernen oder Staaten); Reduzierung der negativen Umweltfolgen des Energiekreislaufs durch die Förderung von Energieeffizienz; und Mechanismen zur Lösung von Disputen zwischen Staaten oder Privatinvestoren und Staaten. Energy Charter Secretatriat (2004): The Energy Charter Treaty and Related Documents; Energy Charter Secretariat; Brüssel; S. 13f.
3.1 Die Definition der Energiesicherheit der UNO
133
Ausbau nationaler und regionaler strategischer Erdölreserven und Reserven von Erdölprodukten durch erhöhte Investitionen und fortschrittliche Explorationstechnologien.269
In der überarbeiteten Version von 2004 wird beim Aufbau eigener Ressourcen vor allem auf die Erneuerbaren Energien verwiesen. Eine weitere Änderung betrifft den Hinweis, dass ein nachhaltiger internationaler Markt für Biotreibstoffe und Handelsbeziehungen zwischen Produzenten und Konsumenten solcher Treibstoffe aufgebaut werden müsse.270 Zwar ist der Fokus auf erneuerbare Energieträger in der neueren Ausgabe von 2004 etwas größer, die Verwendung von Atomkraft als relevanter Faktor zur Elektrizitätsversorgung bleibt jedoch nach wie vor erhalten. Auch wenn auf die Gefahren, wie Kosten, Reaktorsicherheit, Endlagerung und Transport von radioaktivem Abfall sowie Proliferation und Gau bzw. Super-Gau kurz eingegangen wird, vertritt das UNDP die Position: „If these concerns can be dealt with in ways that are widely accepted, nuclear energy could contribute significantly to electricity generation in many parts of the 271 world.”
Hier stimmt das UNDP fast mit der Position der United Nations Economic Commission for Europe (UNECE) überein, die sowohl die Erneuerbaren Energien, als auch Atomenergie langfristig als potentielle umweltschonende Alternative272 zu Kohle, Erdgas und Erdöl zur Stromerzeugung ansieht. Atomenergie sei 269
United Nations Development Programme (2001): World Energy Assessment: Energy and the challenge of sustainability; in: UNDP Online; http://www.energyandenvironment.undp.org /undp/indexAction.cfm?module=Library&action=GetFile&DocumentAttachmentID=1020; S. 11f.; Zugriff: 06.01.2008. 270 United Nations Development Programme (2004): World Energy Assessment: Overview 2004 update; in: UNDP Online; http://www.energyandenvironment.undp.org/undp/indexAction.cf m?module=Library&action=GetFile&DocumentAttachmentID=1010; S. 43; Zugriff: 06.01.2008. 271 United Nations Development Programme (2004): World Energy Assessment: Overview 2004 update; in: UNDP Online; http://www.energyandenvironment.undp.org/undp/indexAction.cf m?module=Library&action=GetFile&DocumentAttachmentID=1010; S. 43; Zugriff: 06.01.2008. 272 Dabei wird allerdings übersehen, dass auch Atomkraftwerke nicht frei von der Produktion von Treibhausgasen sind: „Atomkraftwerke sind bei systemischer Betrachtungsweise keine CO2-freien Produktionsanlagen, sondern emittieren schon heute bis zu einem Drittel so viel CO2 wie Gaskraftwerke. Die produktionsbedingten CO2-Emissionen der Atomenergie betragen – je nachdem, wo der Rohstoff Uran gefördert und wie die Brennelemente produziert werden – bis zu 126 Gramm CO2 pro Kilowattstunde. Das Öko-Institut hat für ein typisches AKW in Deutschland – einschließlich der Emissionen durch den Bau der Anlage – mit angereichertem Uran aus einem Mix von Lieferländern eine spezifische Emission von 32 Gramm CO2 pro Kilowattstunde ermittelt. AKW tragen auch durch die Freisetzung weiterer Treibhausgase zum Klimawandel bei. Das radioaktive Edelgas Krypton 85,
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3 Energiesicherheit: ein globales einheitliches Konzept?
zwar nicht notwendiger Weise eine Wunschvorstellung für jeden Staat, jedoch würde die Beseitigung dieser Option für alle Staaten ein wichtiges Element der Flexibilität und der Diversifizierung der Energieversorgung bedeuten und die Energiesicherheit für alle Staaten unterminieren.273 Nicht nur aufgrund der Sicherung von Atomanlagen, sondern auch der Transportinfrastruktur von anderen Energieträgern wird in der Definition der Energiesicherheit des UN Department of Economic and Social Affairs (UNDESA) die Dimension des Militärs ergänzt: „A nation-state is energy secure to the degree that fuel and energy services are available to ensure: a) survival of the nation, b) protection of national welfare, and c) minimization of risks associated with supply and use of fuel and energy services. The five dimensions of energy security include energy supply, economic, technological, environmental, social and cultural, and military/security dimensions. Energy policies must address the domestic and international (regional and global) implica274 tions of each of these dimensions.”
Diese Definition ist im Vergleich zu den vorherigen mehr auf die interstaatliche Ebene ausgerichtet. Durch die ungleiche geographische Verteilung der weltweiten Erdöl- und Erdgasreserven ist es notwendig, Verhandlungen mit Produzenten, direkte Auslandsinvestitionen in Exploration, Produktion und Transport und eine Garantie der nachhaltigen Versorgung mit Energieträgern zu sichern. Die so genannte Strategische Ellipse, in der über zwei Drittel der weltweiten Erdöl- und Erdgasreserven zu finden sind, umfasst einige Staaten, die politisch und/oder ökonomisch äußerst instabil sind (Kap. 2.7, Abb. 11). Des Weiteren befinden ein Produkt der Kernspaltung, ionisiert die Luft unter allen radioaktiven Stoffen am intensivsten. Krypton 85 entsteht im Atomkraftwerk und wird spätestens bei der Wiederaufarbeitung oder Konditionierung von Atommüll freigesetzt. Die Konzentration von Krypton 85 in der Erdatmosphäre hat in den letzten Jahren durch die Atomspaltung stark zugenommen und erreicht heute einen Höchststand. Obwohl Krypton 85 stark klimawirksam ist, spielen diese Emissionen bei aktuellen Debatten bisher keine Rolle.“ Ferner ist das Problem der Endlagerung noch nicht gelöst, da es keinen Ort gibt, der über die nächsten 30 bis 300 tausend Jahre als Sicher vor Erdbeben, Wassereinbrüchen, o.ä. angesehen werden kann. Mez, Lutz (2007): Zukunft der Atomenergienutzung in Deutschland; in: Fundiert; Nr. 1/2007; S. 106-113 http://www.fu-berlin.de/presse/publikationen/fundiert/2007_01/media/fundiert_1 2007_net_complete.pdf; S. 111; Zugriff: 15.09.2008. Zur Vertiefung der Gefahren der Atomenergie: Mez, Lutz; Schneider, Mycle; Thomas, Steve (Hg.)(2009): International Perspectives on Energy Policy and the Role of Nuclear Power; Multi-Science Publishing; Essex. 273 United Nations Economic Commission for Europe (2007): Emerging Global Energy Security Risks; No. 36; United Nations; New York; Geneva; S. 14. 274 United Nations (2007): Multi Dimensional Issues in International Electric Power Grid Interconnections; in: UN Department of Economic and Social Affairs, Division for Sustainable Development Online; http://www.un.org/esa/sustdev/publications/energy/chapter8.pdf; S. 151; Zugriff: 06.01.2008.
3.1 Die Definition der Energiesicherheit der UNO
135
sich die aktuellen Kriegsgebiete Irak und Afghanistan innerhalb der Ellipse. Hier stellt sich die Frage, ob die Reserven zugänglich, entwickelt und lieferbar sind, wenn sie gebraucht werden.275 Die UNECE bestimmt im „multifaceted concept” der Energiesicherheit vier besonders relevante Dimensionen:
Unterbrechung der Versorgung durch physikalische Phänomene, wie ein Zusammenbruch der Infrastruktur, Naturkatastrophen, soziale Unruhen, politische Aktivitäten oder terroristische Anschläge. Langfristige physische Verfügbarkeit von Energiequellen, um einem steigenden Bedarf in der Zukunft gerecht zu werden. Schädliche Effekte auf Wirtschaft und Bevölkerung durch Energieengpässe, volatile Preise oder Preiskrisen. Erhebliche Verluste (collateral damage) resultierend aus Terroranschlägen, wie bspw. Verletzte und Tote sowie umfassende Eigentumsschäden.
Bei diesen Punkten lassen sich historische Erfahrungen als Grundlage erkennen, wie der Putsch gegen Mossadeq im Iran, die Sperrung des Suezkanals oder dem Anteil der Spekulation an der Gestaltung des Erdölpreises (Kap. 2.2, 2.3 u. 2.9). Werden alle vier Dimensionen in Betracht gezogen, so kommt die UNECE zu folgender Definition: „The availability of usable energy supplies, at the point of final consumption, at economic price levels and in sufficient quantities and timeliness so that, given due regard to encouraging energy efficiency, the economic and social development of a country is not materially constrained.” 276
Hier bleibt die Institution vorsichtig, indem sie die Einschränkung gibt, dass es sich nur um eine von vielen möglichen Definitionen handelt. Diese Auslegung habe allerdings den Vorzug, die multidimensionale Natur der Energiesicherheit mit einzubeziehen.277 Angelehnt an Daniel Yergin, Vorsitzender der Cambridge Energy Research Associates (CERA), definiert die UNECE zehn Prinzipien der Energiesicherheit: 275 Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe: Konventionelles Erdöl; in: BGR Online; http://www.bgr.bund.de/cln_011/nn_331182/DE/Themen/Energie/Bilder/Ene__Erdoel__allg__BILD 2__g.html; Zugriff: 05.02.2007, United Nations Economic Commission for Europe (2007): Emerging Global Energy Security Risks; No. 36; United Nations; New York; Geneva; S. 11. 276 United Nations Economic Commission for Europe (2007): Emerging Global Energy Security Risks; No. 36; United Nations; New York; Geneva; S. 8. 277 United Nations Economic Commission for Europe (2007): Emerging Global Energy Security Risks; No. 36; United Nations; New York; Geneva; S. 8.
136
3 Energiesicherheit: ein globales einheitliches Konzept? Diversifizierung der Energiequellen ist der Beginn der Energiesicherheit. Es gibt nur einen Erdölmarkt von dem alle Staaten abhängig sind. Ein „Sicherheitsspielraum“, der aus Energieüberschuss, einer Notfallreserve und einer gut ausgebauten Infrastruktur besteht ist notwendig. Vertrauen in flexible Märkte und der Versuchung zu widerstehen diese bis ins Detail zu regulieren kann Langzeitschäden minimieren. Verständnis für die Notwendigkeit der Verflechtung von Konzernen und Regierungen auf jeder Ebene. Unterstützung der Beziehungen zwischen Produzenten und Konsumenten in Anerkennung der wechselseitigen Verflechtungen. Ein vorausschauendes System aufbauen, das Produzenten und Konsumenten involviert. Bevölkerung vor, während und nach dem Auftreten von Problemen mit guten, qualitativ hochwertigen Informationen versorgen. Regelmäßig in technische Entwicklungen investieren. Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation hinsichtlich einer langfristigen Energietransformation.278
Neben den Punkten wie Diversifizierung, Anlage von strategischen Reserven, Verflechtungen zwischen Konzernen und Regierungen sowie Investitionen in Forschung und Entwicklung, die aus den oben aufgezeigten historischen Erfahrungen entstammen, gibt es in dieser Definition einen ideologischen Faktor. In Punkt vier wird auf Langzeitschäden hingewiesen, die durch zu viel Regulation der Märkte zustande kämen. Allerdings wird nicht darauf hingewiesen, dass auch durch deregulierte Märkte Nachteile entstehen können. Ein Beispiel ist die Weltwirtschaftskrise, die durch den Zusammenbruch des Immobilienmarktes in den USA im Jahre 2007 entstanden ist. Durch hoch spekulative Geschäftspraktiken wurden innerhalb des Finanzsystems Schäden in Höhe von mehreren hundert Milliarden US-Dollar verursacht. Erst als Banken in Konkurs gingen, kamen Forderungen auf, dass der Staat zur Rettung regulierend eingreifen solle (Kap. 2.9). Auf der anderen Seite haben manche Staaten mit einem hochregulierten Energiesektor weitestgehend Erfolge. In der VR China sind in jedem Teilbereich des Energiesektors große staatliche Konzerne tätig. Diese werden durch verschiedene staatliche Institutionen wie der National Development and Reform Commission (NDRC) überwacht. Trotzdem haben sie gewisse gestalterische 278
United Nations Economic Commission for Europe (2007): Emerging Global Energy Security Risks; No. 36; United Nations; New York; Geneva; S. 14; Yergin, Daniel (2005): Energy Security and Markets; in: Kalicki, Jan H.; Goldwyn, David, L.: Energy and Security; S. 51-64; Woodrow Wilson Center Press; Washington; S. 55ff.
3.1 Die Definition der Energiesicherheit der UNO
137
Freiheiten, können sich aber zum Beispiel bei Investitionen im Ausland auf die Rückendeckung durch die chinesische Regierung verlassen. Es gibt zwar einige Problempunkte bei der Gestaltung von Preisen, der Versorgungssicherheit und der Erstellung einer konsistenten Energiesicherheitsstrategie. Im Gegensatz zu Russland, wo es unter Präsident Jelzin und der Deregulierung des Energiemarktes zur Bildung einer Oligarchie kam, ist der chinesische Energiemarkt jedoch äußerst stabil (Kap. 4). Auch wenn manche Punkte in den einzelnen Definitionen der Energiesicherheitsstrategie sich selbst innerhalb der Unterorganisationen der UNO unterscheiden, so gibt es doch Übereinstimmungen in folgenden vier Punkten:
Die langfristige Verfügbarkeit von Energieträgern. Die Diversifizierung von Energieträgern und Produzenten. Die erschwinglichen Preise. Der Schutz der Umwelt.
In anderen Punkten weichen die Definitionen der verschiedenen Tochterorganisationen der UNO voneinander ab und richten ihre Gewichtungen auf verschiedene Faktoren. Während beim UNDP zwar die internationale Dimension mit dem Fokus auf politische Stabilität einbezogen wird, betont das UNDESA auch die Relevanz der militärischen Sicherung. Die UNECE legt einen Schwerpunkt auf die Deregulierung der Märkte, während in anderen Definitionen nur von einer gesicherten Versorgung zu erschwinglichen Preisen die Rede ist. Die zweite Definition lässt offen, welches Wirtschaftssystem zur Anwendung kommt. Letztlich betonen aber alle Definitionen der Energiesicherheit der UNO den nachhaltigen Gedanken, mit den drei (gleichberechtigten) Säulen Wirtschaft, Soziales und Umwelt.279 Allerdings sind, wie zu Beginn des Kapitels vermutet, die einzelnen Punkte der Energiesicherheitsstrategie sehr allgemein formuliert. Das liegt einerseits daran, dass die Interessen der Mitgliedsstaaten divergieren und so nur Leitlinien von der UNO erarbeitet werden können. Andererseits haben auch die verschiedenen Unterorganisationen der UNO unterschiedliche Ansätze. So wäre eine Harmonisierung der Ansätze ein erster Schritt, um eine detailliertere Energiesicherheitsstrategie entwerfen zu können. Die Frage ist also, ob sie sich auf verschiedene Staaten generell anwenden lässt oder ob sie entscheidende Punkte auslässt bzw. manche Punkte auf einige Staaten nicht anzuwenden sind. Das und die Komplexität der Formulierung einer kohärenten Ener-
279
United Nations (2007): Multi Dimensional Issues in International Electric Power Grid Interconnections; in: UN Online; http://www.un.org/esa/sustdev/publications/energy/chapter8.pdf; S. 152; Zugriff: 06.01.2008.
138
3 Energiesicherheit: ein globales einheitliches Konzept?
giesicherheitsstratege wird im Folgenden zuerst an der Energiesicherheitsstrategie der EU und danach an der Chinas überprüft.
3.2 Die Energiesicherheitsstrategie der EU Die EU ist weltweit zweitgrößter Verbraucher und größter Importeur von Energie(-trägern)280. Damit ist sie den Turbulenzen der Weltenergiemärkte ausgesetzt. Ferner ist der Energieimport abhängig von geopolitischen Entwicklungen, der geographischen Lage und der Stabilität der Produzenten- und Transitländer. Während die Energiesicherheitsstrategie in Staaten von Faktoren wie Ressourcenreichtum bzw. -armut, geographischer Lage zu Energiereserven im Ausland, Klimaoptionen für Erneuerbare Energien und der politischen Landschaft bzw. der jeweiligen Regierung abhängt, ist dies in Staatenverbänden komplizierter.
3.2.1 Die Energiesicherheitsstrategie – Richtlinien statt Verpflichtungen Innerhalb der EU hängen die Entscheidungen über eine gemeinsame Energiesicherheitsstrategie von den Interessen und der Durchsetzungsfähigkeit der Einzelstaaten ab. Allerdings gab es sehr früh Hinweise auf eine gemeinsame Regelung der Energiepolitik. Letztendlich geht die europäische Integration auf die supranationale Kontrolle konfliktträchtiger Rohstoffe, wie Kohle und Stahl zurück. So wurde ein paar Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges am 18. April 1951 der „Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ unterzeichnet. In Kraft trat er am 24. Juli 1952.281
280
Der Verbrauch von primären Energieträgern betrug 2005 mit 1.804,134 Mtoe ca. 17 Prozent des Weltverbrauchs. Einen höheren Verbrauch hatten nur noch die USA mit 2.350,4 Mtoe, was ca. 22 Prozent der Weltkonsumption entspricht. An dritter Stelle stand 2005 die VR China mit 1.566,7 Mtoe oder ca. 15 Prozent des Weltbedarfs. Bei den absoluten Energieimporten liegt die EU-27 mit 1.377,96 Mtoe im Jahre 2004 vor den USA mit 815,73 Mtoe. International Energy Agency: Balances; in: IEA Online; http://www.iea.org/Textbase/stats/prodresult.asp?PRODUCT=Balances; Zugriff: 26.01.2008; Europäische Kommission (2005): Energy and Transport Trends 2030; in: http://ec.europa.eu/dgs/energy_transport/figures/trends_2030_update_2005/energy_transport_trends_ 2030_update_2005_en.pdf; S. 80; Zugriff: 10.01.2008; British Petroleum (2007): Statistical Review of World Energy; in: BP Online; http://www.deutschebp.de/liveassets/bp_internet/germa ny/STAGING/home_assets/assets/deutsche_bp/broschueren/statistical_review_of_world_energy_full _report_2007.pdf; S. 40; Zugriff: 10.10.2007. 281 Politische Union: Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl; in: politische Union Online; http://www.politische-union.de/egksv/egksv.htm; Zugriff: 24.01.2008.
3.2 Die Energiesicherheitsstrategie der EU
139
Im Jahre 1957 folgte der „Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft“ (EURATOM), deren Aufgabe es ist: „durch die Schaffung der durch die schnelle Bildung und Entwicklung von Kernindustrien erforderlichen Voraussetzungen zur Hebung der Lebenshaltung in den Mitgliedstaaten und zur Entwicklung der Beziehungen mit den anderen Ländern beizutragen.“282 Am 25. März 1957, während der Gründungsphase der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wurde in den so genannten römischen Verträgen zwar noch nicht explizit von einer Energiesicherheitsstrategie gesprochen. Dennoch gibt es mit Artikel 103 im Kapitel 1 „Die Konjunkturpolitik“ eine Regelung hinsichtlich eines Solidaritätsprinzip bei „bestimmten Waren“: „Die Mitgliedsstaaten betrachten ihre Konjunkturpolitik als eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse. Sie setzen sich miteinander und mit der Kommission über die unter den jeweiligen Umständen zu ergreifenden Maßnahmen ins Benehmen. […] Das in diesem Artikel vorgesehene Verfahren gilt auch für den Fall, daß Schwierigkeiten bei der Versorgung mit bestimmten Waren auftreten.“283
Allerdings kann dies nicht als Grundstein für eine gemeinsame Energiepolitik interpretiert werden. Im weiteren Vertragsverlauf weist keine Stelle auf die Zuweisung der Rechte und Pflichten der Mitgliedsstaaten hinsichtlich einer einheitlichen europäischen Energiepolitik hin. Zudem scheiterten nachträgliche Versuche, ein Energiekapitel in die Verträge von Maastricht und Amsterdam einzubinden. Lediglich in zwei Artikeln werden grundlegende Aussagen zur gemeinsamen Netzstruktur und zur Freiheit der Gestaltung des Energiemix in den Mitgliedstaaten getroffen: „Artikel 129 b: Um einen Beitrag zur Verwirklichung der Ziele der Artikel 7 a und 130 a zu leisten und den Bürgern der Union, den Wirtschaftsbeteiligten sowie den regionalen und lokalen Gebietskörperschaften in vollem Umfang die Vorteile zugute kommen zu lassen, die sich aus der Schaffung eines Raumes ohne Binnengrenzen ergeben, trägt die Gemeinschaft zum Auf- und Ausbau transeuropäischer Netze in den Bereichen der Verkehrs-, Telekommunikations- und Energieinfrastruktur bei.“284 282
EurLex: Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft; in: http://eur-lex. europa.eu/de/treaties/dat/11957K/tif/TRAITES_1957_EURATOM_1_XM_0122_link111.pdf; Artikel 1; S. 123; Zugriff: 24.01.2008. 283 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (1957): Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft; in: http://eur-lex.europa.eu/de/treaties/dat/11957E/tif/TRAITES_1957_CEE_ 1_XM_0232_x444x.pdf; S. 241; Zugriff: 20.01.2008. 284 Europäische Gemeinschaft (1992): Vertrag über die Europäische Union; Amtsblatt Nr. C 191 vom 29. Juli 1992; in: http://eur-lex.europa.eu/de/treaties/dat/11992M/htm/11992M.html#0001000001;
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3 Energiesicherheit: ein globales einheitliches Konzept? „Artikel 130 s: (1) Der Rat beschließt gemäß dem Verfahren des Artikels 189 c und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses über das Tätigwerden der Gemeinschaft zur Erreichung der in Artikel 130 r genannten Ziele. (2) Abweichend von dem Beschlußverfahren des Absatzes 1 und unbeschadet des Artikels 100 a erläßt der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses einstimmig […] - Maßnahmen, welche die Wahl eines Mitgliedstaats zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung erheblich berühren.“285
Eine umfassendere Bestimmung der Energiepolitik innerhalb der EU wurde erst 1995 durch die Europäische Kommission im Weißbuch286: „Eine Energiepolitik für die Europäische Union“ herausgegeben. Hierin vertritt die Europäische Kommission den Standpunkt, dass „es für die Effizienz der auf nationaler Ebene verfolgten Politik wesentlich [ist], daß die energiepolitischen Verantwortlichkeiten sich den gemeinsamen Zielen, wie auf Gemeinschaftsebene festgelegt, unterordnen.“287 Dabei müsse sich die Energiepolitik in die allgemeinen Ziele der Wirtschaftspolitik integrieren. Gemeint sind die Integration des Marktes, die Deregulierung, eine Beschränkung der Interventionen der öffentlichen Hand auf das, was für „die Wahrung der Interessen der Allgemeinheit und das Wohlergehen, für die Gewährleistung einer zukunftsfähigen Entwicklung, den Verbraucherschutz und die wirtschaftliche und soziale Kohäsion,“288 von Nöten ist. Definiert werden über dies folgende Ziele der Energiepolitik: Zugriff: 20.01.2008. 285 Europäische Gemeinschaft (1992): Vertrag über die Europäische Union; Amtsblatt Nr. C 191 vom 29. Juli 1992; in: http://eur-lex.europa.eu/de/treaties/dat/11992M/htm/11992M.html#0001000001; Zugriff: 20.01.2008. 286 „Weißbücher enthalten Vorschläge für ein Tätigwerden der Gemeinschaft in einem bestimmten Bereich. Sie folgen zuweilen auf Grünbücher, die veröffentlicht werden, um einen Konsultationsprozess auf europäischer Ebene einzuleiten. Während in Grünbüchern eine breite Palette an Ideen präsentiert und zur öffentlichen Diskussion gestellt wird, enthalten Weißbücher förmliche Vorschläge für bestimmte Politikbereiche und dienen dazu, diese Bereiche zu entwickeln.“ „Grünbücher sind von der Kommission veröffentlichte Mitteilungen, die zur Diskussion über einen bestimmten Politikbereich dienen. Sie richten sich vor allem an interessierte Dritte, Organisationen und Einzelpersonen, die dadurch die Möglichkeit erhalten, an der jeweiligen Konsultation und Beratung teilzunehmen. In bestimmten Fällen ergeben sich daraus legistische Maßnahmen.“ Europäische Kommission: Grünund Weißbücher; in: Europäische Kommission Online; http://europa.eu/documents/comm /index_de.htm; Zugriff: 20.01.2008. 287 Europäische Kommission (1995): Weißbuch. Eine Energiepolitik für die Europäische Union; in: Boxer Infodienst Online; http://www.boxer99.de/DOKUMENTE/EU_Buch_Weissbuch_energie politik.pdf; S. 1; Zugriff: 15.01.2008. 288 Europäische Kommission (1995): Weißbuch. Eine Energiepolitik für die Europäische Union; in:
3.2 Die Energiesicherheitsstrategie der EU
141
„Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit und Umweltschutz miteinander versöhnen und Rücksicht auf die zentralen Anliegen der Gemeinschaft nehmen, nämlich die Schaffung von Arbeitsplätzen und das Streben nach einer effizienteren Wirtschaftsweise der Unternehmen, einschließlich derjenigen der Energiewirtschaft, und den Schutz der Umwelt.“289
Diese Ziele entsprechen weitestgehend der erweiterten Definition der Energiesicherheitspolitik des UNDP (Kap. 3.1). Präzisiert werden die Zielvorgaben durch folgende zwölf Schwerpunkte: 1.
Ölkrisenmaßnahmen in Übereinstimmung mit den Regeln und Verpflichtungen der IEA. 2. Gewährleistung eines hinreichend gestreuten Brennstoffmix zur Elektrizitätserzeugung. 3. Ausbeutung der wirtschaftlich rentablen einheimischen Energiequellen. 4. Diversifizierung der Energiequellen und der Produzenten. 5. Öffnung des Binnenmarktes für die Brennstoffdiversifizierung. 6. Förderung der Technologie zur CO2-Reduktion. 7. Erhaltung der Kernkraft als Option. 8. Erschließung des Potentials der erneuerbaren Energiequellen. 9. Förderung von Brennstoffdiversifizierung und Energieeffizienz im Verkehr. 10. Forcierung der internationalen Energiekooperation durch den Energie Charta Vertrag. 11. Bindung Energie liefernder Drittländer an die EU im Einklang mit Artikel 129d des Vertrags über die Europäische Union.290 12. Pflege des Dialogs zwischen Produzenten und Konsumenten.291 Boxer Infodienst Online; http://www.boxer99.de/DOKUMENTE/EU_Buch_Weissbuch_energie politik.pdf; Zugriff: 15.01.2008; S. 2. 289 Europäische Kommission (1995): Weißbuch. Eine Energiepolitik für die Europäische Union; in: Boxer Infodienst Online; http://www.boxer99.de/DOKUMENTE/EU_Buch_Weissbuch_energie politik.pdf; Zugriff: 15.01.2008; S. 2. 290 Artikel 129 d: „Die Leitlinien nach Artikel 129 c Absatz 1 werden vom Rat gemäß dem Verfahren des Artikels 189 b und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Ausschusses der Regionen festgelegt. Leitlinien und Vorhaben von gemeinsamem Interesse, die das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats betreffen, bedürfen der Billigung des betroffenen Mitgliedstaats. „Der Rat erläßt gemäß dem Verfahren des Artikels 189 c und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Ausschusses der Regionen die übrigen Maßnahmen nach Artikel 129 c Absatz 1.“ Europäische Union (1992): Vertrag über die Europäische Union; Amtsblatt Nr. C 191 vom 29. Juli 1992; in: EurLex Online; http://eur-lex.europa.eu/de/treaties/dat/11992M/hat m/11992M.html; Zugriff: 12.01.2008. 291 Europäische Kommission (1995): Weißbuch. Eine Energiepolitik für die Europäische Union; in: Boxer Infodienst Online; http://www.boxer99.de/DOKUMENTE/EU_Buch_Weissbuch_energie politik.pdf; S. 22ff.; Zugriff: 15.01.2008.
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3 Energiesicherheit: ein globales einheitliches Konzept?
Angelehnt ist diese Schwerpunktsetzung wiederum an die Richtlinien der Energiesicherheitsstrategien internationaler Institutionen wie der UNDP und der IEA. Allerdings unterscheidet sich die Versorgungsstrategie der EU bspw. darin, dass neben der militärischen Sicherung der Transporthandelswege, die in Punkt 1 miteinbezogen ist, das Element der Integration anderer Staaten (Punkt 10 u. 11). Das beinhaltet mehr eine wirtschaftliche Kooperation, denn eine militärischfriedliche oder militärisch-kriegerische Politik. Eine weitere Problematik innerhalb der EU kommt im Punkt 5 zum Ausdruck. Die Forderung nach Öffnung des Binnenmarktes und darüber hinaus der Aufbau eines integrierten europäischen Strom- und Pipelinenetzes bezeugt, dass die Europäische Kommission in ihrem Weißbuch Wege zu einer einheitlichen Energiepolitik aufgezeigt hat. Die Öffnung des Binnenmarktes setzt auch voraus, dass ihr Absprachen in Richtung einer Harmonisierung der Einzelpolitiken der Mitgliedstaaten vorausgegangen sind. Im Weißbuch der EU wird dieser Punkt einer gemeinsamen Energieaußenpolitik mit der Integration in den Weltmarkt wie folgt begründet: „Energiepolitische Fragen stellen sich auch im globalen Kontext. Bei zunehmender Energieimportabhängigkeit und sich wandelnden geopolitischen Verhältnissen zeigt sich, welche Vorteile es hat, wenn die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten auf internationaler Ebene mit einer Stimme sprechen: dadurch wird die Versorgungssicherheit erhöht, es kann auf Krisensituationen besser reagiert werden und es ermöglicht eine gemeinsame Aktion zur Lösung von weltweiten Umweltproblemen. Angesichts der Wichtigkeit der überseeischen Märkte für das wirtschaftliche Wohlergehen der Gemeinschaft dient die Koordinierung der Energiepolitik auch der Maximierung der Gewinne der europäischen Industrie aus ihrem Angebot an Technologie, Dienstleistungen und Investitionsleistungen.“292
Solange eine Harmonisierung in der Energiepolitik innerhalb der EU aber noch nicht hergestellt wurde, werden die im Weißbuch beschriebenen Vorteile nicht nur für die europäische Energieversorgungssicherheit, sondern auch für die wirtschaftliche Entwicklung nicht durchgesetzt werden können. Das war jedoch schon erklärtes Ziel in der Gründungsphase der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). Auch auf den Gründungsvertrag und nachfolgende Verträge zur Einigung der europäischen Energiepolitik wird im Weißbuch eingegangen:
292
Europäische Kommission (1995): Weißbuch. Eine Energiepolitik für die Europäische Union; in: Boxer Infodienst Online; http://www.boxer99.de/DOKUMENTE/EU_Buch_Weissbuch_energie politik.pdf; Zugriff: 15.01.2008; S. 38.
3.2 Die Energiesicherheitsstrategie der EU
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„Die Notwendigkeit, die politische Aktion in einen vereinbarten Rahmen einzufügen, wird im EGKS-Vertrag anerkannt, der „allgemeine Ziele“ verlangt, desgleichen im Euratom- Vertrag, der der Kommission die Aufgabe zuweist, ein hinweisendes Investitionsprogramm (PINC) als Orientierung für Politiker, Investoren und Industriestrategen aufzustellen. Wegen der Brennstoffvielfalt in der Gemeinschaft entfalten diese sektoralen Instrumente nur begrenzte Wirkung und geben sie nur schwache Signale (anders als normalerweise im Stahlsektor). Nun ist die Energiepolitik aber Bestandteil der Wirtschaftspolitik, wie der Rückgriff auf Artikel 103a im Falle des Versorgungsausfalls demonstriert. Dieser Artikel könnte für die Energiepolitik genutzt werden, stünde dem nicht entgegen, daß er auf die Währungsunion zugeschnitten ist und es nicht angemessen wäre, ihn für die Herstellung von Konvergenz in der Energiepolitik zu nutzen.“293
Bislang ist der Einigungsprozess in Europa jedoch noch nicht so weit fortgeschritten, dass die Richtlinien, die von der Kommission vorgegeben worden sind in einem gemeinsamen Vorgehen aller EU-Mitgliedsstaaten umgesetzt wurden. Dies liegt an der unterschiedlichen Gewichtung der Energieträger im Primär- und Sekundärenergiesektor294 der einzelnen Mitgliedsstaaten. Daran gekoppelt sind wiederum verschiedene Ausrichtungen in den Energieversorgungssicherheitsstrategien und der daraus folgenden Politik der Staaten der EU (Kap. 3.2.2). In der weiteren Arbeit der Europäischen Kommission hinsichtlich der Vollendung einer gemeinsamen Energiesicherheitsstrategie lassen sich deshalb Richtlinien zur Umsetzung dieses Ziels erkennen. Allerdings enthalten auch die zwei Grünbücher der Kommission aus den Jahren 2000 und 2006 keine verbindlichen Regeln sondern nur unverbindliche Vorschläge. Innerhalb der Grünbücher werden folgende Richtlinien zu den Vorschlägen des Weißbuches ergänzt. Im „Grünbuch. Hin zu einer europäischen Strategie für Energieversorgungssicherheit“ des Jahres 2000 sind folgende Schwerpunkte definiert: 293
Vollendung des Binnenmarktes. Harmonisierung der Energiebesteuerung innerhalb der Mitgliedsstaaten und zwischen Energieträgern.
Europäische Kommission (1995): Weißbuch. Eine Energiepolitik für die Europäische Union; in: Boxer Infodienst Online; http://www.boxer99.de/DOKUMENTE/EU_Buch_Weissbuch_energie politik.pdf; Zugriff: 15.01.2008; S. 39. 294 „Primärenergie ist die von der Natur ursprünglich angebotene Energie in Form von Erdöl, Kohle, Erdgas oder Strahlung der Sonne. Teilweise lassen sich Primärenergieträger direkt beim Endverbraucher einsetzen. Zum überwiegenden Teil werden die Primärenergien jedoch zunächst in Sekundärenergien umgewandelt. Sekundärenergie entsteht durch Umwandlung aus Primärenergie, zum Beispiel Koks, Briketts aus Kohle und Benzin, Dieselkraftstoff oder Heizöl aus Erdöl“, Strom aus Erneuerbaren oder fossilen Energieträgern. Solartechnik: Primärenergie, Sekundärenergie; in: Solartechnik – Solaranlagen. de Online; http://www.solartechnik-solaranlagen.de/lexikon/sekunda erenergie.html; Zugriff: 20.01.2008.
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3 Energiesicherheit: ein globales einheitliches Konzept? Entwicklung und Verbreitung neuer Techniken von Erneuerbaren Energien sowie bei Energieeinsparung und Energieeffizienz. Erneuerung und Erweiterung der Energiebevorratungspolitik. Energiepartnerschaften und Dialoge mit Förderländern.
Stärkung der Versorgungsnetze sowohl der internen, als auch der für den Transit benötigten durch Programme, wie Mésures d’accompagnement financières et techniques (MEDA), Technical Aid to the Commonwealth of Independent States (TACIS), Interstate Oil and Gas Transport to Europe (INOGATE) und Transport Corridor Europe-Caucasus-Asia (TRACECA).295 Von diesen sechs Punkten zielen vor allem die Punkte 1 bis 4 auf die Harmonisierung des Binnenmarktes und der Entwicklung von (gemeinsamen) Projekten bei Forschung und Entwicklung ab. In Punkt 5 und 6 wird wiederum die Notwendigkeit der Einbindung von Drittländern – vor allem von Produktionsund Transitstaaten abgehoben. Auch hier ist der Unterschied zur Energiesicherheitspolitik der UNECE und der IEA auffällig. Die Instrumente hinsichtlich einer Energieaußenpolitik sind auf die Begriffe „Partnerschaft“ und „Dialog“ und den Aufbau einer Transportinfrastruktur, also auf Integration ausgerichtet. Der militärische Aspekt fehlt zumindest diesem Grünbuch. Sechs Jahre später, unter den Eindrücken der veränderten Weltsituation durch die Ereignisse des 11. September 2001, den Kriegen in Afghanistan und Irak, also der partiellen Rückkehr der militärisch-kriegerischen Politik in den Internationalen Beziehungen (Kap. 2.10) hat sich das geändert. Im „Grünbuch. Eine europäische Strategie für nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energie“ des Jahres 2006 werden folgende Punkte für eine gemeinsame Energieversorgungsstrategie als relevant erachtet:
295
Tätigung von Investitionen in Höhe von ca. einer Billion Euro bis 2006 zur Deckung der Nachfrage und Erneuerung der alternden Infrastruktur. Förderung von Energieeffizienz und Innovation. Reduktion des Energieverbrauchs um 20 Prozent bis 2020. Förderung von Erneuerbaren Energien verstärken, so dass bis 2010 21 Prozent des verbrauchten Stroms aus Erneuerbaren Energien stammt und 5,75 Prozent des Benzins und Diesels durch Biokraftstoffe ersetzt wird. Steigerung des Wirkungsgrades von konventionellen Kraftstoffen und Erforschung von CO2-Speicherung.
Kommission der Europäischen Gemeinschaft (2000): Grünbuch. Hin zu einer europäischen Strategie für Energieversorgungssicherheit; Kom(2000) 769 endgültig; Brüssel.
3.2 Die Energiesicherheitsstrategie der EU
145
Schaffung eines vom freien Wettbewerb geprägten Energiebinnenmarktes durch Verbindungsleitungen und wirksame Rechts- und Regulierungsrahmen. Diversifizierung der Energieformen, Herkunftsländer und Transitwege. Schaffung eines solidarischen Maßnahmenkataloges für den Fall einer Energieversorgungskrise. Abstimmung der Energiepolitik auf einen nachhaltigen, effizienteren und vielfältigeren Energiemix. Etablierung einer gemeinsamen und kohärenten Energieaußenpolitik und Gründung von Energiepartnerschaften mit Nachbarstaaten, Transit- und Produzentenländern sowie anderen internationalen Akteuren. Entwicklung einer europaweiten Energiegemeinschaft. Einbeziehung der Energie in andere Politikfelder mit einer außenpolitischen Dimension.296
In diesem Grünbuch wird die Europäische Kommission in der Formulierung ihrer Ziele konkreter. Aus den dort angeführten Punkten entwickelt sich daraufhin die „20-20-20-Strategie“ im „EU-Aktionsplan für Energieversorgungssicherheit und -solidarität: Zweite Überprüfung der Energiestrategie“ vom November 2008. Diese sieht einen Anteil von Erneuerbaren Energien am Energiemix der EU von 20 Prozent, eine Steigerung der Energieeffizienz um 20 Prozent und eine Einsparung von Energieträgern um 20 Prozent bis zum Jahr 2020 vor.297 Im Unterschied zum Grünbuch des Jahres 2000 wird hier auch die Schaffung eines vom freien Wettbewerb geprägten Energiebinnenmarktes betont. Das entspricht unter Einbeziehung der Punkte 7 bis 8 und 10 wiederum dem Ziel der Kommission, eine gemeinsame Energiepolitik zu entwickeln und die Harmonisierung des Binnenmarktes voranzutreiben. In Punkt 10 wird sogar ausdrücklich von der „Entwicklung einer europaweiten Energiegemeinschaft“ gesprochen. Neben der Ergänzung der Ziele hinsichtlich einer Energieaußenpolitik des Grünbuchs des Jahres 2000 in Punkt 9 wird nun in Punkt 11 die „Einbeziehung der Energie in andere Politikfelder mit einer außenpolitischen Dimension“ vorgeschlagen. Das heißt, dass die Energiepolitik wiederum von Feldern wie Entwicklungspolitik und wirtschaftliche Zusammenarbeit aber auch Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmt werden soll. Im Unterschied zum vorherigen 296
Kommission der Europäischen Gemeinschaft (2006): Grünbuch. Eine europäische Strategie für nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energie; Kom(2006) 105 endgültig; Brüssel. 297 Europäische Kommission (2008): EU-Aktionsplan für Energieversorgungssicherheit und -solidarität: Zweite Überprüfung der Energiestrategie; in: Europäische Union Online; http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=MEMO/08/703&format=HTML&aged=0& language=DE&guiLanguage=en; Zugriff: 22.03.2008.
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3 Energiesicherheit: ein globales einheitliches Konzept?
Grünbuch wird also der Faktor der militärischen Sicherung zumindest indirekt wieder aufgegriffen. Ein anderer wichtiger Zweig der Durchsetzung der strategischen Punkte der in den Grünbüchern konzipierten EU-Energiesicherheitsstrategie ist die Bildung. Dadurch, dass die EU zumindest in ihren wichtigsten Mitgliedsstaaten nach wie vor eine Produktionsökonomie ist, ist sie auf Wettbewerbsfähigkeit angewiesen. Die globale Konkurrenzfähigkeit soll durch die Förderung der Infrastruktur, der Bildung und Wissenschaft, der administrativen Kompetenz und des geforderten good corporate governance aufgebaut werden. Das heißt, dass die EU im Bereich der Energie eine Vorreiterrolle bei der technologischen Entwicklung benötigt. Darunter fällt der Status eines Lead-Marktes, der bei Wind- und Solarenergie aufgebaut wurde ebenso wie laufende Forschung an der Carbon-Captureand-Storage-Technologie (CCS) und zukünftigen Innovationen. Diese Technologien können dann gewinnbringend international veräußert werden. Diese Ziele sind in der Lissabon-Strategie verankert, auf die sich die Mitglieder der EU bei der Sondersitzung des Europäischen Rates am 23. und 24. März 2000 geeinigt hatten.298 Im März des Jahres 2007 setzte dann der Europäische Rat den Zusammenhang von Lissabonner Wettbewerbsstrategie und „Klimaschutz und Energiepolitik“ auf die Tagesordnung.299 Allerdings konnte die EU-27 sich bis heute (Stand 2009) nicht auf eine gemeinsame Energiesicherheitsstrategie einigen. Insofern kann bisher auch nicht von einer konsistenten Politik in diesem Feld gesprochen werden. Das birgt Risiken, die die Europäische Kommission schon in ihrem Weißbuch von 1996 erkannt hatte. Wiederholt wurden die Bedenken durch die Kommission nochmals im Jahre 2003: „Die Energieabhängigkeit gibt Europa in besonderem Maße Anlass zur Besorgnis. Europa ist der größte Erdöl- und Erdgasimporteur der Welt. Unser derzeitiger Energieverbrauch wird zu 50 % durch Einfuhren gedeckt. Im Jahr 2030 wird dieser Anteil 70 % erreicht haben. Die Energieeinfuhren stammen zum größten Teil aus der Golfregion, aus Russland und aus Nordafrika.“300 298
Altvater, Elmar (2008): Sicherheitsdiskurse beiderseits des Atlantik – in Zeiten von Peak Oil und Klimawandel; in: Österreichisches Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (Hg.): Von kalten Energiestrategien zu heißen Rohstoffkriegen?; S. 44-71; Lit Verlag; Berlin/Wien; S. 50; Europäische Union (2005): Sondertagung des Europäischen Rats in Lissabon (März 2000): Für ein Europa der Innovation und des Wissens; in: Europäische Union Online;http://europa.eu/scadplus/leg/de/cha/c102 41.htm; Zugriff: 25.03.2008. 299 Altvater, Elmar (2008): Sicherheitsdiskurse beiderseits des Atlantik – in Zeiten von Peak Oil und Klimawandel; in: Österreichisches Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (Hg.): Von kalten Energiestrategien zu heißen Rohstoffkriegen?; S. 44-71; Lit Verlag; Berlin/Wien; S. 50. 300 Europäische Kommission (2003): Ein sicheres Europa in einer besseren Welt; Europäische Sicherheitsstrategie; in: Europäische Union Online; http://www.consilium.europa.eu/ue
3.2 Die Energiesicherheitsstrategie der EU
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Da die EU in hohem Maße von Einfuhren im Bereich der Energieträger abhängig ist, sind Instrumente, wie die Diversifizierung von Produzentenstaaten und Energieträgern, der Aufbau strategischer Reserven, das Solidaritätsprinzip und eine integrative Energieaußenpolitik in ihren Strategiepapieren enthalten und werden auch umgesetzt. Trotzdem bleiben bei weiterer Uneinigkeit in diesem Feld hohe Risiken bestehen.
3.2.2 Die Risiken der EU-27 für eine langfristige, gesicherte Energieversorgung Ein Risiko für die EU ist, dass sie bei dem Versuch auf der globalen Ebene als einheitlicher Akteur hinsichtlich Energiethemen aufzutreten, zumeist unkoordiniert auftritt. Es ist der EU noch nicht möglich zwischen den Mitgliedsstaaten einen Konsens herzustellen. Allerdings besteht auch keine rechtliche Verpflichtung für die einzelnen Mitgliedsstaaten, ihre Energiepolitik mit allen Staaten der EU zu koordinieren. Dadurch schwächt die EU ihren Einfluss auf die Entwicklungen auf dem internationalen Energiemarkt.301 Ein Beispiel ist der Entstehungsprozess der so genannten Nord-Stream Pipeline, die das russische Wyborg direkt mit Greifswald verbinden und im Jahre 2010 in Betrieb gehen soll (Abb. 18).302 Laut Pressemitteilung der Nord Stream AG hat die EU-Kommission die geplante Pipeline Mitte des Jahres 2006 „als vorrangiges Energieprojekt von gesamteuropäischem Interesse eingestuft und als Schlüsselprojekt für die künftige Energieversorgung Europas in die so genannte TEN-E-Liste (Transeuropäisches Netzwerk der Energie) aufgenommen.“303 Bis dato steht jedoch nicht einmal der genaue Verlauf der Pipeline durch die Ostsee fest, da sich u.a. Warschau dagegen wehrt, dass sie durch polnisches Hoheitsgebiet – dies schließt die Wirtschaftszone ein – verlegt wird.
/031208ESSIIDE.pdf; S. 3; Zugriff: 20.03.2008. 301 United Nations Economic Commission for Europe (2007): Emerging Global Energy Security Risks; No. 36; United Nations; New York; Geneva; S. 21. 302 Die Pipeline wird 1.200 km lang sein und eine Kapazität von erst 27,5 Mrd. m3 Erdgas pro Jahr und später mit einem zweiten Leitungsstrang ein Volumen von 55 Mrd. m3 pro Jahr haben. Nord Stream: Pipeline durch die Ostsee ist vorrangiges Energieprojekt der Europäischen Union; in: Nord Stream Online; http://www.nord-stream.com/press_release.html?&L=1&tx_ttnews[pointer]=3&tx_tt news[tt_news]=162&tx_ttnews[backPid]=24&cHash=bad7e22228; Zugriff: 11.01.2008. 303 Nord Stream: Pipeline durch die Ostsee ist vorrangiges Energieprojekt der Europäischen Union; in: Nord Stream Online; http://www.nord-stream.com/press_release.html?&L=1&tx_ttnews[pointer]= 3&tx_ttnews[tt_news]=162&tx_ttnews[backPid]=24&cHash=bad7e22228; Zugriff: 11.01.2008.
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Abbildung 18: Die Ostseepipeline „Nord-Stream“
Quelle: Handelsblatt Online: http://bc1.handelsblatt.com/news/loadbin/ShowImage.aspx?img=158 3447&l=1; Zugriff: 11.01.2008.
Durch den Bau der Pipeline entwickelte sich Polen vom Transit- zum reinen Abnehmerstaat für russisches Gas. Dies wiederum würde laut Jaroslaw Kaczynski, früherer Ministerpräsident Polens, die Abhängigkeit von Russland deutlich erhöhen. Während eines Staatsbesuches in Deutschland im Oktober 2006 äußerte er deshalb:„Wir wollen nicht in die Lage kommen, befürchten zu müssen, dass man uns den Hahn abdreht“ wird. Da dies zu verhindern ein vitales nationales Interesse sei, wolle er weiteren Widerstand gegen die Pipeline leisten.304 Auch nach dem Regierungswechsel im Oktober 2007 in Polen hält der neue Ministerpräsidenten Donald Tusk an diesem Kurs fest. Er möchte mit Berlin und Moskau über die Pipeline reden, wie etwa darüber, dass eine Onshore-Pipeline durch Polen nur ein Drittel des Preises kostete oder was die Bedingungen für die Änderung des Vorhabens seien. Denn auch seiner Ansicht nach belastet der Bau der Pipeline die Beziehungen zu Deutschland und Russland. Und auch seine Regierung geht davon aus, dass Moskau, im Falle einer politischen Krise, den
304
Tagesspiegel: Osteepipeline: Kczynski kündigt weiteren Widerstand an; in: Tagesspiegel Online; http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/Wirtschaft-Polen-Russland-Oel;art115,1870754; Zugriff: 29.10.2006.
3.2 Die Energiesicherheitsstrategie der EU
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Gashahn zudrehen könnte und somit die Lieferungen als politisches Druckmittel verwende.305 Diese Konkurrenz innerhalb der EU, um die Durchsetzung der einzelstaatlichen Interessen beruht auf zwei Faktoren. Erstens geht es um Interessen, die geopolitisch motiviert sind. Das Beispiel der Nord Stream Pipeline verdeutlicht, dass Polen befürchtet seine Interessen nicht gegenüber Deutschland und Russland durchsetzen zu können, sondern vielmehr von den beiden Staaten dominiert wird. So verglichen Lech und Jaroslaw Kacynski den Entschluss des russischen Präsidenten Vladimir Putins und des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröders die Pipeline von Gazprom, BASF und E.ON306 bauen zu lassen, mit dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939.307 Zweitens geht es um die strategische Sicherung des Energiebedarfs der Einzelstaaten der EU-27. Der Gesamtenergiebedarf wird von 2005 bis 2030 voraussichtlich um 188,2 Millionen Tonnen Erdöläquivalent (Mtoe) von 1.804 Mtoe auf 1.992 Mtoe ansteigen (Abb. 19). Dabei wird der Bedarf an Erdöl in etwa gleich bleiben, an Erdgas und Erneuerbaren Energien zunehmen und der an Kohle sowie Atomkraft abnehmen. Da die Eigenproduktion von Energie zwischen 2005 und 2030 Prognosen zufolge von 925 Mtoe auf 733 Mtoe abnehmen wird, wird die EU-27 in Zukunft verstärkt auf Importe angewiesen sein. Dies betrifft vorwiegend die Energieträger Erdgas und Erdöl. Die Substitution von Erdöl ist dabei besonders schwierig, da Erdölfolgeprodukte für den Transportbereich genutzt werden. Um die versiegenden Quellen in der Nordsee zu substituieren setzt die EU auf die Diversifizierung der Produzentenstaaten außerhalb des eigenen Territoriums.308 Dafür versuchen private Energiekonzerne, die ihren Hauptsitz in den Mitgliedsstaaten der EU haben, auf dem internationalen Markt Förderlizenzen zu erwerben. Ferner sind Verhandlungen über den Aufbau einer Transportinfrastruktur für Erdöl und Erdgas notwendig. Da die Importabhängigkeit hinsichtlich Erdöl und Erdgas bei anderen Staaten wie der VR China, den USA, Indien und vielen weiteren kontinuierlich wächst, ist ein Trend der Politisierung von Energiebeziehungen zu verzeichnen. So sind sowohl die Regierungen der Produzen305
Verivox: Polen will mit Berlin und Moskau über Ostsee-Pipeline diskutieren; in: Verivox Online; http://www.verivox.de/News/ArticleDetails.asp?aid=22603; Zugriff: 08.01.2008. 306 Die Nord Stream AG, die für den Bau der Pipeline verantwortlich ist setzt sich zusammen aus: Gazprom 51 Prozent, BASF und E.ON jeweils 24,5 Prozent. Nord Stream AG: Das Unternehmen; in: Nord Stream AG Online; http://www.nord-stream.com/company.html?&L=1; Zugriff: 10.01.2008. 307 Amann, Susanne: Populisten im Doppelpack; in: Spiegel Online; http://www.spie gel.de/politik/ausland/0,1518,378135,00.html; Zugriff: 06.10.2005. 308 Kommission der Europäischen Gemeinschaft (2006): Grünbuch: Eine europäische Strategie für nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energie; in: http://ec.europa.eu/energy/green-paper-en ergy/doc/2006_03_08_gp_document_de.pdf; S. 4; Zugriff: 01.04.2006.
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tenstaaten, als auch die der Abnehmerstaaten an langfristigen guten Beziehungen interessiert. Dadurch verschieben sich jedoch auch geopolitische und geoökonomische Ausrichtungen der Politik weiter in die Richtung der Sicherung des Zugangs zu Energierohstoffen.309 Abbildung 19: Primärenergieverbrauch in Millionen Tonnen Erdöläquivalent (1990-2030)
Quelle: Europäische Kommission (2005): Energy and Transport Trends 2030; in: http://ec.europa.eu/dgs/energy_transport/figures/trends_2030_update_2005/energy_transport_trends_ 2030_update_2005_en.pdf; S. 84; Zugriff: 10.01.2008.
Die Sicherung des Zugriffs auf Energierohstoffe verläuft dabei auf zwei Ebenen. Erst versuchen hochrangige Regierungsmitglieder den Weg auf neue Märkte zu ebnen. Danach folgen international tätige Erdöl- und Erdgaskonzerne, um Verträge mit den jeweiligen Regierungen der Produzentenstaaten auszuhandeln. Um den Erfolg auf politischer Ebene zu ermöglichen ist es vorteilhaft, wenn Interessen eines Staates nach außen hin als kohärent wahrgenommen werden und der Staat global gesehen große wirtschaftliche und politische Macht besitzt.310 309
United Nations Economic Commission for Europe (2007): Emerging Global Energy Security Risks; No. 36; United Nations; New York; Geneva; S. 21. 310 Diese Vorgehensweise hat sich im Laufe der Geschichte herauskristallisiert. Auch wenn Energiekonzerne auch heute noch zum Teil ohne Unterstützung von Regierungen Verträge einfädeln und abschließen. Dies ist aber bei Ressourcen, die ausschließlich im Staatseigentum liegen, fast ausgeschlossen. In den 1950er und 1960er Jahren gab es in diesem Bereich noch eine stärkere Trennung.
3.2 Die Energiesicherheitsstrategie der EU
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Abbildung 20: Frankreich: Primärenergieverbrauch in Millionen Tonnen Erdöläquivalent (1990-2030)
Quelle: Europäische Kommission (2005): Energy and Transport Trends 2030; in: http://ec.europa.eu/dgs/energy_transport/figures/trends_2030_update_2005/energy_transport_trends_ 2030_update_2005_en.pdf; S. 100; Zugriff: 10.01.2008.
Innerhalb der EU ist jedoch der Energiemix der Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich. Dementsprechend sind auch die daraus folgenden nationalen Interessen zur Energieversorgung diametral. Werden die extremen Pole innerhalb der EU betrachtet, fällt auf, dass der Energiemix in Frankreich sehr von Atomenergie dominiert ist während der von Polen vorwiegend auf Kohle basiert (Abb. 20 u. 21). Dahingegen liegt der Fokus des Energiemix in Deutschland zunehmend auf Erdgas und Erneuerbaren Energien (Abb. 22). Deshalb hat die Bundesrepublik Deutschland seit den 1970er Jahren die Energiebeziehungen erst zur Sowjetunion, dann zu Russland und den Ländern der Kaspischen Region, auch gegen den Protest der Westalliierten, ausgebaut. Ein Beispiel hierfür ist die Zentralasienreise von Bundesaußenminister FrankSo kam es bspw. dem State Department der USA durchaus gelegen, dass es eine Trennung von Aktivitäten der Ölkonzerne im Ausland und der US-Außenpolitik gab – vor allem, was Israel betraf (z.B. hinsichtlich des Sechs-Tage-Krieges). Im Foreign Office in London erteilte das „Oil Desk“ die Weisung an Diplomaten, sich nicht in die Geschäftspolitik der Ölkonzerne einzumischen. Die Konzerne brächten auch so hohe Abgaben und die Regierung sollte vor neuerlichen Katastrophen, wie die Suez-Krise geschützt bleiben. Außerdem schienen die Ölkonzerne nicht langfristig nach Fehlschlägen leiden zu müssen. So konnten Shell-Manager kurz nach der Suez-Krise wieder in Kairo tätig werden, während britische Diplomaten noch längere Zeit als personae non gratae erachtet wurden. Die Zweiteilung schien also auch gut für die Versorgungssicherheit zu sein. Allerdings wurde sie aufgehoben sobald Probleme auftauchten. So bekam die APOC Unterstützung von der CIA und dem Secret Service, als Mossadeq den Erdölsektor im Iran 1954 verstaatlichte. Sampson, Anthony (1976): Die Sieben Schwestern. Die Ölkonzerne und die Verwandlung der Welt; Rowohlt; Hamburg; S. 187.
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3 Energiesicherheit: ein globales einheitliches Konzept?
Walter Steinmeier mit Vertretern der deutschen Wirtschaft vom 2.-4. November 2006 und die darauf folgenden Ereignisse in der Kaspischen Region.
Abbildung 21: Polen: Primärenergieverbrauch in Millionen Tonnen Erdöläquivalent (1990-2030)
Quelle: Europäische Kommission (2005): Energy and Transport Trends 2030; in: http://ec.europa.eu/dgs/energy_transport/figures/trends_2030_update_2005/energy_transport_trends_ 2030_update_2005_en.pdf; S. 122; Zugriff: 10.01.2008.
Abbildung 22: Deutschland: Primärenergieverbrauch in Millionen Tonnen Erdöläquivalent (1990-2030)
Quelle: Europäische Kommission (2005): Energy and Transport Trends 2030; in: http://ec.europa.eu/dgs/energy_transport/figures/trends_2030_update_2005/energy_transport_trends_ 2030_update_2005_en.pdf; S. 102; Zugriff: 10.01.2008.
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Ein wichtiges Ziel der Reise sollte die Anbahnung einer Energiepartnerschaft mit Kasachstan und Turkmenistan sein. In der Zentralasienstrategie der EU, die von Steinmeier im Zuge der deutschen Ratspräsidentschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2007 entstanden ist, heißt es hierzu: „Die Abhängigkeit der EU von externen Energiequellen und die Notwendigkeit einer Politik der diversifizierten Energieversorgung eröffnen weitere Perspektiven für eine Zusammenarbeit zwischen der EU und Zentralasien. Die Bemühungen der EU um die Stärkung lokaler Energiemärkte werden dazu beitragen, die Investitionsbedingungen zu verbessern, die Energieproduktion und -effizienz in Zentralasien zu steigern und die Energieversorgung und -verteilung in der Region zu diversifizieren.“311
Über ein entsprechendes Memorandum of Understanding, das zwischen Kasachstan und der EU Anfang Dezember 2006 in Brüssel unterzeichnet wurde, sollte europäischen Unternehmen der Zugang zu den Ölvorkommen des Landes geebnet werden. Ferner sollte der Besuch dazu beitragen, dass neue Pipelines durch das Kaspische Meer gelegt werden, um die so genannte Nabucco-Pipeline, die bei Fertigstellung kaspisches und iranisches Erdgas unter Umgehung russischen Territoriums nach Europa leiten soll, aufzufüllen.312 Aber nicht nur für die EU sollte eine Diversifizierung der Energiequellen und der Transportwege vorangetrieben werden, auch Kasachstan hoffte auf einen Ausbau seines Pipelinenetzes außerhalb russischen Staatsgebietes. So äußerte Kasachstans Außenminister Kassymschomart Tokajew: „Kasachstan versucht, seine Abnehmer zu diversifizieren. Je mehr Pipelines es gibt, desto besser.“313 Nachdem das Memorandum of Understanding im Dezember in Brüssel unterzeichnet wurde, trafen sich am 27. und 28. März 2007 Frank-Walter Steinmeier, EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner und der EUSonderbeauftragte für Zentralasien, Pierre Morel, mit Spitzenpolitikern aus zentralasiatischen Staaten in Astana. Dabei sollte die begonnene Partnerschaft vertieft und ausgeweitet werden.314 311
Europäische Union (2007): Die EU und Zentralasien: Strategie für eine neue Partnerschaft; in: Auswärtiges Amt Online; http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Europa/Aussen politik/Regionalabkommen/Zentralasien-Strategie-Text-D.pdf; S. 2; Zugriff: 10.01.2008. 312 Schmid, Fidelius; Steinmann, Thomas: EU schmiedet Energieallianz mit Kasachstan; in: FTD Online; http://www.ftd.de/politik/europa/123565.html?nv=cd-topnews; Zugriff: 20.10.2006; Casert, Raf: EU, Kazakhs Build Energy Ties; in: Moscow Times Online: http://www.moscowtimes.ru/stories/2006/12/05/042.html; Zugriff: 05.12.2006. 313 Schmid, Fidelius; Steinmann, Thomas: EU schmiedet Energieallianz mit Kasachstan; in: FTD Online; http://www.ftd.de/politik/europa/123565.html?nv=cd-topnews; Zugriff: 20.10.2006. 314 Wirtschaftswoche: Steinmeier sucht in Kasachstan neuen EU-Energieansatz; in: Wirtschaftswoche Online; http://www.wiwo.de/politik/steinmeier-sucht-in-kasachstan-neuen-eu-energieansatz-229372/;
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Allerdings ist die EU mit ihrem Engagement in Zentralasien nicht allein. Russland, das die Region nach wie vor zu seinem „Nahen Ausland“ rechnet und auf dem Wege ist, sich als „Energiesupermacht“ zu etablieren, hat vitale Interessen in der Region. Bspw. kommen rund 15 Prozent der russischen Erdgasexporte, die in Richtung Europa fließen aus Zentralasien.315 Im Mai 2007 machte Präsident Wladimir Putin eine Stippvisite ins turkmenische Turkmenbashi, um mit den Präsidenten Kasachstans Nursultan Nasarbajew und Turkmenistans Gurbanguli Berdimuchamedow ebenfalls ein Memorandum of Understanding zu unterzeichnen. Dieses Memorandum of Understanding sieht vor, dass die Erdgaslieferungen aus den zwei Staaten nach Russland von 50-60 Milliarden m3 pro Jahr auf 90 Milliarden m3 zu erhöhen. Zuvor hatte er in Astana mit Nasarbajew ein Abkommen ausgehandelt, nachdem fast die gesamte kasachische Erdölproduktion durch die Caspian Pipeline Consortium-Pipeline (CPC) zum Schwarzmeer Hafen Noworossijsk gepumpt werden soll. Die Durchleitungskapazität wird aller Voraussicht nach von 750.000 Barrel pro Tag auf 1,35 Millionen Barrel pro Tag ausgebaut werden.316 Am 20. Dezember 2007 wurde schließlich ein Abkommen über die Erweiterung der Gaspipeline von Turkmenistan nach Russland unterzeichnet. Die Pipeline wird eine vorläufige Kapazität von 20 Milliarden m3 haben und soll bis zum Jahre 2010 fertig gestellt sein. Laut Präsident Putin wird die Caspian Pipeline einen bedeutenden Beitrag zur Stärkung der europäischen Energiesicherheit leisten.317 Dies steht jedoch im klaren Gegensatz der europäischen Energiesicherheitsstruktur, die vorsieht, dass die Erdgasimporte aus Russland durch eine starke Diversifizierung – auch der Transportrouten – prozentual vermindert werden sollen.318
Zugriff: 29.03.2007. 315 Erdgasproduktion in Russland 2006: 656,43 Mrd. m3; Konsum: 452,33 Mrd. m3; für Export bleiben 204,1 Mrd. m3. Der Erdgasexport 2006 liegt bei 262,5 Mrd. m3; bleiben 41,5 Mrd. m3 oder 15,84 Prozent der Exporte, die aus Zentralasien zugekauft werden müssen. Gazprom (2007): Gazprom Annual Report 2006; in: Gazprom Online; http://www.gazprom.com/documents/Report_Eng.pdf; Zugriff: 01.12.2007. 316 Deutsche Welle: Russland stärkt seine Energiemacht in Zentralasien; in: Deutsche Welle Online; http://www.dw-world.de/dw/article/0,2144,2517866,00.html; Zugriff: 17.05.2007; Moscow Times: More Kazakh Oil in Russian Pipeline; in: Moscow Times Online; http://www.themoscowtimes.com/stories/2007/05/11/041.html; Zugriff: 12.05.2007. 317 Mirovalev, Mansur: Deal for Caspian Gas Pipeline Signed; in: Moscow Times Online; http://www.moscowtimes.ru/stories/2007/12/21/041.html; Zugriff: 22.12.2007. 318 Europäische Kommission (2001): Grünbuch. Hin zu einer europäischen Strategie für Energieversorgungssicherheit; Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaft; Luxemburg; S. 24; Europäische Kommission (2006): Grünbuch. Eine europäische Strategie für nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energie; Brüssel; S. 4.
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Die politische Vorbereitung von Verhandlungen der EU im internationalen Rahmen setzt jedoch eine möglichst konforme Vorgehensweise der einzelnen Mitgliedsstaaten voraus. Ist dies nicht der Fall, so kann ein außereuropäischer Akteur die europäische Ebene außer Acht lassen. Vielmehr kann dieser Akteur auf der nationalstaatlichen Ebene mit den Staaten Vereinbarungen treffen, die ähnliche Interessen hinsichtlich der Anbahnung des jeweiligen Verhandlungsobjekts vertreten. Solange es also noch keine gemeinsame Außenpolitik der EU gibt, wird die Energiesicherheitsstrategie zwar die rudimentären Bereiche abdecken können. Jedoch ist ein souveränes Auftreten gegenüber Erdöl- und Erdgasproduzenten nur eingeschränkt möglich, was ein großes Defizit der Strategie darstellt. Andererseits kann es keine gemeinsame Energieaußenpolitik der EU geben, wenn nicht die EU-Energieinnenpolitik harmonisiert ist. Dazu gehören auch die Umsetzung des gemeinsamen EU-Energiebinnenmarktes und die vollständige Integration des Strom- und Pipelinenetzes. Diese EU-spezifische Problematik ist ein Grund dafür, warum einige Punkte aus der UN-Sicherheitsstrategie für die EU (noch) nicht in vollem Umfang zum Tragen kommen. Zwar werden einzelne Punkte wie die Diversifizierungspolitik, der Aufbau von strategischen Reserven und das Solidaritätsprinzip umgesetzt. Die Sicherung der Seetransporthandelswege wird jedoch bspw. weitestgehend der US-Marine überlassen. Ein anderes Beispiel ist der Schwerpunkt der Nachhaltigkeit. Zwar enthalten die Grünbücher der EU-Kommission und die verschiedenen Direktiven zur Förderung von Erneuerbaren Energieträgern den Aspekt des Umwelt- und Klimaschutzes. Durch den massiven Einsatz von Kohle in Polen und die nach wie vor ungeklärte Frage der Endlagerung radioaktiver Abfälle aus der Atomkraft, die vor allem beim Anteil des Atomstroms in der Stromproduktion Frankreichs zum Tragen kommen, tritt dieser Aspekt allerdings zumindest zum Teil in den Hintergrund. Wie dargestellt wurde, steht die EU also weiterhin vor dem Problem, eine nach innen und außen konforme Energieversorgungssicherheitsstrategie zu entwickeln und zu implementieren. Dies ist aufgrund des föderalen Systems von einzelnen Nationalstaaten auch ungleich komplizierter als in einem Einzelstaat wie bspw. den USA. Anders als die USA versucht die EU allerdings ihre Energieaußenpolitik weitestgehend auf Partnerschaften und Dialoge auszurichten, das heißt auf die Integration in den Weltenergiemarkt. Militärisch-kriegerische Politik findet nicht so oft ihre Anwendung. Wie gestaltet sich aber der Entwurf einer Energiesicherheitsstrategie in einem Schwellenland, mit einer stark zunehmenden Energienachfrage, einer prosperierenden Wirtschaft und einer Bevölkerung, die ein Fünftel der Weltbevölkerung umfasst? Wie geht die Regierung in Beijing die Probleme der Energiever-
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3 Energiesicherheit: ein globales einheitliches Konzept?
sorgungssicherheit an? Diesen Fragen wird im folgenden Kapitel nachgegangen, wobei die Analyse einen kurzen Überblick über die Problematiken bietet. Eine genauere Untersuchung der Energiepolitik Chinas findet im Kapitel 4 statt.
3.3 Die Energiesicherheitsstrategie der VR China Chinas Energiesicherheitsstrategie ist aus einer Reihe von Debatten und Kampagnen verschiedener Akteure entstanden. Die Hauptakteure im Bereich des Erdöls sind hierbei die großen staatlichen Erdölkonzerne, die NDRC, das Ministry on Foreign Affairs, die People’s Liberation Army (PLA) und Experten aus verschiedenen Think Tanks und Universitäten. Die China Energieexpertinnen Susann Handke und Erica Downs führen diese Bandbreite an Akteuren darauf zurück, dass sich die VR China zunehmend im Ausland engagiert, wofür spezialisiertes Wissen von Nöten sei und mehr Raum biete für „apolitical expert input into the policy-making process.“319
3.3.1 Die Entstehung der Energiesicherheitsstrategie der VR China Wie bei anderen Staaten, ist ein Hauptfaktor der chinesischen Energiepolitik der Wunsch nach einer absoluten Selbstversorgung. Das Anliegen nach ökonomischer Autarkie lässt sich schon im Laufe der Jahrtausende währenden Monarchie nachvollziehen und findet seine Kontinuität nach der Gründung der Volksrepublik unter Mao Zedong. Der Fokus auf die Unabhängigkeit von Energieimporten lässt sich dabei auf den Anfang der 1960er Jahre datieren, als sich die Regierung in Beijing mit Moskau überwarf und in Folge die Unterstützung von sowjetischen Spezialisten beim Aufbau der Energieindustrie in der VR China fehlten. Ferner importierte die Volksrepublik in den 1960er Jahren rund 50 Prozent ihres Erdölkonsums aus der UdSSR, ein Aspekt, der nun vom Kreml als Druckmittel im Konflikt genutzt werden konnte.320 Erst mit den Erfolgen nach intensiver Exploration von Erdölquellen in China und der Entdeckung der großen Lagerstätten in Daqing, Shengli und Liaohe konnte sich Beijing aus dieser Situation befreien. Durch den Abbau dieser bis heute (Stand 2009) größten Funde in China, die nach wie vor ca. 50 Prozent der 319
Handke, Susann (2006): Securing and Fuelling China’s Ascent to Power; Clingendael International Energy Programme; The Hague; S. 23; Downs, Erica (2004): The Chinese Energy Security Debate; in: China Quarterly; no. 177; S. 21-44; Cambridge University Press; S. 25ff. 320 Constantin, Christian (2005): China’s Conception of Energy Security: Sources and International Impacts; Centre of International Relations; University of British Columbia; Vancouver; S. 8.
3.3 Die Energiesicherheitsstrategie der VR China
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chinesischen Reserven abdecken, stieg die Volksrepublik auf Platz fünf der weltweit größten Exporteure auf und konnte seinen Erdölbedarf für etwa 30 Jahre selbst decken. Erst 1993 erreichte China aufgrund des steigenden Konsums, basierend auf einem durchschnittlichen jährlichen Wirtschaftswachstum von ca. 9,5 Prozent seit 1979, erneut den Status eines Nettoimporteurs und sah sich aus politischen und wirtschaftlichen Gründen gezwungen, eine nachhaltige Energiesicherheitsstrategie zu entwickeln (Kap. 4.4.1).321 Die Etablierung einer Energiesicherheitsstrategie basiert jedoch nicht nur auf eigenen Erfahrungen, sondern auch auf der genauen Beobachtung der Reaktionen anderer Staaten auf energiepolitische Krisen. So entsprechen die einzelnen Faktoren der chinesischen Energiesicherheitsstrategie den „klassischen Schritten“, mit denen sich alle Staaten auseinandersetzen müssen, die sich mit dem Problem der Abhängigkeit von Energieimporten konfrontieren. Bspw. überzeugte der Vorsitzende des Chinesischen Zentrums für Strategische Energiestudien, Xia Yishan, die chinesische Regierung, auf die Erfahrungen Russlands, der USA und Japans zurückzugreifen und erstens eine Energiesicherheitspolitik zu adaptieren, die auf nationaler Sicherheit und einer strategischen Vision beruht, zweitens die Priorität der Energiesicherheit in der Regierung zu steigern, drittens die Überseeaktivitäten der chinesischen nationalen Erdölkonzerne auszuweiten, viertens bilaterale Verhandlungen auf Regierungsebene unter Berücksichtigung der Interessen dieser Konzerne zu führen, fünftens eine Politik der Diversifizierung der Energiequellen und Produzenten voran zu treiben, sechstens eine strategische Erdölreserve aufzubauen und siebtens sich in bi- und multilateraler Energiekooperation zu engagieren.322 Im Laufe der 1990er Jahre konvergierten die aufgezählten Faktoren in ein Verständnis der Energiesicherheit, das stark bedarfsorientiert und auf Erdöl fokussiert war. 1993 definierte der damalige Premierminister Li Peng das Ziel der chinesischen Energiepolitik: „to secure the long-term and stable supply of oil to China“.323 Diesem Ziel unterstanden die meisten energiepolitischen Entscheidungen zwischen 1993 und 2000. Abzulesen ist dies bspw. im Tenth Five-Year Plan of Economic and Social Development, in dem Energiesicherheit als wichtigster Punkt angeführt ist. Um diesen Punkt zu erfüllen schlägt der Plan vor, die Verwendung von fortgeschrittener Technologie zu forcieren, die nationale Energieproduktion zu erhöhen, die Erdgasindustrie zu entwickeln, die Konkurrenzfä321
Constantin, Christian (2005): China’s Conception of Energy Security: Sources and International Impacts; Centre of International Relations; University of British Columbia; Vancouver; S. 8. 322 Constantin, Christian (2005): China’s Conception of Energy Security: Sources and International Impacts; Centre of International Relations; University of British Columbia; Vancouver; S. 10. 323 Felix K. Chang (2001): Chinese Energy and Asian Security; Vol. 45, No. 2; S. 211-240; Orbis; S. 233; Constantin, Christian (2005): China’s Conception of Energy Security: Sources and International Impacts; Centre of International Relations; University of British Columbia; Vancouver; S. 11.
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3 Energiesicherheit: ein globales einheitliches Konzept?
higkeit der nationalen Erdölkonzerne auf den internationalen Märkten zu steigern, eine nationale strategische Erdölreserve anzulegen, Energieeinsparung und Energieeffizienz zu verbessern, den regulativen Rahmen und die Kontrolle der Industrie auszubauen und die angelaufenen Reformen in der Erdölindustrie zu intensivieren.324 Also Punkte, die zu weiten Teilen mit der Energieversorgungssicherheitsstrategie der UNO, der IEA und der EU übereinstimmen. In anderen Dokumenten aus denen sich ebenfalls Teile der Energieversorgungsstrategie entnehmen lassen, werden diese Faktoren bestätigt:
China Energy Strategy Study (2000-2050). Tenth Five-Year Plan for National Economic and Social Development (2001-2006). Tenth Five-Year Plan for Energy Conservation and Resources Comprehensive Utilization (2001-2006). Eleventh Five-Year Plan for National Economic and Social Development (2006-2011). China’s Medium and Long-Term Energy Development Plan (2004-2020).325
Ebenso ist das Verständnis der Energiesicherheit in vielen chinesischen wissenschaftlichen Publikationen der 1990er Jahre zu finden. Energiesicherheit wird häufig mit Energie- oder Erdölgeopolitik assoziiert, mit dem Kampf der Großmächte um die Etablierung einer Vormachtstellung. Politikempfehlungen sind hier zumeist unter einer bedarfsorientierten Sichtweise die Diversifizierung der Energiequellen und Produzenten sowie der Bau von Pipelines in Richtung Russland, Iran und der Kaspischen Region, um einer möglichen Sperrung der Straße von Malakka vorzubeugen.326 Solche geostrategischen Politikvorschläge sind jedoch auch in nichtchinesischen Publikationen zu finden. So empfehlen bspw. Philip Andrews-Speed, Xuanli Liao und Roland Dannreuther hinsichtlich der Atasu-AlashankouPipeline, die 2002 noch in Planung war, in einer gemeinsamen Publikation: „They [Chinese government] might yet decide that the current dependence on the Gulf for oil supplies is excessive, that a stronger Chinese presence in Central
324
Zhu Rongji (2001): Report on the Outline of the Tenth Five-Year Plan for National Economic and Social Development; in: English People Daily; http://english.peopledaily.com.cn /features/lianghui/zhureport.html; Zugriff: 10.06.2008. 325 Da das dritte Kapitel über die Energiepolitik Chinas auch das Thema der Energiesicherheit eingehender behandelt wird an dieser Stelle auf eine detaillierte Darstellung der einzelnen Texte verzichtet. 326 Andrews-Speed, Philip; Liao, Xuanli; Dannreuther, Roland (2002): The Strategic Implications of China’s Energy Needs; Adelphi Paper 346; Oxford University Press; Oxford; S. 25.
3.3 Die Energiesicherheitsstrategie der VR China
159
Asia is required to counter-balance the growing US influence, and that the Kazakhstan oil pipeline should be constructed, regardless of cost.“327 Der Fokus auf Zentralasien und im größeren Rahmen die Kaspische Region für die kontinentale Ausrichtung der Diversifizierungspolitik bei Erdöl und Erdgas hat dabei verschiedene Gründe. Erstens ist China im Südwesten in weiten Teilen vom Himalaya eingeschlossen, durch den keine Pipelines gebaut werden können. Zweitens verhandelt China zwar auch mit Russland über den Bau von Pipelines. Allerdings wurden diese Verhandlungen mehrfach verzögert oder scheiterten ganz (Kap. 4.4.1). Drittens bietet sich eine Diversifizierung der Erdöl- und Erdgasimporte aus der Kaspischen Region aufgrund der geographischen Nähe an. Und viertens versucht die Volksrepublik ihre Importe, die zum Großteil über den Seeweg und durch die von der US-Marine kontrollierte Straße von Malakka transportiert werden, durch andere, möglichst von fremden Einflüssen freie Routen durchzuführen.
3.3.2 Import von Erdöl über die Straße von Malakka Die Diversifizierung von Erdölquellen und Produzenten in Richtung Kaspischer Region und Russland, die mit massiven Investitionen zusammenhängt, wird vorangetrieben. Da die geographische Nähe gegeben ist soll der politische Einfluss vor allem in der Kaspischen Region ausgebaut werden. Rund 80 Prozent der Erdölimporte sollen nach wie vor durch die Straße von Malakka transportiert werden. Da diese jedoch von den USA kontrolliert wird, welche sich nach wie vor im Streit um die Wiedereingliederung Taiwans in das Mutterland auf der Seite Taiwans positionieren, kann, im Falle eines Konfliktes zwischen der VR und der Republik China, die Straße von Malakka gesperrt werden, was katastrophale Auswirkungen auf die Erdölversorgung der Volksrepublik China hätte. Bspw. erklärt Ynag Yi, Direktor des Institutes für Strategische Studien an Chinas National Defense University: „[w]hen I was the naval attaché at the Chinese Embassy in the United States, an American asked me how we would defend our strategic sea passages if it became necessary to do so. I said, speaking diplomatically, that the U.S., the world’s traffic cop, is very good at maintaining order and that we can go along for the ride. But, truthfully speaking, this is not reliable, if we do not have any conflicts of interest with the U.S., we can go along for the ride. As soon as a conflict occurs, however, it 327 Andrews-Speed, Philip; Liao, Xuanli; Dannreuther, Roland (2002): The Strategic Implications of China’s Energy Needs; Adelphi Paper 346; Oxford University Press; Oxford; S. 61.
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3 Energiesicherheit: ein globales einheitliches Konzept? will be disastrous. For example, if the U.S. implements a large scale blockade or embargo in the Taiwan Strait, would we be able to withstand it?”328
Ob die USA im sehr unwahrscheinlichen Falle einer militärischen Auseinandersetzung zwischen den beiden chinesischen Staaten eine Blockade wirklich aufrechterhalten kann ist aus verschiedenen Gründen fraglich. So sind die VR China und die USA inzwischen wirtschaftlich stark verflochten. Das Handelsvolumen stieg seit 1979, also dem Jahr, in dem sich die Handelsbeziehungen zwischen den zwei Staaten normalisierten, mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von rund 19 Prozent von 2,4 Milliarden US-Dollar auf 211,6 Milliarden US-Dollar im Jahre 2005. Allein zwischen 2001 und 2005 stieg das Handelsvolumen um durchschnittlich 27,4 Prozent im Jahr. Allerdings ist die Handelsbilanz der USA gegenüber der Volksrepublik, wie zu den meisten Staaten, negativ. 2004 betrug das Defizit 162 Milliarden US-Dollar, 2005 bereits 202 Milliarden US-Dollar, also ca. 28 Prozent des 723,6 Milliarden US-Dollar umfassenden gesamt Handelsbilanzdefizits.329 Sollte die Wirtschaft in China aufgrund einer Blockade der USA einbrechen, hätte dies auch starke Auswirkungen auf die Wirtschaft der USA und in Folge auf die Weltwirtschaft. Eckhard Janeba, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität von Mannheim, argumentiert, dass das hohe Außenhandelsbilanzdefizit die USA anfällig für mögliche Umschwünge im Verhalten von Investoren mache. Zudem ist durch Steuersenkungen, die nicht hinreichend gegenfinanziert seien, ein weiteres Defizit entstanden. Diese Verschuldung wird Großteils durch China und weitere asiatische Staaten finanziert.330 Ein Teil dieser Finanzierung ist über die Währungsreserven der Volksrepublik gedeckt. Anfang des Jahres 2009 hielt China mit über 1,9 Billionen USDollar die weltweit höchsten Währungsreserven.331 Bis Mitte 2009 waren davon 810 Milliarden US-Dollar in US-Staatsanleihen investiert.332 Allein die Höhe der Reserven kombiniert mit der Anlagestruktur gibt der Regierung in Beijing ein Machtmittel gegenüber den USA in die Hand. Bspw. fiel der US-Dollar Mitte November 2006 gegenüber dem Euro auf ein Jahrestief, nachdem Zhou Xiao328
Downs, Erica (2006): China; The Brookings Foreign Policy Studies; Energy Security Series; S.
14. 329
Kaplan, Eben: The Uneasy U.S.-Chinese Trade Relationship; in: Council on Foreign Relations; www.cfr.org; Zugriff: 22.04.2006; FTD: Ölpreis treibt US-Außenhandelsdefizit in ungeahnte Höhen; in: FTD-Online; www.ftd.de; Zugriff: 10.03.2006. 330 Deutsche Welle: USA oder China – wer macht das Rennen?; in: Deutsche Welle Online; www.dw-world.de; Zugriff: 22.04.2006. 331 International Herald Tribune: China says foreign reserves now exceed US$1.2 trillion; in: IHT Online; www.iht.com; Zugriff: 13.04.2007. 332 Reuters: China: USA müssen sorgfältig mit Dollar-Flut umgehen; in: Reuters Online; http://de.reuters.com/article/economicsNews/idDEBEE56R0FW20090728; Zugriff: 28.07.2009.
3.3 Die Energiesicherheitsstrategie der VR China
161
chuan, Gouverneur der chinesischen Notenbank, angekündigt hatte, die Währungsreserven zu diversifizieren.333 Zwar bedeutet eine Entwertung des USDollars auch immense Wertverluste für die chinesischen Reserven. Aber im Falle einer US-Blockade der chinesischen Erdöleinfuhren über eine Sperrung der Straße von Malakka, wäre die Androhung, die Devisenreserven zum Teil oder die Staatsanleihen auf einen Streich abzutreten, ein geeignetes Druckmittel, um die Blockade schnellstmöglich aufzuheben. Zudem würde eine solche Drohung andere Nationen auf den Plan rufen, auf Washington einzuwirken, da ein vollständiger Transfer der chinesischen Dollarreserven in Euro, Yen, englisches Pfund und/oder Rubel aufgrund der inhärenten rasanten Abwertung der Weltwährung eine Gefahr für die gesamte Weltwirtschaft darstellte. Doch wird die Summe der US-Dollarreserven in der VR China so lange weiter steigen, bis sich die Regierung in Beijing entscheidet, keine weiteren Dollar einzukaufen.334 Ferner erlaubt es ein Gentlemans Agreement zwischen China und den westlichen Industriestaaten, dass diese in China billig produzieren können. China kann dafür über einen Handelsüberschuss Devisenreserven anhäufen und damit westliche Staatsanleihen aufkaufen um dort Zinsen niedrig und die Kaufkraft für chinesische Güter hoch zu halten. Wen Jiabao betonte deshalb, dass alles was seine Regierung mit den Devisen anstelle keinen Einfluss auf die Dollaranlagen Chinas haben werde.335 Um den Berg an Reserven trotzdem zumindest zum Teil abzutragen und mehr Gewinn zu erwirtschaften, als es die US-Staatsanleihen mit nur drei Prozent zulassen, will die chinesische Regierung die Währungsreserven verstärkt für Investitionen und Übernahmen im Rohstoff- und Technologiesektor nutzen.336 Vorbild dafür ist die Temasek Holding, der Investmentarm der Regierung Singapurs, die 62 Milliarden Euro an staatlichen Geldern verwaltet und investiert. Temasek erwirtschaftet seit 1974 eine durchschnittliche Rendite von 18 Prozent im Jahr. So verkündete der chinesische Staatsrat im März 2007 die Gründung einer Investmentgesellschaft unter dem Namen State Foreign Investment Company, die eine effizientere Verwaltung der Reserven managen soll und direkt der Regierung unterstellt ist. Diese Agentur soll vorerst mit einem Kapital von 200 bis 400 Milliarden US-Dollar ausgestattet werden und ihre Arbeit im September 333
Kruger, Daniel: Dollar Drops This Week as China Says It Will Diversify Reserves; in: Bloomberg-Online; www.bloomberg.com; Zugriff: 12.11.2006. 334 Johnson, Steven C.: China comments spark U.S. dollar fall; in: Reuters Online; www.reuters.com; Zugriff: 21.03.2007. 335 Blume, Georg: China lässt den Dollar nicht fallen; in: TAZ Online; www.taz.de; Zugriff: 17.03.2007. 336 Oberösterreich Nachrichten: China investiert Milliarden in Übernahmen; in: OÖNachrichten; http://www.nachrichten.at/wirtschaft/529388?PHPSESSID=63477c3bcd73f482f948ed682c40757e; Zugriff: 19.03.2007.
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3 Energiesicherheit: ein globales einheitliches Konzept?
2007 aufnehmen. Aber auch diese Kapitalumschichtung soll schrittweise erfolgen, um eine Abwertung des US-Dollars vorzubeugen.337 Daneben ist es höchstwahrscheinlich, dass die Devisenreserven langsam in einen Währungspool transferiert werden, damit die Abhängigkeit vom volatilen Wechselkurs des US-Dollar reduziert wird. Aber ganz gleich welche Anlagestrategie China künftig verfolgt: Die Wechselkurse der Weltwährungen werden künftig auch in Beijing mitbestimmt.338 Davon dürften auch die drei großen staatlichen Erdölkonzerne China National Petroleum Corporation (CNPC), China National Offshore Oil Corporation (CNOOC) und Sinopec profitieren. Aber die chinesischen Erdölkonzerne setzen nicht nur bei kostspieligen Projekten im In- und Ausland auf die finanzielle Unterstützung durch ihre Regierung. Gerade bei der Exploration und Entwicklung von Offshore-Feldern benötigen sie die politische Rückendeckung Beijings, um die zum Teil zwischen mehreren Staaten umstrittenen Reserven fördern zu können.
3.3.3 Konflikte um Offshore-Reserven Im Bereich der Offshore-Reserven kann eine Förderung bis heute (Stand 2009) jedoch kaum durchgesetzt werden, da die entdeckten Felder in Gebieten liegen, in denen die Ziehung der Seegrenzen bi- bzw. multilateral noch nicht endgültig geregelt ist. Dies betrifft vor allem die Ostchinesische See (Abb. 23) und die Südchinesischen See (Abb. 24). In der Ostchinesischen See kam es wiederholt zu Konflikten mit Japan. Sowohl China als auch Japan beanspruchen verschiedene
337 Anfang September 2007 wurde bspw. ein staatlicher Investmentfonds mit vorerst 600 Mrd. Yuan (ca. 58 Mrd. Euro) über die Emission einer Sonderstaatsanleihe eingerichtet. Diese Anleihe, die bei der „State Foreign Investment Company“ untergebracht ist, verfolgt den Zweck, die Währungsreserven erstens zu diversifizieren und zweitens höhere Erträge zu erwirtschaften als dies bei USStaatsanleihen möglich ist. Die chinesische Staatsschuldenverwaltung emittierte die erste Tranche der 1,55 Billionen Yuan umfassenden Sonderemission von Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit und einem Kupon von 4,3 Prozent. Vorerst werden die Papiere bei der Zentralbank untergebracht und danach nach und nach in den Anleihemarkt eingebracht. Mit dieser Sonderemission, die die größte seit Beginn der Datenerhebung der Staatsschuldenverwaltung im Jahre 1998 ist, entzieht die chinesische Notenbank dem Markt Liquidität. Damit versucht sie gegen die steigende Inflation vorzugehen, die sich im Sommer 2007 um die sechs Prozent-Marke bewegte und ein Zehn-Jahres-Hoch erreichte. Handelsblatt: China legt neuen Staatsfonds auf; in: Handelsblatt Online;http://www.handelsblatt.com /News/Zertifikate-Fonds/Fonds-Nachrichten/_pv/_p/202973/_t/ft/_b/1316393/default.aspx/china-legt -neuen-staatsfonds-auf.html; Zugriff: 28.04.2008. 338 Oberösterreich Nachrichten: China sitzt auf gigantischem Dollar-Schatz; in: OÖNachrichten; http://www.nachrichten.at/wirtschaft/542655?PHPSESSID=db0d93153c83c93842c0c635db5193db; Zugriff: 26.04.2007.
3.3 Die Energiesicherheitsstrategie der VR China
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Gebiete für sich, in denen sich die Wirtschaftszonen beider Länder überschneiden und die die begehrten Ressourcen Erdöl und Erdgas beherbergen.339 So trennt Japan die exklusive Wirtschaftszonen zwar anhand einer Medianlinie, beansprucht aber eine kleine unbewohnte Inselgruppe Nahe Taiwan. Sollten die Senkaku-Inseln wirklich zu Japan gehören, so kann Tokio die Medianlinie deutlich nach Westen verschieben und erhält Zugriff auf einen größeren Anteil an den Erdgasreserven. China argumentiert mit der Ausdehnung seines Festlandsockels, der nach Auffassung der Regierung in Beijing an der OkinawaTiefe endet, was den Vorstellungen in Tokio widerspricht. Sollte sich China hier 339
Die Ostchinesische See zwischen China und Japan ist an ihrer breitesten Stelle nur 360 Seemeilen breit. D.h. es ist hier unmöglich die Artikel 56 und 57 der Seerechtskonvention der UN anzuwenden, nach denen die exklusive Wirtschaftszone 200 Seemeilen beträgt. In dieser Wirtschaftszone hat jeder Staat: „sovereign rights for the purpose of exploring and exploiting, conserving and managing the natural resources.” Auch die VR China verabschiedete am 26. Juni 1998 auf dem neunten National People’s Congress ihren Exclusive Economic Zone and Continental Shelf Act. In Artikel 2 wird – angelehnt an die Seerechtskonvention der UN – die 200 Seemeilenzone Chinas definiert; in Artikel 3 heißt es dann: „In the exclusive economic zone the People's Republic of China shall exercise sovereign rights for the purpose of exploring and exploiting, conserving and managing the natural resources of the waters superjacent to the seabed and of the seabed and its subsoil, and with regard to other activities for the economic exploitation and exploration of the zone, such as the production of energy from the water, current and winds. The People's Republic of China shall have jurisdiction in the exclusive economic zone with regard to the establishment and use of artificial islands, installations and structures; marine scientific research; and the protection and preservation of the marine environment. The natural resources of the exclusive economic zone referred to in this Act include living and nonliving resources.” Auch wenn die chinesischen Explorationen in der Ostchinesischen See schon Anfang der 1980er Jahre begonnen hatten, wurde die Entwicklung der Felder erst zur Jahrtausendwende – also nach der Verabschiedung des Exclusive Economic Zone and Continental Shelf Act – in die Wege geleitet. Am 19. August 2003 wurden fünf Kontrakte zwischen Sinopec und CNOOC auf der einen, Royal Dutch Shell und Unocal Corp. auf der anderen Seite unterzeichnet. Ziel war es drei Blöcke und zwei Offshore-Felder im Xihu Trough (500 km südöstlich von Shanghai) zu explorieren bzw. zu entwickeln. Nach Zuspitzung des Konfliktes um die Eigentumsrechte an den betreffenden Erdgasfeldern zwischen Beijing und Tokio, zogen sich die beiden westlichen Firmen im September 2004 aus kommerziellen Gründen zurück. Ob dies der wirkliche Grund für den Rückzug war ist zu bezweifeln, da es eine Note der japanischen Regierung gab, die Shell und Unocal über Washington zugetragen wurde, dass „their investment would be risky as the planned gas field was located in an area disputed.“ Also ist anzunehmen, dass es eher diese Drohgebärde Tokios war, die die beiden Konzerne zur Aufgabe zwang. Xuanli, Liao (2006): The petroleum factor in Sino-Japanese relations: beyond energy cooperation; in: International Relations of the Asia Pacific; S. 22-46; Vol. 7; Nr. 1; Oxford; S. 41; Chinese Government (1998): Exclusive Economic Zone and Continental Shelf Act; in: United Nations Online; http://www.un.org/Depts/los/LEGISLATIONANDTREATIES/PDFFILES/chn_1998_eez_ act.pdf; Zugriff: 09.07.2008; United Nations (1982): Convention on the Law of the Sea; in: United Nations Online; http://www.un.org/Depts/los/convention_agreements/texts/unclos/unclos_e.pdf; Zugriff: 09.07.2008.
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durchsetzen können, so erhält die Volksrepublik deutlich mehr Anteile an den Ressourcen im Ostchinesischen Meer.340 Abbildung 23: Erdölkonflikte im Ostchinesischen Meer
Quelle: Abduction Politics: Desired Ground; http://ishingen.wordpress.com/2007/03/27/desiredground-part-three/; Zugriff: 25.04.2008.
Eine Einigung könnte jetzt aber eingetreten sein. So meldete die japanische Nachrichtenagentur am 16. Juni 2008, dass sich Tokio und Beijing geeinigt hätten, die Vorkommen im umstrittenen Gebiet gemeinsam auszubeuten und unter sich aufzuteilen.341 Nach abgeschlossener Exploration könnte die Volksrepublik als ihre Produktionskapazitäten auch hier weiter ausweiten. Vorausgesetzt es wird neben Erdgas noch in ausreichendem Maße Erdöl gefunden. Zumindest kann jedoch die Transformation von Erdöl auf Erdgas im Automobilsektor weiter vorangetrieben werden. Der zweite Konflikt in der Südchinesischen See ist noch komplizierter gelagert. Hier streiten sich Malaysia, Vietnam, Indonesien, Brunei und die Philippinen mit der VR China um die Vorkommen rund um die Spratly-Inseln (Abb. 24). 340 Welter, Patrick: China und Japan kooperieren; in: FAZ Online; http://www.faz.net/; Zugriff: 18.06.2008. 341 Neue Züricher Zeitung: Streit um Erdgas im Ostchinesischen Meer beigelegt; in NZZ-Online; http://www.nzz.ch/magazin/dossiers/streit_erdgas__1.760510.html; Zugriff: 16.06.2008.
3.3 Die Energiesicherheitsstrategie der VR China
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Das auf Honolulu angesiedelte East-West Center geht davon aus, dass das Areal eine Produktionskapazität zwischen 250.000 und 650.000 Tonnen pro Jahr birgt. Dies entspricht zwar nur 0,5 Prozent des chinesischen Bedarfs, ist aber als Diversifizierungsoption der Produktion auf „eigenem“ Territorium für die Regierung in Beijing Grund genug um in den Verhandlungen um die Reserven hart zu bleiben.342 Dabei entwickelte sich der Konflikt nicht aus Gründen der Sicherung von Energiereserven. Bereits 1987 fürchtete die Kommunistische Partei Chinas, dass ihr Führungsanspruch in der Volksrepublik zumindest beschädigt werde, wenn sie für sich beanspruchtes Territorium an kleine regionale Staaten abtreten müsste. Immerhin endete der Verlust von staatlichem Territorium an westliche Kolonialmächte ein Jahrhundert davor mit dem Untergang der Monarchie in China.343 Zudem ist der Verlust von Territorialgebiet immer auch ein Zeichen an andere Nachbarstaaten oder separatistische Gruppen (in Tibet, Xinjiang, etc.), dass sie bei Grenzziehungsdisputen oder Souveränitätsbestrebungen Erfolg gegenüber einer in dieser Hinsicht geschwächten chinesischen Regierung haben können. Im Vorfeld stand also die Furcht vor einem Dominoeffekt. Erst ab 1984 rückten die Erdöl- und Erdgasressourcen rund um die Inselgruppe in den Fokus der chinesischen Regierung. Mit dem rasch ansteigenden Wirtschaftswachstum und der erfolgreichen Entwicklung der süd- und ostchinesischen Provinzen, wuchs auch das Interesse am Ausbau der Produktionskapazitäten. Nachdem dann noch der sowjetische Einfluss in Südasien drastisch zurückging, brauchte China die ASEAN-Staaten nicht mehr als Verbündete gegen die UdSSR. Insofern konnte Beijing die sich vergrößernden Sorgen um einen Energieengpass bei weiter anhaltendem ökonomischem Aufschwung in Investitionen im Offshore-Bereich ertränken. Laut Schätzungen sollen bis zu 17 Mrd. Tonnen Erdöl in der Südchinesischen See ruhen.344 Allerdings stieg nun die Angst vor einer von den ASEAN-Staaten eingerichteten „Entente kordiale“ gegen China. Mit dem Rückgang der Relevanz der Volksrepublik als Spielball zwischen den Großmächten Sowjetunion und USA ab dem Jahr 1987, bekam dann der Territorialkonflikt im Südchinesischen Meer
342 Andrews-Speed, Philip; Liao, Xuanli; Dannreuther, Roland (2002): The Strategic Implications of China’s Energy Needs; Adelphi Paper 346; Oxford University Press; Oxford; S. 80. 343 Jie, Chen (1994): China’s Spratly Policy: With Special Reference to the Philippines and Malaysia; in: Asian Survey; Vol. 34; Nr. 10; University of California Press; S. 894. 344 Jie, Chen (1994): China’s Spratly Policy: With Special Reference to the Philippines and Malaysia; in: Asian Survey; Vol. 34; Nr. 10; University of California Press; S. 895; Sense, Paul D. (2005): Chinese Acquisition of the Spratly Archipelago and Its Implications for the Future; in: Conflict Management and Peace Science; S. 79-94; Nr. 22; Routledge; New York; S. 80.
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3 Energiesicherheit: ein globales einheitliches Konzept?
mit der größeren Bezugnahme auf innere Angelegenheiten weitere Relevanz für Beijing.345 Abbildung 24: Erdölkonflikte in der Südchinesischen See
Quelle: http://www.globalsecurity.org/military/world/war/images/schinasea.gif; Zugriff: 25.04.2008.
In den 1990er Jahren gab es immer wieder Versuche den Konflikt durch bi- und multilaterale Verhandlungen zu lösen. Bspw. fingen China und Vietnam im Jahre 1993 Gespräche an, um ihr Problem der Grenzziehung zu lösen. Diese Verhandlungen wurden jedoch wieder eingefroren, als Hanoi einen Vertrag mit der US-amerikanischen Conoco abschloss, in der Südchinesischen See mit der Exploration von Erdöl und Erdgas zu beginnen. Zwar wurden im Jahre 2000 andere 345
Jie, Chen (1994): China’s Spratly Policy: With Special Reference to the Philippines and Malaysia; in: Asian Survey; Vol. 34; Nr. 10; University of California Press; S. 895f.
3.4 UNO, EU, China: Ein einheitliches Konzept?
167
kleine Grenzdispute gelöst, doch das Spratly-Problem wird auch in Zukunft das chinesisch-vietnamesische Verhältnis strapazieren.346 Da auch die anderen angrenzenden Staaten auf die Einhaltung ihrer exklusiven Wirtschaftszone laut UN Konvention bestehen, ist ein Ende des Territorialstreits nicht in Sicht. Aufgrund der besonderen Lage der Spratly-Inseln versuchen aber auch andere Staaten zu vermitteln, u.a. Japan. Die Interessen Tokios beruhen dabei vorwiegend auf der Befürchtung, dass eine Eskalation des Konfliktes zu einer starken Beeinträchtigung des Schiffsverkehrs durch die Straße von Malakka führen kann. Davon wären auch die Erdöl- und Erdgastransporte aus dem Nahen Osten nach Japan betroffen.347 Auch für die VR China stellt die Meerenge, die von den USA militärisch kontrolliert wird, bei der Erdölversorgung einen Schwachpunkt dar. Sollte es einmal zu einer Sperrung der Straße kommen, so wären die Konsequenzen für die chinesische Wirtschaft enorm. Insofern setzt die chinesische Regierung – wie auch viele andere Erdölimportstaaten auf die Diversifizierung der Transportwege. Neben dem Transport per Eisenbahn aus Russland bleibt für dieses Ziel nur der Bau von Pipelines in Richtung Russland und über Kasachstan in die Kaspische Region als Alternative.
3.4 UNO, EU, China: Ein einheitliches Konzept? Die außenpolitischen Instrumente für Energiesicherheit, die die Regierung in Beijing verwendet orientieren sich vorwiegend an interdependenten Konzepten wie der Entwicklung wirtschaftlicher Verflechtungen zu seinen Nachbarstaaten, denn an militärisch-friedlichen oder militärisch-kriegerischen (Kap. 3.3). Auch China setzt ähnlich wie die EU auf Infrastrukturmaßnahmen und Investitionen in die Wirtschaft der Produzentenstaaten. Während die EU verschiedene Möglichkeiten hat, Erdöl- und Erdgasimporte durch Pipelines und Schiffe sehr breit zu diversifizieren, werden 80 Prozent der Erdölimporte der VR China durch die Straße von Malakka transportiert. Auch beim Aufbau von Pipelines hat China nur wenige Alternativen, da sich der Himalaya über weite Teile der westlichen und südlichen Grenze erstreckt. Durch dieses Gebirge eine Pipeline zu bauen, ist weder technisch noch wirtschaftlich sinnvoll. Es bleiben somit zur Diversifizie346
Sense, Paul D. (2005): Chinese Acquisition of the Spratly Archipelago and Its Implications for the Future; in: Conflict Management and Peace Science; S. 79-94; Nr. 22; Routledge; New York; S. 82. 347 Xuanli, Liao (2006): The petroleum factor in Sino-Japanese relations: beyond energy cooperation; in: International Relations of the Asia Pacific; S. 22-46; Vol. 7; Nr. 1; Oxford; S. 34; Er, Lam Peng (1996): Japan and the Spratlys Dispute: Aspirations and Limitations; in: Asian Survey; S. 995-1010; Vol. 36; Nr. 10; University of California Press; S. 1009.
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3 Energiesicherheit: ein globales einheitliches Konzept?
rung der Erdölimporte zwei Zugänge auf dem eurasischen Kontinent: Russland (auch über die Mongolei) und Kasachstan. Neben den Investitionen zur Sicherung und Diversifizierung der Erdölimporte ist ein Hauptziel der chinesischen Regierung die Absicherung der Energieversorgung über den Ausbau von Erneuerbaren Energien und Energieeffizienzmaßnahmen (Kap. 4.4.5 u. 4.5). Auch in Beijing rückt – ähnlich wie in der EU – inzwischen das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung in den Fokus der Energiepolitik. Sei es beim Umwelt- oder beim Klimaschutz, der Anschluss an die Standards der westlichen Industrienationen ist weit oben auf der energiepolitischen Agenda angesiedelt. So äußerte sich der Chefökonom der Deutschen Bank, Nobert Walter, in einem Interview auf die Frage, ob der Klimaschutz in der Krise international durchsetzbar sei: „Es gibt Länder, die mehr in Strategien denken und mehr davon durchsetzen als wir. China ist ein Beispiel dafür. Die sagen nicht nur, dass sie sich kümmern. Die kümmern sich wirklich.“348 Allerdings ist die chinesische Energiesicherheitsstrategie nach wie vor in Entwicklung begriffen. Zwar folgt sie vorwiegend den Erfahrungen aus der historischen Entwicklung der Energiesicherheit (Kap. 2) und den Vorgaben der UNO und der IEA (Kap. 3.1). Dennoch sind Punkte wie die Regulierung oder Deregulierung der Energieindustrie und -preise noch nicht endgültig geklärt. Auch hier sind Parallelen zur EU zu erkennen. In der EU ist das Hindernis eine gemeinsame Versorgungssicherheitsstrategie aufzubauen allerdings, dass jeder Mitgliedsstaat seinen eigenen Energiemix und seine eigene Energiepolitik etabliert hat. Die Gestaltungshoheit über die Energiepolitik wird von jedem Staat als besonderes vitales nationales Interesse angesehen und nur widerstrebend an eine supranationale Instanz abgegeben. In China ist das Fehlen einer kohärenten Energiesicherheitsstrategie dagegen auf die rasche wirtschaftliche Entwicklung und die sich dadurch ständig ändernde Versorgungssituation zurückzuführen. Ein weiteres Hindernis sind Kompetenzstreitigkeiten zwischen Regierung, großen staatlichen Konzernen und dem Militär. Die Untersuchung der historischen Ursprünge der Energiesicherheitsstrategien und die Analyse der umfassenden Strategie der UNO und der regionalen bzw. einzelstaatlichen Handhabung der Energiepolitik der EU und der VR China hat gezeigt, dass geographische, demographische, politische und ökonomische Faktoren sowie die Ressourcenvorkommen und das Potential für den Aufbau beziehungsweise Ausbau heimischer Energieproduktion die jeweilige Energiesicherheitsstrategie entscheidend beeinflussen. Eine übergeordnete Energiesicherheitsstrategie, die auf jeden Staat der Welt anwendbar ist, kann aus diesem Grund nicht entwickelt werden. Zwar lassen sich Instrumente solch einer Strate348
Krägenow, Timm: „Falsche Richtung“; in: FTD; 26.11.2008; S. 23.
3.4 UNO, EU, China: Ein einheitliches Konzept?
169
gie wie der Aufbau einer strategischen Erdölreserve, eine Diversifizierung der Energielieferstaaten, der Energiequellen und der Energieträger, eine Erhöhung der Energieeffizienz und der Energieeinsparung, der Aufbau von internationaler Kooperation in Energiefragen, erschwingliche Preise, ökologische Nachhaltigkeit und der Transfer und Einsatz von modernster Technologie bei Exploration und Produktion heimischer Energieträger generalisieren. Allerdings sind die Voraussetzungen für die Anwendung der verschiedenen Instrumente in einzelnen Staaten sehr unterschiedlich. Es ist zum Beispiel eine andere Politik notwendig in einem Schwellenland mit einem hohen Wirtschaftswachstum 1,3 Milliarden Menschen eine Energieversorgung zu garantieren, als in einer hoch industrialisierten Staatengemeinschaft mit rund 500 Millionen Menschen. Die VR China muss den ständig und rasch steigenden Energiebedarf für die Wirtschaft und Bevölkerung stillen und stößt dabei auf Probleme, für die keine bisherige Erfahrung gemacht wurde. In der EU steigt der Energiebedarf in geringerem Maße und auch die Bevölkerung schon ist zu weiten Teilen mit Energie verbrauchenden Geräten – von Fernseher über Mikrowelle bis hin zu Pkws – versorgt. Eine Planung des Energiebedarfs ist also leichter möglich als in der VR China. Diese und andere Besonderheiten fließen in die chinesische Energiesicherheitsstrategie und somit in die Energiepolitik mit ein. Das Hauptaugenmerk der zukünftigen Entwicklung der Strategie schließt allerdings eine breite internationale Zusammenarbeit beim Einsatz von neuen Technologien im Bereich der Energieeinsparung, der Energieeffizienz und der Erneuerbaren Energien ein, da hier ein großes Potential zur Vorbeugung von Umweltverschmutzung und Klimawandel vorhanden ist. Die Regierung in Beijing ist gewillt, dieses Potential zu nutzen. Jedoch ist sie dabei auf einen breit angelegten Technologietransfer aus den Industriestaaten angewiesen. Bisherige unternehmerische Barrieren, die aufgrund der Eigentumsrechte an Patenten und einer vorwiegend neoliberalen Konzernpolitik auf kurzfristige Gewinnmitnahmen ausgerichtet sind, müssen dafür schnellstmöglich überwunden werden. Nur dann kann auch die VR China diese Technologie in dem hohen Maße umsetzen, wie sie zur weiteren Entwicklung des Staates unter nachhaltiger Prämisse von Nöten ist. Nach der eher theoretischen Erörterung der verschiedenen Energiesicherheitsstrategien stellt sich nun die Frage, welche Bedeutung einzelne Energieträger für die Energieversorgung Chinas haben, welches Entwicklungspotential sie aufweisen und durch welche Politik, das heißt durch welche politischen Instrumente ihre Verbreitung und Investitionen in z.B. den Erdöl-, Erdgas- oder Atomsektor, begünstigt oder verhindert werden. Ebenso wird in folgendem Kapitel die Machtstruktur zwischen Regierung, staatlichen Energiekonzernen und dem Militär untersucht, um Chancen und Hemmnisse bei der zukünftigen Entwicklung des Energiesektors in China herauszuarbeiten und aufzuzeigen, warum die
170
3 Energiesicherheit: ein globales einheitliches Konzept?
Volksrepublik ein großes Interesse an den Energiereserven der Kaspischen Region hat.
4 Die Energiepolitik der VR China
„Wer einen Fluss überquert, muss nach den Steinen tasten.“349
Die Volksrepublik China (VR China) ist ein Staat, der nach seinem heutigen Entwicklungsstand in mancherlei Hinsicht den USA im Jahre 1850 entspricht. China hat eine hoch entwickelte und prosperierende Ostküste und inländische Regionen – vor allem die westlichen Regionen –, die weit hinterher hinken. Dort ist der Lebensstandard bedeutend geringer und der Primärsektor hat einen wesentlich höheren Anteil als in südöstlichen Regionen, in denen industrieller und Dienstleistungssektor überwiegen.350 Das über lange Zeiträume anhaltende hohe Wirtschaftswachstum in den USA hat dort das Defizit der Westküste gegenüber der Ostküste erst Anfang bis Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts ausgleichen können.351 Deswegen ist anzunehmen, dass auch die VR China weiterhin ein konstantes Wachstum benötigt, um die auseinander gehende Schere zwischen reichem Osten und armem Westen zu schließen. Gewinne privater oder staatlicher Konzerne könnten, in Verbindung mit Aufbauprogrammen über Anreizsysteme der Regierung, in den schwach entwickelten Regionen investiert werden. Darüber kann sich der sekundäre sowie tertiäre Sektor zumindest für die regionale Versorgung auch hier etablieren und die entsprechende Infrastruktur erstellt werden. In den USA gründete die Aufholjagd der westlichen Regionen auf der klassischen Theorie der „unsichtbaren Hand“ des freien Marktes.352 Und auch heute (Stand 2009) scheint es, als sei die US-amerikanische Wirtschaftselite vorwie349 Deng Xiaoping zitiert nach: Ross, Heidi; Lou; Jingjing (2005): “Glocalizing” Chinese Higher Education: Groping for Stones to Cross the River; in: Indiana Journal of Global Legal Studies; Vol. 12; Issue 1; S. 227 -250; Indiana University Press; S. 227. 350 Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy Crisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton; S. xi. 351 Mit dem Bau der Eisenbahn nach Westen und der Fertigstellung des Panamakanals konnte der Westen der USA ausreichend aufgebaut werden und an den (inter)nationalen Handel angeschlossen werden. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs hatten die USA einen Anteil von mehr als 65 Prozent am Weltbruttosozialprodukt. Abdolvand, Behrooz (2008): Die kaspischen Energieressourcen und die geoökonomischen Interessen der USA: Die Kaspische Region in einer multipolaren Welt; VDM Verlag; Saarbrücken; S. 38. 352 Dies trifft jedoch vorwiegend nur in der Theorie zu. In der Realität gab es durchaus keynesianistische Elemente. Vor allem die staatlich gelenkten Aufbauprogramme für den Westen der USA unter Präsident Roosevelt sind dafür ein Beleg.
M. Adolf, Energiesicherheitspolitik der VR China in der Kaspischen Region, DOI 10.1007/978-3-531-92738-1_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
172
4 Die Energiepolitik der VR China
gend von Neoklassikern beherrscht.353 Ein keynesianistischer Kurs, bei dem die Regierung regulierend in den Markt eingreifen kann, steht dort nur peripher zur Debatte. Ganz anders ist dies in planwirtschaftlichen Staaten wie der VR China. Reformen und Entwicklungsziele werden hier von staatlicher Seite langfristig vorbereitet und resultieren aus Beobachtungen der eigenen Wirtschaft und der anderer Staaten.354 Es gibt zwar die Tendenz zur Liberalisierung der staatlichen Sektoren und der Zulassung eines eingeschränkten Wettbewerbs. In strategisch relevanten Bereichen wie beispielsweise dem der Energie bleibt die Entscheidungsgewalt jedoch bei der Regierung. Das wiederum entspricht der Entwicklung in vielen Staaten, dass Energie einer der letzten industriellen Sektoren ist, der reformiert oder liberalisiert wird. Zum Teil liegt dies an den technischen und regulatorischen Schwierigkeiten hinsichtlich der Liberalisierung netzgebundener Energiesysteme, wie Gas oder Elektrizität. Ein wichtigerer Aspekt sind jedoch die Vorbehalte bei der Reform, dass Energie ein öffentliches Gut ist und nicht eine handelbare Ware. Diese Sichtweise ist weit verbreitet in kommunistischen oder sozialistischen Staaten.355 Ein weiterer Faktor der Energiepolitik ist die unterschiedliche Auffassung hinsichtlich der Definition von Energiesicherheit. In Energieimportstaaten wird Energiesicherheit oftmals als Synonym zu Versorgungssicherheit verwendet. Das heißt, das Augenmerk wird auf langfristig stabile und zuverlässige Lieferungen zu ökonomisch und sozial vertretbaren Preisen gerichtet (Kap. 3.1). Produzentenstaaten definieren Energiesicherheit dagegen in ihrem Interesse als langfristig zuverlässige Nachfrage. Das wiederum bedeutet, dass diese Staaten neben der Kontinuität des Angebots an der Garantie eines stabilen Absatzmarktes interessiert sind.356 353
Beispielsweise Milton Friedman, Frank Knight, Edwin Cannan, etc. So wurde auf internationaler Ebene genau beobachtet, welche Entscheidungen die russische Regierung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gefällt hat und ob sich daraus Lösungen für die Entwicklung Chinas ergeben. Auf nationaler Ebene war und ist die Regierung zum Teil auf „trial and error“-Politik angewiesen. Nach dem Zerwürfnis mit der Sowjetunion in den Jahren 1960-61, als Moskau alle sowjetischen Facharbeiter und Ingenieure zurückberufen hatte, mussten die bis dahin schlecht ausgebildeten Fachkräfte in China eigene Ideen und Methoden entwickeln, um beispielsweise den Erdölsektor weiter zu betreiben. Chinesische Techniker und Ingenieure studierten intensiv die verfügbare Literatur und wandten dieses Wissen dann an, um eigene Lösungen bei der Entwicklung von Erdölfeldern zu erarbeiten. Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy Crisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton; S. 59. 355 Andrews-Speed, Philip (2004): Energy Policy and Regulation in the People’s Republic of China; Kluwer Law International; The Hague; London, New York; S. 4. 356 Dazu gehören Faktoren, wie eine Diversifizierung der Abnehmerstaaten zur Vorbeugung gegen Erpressbarkeit und die Möglichkeit zur Mitgestaltung des Preises. Der Preis sollte so hoch sein, dass über den Verkauf der eigenen Reserven industrielle Produkte und Dienstleistungen importiert werden können, so dass noch eine ausgeglichene oder positive Handels- und Leistungsbilanz bestehen bleibt. 354
4 ! "#$ China
173
In der VR China liegt aufgrund dieser Faktoren ein Wandel im Energiesicherheitsdenken vor. Beispielsweise setzten zu Zeiten der Erdölpreiskrisen in den 1970er Jahren einige westliche Staaten ihre Hoffnung auf einen prosperierenden Erdölstaat, der nicht Mitglied der OPEC ist: auf China. Spätestens im Jahre 1993 zerschlugen sich jedoch diese Erwartungen mit der Transformation Chinas zum Nettoimporteur von Erdöl. Also setzte auch ein Umdenken bei der Energiesicherheitsstrategie ein. An Eigenversorgung bei allen Energieträgern, die nach wie vor ein Wunsch der chinesischen Regierung ist, war nicht mehr zu denken. Die prosperierende Wirtschaft war und ist auf einen wachsenden Energiezufluss und, aufgrund der „Dreifaltigkeit“ (Elektrizität, Wärme und Transport) des Energiemarktes, auf verschiedene Energieträger angewiesen. Da der wirtschaftliche Aufschwung in China weitergehen soll, um die östlichen Regionen entwickeln zu können und soziale Unruhen zu vermeiden, muss der steigende Energiebedarf möglichst zu hundert Prozent gesichert sein. Dazu hat die chinesische Regierung eine – wenn auch fragmentierte – Energiesicherheitsstrategie entwickelt (Kap. 3.3). Um einen genaueren Einblick zu bekommen, auf welchen Grundlagen hinsichtlich eigenen Reserven und Ressourcen, bereits existierender und zur Diversifizierung möglicher alternativer Energiehandelsrouten sowie der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kultur die Strategie basiert, wird im Folgenden zunächst der Energiemix der VR China erörtert. Dabei wird auch die Entwicklungsgeschichte und die Ausbaufähigkeit der einzelnen Energieträger dezidiert analysiert, um die Bedeutung der einzelnen Energieträger bei der heutigen und prognostisch bei der zukünftigen Energieversorgung darstellen zu können. Das ist erforderlich, um Rückschlüsse ziehen zu können, bei welchen Energieträgern sich eine Außenabhängigkeit der Volksrepublik entwickeln wird, beziehungsweise schon besteht und welche Möglichkeiten zur Diversifizierung vorhanden sind. Daraufhin erfolgt eine Analyse der Machtstruktur und somit auch der Planungshoheit zwischen Regierung, Militär und staatlichen Erdölkonzernen in Hinblick auf den Erdöl- und Erdgassektor. Das ist notwendig, um die Agitationsweise der VR China hinsichtlich ihrer innenpolitischen Verflechtungen und deren Auswirkungen auf die Energieaußenpolitik verständlich zu machen. Daran anschließend wird die Energieaußenpolitik im Kapitel 5 am Fallbeispiel der Kasachstan-China-Pipeline analysiert. Doch zunächst die wichtigsten, grundlegenden Informationen zum Energiemix in der Volksrepublik.
174
4 Die Energiepolitik der VR China
4.1 Der Energiemix der VR China Seit den Wirtschaftsreformen, die 1978 vom damaligen Präsidenten Deng Xiaoping initiiert wurden und 1979 erste Erfolge zeigten, stieg das Bruttoinlandprodukt (BIP) in der VR China bis zum Jahre 2008 jährlich um durchschnittlich 9,5 Prozent (Abb. 25). Solch ein hohes und konstantes Wirtschaftswachstum zieht zumeist einen steigenden Energiekonsum nach sich. Das Wachstum des Energiebedarfs im Verhältnis zum Wachstum des BIP ist dabei in Entwicklungs- und Schwellenländern größer als das in Industrie- bzw. Dienstleistungsgesellschaften. Grund hierfür sind verschiedene Faktoren. So benötigen Schwellenländer mehr Energie zum Aufbau ihrer Wirtschafts- und Verkehrsinfrastruktur als Staaten, die diese Bereiche schon etabliert haben. Ferner verfügen entwickelte Staaten zumeist über höher entwickelte Technologien, die Energieeffizienz und Energieeinsparungen ermöglichen. Zudem werden braune und weiße Ware357 sowie motorisierte Fortbewegungsmittel für weite Teile der Bevölkerung erst erschwinglich, wenn das Lohnniveau so weit steigt, dass genügend finanzielle Ressourcen für den Erwerb freigesetzt werden können (Kap. 4.4.1 u. 4.4.6).358 Dies ist in der VR China erst in den letzten Jahren eingetreten. Stieg das BIP pro Kopf in den Jahren 1979 bis 1991 noch „moderat“ um durchschnittlich 13,4 Prozent pro Jahr von 417 Renminbi (41,7 Euro)359 auf 1.879 Renminbi (187,9 Euro), erlebte das Land zwischen den Jahren 1991 und 2000 ein rapides durchschnittliches Wachstum von 15,89 Prozent pro Jahr von 1.879 Renminbi (187,9 Euro) auf 7.086 Renminbi (708,6 Euro) (Abb. 26). Im internationalen Vergleich nimmt die Volksrepublik jedoch zu hoch entwickelten Industrie- bzw. Dienstleistungsstaaten noch einen unteren Rang beim BIP pro Kopf ein (Tab. 4). Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass die Steigerung des wirtschaftlichen Wachstums in den nächsten Jahren weiter anhält, auch wenn die Regierung in Beijing schon im Tenth Five-Year Plan for National Economic and Social Development (2001-2006) veranschlagt hatte, dass die jährliche Wachstumsrate bei sieben Prozent eingependelt werden müsse, um eine Überhitzung der Wirtschaft zu vermeiden.360 357
Weiße Ware umfasst Haushaltsgeräte zur Erledigung der Hausarbeit. Braune Ware bezeichnet den Bereich der Unterhaltungselektronik. 358 Rühl, Christof (2007): BP Statistical Review of World Energy 2007; Präsentation in Berlin und Frankfurt; in: BP Online; http://www.deutschebp.de/liveassets/bp_internet/germany/STAGING /home_assets/assets/deutsche_bp/reden_standpunkte/vortrag_ruehl_stats_review_2007.pdf; Zugriff: 01.09.2008. 359 Ein Euro kostete am 1. Juli 2009 9,69 Renminbi Yuan. Finanzen Net: Euro – Renminbi Yuan – Kurs; in. Finanzen Net Online; http://www.finanzen.net/devisen/euro-renminbi_yuan-kurs; Zugriff: 01.07.2009. 360 Government of the People’s Republic of China (2000): The Tenth Five-Year Plan for National
4.1 Der Energiemix der VR China
175
Abbildung 25: Chinas BIP nach Preisen von 2006 in Milliarden Renminbi (1952-2006)
Quelle: Chinability: GDP growth 1952-2006; in: http://www.chinability.com/GDP.htm; Zugriff: 18.07.2008.
Abbildung 26: Chinas BIP pro Kopf in Renminbi (1952-2006)
Quelle: Chinability: GDP growth 1952-2006; in: http://www.chinability.com/GDP.htm; Zugriff: 16.07.2008.
Economic and Social Development; in: International Labour Organization; http://www.ilo.org/public /english/employment/skills/hrdr/init/chn_1.htm; Zugriff: 02.05.2007.
176
4 Die Energiepolitik der VR China
Tabelle 4: Bruttoinlandprodukt der VR China im internationalen Vergleich (2005) BIP 2005 BIP (Mrd. USDollar; Preise 2006) BIP pro Kopf (USDollar; Preise 2006) BIP pro Kopf (USDollar; PurchasingPower-Parity
USA
Japan
VR China 2.244
Russland
4.557
Deutschland 2.792
12.456 41.960
35.672
33.865
1.716
5.323
41.197
30.889
29.550
6.743
10.984
764
Quelle: IMF Report for selected countries; in: IMF Online; http://www.imf.org/external/pubind.htm; Zugriff: 20.08.2007.
Wird den Trends, die sich in Abbildung 23 und 24 abzeichnen, gefolgt, so kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die jährliche Wachstumsrate beim BIP auch in den kommenden Jahren bei rund 10 Prozent bleiben wird. Durch ein weiteres Wirtschaftswachstum wird aber auch die Nachfrage nach Energie größer. Mit dem steigenden Bedarf stellt sich die Frage, ob und wie der zunehmende Verbrauch befriedigt werden kann. Genügt hier das inländische Potential bei den einzelnen Energieträgern oder muss die Nachfrage aus dem Ausland gedeckt werden? Inwieweit können der Ausbau von Erneuerbare Energien die Importabhängigkeit bei Erdöl und Erdgas reduzieren? Gibt es genügend Importmöglichkeiten bei Erdgas, um den für die Energieversorgung Chinas relevantesten Energieträger Kohle zu substituieren? Dazu werden im Folgenden der Primärenergiemix und der Verbrauch nach Sektoren erörtert.
4.2 Produktion und Verbrauch von Primärenergie in der VR China Im Jahre 2005 konnte die VR China 90 Prozent des Energiebedarfs aus inländischen Quellen beziehen, da China nach wie vor über ein großes Potenzial eigener inländischer Energiereserven verfügt. Immerhin ist die Volksrepublik nach den USA und Russland der drittgrößte Energieproduzent der Welt.361 Der stellvertretende Leiter der chinesischen National Development and Reform Commission (NDRC), Chan Deming, erklärte am 2. Mai 2006, dass sich das in Zukunft auch nicht ändern werde.362 Kohle stellte dabei im Jahre 2007 mit 1.215 Millionen 361
IEA (2002): World Energy Outlook 2002; OECD/IEA; Paris; S. 238. CIIC: China will Energienachfrage hauptsächlich selbst decken; in: China Internet Information Center; http://german.china.org.cn/politics/china/txt/2007-05/05/content_8210557.htm; Zugriff: 06.05.2007. 362
4.2 Produktion und Verbrauch von Primärenergie in der VR China
177
Tonnen Erdöläquivalent Verbrauch den Hauptenergieträger bei der Primärenergie dar. Dies entspricht 40 Prozent der Weltverbrauch. Damit liegt China beim Verbrauch weltweit an erster Stelle vor den USA mit 19 Prozent (566 Millionen Tonnen Erdöläquivalent). Mit einem Konsum von 353 Millionen Tonnen Erdöläquivalent ist Erdöl der zweitwichtigste Primärenergieträger in der Volksrepublik. Hier belegt China mit einem Anteil am Weltverbrauch von neun Prozent nach den USA – 24 Prozent (944 Millionen Tonnen Erdöläquivalent) – den zweiten Platz, nachdem die Volksrepublik im Jahre 2003 Japan überholt hat. (Abb. 27; Abb. 28).363 Abbildung 27: Primärenergieverbrauch in der VR China in Mio. Tonnen Erdöläquivalent (1965-2007)
Quelle: BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff: 26.06.2008.
Drittgrößter Primärenergieträger in China ist Wasserkraft bei einem Verbrauch von 99 Millionen Tonnen Erdöläquivalent. Das sind 14 Prozent des Weltkon363 Logan, Jeffry (2005): Energy Outlook for China: Focus on Oil and Gas; Hearing on EIA’s Annual Energy Outlook for 2005; Committee on Energy and Natural Resources; U.S. Senate; 3 February 2005; http://www.eia.org/textbase/speech/2005/jl_china.pdf; Zugriff: 12.08.2007; S. 2; BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multi pleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff: 26.06.2008.
178
4 Die Energiepolitik der VR China
sums. Damit liegt China auf Platz eins vor Kanada mit elf Prozent (80 Millionen Tonnen Erdöläquivalent) und Brasilien mit 79 Millionen Tonnen Erdöläquivalent. Der Verbrauch von Erdgas liegt in China bei 51 Millionen Tonnen Erdöläquivalent. Dies entspricht 2 Prozent des Weltkonsums. Hier nimmt die Volksrepublik den elften Platz ein. Der Atomenergieverbrauch liegt bei zwölf Millionen Tonnen Erdöläquivalent. Mit zwei Prozent am Weltverbrauch belegt China auch bei diesem Energieträger den elften Platz (vgl. Abb. 27; Abb. 28).364 Das bedeutet, dass China beim Verbrauch von Energie heute (Stand 2009) schon die Plätze eins bis elf auf der weltweiten Rangliste belegt. Die Tendenz ist jedoch steigend. Vor allem bei den hoch emittierenden Rohstoffen Kohle und Erdöl muss die Volksrepublik Programme zur Energieeinsparung, Energieeffizienz und Substitution auflegen, um die Folgekosten für Umwelt und Gesundheit gering zu halten. Abbildung 28: Primärenergieverbrauch der Welt in Mio. Tonnen Erdöläquivalent (1965-2007)
Quelle: BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff: 26.06.2008.
Die durch den zunehmenden Verbrauch geprägten jährlichen durchschnittlichen Wachstumsraten der einzelnen Energieträger lassen sich im Falle der VR China 364
BP (2006): Statistical Review of World Energy; in: http://www.bp.com/productlanding.do?cat egoryId=6842&contentId=7021390; Zugriff: 14.02.2007.
4.2 Produktion und Verbrauch von Primärenergie in der VR China
179
in drei Perioden einteilen. Der erste Abschnitt stellt die von Mao Zedong geprägte Zeit dar, das heißt von Anfang der Datenerhebung im Jahre 1965 bis zu den Wirtschaftsreformen von Deng Xiaoping 1978. Dieser Zeitraum ist geprägt von einem Autarkiestreben unter dem Modell der Importsubstitution365. Der zweite Abschnitt umspannt die Jahre von 1979 bis 1993, von den ersten Auswirkungen der Wirtschaftsreformen bis zur Transformation Chinas vom Nettoexporteur zum Nettoimporteur von Erdöl. Diese Periode ist vom Modell der ExportIndustrialisierung geprägt366. Der darauf folgende dritte Abschnitt von 1994 bis 2008 zeichnet sich durch einen rasant steigenden Energieverbrauch und massive Investitionen im weltweiten Erdöl- und Erdgassektor aus. Innerhalb der drei Perioden sind hinsichtlich des Energiekonsums verschiedene Faktoren auffällig (Tab. 5). Vor allem zwischen 1965 und 1978 – also in der Phase der Importsubstitution – stieg der Verbrauch von Erdöl und Erdgas in der VR China stark an. Dies lag vorwiegend an dem nun besser organisierten wirtschaftlichen Aufbau der Industrie nach dem Scheitern des „Großen Sprungs nach vorn“ (1958-1961). Schon Anfang der 1960er Jahre setzte Mao auf den Aufbau großer Industriekomplexe und -kombinate. Dieser Trend, für dessen Umsetzung vorwiegend Kohle, Erdöl und Erdgas benötigt wurde, setzte sich auch während der Kulturrevolution (1966-1976) fort. Erst mit Deng Xiaopings Export-Industrialisierung sank die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate des Verbrauchs von Erdöl von circa zwei Prozent und liegt im Zeitraum zwischen 1994 und 2005 nur noch 0,3 Prozent über der weltweiten Wachstumsrate. Der Verbrauch von Kohle liegt über alle drei Zeitabschnitte konstant zwischen 4,6 und 4,8 Prozent. Das verdeutlicht die beständige Abhängigkeit des Landes von Kohle zum Heizen und Kochen, bei Kohlekraftwerken zur Stromherstellung und Hochöfen zur Stahlproduktion. 365
Ziel der Importsubstitution ist es, Importe von industriell gefertigten Waren durch den Aufbau einer eigenen Industrie zu ersetzen. Dieses Wirtschaftsmodell wurde zwischen den 1950er und 1970er Jahren u.a. in Brasilien, Indien und der VR China eingesetzt. Zhou, Yu (2008): Synchronizing Export Orientation with Import Substitution: Creating Competitive Indigenous High-tech Companies in China; World Development; im erscheinen; S. 4. 366 Vorbild hierfür waren Japan und Südkorea, die ihre fabrizierten Produkte erst auf dem US-Markt und später zunehmend auf dem europäischen Markt verkauften. Angedacht wurde das Modell in den 1960er Jahren, als Washington die heutigen Tigerstaaten an die USA binden wollte, indem die USProduktion in die südostasiatischen Staaten ausgelagert wurde und die USA den Absatzmarkt bildeten. Dadurch verzeichneten die Schwellenländer einen ungeahnten Aufschwung und erhielten dringend benötigte Devisen. Die USA bekamen preiswerte Produkte aus Billiglohnländern und hinderten die Sowjetunion am Ausbau ihres Einflusses in die Region. Seit den Wirtschaftsreformen Ende der 1970er Jahre hat die VR China die USA als größten Abnehmer chinesischer Exportprodukte gewinnen können und erhält dafür Devisen. Die Währungsreserven Chinas betragen inzwischen (Juli 2008) ca. 1,8 Billionen US-Dollar. Baek, Seung-Wook (2005): Does China Follow „the East Asian Development Modell“?; in: Journal of Contemporary Asia; Vol. 35; Nr. 4; S. 485-498; Routledge; S. 493ff.
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4 Die Energiepolitik der VR China
Tabelle 5: Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate des Konsums einzelner Energieträger in Prozent 1965-1978 (%) China Welt 18 5,3 Erdöl 22,9 19,1 Erdgas 4,6 1,2 Kohle -* 27,8 Atom 5,3 4,3 Wasser * Keine Daten vorhanden. ** 1994-2005.
1979-1993 (%) China Welt 2,1 -0,09 1,3 2,7 4,6 1,4 -* 9,2 8,5 2,5
1994-2005 (%) China Welt 2,0 1,7 9,6 2,6 4,8 2,5 12,3 2,0 8,3 2,0
1965-2005 (%) China Welt 7,1 2,3 10,4 3,5 4,8 1,7 12,3** 12,4 7,5 2,9
BP (2006): Statistical Review of World Energy; in: http://www.bp.com/productland ing.do?categoryId=6842&contentId=7021390; Zugriff: 14.02.2007.
Im Zeitraum zwischen 1994 und 2005, also der Abschnitt nachdem China Nettoimporteur von Erdöl wurde, ist gekennzeichnet von hohen Wachstumsraten bei Erdgas von 9,6 Prozent, Atomenergie 12,3 Prozent und Wasserkraft 8,3 Prozent. Dies ist vorwiegend zurückzuführen auf das Streben nach Autarkie bei der Energieversorgung und dem Versuch den Energieträger Erdöl in vielen Bereichen zu substituieren. Immerhin war es der Volksrepublik bis zum Jahr 2007 möglich den Energiebedarf zu 88 Prozent aus Eigenproduktion zu decken. Vor allem durch den hohen Anteil der Kohle am Primär- und Sekundärenergiemix ist Chinas Gesamtenergiebedarf nur zu zwölf Prozent vom Weltmarkt abhängig.367 Da Chinas Entwicklung aber noch lange nicht in einer Phase der Stabilität angelangt ist, ist davon auszugehen, dass auch die Energienachfrage in den nächsten Dekaden weiter ansteigen wird.
367
Gu, Xuewu; Mayer, Maximilian (2007): Chinas Energiehunger: Mythos oder Realität?; Oldenbourg; München, Wien; S. 14.
4.3 Verbrauchsprognose der Primärenergie bis 2030
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4.3 Verbrauchsprognose der Primärenergie bis 2030 Durch Faktoren wie steigende Mobilität368, Produktion und Ausweitung von Handelswegen im Zuge der fortschreitenden Globalisierung wird der Energieverbrauch der Welt höchstwahrscheinlich auch in Zukunft kontinuierlich, wenn nicht gar exponentiell zunehmen (Tab. 6). So prognostiziert die International Energy Agency (IEA) für den Zeitraum zwischen 2002-2030 eine durchschnittliche jährliche Steigerung des weltweiten Verbrauchs an Primärenergieträgern von 1,7 Prozent, das heißt von 1.242 Millionen Tonnen Erdöläquivalent auf 2.539 Millionen Tonnen Erdöläquivalent. Chinas Anteil soll dabei von zwölf Prozent auf 18,9 Prozent anwachsen (Tab. 6). Die Energy Information Agency (EIA) wiederum schätzt den Anstieg des weltweiten Energieverbrauchs zwischen 20022030 auf rund 2,1 Prozent pro Jahr von 10.685 Millionen Tonnen Erdöläquivalent auf 19.173 Millionen Tonnen Erdöläquivalent, wobei der Anteil Chinas 11,7 Prozent bzw. 21 Prozent beträgt (Tab. 6 u. 7). Da die weltweiten Reserven an fossilen Energieträgern endlich sind, wird sich der Trend zur Diversifizierung der Produktionsstätten und der Energieträger als Teil der Umsetzung der Energiesicherheitsstrategie auch in China weiter erhalten.369 368 Zur Mobilität gehören Flugzeuge, Schiffe, Eisenbahnen und Kraftfahrzeuge. Im Jahre 2006 betrug die Anzahl an Pkw in China ca. 17 Millionen. Die Verkaufszahl stieg zwischen den Jahren 2000 und 2006 um 37 Prozent pro Jahr auf 4,4 Millionen Fahrzeuge an. Während vor wenigen Jahren vor allem Institutionen und Taxiunternehmen Limousinen nachfragten, hat sich das Bedarfsprofil inzwischen in Richtung Kleinwagen für Privatpersonen verschoben. Dies steht in direktem Zusammenhang mit dem sich neu entwickelnden Mittelstand in der chinesischen Gesellschaft. Im April 2006 hat die Regierung die Konsumsteuer reformiert, mit dem Ziel den Kauf von Pkw mit einem kleinen Motor und niedrigem Verbrauch attraktiver zu gestalten. Laut IEA wird die Anzahl der Kraftfahrzeuge (Pkw und LKW) in China bis zum Jahre 2030 auf 269 Millionen von 35 Millionen im Jahre 2005 ansteigen. Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate beträgt dabei 8,4 Prozent. Im Jahre 2005 konnten in den Küstenregionen von tausend Personen 35 einen Pkw ihr eigen nennen. In den Inlandsprovinzen waren es bei tausend Personen gerade einmal 17 Eigentümer. Zu dieser Zeit waren in den Küstenregionen ca. 18 Millionen Kraftfahrzeuge unterwegs, im Inland ca. 13,5 Millionen. IEA (2007): World Energy Outlook 2007; OECD/IEA; Paris; S. 299ff. 369 Auch die VR China hatte ihren Ölpreisschock, der die Diversifizierungsstrategie der Regierung forcierte. Nach Beginn des dritten Golfkrieges im Jahre 2003, als der Preis von ca. 25 US-Dollar pro Barrel auf ca. 35 US-Dollar pro Barrel anstieg, hatte dies enorme Auswirkungen auf die Wirtschaft Chinas. So stiegen die Erdölimporte Chinas in den ersten vier Monaten um ca. 42,9 Prozent, während die Kosten für das Erdöl 2003 um 110,6 Prozent anzogen und die Volksrepublik deshalb ca. vier Milliarden US-Dollar Mehrausgaben zu verzeichnen hatte. Zudem waren über 100 chinesische Projekte im Nahen Osten vom Krieg betroffen, was wiederum Auswirkungen auf mehrere tausend chinesische Vertragsarbeiter hatte. Nach dem Sturz von Saddam Hussein kann die Regierung in Beijing auch nicht auf die Rückzahlung der Kredite hoffen, die sie dem Irak vor dem Krieg gegeben hatte. Und CNPC wird in näherer Zukunft drei Erdölkonzessionen im Irak nicht weiter entwickeln können, wenn es diese überhaupt halten kann. Die irakische Regierung zögert nach wie vor, ob sie die Konzessionen wieder an CNPC vergibt, da sich das Interessengleichgewicht der auswärtigen Akteure nach der Invasion der US-geführten Truppen deutlich zugunsten der USA verschoben hat.
182
4 Die Energiepolitik der VR China
Der weltweite Bedarf an Erdöl erfährt in der Projektion mit einem Wachstum von jährlich durchschnittlich 1,6 Prozent von 3.676 Millionen Tonnen Erdöläquivalent auf 5.766 Millionen Tonnen Erdöläquivalent eine vergleichsweise schwache Entwicklung; Chinas Anteil daran steigt jedoch von 6,7 Prozent auf 13 Prozent. Laut IEA wird der Verbrauch von Erdgas zwischen 2002 und 2030 mit einer jährlichen Wachstumsrate von 2,3 Prozent von 2.190 Millionen Tonnen Erdöläquivalent auf 4.130 Millionen Tonnen Erdöläquivalent ansteigen. China wird davon 1,6 Prozent bzw. 3,8 Prozent beanspruchen (Tab. 6). Erneuerbare Energien370 werden laut Prognose der IEA und EIA weltweit mit 1,8 Prozent von 1.398 Millionen Tonnen Erdöläquivalent auf 2.226 Millionen Tonnen Erdöläquivalent ansteigen, von denen China 17,2 Prozent bzw. 13,4 Prozent verbraucht. Wird dies in Biomasse und Müll, Wasserkraft sowie andere Erneuerbare aufgeschlüsselt, sehen die Anteile Chinas wie folgt aus: Bei Energie aus Biomasse und Müllverbrennung steigt der weltweite Bedarf zwischen 2002 und 2030 mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 1,3 Prozent von 1.119 Millionen Tonnen Erdöläquivalent auf 1.605 Millionen Tonnen Erdöläquivalent. Chinas Bedarf steigt mit einer durchschnittlichen Rate von 0,3 Prozent von 216 Millionen Tonnen Erdöläquivalent auf 236 Millionen Tonnen Erdöläquivalent. Der Anteil am Weltkonsum fällt von 23,9 Prozent auf 14,7 Prozent. Bei Wasserkraft expandiert der weltweite Konsum im selben Zeitraum mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 1,8 Prozent von 224 Millionen Tonnen Erdöläquivalent auf 265 Millionen Tonnen Erdöläquivalent. Der Konsum Chinas klettert hierbei mit einer Wachstumsrate von 3,4 Prozent von 25 Millionen Tonnen Erdöläquivalent auf 63 Millionen Tonnen Erdöläquivalent. Dies entspricht einem Anteil am Weltbedarf von 11,2 Prozent bzw. 17,3 Prozent. Bei den restlichen erneuerbaren Energien steigt der Weltbedarf laut IEA mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 5,7 Prozent von 55 MilCoombes, Andrea: Iraq to renew Saddam-era oil deal with China; in: Market Watch Online; http://www.marketwatch.com/news/story/iraq-china-resurrect-12-billion/story.aspx?guid=%7BAA 683127-FD2B-4CB9-A527-3DAC41267DC9%7D; Zugriff: 29.10.2006; Handke, Susann (2006): Securing and Fuelling China’s Ascent to Power; Clingendael International Energy Programme; The Hague; S. 36. 370 Die Definition ist bei der IEA und EIA breit gefächert und schließt Wasserkraft über 5 MW, Biomasse, Müll, Geothermie, Solar, Wind, Gezeiten und Wellen mit ein. Nicht unterschieden wird zwischen traditioneller und nachhaltiger Verwertung von Biomasse. Bei der traditionellen Biomasse (Holz, Dung, Hausabfälle, etc.) werden zum Teil weite Landstriche abgeholzt. Dadurch kann es zu Erosion oder ähnlichen Effekten kommen, wodurch das Land auf lange Sicht für Land- und Forstwirtschaft unbrauchbar ist. Die Differenzierung zwischen großer und kleiner Wasserkraft macht Sinn, da durch die große Wasserkraft große Schäden in der Biodiversität entstehen. Durch Umsiedlungen kommt es zumeist auch zu sozialen Missständen, da Entschädigungen in einer Höhe, die dem Wert der zurückgelassenen Gebäude, Gegenstände und des Grund und Bodens nahekommen, die Ausnahme bilden. In vielen Fällen wird keine Entschädigung geleistet.
4.3 Verbrauchsprognose der Primärenergie bis 2030
183
lionen Tonnen Erdöläquivalent auf 256 Millionen Tonnen Erdöläquivalent. China wird demnach bis 2030 ca. 20 Millionen Tonnen Erdöläquivalent aus Erneuerbaren Energien gewinnen. Dies entspricht im Jahre 2030 einem Anteil am Weltkonsum von 7,8 Prozent (Tab. 6 u. 7). Tabelle 6: Primärenergieverbrauch der VR China (Mtoe) 2002
2010
2030
IEA EIA BP IEA EIA IEA EIA 713 897 714 904 1.610 1.354 2.950 Kohle 247 259 247 375 443 636 747 Erdöl 36 23 26 59 39 158 117 Erdgas 7 2 25 21 7 73 26 Atom 265 154 299 192 Erneuerbare 241* 70** 65*** Insgesamt 1.242 1.251 1.077 1.624 2.253 2.539 4.032 * Wasser, Biomasse und Müll, Geothermie, Solar, Wind, Gezeiten, Wellen. ** Wasser, Solar, Wind, Geothermie, Biomasse. *** Nur Wasser.
Ø jährl. Wachstum 2002-2030 IEA EIA 3,6% 4,3% 3,4% 3,8% 5,4% 5,9% 8,7% 9,5% 0,7% 3,6% 2,5% 4,2%
Quelle: IEA (2005): World Energy Outlook 2004; OECD/IEA; Paris; S. 264; EIA (2006): International Energy Outlook 2006; in: http://www.eia.doe.gov/oiaf/ieo/index.html; Zugriff: 27.07.2006; BP (2006): Statistical Review of World Energy; in: http://www.bp.com/productlanding.do? categoryId=6842&contentId=7021390; Zugriff: 14.02.2007.
Bedingt durch das rasche Wirtschaftswachstum Chinas prognostiziert die EIA hier einen schnell ansteigenden Energieverbrauch von 4,2 Prozent pro Jahr bis 2030 (vgl. Tabelle 6). Das ist ein doppelt so schnelles Wachstum, als der von der EIA veranschlagte weltweite Anstieg des Energiebedarfs mit 2,1 Prozent (Tab. 6 7). Bezogen auf die einzelnen Sektoren wird es vor allem bei Haushalten 4,5 Prozent, Industrie 4,4 Prozent und beim Verkehr 4,1 Prozent einen durchschnittlichen bis überdurchschnittlich zunehmenden Verbrauch geben (Tab. 8). Dieser wird sich, trotz des Ausbaus bei Erneuerbaren Energien und Atomkraft, in der Gas- und Ölnachfrage niederschlagen, da eine großflächige Umstellung im Kraftfahrzeugbereich und in der industriellen Fertigung auf alternative Energien im nächsten Jahrzehnt noch nicht erwartet wird.371
371
People’s Daily: China sells over 3.5 million passenger vehicles in first seven month; in: People’s Daily Online; http://english.peopledaily.com.cn/90001/90778/90857/90860/6236728.html; Zugriff: 12.08.2007.
184
4 Die Energiepolitik der VR China
Tabelle 7: Primärenergieverbrauch weltweit (Mtoe) 2002
Kohle Erdöl Erdgas Atom Erneuerbare Insge samt
2010
2030
IEA 2.389
EIA 3.341
BP 2.433
IEA 2.763
EIA 4.419
IEA 3.601
EIA 6.708
Ø jährl. Wachstum 2002-2030 (%) IEA EIA 1,5 2,5
3.676
3.909
3.589
4.308
4.562
5.766
5.876
1,6
1,5
2.190
2.405
2.286
2.703
3.029
4.130
4.732
2,3
2,4
692 1.398*
219 811**
611 607** *
778 1.641
236 1.139
764 2.226
284 1.573
0,4 1,8
0,9 2,4
10.345
10.68 5
9.526
12.19 3
13.38 5
16.48 7
19.17 3
1,7
2,1
* Wasser, Biomasse und Müll, Geothermie, Solar, Wind, Gezeiten, Wellen. ** Wasser, Solar, Wind, Geothermie, Biomasse. *** Nur Wasser. Quelle: IEA (2005): World Energy Outlook 2004; OECD/IEA; Paris; S. 59; EIA (2006): International Energy Outlook 2006; in: http://www.eia.doe.gov/oiaf/ieo/index.html; Zugriff: 27.07.2006; BP (2006): Statistical Review of World Energy; in: http://www.bp.com/productlanding.do?category Id=6842&contentId=7021390; Zugriff: 14.02.2007.
So wird mit einer weiteren überdurchschnittlichen Zunahme der Energienachfrage gerechnet, wie die Grafik in Abbildung 29 verdeutlicht. Es ist auffällig, dass der Energieverbrauch nach der Transformation zum Nettoerdölimporteur der VR China im Jahre 1993 stetig größer bleibt als die Energieproduktion. Unter Einbeziehung der Prognose der IEA, dass es eine Zunahme an Kleinfahrzeugen (Pkw, Taxen, etc.)372 von 22 Millionen im Jahre 2005 auf 203 Millionen im Jahre 2030 geben wird, wird die Schere zwischen Energieproduktion und -konsumption in den nächsten Jahren weiter auseinander gehen. Immerhin verbrauchten die Kleinfahrzeuge im Jahre 2005 über die Verbrennung von Benzin schon 90 Prozent des Treibstoffbedarfs.373 372
Darin sind die 60 Millionen motorisierten Zweiräder, die in China angemeldet sind nicht eingerechnet. Bei Lkws veranschlagt die Agency ein Wachstum von acht Millionen im Jahre 2005 auf 66 Millionen im Jahre 2030. 373 IEA (2007): World Energy Outlook 2007; OECD/IEA; Paris; S. 122/298.
4.3 Verbrauchsprognose der Primärenergie bis 2030
185
Tabelle 8: Chinas sektoraler Konsum an Primärenergie (Mtoe)
Residential Commercial Industrial Transportation Delivered Energy All End-Use Sectors Incl. ElectricityRelated Losses
2003
2030
95,8 35,3 577 111 819 1.146
310 91 1.830 325 2.556 3.505
Ø jährl. Wachstum 2003-2030 4,5 3,5 4,4 4,1 4,3 4,2
Quelle: EIA (2006): International Energy Outlook 2006; in:http://www.eia.doe.gov/oiaf/ieo/index.html; Zugriff: 27.07.2006.
Abbildung 29: Primärenergieproduktion und -konsum in der VR China
Quelle: BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff: 26.06.2008.
Das heißt aber auch, dass die VR China beim Pro-Kopf Energieverbrauch weiter aufholen wird. Im Jahre 2005 lag die Volksrepublik mit ca. 1,2 Tonnen Erdöläquivalent weltweit auf Platz sechs (Abb. 30). Mit steigendem Bedarf an energieintensiven Produkten, wie beispielsweise Automobilen, wird dieser Pro-KopfVerbrauch jedoch schnell steigen, und ähnlich wie beim heutigen Erdöl-
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4 Die Energiepolitik der VR China
verbrauch, -import und den CO2-Emissionen wird Chinas Bevölkerung auch hier in mittelfristiger Zukunft einen Spitzenplatz belegen. Doch wäre es verkehrt anzunehmen, ausschließlich Kraftfahrzeuge für den stetigen Verbrauch bei Erdölprodukten als verantwortlich zu bezeichnen, denn auch das Wachstum bei Inlands- und Auslandsflügen und die Zunahme beim Schiffsverkehr sind ausschlaggebende Faktoren.374 Abbildung 30: Pro-Kopf-Energieverbrauch in China, Indien und anderen ausgewählten Staaten (2005)
Quelle: IEA (2007): World Energy Outlook 2007; OECD/IEA; Paris; S. 266.
Für Erdöl und Erdgas heißt das, dass die Schere zwischen Verbrauch und Produktion weiter aufgehen wird. Im Zuge der Energiesicherheitsstrategie bedeutet die daraus resultierende Zunahme bei den Importen, dass mit weiteren Diversifizierungsbemühungen hinsichtlich Erdöl- und Erdgasquellen zu rechen ist. Deshalb kann ein größeres Engagement der Volksrepublik, nicht nur bezüglich der Ressourcen Afrikas und Südamerikas, sondern auch in der Kaspischen Region erwartet werden. Die Diversifizierung folgt dabei zwei Prinzipien: Erstens versucht die Volksrepublik die Abhängigkeit von Erdöl aus Nahost zu reduzieren, da es sich um eine äußerst instabile Region handelt. Zweitens passieren 80 Prozent der Erdölimporte Chinas die Straße von Malakka, die von der US-Marine gesichert wird. Da es, wenn der Konflikt zwischen der VR China und Taiwan eskalieren sollte, zu einer Sperrung der Meerenge durch US-Truppen kommen 374 Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy Crisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton; S. xii.
4.3 Verbrauchsprognose der Primärenergie bis 2030
187
kann, versucht die Regierung in Beijing andere Importrouten zu etablieren. Diese können aufgrund der geographischen Besonderheiten Chinas fast ausschließlich kontinental in Richtung Russland und die Kaspische Region aufgebaut werden.375 Die Fokussierung auf die Kaspische Region zeigt sich vor allem in den chinesischen Investitionen in Pipelineprojekte, wie die ungefähr 1.000 Kilometer lange und 800 Millionen US-Dollar teure Atasu-Alashankou-Pipeline die Kasachstan mit China verbindet.376 Aber die Volksrepublik betätigt sich nicht nur als Abnehmer, sondern auch als Produzent und Versorger in der Region. Investitionen in die kasachischen Ölfelder Uzen und Aktyubinsk sowie die Übernahme von PetroKazakhstan für 4,2 Milliarden US-Dollar verdeutlichen dies.377 Die Expansionsbemühungen und die Energie-, Umwelt- und Wirtschaftspolitik der VR China stoßen bei westlichen Politikern und Medien jedoch auf massive Kritik – zum Teil, so scheint es, aus Unverständnis der komplexen Situation, zum Teil aus Sorge vor einer aufstrebenden politischen und wirtschaftlichen Weltmacht China.378 Es ist zwar davon auszugehen, dass Kohle in den kommenden Jahrzehnten höchstens auf einen Anteil von 50 Prozent am chinesischen Energiemix reduziert werden kann (Kap. 4.4.3.) und dass Erdöl durch den steigenden Bedarf im Transportsektor einen größeren Anteil am Primärenergieverbrauch gewinnt. Trotzdem bleiben spezielle Unsicherheiten in Prognosen bestehen. Die Entwicklung bei Technologie, Energiepreisen und der Einsetzung 375
Xuanli, Liao (2006): The petroleum factor in Sino-Japanese relations: beyond energy cooperation; in: International Relations of the Asia Pacific; S. 22-46; Vol. 7; Nr. 1; Oxford; S. 34; Er, Lam Peng (1996): Japan and the Spratlys Dispute: Aspirations and Limitations; in: Asian Survey; S. 995-1010; Vol. 36; Nr. 10; University of California Press; S. 1009. 376 NZZ: Kasachstan eröffnet Erdölpipeline nach China; NZZ-Online; http://www.nzz.ch/2005/12/16/wi/articleDEZCK.html; Zugriff: 16.12.2005; Bensmann, Marcus: Ein geopolitischer Öl-Coup auf Chinesisch; taz-Online; http://www.taz.de/pt/2005/12/15/a00 95.nf/text.ges,1; Zugriff: 15.12.2005. 377 Appelbaum, Alec (2005): Rebuffed by Washington, China goes Prospecting in Kazakhstan; Eurasianet.org; http://www.eurasianet.org/departments/business/eav081505ru_pr.shtml; Zugriff: 15.08.2005; BBC: CNPC secures PetroKazakhstan bid; BBC-Online; http://news.bbc.co.uk/go/pr/fr /-/2/hi/business/4378298.stm; Zugriff: 26.10.2005. 378 Ein Beispiel von vielen Artikeln in den Medien ist der Titel des Nachrichtenmagazins Der Spiegel Heft 37/2006: „Angriff aus Fern-Ost“. Der entsprechende Schwerpunkt vor allem zu China, aber auch zu Indien im Heft trug die Überschrift: „Asiatische Angreiferstaaten wie China erobern die Weltwirtschaft – der Westen muss sich wehren“. Im Bereich der Energie und Umwelt wurde der Eindruck erweckt, dass Schwellenländer wie China durch ihr starkes Wirtschaftswachstum vorwiegend an Klimawandel und Umweltverschmutzung schuld seien und aggressiv auf den internationalen Erdölmarkt vorstießen, um die „für den Westen bestimmten“ Reserven auszubeuten. Der Spiegel: Angriff aus Fern-Ost; Heft 37/2006; Hamburg; Zumach, Andreas (2008): Von der Energiesicherheit zum Ressourcenkrieg: die Ressourcenpolitik Chinas, Russlands und Indiens; in: Österreichisches Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (Hg.): Von kalten Energiestrategien zu heißen Rohstoffkriegen?; S. 72-82; Lit Verlag; Wien; 77f.
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4 Die Energiepolitik der VR China
von Energieeffizienz- und Energieeinsparmaßnahmen kann schwerlich präzise vorhergesagt werden. Dazu kommt, dass China noch nicht vollständig hinsichtlich Erdöl- und Erdgasvorkommen exploriert wurde. Auch die Einschätzung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien lässt sich schwer im Voraus berechnen. Ein Einblick in die Produktionskapazität bei den einzelnen Energiereserven, die Versorgungsinfrastruktur und die Struktur der Akteure kann eine genauere Vorstellung vermitteln wie sich die Energiesicherheitspolitik der Volksrepublik in Zukunft entwickeln könnte. Das betrifft nicht nur die Energiepolitik in China sondern auch das Verhalten der Volksrepublik gegenüber Produktionsstaaten und Transitstaaten bei Erdöl und Erdgas. Dazu gehören auch Aserbaidschan, Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan in der Kaspischen Region. Bei der Analyse sind historische, ökonomische, politische und ökologische Faktoren relevant, um die Gratwanderung der chinesischen Regierung zwischen konkurrierenden Zielen wie wirtschaftlichem Aufschwung, dem Aufbau ökologischen Bewusstseins und sozialem Frieden zu verdeutlichen.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch Wie in anderen Ländern ist die Beziehung zwischen dem Bedarf an verschiedenen Energieträgern komplex. Die besondere Situation Chinas wird durch das folgende Beispiel illustriert. Ein Dreh- und Angelpunkt bei der Einschätzung der Energiepolitik Chinas in der internationalen – vor allem westlichen – Presse sind die Jahre 2003 und 2004. In diesen Jahren kam es in weiten Teilen Chinas zu einer Stromversorgungsengpass. Im Vergleich zum Jahre 2003 stieg der Erdölimport in die Volksrepublik um 19 Prozent von 102,1 Millionen Tonnen auf 144,8 Millionen Tonnen. Aufgrund dessen wurde die Volksrepublik vielfach für den rapiden, weltweiten Erdölpreisanstieg bis ins Jahr 2008 hauptverantwortlich gemacht, obwohl der Erdölimport auch zwischen den Jahren 2004 und 2005 von 144,8 Millionen Tonnen auf 147,0 Millionen Tonnen weiter anstieg; jetzt aber mit einem deutlich geringerem Wachstum um 0,75 Prozent. Wie kam dann der immense Mehrverbrauch im Jahre 2004 zustande? Die IEA weist in ihrem Oil Market Report vom Dezember 2004 darauf hin, dass ein wichtiger Faktor der zunehmenden Erdölnachfrage Chinas die Generierung von Reservestromleistung durch Dieselgeneratoren war, um einer drohenden und schwerwiegenden Stromknappheit vorzubeugen. Dabei geht es laut Jeffrey Logan, Senior Energy Analyst und China Program Manager bei der IEA, um 250.000 bis 300.000 Barrel am Tag. Andere Aspekte waren die Zunahme
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
189
beim Eigentum an Pkws und die kontinuierlich steigende Nachfrage bei der industriellen Fertigung von petrochemischen Produkten.379 Die Stromkrise betraf im Sommer der Jahre 2003 und 2004 ein Drittel der chinesischen Provinzen. Ihren Höhepunkt erreichten die Elektrizitätsengpässe im ersten Quartal des Jahres 2004, als in 24 der 31 Provinzen der Strom zeitweise ausfiel. Die Regierung reagierte mit Notfalländerungen des zehnten Fünfjahresplans380 und erwog, den Betrieb von Klimaanlagen in Hotels und offiziellen Einrichtungen für Wochen zu unterbrechen, um den Gebrauch von Dieselgeneratoren zur Stromherstellung einzudämmen.381 Bis es der Regierung und der Elektrizitätsbranche gelungen ist, durch den Aufbau neuer Kapazitäten im Kraftwerkspark und bei der Energieeffizienz eine beständige Stromversorgung zu garantieren, wird sich der Trend zur Energieverschwendung unter anderem durch den Einsatz von Dieselgeneratoren nicht umkehren lassen.382 An diesem Beispiel der Verknüpfung der Erdölimporte mit dem Sicherheitsdenken privater Haushalte, aber auch großer Industrieunternehmen bei der Stromgeneration zeigt sich das komplexe Geflecht bei der Nachfrage an Energie und im Energiemix des Schwellenlandes VR China. Die Regierung in Beijing muss deshalb auf erneute Schwierigkeiten bei der Strom- und nachfolgend der Erdölversorgung eingestellt sein und eine entsprechende Erdöl- und Erdgasinfrastruktur in Richtung der Produzentenstaaten Russland, Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan aufbauen. Wie sieht aber die Entwicklung bei Produktion und Nachfrage bei den einzelnen Energieträgern aus?
4.4.1 Erdöl Erdöl ist von seiner Bedeutung der wichtigste Energieträger der Welt. Ohne Erdöl käme die globale, aber auch die einzelstaatliche Wirtschaft sofort zum Erliegen, Staaten brächen zusammen. Erdöl ist nicht nur für den Bereich des 379
Logan, Jeffrey (2005): Energy Outlook for China: Focus on Oil and Gas; Hearing on EIA’s Annual Energy Outlook for 2005; Committee on Energy and Natural Resources; U.S. Senate 3 February 2005; http://www.iea.org/textbase/speech/2005/jl_china.pdf; Zugriff: 12.08.2007; S. 3. 380 Mit dem Wechsel vom zehnten auf den elften Jahresplan änderte die Regierung in Beijing die Verbindlichkeit der Pläne. So ist letztlich auch der Name „Fünfjahresplan“ in „Fünfjahresrichtlinie“ geändert. Trotzdem wird in dieser Arbeit der Name „Fünfjahresplan“ weitergeführt. 381 Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy Crisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton; S. 3. 382 Logan, Jeffrey (2005): Energy Outlook for China: Focus on Oil and Gas; Hearing on EIA’s Annual Energy Outlook for 2005; Committee on Energy and Natural Resources; U.S. Senate 3 February 2005; http://www.iea.org/textbase/speech/2005/jl_china.pdf; Zugriff: 12.08.2007; S. 3.
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4 Die Energiepolitik der VR China
Transports in den kommenden Jahren kaum substituierbar; auch weite Teile der petrochemischen Industrie kämen ohne Erdöl und Erdölprodukte ins Trudeln.383 Ein besonderes Augenmerk der internationalen Staatengemeinschaft liegt daher auf der Entwicklung bei der Produktion und dem Verbrauch von Erdöl eines Schwellenlandes, das ein Fünftel der Weltbevölkerung stellt. Die VR China verfügt laut BP mit 2,1 Milliarden Tonnen Erdöl über 1,3 Prozent der weltweiten Erdölvorkommen. Im Jahre 2007 produzierte sie 186,7 Millionen Tonnen Erdöl und ist mit 4,8 Prozent am Weltanteil immer noch der fünft größte Erdölproduzent der Welt.384 Allerdings hat sie inzwischen Japan als zweitgrößten Erdölimporteur überholt. Im Mai 2008 importierte Japan 3,76 Millionen Barrel am Tag, während China 3,81 Millionen Barrel am Tag einführte. Bis die Volksrepublik die USA eingeholt hat dürfte es jedoch – trotz rasant ansteigendem Energiebedarf – noch ein paar Jahre dauern, denn der nordamerikanische Staat importierte zeitgleich ungefähr zehn Millionen Barrel am Tag.385 Um aber beurteilen zu können, wie sich der Verbrauch in den kommenden Jahren entwickeln kann ist eine Analyse der historischen Perspektive notwendig. Relevant ist dies um die Struktur der Erdölindustrie in China, die Steuerungsinstrumente und die Interessen einordnen zu können, die wiederum in die Außenorientierung und Energiesicherheit mit einbezogen werden müssen.
4.4.1.1 Die historische Perspektive der Erdölproduktion Die Exploration und Produktion von Erdöl in China reicht bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zurück, als der chinesische Kaiser Lizenzen an japanische Ingenieure und die US-amerikanische Standard Oil Company vergab.386 Größere Relevanz bekam der Sektor in den Jahren ab 1935, als die Rote Armee der kommunistischen Partei Chinas die Kontrolle über das Yanchang-Erdölfeld übernahm und die Yanchang Petroleum Fabrik gründete. Hier ging es vorwiegend um den Zugriff auf Ressourcen, um die wachsenden Differenzen zwischen Ku383 Auf einem Symposium im Juni 2008 in Berlin fragte ein Vertreter von BASF, warum dieser wertvolle Rohstoff in solch großen Ausmaßen und mit solch fatalen Konsequenzen für Umwelt und Klima verbrannt werde. Warum, so der Vertreter weiter, überließe man das Erdöl nicht der petrochemischen Industrie, die fertigten viele schöne Produkte daraus. Symposium des Humboldt Forums Wirtschaft: „China und der Westen”; Humboldt-Universität Berlin; 25. Juni 2008. 384 BP (2006): Statistical Review of World Energy; in: http://www.bp.com/productlanding.do?cate goryId=6842&contentId=7021390; Zugriff: 14.02.2007. 385 Tsukimori, Osamu: China passes Japan as No. 2 crude importer in May; in: Reuters Online; http://www.forbes.com/reuters/feeds/reuters/2008/06/25/2008-06-25T100921Z_01_SP252271_RTR IDST_0_ENERGY-JAPAN-MOF-UPDATE-2.html; Zugriff: 08.07.2008. 386 Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy Crisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton; S. 8.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
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omintang und der kommunistischen Partei mit militärischen Mitteln lösen zu können. Zwischen 1939 und 1946 wurden jedoch nur 3.000 Tonnen Erdöl in Yanchang gefördert und in einer rudimentären Raffinerie zu Erdölprodukten verarbeitet. Erfolgversprechender war das Ölfeld in Yumen, in dem 1949 bereits 80.000 Tonnen pro Jahr produziert werden konnten. In Xinjiang wurde das Dushanzi-Ölfeld in einem 1933 gegründeten Joint Venture zwischen der nationalistischen Regierung und der Sowjetunion entwickelt und ausgebeutet. Allerdings überstieg die Produktion dort bis zum Jahre 1942 nicht die Marke von 7.000 Tonnen pro Jahr.387 Nach dem Bürgerkrieg am 1. Oktober 1949, der mit der Vertreibung der von Chiang Kai-Shek angeführten Kuomintang nach Taiwan und der Staatsgründung der VR China durch Mao Zedong endete, sollte das Mutterland schnell industrialisiert und modernisiert werden. Allerdings produzierte China im Jahr 1959 nur 3,73 Millionen Tonnen Erdöl und erst 1963 konnte sich die Volksrepublik als Nettoexporteur von Erdöl etablieren. In diesem Jahr wurden im DaqingÖlfeld388 im Nordosten Chinas 4,3 Millionen Tonnen Rohöl gefördert, rund 66 Prozent der damaligen nationalen Produktion.389 Bis zum Zerwürfnis mit der Sowjetunion in den Jahren 1960/61 war die chinesische Erdölindustrie stark auf Technologie- und Wissenstransfer von Seiten der UdSSR angewiesen. In dieser Zeit wurde auch eine bürokratische Struktur aufgebaut, die vorwiegend an der sowjetischen Administration angelehnt war. Die Planung war vornehmlich zentralisiert und es wurden ein Oilfields Administration Department und ein Exploration Supervision Department unterhalb des Ministry of Petroleum Industry eingerichtet. Das Rückgrat der Erdölindustrie formten später die Fachkräfte, die zum Studium an sowjetischen Universitäten gegangen waren.390 Abgesehen vom Erdöl war China zwischen den 1950er Jahren und Anfang der 1970er Jahre so gut wie unabhängig von Energieimporten. Eine Ausnahme bildete jedoch das Hilfsprogramm der Sowjetunion, das auf Erdöllieferungen und Technologietransfer beruhte. Dennoch war die Volksrepublik im Jahre 1960 mit einer Produktion von 4,19 Millionen Tonnen zu 61,1 Prozent Selbstversorger.391 Nachdem die Beziehungen zwischen der VR China und der UdSSR 1960 387
Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy Crisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton; S. 8f. 388 Daqing: chinesisch für große Freude. 389 Daojiong, Zha: China’s Energy Security: Domestic and International Issues; Survival; S. 179-190; vol. 48; No. 1; Spring 2006; S. 179. 390 Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy Crisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton; S. 11. 391 Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy Crisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton; S. 13.
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einen ersten Tiefpunkt erreichten und die Hilfslieferungen eingefroren wurden, investierte Beijing einen großen Teil seiner Energiereserven in militärische Aufrüstung, um für einen eventuellen Krieg mit einer der beiden Großmächte USA oder Sowjetunion gewappnet zu sein. Durch weitere Faktoren wie dem USEmbargo zwischen 1950 und 1971 sowie dem Scheitern des „großen Sprung nach vorn“ war China zwar hinsichtlich der Energieversorgung autark, es gab jedoch keine Energiesicherheitsstrategie und die Wirtschaft stand aufgrund von fehlgeschlagenen Entwicklungsansätzen kurz vor dem Kollaps.392 Das maoistische Modell sah mehr eine Selbstversorgung denn eine Abhängigkeit von Technologie oder Rohstoffen aus dem Ausland vor. Deshalb sollte auch die erreichte Autarkie aufrecht erhalten werden.393 Um dieses Modell zu implementieren legte der Staatsrat höchste Priorität auf die Entwicklung der großen Erdölfelder in Daqing. Alle in diesem Zusammenhang relevanten Ministerien sowie die Provinzregierung von Heilongjiang wurden hierarchisch unter dem Ministry of Petroleum Industry angesiedelt. Es wurden permanent 40.000 Arbeiter zum Ausbau Daqings und zum Aufbau der Infrastruktur eingesetzt. Das „Beispiel Daqing“ und dessen Erfolg wurden im Weiteren als Beleg herangezogen, um die chinesische Bevölkerung von der Arbeit der maoistischen Partei und den dabei zugrunde gelegten Prinzipien des „kleinen Roten Buchs“ Maos zu überzeugen. Neben der Maxime der weitestgehenden Energieautarkie war die Entwicklung eigener Technologie zur Ausbeutung von Erdölfeldern nach dem Prinzip Trial and Error einer der Ausgangspunkte einer Politikkultur, die bis heute (Stand 2009) die chinesische Regierung bestimmt.394 In der maoistischen Strategie liegt auch ein Grund, warum die heutige chinesische Regierung unzufrieden mit der Situation des Nettoimporteurs ist. Das 392
Daojiong, Zha: China’s Energy Security: Domestic and International Issues; Survival; S. 179-190; vol. 48; No. 1; Spring 2006; S. 179. Dies erinnert wiederum an die Haltung chinesischer Kaiser, die technologische Neuerungen, die ihnen von britischen, holländischen, französischen oder anderen Unterhändlern als Handelsgut angeboten wurden, als irrelevant abwiesen. Seitz, Konrad (2006): China: Eine Weltmacht kehrt zurück; Goldmann Verlag; München; S. 120. 394 Beispielsweise beobachtete die Regierung in Beijing den Zusammenbruch der Sowjetunion sehr genau, um Rückschlüsse für die Ausrichtung der eigenen Politik zu ziehen und manche Fehler nicht zu begehen. Der eigene Transformationsprozess verlief dann eher aus einem Mix verschiedener politischer Instrumente und Strategien, die aus den Prozessen in einer Vielzahl von Staaten wahrgenommen und unter dem Prinzip „trial and error“ auf das eigene Land angewandt wurden. Wenn ein Programm funktioniert wird es weitergeführt – wenn nicht, wird es durch ein anderes ersetzt. So entstand auch ein Selbstbewusstsein, mit dem Deng Xiaoping kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der damit einhergehenden versuchten Ausweitung der US-Hegemonie zu George Bush sagte: „Do not get too excited over what happened in Eastern Europe, and do not treat China in the same manner.“ Deng Xiaoping zitiert nach: Brzezinski, Zbigniew (2007): Second Chance. Three Presidents and the Crisis of American Superpower; Basic Books; New York; S. 56; Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy Crisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton; S. 14ff. 393
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Zerwürfnis mit der Sowjetunion und die damit einhergehende Rückbeorderung der in China tätigen Berater nach Moskau verursachte, im Zusammenspiel mit dem Scheitern des Großen Sprungs nach vorne und den katastrophalen Auswirkungen der „Kulturrevolution“, vielfach Engpässe bei der Energieversorgung. Diese Erfahrung zementierte den Wunsch aller nachfolgenden Regierungen, unabhängig von ausländischen Beratern und ausländischen Energiequellen zu sein. Ausdruck findet der Wunsch der Regierung in der Aufrechterhaltung der Kontrolle über den heimischen Energiesektor.395 Die Verbesserung der internationalen Beziehungen Anfang der 1970er führte wiederum zum Wirtschaftsaufschwung in China, wobei ein wichtiger Faktor die Aufnahme der so genannten „Ping-Pong“-Diplomatie mit den USA war, die schließlich zur vollen diplomatischen Anerkennung im Jahre 1979 führte.396 Auch wenn sich die Hoffnung der USA zerschlug, China könnte als nicht OPECStaat nach den Erdölpreiskrisen der 1970er Jahre ein neuer großer Erdölzulieferer werden (Kap. 2.6.), entwickelten sich die USA in anderen Bereichen zum wichtigen Absatzmarkt für chinesische Produkte und als Haupt-Devisenbringer für China. Die Volksrepublik verlor durch die Entwicklung ab den 1970er Jahren zwar ihre beinahe Energieautarkie, erreichte aber eine Verbesserung der Energieversorgungssicherheit, da Beijing mit einer intensiven internationalen wirtschaftlichen Verflechtung mit anderen Staaten begonnen hatte, die in vielen Fällen zu gegenseitiger Abhängigkeit und somit – soweit die Interessen aller Akteure berücksichtigt sind – auch zu gegenseitiger Unterstützung führte. Vor allem die Option, Erdöl und Kohle zu exportieren, vertiefte die Beziehungen zu den industrialisierten Staaten der Welt. Während der ersten Ölpreiskrise von 1973 exportierte die Volksrepublik Erdöl auch nach Thailand, auf die Philippinen und in andere asiatische Staaten, um eine gute Ausgangslage für eine Modernisierung der eigenen Region zu schaffen.397 Neben dem sich für chinesische Produkte aller Couleur entwickelnden USamerikanischen Markt erwirtschaftete Beijing in den Jahren zwischen 1973 und 2004 über quotierte Erdölexporte in Richtung Japan die Devisen, die die Regirung brauchte, um Technologie einzukaufen, um eine exportorientierte Wirtschaft aufzubauen.398 Dazu gehörte zum Beispiel das industrielle Modernisie395
Handke, Susann (2006): Securing and Fueling China’s Ascent to Power; Clingendael International Energy Programme; The Hague; S. 24. Gottwald, Jörn-Carsten; Kirchberger, Sarah (2001): Pragmatischer Realismus. Chinesische Außenpolitik zwischen Hegemonialstreben und wirtschaftlichen Zwängen; in: Blätter für deutsche und internationale Politik; 10/2001; S. 1230-1240; Berlin; S. 1232. 397 Daojiong, Zha: China’s Energy Security: Domestic and International Issues; Survival; S. 179-190; vol. 48; No. 1; Spring 2006; S. 180. 398 Daojiong, Zha: China’s Energy Security: Domestic and International Issues; Survival; S. 179-190; 396
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rungsprogramm in den 1970er Jahren. Doch die Volksrepublik versuchte schon zu dieser frühen Zeit der internationalen Kooperation mit der westlichen Welt ihre Interessen durchzusetzen. Beijing versprach sich von den Erdölexporten nach Japan ein Druckmittel, um die engen Beziehungen zwischen Taiwan und Japan aufzuweichen und die „Ein-China-Politik“ durchzusetzen.399 Abbildung 31: Erdölproduktion und -verbrauch in der VR China (1965-2007)
Quelle: BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff: 26.06.2008.
1985 erreichten Chinas Erdölexporte mit 30 Millionen Tonnen im Jahr einen Höhepunkt. In den Jahren 1985 bis 1989 stieg der eigene Bedarf jedoch von 89,8 Millionen Tonnen auf 113,9 Millionen Tonnen mit einer jährlichen durchschnittlichen Wachstumsrate von etwa sechs Prozent stärker als die Jahre davor.400 Es wurden jedoch nicht genügend neue Erdölquellen exploriert, um den Eigenbedarf zu decken und die Höhe des Erdölexports weiterhin aufrecht zu erhalten. Da die Regierung in Beijing nicht zuletzt aufgrund der Fünfjahrespläne eine ungefähre vol. 48; No. 1; Spring 2006; S. 180. 399 Xuanli, Liao (2006): The petroleum factor in Sino-Japanese relations: beyond energy cooperation; in: International Relations of the Asia Pacific; S. 22-46; Vol. 7; Nr. 1; Oxford; S. 29. 400 BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff: 26.06.2008.
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Entwicklungsperspektive projizieren konnte und einen Mehrbedarf an Erdöl errechnete, entschied sie bereits 1983, zusätzlich zu den anderen internationalen Quellen, Erdöl aus Oman zu importieren. Ursache war, neben der abzusehenden Entwicklung beim Erdölverbrauch, dass die Transportinfrastruktur von den großen Erdölfeldern in Daqing nicht ausreichend war, um den Bedarf der Raffinerien am östlichen Yangtse zu decken. Durch die schnelle Entwicklung der Wirtschaft stieg der Verbrauch in den Ballungs- und Industriezentren exponentiell an und führte zur Zunahme von Importen bei Erdöl und Erdölprodukten. Schließlich wurde die VR China 1993 Nettoimporteur von Erdöl (Abb. 31). Das große Ziel der Autarkie beim Energieträger Erdöl musste also aufgegeben werden.401 Abbildung 32: Raffineriekapazität und -durchleitung in der VR China
Quelle: BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff: 26.06.2008.
Als sich das Volumen der Importe im Jahre 2000 von 36,6 Millionen Tonnen auf 70,2 Millionen Tonnen fast verdoppelte, verstärkte sich die Diskussion um Versorgungssicherheit in der chinesischen Regierung. Der massive Anstieg des Importvolumens hatte mehrere Gründe: Erstens stieg die inländische Produktion im Vergleich zum Verbrauch in kleinerem Maße. Zweitens war die Raffineriekapa401
Daojiong, Zha: China’s Energy Security: Domestic and International Issues; Survival; S. 179-190; vol. 48; No. 1; Spring 2006; S. 180.
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zität deutlich ausgebaut worden und somit vermehrt auf den Import von Rohöl angewiesen, das aber nur in unterschiedlichen Sorten und Qualitäten vorhanden war (Abb. 32). Drittens reformierte die Kommunistische Partei Chinas das Preissystem für raffinierte Treibstoffe. Das geschah unter anderem dadurch, dass der Verkaufspreis für in China produziertes Erdöl an den Futures-Markt der Börse in Singapur gekoppelt wurde, was zu vier separaten Preisanstiegen der inländischen Erdölsorten innerhalb von sechs Monaten führte. Das wiederum zog eine erhöhte Nachfrage nach billigerem importiertem Öl bei den Raffinerien nach sich. Viertens wurde die offizielle Statistik über das Importvolumen genauer, da die Regierung zwischen 1998 und 2001 eine erfolgreiche Kampagne gegen illegale Erdölimporte geführt hatte.402 Neben dem reinen Import von Erdöl ermunterte die chinesische Regierung ihre nationalen Erdölkonzerne, die in den 1980er Jahren gegründet wurden, im Ausland zu investieren, um nicht nur von Langzeitverträgen mit den Produzentenstaaten oder Einkäufen auf dem volatilen Spotmarkt abhängig zu sein. Die Auslandstätigkeiten der chinesischen staatlichen Erdölkonzerne begannen im Jahre 1993, also mit der Transformation Chinas zum Nettoimporteur. In diesem Jahr kaufte ein Tochterunternehmen des staatlichen Erdölkonzerns China National Petroleum Corporation (CNPC) für 25 Millionen US-Dollar einen Teil des Talara-Erdölfeldes in Peru. Seitdem investieren chinesische Erdölkonzerne in einer Reihe von Produzentenstaaten, die ausländische Investitionen in ihrem Erdölsektor zulassen. Ein Problem für die chinesischen Akteure dabei ist, dass der Erdölmarkt schon lange unter den westlichen Konzernen verteilt war. Diese hatten mehrere Jahrzehnte Zeit, um langfristige Beziehungen, Erfahrungen in Exploration und Produktion sowie Investitionen in Produzentenstaaten aufzubauen, die ihre Ressourcen nicht rein staatlich vermarkten.403 Fast alle großen Ölfelder waren somit unter den westlichen Konzernen aufgeteilt oder unter staatlicher Kontrolle der Produzentenstaaten. Eine Chance bieten für chinesische Unternehmen nur die Lizenzen, aus denen sich die übrigen Konzerne aufgrund politischen Drucks oder wirtschaftlichen Risiken zurückziehen. So kommt eine Studie der US-amerikanischen Denkfabrik RAND zu dem Schluss: „CNPC’s foreign oil exploration and development projects are moving slowly and probably will not produce enough oil to offset China’s projected growth in oil imports over the next 20 years. Furthermore, transportation and logistical costs may 402
Daojiong, Zha: China’s Energy Security: Domestic and International Issues; Survival; S. 179-190; vol. 48; No. 1; Spring 2006; S. 180. 403 Lieberthal, Kenneth; Herberg, Mikkal (2006): China’s Search for Energy Security: Implications for U.S. policy; NBR Analysis; Vol. 17; No. 1; Seattle; April 2006.
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well prevent most of the oil produced in China’s overseas oil fields from entering China. This oil will most likely be sold on the international market or swapped for other oil that would enter the Chinese market.”404
Das meiste Erdöl, das von chinesischen Konzernen in politisch labilen Staaten wie beispielsweise dem Sudan gefördert wird, wird auf dem Weltmarkt verkauft und nicht nach China verfrachtet. Das bedeutet, dass die chinesischen Konzerne die globale Produktionskapazität durch ihr Engagement in diesen Nischenbereichen des Erdölmarktes aufrechterhalten. Ohne die chinesischen Investitionen nach dem Rückzug von Erdölfirmen wie der österreichischen OMV aus dem kriegsgeschüttelten Sudan würden bis zu 447.000 Barrel am Tag auf dem internationalen Ölmarkt fehlen. Chinesische Konzerne tragen – rein wirtschaftlich betrachtet – ein ständiges hohes Risiko einer kriegsbedingten Unterbrechung der Produktion in und des Exports aus Staaten, in die kein anderer Konzern investiert. Tätigten sie die Investitionen nicht, so müsste das, aus Gründen der Angebotsverknappung, wiederum eine Steigerung des Ölpreises nach sich ziehen. Also stabilisieren die nationalen Ölkonzerne aus der VR China zumindest in diesem Falle das Angebot und in dem geringen Maße, in dem der Ölpreis noch auf Angebot und Nachfrage basiert, auch den Preis (Kap. 2.9). Die wichtigsten Kernpunkte, die die Regierung der VR China aus ihrer Geschichte des Erdöls für ihre Energiesicherheitsstrategie resümiert hat sind demnach: erstens Energieautarkie, im besten Falle die Möglichkeit zum Export, birgt einige Vorteile. Die Sicherstellung der Versorgungssicherheit aus heimischer Produktion verringert das Konfliktpotential mit anderen (Groß-)Mächten. Als Exporteur von Erdöl kann ein Staat die Modernisierung von Entwicklung- bzw. Schwellenländern mit bestimmen. Diese Länder beziehen damit eine politische Rente. Aber auch die Exporte in Richtung Industriestaaten bergen Vorteile. Durch den Verkauf von Erdöl an Japan konnte die VR China einerseits Devisenreserven beschaffen und zudem versuchen, ihre Interessen in Form der „EinChina-Politik“ gegenüber Japan durchzusetzen. Zweitens sollte Energieautarkie nicht mehr aufrecht erhalten werden können, so gibt es zwei Möglichkeiten. Die chinesische Regierung hätte sich auf den Import von frei verkäuflichem Erdöl auf dem Weltmarkt verlassen können. Dann wäre sie aber ausschließlich von ausländischen Erdölkonzernen abhängig gewesen. Eine vielversprechendere Möglichkeit ist es, die eigenen Erdölfirmen auf dem internationalen Markt zu platzieren und Produktionsrechte an Erdölquellen zu erwerben. Auf diesem zweiten Prinzip beruht zu großen Teilen die Erdölim-
404 Downs, Erica (2000): China’s Quest for Energy Security; RAND Corporation; Santa Monica; S. 20ff.
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portstrategie der VR China, wie am Beispiel der Kasachstan-China-Pipeline in Kapitel 5 verdeutlicht wird. Wenn das Erdöl im Land ist, stellt sich vor allem in Staaten mit stark regulierenden Regierungen die Frage, wie der Preis für die Ware bestimmt wird und wie die eigene Wirtschaft und Bevölkerung vor der hohen Volatilität des Ölpreises geschützt werden kann. Dieser Faktor der nationalen Regulierung und Festsetzung des Ölpreises ist in China in verschiedenen staatlichen Institutionen, wie beispielsweise der NDRC verwurzelt. Dabei ist zu beachten, dass sich das Land in einem, aus historischer Perspektive, sehr raschen Wandel befindet, von einer Planwirtschaft mit dem Anspruch der Selbstversorgung hin zu einem marktbasierten Wirtschaftsmodell, das zunehmend auf dem internationalen System fußt und nach Diversifizierung der Energiequellen strebt.405
4.4.1.2 Deregulierung des Preises von Erdöl und Erdölprodukten Im Prozess der Reformation und Transformation von einer reinen Planwirtschaft zu einer sozialistischen Marktwirtschaft hat die Regierung in Beijing in den letzten 30 Jahren diverse Verordnungen und Gesetze zur (De-)Regulierung des Ölpreises verabschiedet. Hierbei können vier Stufen unterschieden werden: In der ersten Stufe von 1955 bis 1981 waren die Erdölpreise vollständig vom Staat kontrolliert. In Stufe zwei, zwischen den Jahren 1981 und 1994, wurde ein zweigleisiges Preissystem etabliert. Von 1994 bis zum Jahre 1998 war der Ölpreis in Stufe drei im Inland marktbasiert und ab 1998 in Stufe vier wurde der inländische Ölpreis im Einklang mit dem globalen Marktpreis festgelegt.406 Von 1955 bis zum Beginn der Wirtschaftsreformen unter Deng Xiaoping im Jahre 1978 waren Energiepreise, also auch der Ölpreis, unter strikter staatlicher Kontrolle. Erdöl wurde hoch subventioniert, damit es den staatlichen Unternehmen und Kommunen zum Aufbau der Wirtschaft und der Infrastruktur in ausreichendem Maß zur Verfügung stand. Die Kosten der Exploration und der Produktion waren teilweise immens, da die Volksrepublik sich vor allem ab dem Bruch mit der Sowjetunion selbst Techniken in diesem Bereich erarbeiten musste, die zu Beginn in keiner Relation zu wirtschaftlicher Produktion standen (Kap. 4.4.1.1). Im Jahre 1982 wurde ein zweigleisiges Preissystem eingeführt, um zumindest einen Teil der Subventionen für Erdölprodukte zurückzufahren. Bis dahin 405
International Crisis Group (2008): China’s Thirst for Oil; Crisis Group Asia Report Nr. 153; Paris; S. 2. 406 Hang, Leiming; Tu, Meizeng (2007): The impacts of energy prices on energy intensity: Evidence from China; Energy Policy; vol. 35; S. 2978-2988; S. 2980.
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galt für die Produkte, die innerhalb der staatlich festgelegten Quote des aktuellen Fünfjahresplans für Raffinerien produziert wurden, ein zentral festgelegter Preis. Die Überschussproduktion, die über die Quote hinausging, wurde zu internationalen Marktpreisen gehandelt. Das 1985 eingeführte Preissystem erlaubte der upstream- und downstream-Industrie die Preise der Produkte an die entstehenden Kosten anzugleichen. Der Anteil der raffinierten Produkte zu Marktpreisen stieg daraufhin von unter zehn Prozent im Jahre 1983 auf ca. 65 Prozent 1993. Bei Erdöl lag der Anteil, der unter Marktbedingungen gehandelt wurde, bei ungefähr zehn Prozent.407 Im Laufe des Jahres 1993 verschlechterten sich die makroökonomischen Bedingungen Chinas und eine Inflation setzte ein.408 Einige wichtige staatliche Unternehmen, wie beispielsweise die Petrochemical Cooperation, fingen an, gegen die hohen Einkaufspreise, die sie plötzlich zu zahlen hatten, zu protestieren, vor allem da der Weltmarktpreis sich auf einem Niveau von rund 20 USDollar pro Barrel einzupendeln schien. Im Mai 1994 revidierte Beijing die Reformen im Erdölsektor von 1985 und setzte wieder auf eine staatliche Preiskontrolle. Das ist auch ein Beispiel dafür, wie Reformen in der Volksrepublik vonstatten gehen: Ein System wird ausprobiert und, wenn es sich bewährt, fortgesetzt; sollte es sich jedoch als nachteilig erweisen, so wird es wieder rückgängig gemacht.409 Mitte der 1990er Jahre wuchs der Energieverbrauch wesentlich schneller als die inländische Energieproduktion, was zu einer substantiellen Expansion der chinesischen Ölimporte führte. Während China 1990 nur 6,6 Prozent seines Erdölbedarfs importierte, steigerte sich dieser Anteil bis 1997 auf 30 Prozent (Abb. 31). Als die Preise für Erdöl auf dem Weltmarkt von etwa 22 US-Dollar pro Barrel im Jahre 1996 auf 14 US-Dollar pro Barrel im Jahre 1998 fielen, ent407
Hang, Leiming; Tu, Meizeng (2007): The impacts of energy prices on energy intensity: Evidence from China; Energy Policy; vol. 35; S. 2978-2988; S. 2979 f. Beispielsweise zogen die Liberalisierungsmaßnahmen nicht nur erwünschte Effekte nach sich. Das Handelsvolumen mit dem Ausland nahm stark zu. Dies brachte Anreize und Chancen zur Umgehung der Kapitalverkehrskontrollen mit sich. Aber auch die Preisstruktur in China veränderte sich, da sie zunehmend von den Weltmarktpreisen beeinflusst wurde. Die Volksrepublik wurde über das Preissystem stärker in den globalen Markt integriert, was zur Folge hatte, dass externe Schocks oder die Entwicklung der Weltmarktpreise stärker auf den heimischen Markt durchschlagen konnten. Eine weitere Folge waren die Auswirkungen auf den Wechselkurs. „Wenn Wirtschaftssubjekte den Wechselkurs für überbewertet hielten, kam es zu illegalen Kapitalexporten, im umgekehrten Falle wurden Kapitalimporte attraktiv. Das System der Kapitalverkehrskontrollen wurde auf diese Weise porös.“ Klenner, Wolfgang (2006): China Finanz- und Währungspolitik nach der Asienkrise; Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft Band 6; Lucius & Lucius; Stuttgart; S. 60. 409 Hang, Leiming; Tu, Meizeng (2007): The impacts of energy prices on energy intensity: Evidence from China; Energy Policy; vol. 35; S. 2978-2988; S. 2979 f. 408
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schied die Regierung, den Inlandspreis für Erdöl wieder an den Weltmarktpreis zu koppeln (Abb. 33). Am 3. Juni 1998 erließ die State Development Planning Commission (SDPC) – 2003 wurde die SDPC zur NDRC umstrukturiert – das Reform Scheme for the Prices of Crude Oil and Oil Products. Hierin wurde festgelegt, dass sich die Inlandspreise für Rohöl und Erdölprodukte an den Preisen am Spotmarkt in Singapur orientieren sollen. Die bisherige Methode der Festlegung der Preise durch die Regierung wurde substituiert durch die Ankoppelung des Rohölpreises an den internationalen Markt. Für Erdölprodukte bestimmte die SDPC einen Richtpreis, der sich am Rohölpreis orientiert und jeden Monat neu festgelegt wird.410 Nach dieser umfassenden Reform des Energiesektors im Jahre 1998 unterstand die Regulierung der Erdölindustrie vier Institutionen: dem Price Administrative Department der SDPC, dem Transport and Energy Department der SDPC, der State Economic and Trade Commission (SETC) und dem neu eingerichteten Ministry of Land and Natural Resources.411 Ein weiteres Ergebnis der Reform war, dass nun die beiden großen staatlichen Erdölkonzerne CNPC und Sinopec sowohl im up- als auch downstreamBereich tätig sein durften. Dies räumte ihnen die Möglichkeit ein, besser auf Fluktuationen des internationalen und inländischen Ölpreises zu reagieren. Im Bereich der internationalen Investitionen, die nun ebenfalls immer dringender wurden, da ein Ende der steigenden Erdölnachfrage in China nicht abzusehen war und ist, konnten die Ölkonzerne ferner auf die Unterstützung der Regierung bauen. Dies war gerade im Anbetracht eines Ölpreises von rund 20 US-Dollar Ende der 1990er Jahre vonnöten, da die Konzerne nur in Nischenbereiche auf den internationalen Markt drängen konnten, die entweder von hohen Risiken im Bereich der Investitionen oder der politischen Situation in den Produzentenstaaten gekennzeichnet waren. Vor allem aber waren Ölfelder – bei denen die Förderkosten zwischen einem und 15 US-Dollar pro Barrel lagen – die also bei einem Ölpreis von 20 US-Dollar pro Barrel auch noch eine Rendite abwarfen größtenteils unter den westlichen Unternehmen oder den staatlichen Konzernen der Produzentenländer aufgeteilt. Ohne die Reform von 1998 hätten die chinesischen staatlichen Ölkonzerne ihre technische und finanzielle Arbeitsweise und Leistung nicht soweit verbessern können, um international mithalten zu können.412 410 Guohong, Li (2005): Price Control, Natural Monopoly and Policy Intervention; in: China Chemical Reporter; 16. Mai 2005; S. 22-24; CNCIC ChemData Co.; S. 22. 411 Andrews-Speed, Philip (2004): Energy Policy and Regulation in the People’s Republic of China; Kluwer Law International; The Hague, London New York; S. 178. 412 Andrews-Speed, Philip (2004): Energy Policy and Regulation in the People’s Republic of China; Kluwer Law International; The Hague, London New York; S. 178; Guohong, Li (2005): Price Control, Natural Monopoly and Policy Intervention; in: China Chemical Reporter; 16. Mai 2005; S. 2224; CNCIC ChemData Co.; S. 23.
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Abbildung 33: Erdölpreis in US-Dollar pro Barrel (1983-2007)
Quelle: BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff: 26.06.2008.
Mit dem Anstieg des Ölpreises ab dem Jahr 1999 stiegen die Chancen auf ein internationales Engagement für China gerade noch rechtzeitig, um die Dependenz vom volatilen Spotmarkt bei steigendem Erdölbedarf zu vermindern. Im Jahre 2000 importierte China mehr als 50 Millionen Tonnen Rohöl; im Jahre 2004 waren es schon weit über 100 Millionen Tonnen; im Jahre 2007 kletterte der Erdölimport auf 181 Millionen Tonnen.413 Dabei lag die größte Wachstumsrate beim Konsum von Erdöl mit 16,7 Prozent im Jahre 2004 (Abb. 31). Dies lag wie oben beschrieben vor allem an expandierenden Investitionen, einer Verdoppelung der Automobilverkäufe, einer rasant steigenden Nachfrage bei Klimaanlagen und Engpässen bei billiger Kohle und Strom. Um den Stromausfällen entgegenzuwirken wurden sowohl in Privathaushalten, als auch in großen Industrieanlagen energieintensive Dieselgeneratoren eingesetzt.414 Auch wenn die Steigerungsrate beim Verbrauch mit 3,1 Prozent im Jahre 2005 und 6,7 Prozent im Jahre 2006 im Vergleich zu 2004 bedeutend geringer wurde, etablierte sich die VR China im Jahre 2006 zum zweitgrößten Erdölimporteur nach den USA.415
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BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online;
multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; %&griff:26.06.2008. 414 Handke, Susann (2006): Securing and Fuelling China’s Ascent to Power; Clingendael International Energy Programme; The Hague; S. 22. 415 BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online;
multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff:26.06.2008.
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Mit dem steigenden Ölpreis ab dem Jahr 1999 und den dadurch wachsenden Subventionen des Erdölsektors sah sich Beijing gezwungen, die Reform von 1998 weiter zu justieren. Im Juni des Jahres 2000 ging das Modell vom Juni 1998 in die vollständige Ankoppelung auch der Inlandspreise für Rohölprodukte an den internationalen Markt über. Dabei wurden die Inlandspreise an die Volatilität des internationalen Marktes angepasst. Nachgebessert wurde dieses System im November 2001, indem die Ausrichtung des Inlandspreises für Rohölprodukte nicht nur allein auf den Singapurer Spotmarkt ausgerichtet wurde, sondern sich aus einem Durchschnittspreis von Singapur, Rotterdam und New York errechnete. Dieser Durchschnittspreis darf von CNPC und Sinopec mit einem Spielraum von plus/minus acht Prozent an den Endkunden weitergegeben werden, wodurch die Konzerne begrenzt konkurrieren können.416 Durch die zwei Reformen von 2000 und 2001 wurden zwei Ziele erreicht: Erstens orientierte sich der Preis für Rohölprodukte an den Preisen des internationalen Marktes. Zweitens integrierte der Preis die Schwankungen aller drei relevanten Spotmärkte, nämlich New York, Rotterdam und Singapur.417 Obwohl verschiedene signifikante Anpassungen unternommen wurden, die den chinesischen Ölpreis am internationalen Marktpreis orientierten, wird von den Wirtschaftswissenschaftlern Leiming Hang und Meizeng Tu der Shanghai Jiaotong University argumentiert, dass der chinesische Inlands-Erdölpreis bei der Allokation bei Energieressourcen nicht zufriedenstellend ist, da er den realen Erdölbedarf nicht ausreichend reflektiere.418 So wird kritisiert, dass erstens die Justierung des Ölpreises hinter der realen Preisentwicklung hinterherhinkt und eine Anpassung nur vorgenommen wird, wenn die internationale Preisschwankung ein bestimmtes Maß überschreitet. Diese Verzögerungen sind allerdings etwas zu vernachlässigen, da die Abteilung innerhalb der NDRC, die für die Preisfestlegung zuständig ist, den Preis immer dann korrigiert, wenn der Durch-
416 Guohong, Li (2005): Price Control, Natural Monopoly and Policy Intervention; in: China Chemical Reporter; 16. Mai 2005; S. 22-24; CNCIC ChemData Co.; S. 22f; Gu, Xuewu; Mayer, Maximilian (2007): Chinas Energiehunger: Mythos oder Realität?; Oldenbourg; München, Wien; S. 39. 417 Die drei etablierten Handelsplätze im Erdölgeschäft sind die New York Mercantile Exchange (NYMEX), die International Petroleum Exchange (IPE) in London und die Singapore International Monetary Exchange (SIMEX). In New York werden ca. 65 Prozent des Handels mit Ölterminkontrakten abgewickelt, in London ca. 30 Prozent der Futures und 5 Prozent des weltweiten Geschäfts läuft über Singapur. Während für Nordamerika und Asien auch bei Rohölprodukten die Handelsplätze New York und Singapur die gleiche Relevanz, wie bei Rohöl innehaben, ist dies für Europa Rotterdam und nicht die IPE in London. Mineralölwirtschaftsverband (2004): Preisbildung am Rohölmarkt; Mineralölwirtschaftsverband; Hamburg; S. 24/37. 418 Hang, Leiming; Tu, Meizeng (2007): The impacts of energy prices on energy intensity: Evidence from China; Energy Policy; vol. 35; S. 2978-2988; S. 2980.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
203
schnittspreis der drei Börsen plus einem Zuschlag für Transportkosten, eine Marge von acht Prozent nach oben oder unten durchbricht.419 Zweitens bringt die Preisfestlegung aufgrund ihrer zumindest monatlichen Verzögerung mit sich, dass der Inlandspreis manchmal zu hoch, zu anderen Zeiten aber wieder zu niedrig ist. Zudem kann es vorkommen, dass die Richtung in die der Preis reguliert wird konträr zum internationalen Trend liegt. Außerdem ist der Konsumtrend des internationalen Marktes zeitweise anders als das Verhalten auf dem Inlandsmarkt. Wenn beispielsweise der Bedarf im Winter in China zunimmt, heißt das nicht, dass der internationale Markt einen ähnlichen Mehrbedarf hat. Insofern spiegelt der Inlandspreis nicht unbedingt den internationalen Preis. Da das chinesische System sowieso einen Preis beinhaltet, der zeitweise über, zeitweise unter dem realen Ölpreis liegt und zur Abfederung der Volatilität des Erdölpreises auf dem freien Markt dient, sind kurzfristige Verzögerungen bei der Preisgestaltung allerdings irrelevant.420 Drittens führt der nachziehende Inlandspreis zu Spekulationen, die die Zuverlässigkeit des ganzen Sektors ins Schwanken bringen können. Viertens stimmt der Preis für Erdölprodukte nicht mit dem für Erdöl überein. Dadurch können Erdölraffinerien in wirtschaftliche Bedrängnis kommen, da der Preis für Erdölprodukte im Extremfall kurzfristig unter den für Rohöl rutschen kann. Allein im Jahre 2008 erwartet PetroChina aufgrund des hohen Rohölpreises Verluste in Höhe von 18 Milliarden US-Dollar im Bereich der Raffinerien. Sinopec erhielt im März 2008 Subventionen in Höhe von 1,7 Milliarden US-Dollar vom Staat, um Einbußen bei der Herstellung von Erdölprodukten zu kompensieren. Im Jahre 2007 betrugen die Gesamtsubventionen allein beim Benzin 22 Milliarden US-Dollar.421 Um diesen Verlusten Rechnung zu tragen, und die Subventionen zu einem Teil auf die Bevölkerung umzulegen, hat sich die Regierung in Beijing am 19. Juni 2008 dazu entschlossen, die Preise für Benzin um 16,7 Prozent auf 79 USCent, die für Diesel um 18 Prozent zu erhöhen.422 Diese Entscheidung scheint 419
Gu, Xuewu; Mayer, Maximilian (2007): Chinas Energiehunger: Mythos oder Realität?; Oldenbourg; München, Wien; S. 39. 420 Guohong, Li (2005): Price Control, Natural Monopoly and Policy Intervention; in: China Chemical Reporter; 16. Mai 2005; S. 22-24; CNCIC ChemData Co.; S. 23. 421 ICG (2008): China’s Thirst for Oil; International Crisis Group Asia Report Nr. 153; in: http://www.crisisgroup.org/library/documents/asia/153_china_s_thirst_for_oil.pdf;Zugriff:10.06.2008; S. 8. 422 Bisher bezahlten die Endabnehmer in der Volksrepublik ca. 60 Prozent des Preises, den USKonsumenten bezahlen müssen. Das heißt, dass die chinesische Wirtschaft auf der Basis von ca. 80 US-Dollar pro Barrel Erdöl wachsen kann, während Volkswirtschaften ohne Subventionen in diesem Bereich mit mindestens 120 US-Dollar zu rechen haben. In China lag der Preis für einen Liter Erdöl im Juni 2008 bei ca. 74 US-Cent, in den USA lag er im selben Monat bei 1,06 US-Dollar pro Liter. Reimbold, Jason (2008): Meeting undue demand; in: Oil & Gas Financial Journal; July 2008; S. 12-
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auf Druck von PetroChina und Sinopec entstanden zu sein, um Verluste gegenüber ihren Aktionären abzufedern.423 Hauptleidtragend ist jedoch – da es alle Nutzer von motorisierten Fahrzeugen betrifft – die arme Bevölkerung, die einen prozentual deutlich höheren Anteil ihres Einkommens abgibt als die reicheren Schichten in China. Dies kann wiederum zu vermehrten Protesten führen, da sich die unteren Bevölkerungsschichten ohnehin schon häufig als Verlierer des Aufschwungs des Landes sehen. Spekulationen im Vorfeld der Preiserhöhung, wie beispielsweise von Lon Fong Shon, Direktor der China Market Research von JPMorgan, der in einem Artikel vom 11. Juni 2008 in der chinesischen Zeitung The Securities Times schrieb: „If China were to have the courage to increase gasoline and diesel prices by 20 percent, it will send a message to the global market. Then perhaps global oil prices may fall,” bewahrheiteten sich wiederum nicht.424 Aller Kritik zum Trotz meistert die chinesische Regierung die Balance zwischen einerseits der Angleichung der Inlandspreise für Erdöl und Erdölprodukte an den Weltmarktpreis, um der inländischen Inflation entgegenzusteuern und die nationalen Erdölkonzerne besser auf dem internationalen Markt platzieren zu können und andererseits die Vermeidung größerer, System gefährdender sozialer Unruhen in einer Gesellschaft, in der 1,3 Milliarden Menschen am neuen Reichtum partizipieren möchten, bisher mit einigem Erfolg. Zu Schwierigkeiten wird in Zukunft die Frage führen, wie sich die inländischen Produktionskapazitäten erweitern lassen, um die Abhängigkeit von Erdöl- und Erdölproduktimporten vom internationalen Markt zumindest nur langsam ansteigen zu lassen. Bei zunehmender Dependenz vom internationalen Markt wird die chinesische Regierung gezwungen sein, früher oder später die Regulierung des heimischen Erdölpreises komplett fallen zu lassen, um nicht von den Subventionen in den Sektor überwältigt zu werden. Dies wird jedoch nur auf Kosten des sozialen Friedens zu bewerkstelligen sein. Deshalb setzt Beijing, neben den Investitionen der staatlichen Erdölkonzerne in ausländische Produktionsstätten rund um die Welt, unter anderem auf die Hoffnung, dass durch weitere Exploration sowohl im On- als auch im Offshore Bereich ein Giant-Ölfeld gefunden werden kann, um die eignen Produktionskapazitäten auszuweiten. Ob die Volksrepublik ihr altes Ziel der autarken Versorgung mit den damit verbundenen Vorteilen wieder erreichen kann, ist mehr als fraglich. 13; PennWell; S. 12. 423 Wang, Jimmy: China faces tough decisions as it raises fuel prices; in New York Times Online; http://www.nytimes.com/2008/06/20/business/worldbusiness/20iht-fuel.4.13863573.html; Zugriff: 21.06.2008. 424 Wang, Jimmy: China faces tough decisions as it raises fuel prices; in New York Times Online; http://www.nytimes.com/2008/06/20/business/worldbusiness/20iht-fuel.4.13863573.html; Zugriff: 21.06.2008.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
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4.4.1.3 Produktion von Erdöl in der VR China Die Produktion von Erdöl in der VR China belief sich im Jahre 2007 auf ca. 186,7 Millionen Tonnen pro Jahr (Abb. 31). Damit ist das Reich der Mitte nach Saudi Arabien, Russland, den USA und Iran in der internationalen Rangliste auf Platz fünf der größten Förderländer. Ende März 2007 verkündete das Ministry of Land and Resources in Bezugnahme auf Zahlen von PetroChina, Sinopec und CNOOC, dass die Erdölreserven der VR China noch rund zwei Milliarden Tonnen (14,95 Milliarden Barrel) betragen. Bei gleichbleibender Produktionskapazität von 186, 7 Millionen Tonnen im Jahre 2007 entspräche dies einer Förderlaufzeit von ca. elf Jahren. Laut Ministerium standen im Jahre 2006 184 Millionen Tonnen Produktion 195 Millionen Tonnen Neufunde gegenüber.425 Bei der Veröffentlichung der Zahlen durch das Ministerium war jedoch ein wichtiges Ereignis für die chinesische Erdölindustrie noch nicht mit einberechnet. Am 3. Mai 2007, also gut einen Monat später gab PetroChina bekannt, dass in der Bohai Bay das Nanpu-Ölfeld entdeckt wurde. Das Offshore-Feld hat eine Kapazität von 1,02 Milliarden Tonnen (7,48 Milliarden Barrel). Wenn die Gesamtkapazität des Feldes nach technologischen und wirtschaftlichen Kriterien gefördert werden kann, so schössen die Gesamterdölreserven der VR China um 49 Prozent von 15,5 auf ca. 23 Milliarden Barrel in die Höhe (Abb. 34). Ein Sprecher von CNPC veranschlagte zum Ende der ersten Entwicklungsphase im Jahre 2012 eine Jahresproduktion von 10 Millionen Tonnen pro Jahr.426 Neben dem Neufund in der Bohai Bay setzten chinesische Konzerne nach wie vor auf einen Durchbruch im westlichen Autonomiegebiet Xinjiang. Auch wenn sich bisher die Hoffnungen auf große Funde im Tarimbecken noch nicht bestätigt haben und Konsortien mit internationalen Unternehmen gescheitert sind, so gehen in der Wüste Taklamakan die schwierigen Explorationsarbeiten weiter.427 Diese Hoffnungen sind nicht unbegründet, da die geologischen Strukturen auf lohnenswerte Ressourcen schließen lassen. Im Bohai Bay Bassin, das sich über 144.500 Quadratkilometer erstreckt werden 18,8 Milliarden Tonnen Erdöl vermutet. Im Songliao Bassin sind es 12,9 Milliarden Tonnen, die in kleineren Feldern stecken könnten.428 In Xinjiang existieren zwei geologisch aussichtsreiche Bassins. Das eine ist das Tarim Bassin, das sich 1.000 Meter unter der Wüste Taklamakan über 540.000 Quadratkilometer erstreckt und ein Potenti425
People’s Daily: China has 2 billion tons of oil in reserves; in: People’s Daily D Online; http://english.peopledaily.com.cn/; 31.03.2007. 426 Watkins, Eric (2007): China touts Nanpu find; in: The Oil & Gas Journal; Volume 105; Issue 18; S. 32. 427 Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy Crisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton; S. 81ff. 428 Allein das in der Region angesiedelte Daqing Feld besteht eigentlich aus 40 kleinen Feldern.
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al von 10,7 Milliarden Tonnen Erdöl haben soll. Das zweite ist das Junggar Bassin mit einer Gesamtfläche von 130.000 Quadratkilometer unter der Gebirgskette Tianshan im Norden Xinjiangs. Dort sollen noch sieben Milliarden Tonnen Erdöl lagern.429 Da sich in den östlichen Bassins schon erfolgreiche Entdeckungen verzeichnen ließen (Tab. 9), gehen die chinesischen Konzerne, unterstützt von der Regierung in Beijing, davon aus, dass sich die Produktionskapazität über Neufunde weiter ausdehnen lässt. Abbildung 34: Gesicherte Erdölreserven in der VR China (Milliarden Barrel)
* Für 2008 ist die Zahl geschätzt. Voraussetzung für den steilen Anstieg ist die unrealistische Annahme, dass der Offshorefund in der Bohai Bay (7,48 Milliarden Barrel) in vollem Umfang gefördert werden kann. Nach bisherigem Stand der Technik ist ein Erdölfeld allerdings nur bis zu höchstens 75 Prozent ausbeutbar. Bis die Exploration des Feldes abgeschlossen ist, werden jedoch noch einige Jahre vergehen. Quelle: BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff: 26.06.2008; eigene Berechnung.
Neufunde sind notwendig, damit die rückläufigen Produktionszahlen aus den traditionellen Feldern, wie Daqing und Shengli in den Provinzen Heilongjiang und Shandong, die ihren Produktionshöhepunkt überschritten haben, ausgeglichen werden können (Abb. 35). Dies ist auch der Zentralregierung bewusst, was sich darin ausdrückt, dass sie CNOOC in den 1980er und 1990er Jahren mit 100 Millionen Yuan pro Jahr (ca. 10 Millionen Euro) subventionierte.430 429 Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy Crisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton; S. 38f. 430 Handke, Susann (2006): Securing and Fuelling China’s Ascent to Power; Clingendael International Energy Programme; The Hague; S. 19; Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy
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Tabelle 9: Chinas Haupt-Erdölfelder nach Produktion, 2006 Erdölfeld Produktion China National Petroleum Corporation (CNCP)/PetroChina Daqing 929.268 Liaohe 256.991 Xinjiang 222.524 Changqing 162.422 China Petroleum and Chemical Corporation (Sinopec) Shengli 535.531 Sinopec Star 78.567 Zhongyuan 67.092 China National Offshore Oil Corporation (CNOOC) Total offshore 519.108 Quelle: EIA (2006): Country analysis Briefs. China. Oil; http://www.eia.doe.gov/emeu/cabs/China/Oil.html; Zugriff: 26.04.2008.
in:
EIA
Online;
Abbildung 35: Erdölproduktion in Daqing (Millionen Tonnen)
Quelle: Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy Crisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton; S. 19; EIA (2006): Country analysis Briefs. China. Oil; in: EIA Online; http://www.eia.doe.gov/emeu/cabs/China/Oil.html; Zugriff: 26.04.2008.
Wenn die Produktionskapazität bei steigendem Bedarf an Erdöl sinken sollte, wäre China in Zukunft mit noch schneller wachsenden Importzahlen konfrontiert. Zwar haben die Importe von Erdöl seit 1993 eine durchschnittliche jährliCrisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton; S. 64.
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che Wachstumsrate von 39 Prozent, aber es werden nach wie vor über 50 Prozent des Eigenbedarfs aus inländischer Produktion gedeckt. Allerdings ist zu erwarten, dass sich dieser Wert im Jahre 2008 umkehrt und der Importanteil am Gesamtverbrauch Chinas auf über 50 Prozent zur Deckung des Eigenbedarfs ansteigen wird (Abb. 36). Abbildung 36: Erdölimporte bzw. Überproduktion der VR China (Millionen Tonnen)
Quelle: BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff: 26.06.2008.
Der Import in die Volksrepublik verläuft bisher zu 80 Prozent über den Seetransport, auch wenn die Diversifizierung in Richtung der kontinentalen Handelswege seit der Eröffnung der Atasu-Alashankou-Pipeline im Jahre 2005 vorankommt. Um den dennoch steigenden Import durch die Straße von Malakka in den Häfen abwickeln zu können, muss China seine Löschungs- bzw. Ausladekapazitäten ausbauen. Hier kann mittelfristig ein Erreichen der Obergrenze der Anlandung von Schiffen auf die Volksrepublik zukommen. Denn sowohl der Yangtse als auch der Gelbe Fluss führen enorme Mengen an Sediment mit, das sich im jeweiligen Flussdelta ablagert. Dies verhindert, dass Tiefseehäfen im unteren Flussverlauf oder im Delta gebaut werden können, was wiederum ein Problem für die Importkapazitäten von Erdöl auf dem Seeweg bedeutet. So gibt es für Tanker in der Größenordnung von 200.000 Tonnen nur Häfen in Qinhuangdao, Ningbo, Zhoshan (Zeijiang Provinz) und Maoming in Guangdong. Für Tanker dieser Kategorie werden ferner die Häfen von Tianjin, Huizhou und Da-
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lian ausgebaut. Es gibt jedoch keinen Hafen, der Tanker in der Größenordnung bis 500.000 Tonnen aufnehmen könnte (Abb. 37).431 Abbildung 37: Chinas Erdöl- und Erdgasreserven und Versorgungsinfrastruktur (2007)
Quelle: IEA (2007): World Energy Outlook 2007; OECD/IEA; Paris; S. 321.
Auch bei diesem Problem gibt es bislang nur wenige Lösungsansätze. Diese reichen von der Diversifizierung der Transportwege und Energieträger, über die Erhöhung der Energieeffizienz und Energieeinsparung bis zur Ausweitung der eigenen Produktionskapazitäten. Wie oben beschrieben, ist hier das vielverspre-
431 Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy Crisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton; S. 79.
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chende Bassin das Offshore-Feld in der Bohai Bay. Und auch die weiteren großen Erdölfunde in den letzten Jahren waren im Offshore-Bereich angesiedelt. Allerdings ist die zukünftige Erdölproduktion, gerade der Offshore-Bereich. durch konträre Ansichten hinsichtlich der Nutzung von grenzüberschreitenden Reserven und Vorkommen, die von mehreren Staaten jeweils für sich allein beansprucht werden, ungeklärt. Das betrifft sowohl die Ostchinesische See, in der es wiederholt zu Konflikten mit Japan kam als auch das Südchinesische Meer, in dem die Spratly-Inseln mit ihren Erdölreserven von mehreren Staaten beansprucht werden. Neben diesen Problemen versucht die chinesische Regierung die Erdölimporte, die durch die Straße von Malakka transportiert werden, zu diversifizieren (Kap. 3.3.1 u. 3.3.2). Die eigene Produktion von Erdöl kann, der obigen Analyse folgend, zumindest in den kommenden Jahren nicht zur vollständigen Deckung des Eigenbedarfs ausgebaut werden. Deshalb, aufgrund der Konflikte um die Offshore-Ressourcen und der Strategie zur Reduzierung der Importe durch die Straße von Malakka sind Pläne zum Bau einer Pipeline aus Birma, vor allem aber Pipelines aus Russland und Zentralasien in den Blickpunkt Beijings gerückt.
4.4.1.4 Die internationale Pipelineinfrastruktur der VR China Die drei großen nationalen Ölkonzerne – CNPC, CNOOC und Sinopec – bemühen sich, mit Unterstützung der Regierung in Beijing, seit Mitte der 1990er Jahre um den Bau von Pipelines zwischen Russland bzw. Kasachstan und China. Hinter den Bemühungen stand ein ehrgeiziger Plan, den die staatliche Planungskommission und das State Scientific Research Institute of Petroleum Exploration and Development 1996 aufgelegt hatte: die Errichtung einer Panasiatischen kontinentalen Erdölbrücke. Das Pipelinenetz, das für die kontinentale Diversifizierung der Importe konzipiert wurde, sollte Erdöl aus Russland, Zentralasien und dem Mittleren Osten nach China und durch die Volksrepublik nach Südkorea und Japan transportieren.432 Aber auch Indien und Pakistan wurden als potentielle Abnehmerstaaten eingeplant, Afghanistan und Birma als Transitstaaten (Abb. 38). Damit wäre die Rolle der chinesischen Konzerne von reinen Abnehmern um eine Verteilerfunktion ergänzt worden.
432
Christoffersen, Gaye (1998): China’s Intention for Russian and Central Asian Oil and Gas; in: NBR Analysis; Vol. 9; Nr. 2; National Bureau of Asian Research; Seattle; S. 8.
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Abbildung 38: Geplante Pipelines in die VR China
Quelle: IEA (2007): World Energy Outlook 2007; OECD/IEA; Paris; S. 321.
Die Erdölpipeline Birma-China In Pakistan und Birma werden in chinesischer Kooperation seit Beginn des neuen Jahrtausends Tiefseehäfen gebaut, in denen auch Tanker einer Größenordnung von 500.000 Tonnen anlanden können. Das Erdöl soll dann über Pipelines in die VR China transportiert werden. Eine Pipeline soll von Birma aus östlich des Himalajas gelegt werden. Vom Hafen in Pakistan müsste die Pipeline allerdings entweder direkt durch das höchste Gebirge der Welt, alternativ durch Indien und den Himalaya oder durch Afghanistan und Zentralasien in die Volksrepublik gebaut werden. Diese drei Möglichkeiten sind aber aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen undenkbar. Eine vierte Möglichkeit wäre es die Pipeline an die Linie Birma-China anzuschließen. Auch diese Option ist hinfällig, da der
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Seetransport von Erdöl anstatt von Pakistan nach Birma wirtschaftlich rentabler ist, als eine Pipeline zwischen den zwei Staaten neu zu bauen und zu betreiben. So bleibt zur Umgehung der Straße von Malakka und damit der Kontrolle durch die US-Marine, für den Erdölimport aus dem Nahen Osten und Afrika vorerst die in Bau befindliche Birma-China-Pipeline.433 Eine größere Anzahl von Möglichkeiten zum Bau von Pipelines bietet die kontinentale Anbindung in die Kaspische Region und nach Russland. Allerdings sind die Verhandlungen mit russischen Konzernen in der Vergangenheit häufig verzögert worden oder mussten ganz eingestellt werden.
Die Erdölpipeline Angarsk-Daqing oder Angarsk-Nachodka? Ein Projekt, das auf erhebliche Hindernisse stieß, ist eine Pipeline, die zur Substitution der Eisenbahntransporte von Erdöl aus Sibirien nach China gebaut werden soll. Voraussetzung dafür war ein Regierungsabkommen aus dem Jahre 1996 über eine Energiekooperation und die darauf folgenden Vereinbarungen über den Bau der Pipeline aus den Jahren 1999 und 2000 zwischen Yukos, Transneft, CNPC und Sinopec.434 Im Juli 2001 verabschiedeten beide Seiten ein Memorandum of Understanding, nach dem bis zum Jahre 2005 eine drei Milliarden US-Dollar teure und 2.300 km lange Pipeline fertig gestellt werden sollte. Die Pipeline sollte 20-30 Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr über einen Zeitraum von 25 Jahren von Angarsk nach Daqing leiten. Im Dezember 2002 folgte eine Joint Declaration, die den Pipelinebau bekräftigte. Triebkraft auf russischer Seite war der YukosKonzern, der als erstes Erdöl aus Ostsibirien im Umfang von bis zu vier Millionen Tonnen im Jahr per Eisenbahn nach China exportierte. Im Mai 2003 unterzeichneten Sinopec und Yukos während eines Besuchs des chinesischen Präsidenten Hu Jintao in Russland ein Übereinkommen, das den Bau der Pipeline regelte (Abb. 39).435 433
China Stakes: Myanmar-China Pipeline to Start Construction in 2009; in: China Stakes Online; http://www.chinastakes.com/2008/11/myanmar-china-pipeline-to-start-construction-in-2009.html; Zugriff: 21.11.2008. 434 Goldstein, Lyle; Kozyrev, Vitaly (2006): China, Japan and the scramble for Siberia; in: Survival; Nr. 48; S. 163-178; Routledge; S. 168. 435 Simonia, Nodari (2004): The Energy Dimension in Russian Global Strategy. Russian Energy Policy in East Siberia and the Far East; James Baker III Institute for Public Policy of Rice University; Houston; S. 15; Goldstein, Lyle; Kozyrev, Vitaly (2006): China, Japan and the scramble for Siberia; in: Survival; Nr. 48; S. 163-178; Routledge; S. 169; Saurbek, Zhanibek (2008): Kazakh-Chinese Energy Relations: Economic Pragmatism or Political Cooperation?; China and Eurasia Forum Quarterly; Vol. 6; Nr. 1; S. 79-93; Central Asia-Caucasus Institute & Silk Road Studies Program; S. 89.
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Abbildung 39: Geplante Pipeline: Angarsk (Russland) nach Daqing (VR China)
Quelle: Sun Bin: Siberia Pipeline Odyssey; in: http://sun-bin.blogspot.com/2005/11/siberia-pipelineodyssey.html; Zugriff: 14.07.2008.
Ein Vertrag mit Yukos über den Bau und eine Lieferdauer von 26 Jahre (400.000 Barrel am Tag zwischen 2005-2009 und 600.000 Barrel am Tag zwischen 2010-2030)436 war beinahe abgeschlossen, als der Vorstandsvorsitzende von Yukos – Michail Chodorkowski – am 24. Oktober 2003 von der russischen Staatsanwaltschaft unter dem Vorwurf des Betrugs und der Steuerhinterziehung437 festgenommen und zu neun Jahren Arbeitslager verurteilt wurde.438 Nach 436
Khartukov, Eugene; Starostina, Ellen (2006): Expansion eyes multiple outlets; in: The Oil & Gas Journal; Volume 104; Issue 13; ProQuest; S. 64. 437 Es ist jedoch eher zu vermuten, dass Yukos zerschlagen wurde, da Chodorkowski sich erstens in die Politik einmischte, indem er linke und rechte Oppositionsparteien vor der Dumawahl im Jahre 2003 unterstützte, um Putin zu schwächen und sich selbst eine starke Position im künftigen Parlament zu sichern. Zweitens wollte er Yukos an Exxon Mobile veräußern. Da der Energiesektor aber auch 2003 schon einen Großteil der Steuergewinne ausmachte (2007 waren es 40 Prozent der Steuergewinne, 55 Prozent der Exporteinnahmen und 20 Prozent der Gesamtwirtschaft) wäre eine Veräußerung Yukos an den US-Konzern einem Verkauf von Kronjuwelen gleichgekommen. Rahr, Alexander (2008): Russland gibt Gas. Die Rückkehr einer Weltmacht; Hanser; München; S.5 ff.
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der Verhaftung wurde Yukos zerschlagen und in einem komplizierten Verfahren an Rosneft veräußert. An Rosneft wiederum hält der russische Staat die Aktienmehrheit.439 Kurz nachdem Präsident Hu Jintao dem russischen Präsidenten Wladimir Putin einen Besuch abgestattet hatte, unternahm auch der japanische Premierminister Junichiro Koizumi im März 2003 eine Reise nach Moskau. Während des Treffens machte Putin deutlich, dass er neue Vorbehalte gegen eine AngarskDaqing Pipeline habe und eine von Japan finanzierte Route an den Pazifik nach Nachodka ebenso in Betracht käme (Abb. 39). Er sagte: „I welcome progress in work for the development of the Far East [Sakhalin Project] and the advance of cooperation relating to the Nakhodka pipeline. There is the argument that the China route pipeline could be constructed more quickly and more cheaply, but developing the undeveloped resources of Siberia and sending them to the AsiaPacific region and the world market are also important. It is important for experts to conduct careful studies from this perspective.“440 Damit war die Pipeline Angarsk-Daqing vorerst auf Eis gelegt, denn über die 3.800 km lange Angarsk-Nachodka-Pipeline können eine Million Barrel Rohöl pro Tag (ca. 50 Mio. Tonnen pro Jahr) an die Pazifikküste verbracht werden und dann per Schiff nach Japan und Südkorea gelangen – zwei Märkte, die beim Bau der Pipeline nach China außen vor gewesen wären (Abb. 39). Beide Pipelines zu bauen würde das Produktionspotential Ostsibiriens weit überschreiten. Zudem bot Japans Premierminister Koizumi ungebundene Kredite in Höhe von fünf Milliarden US-Dollar, was einen Teil der auf zwischen acht und zehn Milliarden US-Dollar veranschlagten Projektkosten abgedeckt hätte. Ein weiterer Vorteil der Pipeline an den Pazifik für Russland ist die Tatsache, dass das Öl, das 438
DW-World: Der Fall Chodorkowski; in: DW-World Online; http://www.dwworld.de/dw/article/0,1564,1027583,00.html; Zugriff: 14.08.2008; Myers, Steven Lee; Kramer, Andrew: Kremlin is lowering curtain on Yukos; in: IHT Online;http://www.iht.com/articles/2007/03/ 26/business/yukos.php; Zugriff: 26.03.2007. 439 Zuerst wurde Ende 2003 Yukos-Chef Michail Chodorkowski inhaftiert und sein Konzern zerschlagen. Dabei wurden nach einen Gerichtsbeschluss von Ende 2004 die verbliebenen YukosAnteile am Ölkonzern Sibneft in Höhe von 34,5 Prozent zur Zahlung der Steuerschulden an den russischen Staat gesperrt. Mit einer Übernahme von Yukos hätte die Gazpromtochter Gazpromneft ihre Förderkapazitäten auf bis zu 90 Mio. Tonnen Öl am Tag mehr als verdoppeln können. Die Yukos-Tochter Yuganskneftegas wurde jedoch am 19. Dezember 2004 für 9,35 Milliarden US-Dollar an die Baikalfinancegroup versteigert, die wiederum von der halbstaatlichen Ölfirma Rosneft übernommen wurde. Abdolvand, Behrooz; Adolf, Matthias; Sadegh-Sadeh; Kaweh (2006): Vertrauen ist gut, Diversifizierung ist besser. Europas Abhängigkeit vom russischen Gas; in: Vorgänge; Nr. 174; S. 52-67; Berlin; S. 7. 440 Ministry of Foreign Affairs of Japan (2003): Japan-Russia Summit Meeting; in: Ministry of Foreign Affairs of Japan Online; http://www.mofa.go.jp/policy/economy/summit/2003/russia.html; Zugriff: 14.07.2008.
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nicht an Langzeitverträge gebunden ist, bei Auktionen am Terminal an alle Erdölkonzerne versteigert werden könnte.441 Nachdem Moskau sich im Jahre 2004 stark in Richtung einer japanischen Lösung orientiert hatte, die eine Pipeline nach China vorerst ausschloss, wandte sich China verstärkt der Erdölpipeline zu, die inzwischen Kasachstan und China verbindet. Allerdings kämpfte Beijing nach wie vor für eine russisch-chinesische Lösung.442 Trotz dieser Vorzeichen vereinbarten CNPC und Rosneft im Juli 2005 ein langfristiges Kooperationsabkommen. Im März 2006 gaben der chinesische Konzern, Rosneft und Transneft grünes Licht, um eine neue Machbarkeitsstudie über den Bau der Pipeline zu erarbeiten. Dies war notwendig geworden, da sich inzwischen Japan in die Verhandlungen eingeschaltet hatte.443 Nach jahrelangen turbulenten Verhandlungen wurde schließlich im April 2006 mit dem Bau Angarsk-Nachodka-Pipeline begonnen. Sie wird nun eine Jahreskapazität von 30 Millionen Tonnen Erdöl in der ersten Phase haben, wovon zwei Drittel in der Stadt Skoworodino, die 60 Kilometer von der chinesischen Grenze entfernt liegt, in einen Abzweig nach Daqing geleitet werden (Abb. 39). Zumindest in diesem Fall wurde also ein Kompromiss gefunden.444 Die Pipeline mit der Stichleitung nach China könnte im Dezember 2009 fertig gestellt werden und zur Atasu-Alashankou-Pipeline eine weitere Diversifizierungsmöglichkeit für die Volksrepublik darstellen.445
Die Erdölpipeline Atasu-Alashankou Die Atasu-Alashankou Pipeline zwischen China und Kasachstan ist bisher die einzige Pipeline-Verbindung zwischen der Volksrepublik und ihren Nachbarstaaten. Im Juli 2006 sprudelte das Erdöl das erste Mal aus der Pipeline, die das kasachische Atasu mit der chinesischen Grenzstadt Alashankou verbindet. Die 988 Kilometer lange und 800 Millionen US-Dollar teure Atasu-Alashankou441
Kandiyoti, Rafael: Pipelines im Dauerfrost; in: Le monde diplomatique Online; http://www.eurozine.com/articles/2005-05-20-kandiyoti-de.html; Zugriff: 15.07.2008. Goldstein, Lyle; Kozyrev, Vitaly (2006): China, Japan and the scramble for Siberia; in: Survival; Nr. 48; S. 163-178; Routledge; S. 171. 443 CNPC (2007): CNPC in Russia; in: CNPC Online; http://www.cnpc.com.cn/eng /cnpcworldwide/euro-asia/Russia/; Zugriff: 15.07.2008. 444 China Internet Information Center: Russland beginnt mit dem Bau der Ölpipeline zum Pazifik; in: China.org Online; http://german.china.org.cn/business/txt/2006-04/30/content_2235435.htm; Zugriff: 15.07.2008. 445 RIA Novosti: Ostsibirien-Pipeline bringt im Dezember erstes Erdöl in Pazifikländer; in: RIA Novosti Online; http://de.rian.ru/business/20090427/121332760.html; Zugriff: 27.04.2009. 442
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4 Die Energiepolitik der VR China
Pipeline ist Teil einer Pipeline, die das Kaspische Meer mit der VR China verbinden soll (Abb. 40). Abbildung 40: Die Atasu-Alashankou-Pipeline
Quelle: Liao, Xuanli (2006): Central Asia and China’s Energy Security; in: China and Eurasia Forum Quarterly; Vol. 4; Nr. 4; S. 61-69; Central Asia-Caucasus Institute; S. 66.
Um die Pipeline zu bauen gründeten CNPC und das kasachische staatliche Erdölunternehmen KazMunaiGaz (KMG) zu gleichen Teilen ein Konsortium. Das westliche Teilstück von Atyrau nach Kenkiyak wurde im März 2003 beendet. Das östliche Teilstück von Atasu (Kasachstan) nach Alashankou (VR China) wurde am 16. Dezember 2005 – einen Tag früher als geplant – fertig gestellt. Im Mai 2006 ging die Pipeline in Betrieb. Für die direkte Durchleitung von Erdöl aus Atyrau oder Tengiz fehlte nun also „nur“ noch das Teilstück zwischen Kenkiyak und Kumkol, das Mitte Juli 2009 fertig gestellt wurde (Abb. 40) (Kap. 5).446 Bisher wird die Pipeline unter anderem aus den Ölfeldern in Kumkol gefüllt. Die vorläufige Kapazität von 200.000 Barrel am Tag soll nach Fertigstellung des letzten Teilstücks auf 400.000 Barrel am Tag ausgebaut werden. Auch 446
Liao, Xuanli (2006): Central Asia and China’s Energy Security; in: China and Eurasia Forum Quaterly; Vol. 4; Nr. 4; S. 61-69; Central Asia-Caucasus Institute; S. 65f.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
217
wenn es jahrelange Verhandlungen um den Bau der Pipeline gab und einige Analysten sie nur noch als chinesischen Traum begriffen hatten, der sich nicht mehr erfüllen werde447, so gilt sie inzwischen als Startpunkt der chinesischen Pipeline-Politik in der Kaspischen Region mit dem Plan, eine „Pan-asiatische kontinentale Erdölbrücke“ aufzubauen. Damit könnte der Anteil der Importe über den Landweg weiter ausgebaut werden.448 Eine genaue Analyse des Politikprozesses um die Pipeline ist in Kapitel 5 zu finden.
Die Erdölpipeline Urumqi-Gansu (Verlängerung Kasachstan-China) Da die Atasu-Alashankou-Pipeline in der westchinesischen Grenzstadt Alashankou in Xinjiang endet, das Erdöl aber in den hochentwickelten Regionen an der Ostküste Chinas benötigt wird, musste sie auf chinesischer Seite erweitert werden. Deshalb wurde die „Western Crude Oil Pipeline“ von CNPC gebaut und am 30. Juni 2007 in Betrieb genommen. Die Pipeline verbindet Urumqi in Xinjiang mit Lanzhou in Gansu und ist ca. 4.000 Kilometer lang. Sie ist auf eine Kapazität von 20 Millionen Tonnen Erdöl und zehn Millionen Tonnen Erdölprodukten ausgelegt.449 Dieser Zustrom in den Osten des Landes könnte auch genutzt werden, um die strategische Erdölreserve weiter auszubauen. Letztlich zeigt sich, dass die Diversifizierung von Erdölimporten in der VR China durch Pipelines aus den Nachbarstaaten noch in der Entwicklung steckt. Eine Pipeline vom in Konstruktion befindlichen Tiefseehafen in Birma bis Südchina ist in Bau. Die Realisierung der Pipeline aus Russland ins chinesische Daqing scheiterte lange Zeit an innerrussischen Verteilungskämpfen und der Konkurrenz zwischen der von Tokio bzw. der von Beijing präferierten Route. Inzwischen ist die Pipeline in Bau, dennoch existiert nur eine Leitung von Kasachstan in die VR China nach Xinjiang, deren Kapazität noch nicht vollständig ausgelastet ist.
447
Nabiyev, Rizvan (2003): Erdöl- und Erdgaspolitik in der kaspischen Region; Dr. Köster; Berlin; S. 287. Adolf, Matthias (2007): Chinas Hunger auf Energie – und seine (amerikanische) Konkurrenz; in: Fundiert; Juni 2007; S. 126-131; Freie Universität Berlin; S. 129; Energy Information Administration (2006): Country Analysis Briefs – China; in: EIA Online; http://www.eia.doe.gov; Zugriff: 26.04.2008. 449 CCR: Western Oil Pipeline Put on Stream; in: China Chemical Reporter; 16. Juli 2007; CNCIC ChemData Co.; S. 8. 448
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4 Die Energiepolitik der VR China
4.4.1.5 Zwischenergebnis Erdöl Für die chinesische Energiesicherheitsstrategie bedeutet das, dass die kontinentale Diversifizierung der Erdölimporte sehr langsam voranschreitet und eine weitgehende Importabhängigkeit über den Seeweg auch in den kommenden Jahren bestehen bleibt. Das Ziel der chinesischen Regierung eine autarke Versorgung mit Erdöl aufzubauen, ist auch bei großen Neufunden kaum noch zu realisieren. Dies liegt daran, dass der Erdölverbrauch in China in den kommenden Jahren weiter rasch ansteigen wird, unter anderem da sich ein zunehmender Teil der Bevölkerung motorisierte Verkehrsmittel leisten wird. Da die Industrialisierung in der Volksrepublik noch nicht abgeschlossen ist, ist auch in diesem Sektor mit einem höheren Verbrauch zu rechnen (Kap. 4.3). Doch die ostchinesischen Industrie- und Dienstleistungszentren benötigen nicht nur Erdöl aus dem Westen. Um der verheerenden Luftverschmutzung entgegenzuwirken und Erdöl sowie Kohle zu substituieren setzt die chinesische Regierung vermehrt auf Erdgas. Aber auch bei diesem Energieträger liegen – ähnlich wie bei Erdöl – ca. 70 Prozent der weltweiten Reserven in der Strategischen Ellipse, die sich vom Nahen Osten über die Kaspische Region bis nach Russland zieht (vgl. Kapitel 2.). Das heißt, dass die Reserven in einiger Entfernung von den chinesischen Ballungszentren zu finden sind und ein Transport bis dorthin in der chinesischen Energiesicherheitsstrategie garantiert werden muss.
4.4.2 Erdgas 4.4.2.1 Die Bedeutung von Erdgas für die VR China Aufgrund des ständigen Mehrbedarfs an Energie im Transportsektor, in der Stromerzeugung und zu Heiz- bzw. Kochzwecken versucht die chinesische Regierung, eine Transformation von Kohle hin zu Erdgas voranzutreiben. Allerdings nimmt die Volksrepublik bei den gesicherten Reserven laut BP im weltweiten Ranking mit 1,88 Billionen Kubikmeter nur Platz 18 ein.450 Trotzdem ist die VR China bisher nicht auf Erdgasimporte angewiesen, da sie ihren Verbrauch über die eigene Produktion decken kann (Abb. 41).
450
Die Plätze eins bis zehn sind wie folgt verteilt: Russland (44,65 m3), Iran (27,80 m3), Katar (25,60 m3), Saudi Arabien (7,17 m3), Arabische Emirate (6,09 m3), USA (5,98 m3), Nigeria (5,30 m3), Venezuela (5,15 m3), Algerien (4,52 m3), Irak (3,17 m3). BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9023755& contentId=7044552; Zugriff: 26.06.2008.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
219
Abbildung 41: Erdgasproduktion und -verbrauch in der VR China (1970-2007)
Quelle: BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff: 26.06.2008.
Die Eigenversorgung Chinas mit Erdgas wird jedoch aller Voraussicht nach in den nächsten Jahren nicht mehr aufrecht erhalten werden können. Wie in der Zeit zwischen 1979 und 1990 wird die Volksrepublik dann wieder auf Importe angewiesen sein (Kap. 4.3). Zwar steht China mit einer Produktionskapazität von 69,3 Milliarden Kubikmeter im Jahre 2007 bei der weltweiten Förderung auf Platz neun noch vor Turkmenistan und hinter Großbritannien. Allerdings stieg der Verbrauch in den letzten Jahren exponentiell an. Allein in den Jahren 2000 bis 2007 konnte ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 15,5 Prozent von 24,5 Milliarden Kubikmeter auf 67,3 Milliarden Kubikmeter verzeichnet werden. Auch wenn noch ein großer Prozentsatz hiervon für die Produktion von Düngemitteln verwendet wird, soll – nach Ansicht der Regierung in Beijing – künftig vor allem der Anteil von Kohle am Primärenergiemix von ca. 70 Prozent drastisch reduziert werden, indem diese so weit wie möglich durch Erdgas substituiert wird. Zudem sollen verstärkt Pkws zum Einsatz kommen, die mit Erdgas und nicht mit Diesel oder Benzin betrieben werden. Deshalb geht die NDRC davon aus, dass der Erdgaskonsum bis zum Jahr 2020 auf 250 Milliarden Kubikmeter ansteigen wird und dann neun Prozent Anteil am Primärenergiemix haben wird.451 451
BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff: 26.06.2008; Miyamoto, Akira; Ishiguro, Chikako (2006): Pricing and Demand for LNG in China;
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4 Die Energiepolitik der VR China
Die Attraktivität von Erdgas hat drei Gründe: Erstens kann Kohle in der Stromerzeugung durch Erdgas substituiert werden und somit – zumindest als Einsatz in Funktion eines Brückenenergieträgers – die CO2-, SO2- und NOxEmissionen einschränken. Dadurch kann die Regierung Folgekosten durch Umweltverschmutzung und Klimawandel und soziale Kosten wie Gesundheitsversorgung oder soziale Unruhen aufgrund von Smog vermeiden. Zudem stützt dies die schwierige Situation Chinas im internationalen Klimaschutz. Zweitens kann Erdgas zur Substitution von Erdöl im Transportsektor eingesetzt werden und somit wiederum CO2-Emissionen vermindern. Zudem kann Beijing die Energieversorgungssicherheit bei einer Umgestaltung des Energiemix weg von Erdöl und hin zu Erdgas besser garantieren, da sich der globale Erdgasmarkt im Gegensatz zum Erdölmarkt noch in Entwicklung befindet und dadurch bessere Chancen für China birgt. Drittens kann die Effizienz vieler Industrieanlagen verbessert werden, wenn sie von Kohle auf Erdgas umgestellt werden. So kann ein moderner Gasboiler ca. 92 Prozent der Energie, die im Erdgas enthalten ist, in Wärme umwandeln. Kohleboiler, wie sie in China Verwendung finden, lassen mehr als 20 Prozent der produzierten Energie ungenutzt. Ein fortschrittliches Erdgaskraftwerk, das nur Elektrizität erzeugt, kann eine Energieeffizienz von bis zu 60 Prozent haben. Bei einem Kohlekraftwerk – auch bei denen, die in großer Stückzahl in China gebaut und die nächsten 40-50 Jahre betrieben werden – liegt der Energieeffizienzwert höchstens bei 40 Prozent.452 Um aber die von der Regierung unterstützte Substitution von Kohle und Erdöl voranzutreiben, stellt sich die Frage, bis zu welchem Volumen die eigene Produktionskapazitäten bei Erdgas gesteigert werden kann und inwieweit der Anteil an Importen über Liquified-Natural-Gas (LNG) oder Pipelines aus Russland bzw. der Kaspischen Region zunehmen muss.
4.4.2.2 Produktion von Erdgas in der VR China Die Regierung hat den drei großen staatlichen Erdölkonzernen die auch den chinesischen Erdgasmarkt dominieren453 – im Jahre 2004 entfielen 82,8 Prozent der Produktion auf sie – den Auftrag gegeben, die Produktion und den Import Oxford Institute for Energy Studies; Oxford; S. 3. 452 Logan, Jeffrey (2005): Energy Outlook for China: Focus on Oil and Gas; Hearing on EIA’s Annual Energy Outlook for 2005; Committee on Energy and Natural Resources; U.S. Senate; 3. February 2005; http://www.iea.org/textbase/speech/2005/jl_china.pdf; Zugriff: 12.08.2007; S. 6f. 453 Insofern sind auch die Regulierungen und Deregulierungen durch die Regierung in diesem Bereich ähnlich verlaufen, wie im Erdölsektor.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
221
von Erdgas auszubauen.454 Hier dürfte in den kommenden Jahren das Hauptaugenmerk auf dem Import von Erdgas über Pipelines aus Zentralasien und Russland und über Flüssiggas (LNG) aus dem Nahen Osten und dem Golf von Guinea liegen. Denn es ist fraglich, ob die Eigenproduktion mit den Wachstumsraten des Konsums Schritt halten kann, auch wenn noch nicht alle vielversprechenden Gebiete in China endgültig exploriert sind.
Die wichtigsten Erdgasfelder in China – Onshore Chinesische Experten gehen davon aus, dass sich die Erdgas-Ressourcen bis auf 35 Billionen Kubikmeter erweitern könnten.455 Doch solange die Exploration der verschiedenen Bassins nicht abgeschlossen ist, bleibt diese Zahl spekulativ. 20 Prozent der nachgewiesenen Reserven liegen mit rund 280 Milliarden Kubikmeter im Sichuan Bassin, in der Mitte Chinas. Die Produktionskapazität beläuft sich hier auf 12 bis 15 Milliarden Kubikmeter pro Jahr und soll bis 2010 16,5 Milliarden Kubikmeter erreichen. Allerdings wird mit dem Gas die Förderregion über eine 1.000 km lange ringförmige Pipeline selbstversorgt. 60 Prozent des Gases werden zur Herstellung von chemischen Düngemitteln verwendet. Im Transportsektor wird es als Compressed Natural Gas (CNG) für Busse, Pkw und Lkw eingesetzt. Zudem sind in der Region 2,8 Millionen Haushalte auf diese Form der Energie angewiesen.456 Die zweitgrößten Erdgasreserven mit ca. 200 Milliarden Kubikmeter liegen im Ordos Bassin nördlich von Sichuan. Das größte Feld in dem 370.000 Quadratkilometer umfassenden Areal ist das Changbei-Feld, das eine Fläche von 1.588 Quadratkilometer einschließt. Die dortigen gesicherten Reserven entsprechen 73 Milliarden Kubikmeter. In einem Joint Venture bauten CNPC und Shell eine Pipeline, die die Produktion von drei Milliarden Kubikmeter pro Jahr über 20 Jahre nach Beijing transportieren soll.457 Das drittgrößte Feld ist das Daqing-Feld in Heilongjiang. Allerdings ist die Erdgasgewinnung hier an die Erdölproduktion gekoppelt, die jedoch seit dem Jahr 1997 stetig abnimmt. Insofern wird hier nicht davon ausgegangen, dass die
454
Gu, Xuewu; Mayer, Maximilian (2007): Chinas Energiehunger: Mythos oder Realität?; Oldenbourg; München, Wien; S. 43. Gu, Xuewu; Mayer, Maximilian (2007): Chinas Energiehunger: Mythos oder Realität?; Oldenbourg; München, Wien; S. 43f. 456 Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy Crisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton; S. 70. 457 Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy Crisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton; S. 71f. 455
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4 Die Energiepolitik der VR China
Produktion von 2,44 Milliarden Kubikmeter im Jahre 2005 noch in entscheidendem Maße gesteigert werden kann.458 Große Hoffnungen der chinesischen Regierung liegen nach wie vor in den Qaidam und Tarim Bassins, die in der westlichen Provinz Xinjiang zu finden sind. Alleine in Qaidam – mit einer Fläche von 120.000 Quadratkilometer – werden 1.050 Milliarden Kubikmeter Erdgas vermutet. Davon wurden bisher jedoch nur 158 Milliarden Kubikmeter als gesicherte Reserven eingestuft. Die jährliche Produktion von 2,12 Milliarden Kubikmeter wird vorwiegend durch eine 963 km lange Pipeline über Xining, der Hauptstadt von Qinghai, nach Lanzhou transportiert (Abb. 42).459 Das ambitionierteste Projekt ist jedoch im Tarim Bassin zu finden. Hier lag die Produktion im Jahre 2005 bei 5,67 Milliarden Kubikmeter. Zusammen mit der Förderung aus Junggar (2,89 Milliarden Kubikmeter) und Turfan-Hami (1,53 Milliarden Kubikmeter) wird das Gas, was nicht in der Region verbraucht wird in die 4.200 km lange und 24 Milliarden US-Dollar teure West-Ost-Pipeline eingespeist, die erste, die die Region mit Shanghai verbindet. Die Pipeline ist im Zusammenhang mit dem „Transfer of Gas from West to East“ (xiqi dongyun) Projekt der Regierung in Beijing gebaut worden (Abb. 42). Allerdings reicht die Kapazität der 2004 fertig gestellten Pipeline mit 12 Milliarden Kubikmeter pro Jahr im Westen, 17 Milliarden Kubikmeter pro Jahr im Osten nicht, um die entwickelten Ostprovinzen ausreichend mit Gas zu versorgen, auch wenn die westliche Sektion der Pipeline bis zum Jahr 2010 auch auf 17 Milliarden Kubikmeter erweitert wird. Anerkennung im Ausland gab es – trotz der Fehlplanung bei der Kapazität –, da CNPC die Pipeline ohne die Unterstützung von Shell, ExxonMobil oder Gazprom alleine baute und ein Jahr früher als veranschlagt fertig gestellt hatte.460 Als Konsequenz dieser Unterschätzung der Entwicklung des Erdgasbedarfs im Osten wird seit Anfang 2008 eine zweite Ost-West-Pipeline gebaut. Die ca. 20 Milliarden US-Dollar umfassende Großinvestition soll über eine 4.945 km lange Röhre Khorgos in Xinjiang mit Guangzhou, der Hauptstadt der Provinz Guangdong im Südosten Chinas verbinden. Sie wird eine Kapazität von 30 Mil458 Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy Crisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton; S. 74. 459 Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy Crisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton; S. 72f. 460 Logan, Jeffrey (2005): Energy Outlook for China: Focus on Oil and Gas; Hearing on EIA’s Annual Energy Outlook for 2005; Committee on Energy and Natural Resources; U.S. Senate; 3. February 2005; http://www.iea.org/textbase/speech/2005/jl_china.pdf; Zugriff: 12.08.2007; S. 6f.; Platts: China completes plan to build second phase west-east gas pipeline; in: Platts Online; http://www.platts.com/Natural_Gas/News/8473697.xml?p=Natural_Gas/News&sub=Natural_Gas?sr c=energybulletin; Zugriff: 17.01.2008.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
223
liarden Kubikmeter pro Jahr haben und soll schon im Jahre 2010 in Betrieb genommen werden. Die Pipeline soll auch Erdgas, das ab Ende des Jahres 2009 aus Turkmenistan importiert werden soll, weiter in die Ostregionen transportieren und ist damit beim Erdgas die wichtigste Verbindungsstruktur zwischen der Kaspischen Region und der Ostküste Chinas.461 Abbildung 42: Erdgasinfrastruktur in der VR China (2005)
Quelle: Miyamoto, Akira; Ishiguro, Chikako (2006): Pricing and Demand for LNG in China; Oxford Institute for Energy Studies; Oxford; S. 3.
Die Investition in die zweite Pipeline hätte deutlich eingeschränkt werden können wenn die PetroChina Natural Gas and Pipeline Company von vornherein das höhere Wachstum beim Erdgasverbrauch erkannt und die erste Pipeline mit einer größeren Kapazität ausgestattet hätte. Zudem liegt das Hauptaugenmerk der Regierung auf einer möglichst gesicherten Energieversorgung, um das Wirtschaftswachstum aufrecht und die Bevölkerung „ruhig“ zu halten. Insofern muss 461
Platts: China completes plan to build second phase west-east gas pipeline; in: Platts Online; http://www.platts.com/Natural_Gas/News/8473697.xml?p=Natural_Gas/News&sub=Natural_Gas?sr c=energybulletin; Zugriff: 17.01.2008.
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4 Die Energiepolitik der VR China
eine Pipeline bei den Strategen in Beijing nicht unbedingt wirtschaftlich rentabel sein. Es geht vielmehr darum, möglichst viele potentielle Lagerstätten sowohl onshore als auch offshore zu explorieren und auszubeuten.
Die wichtigsten Erdgasfelder in China – Offshore Im Offshore-Bereich waren bis Ende des Jahres 2006 ein großes und zwei kleinere Felder in Produktion. Das Yacheng-Feld, das sich ca. 100 km südlich von Hainan in der südchinesischen See befindet, hat eine Förderkapazität von 3,5 Milliarden Kubikmeter und versorgt vorwiegend Hong Kong und Sanya City. Im Zuge eines Joint Ventures sollte eine dritte Pipeline nach Guangzhou gebaut werden, jedoch gestalteten sich die Verhandlungen zuerst mit der USamerikanischen Arco und später mit BP-Amoco schwierig. Da Arco in USDollar für ihr Engagement bezahlt werden wollte, dies aber innerhalb Chinas nicht möglich ist, musste das Gas weiterhin nach Hong Kong geleitet werden. BP hat sich inzwischen aus dem Projekt komplett zurückgezogen, was den Bau der Pipeline verhindert.462 Ein anderes vielversprechendes Feld ist das Pinghu-Feld im Ostchinesischen Meer. Hier gibt es jedoch politische Konflikte um die Grenzziehung zu Japan, da die Küsten der beiden Staaten so eng zusammen liegen, dass die Wirtschaftszonen beider Staaten eingeschränkt werden (Kap. 3.3.3). Trotz dieses Konfliktes hat China mit der Unterstützung Norwegens einen Teil des Erdgasfeldes exploriert. Im Jahre 2007 versorgte Pinghu Shanghai mit 440 Millionen Kubikmeter Erdgas pro Jahr durch eine offshore-Pipeline. Sollte es jetzt zu einer Einigung zwischen Japan und China hinsichtlich der Seegrenzziehung kommen, können weitere Pipelineprojekte von CNOOC und Sinopec gemeinsam mit Shell und Unocal realisiert werden.463 Da von der Erschließung bis zur Produktion bei offshore-Erdgasfeldern selbst unter besten Voraussetzungen – die weder in der südchinesischen See noch im Ostchinesischen Meer gegeben sind – mindestens ein bis zwei Jahre vergehen, ist diese Option zur schnellen Erweiterung der Produktion zu vernachlässigen. Alleine um die bestehenden Territorialkonflikte auszuräumen, wird viel Zeit benötigt. Doch auch onshore gibt es zu Beginn des neuen Jahrtausends nicht die Möglichkeit, die Produktion schnell auszubauen, da die erwarteten Funde bisher ausgeblieben und die entsprechende Infrastruktur nicht gebaut worden ist. 462 Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy Crisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton; S. 75. 463 Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy Crisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton; S. 75.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
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Die Pläne für den schnelleren Bau der Pipelineinfrastruktur, wie sie im elften Fünfjahresplan (2006-2010) durch das „Pipeline Network Program for Crude Oil and Natural Gas“ formuliert sind, sind zwar ambitioniert, ob sie ausreichend sind, lässt sich jedoch schwer einschätzen. Die erste West-Ost-Pipeline ist seit dem Jahr 2004 fertig gestellt und die zweite seit dem 22. Februar 2008 im Bau. Laut Jiang Jiemin, Generaldirektor bei CNPC kann das westliche Segment der Pipeline Ende des Jahre 2009 eröffnet werden. Das östliche Teilstück wird jedoch erst im Juni 2011 zur Durchleitung von Erdgas bereit stehen. Sollte sich der Bau verzögern, ist nicht geklärt, wie mit dem turkmenischen Gas verfahren wird, das eigentlich bei Fertigstellung der Turkmenistan-China-Pipeline ab Ende des Jahres 2009 durch die Pipeline weiter transportiert werden soll.464 Weitere Rohrleitungen, wie die Sichuan-Shanghai-Gas-Pipeline oder die LanzhouZhengzhou-Changsha sind erst in Planung oder im Genehmigungsverfahren in der NDRC.465 Das bedeutet, dass die heimische Produktion, ähnlich wie beim Erdöl, nicht so weit gesteigert werden kann, dass eine autarke Versorgung mit Erdgas aufrecht erhalten werden kann. Auch die ehrgeizigen Pläne der Regierung Erdöl und Kohle durch Gas zu ersetzen und dadurch zum inländischen sowie weltweiten Klimaschutz beizutragen, können mit den chinesischen Produktionskapazitäten nicht umgesetzt werden. Insofern wird China auf steigende Importe bei Erdgas angewiesen sein. Hinsichtlich der Importe gibt es zwei Optionen. Erstens der Import von LNG, der wiederum durch die US-kontrollierte Straße von Malakka verlaufen muss. Oder zweitens der Aufbau von Pipelines aus Russland und der Kaspischen Region.
4.4.2.3 Import von Erdgas in die VR China Der Transport von Erdgas ist komplizierter als der von Erdöl. Da Erdgas im gasförmigen Aggregatzustand nur per Pipeline zu transportieren ist, schränkt dies die Zulieferbedingungen ein. Beispielsweise ist es aufgrund topographischer Besonderheiten nicht möglich Japan per Pipeline mit Erdgas zu versorgen. Ein Verfahren, das alternativ zur Verfügung steht, ist die Verflüssigung. Dabei wird Erdgas durch Druck und Kühlung in Verflüssigungsanlagen zu LNG transformiert. Danach wird es in dafür konzipierte LNG-Tanker verladen und über den Seeweg vom Export- in den Importstaat verfrachtet. Dort wird es wieder in den 464
China Chemical Reporter (2008): China Launches 2nd West-East Gas Pipeline Project; in: China Chemical Reporter; 16.03.2008; S. 12. 465 China Chemical Reporter (2008): China Speeds up Oil & Gas Pipeline Network Construction; in: China Chemical Reporter; 26.01.2008; S. 5.
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4 Die Energiepolitik der VR China
gasförmigen Zustand zurückgeführt und per Pipeline an den Endkunden geliefert (Abb. 43).466 Abbildung 43: Globale Handelsrouten - Erdgas
Quelle: BP (2008): Statistical Review of World Energy; in: BP Online; http://www.deutschebp.de/liveassets/bp_internet/germany/STAGING/home_assets/assets/deutsche_b p/broschueren/statistical_review_of_world_energy_full_review_2008.pdf; Zugriff: 20.07.2008.
Da die Investitionen für eine komplette LNG-Anlage (Verflüssigung, Verdampfung sowie LNG-Tanker) sehr hoch sind467, ist der Transport durch Pipelines bis ca. 4.000 km onshore und ca. 800 km offshore günstiger. Allerdings gibt es Staa466
Erdgas verflüssigt sich bei minus 162°C und reduziert das Volumen während des Prozesses auf 1/600. Nach dem Verladen in LNG-Tanker wird es durch Selbstkühlung auf Temperatur gehalten. Aber selbst wenn der Druck konstant bleibt kommt es zum so genannten „Boil off“, bei dem kleine Mengen des Gases verdampfen. Dieses Gas wird zusätzlich dem Schiffsantrieb zugeführt. Verband der Schweizerischen Gasindustrie (2005): Basis-Informationen; in: VSG Online; http://www.erdgas.ch/fileadmin/authors/broschueren/basisinfo/bas1_05_d.pdf; Zugriff: 20.07.2008. 467 Die Kosten belaufen sich in etwa auf: 1,5 – 2 Milliarden US-Dollar für eine 8,2 Millionen Tonnen LNG-Verflüssigungsanlage, 155 Millionen US-Dollar pro 138.000 m3 Schiff und zwischen 100 Millionen und 2 Milliarden US-Dollar für eine Verdampfungsanlage. Für eine Komplettanlage mit drei Schiffen sind dies zwischen 2,065 Milliarden und 4.465 Milliarden US-Dollar. Dazu kommen noch die Pipelines für die Zulieferung zur Verflüssigungs- bzw. von der Verdampfungsanlage zum Endkunden. EIA (2003): The Global Liquefied Natural Gas Market: Status and Outlook; in: EIA Online; http://www.eia.doe.gov/oiaf/analysispaper/global/lngindustry.html; Zugriff: 20.07.5008.
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ten, bei denen die Kosten aufgrund der geographischen Lage hingenommen werden. Wie in Abbildung 19 ersichtlich ist, werden die USA und Europa hauptsächlich per Pipeline versorgt, während die asiatischen Staaten fast ausschließlich Erdgas in Form von LNG beziehen. Die USA werden eine Steigerung der Importkapazität in Zukunft voraussichtlich nur über LNG erreichen, der Hauptschwerpunkt in der EU bleibt wahrscheinlich bei Pipelines. Die Regierung der VR China versucht, beide Möglichkeiten zu nutzen. Während jedoch der erste LNG-Verdampfungsterminal fertig gestellt ist, ist eine Pipelinestruktur, mit der das Gas von den Produzentenstaaten zu den Verbraucherzentren geleitet werden soll, noch nicht aufgebaut. Dies liegt nicht zuletzt an den geographischen Gegebenheiten im Grenzverlauf Chinas. Durch den Himalaya und dessen Ausläufer im Süden gibt es kaum Möglichkeiten, eine Erdgaspipeline zu bauen, die nach wirtschaftlichen Kriterien zu betreiben ist. Zwar wird wie oben dargestellt eine Erdölpipeline aus Birma errichtet, eine parallele Gasleitung ist bisher jedoch nicht geplant. So bleiben – zumindest vorerst – nur Zentralasien und Russland, von wo aus Erdgaspipelines in die VR China gelegt werden können.468 Die Erdgaspipeline Turkmenistan-Usbekistan-Kasachstan-China Die Erdgas-Diplomatie Chinas in Richtung der zentralasiatischen Staaten begann 1992. Zu dieser Zeit erwogen die turkmenische und die chinesische Regierung, eine Pipeline von Turkmenistan durch Afghanistan nach China zu bauen. Aufgrund der Geographie – die Pipeline hätte durch den Himalaya gebaut werden müssen – war dieser Plan jedoch unrealistisch.469 Im April des Jahres 1994 reiste der damalige Premier Li Peng durch die zentralasiatischen Staaten und traf mit dem damaligen turkmenischen Präsidenten Saparmurat Nyýazow eine Vereinbarung über den Bau einer Erdgaspipeline von Turkmenistan nach China. Zwei Jahre später war eine entsprechende Machbarkeitsstudie zwischen CNPC, Exxon und Mitsubishi fertig gestellt. Demnach wurde die 7.000 km lange Pipeline mit 12 Milliarden US-Dollar veranschlagt (Abb. 44). Die Pipeline soll hauptsächlich mit Erdgas aus dem Amu Darya Bassin im turkmenischen Bagtyyarlyk gefüllt werden.470 468 Andrews-Speed, Philip; Liao, Xuanli; Dannreuther, Roland (2002): The Strategic Implications of China’s Energy Needs; Adelphi Paper 346; Oxford University Press; Oxford; S. 46. 469 Oil & Gas Journal (1992): Former Soviet Republics Continue to Press Efforts to Export Natural Gas Beyond the C.I.S.; in: The Oil & Gas Journal; 7. Dezember 1992; ProQuest; S. 4. 470 Die Strecke unterteilt sich in Turkmenistan 188 km, Usbekistan 530 km, Kasachstan 1.300 km und China 4.500 km. Die Pipeline in China entspricht der zweiten West-Ost-Pipeline, die seit Februar 2008 gebaut wird. Oil & Gas Journal (2007): Work starts on Turkmenistan-China gas line; in: The Oil & Gas Journal Daily Update; http://ogjo-media.com/lrd81_AAe9YAAApG0B; Zugriff:
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4 Die Energiepolitik der VR China
Abbildung 44: Erdgaspipelines: Kasachstan-China und Turkmenistan-China
Quelle: Yenikeyeff, Shamil Midkhatovich (2008): Kazakhstan’s Gas: Export Markets and Export Routes; Oxford Institute for Energy Studies; Oxford; S. 66.
Nach zehn Jahren471 wurde im April 2006 von Nyýazow und dem chinesischen Präsidenten Hu Jintao eine Rahmenvereinbarung über eine Erdgas- und ErdölKooperation unterzeichnet. Laut Vereinbarung sollten ab dem Jahre 2009 über einen Zeitraum von 30 Jahren 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr durch die Pipeline in die Volksrepublik gepumpt werden, aus Usbekistan sollten noch einmal 10 Milliarden Kubikmeter pro Jahr dazukommen. Transitstaaten sollten Usbekistan und Kasachstan sein. Jedoch kam es zu Streitigkeiten zwischen Usbekistan und Turkmenistan über die Aufteilung des Kokdumalak Erdgasfeldes, das sich beide Staaten teilen. Dadurch wurden die Verhandlungen über den Bau der Turkmenistan-China Pipeline wiederum verzögert.472
08.01.2008; Andrews-Speed, Philip; Liao, Xuanli; Dannreuther, Roland (2002): The Strategic Implications of China’s Energy Needs; Adelphi Paper 346; Oxford University Press; Oxford; S. 58. 471 In der Zwischenzeit wurde die Verhandlung über die Pipeline von der chinesischen Seite auf Eis gelegt. Das Erdgas wird vorwiegend in Chinas Osten benötigt. Dorthin war aber noch keine Pipeline fertig gestellt. Insofern ergab sich für die chinesische Regierung ein Transportproblem für das turkmenische Gas von Xinjiang nach Shanghai. Im Herbst des Jahres 2002 wurden die Verhandlungen auf turkmenisches Drängen kurzzeitig wieder aufgenommen, verliefen dann aber wieder im Sande. Oil & Gas Journal (2002): Turkmenistan faces challenges in export transportation options; in: The Oil & Gas Journal; Vol. 100; Issue 44; ProQuest; S. 47; Dannreuther, Roland (2003): Asian security and China’s energy needs; International Relations of the Asia-Pacific; Vol. 3; S. 197-219; Oxford University Press; Oxford; S. 210. 472 Blagov, Sergei (2008): Uzbekistan, Turkmenistan eye stronger Partnership based on Energy Needs; in: Eurasia Daily Monitor; Vol. 5; Issue 51; E-Mail-Newsletter; The Jamestown Foundation.
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Das Verhältnis zwischen Turkmenistan und Usbekistan verbesserte sich erst nach dem Tod von Saparmurat Nyýazow und der Amtsübernahme seines ehemaligen Zahnarztes und Vize-Premierministers Gurbanguli Berdimuchamedow Ende des Jahres 2007. Nach einer Sitzung der SCO Ende Oktober 2007 trafen sich der usbekische Präsident Islam Karimow und Berdimuchamedow in Ashgabat, um das gemeinsame Interesse am Bau der Turkmenistan-China-Pipeline zu bekunden. Bei einem Staatsbesuch Mitte März 2008 konnten die Verhandlungen über den Bau der Pipeline also wieder aufgenommen werden.473 Noch Anfang Juni 2007 äußerte der US-amerikanische Principal Deputy Assistant Secretary of State, Steven Mann, das Pipelineprojekt TurkmenistanChina sei, ebenso wie das Turkmenistan-Afghanistan-Pakistan-Projekt, unrealistisch. Er wollte den turkmenischen Präsidenten Berdimuchamedow überzeugen, die Transkaspi-Pipeline zwischen Turkmenistan und Aserbaidschan, bei der der Verhandlungsprozess seit zwölf Jahren stockte, voranzutreiben, um das Gas in die Baku-Tblissi-Erzurum-Pipeline einzuleiten und in Richtung Europa zu transportieren.474 Anfang September 2007 startete der Bau der Turkmenistan-China-Pipeline in Turkmenistan.475 Am 08. Juli 2008 wurde schließlich mit dem Bau des usbekischen Abschnitts der Pipeline begonnen, nachdem CNPC und Usbekneftegas im April 2008 zu diesem Zweck ein gemeinsames Konsortium, die Asia Trans Gas, gegründet hatten.476 Als letztes Teilstück wurde am 09. Juli 2008 der Bau der Transitpipeline in Kasachstan begonnen.477 Sollte die Pipeline plangemäß bis Ende des Jahres 2009 fertig gestellt sein, so wäre dies – nach der Atasu-Alashankou-Erdölpipeline – der nächste große Erfolg für die Regierung in Beijing in der Konkurrenz um die Erdöl- und Erdgasreserven in der Kaspischen Region (Kap. 5). Der Preis, den CNPC für das Gas bezahlen muss, steht jedoch noch nicht fest. Allerdings scheint er nahe den Weltmarktpreisen zu sein, da Berdimuchamedow den Rohstoff ansonsten wahrscheinlich in eine Richtung Westen verkauft hätte. Nichtsdestotrotz ist die Pipe473
Daly, John C.K. (2007): Beijing Raises Stakes in Turkmen Gas Game; in: Eurasia Daily Monitor; Vol. 4; Issue 203; E-Mail-Newsletter; The Jamestown Foundation; Blagov, Sergei (2008): Uzbekistan, Turkmenistan eye stronger Partnership based on Energy Needs; in: Eurasia Daily Monitor; Vol. 5; Issue 51; E-Mail-Newsletter; The Jamestown Foundation. 474 Socor, Vladimir (2007): Caspian Energy Projects: “Time to Advance from Talking to Acting”; in: Eurasia Daily Monitor; Vol. 4; Issue 109; E-Mail-Newsletter; The Jamestown Foundation. 475 Oil & Gas Journal (2007): Work starts on Turkmenistan-China gas line; in: The Oil & Gas Journal Daily Update; http://ogjo-media.com/lrd81_AAe9YAAApG0B; Zugriff: 08.01.2008. 476 Oil & Gas Journal (2008): Uzbekneftegaz, CNPC form Asia Trans Gas joint venture; in: The Oil & Gas Journal Daily Update; http://ogjo-media.com/portal/wts/ccmczia7ERaqjgyLqy3TaS2yu7e; Zugriff: 19.04.2008. 477 Socor, Vladimir (2008): Trans-Asia Gas Pipeline Project Launched in Kazakhstan; in: Eurasia Daily Monitor; Vol. 5; Issue 149; E-Mail-Newsletter; The Jamestown Foundation.
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line auch für Turkmenistan von Vorteil, denn mit der Eröffnung der Pipeline nach China kann Ashgabat seine Erdgasexporte weiter diversifizieren und die Abhängigkeit von Russland reduzieren. In diesen Zusammenhang passt auch eine Meldung der Moscow Times vom 12. August 2008. Der Meldung zufolge hatte sich der turkmenische Präsident Berdimuchamedow nach der Eröffnungsfeier zur Olympiade 2008 in Beijing mit dem Vorstandsvorsitzenden von CNPC, Jian Jemin, getroffen. Der turkmenische Präsident soll dort angeboten haben die jährliche Kapazität der Pipeline nach ihrer Fertigstellung sukzessiv von zehn Milliarden Kubikmeter auf 40 Milliarden Kubikmeter zu erhöhen.478 Neben der Lieferung von Erdgas per Pipeline aus Zentralasien kann der Rohstoff theoretisch aus Russland, genauer: aus West- und Ostsibirien sowie aus Sachalin 1 durch Rohrleitungen importiert werden. Rein theoretisch ist dies bisher geblieben, da die Verhandlungen über den Bau der Pipelines immer wieder unterbrochen wurden und nicht geklärt ist, ob eine Pipeline aus Westsibirien ökonomisch sinnvoll ist. Vielmehr wird das westsibirische Erdgas gerne von Gazprom herangezogen, um in Energieverhandlungen hinsichtlich der Erdgasexporte in Richtung EU Stärke zu zeigen. Demzufolge könne bei einer Uneinigkeit mit der EU das Erdgas aus Yamal und Shtokmann – den westsibirischen Reserven – auch in die VR China exportiert werden.479 Um die dafür benötigte Infrastruktur aufzubauen, würden jedoch einige Jahre vergehen; Jahre, in denen Europa Hauptimporteur für russisches Erdgas bleiben wird. Nach dem bisherigen Stand der Pipelinediplomatie zwischen China und Russland ist ein rascher Bau der Erdgaspipelines von Russland in die Volksrepublik in den nächsten Jahren nicht zu erwarten.
Die Erdgaspipelines Russland-Nordchina-Südkorea-Japan Von Russland nach China sind drei Erdgaspipelines in Planung: Die Westsibirien-China-Pipeline, die Ostsibirien-China-Pipeline und die Sachalin-ChinaPipeline (Abb. 42 u. Abb. 45). Der Politikprozess um die Pipelines ist aufgrund verschiedener Aspekte, ähnlich wie bei den Erdölpipelines, äußerst komplex. So gab es in Russland beispielsweise Verteilungskämpfe zwischen Staat und Oligarchen sowie Staat und ausländischen Konzernen, um die Besitzverhältnisse bei den strategisch relevanten Energieträgern Erdgas und Erdöl. Diese Verteilungs478 Moscow Times: Turkmenistan Offers China More Gas; in: Moscow Times Online; http://www.moscowtimes.ru/article/1009/42/369701.htm; Zugriff: 12.08.2008. 479 Abdolvand, Behrooz; Adolf, Matthias; Sadeg-zadeh, Kaweh (2006): Gas aus Russland: Garant der europäischen Energiesicherheit?; in: Blätter für deutsche und internationale Politik; 05/2006; S. 469482; Berlin; S. 478.
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kämpfe, die unter anderem in der Zerschlagung des Energiekonzerns Yukos endeten, führten zu Verzögerungen in der Planung und Umsetzung der Pipelines, die China mit Russland verbinden sollten. Der Politikprozess um die Pipelines wird im Folgenden chronologisch umrissen. Bereits Anfang der 1990er Jahre hatte die chinesische Regierung damit begonnen mit Moskau und Tokio über Erdöl- und Erdgasimporte aus Ostsibirien nach China und dann weiter nach Japan zu verhandeln.480 Ein Interesse an der Umsetzung zeigte einerseits der Gazprom-Konzern, der in Südkorea, China und Japan neue Absatzmärkte für das Gas aus Sachalin und der Republik Sacha (früher Jakutien) erkannte.481 Das staatliche russische Erdöl- und ErdgasInfrastrukturunternehmen Rosneftegazstroy andererseits war an der Entwicklung der Gaspipeline von Sachalin nach Südkorea und einer weiteren aus dem westsibirischen Tyumen nach China (Westsibirien-China-Pipeline) interessiert.482 Als ausländische Investoren wurden BP Exploration Operating Co. Ltd. und Statoil, vorwiegend mit Blick auf die ostsibirischen Reserven aufmerksam (Abb. 45). Im Juli 1992 schlug der spätere Vizepräsident von CNPC, Prof. Zhang Yongyi, Russland und Japan vor, die Öl- und Gasfelder Ostsibiriens zu explorieren und die Rohstoffe von dort nach China, Korea und Japan zu exportieren (Ostsibirien-China-Pipeline mit konzipierter Verlängerung, bzw. LNG-Terminals für den Weitertransport nach Südkorea und Japan). Hauptziel des Interesses von CNPC waren die Erdöl- und Erdgasvorkommen in Markovskoye und Yaraktinskoye in Irkutsk (vgl. Abb. 43). Diese Gespräche endeten im November 1994 vorläufig mit einem Memorandum of Understanding zwischen CNPC und dem russischen Ministry of Fuel and Energy, in dem unter anderem der Bau der Ostsibirien-China-Pipeline geplant wurde. Die Pipeline sollte ein Fassungsvermögen von 20 bis 30 Milliarden Kubikmeter pro Jahr haben und das Erdgasfeld Kovik480
Die Bedingungen für die Exploration und Produktion in Russlands fernem Osten sind äußerst hart. Die Temperatur schwankt zwischen -30 und +30 C°. Somit müssen die Pipelines sehr gut isoliert sein, um den Erdgastransport über die weiten Entfernungen zu garantieren. Die saisonalen Wechsel verursachen weitere Probleme bei der Konstruktionsarbeit. So weicht der Permafrostboden im Sommer zum Teil auf und verwandelt sich in einen für Arbeiter und Maschinen fast undurchdringlichen Morast. Auch die offshore-Exploration und Produktion ist durch die harten Wetterbedingungen erschwert. Die See ist zwischen vier und sechs Monate im Jahr bis zu einer Tiefe von zwei Metern vereist. Das erschwert die Aufbauarbeit und verursacht einen Schereneffekt, in dem das Eis permanent die installierten Teile angreift. Dazu kommen häufige Stürme und Treibeis, die die Exploration behindern und nur für höchstens sechs Monate im Jahr zulassen. Petroleum Economist (2000): Analysis – World Gas – Russian Far East – Building gas exports; in: Petroleum Economist; 1. November 2000; S. 10. 481 Gorst, Isabel (1993): Financing World Energy – Pipeline plans Proliferate; in: Petroleum Economist; 1.06.1993; S. 6. 482 Petroleum Economist (1996): Seeking Western Involvement for Rebuilding and new Developments: in: Petroleum Economist; 14.06.1996; S. 10.
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tinskoye in Irkutsk, über eine Route durch die Mongolei, mit den östlichen Regionen Chinas – Beijing und Tianjin – verbinden (Abb. 45).483 Abbildung 45: Russische Erdgasfelder und konzipierte Pipelines
1. YURUBCHENO-TOKHOMSKOYE; RESERVES: 700 Milliarden m3; MAX. PRODUCTION: 10.3 Milliarden m3 2. SOBINSKO-PAIGINSKOYE; RESERVES: 170 Milliarden m3; MAX. PRODUCTION: 7.3 Milliarden m3 3. KOVYKTINSKOYE; RESERVES: 2,000 Milliarden m3; MAX. PRODUCTION: 31.2 Milliarden m3 4. CHAYANDINSKOYE; RESERVES: 1,240 Milliarden m3; MAX. PRODUCTION: 31 Milliarden m3 5. SAKHALIN I–II; RESERVES: 900 Milliarden m3; MAX. PRODUCTION: 30 Milliarden m3 6. SAKHALIN OFFSHORE PROSPECTS Quelle: Gazprom: Production; in: Gazprom Online; http://eng.gazpromquestions.ru/index.php?id=7; Zugriff: 20.08.2008.
Im April 1996 reiste der damalige russische Präsident Boris Jelzin nach China und unterzeichnete mit dem damaligen chinesischen Präsidenten Jiang Zemin ein Übereinkommen über eine bilaterale Kooperation und die Entwicklung der ostsibirischen Erdöl- und Erdgasförderung. Im Juli 2006 schloss sich die Japan Petroleum Development Corporation dem Bündnis an.484 Nachdem die Hoffnung Chinas auch auf die westsibirischen Erdgasvorkommen in Vostochno-Urengoi Zugriff zu bekommen (Abb. 45) von Gazprom zerstört wurden – diese Reserven hatte Gazprom für den Export nach Europa vorgesehen – kam es Ende des Jahres 1996 zur Einrichtung eines Sino-Russian 483
Paik, Keun-Wook; Choi, Jae-Yong (1997): Pipeline gas trade between Asian-Russia, Northeast Asia gets fresh look; in: The Oil & Gas Journal; Volume 95; Issue 33; ProQuest; S. 41. 484 Petroleum Economist (1996): Gas in the CIS 1996 – Gas Markets – East Asia – A new Market for Russian Gas; in: Petroleum Economist 30. September 1996; S. 60.
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Oil and Gas Cooperation Committee, das den Pipelinebau Ostsibirien-China vorantreiben sollte. In diesem Zusammenhang wurde eine Vereinbarung unterzeichnet, nach der ab 2002 Strom, ab 2003 Erdgas und ab 2005 Erdöl aus Irkutsk nach Tianjin exportiert werden sollte. In einer zweiten Phase sollte dann Erdgas in die ostchinesische Hafenstadt Rizhao transportiert, verflüssigt und als LNG nach Japan verschifft werden.485 Die russische Sidanco wurde im April 1997 damit beauftragt, das Konsortium zum Bau der Pipeline zusammenzustellen und mit der mongolischen Regierung in Ulan Bator über die Transitmodalitäten zu verhandeln. Bei diesen Verhandlungen wurde eine 3.364 km lange Route festgelegt (1.027 km durch Russland, 1.017 km Mongolei, 1.320 km China) und mit Kosten in Höhe von sieben Milliarden US-Dollar veranschlagt.486 Für die Mongolei bedeutete der Bau der Pipeline Einnahmen über Transitgebühren von 20 bis 60 Millionen US-Dollar pro Jahr und die Möglichkeit, Erdgas für die eigene Stromproduktion zu beziehen.487 Im selben Jahr gab es einen Umschwung in der Unternehmenspolitik Gazproms. Der damalige Vorsitzende des Konzerns erklärte, er „saw a prime market for Gazprom’s growth in Asia, where the gas market is absolutely empty or devoid of competition. […] Some of the production from the $40 billion Yamal project could be diverted to Asia”.488 Nach Vorstellungen von Gazprom sollten bis zum Jahre 2000 verschiedene Erdgasproduktionsstätten errichtet werden und danach durch Pipelines mit China, Nord- und Südkorea sowie Japan verbunden werden. Damit kam die Westsibirien-China-Pipeline als Konkurrenzmodell zur Ostsibirien-China-Pipeline, wieder auf die Agenda. Weitere geplante chinesisch-russische Kooperationsprojekte waren die Lieferung von Ausrüstung für den Drei-Schluchten-Staudamm, dem Export von Elektrizität aus Ostrußland nach China und der Bau eines Atomkraftwerks in der Provinz Jiangsu.489 485
Paik, Keun-Wook; Choi, Jae-Yong (1997): Pipeline gas trade between Asian-Russia, Northeast Asia gets fresh look; in: The Oil & Gas Journal; Volume 95; Issue 33; ProQuest; S. 41; Petroleum Economist (1996): Gas in the CIS 1996 – Gas Markets – East Asia – A new Market for Russian Gas; in: Petroleum Economist 30. September 1996; S. 60. 486 Oil & Gas Journal (1997): Russia’s Sidanco planning gas pipeline in Eastern Asia; in: The Oil & Gas Journal; Volume 95; Issue 15; ProQuest; S. 33. 487 Petroleum Economist (2001): Analysis – Frontier province – Mongolia – Appraisal boosts oil prospects; in: Petroleum Economist 14. Januar 2002; S. 28. 488 Yamal ist eine Halbinsel in Westsibirien, auf der große Erdgasreserven liegen. Diese wurden eigentlich für den Export in Richtung EU erschlossen. Paik, Keun-Wook; Choi, Jae-Yong (1997): Pipeline gas trade between Asian-Russia, Northeast Asia gets fresh look; in: The Oil & Gas Journal; Volume 95; Issue 33; ProQuest; S. 42. 489 Paik, Keun-Wook; Choi, Jae-Yong (1997): Pipeline gas trade between Asian-Russia, Northeast Asia gets fresh look; in: The Oil & Gas Journal; Volume 95; Issue 33; ProQuest; S. 43.
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Noch während der Festlegung der Route und den Verhandlungen mit der Mongolei gab es 1997 den ersten Rückschlag für die Westsibirien-ChinaPipeline. Einer der Hauptinvestoren, die East Asia Gas Co., konnte ihren finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen, nachdem ihre Muttergesellschaft, die Hanbo Group, Bankrott gegangen war. Kurzfristig hätte ein westlicher oder japanischer Geldgeber einspringen können; dies wäre jedoch mit der Übergabe des Hauptanteils des Konsortiums verbunden gewesen, wogegen sich sowohl Russland als auch China sträubten.490 Durch diese erste Verzögerung wurden die veranschlagten Kosten von sieben auf zehn Milliarden US-Dollar heraufgesetzt und der Start der Lieferungen um zwei Jahre auf 2005 verschoben. Dem Problem der Finanzierung wurde bis November 1997 so begegnet, dass über ein Dutzend kleinerer japanischer Firmen in das Projekt einbezogen wurden.491 Das Konsortium zur Entwicklung des Erdgasfeldes Koviktinskoye in Ostsibirien war inzwischen auf ein globales Joint-Venture angewachsen. So partizipierten japanische und südkoreanische Unternehmen ebenso wie Total und Marathon aus den USA und Europa. Besonders erfolgreich war jedoch der BPKonzern, der sich im Laufe des Jahres 1997 nicht nur mit zehn Prozent bei Sidanco einkaufte, sondern gleichzeitig 172 Millionen US-Dollar für 45 Prozent der 60 Prozent bezahlte, die Sidanco an Rusiya Petroleum gehalten hatte. Rusiya Petroleum war mit Lizenzen ausgestattet, um große Erdöl- und Erdgasfelder in Irkutsk in Produktion zu bringen – unter anderem das Koviktinskoye-Feld mit einem geschätzten Potential von 25 Milliarden Kubikmetern Erdgas. Damit erlangte BP eine gute Position, als Hauptakteur bei der Versorgung Chinas, Japans und Südkoreas mit Erdgas aus Irkutsk aufzutreten.492 Im März des Jahres 2000 versuchte der halbstaatliche russische GazpromKonzern seine Position im Ostsibirien-China-Pipelinekonsortium zu verbessern, in dem sich Rusiya Petroleum inzwischen zum Konsortialführer entwickelt hatte. Der damalige russische Premierminister Ilya Klebanov sagte in diesem Zusammenhang, „Gazprom will export gas to China. […] The gas pipeline to China and South Korea will be a joint project with Gazprom.“ Aber auch Rosneft zeigte
490
Paik, Keun-Wook; Choi, Jae-Yong (1997): Pipeline gas trade between Asian-Russia, Northeast Asia gets fresh look; in: The Oil & Gas Journal; Volume 95; Issue 33; ProQuest; S. 43. 491 Petroeum Economist (1997): Irkutsk Gas Project to cost $10bn; in: Petroleum Economist; 17. November 1997; S. 51. 492 BP profitierte in diesem Falle von Explorationen, die der Konzern Anfang der 1990er Jahre in Kovyktinskoye getätigt hatte. Von der Entwicklung der Felder sah BP damals aufgrund des niedrigen Erdgaspreises und der enormen Kosten zum Aufbau der Infrastruktur in der entlegenen Region ab. Petroeum Economist (1997): FSU – Marriage with the majors; in: Petroleum Economist; 18. Dezember 1997; S. 43.
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jetzt Interesse an dem Projekt und kündigte an, daran teilzunehmen.493 Passend dazu unterzeichneten Russland und China im Juli 2000 eine Vereinbarung über die Erstellung von Machbarkeitsstudien für Erdgas- und Erdölpipelines von Sibirien nach China.494 Während dieser Konkurrenzkämpfe um das Vorrecht an den ostsibirischen Erdöl- und Erdgasreserven kam es im März 2001 zu einem Treffen zwischen Wladimir Putin und dem damaligen südkoreanischen Präsidenten Kim Dae-jung. Bei diesem Besuch wurde Südkorea in das „Irkutsk-Projekt“ integriert und es wurde vereinbart, dass eine Machbarkeitsstudie für die Ostsibirien-ChinaPipeline, die zu diesem Zeitpunkt noch nach Südkorea verlängert werden sollte, bis Ende des Jahres 2002 fertig gestellt sein sollte.495 Im Juni 2002 billigte die russische Regierung die „Strategy of the Economic Development of Siberia”. Darin wird der Bedarf am Aufbau einer Transportinfrastruktur ausdrücklich betont: „The construction of the ‘West-East’ trunk oil and gas pipelines for export will contribute to the development of the fuel and energy complex in the East Siberian region and in the Far East and make it possible to execute the crucial strategic tasks connected with Russia’s emergence on the promising market of the Asian and Pacific countries.”496 Nach diesem klaren Auftrag der Regierung schlossen sich schließlich im Dezember 2003 Rosneft, Gazprom und Surgutneftegaz zu einem Konsortium zusammen, um gemeinsam bereits entwickelte Reserven in Ostsibirien aufzukaufen. Laut Konzernsprechern sollten ein einheitliches Produktionssystem und eine Exportpipeline für den asiatischen Markt aufgebaut werden. Durch diese Machtdemonstration der drei Konzerne kamen jedoch Zweifel an den Intentionen Moskaus hinsichtlich der vorher abgeschlossenen Verträge mit China und Japan auf. Vor allem wurde die Gefahr gesehen, dass die Absichtserklärung zwischen Rusiya Petroleum, Kogas und CNPC über die Lieferung von 600 Milliarden Kubikmeter und 200 Milliarden Kubikmeter Erdgas an China und Südkorea ab 2008 über 30 Jahre aufgrund von Produktionsengpässen nicht erfüllt werden könne. Die veranschlagten Baukosten der Ostsibirien-China-Pipeline hatten sich 493
Hart’s Asian Petroleum News (2000): Gazprom joins Eastern Siberia-China Project; in: Hart’s Asian Petroleum News; Vol. 4; Issue 10; S. 24; Hart’s Asian Petroleum News (2000): Rosneft Shows Interest in east Siberia-China Pipelines; in: Hart’s Asian Petroleum News; Vol. 4; Issue 17; S. 10. 494 Garnett, Sherman (2001): Challenges of the Sino-Russian Strategic Partnership; in: The Washington Quarterly; Autumn 2001; S. 41-54; Massachusetts Institute of Technology; S. 46. 495 Petroleum Economist (2001): A 5,015-km, 30bn cm/y gas pipeline from the 1.2 trillion cm Kovyktinskoye field; in: Petroleum Economist; 1. April 2001; S. 57. 496 Dobretsov, Nikolai; Kontorovich, Alexei; Molodin, Vyacheslav; Borisenko, Alexander; Korzhubaev, Adrei (2007): The “Altai” Trunk Gas Pipeline and Prospects of Russia’s Outlet to the Fuel-andEnergy Market of the Asia-Pacific Region and the Development of Transit Regions; Far Eastern Affairs; Nr. 2; Vol.35; S. 73-85; East View Information Service; Minneapolis; S. 73.
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inzwischen bereits auf 17 Milliarden US-Dollar erhöht und es wurde davon ausgegangen, dass es mindestens zehn Jahre dauern werde, um sie zu verwirklichen.497 Im März 2006 kam es erneut zu bilateralen Gesprächen zwischen Russland und China in Beijing. Diese endeten mit dem Vorhaben zwei Erdgaspipelines mit einer Gesamtkapazität von 80 Milliarden Kubikmeter pro Jahr nach China zu bauen. Eine Pipeline sollte Westsibirien durch Kasachstan mit Xinjiang verbinden (Westsibirien-China-Pipeline) und im Jahr 2011 in Betrieb genommen werden. Eine zweite Pipeline soll Erdgas aus Sakhalin1 in das ostsibirische Koviktinskoye pumpen. Die zweite Pipeline sollte dann zur Auslastung der geplanten Ostsibirien-China-Pipeline genutzt werden. Nach einer Untersuchung der Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) sind die von Gazprom geleiteten Projekte allerdings noch nicht realisierbar. Bei Fu, Senior-Analyst bei S&P in Hong Kong erklärte in diesem Zusammenhang im Jahre 2006: „Despite the promising signals, Sino-Russian talks are still in the very early stages and many roadblocks will need to be overcome before the pipelines materialize. […] A feasibility study of all investments has not yet been started.”498 Die Machbarkeitsstudie für die Ostsibirien-China-Pipeline mit einer Verlängerung nach Südkorea zwischen Russiya Petroleum Co. Ltd., CNPC und der südkoreanischen Kogas Co. war jedoch bereits im Dezember 2003 fertig gestellt worden. Die Pipeline soll demnach eine Länge von 4.320 km haben. Davon durchlaufen 1.929 km Russland und 2.062 km China von Manzhouli über Shenyang nach Beijing (Abb. 45). Ein Abzweig soll Shenyang mit der chinesischen Hafenstadt Dalian verbinden. Von dort soll eine 533 km lange Offshore-Pipeline von China nach Pyongtaek in Südkorea gebaut werden. Eine Verlängerung über einen LNG-Hafen nach Japan wurde in dieser Machbarkeitsstudie nicht mehr vorgesehen.499 Damit würde mehr Erdgas für den steigenden Bedarf in China bereitgestellt werden. Laut CNPC wurde mit Rosneft im Oktober des Jahres 2004 ein Übereinkommen zur strategischen Zusammenarbeit und im Juli 2005 ein langfristiges Kooperationsabkommen unterzeichnet. Im März 2006 wurde ein Übereinkommen getroffen, in dem der Bau der Westsibirien-China-Pipeline bestätigt wurde.500
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Gavin, James (2004): Eastern approaches; in: Petroleum Economist; 1. February 2004; S. 31. Petroleum Economist (2006): China unfulfilled; in: Petroleum Economist; 1. Mai 2006; S. 32. 499 True, Warren R.; Sanderson, William J. (2004): Construction plans surge on prospects for gas use; in: The Oil & Gas Jounal; Vol. 102; Issue 5; ProQuest; S. 58. 500 CNPC: CNPC in Russia; in: CNPC Online; http://www.cnpc.com.cn/eng/cnpcworldwide/euro-a sia/Russia/; Zugriff: 01.08.2008. 498
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Der Stand im Frühjahr 2009 ist jedoch nach wie vor unverändert. Weder die Pipeline Ostsibirien-China, die Pipeline Sachalin- China noch die Pipeline Westsibirien-China sind im Bau. Vielmehr wurde die Realisierung aufgehalten von den innerrussischen Streitigkeiten um die Verteilung der ostsibirischen Erdgasreserven zwischen den Konzernen und dem zunehmenden Herausdrängen ausländischer Konzerne aus führenden Positionen in Konsortien. So durfte der CEO von TNK-BP Robert Dudley von Mitte August 2008 laut eines Gerichtsurteils für mehrere Monate nicht mehr in Russland tätig sein. Mit dem Gerichtsurteil sollte nicht zuletzt die Position Gazproms auf dem russischen Markt gestärkt werden.501 Die internen russischen Prozesse sind in den letzten fünf Jahren zunehmend zu verzeichnen. Vor allem nachdem die dortigen Konzerne nicht mehr auf Investitionen aus dem Ausland angewiesen sind, versuchen Wirtschaft und Politik, die Kontrolle über den heimischen Energiemarkt wieder zu erlangen.502 Doch diese Prozesse behindern den Aufbau der Pipelineinfrastruktur von Russland nach China. Eine Veränderung ist hier nicht abzusehen. So wird wahrscheinlich die Turkmenistan-China-Erdgaspipeline nach ihrer voraussichtlichen Fertigstellung im Herbst 2009 vorerst die einzige Verbindung für den Transport von Erdgas auf dem Landweg nach China sein. Aus chinesischer Sicht werden die vielen Rückschläge mit Russland beim Bau sowohl von Erdöl- als auch Erdgaspipelines weitere Investitionen in Richtung Kaspische Region forcieren. Auch dort kommt es nach wie vor zu Verzögerungen bei den Verhandlungen, allerdings werden bis Ende 2009 eine Erdgaspipeline von Turkmenistan nach China und eine Erdölpipeline von Westkasachstan in die Volksrepublik fertig gestellt sein. Eine Alternative dazu bietet nur der Seetransport über Importe von LNG.
Die chinesischen LNG-Importe Die Entwicklung von Projekten zum Import von LNG begann in der VR China im Jahre 1995 mit einer Sondierung verschiedener Standorte für den Bau von LNG-Terminals von CNOOC unter Leitung der State Development and Planning Commission (SDPC). Die Motivation war, den Gastransport in die nördlichen und westlichen Provinzen zu diversifizieren.503 501
Financial Times Deutschland: Gericht sperrt TNK-BP-Chef aus; in: FTD Online; http://www.ftd.de/unternehmen/industrie/:Arbeitsverbot_Gericht_sperrt_TNK_BP_Chef_aus/399808 .html; Zugriff: 15.08.2008. 502 Abdolvand, Behrooz; Adolf, Matthias; Sadegh-Zadeh, Kaweh (2006): Gas-Gigant Russland; Blätter für deutsche und internationale Politik; April 2006; Berlin; S. 469-482. 503 Miyamoto, Akira; Ishiguro, Chikako (2006): Pricing and Demand for LNG in China; Oxford Institute for Energy Studies; Oxford; S. 5.
238
4 Die Energiepolitik der VR China
Ähnlich wie beim Erdöl entstand auch bei Erdgas eine stark hierarchische Entscheidungsstruktur (Abb. 46). Die einzelnen Projekte werden von den großen drei staatlichen Erdölkonzernen CNPC, CNOOC und Sinopec veranschlagt und mit den Regionalregierungen sowie Regionalkonzernen evaluiert. Der entsprechend ausgearbeitete Projektvorschlag wird daraufhin bei der National Development and Reform Commission (NDRC) eingereicht und dort geprüft. Die Kommission wiederum unterrichtet den Staatsrat über das Projekt, der dann – bei entsprechender Reife des Projektes – eine Bestätigung erteilt. Nachdem die Beschaffung des LNG geprüft wurde, kann auf Konzernebene mit einer Machbarkeitsstudie begonnen werden. Die Ergebnisse werden der NDRC zugetragen, die wiederum den Staatsrat unterrichtet. Wenn von dort grünes Licht gegeben wird, kann nach der Entscheidung der NDRC der Bau des Terminals beginnen.504 Abbildung 46: Entscheidungsstruktur bei Erdgasprojekten in der VR China
Quelle: Miyamoto, Akira; Ishiguro, Chikako (2006): Pricing and Demand for LNG in China; Oxford Institute for Energy Studies; Oxford; S. 6.
Diese Entscheidungsstruktur zu durchlaufen, dauert einige Zeit. Allein für den Bau der LNG-Anlage in Shenzhen wurden, nach Abschluss und positiver Bestätigung der Machbarkeitsstudie, fünf Jahre bis Mitte 2006 veranschlagt. Die bürokratischen Prozesse seit 1995 verschlangen seit der Evaluation des Standortes 504
Miyamoto, Akira; Ishiguro, Chikako (2006): Pricing and Demand for LNG in China; Oxford Institute for Energy Studies; Oxford; S. 6.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
239
noch einmal sechs Jahre. Die gesamte Laufzeit von der ersten Planung bis zur Fertigstellung betrug in Shenzhen also zwölf Jahre. Da es sich um das erste LNG-Projekt handelte, lässt sich die Planungszeit sicherlich verkürzen. Will China seine Erdgasnutzung über Importe über den Seeweg wie geplant steigern, ist dies dringend notwendig.505 Ende des Jahres 2005 gab die Regierung in Beijing das Ziel bekannt, dass bis zu zwölf LNG-Terminals an der Ostküste entstehen sollen. In der ersten Phase sollen diese eine Kapazität von je drei Millionen Tonnen umfassen, das bedeutet eine Gesamtkapazität von 36 Millionen Tonnen pro Jahr. In einer zweiten Phase soll die Kapazität auf je sechs Millionen Tonnen verdoppelt werden, was einer Gesamtkapazität von 72 Millionen Tonnen pro Jahr entspricht. Allerdings sind bis Mitte des Jahres 2008 erst zwei Terminals fertig gestellt, drei weitere sind im Bau, bzw. in der Erweiterungsphase und für fünf ist lediglich eine Machbarkeitsstudie abgeschlossen. (Tab. 10).506 Bei der bisherigen installierten Kapazität ist es noch ein langer Weg bis zu den veranschlagten 72 Millionen Tonnen pro Jahr. Bis zum Jahre 2010 können laut IEA in der Anlage in Shenzhen jährlich höchstens 18,6 Millionen Tonnen LNG verdampft werden. Die Technologie stammt von BP, die in einem Joint Venture an dem Terminal in der südöstlichen Provinz Guangdong beteiligt ist. Die dortige Anlage ging am 28. Juni 2006 in Betrieb. Bis zum Ende des Jahres 2008 soll die Erweiterung des Terminals fertig gestellt sein.507 Ein zweites Terminal ist inzwischen in Fujian gebaut worden. Es ging mit einer Kapazität von 3,5 Millionen Tonnen pro Jahr am 26. April 2008 in Betrieb. Das Erdgas wird in Algerien produziert und in Ägypten verflüssigt. In einer zweiten Erweiterungsphase soll die Kapazität um 3,3 Millionen Tonnen auf 6,8 Millionen Tonnen LNG pro Jahr aufgestockt werden. Auch dieses Projekt ist ein Joint Venture mit BP.508
505
Bundesagentur für Außenwirtschaft (2007): China treibt den Ausbau der Infrastruktur voran; in: Bfai Online; https://www.bfai.de/DE/Content/__SharedDocs/Links-Einzeldokumente-Datenbanken/ fachdokument.html?fIdent=MKT200706158000; Zugriff: 01.08.2008. 506 Miyamoto, Akira; Ishiguro, Chikako (2006): Pricing and Demand for LNG in China; Oxford Institute for Energy Studies; Oxford; S. 2. 507 BP: BP Celebrates China LNG Double; in: BP Online;
* oryId=2012968&contentId=7019205;Zugriff:21.07.2008. 508 CNOOC: Fujian LNG Project Receives First Vessel of LNG; in: CNOOC Online; http://www.cnooc.com.cn/yyww/xwygg/270128.shtml; Zugriff: 01.08.2008.
240
4 Die Energiepolitik der VR China
Tabelle 10: Verdampfungsterminals in der VR China Terminal
Location
Main operator
Status
Start-up
Shenzhen Shenzhen (extension) Putian
Guangdong Guangdong
CNOOC/BP CNOOC/BP
2006 2008
Fujian
CNOOC
2009
3.5
Putian (extension) Yangshan
Fujian
CNOOC
Operating Under construction Under construction Under construction Under construction
Initial capacity (bcm) 5.0 2.7
2010
3.3
2009
4.1
Feasibility study completed Feasibility study
After 2010 After 2010
4.1
Feasibility study completed Feasibility study completed Feasibility study completed Prefeasibility study Unknown
After 2011
4.8
After 2010
4.1
2012
4.1
2012
2.7
After 2010
4.1
Shanghai
Shanghai LNG (CNOOC, Shenergy) Subtotal existing and under construction Qingdao Shangdong Sinopec
Ningbo
Zhejiang
Rudong
Jiangsu
CNOOC, Zhejiang Energy Group PetroChina
Tangshan
Hebei
PetroChina
Dalian
Liaoning
PetroChina
Tianjin
Tianjin
Sinopec
Heihai
Guangxi
PetroChina
Subtotal under construction Total Die erste Phase in Fujian ist inzwischen abgeschlossen. Quelle: IEA (2007): World Energy Outlook 2007; OECD/IEA; Paris; S. 333.
18.6 4.1
28.0 46.6
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
241
Neben den Lieferungen über die LNG-Anlage in Ägypten, wird das Erdgas vorwiegend aus Australien und dem Nahen Osten geliefert. Einen ersten Vertrag konnte sich North West Shelf aus Australien im Dezember 2004 sichern. Das LNG wird das Terminal in Shenzhen mit 3,3 Millionen Tonnen pro Jahr versorgen. Der Vertrag hat eine Laufzeit von 25 Jahren und ist auf 25 Milliarden USDollar angesetzt. Konkurrenten um diesen ersten Vertrag über LNG-Lieferungen nach China waren Konzerne aus Indonesien, Malaysia, Katar, Russland und Jemen.509 Ein zweiter Vertrag wurde zwischen CNOOC und der staatlichen malaysischen Petroliam Nasiona im Juli 2006 abgeschlossen. Auch hier liegt die Laufzeit bei 25 Jahren und einem Volumen von drei Millionen Tonnen pro Jahr. Die Gesamtsumme beträgt auch hier wieder 25 Milliarden US-Dollar.510 Nach weiteren Verträgen kam der jüngste Abschluss im April 2008 zwischen Qatargas, Shell und der CNPC-Tochter PetroChina zustande. Über eine Laufzeit von 25 Jahren werden drei Millionen Tonnen LNG pro Jahr nach China verschifft.511 Im Jahre 2007 importierte die VR China insgesamt 2,9 Millionen Tonnen LNG. Die Exportstaaten waren Australien (2.477.712 Tonnen), Algerien (312.688 Tonnen), Nigeria (63.450 Tonnen) und Oman (59.291 Tonnen).512 Das bedeutet, dass hier bisher nur 15 Prozent der LNG-Transporte durch die Straße von Malakka geleitet werden müssen. Allerdings wird dieser Anteil bei weiteren Vertragsabschlüssen der VR China mit Produzentenstaaten in Afrika und dem Nahen Osten weiterer ansteigen. Da die Positionen auf dem Erdgasmarkt – vor allem in Hinsicht auf LNG – noch nicht so weit verteilt sind, wie auf dem Erdölmarkt, kann sich China hier erfolgreicher durchsetzen. Außerdem nutzt die Volksrepublik die Tatsache, dass die zweitgrößten weltweiten Erdgasreserven im Iran liegen. Da der Iran aufgrund seines Atomprogramms von den westlichen Staaten weitgehend boykottiert wird, können sich neben russischen Konzernen, chinesische Firmen, die sich nicht an Sanktionen wie den Iran-Libyen-Sanction-Act halten, dort in Erdgasprojekte
509 Wilson, Nigel: Australia-China LNG deal sealed; in: EnergyBulletin Online; http://www.energybulletin.net/node/3855; Zugriff: 01.08.2008. 510 IHT: Malaysia to supply LNG to Chinese for 25 years; in: IHT Online; http://www.iht.com/articles/2006/10/30/business/energy.php; Zugriff: 01.08.2008. 511 Shell: PetroChina, Qatargas and Shell sign first long-term Qatar – China LNG deal; in: Shell Online; http://www.shell.com/home/content/media/news_and_library/press_releases/2008/lng_qatar_china_1 0042008.html; Zugriff: 01.08.2008. 512 Platts: China imports 2.91 million mt LNG in 2007 at $3.2-8.6/MMBtu; in: Platts Online; http://www.platts.com/Natural_Gas/News/8481566.xml?p=Natural_Gas/News&sub=Natural_Gas; Zugriff: 24.01.2008.
242
4 Die Energiepolitik der VR China
einkaufen. So stehen chinesische Konzerne kurz vor dem Durchbruch für langfristige LNG-Verträge mit dem Iran. Die Importkapazitäten sollen unter anderem für die Elektrizitätsgewinnung in den Ostprovinzen genutzt werden, auch wenn die meisten der Gaskraftwerke noch gebaut werden müssen. Es sollen aber auch einige Kohlekraftwerke auf Erdgas umgerüstet werden. Das restliche Gas ist bestimmt für Haushalte, Heizkraftwerke und große Industrieabnehmer.513 Viel Zeit hat die chinesische Regierung jedoch nicht mehr, um die Importkapazitäten bei Erdgas auszubauen. Bei der Umstellung von Kohle- auf Gaskraftwerke in den hochentwickelten Ostprovinzen könnte es ansonsten zu einer Versorgungskrise bei Erdgas kommen. Bei der Steigerung der Importe ist es deshalb negativ, dass die Pipelineinfrastruktur in Richtung Russland noch nicht ausgebaut ist und es auch nicht abzusehen ist, wann dies der Fall sein wird. Der angestrebte Zeitpunkt im Jahre 2011 wird wie beschrieben voraussichtlich erneut verschoben werden müssen, da die Verhandlungen ins Stocken geraten sind. Das liegt – ähnlich wie bei den eingefrorenen Verhandlungen bei den Erdölpipelines – vorwiegend an der Verstaatlichung und den Allokationskämpfen in Russlands Erdgassektor. Verhandlungen können nicht weitergeführt werden, wenn beispielsweise Gazprom andere Interessen verfolgt, als der Konzern, der erst die Verhandlungen mit den chinesischen Unternehmen geführt hat. Ein Hoffnungsschimmer für die einheimische Erdgasproduktion ist die Beilegung der Streitigkeiten mit Japan um die Vorkommen im Ostchinesischen Meer. Eine schnelle Entwicklung der Reserven könnte China zeitlich Aufschub gewähren, um die Turkmenistan-China-Pipeline fertig zu stellen und die Verhandlungen mit den russischen Anbietern voranzutreiben. Allerdings liegen, ähnlich wie beim Erdöl, die besten Optionen für eine Diversifizierung der Erdgasimporte in der Kaspischen Region. Beim LNG wird es langfristig zu einem höheren Prozentsatz der Importe aus Afrika und dem Nahen Osten kommen. Diese wiederum müssen durch die Straße von Malakka transportiert werden. Bei Erdöl hat die Regierung eine kontinentale Diversifizierung der Importe, weg von den Zufuhren über die Seewege schon in die Wege geleitet. Insofern liegt es nahe, dass sie dies bei Erdgasimporten auch nachvollziehen wird.
513
Miyamoto, Akira; Ishiguro, Chikako (2006): Pricing and Demand for LNG in China; Oxford Institute for Energy Studies; Oxford; S. 8f.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
243
4.4.2.4 Zwischenergebnis Erdgas Wie aufgezeigt wurde, ist eine weitläufige Umstellung von Erdöl auf Erdgas im Transportsektor sowie von Kohle auf Erdgas in den Sektoren der Elektrizitätserzeugung und beim Heizen und Kochen auch von der chinesischen Regierung erwünscht, um den Smogglocken über den Städten entgegenzuwirken. Allerdings kann die inländische Produktion nur noch für eine begrenzte Zeit den Verbrauch decken. Danach muss die Volksrepublik ihre Autarkie bei diesem Energieträger aufgeben und ist auf zunehmende Importe angewiesen. Der steigende Gebrauch von Erdgas zumindest als vorübergehendes Substitut für Erdöl und Kohle, bis Erneuerbare Energien weit genug ausgebaut sind, wird sich jedoch auch volkswirtschaftlich betrachtet lohnen. Gerade der immense Verbrauch der chinesischen Kohle, die einen hohen Schwefelgehalt aufweist, ist aufgrund der Folgekosten im Gesundheits-, Umwelt- und Klimabereich nicht weiter zu empfehlen.
4.4.3 Kohle Kohle ist und wird laut Prognose der IEA und der EIA Hauptenergieträger in China bleiben. Mit einer Produktion von 1.289,6 Millionen Tonnen Erdöläquivalent Kohle im Jahr 2007 liegt die Volksrepublik mit 41,1 Prozent der Weltproduktion in der globalen Rangliste noch weit vor den USA (587,2 Millionen Tonnen Erdöläquivalent; 18,7 Prozent Weltanteil). Allerdings reicht die chinesische Produktion nicht aus, um den Inlandsbedarf der Volksrepublik von 1.311 Millionen Tonnen Erdöläquivalent an Kohle abzudecken (Abb. 47).514 Bliebe die Produktion auf dem Niveau von 2007 würde die Volksrepublik ihre gesicherten Reserven von 133 Milliarden Tonnen (96 Milliarden Tonnen Steinkohle, 18,6 Milliarden Tonnen Braunkohle) – mit 13,5 Prozent am globalen Anteil nach den USA und Russland die drittgrößten Reserven der Welt – über die nächsten 57 Jahre komplett abbauen. Allerdings schwanken hier die Schätzungen, wie bei allen fossilen Energieträgern erheblich.515
514
BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff: 26.06.2008. 515 IEA (2007): Coal Information 2007; OECD/IEA; Paris; I.10; BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesectiondo?categoryId=9023 755&contentId=7044552; Zugriff: 26.06.2008.
244
4 Die Energiepolitik der VR China
Abbildung 47: Kohleproduktion und -konsum in der VR China
Quelle: BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff: 26.06.2008.
Allerdings wird der Anteil der Kohle am heimischen Primärenergiebedarf, der im Jahre 2007 bei 69 Prozent lag, bis 2030 höchstens auf 60 Prozent zurückgehen. Bei der Stromproduktion – also im sekundären Energiebereich – betrug der Anteil von Kohle im Jahre 2006 in etwa 80 Prozent. Werden Elektrizitäts- und Wärmeerzeugung zusammengenommen, so werden dafür über 50 Prozent des Kohlebedarfs verbraucht. Der Anteil an Brennstoffen für die Industrie betrug im selben Jahr 50 Prozent und bei den Ausgangsstoffen in der chemischen Industrie in etwa 60 Prozent.516 Obwohl sie den Hauptanteil an der Versorgung mit primären und sekundären Energieträgern liefert ist die Qualität der Kohle in China im internationalen Vergleich minderwertig. Die Brennstoffqualität ist mangelhaft, der Aschegehalt liegt bei 30 Prozent. Bei den Kohlevorräten im Norden liegt der Schwefelgehalt bei durchschnittlich einem Prozent im Süden gar bei fünf Prozent.517 Dennoch wird der Kohlepreis in China über Subventionen niedrig gehalten und stärkt somit die hohe Nachfrage. Zur Versorgung von Kohlekraftwerken 516 Lester, K. Richard; Steinfeld, Edward S. (2007): The Coal Industry in China; Industrial Performance Center; Massachusetts Institute for Technology; Cambridge; S. 1f. 517 Smil, Vaclav (2004): China’s Past, China’s Future. Energy, Food, Environment; Routledge; New York; S. 18.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
245
wurde der Energieträger phasenweise zur Hälfte der Produktionskosten bereitgestellt. Anfang der 1990er Jahre beschleunigte die Zentralregierung die Preisreformen im staatlichen Energiesektor. 1992 wurden ungefähr 20 Prozent der Kohleproduktion der staatlichen China National Coal Corporation, die ca. ein Drittel der chinesischen Produktion abdeckte, unter Marktpreisen gehandelt. Dieser Trend setzte sich in den folgenden Jahren fort, bis schließlich 1996 der Kohlepreis vollständig dereguliert war. Parallel erfolgte eine kontinuierliche Preissteigerung bis ins selbe Jahr. Der aus den Mehrkosten resultierende Rückgang der Nachfrage nach Kohle revidierte diesen Trend und führte zu einem Preisverfall bis zum Jahre 2000.518 Abbildung 48: Chinas größte Kohlelagerstätten
Quelle: Schmidt, Sandro (2007): Die Rolle Chinas auf dem Weltsteinkohlemarkt; Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe; Commodity Top News; Nr. 27; S. 5.
518
Hang, Leiming; Tu, Meizeng (2007): The impacts of energy prices on energy intensity: Evidence from China; Energy Policy; vol. 35; S. 2978-2988; S. 2979 f.
246
4 Die Energiepolitik der VR China
Da der Kohlemarkt im Gegensatz zu den anderen inländischen Energiemärkten relativ ineffizient und segmentiert ist, gibt es große Unterschiede beim Kohlepreis in verschiedenen Regionen, bei der Besitzverteilung und den industriellen Gruppen. Der Kohlepreis – ebenso, wie der Preis für den Strom, der in Kohlekraftwerken generiert wird – ist im Osten und Süden Chinas durch die zusätzlichen Transportkosten relativ hoch. Dagegen ist er im Norden und Nordosten (Abb. 48), wo die meiste Kohle abgebaut wird, niedriger.519 Diese Verteilung des Rohstoffes in China bringt ein gravierendes Problem mit sich. Der Transport in die südöstlichen Industriezentren verschlingt Unmengen an Energie. So sind beispielsweise 45 Prozent der gesamten Eisenbahn- und ein Drittel der Binnenschifffahrtskapazität für die Beförderung von Kohle reserviert.520 Um die hohen Transportkosten und die CO2 und SO2-Emissionen zu reduzieren, hat sich die chinesische Regierung das Ziel gesetzt, zumindest im hochentwickelten Osten und Südosten Kohle- durch Erdgaskraftwerke zu ersetzen. So hat die Stadtregierung von Shanghai im Jahre 2006 den Neubau von Kohlekraftwerken verboten, da sie am Aufbau einer LNG-Infrastruktur arbeitet.521 Ein weiteres Problem für die Steuerung ist die Komplexität des Kohlesektors. Diese erschließt sich jedoch erst bei einer Analyse aus historischer Perspektive in allen Dimensionen. Das schließt die staatseigenen Konzerne, die regionalen und die so genannten Gemeinde- und Dorfkohlegruben522 mit ein.
4.4.3.1 Die Regierungsreformen des Kohlesektors Die schon zu Beginn der Gründung der VR China existierenden kleinen Gemeinde- und Dorfkohlegruben stützten die chinesische Wirtschaft von den Reformen Deng Xiaopings in den späten 1970ern bis in die Mitte der 1990er Jahre. Mitte der 1990er Jahre veränderte sich die Einstellung der chinesischen Regierung gegenüber den kleinen Kohlegruben. Sie wurden jetzt als Risiko für die energiepolitische Entwicklung der Volksrepublik angesehen. Dies lag einerseits 519
Fischer-Vanden, Karin; Jefferson, Gary H.; Hongmei, Liu; Quan, Tao (2003): What is Driving China’s Decline in Energy Intensity; National Bureau of Statistics; People’s Republic of China; S. 4f. 520 Wenquan, Shen (2007): Strategic position and development prospects of nuclear energy in China; in: Frontiers of Energy and Power Engineering in China; S. 125-128; Springer Verlag; S. 125. 521 Lester, K. Richard; Steinfeld, Edward S. (2007): The Coal Industry in China; Industrial Performance Center; Massachusetts Institute for Technology; Cambridge; S. 18. 522 Mitte der 1980er Jahre machte die Zentralregierung in Beijing den Weg für die Gründung privater Kohlegruben frei. Dies betrifft vor allem die Gemeinde und Dorfkohleminen, die vorwiegend in privater Hand liegen. Gu, Xuewu; Mayer, Maximilian (2007): Chinas Energiehunger: Mythos oder Realität?; Oldenbourg; München, Wien; S. 25.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
247
an den geringen Sicherheits- und Umweltstandards in den Minen und deren hohen Anteil am Gesamtkohlemarkt, der zu einer Bedrohung für die Rentabilität der großen staatlichen Minen zu werden drohte. Als Folge wurden die Gemeinde- und Dorfkohlegruben Ziel einer der rigorosesten und nachhaltigsten Schließungskampagnen des modernen Chinas.523 Laut offiziellen Zahlen wurden in den Jahren zwischen 1997 und 2001 rund 60.000 der kleinen Gemeinde- und Dorfkohlegruben geschlossen. Eine Folge dieser Kampagne war die Entlassung von mehreren hunderttausend Arbeitern und ein Rückgang der Kohleproduktion um 400 Millionen Tonnen, was nahezu 30 Prozent der Gesamtproduktion Chinas im Jahre 1996 entsprach.524 Zwischen den Jahren 1957 und 1995 war die Produktion in diesem Sektor von 6,5 Millionen Tonnen auf 659 Millionen Tonnen angestiegen. Das entspricht rund 48 Prozent der Gesamtproduktion von 1.360 Millionen Tonnen im Jahr 1995.525 Historisch betrachtet erhielten die ländlichen kollektiven Kohlebergwerke, von denen viele Anfang der 1950er Jahre entstanden, während des „Großen Sprungs nach vorn“ einen Aufschwung. In diesen Jahren lag der Fokus auf dem Ausbau der Stahlproduktion, fast auf jedem Bauerngehöft stand ein „Hochofen“ und dadurch stieg die Nachfrage nach Kohle von 6,5 Millionen Tonnen im Jahre 1957 auf 22 Millionen Tonnen im Jahre 1960. Diese Entwicklung kam nach dem Scheitern des „Großen Sprungs nach vorn“ zu einem Ende, da die daraus resultierende wirtschaftliche Krise überwunden werden musste. Auch in den Jahren der Kulturrevolution stieg die Produktion nur geringfügig, auch wenn viele junge Intellektuelle aus den chinesischen Städten auf das Land geschickt wurden, um in den kleinen Minen „umgeschult“ zu werden.526 In den 1970er Jahren entschied die Regierung, dass sowohl die kleinen Gemeinde- und Dorf- als auch die staatlichen Minen ihren Teil zur Energieversorgung des Landes beitragen sollten. Allerdings kamen Subventionen zumeist den großen staatlichen Bergwerksgesellschaften zu gute. Trotzdem stieg der Anteil der kleinen Minen in dieser Dekade von 31 Millionen auf 114 Millionen Tonnen, das heißt auf rund 18 Prozent der Gesamtproduktion. Im Laufe des Jahres 1981 523
Andrews-Speed, Philip (2004): Energy Policy and Regulation in the People’s Republic of China; Kluwer Law International; The Hague, London New York; S. 79. 524 Andrews-Speed, Philip; Ma, Guo; Sha, Bingjia; Liao, Changlin (2005): Economic responses to the closure of small-scale coal mines in Chingqing, China; in: Resources Policy Nr. 30; Elsevier Ltd; S. 41. 525 BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff: 26. 06.2008; Andrews-Speed, Philip (2004): Energy Policy and Regulation in the People’s Republic of China; Kluwer Law International; The Hague, London New York; S. 80f. 526 Sinton; Jonathan (2004): China Energy Databook; Lawrence Berkeley National Laboratory; CD v. 6.0; Kapitel 2.v6; Andrews-Speed, Philip (2004): Energy Policy and Regulation in the People’s Republic of China; Kluwer Law International; The Hague, London New York; S. 81.
248
4 Die Energiepolitik der VR China
änderte sich dies nach dem das Ministry of Coal Industries entschieden hatte einen größeren Anteil an Subventionen in die Gemeinde- und Dorfkohleminen umzuleiten. Ferner sollten die Bergwerke von Steuererleichterungen, Investitionen in neue Infrastruktur, Instandhaltung sowie Sicherheits- und Umweltstandards profitieren. Das geschah vorwiegend um die nationale Transportinfrastruktur zu entlasten, indem die Gemeinden auf Selbstversorgung bei Kohle umgestellt werden sollten. Zudem waren die Arbeiter der Minen in der Lage die kleinen und schwieriger abzubauenden Reserven auszubeuten, die für die Großkonzerne unattraktiv waren. Auch ging der Kahlschlag der Wälder durch die Umstellung von Holz auf Kohle zum Heizen und Kochen in den ländlichen Gebieten zurück. Unterstützung bekam das Ministerium in den Jahren 1983 und 1984 vom Staatsrat, der den eingeschlagenen Kurs in einem Dokument mit dem Titel „Acht Maßnahmen zur Beschleunigung der Entwicklung kleiner Kohlebergwerke“ untermauerte.527 Die von der Planungskommission kalkulierte Entwicklung, dass die Minen bis zum Jahr 2000 eine Produktion von 400 Millionen Tonnen Kohle erreichen sollten wurde aber schon 1991 übertroffen. 1995 erreichte die Produktion mit 659 Millionen Tonnen und zwischen zwei und vier Millionen Beschäftigten ihren Höhepunkt.528 Mit dem vorläufigen Produktionshöhepunkt Mitte der 1990er Jahre, kam die Regierung schließlich zu dem Resultat, dass die Kosten der Kohlepolitik den Nutzen für den Staat überwogen. Die Verschwendung an natürlichen Ressourcen, die Umweltschäden, die Gefahren für Gesundheit und Sicherheit und vor allem die Zerstörung des Marktes für die großen staatlichen Unternehmen sollten nicht länger hingenommen werden. Als eine neue Strategie sollte der Rückgang der heimischen Produktion, der durch die Schließung der kleinen Gemeinde- und Dorfkohleminen entstand, notfalls durch Importe kompensiert werden. Das wiederum war möglich geworden, da sich die Auslandsbeziehungen im Vergleich zu den 1970er und 1980er Jahren deutlich verbessert hatten.529 Welche Bergwerke von der Schließung betroffen sein sollten wurde in der Notice Concerning the Closure of Illegal and Irrationally Distributed Coal Mines im Jahre 1998 in sechs Punkten definiert: a) 527
Minen, die über keine Bergbau- oder Produktionslizenz verfügen.
Andrews-Speed, Philip (2004): Energy Policy and Regulation in the People’s Republic of China; Kluwer Law International; The Hague, London New York; S. 82 u. 85. 528 Andrews-Speed, Philip; Ma, Guo; Sha, Bingjia; Liao, Changlin (2005): Economic responses to the closure of small-scale coal mines in Chingqing, China; in: Resources Policy Nr. 30; Elsevier Ltd; S. 41. 529 Andrews-Speed, Philip (2004): Energy Policy and Regulation in the People’s Republic of China; Kluwer Law International; The Hague, London New York; S. 86/90.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
249
b) Bergwerke, die seit dem 1. Januar 1997 in Lizenzgebieten von staatlichen Minen eröffnet wurden, da sie keine Bergbaulizenz gewährt bekommen haben können. c) Bergwerke, die vor dem 1. Januar 1997 in Lizenzgebieten von staatlichen Minen eröffnet wurden und zwar eine Bergbau- aber keine Produktionslizenz besitzen. d) Bergwerke, die vor dem 1. Januar 1997 in Lizenzgebieten von staatlichen Minen eröffnet wurden und eine Bergbau- sowie eine Produktionslizenz besitzen, aber einen negativen Einfluss auf die Entwicklung der staatlichen Minen haben. e) Minen, die Kohlevorkommen mit hohem Schwefel- und/oder Aschegehalt ausbeuten und keine geeigneten Reinigungsmaßnahmen durchführen. f) Bergwerke, die außerhalb der Lizenzgebiete von staatlichen Minen operieren und über eine Bergbau- aber nicht über eine Produktionslizenz verfügen.530 Die Auswirkungen der Politik waren, dass die Kohleproduktion und mit ihr der Konsum bis zum Jahr 1999 um bis zu 37 Prozent im Vergleich zu 1996 fiel. Dieser Effekt ist jedoch auch einer weiteren Reform der Kohleindustrie zuzuschreiben, nach der im Jahre 1998 einige ineffektive große Kohleminen geschlossen oder in Insolvenz gingen. Kompensationszahlungen wurden nur bei solchen Bergwerken der Kategorie d), die über einen vollkommen legalen Status verfügten, bezahlt. Bergwerken der Kategorie f) wurde die Möglichkeit eingeräumt, bis Februar 1999 die Standards im Bereich der Sicherheit und Technik zu erhöhen und sich um eine Produktionslizenz zu bewerben. Kleineren Minen wurde angeraten mit anderen kleinen Minen zu fusionieren, um das nötige Kapital für Investitionen zu erlangen.531 Das Beispiel der Reformen hinsichtlich der Umgestaltung des Kohlesektors verdeutlicht die Versorgungssicherheitspolitik der Regierung. Die kleinen Kohlegruben waren so lange nützlich, so lange sie nicht zu einer Bedrohung für die staatlichen Bergwerke wurden. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden sie zugelassen und als Bestandteil des chinesischen Kohlesektors akzeptiert. Durch die Reform von 1998 zeigte die Regierung, dass es ihr sinnvoller erschien das grundlegende Ziel der Autarkie bei der Versorgung aufzugeben, als die Kontrolle über die Kohleproduktion weiter an kleine Unternehmen abgeben zu müssen. Das zeigt, dass das eigentliche vitale Interesse der Regierung die Beibehaltung der staatli530
ESMAP (2004): Toward a sustainable Coal Sector in China; UNDP/World Bank Energy Sector Management Programme; Washington; S. 81. 531 Andrews-Speed, Philip (2004): Energy Policy and Regulation in the People’s Republic of China; Kluwer Law International; The Hague, London New York; S. 96f.
250
4 Die Energiepolitik der VR China
chen Konzerne und somit der Regulierungshoheit sowohl über den Kohlesektor als auch über die anderen Bereiche der Energiewirtschaft ist. Denn auch bei Erdöl, Erdgas, Atomenergie und Erneuerbaren Energien sind die großen den Markt bestimmenden Konzerne zumindest zu 60 bis 70 Prozent in staatlichem Eigentum.
4.4.3.2 Die politische Struktur des Kohlesektors Durch Einrichtung von Inspektorenteams oder von Schließungsbüros – beispielsweise in der Provinz Shanxi – auf allen Regierungsebenen (Abb. 49) wurden die Stilllegungen der Minen überwacht. Das Ergebnis der Überwachung war ein Produktionsrückgang von 710 Millionen Tonnen Kohle im Jahre 1996 auf 255 Millionen Tonnen im Jahre 2001. Durch die Schließung von ca. 60.000 Gemeinde- und Dorfkohlegruben stieg der Kohlepreis, wovon wiederum die großen staatlichen Bergwerke profitierten, da sie ihre negativen Bilanzen ausgleichen konnten. Der Erfolg der Stilllegungskampagne war also, dass die staatlichen Minen gegenüber den übrigen Bergwerken eine Protektion erfuhren und sich sanieren konnten.532 Ferner wurde aus Sicht der Regierung dem Problem der äußerst komplizierten Bürokratiestruktur und der daraus folgenden wachsenden Autarkie der Gemeinde- und Dorfkohlegruben begegnet (Abb. 49). Oftmals war die kommunale Regierung Eigentümer der Minen und konnte über die Einnahmen Investitionen tätigen, die ohne zentralstaatliche Kontrolle durchgeführt werden konnten. So waren die kleinen Minen zwar dem Ministry of Land and Natural Resources, der State Environmental Protection Agency und den Coal Administration Bureaus Rechenschaft schuldig, aber diese Behörden konkurrierten untereinander um die Einflussnahme im Umweltregulationsbereich. Zudem mussten die Manager der Bergwerke auf lokaler Ebene mehr als zehn zusätzliche Ämter – unter anderem Wasser, Strom, Gesundheit, Forstwirtschaft und Finanzen – über ihre Aktivitäten informieren. Daraus entstand eine Gemengelage, die für die Regierung nicht mehr zu überschauen, geschweige denn zu steuern war. Das wiederum bedeutete im strategisch relevanten Energiesektor einen zu hohen Machtverlust, da die Regierungsinstitutionen kein ausreichendes Gegengewicht gegen die Interessen der lokalen Regierungen, der Bergwerkseigner und der Bergarbeiter bilden konnten.533 532
Andrews-Speed, Philip (2004): Energy Policy and Regulation in the People’s Republic of China; Kluwer Law International; The Hague, London New York; S. 97. 533 Andrews-Speed, Philip (2004): Energy Policy and Regulation in the People’s Republic of China; Kluwer Law International; The Hague, London New York; S. 92f.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
251
Abbildung 49: Einflussstruktur im Kohlesektor der VR China (1998) State Economic and Trade Commission
Provincial Coal Administration
Major state-owned mines
Provinvial state-owned mines City/District Coal Administration Bureau
City/District state-owned mines County state-owned mines
Country Coal Administration Bureau
Township and Village mines
Eine durchgezogene Linie steht für direkte Verantwortlichkeit, eine gestrichelte für die übergeordnete Kontrollinstanz. Quelle: Andrews-Speed, Philip (2004): Energy Policy and Regulation in the People’s Republic of China; Kluwer Law International; The Hague, London New York; S. 92.
Allerdings wurde bei den Reformen von der Regierung in Beijing nicht berücksichtigt, dass seit Mitte der 1990er Jahre die Arbeitslosenzahl im NichtAgrarbereich auch durch die Stilllegung der kleinen Gemeinde- und Dorfkohlengruben drastisch anstieg. Ein weiterer Effekt war, dass die Menschen vor allem als Tagelöhner vom Land in die Städte übersiedelten, was zu einem Anstieg der urbanen Bevölkerung um etwa 130 Millionen Menschen führte. Ein drittes Problem waren zunehmende Versorgungsengpässe bei Kohlekraftwerken und in der Industrie. Allein zwischen den Jahren 2000 und 2003 stieg der Verbrauch von 667,4 Millionen Tonnen Erdöläquivalent auf 853,1 Millionen Tonnen Erdöläquivalent. Um diesen Problemen zu begegnen, wurden die staatlichen Minen sowie die kleinen Gemeinde- und Dorfkohlebergwerke ausgebaut. Zum Teil wurden von der Stilllegungskampagne betroffene Minen wiedereröffnet. Dies geschah auch, um einen größeren Anteil an Importkohle beim Gesamtbedarf zu vermeiden und die Abhängigkeit vom Ausland in diesem Bereich auszuschließen.534 534 Andrews-Speed, Philip; Ma, Guo; Sha, Bingjia; Liao, Changlin (2005): Economic responses to the closure of small-scale coal mines in Chingqing, China; in: Resources Policy Nr. 30; Elsevier Ltd; S. +/
252
4 Die Energiepolitik der VR China
Durch die Reformen in den 1990er Jahren bis zum Jahre 2006 konnte die Zahl der Gemeinde- und Dorfkohlebergwerke nach offiziellen Angaben von über 60.000 auf 24.000 reduziert werden. Diese Zahl soll aber bis 2009 auf 12.000 und mittelfristig auf 10.000 Zechen zurückgehen. Trotz der massiven Schließungen, ist der Kohlemarkt im Vergleich zu den anderen Energiemärkten in China am weitesten liberalisiert. Das liegt nicht zuletzt darin begründet, dass es – anders als im Erdölsektor – keine Markt dominierenden staatlichen Konzerne gibt.535 Aber nicht nur die Marktstruktur wurde nach den Wirtschaftsreformen von Deng Xiaoping liberalisiert, auch das System der Kohlepreise wurde weitgehend dereguliert.
4.4.3.3 Die Preisderegulierungen auf dem Kohlemarkt Im Jahre 1985 kam es in der VR China erstmalig seit ihrer Gründung zu einer Vereinbarung zwischen dem Ministry for Coal Industry und den Konzernen über ein reformiertes Preissystem. Auf Grundlage dieser Vereinbarung wurde die Produktionsmenge der einzelnen Konzerne für das Folgejahr als Quote für den Kohlepreis veranschlagt. Um dem wirtschaftlichen Aufschwung und dem daraus resultierenden Mehrbedarf Rechnung zu tragen, wurde von der NDRC für das laufende Jahr eine höhere Förderquote festgelegt. Diese galt als Obergrenze für den festgelegten so genannten Planpreis. Wurde die Förderquote überschritten, konnte alle zusätzliche Kohle zu einem 50 Prozent höheren Preis veräußert werden. Wurde die überschüssige Kohle für einen staatlichen Planungszweck angewandt, so konnte sie gar für den doppelten Preis verkauft werden.536 In einem zweiten Schritt wurde dieses System im Jahre 1994 weiter liberalisiert. Von nun an durften Produzent und industrielle Endverbraucher den Preis eigenständig aushandeln. Allerdings wurde auch das doppelte Preissystem, das 1985 eingeführt worden war, zusätzlich gestärkt, denn die Festlegung des Preises für so genannte Stromkohle, wurde mit den Liefermengen für das jeweilige Kraftwerk auf Basis eines Jahresvertrages von den zuständigen Regulierungsbehörden festgelegt, um den Anteil des Stroms aus Kohlekraftwerken am sekundären Energiemix weiterhin garantieren zu können.537
535
Gu, Xuewu; Mayer, Maximilian (2007): Chinas Energiehunger: Mythos oder Realität?; Oldenbourg; München, Wien; S. 22f. 536 Gu, Xuewu; Mayer, Maximilian (2007): Chinas Energiehunger: Mythos oder Realität?; Oldenbourg; München, Wien; S. 26. 537 Gu, Xuewu; Mayer, Maximilian (2007): Chinas Energiehunger: Mythos oder Realität?; Oldenbourg; München, Wien; S. 26.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
253
Das anschließend an die Asienkrise erneut einsetzende starke Wirtschaftswachstum zog im Kohlesektor zwei Konsequenzen nach sich. Erstens setzte durch den steigenden Bedarf an Kohle ein Versorgungsengpass im Stromsektor ein, der 2002 bis 2003 seinen Höhepunkt erreichte. Zweitens überstieg der relative Preisindex bei Kohle durch die wachsende Nachfrage im Jahre 2004 das erste Mal seit 1997 den von Elektrizität und führte zu intensiven Verhandlungen zwischen Kohlekonzernen und Elektrizitätswerken. Die Elektrizitätswerke konnten auf dieser Basis ihre Kohlekraftwerke nicht mehr kostendeckend betreiben.538 Mit der Auflösung des Ministry for Coal Industry und der darauf folgenden Dezentralisierung der Kohleindustrie im Jahr 1998 beschleunigte sich die Deregulierung der Kohlepreise. Die im Jahre 2002 durchgeführte weitere Liberalisierung der Kohlepreise verschärfte allerdings das Dilemma des doppelten Preissystems.539 Der Preis für die Kohle, die nicht für die Stromgeneration gebraucht wurde, war inzwischen weit über den Preis für Stromkohle gestiegen und dadurch für die Minenbetreiber wesentlich attraktiver. Deshalb umgingen viele Kohlekonzerne die vereinbarten Liefermengen für die Kohlekraftwerke und verkauften auch Stromkohle auf dem freien Markt. Dies führte schließlich soweit, dass es in einigen Provinzen zu Stromengpässen kam.540 Erst durch die Reformen vom 1. Januar 2006 wurde das duale Preissystem aufgehoben. In dieser weiteren Deregulierung des Kohlemarktes durch die NDRC wurde nun auch die Stromkohle von der politischen Kontrolle entbunden.541 Allerdings hatte diese letzte Liberalisierung einen gewaltigen Nachteil. Während die Kohlepreise ungehindert steigen konnten – zwischen 2002 und April 2008 stieg der Preis von elf Euro pro Tonne je nach Region auf 95 bis 200 Euro pro Tonne – blieben die Strompreise aufgrund der weiteren Regulierung durch die NDRC niedrig. Das führte dazu, dass die fünf größten staatseigenen Stromproduzenten der Volksrepublik eine Anpassung des Preises des Kohlestroms forderten. Allein im Jahr 2007 sollen Mehrkosten in Höhe von 4,2 Milliarden Euro für die Stromkonzerne entstanden sein. Während der Staatsrat eine Erhöhung des Strompreises kategorisch ablehnte, argumentierte die NDRC, dass eine Steigerung des Strompreises sowohl von der Industrie, dem Dienstleistungs-
538
Hang, Leiming; Tu, Meizeng (2007): The impacts of energy prices on energy intensity: Evidence from China; Energy Policy; vol. 35; S. 2978-2988; S. 2979 f. Gu, Xuewu; Mayer, Maximilian (2007): Chinas Energiehunger: Mythos oder Realität?; Oldenbourg; München, Wien; S. 22. 540 Gu, Xuewu; Mayer, Maximilian (2007): Chinas Energiehunger: Mythos oder Realität?; Oldenbourg; München, Wien; S. 26f. 541 Gu, Xuewu; Mayer, Maximilian (2007): Chinas Energiehunger: Mythos oder Realität?; Oldenbourg; München, Wien; S. 25. 539
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sektor und den Privathaushalten aufgefangen werden müsste und dies wiederum zu negativen Effekten auf die wirtschaftliche Entwicklung führen könne.542 Diese Auseinandersetzung um die Strompreise hatte wiederum Auswirkungen auf die Stromversorgung. So kam es in der Provinz Shanxi aufgrund von Problemen mit der Kohleversorgung zu Rationierungen bei Kraftwerke. Laut Deutscher Welle waren diese Engpässe bei den schwindenden Kohlevorräten und deren schlechter Qualität begründet. Hinzu kamen technische Störungen und der gesteigerte Stromverbrauch im Bereich der Klimaanlagen aufgrund des heißen Wetters hinzu.543 Dennoch waren die Versorgungsengpässe von der Regierung verschuldet. Die Preis(de-)regulierungen, die die NDRC zur langsamen Anpassung der Energiepreise an das Weltmarktniveau durchführt betreffen zumeist nur Segmente des Energiesektors. Dies betrifft die Preise für Kohle, Erdgas, Erdöl und Strom (Kap. 4.4.1.2 u. 4.4.6.2). Die Deregulierungen umfassen oftmals nicht den ganzen Energiesektor, sondern die Produktion, die Verarbeitung oder den Verkauf des Endproduktes. Dadurch entstehen zum Teil Missstände, dass der Verkauf von Elektrizität die Kosten für den eingesetzten Rohstoff nicht abdeckt, wie am Beispiel der Kohlekraftwerke aufgezeigt wurde. Das wiederum führt zu Verzerrungen des Marktes und Konkurrenzen zwischen den einzelnen Akteuren, die eine Steuerbarkeit des Energiemarktes bedeutend erschweren. Als Konsequenz musste die Regierung wiederholt Steuerungsmaßnahmen zurücknehmen und andere Instrumente ausprobieren. Um den Engpässen im Strombereich zwischen den Jahren 2002 bis 2004 entgegenzuwirken, setzte die Regierung einerseits auf Appelle zur Stromeinsparung bei der Bevölkerung, andererseits auf die Erneuerung und den Ausbau des Kraftwerkparks.
4.4.3.4 Investitionen und neuere Anwendungen im Kohlesektor Im Jahre 2007 wurde im Schnitt alle fünf Tage ein Kohlekraftwerk in der Größenordnung von wenigstens 1.000 MW installierter Leistung in Auftrag gegeben. Diese Kraftwerke sollen ältere, ineffiziente und kleinere Kraftwerke ersetzen. Einen Boom haben Kohlekraftwerke in der Volksrepublik nicht nur aufgrund des im Land reichlich vorhandenen Energieträgers, sondern auch wegen der volatilen Erdöl- und Erdgaspreise (Kap. 2.9). Aus Sicht der von der Regierung angestreb542
ChinaStakes: China’s Regulated Power Squeezed by Surging Coal Prices; in: China Stakes Online: http://www.chinastakes.com/story.aspx?id=293; Zugriff: 20.08.2008. 543 Deutsche Welle: Energiekrise in China; in: Deutsche Welle Newsletter; Wirtschaft Live; 10.07.2008.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
255
ten weitestgehenden Selbstversorgung des Landes mit Energie, wird der Neubau von Kohlekraftwerken als vorteilhaft für China verkauft. Die Nachteile sind jedoch eine stärke Umweltbelastung durch die höhere CO2- und SO2Emissionen, die zum Klimawandel und sauren Regen beitragen. Laut einer Studie der chinesischen Regierung vom November 2005 verursacht allein die Umweltbelastung in China Kosten für die chinesische Gesellschaft in Höhe von rund 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Welche Kosten auf die Weltbevölkerung zukommen wird in der Studie nicht beschrieben. Allerdings wird sich die Umweltverschmutzung, die in China, aber auch in anderen Schwellenländern stattfindet, im Klimawandel der Zukunft niederschlagen und somit auch Kosten in den westlichen Industriestaaten verursachen.544 Bisher wurden die meisten Kohlekraftwerke im Norden des Landes gebaut. Der Strom wird aber vorwiegend in den hochentwickelten Regionen im Osten und Südosten des Landes benötigt. Um dieses Problem zu lösen, musste die Strominfrastruktur über neue Hochspannungsleitungen erweitert werden.545 Zudem wurden Kraftwerke im Süden gebaut, die jetzt aber – zumindest in den großen Ballungszentren – durch Gaskraftwerke ersetzt werden sollen. Mit dem Bau von neuen Gaskraftwerken muss allerdings wiederum die Importkapazität von Erdgas schnellstmöglich gesteigert werden, um eine ausreichende und dauerhafte Versorgung zu gewährleisten. Dies ist kurzfristig jedoch nur über die Erdgaspipeline aus Turkmenistan und mittelfristig über LNGImporte möglich (Kap. 4.4.2). Nicht zuletzt aus diesem Grund versucht die chinesische Regierung auf den Gebieten der Carbon Capture and Storage (CCS) und Coal-to-Liquid-Technologie schnellere Fortschritte zu erzielen. Durch den zukünftigen Einsatz der CCS-Technologie versucht die chinesische Regierung die CO2-Emissionen zumindest bei Kohlekraftwerken unter Kontrolle zu bekommen. Mitte März 2008 unterzeichneten die Volksrepublik und Australien einen Vertrag über gemeinsame Forschung auf dem Gebiet. Demnach soll die australische Commonwealth Scientific and Industrial Research Organization (CSIRO) mit dem chinesischen Thermal Power Research Institute eine Pilotanlage zur Erprobung der Post-Combustion CO2-Abscheidung und Deponierung beim Huaneng Beijing Co-Generation Kraftwerk aufbauen. Ziel ist es zumindest 85 Prozent des dort anfallenden CO2 abzusondern und einzulagern.546 544
Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy Crisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton; S. xi. 545 Austin, Angie (2005): Energy and Power in China. Domestic Regulation and Foreign Policy; Foreign Policy Centre; London; S. viii. 546 Oberheitmann, Andreas (2008): Langer Marsch in die CO2-Freiheit; in: Internationale Politik; April 2008; S. 55-61; Berlin; S. 59.
256
4 Die Energiepolitik der VR China
Allerdings steckt die CCS-Technologie noch in den Kinderschuhen. Wirtschaftlich ist sie nur für große Kraftwerke erst bei einem Preis von 30-50 Euro pro Tonne CO2 rentabel und laut Prognosen frühestens ab dem Jahr 2020 verfügbar. Zudem ist mit einem Verlust der Energieeffizienz der Kraftwerke von mindestens zehn Prozentpunkten zu rechnen. Das bedeutet wiederum, dass zur Produktion der gleichen Menge an Strom und Wärme wesentlich mehr Kohle benötigt wird. Außerdem filtert die Technologie nicht den Schwefel aus der Kohle, der dann nach wie vor in die Atmosphäre entweicht.547 Da die Technologie frühestens ab dem Jahr 2020 einsetzbar ist, ist noch nicht geklärt, welche der drei Varianten der CO2-Abtrennung – Pre-Combustion, Post-Combustion, Oxyfuel – sich auf dem Markt durchsetzen wird. Allerdings gibt es weltweit mehrere Pilotprojekte. In Deutschland wird die Technologie beispielsweise auch entwickelt, nicht nur um den heimischen Markt zu versorgen, sondern auch um eine Führungsposition beim Export in Richtung China einnehmen zu können.548 Zwar lassen sich neue Kohlekraftwerke heute schon (Stand 2009) so bauen, dass sie später auf eine der drei Optionen umgerüstet werden können. Dennoch lassen sich auch durch CCS die hohen CO2Emissionen in der VR China, die im Jahre 2005 in etwa 5,1 Milliarden Tonnen betrugen,549 nicht kurzfristig senken, da die Technologie noch nicht ausgereift ist. Aufgrund des weiterhin zunehmenden Verbrauchs an Strom, setzt die Regierung in Beijing jedoch auf den Ausbau jeglicher Energieträger und vor allem auch auf diejenigen, die im Lande reichlich vorhanden sind. Das betrifft nicht nur den Ausbau der Kohlekraftwerke, sondern auch den Versuch der Substitution von Erdöl durch Kohle. So soll die Kapazität der Coalto-Liquid-Technologie von einer im Bau befindlichen Anlage mit einem Verarbeitungsvermögen von 60.000 Barrel am Tag Anlage bis auf eine Million Barrel am Tag bis zum Jahre 2020 erweitert werden.550
547 Praetorius, Barbara (2008): Diffusion von “low-carbon innovations” im deutschen Stromsystem; Vortrag im Colloquium “Neuere Forschungen zur Energie- und Umweltpolitik, Forschungsstelle für Umweltpolitik; Freie Univerrsität Berlin; 12.02.2008. 548 So wurde am 21. Februar 2007 zwischen der EU-Kommission und der chinesischen Regierung ein Memorandum of Understanding zur Förderung der CCS-Technologie in China unterzeichnet. Im September 2005 wurde eine Partnerschaft gegen den Klimawandel zwischen den beiden Partnern gegründet, u.a. mit dem Ziel bis zum Jahre 2020 ein Null-Emissions-Kohlekraftwerk zu bauen. Hiervon profitieren natürlich auch europäischen Konzerne, die ihre Technologie nach China verkaufen können. EurActiv: EU to sign clean coal deal with China; in: EurActiv Online; http://www.euractiv.com/en/energy/eu-sign-clean-coal-deal-china/article-152779; Zugriff: 20.10. 2007. 549 IEA (2007): World Energy Outlook 2007; OECD/IEA; Paris; S. 199. 550 IEA (2007): Coal Information 2007; OECD/IEA; Paris; I.31.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
257
Diese Anlage der Shenhua Group551 in Ordos in der Inneren Mongolei ist zu 75 Prozent fertig gestellt und soll eine Energieeffizienz von 60 bis 70 Prozent haben. Die Kosten wurden auf drei Milliarden US-Dollar veranschlagt. Die Technologie dafür lieferten Royal Dutch Shell und die südafrikanische Sasol.552 Allerdings kostet die Produktion ein Barrel Coal-to-liquid rund 40 US-Dollar. Demnach wird der Einsatz dieser Technologie erst ab einem Ölpreis von ca. 53 bis 65 US-Dollar pro Barrel wirtschaftlich. Kommt dazu noch die CCSTechnologie zum Einsatz liegen die Kosten zwischen 80 und 90 US-Dollar pro Barrel.553 Außerdem benötigt die Produktion von einem Barrel Coal-to-liquid fünf bis zehn Barrel Wasser. Wasser ist in vielen und vor allem den nördlichen Regionen Chinas jedoch Mangelware. Ein weiterer Nachteil ist, dass die bei der Produktion entstehenden CO2-Emissionen in Verbindung mit der CCSTechnologie doppelt so hoch sind, wie bei der Produktion eines herkömmlichen Barrel Erdöl.554 Ohne CCS sind die Emissionen bis zu acht Mal höher als bei Diesel. Aus diesen Gründen ist das Verfahren auch in China umstritten. Die finanzielle Förderung erfolgt – nicht zuletzt deshalb – mit ausländischem Kapital. So hat auch der deutsche Autohersteller BMW ein Interesse an der weiteren Entwicklung von Coal-to-Liquid-Verfahren.555
4.4.3.5 Zwischenergebnis Kohle Sowohl CCS als auch Coal-to-liquid sind auch in der VR China keine Option zur dauerhaften Lösung der Energie-, Umwelt- und Klimaprobleme. CCS steht in wirtschaftlich sinnvollem Rahmen noch nicht zur Verfügung. Coal-to-liquid ist zu energieintensiv und noch CO2-intensiver als der dadurch ersetzte Energieträger Erdöl. Die Substitution von Kohle durch Erdgas ist allerdings in großem Maßstab auch noch nicht möglich, da die entsprechenden Produktions- bzw. Importkapazitäten fehlen. Könnten die Verhandlungen und der Bau von Pipelines aus Russland und der Kaspischen Region schneller abgeschlossen werden, so 551
Die Shenhua Group ist einer der größten Kohleproduzenten Chinas. Neben der Produktion verfügt Shenhua über eine Kohlekraftwerkskapazität von 13 GW und 1.500 km Eisenbahnnetz und zwei Häfen. IEA (2007): Coal Information 2007; OECD/IEA; Paris; I.33. 552 Shenhua Group: Coal liquefaction segment; in: Shenhua Group Online; http://www.shenhuagroup.com.cn/english/ywbk/mzy.htm; Zugriff: 29.08.2008; IEA (2007): Coal Information 2007; OECD/IEA; Paris; I.32. 553 Kriz, Margaret (2007): Liquid Coal; in: National Journal; Vol. 39; Issue 1; S. 30-35; Washington; S. 32. 554 Gespräch mit einem Energieexperten der RAG im Dezember 2007. 555 Vortrag von Valentin, Daniel (2008): The comeback of Coal-to-Liquids (CTL) technologies in the U.S. and China; Konferenz: Energy &Climate Policy- Towards a Low Carbon Future; Salzburg; 17.09.2008.
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4 Die Energiepolitik der VR China
könnte auch der Anteil der Kohle am chinesischen Energiemix rascher reduziert werden. So wird Kohle in China der Hauptenergieträger bei Wärme als und bei Strom bleiben. Das wiederum bedeutet, dass die Luftverschmutzung und deren Folgen für die Gesundheit und die Umwelt nicht nur kurz- oder mittelfristig sondern über einen langen Zeitraum ein gravierendes Problem in China bleiben werden. Abhilfe könnte hier durch einen kostengünstigen Technologietransfer bei Energiegewinnung, -effizienz und -einsparung aus den hochentwickelten Ländern geschaffen werden. Dabei ist aber auch darauf zu achten, um welche Technologie es sich handelt. Beispielsweise wird der Ausbau der Atomtechnologie von Konzernen wie der französischen Areva oder die US-amerikanische Westinghouse auch in China befürwortet. Allerdings ist deren Umweltverträglichkeit auch in der chinesischen Regierung umstritten.
4.4.4 Atom Der Kernkraftwerkspark der VR China hatte im Jahre 2008 mit elf Reaktoren eine installierte Gesamtkapazität von 8.958 MWe.556 Laut Angaben der International Atomic Energy Agency (IAEA) sind sechs weitere Kraftwerke im Bau befindlich. Die geplante Bauzeit beläuft sich nach Vorgaben der Regierung auf jeweils fünf Jahre. Die tatsächliche Zeit vom ersten Spatenstich bis zur Integration ins Stromnetz beträgt zwischen vier und sechs Jahre (Tab. 11). Dazu kommt eine entsprechende Vorlaufzeit für die Genehmigungsverfahren. Laut dem elften Fünfjahresplan soll die Kapazität von 1,4 Prozent an der gesamten Stromversorgung im Jahre 2007 auf vier Prozent bzw. 40.000 MWe im Jahre 2020 ausgebaut werden. Das würde einen Neubau von etwa 30 neuen großen (mehr als 1.000 MW) Reaktoren bedeuten – mit anderen Worten zwei neue Kraftwerke pro Jahr.557 Allerdings verzögert sich die Bauwelle bisher, so dass der Investitionsdruck von Seiten der Regierung wachsen müsste, wenn das Ziel noch erreicht werden soll. 556
MWe bedeutet „Megawatt elektrische Leistung“ und ist ein Teil der gesamten installierten Leistung eines Kraftwerks die in MW dargestellt wird. Da auch in Atomkraftwerken Wärme und Strom produziert wird, wird die Gesamtleistung (MW) in thermische Leistung (MWt) und elektrische Leistung (MWe) unterteilt. 557 Lester, K. Richard; Steinfeld, Edward S. (2007): The Coal Industry in China; Industrial Performance Center; Massachusetts Institute for Technology; Cambridge; S. 14.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
259
Wie aus Tabelle 11 hervorgeht werden frühestens im Jahr 2010 zwei, im Jahr 2011 ein neues Kraftwerk ans Netz gehen. Für die Fertigstellung der weiteren drei Kraftwerke, die noch im Bau befindlich sind, steht noch kein Datum fest. Die Regierung hat im elften Fünfjahresplan Standorte für zusätzliche 49 Atomkraftwerke bestimmt, die über 16 Provinzen verteilt liegen und eine Kapazität von 47.000 bis 52.000 MWe verfügen sollen. Allerdings ist noch keine Entscheidung getroffen worden, wann mit dem Bau begonnen werden kann.558 Abbildung 50: Atomstrom Verbrauch in der VR China
Quelle: BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff: 26.06.2008.
558 Kadak, Andrew C. (2006): Nuclear Power: “Made in China”; in: Brown Journal of World Affairs; Vol. 13; Issue 1; http://web.mit.edu/pebble-bed/papers1_files/Made%20in%20China.pdf; Zugriff: 10.09.2008; S. 4.
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4 Die Energiepolitik der VR China
Tabelle 11: Atomkraftwerke in der VR China (2008) Name
Type
Status
Location
Capacity (MWe) Net Gro ss 944 984
Construction started
Date Connected 31.08. 1993 07.02. 1994 k.A.
Owner/ Joint Venture
OperatiGuang07.08.1987 GNPJVC1 onal dong Framatome PWR OperatiGuang944 984 07.04.1988 GNPJVC onal dong Framatome PWR Under Liaoning 1.00 1.08 18.08.2007 LHNPC2 Constr 0 0 PWR OperatiGuang938 990 15.05.1997 26.02. LHNPC onal dong 2002 Framatome PWR OperatiGuang938 990 28.11.1997 15.12. LHNPC Lingao 2 onal dong 2002 Framatome PWR Under Guang1.00 1.08 15.12.2005 31.08. LHNPC Lingao 3 Constr dong 0 7 2010 Framatome PWR Under Guang1.00 1.08 15.06.2006 k.A. LHNPC Lingao 4 Constr dong 0 6 Framatome PWR Under Fujian 1.00 1.08 18.02.2008 k.A. GNPJVC Ningde 1 Constr 0 7 NNPC3 4 PWR OperatiZhejiang 288 310 20.03.1985 15.12. QNPC Qinshan 1 onal 1991 PWR OperatiZhejiang 610 650 02.06.1996 06.02. NPPQJVC5 Qinshan onal 2002 2-1 PWR OperatiZhejiang 610 650 01.04.1997 03.11. NPPQJVC Qinshan onal 2004 2-2 PWR Under Zhejiang 610 650 28.03.2006 28.12. NPPQJVC Qinshan Constr 2010 2-3 PWR Under Zhejiang 610 650 28.01.2007 28.09. NPPQJVC Qinshan Constr 2011 2-4 PHW OperatiZhejiang 650 700 08.06.1998 19.11. TTQJVC6 Qinshan R onal 2002 Candu-6, 3-1 PHW OperatiZhejiang 650 700 25.09.1998 12.06. TTQJVC Qinshan R onal 2003 Candu-6, 3-2 PWR OperatiJiangsu 1.00 1.00 20.10.1999 12.05. JNPC Tianwan onal 0 0 2006 Russland 1 PWR OperatiJiangsu 1.00 1.00 20.10.2000 14.05. JNPC Tianwan onal 0 0 2007 Russland 2 1 Guangdong Nuclear Power Joint Venture Co.Ltd. 2 Liaoning Hongyanhe Nuclear Power Co. Ltd. 3 Betreiber: Ningde Nuclear Power Company Ltd. 4 Qinshan Nuclear Power Company 5 Nuclear Power Plant Qinshan Joint Venture Company 6 The Third Qinshan Jointed Venture Company Ltda. 7 Jiangsu Nuclear Power Corporation Quelle: IAEA (2008): China, People’s Republic of: Nuclear Power Reactors; in: IAEA Online; http://www.iaea.org/programmes/a2/index.html; Zugriff: 10.09.2008. Guangdong-1 Guangdong-2 Hongyandhe 1 Lingao 1
PWR
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
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Trotz dieser Verzögerung beim Ausbau der Atomenergie, gilt China neben den USA als entscheidend für eine weltweite Renaissance dieser Technologie.559 Letztlich stieg der Konsum von Atomstrom – und somit auch die Produktion, da China kein Stromexporteur ist – von 1,6 Terrawatt Stunden (TWh) im Jahre 1992 auf 62,9 TWh im Jahre 2007 (Abb. 50). Das entspricht einem Weltanteil von 2,3 Prozent. Damit liegt die Volksrepublik zusammen mit Großbritannien beim Verbrauch auf Platz neun in der globalen Rangliste.560 Beim Abbau von Uran lag China im Jahre 2007 mit 712 Tonnen pro Jahr weltweit auf Platz zehn. Dies entspricht jedoch nur 1,72 Prozent am globalen Anteil. Weltweit führend sind Kanada mit 9.476 Tonnen pro Jahr (23 Prozent), Australien 8.611 Tonnen pro Jahr (21 Prozent) und Kasachstan mit 6.637 Tonnen pro Jahr (16 Prozent).561 Mit gesicherten Uranreserven von etwa 169.100 Tonnen562 könnte China sich kurzfristig gesehen selbst versorgen. Darüber hinaus hat die China National Nuclear Corporation (CNNC) für die Aufnahme von Beziehungen auf der internationalen Ebene die China Nuclear International Uranium Corporation (SinoU) gegründet. SinoU betreibt inzwischen eine Uranmine im Niger und bemüht sich um Schürfrechte in Kasachstan, Usbekistan, der Mongolei, Namibia und Algerien sowie in Kanada und Südafrika.563 Die internationale Zusammenarbeit hinsichtlich der Versorgung mit Uran ist seit ein paar Jahren von Erfolg gekennzeichnet. So hält beispielsweise die Sinosteel Corporation bei PepinNini Minerals Ltd. in Australien einen Minoritätsanteil und ist mit 60 Prozent an einem Joint Venture mit PepinNini zur Entwicklung einer Uranmine in Südaustralien beteiligt. Neben anderen Beteiligungen hat China mit Australien ein bilaterales Schutzabkommen unterzeichnet, das den Export von Uran in Richtung der Volksrepublik erlaubt. Weitere Zusammenarbeit betreibt China Guangdong Nuclear Power Holding Co., Ltd. (CGNPC) mit Areva bei Projekten in Afrika und CNNC mit der kanadischen Sparton Resources.564 559 Zur Vertiefung dieses Themas: Mez, Lutz; Schneider, Mycle; Thomas, Steve (Hg.) (2009): International Perspectives on Energy Policy and the Role of Nuclear Power; Multi-Science Publishing; Essex. 560 BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff: 26.06.2008. 561 World Nuclear Association (2008): World Uranium Mining; in: World Nuclear Association Online; http://world-nuclear.org/info/inf23.html; Zugriff: 10.09.2008. 562 Laut OECD sind die Reserven in folgende Abbaukostenkategorien gegliedert: 39.300 Tonnen für 40 US-Dollar/kg; 61.900 Tonnen für 80 US-Dollar/kg; 67.900 Tonnen für 130 US-Dollar/kg. OECD (2008): Uranium 2007: Resources, production and Demand; OECD; Paris; S. 16. 563 World Nuclear Association (2008): Nuclear Power in China; in: World Nuclear Association Online; http://www.world-nuclear.org/info/inf63.html; Zugriff: 09.09.2008. 564 World Nuclear Association (2008): Nuclear Power in China; in: World Nuclear Association
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4 Die Energiepolitik der VR China
Aber nicht nur bei der Suche nach und Entwicklung von Uranminen hat sich China in der internationalen Zusammenarbeit etabliert. Die ganze Historie des Atomprogramms in der Volksrepublik wäre ohne zwischenstaatliche Kooperation nicht denkbar gewesen.
4.4.4.1 Die historische Perspektive der Atompolitik in der VR China Die internationale Unterstützung im Bereich der Nukleartechnik begann mit dem Freundschaftsvertrag zwischen der Sowjetunion und der VR China im Februar 1950. Dieser beinhaltete eine politische und militärische Kooperation der beiden Länder. Die Regierungen in Moskau und Beijing sahen einen jeweiligen Nutzen in der Zusammenarbeit, um im beginnenden Kalten Krieg einer Einkreisung durch die US-Verbündeten Japan und Taiwan entgegenzuwirken. Zudem brauchte China Unterstützung bei seiner Ein-China-Politik, in der Hoffnung, die Republik China rasch wieder ins Mutterland einzugliedern zu können. Ein dritter Grund war für Beijing in den Genuss von Wirtschaftshilfe und Technologie aus der benachbarten Sowjetunion zu kommen.565 Das militärische Atomprogramm Im Atombereich erhielt China die Hilfe in Form eines Know-how- und Technologietransfers aus der Sowjetunion. Dies geschah in Form von Beratern für die technische Schulung und Uranlieferungen, Versuchsreaktoren, Gasdiffusionsanlagen zur Urananreicherung und eines Teilchenbeschleunigers.566 1957 entstand mit sowjetischer Hilfe das erste chinesische Institut für Atomenergie in Shanghai. Im selben Jahr wurde ein Vertrag über die Stationierung von Raketenbasen für Boden-/Boden- und Boden-/Luftraketen unterzeichnet.567 Allerdings änderte sich das Verhältnis zwischen den beiden Staaten, nachdem Stalin gestorben und der damalige erste Sekretär der KPdSU und Vorsitzende des Ministerrats Nikita Chruschtschow den Umgangston gegenüber der Volksrepublik verschärfte. Nach einer Reise Chruschtschows nach Beijing im Jahre 1959, um mit Mao über den Plan eines Atomwaffensperrvertrags zu diskutieren, der bei einem Besuch vom US-Präsidenten Eisenhower in Moskau entOnline; http://www.world-nuclear.org/info/inf63.html; Zugriff: 09.09.2008. 565 Roy, Denny (1998): China’s Foreign Relations; Palgrave Macmillan; London; S. 112. 566 Göbbel, Heide-Marie (1980): VR China Atomwirtschaft und Politik; Trikont; München; S. 26 f., S. 46. 567 Kristensen, Hans M. (2006): Nuclear Weapons; in: Federation of American Scientists Online; http://www.fas.org/nuke/guide/china/nuke/index.html; 10.09.2008.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
263
standen war, schürte Mao das Misstrauen gegenüber dem Kreml. Diese Entwicklung in der Mao die Befürchtung hatte, Moskau wolle die Kontrolle über Beijing, führte schließlich im Jahre 1959 zum Bruch mit der Sowjetunion.568 Die kurze Periode der Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten war jedoch Grundstein für die Entwicklung des chinesischen Atomprogramms. So wurden rund 15.000 Wissenschaftler in den Jahren zwischen 1953 und 1960 in Moskau und etwa 170.000 Arbeiter in China durch sowjetische Experten ausgebildet.569 Bereits 1955 war es der VR China gelungen U-235- bzw. U-238Isotope physikalisch zu trennen, um gegebenenfalls eine Bombe durch Implosion detonieren lassen zu können. Durch die Mischung aus Know-how- und dem entsprechenden Technologietransfer konnten chinesische Wissenschaftler schließlich am 16. September 1964 ihren ersten Atombombenversuch auf der Insel Lop Nur durchführen. Am 25. Oktober 1966 startete die erste chinesische Rakete, die mit nuklearen Sprengkörpern bestückt werden konnte. Im Jahre 1967 zündete die erste chinesische Wasserstoffbombe.570 Ab 1968 gingen nukleare, und 1974 thermonukleare Sprengköpfe in Serie.571 Im Jahre 1972 startete das Projekt 728 für den Bau von nuklearbetriebenen U-Booten.572 Eingeleitet durch einen sowjetischen Technologietransferimpuls wurde dadurch das chinesische militärische Atomprogramm weiterentwickelt, was es China ermöglichte sich frühzeitig in den Club der Atommächte einzureihen. Über welches atomare Waffenpotential die Volksrepublik heute (Stand 2009) verfügt, ist nicht geklärt, da das Programm nach wie vor der höchsten Geheimhaltungsstufe unterliegt. Die Schätzungen sind zwischen 200 und 2.000 Atomwaffen angesiedelt, wobei die Wahrheit irgendwo dazwischen liegen dürfte.573
Das zivile Atomprogramm Neben diesem von vornherein recht ambitionierten Atomwaffenprogramm startete die zivile Nutzung der Technologie zur Stromerzeugung vergleichsweise spät. 568
Roy, Denny (1998): China’s Foreign Relations; Palgrave Macmillan; London; S. 107-109. Möller, Kay (2005): Die Außenpolitik der Volksrepublik China 1949-2004; VS Verlag für Sozialwissenschaften; Wiesbaden; S. 44. 570 Global Security: Nuclear Weapons; in: Global Security Online;
&7
wmd/world/china/nuke.htm; Zugriff: 08.09.2008. 571 Göbbel, Heide-Marie (1980): VR China Atomwirtschaft und Politik; Trikont; München; S. 21. 572 Yi-chong, Xu (2008): Nuclear energy in China: Contested regimes; in: Energy; Vol. 33; S. 11971205; Elsevier; S. 1198. 573 Global Security: Nuclear Weapons; in: Global Security Online;
&7
world/china/nuke.htm; Zugriff: 08.09.2008. 569
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4 Die Energiepolitik der VR China
Erst 1985 begann die staatliche CNNC mit dem Bau eines Atomkraftwerks in Qinshan. Der Reaktor wird von chinesischer Seite oftmals nicht nur als erstes Atomkraftwerk auf chinesischem Boden, sondern auch als das erste ohne ausländische Hilfe sondern nur mit chinesischer Technologie gebaute bezeichnet. Das stimmt jedoch nicht ganz. China war bei Qinshan und Daya Bay auf französische Technologie zur Herstellung von Kernbrennstoffen angewiesen. Das Research Institute for Nuclear Service Operation war von vornherein ein Joint Venture mit der US-amerikanischen Westinghouse; die Fachkräfte für Qinshan wurden von spanischen Experten ausgebildet und die Kühlungs- und Injektionspumpen im ersten chinesischen Reaktor stammten aus der Bundesrepublik Deutschland.574 Um diesen Technologietransfer reibungslos durchzuführen war China im Jahre 1984 der IAEA beigetreten, die 1986 zwei Ausbildungszentren für chinesisches Personal im Bereich der Nukleartechnologie aufbaute. Weiteres Knowhow erwarb sich China durch bilaterale Abkommen unter anderem mit Dänemark, der Schweiz, Finnland und Norwegen. Allein zwischen 1980 und 1987 reisten über 100 chinesische Delegationen ins Ausland, um internationale Kontakte im Nuklearbereich aufzubauen und zu pflegen.575 Dennoch galten Kohle und Wasserkraft bis dahin als die billigeren Technologien zur Stromerzeugung. Nur für Regionen, in denen durch den wirtschaftlichen Aufschwung vermehrt Elektrizität nachgefragt wurde, die aber weit entfernt von Kohlereserven und für Wasserkraft geeigneten Strömen lagen wurde in den 1980er Jahren der Bau von Atomanlagen vorgesehen (Abb. 51). So entstanden die beiden Druckwasserreaktoren (PWR) in Guangdong (Daya Bay 1) mit Unterstützung der französischen Framatome – heute Areva (Stand 2009). Die beiden 984 MWe Reaktoren gingen aber erst zwischen 1993 und 1994 ans Netz (Tab. 11). Zu diesem Zeitpunkt wurde China erneut Nettoimporteur von Erdöl, was ein Umdenken in der Energiesicherheitsstrategie nach sich zog. Die Volksrepublik verstärkte ihre Strategie der Selbstversorgung mit ausländischen Partnerschaften, die es mit dem parallelen Bau von Qinshan 1 und Daya Bay 1 begonnen hatte und startete 1996 und 1997 zusammen mit Framatome die Konstruktion von Qinshan 2 und Lingao 1 + 2.576 Mit den Engpässen in der Stromversorgung Anfang des neuen Jahrtausends verstärkte China seine atomaren Energieanstrengungen und auch die internationale Zusammenarbeit.577 574
Yi-chong, Xu (2008): Nuclear energy in China: Contested regimes; in: Energy; 1205; Elsevier; S. 1203. 575 Yi-chong, Xu (2008): Nuclear energy in China: Contested regimes; in: Energy; 1205; Elsevier; S. 1198. 576 Yi-chong, Xu (2008): Nuclear energy in China: Contested regimes; in: Energy; 1205; Elsevier; S. 1198. 577 Gu, Xuewu; Mayer, Maximilian (2007): Chinas Energiehunger: Mythos oder
Vol. 33; S. 1197Vol. 33; S. 1197Vol. 33; S. 1197Realität?; Olden-
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
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Durch Unterstützung aus Kanada entstanden mit der CANDU-Technologie Qinshan 3A und B. Inzwischen ist auch die Zusammenarbeit bei der Atomtechnologie mit Russland für China wieder en vogue. So gingen 2006 und 2007 in Jiangsu zwei Leichtwasserreaktoren mit Technologie aus dem Nachbarland ans Netz.578 Abbildung 51: Atomkraftwerke in der VR China
Quelle: World Nuclear Association (2008): Nuclear Power in China; in: World Nuclear Association Online; http://www.world-nuclear.org/info/inf63.html; Zugriff: 09.09.2008.
Laut dem im Jahre 2002 veröffentlichten Short- and Medium-Term Plan for Nuclear Expansion sollte die Kapazität beim Atomstrom bis 2010 auf 20.000 MW und bis zum Jahre 2020 auf 40.000 MW ausgebaut werden. Darin enthalten bourg; München, Wien; S. 145. 578 Sternfeld, Eva (2007): Development of Civil Nuclear Power Industry in China; in: WISE/NIRS Nuclear Monitor Online; http://www10.antenna.nl/wise/index.html?http://www10.antenna.nl/wise/65 5/5799.php; Zugriff: 15.07.2008.
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4 Die Energiepolitik der VR China
war auch die Weiterentwicklung der eigenen Produktionsreihe durch CNNC, die die zweite chinesische Reaktorgeneration, den CNP1000, hervorbringen sollte. Inzwischen wurde das Ziel für das Jahr 2010 auf 10.000 MW reduziert.579 Dies ist nicht zuletzt den Verzögerungen im Atomprogramm geschuldet, die das Erreichen der vorher definierten Ziele unmöglich machen. Der Bau bei Atomkraftwerken beschränkt sich in China nach wie vor auf die hochentwickelten Küstengebiete (Abb. 51), in denen es an anderen Möglichkeiten zur Stromerzeugung mangelt. In anderen Provinzen gibt es noch keine konkreten neuen Baumaßnahmen, was nicht zuletzt an Ressentiments gegenüber der Technologie bei einigen Regierungsmitgliedern geschuldet ist. Zwar wurde der Status für den Ausbau der Kernenergie in den entwicklungspolitischen Richtlinien für Kernenergie vom Frühjahr 2006 von „gemäßigter Entwicklung“ auf „energisches Vorantreiben“ drastisch erhöht, dennoch wird der Ausbau von großer Wasserkraft, Kohle- und Erdgaskraftwerken mit mehr Investitionsmitteln vorangetrieben. Dies geschieht nicht zuletzt, da auch in China noch kein Endlager für atomaren Abfall existiert.580
4.4.4.2 Die Handhabung des Atommülls In der Regierung und in der Atomindustrie Chinas ist das Ziel vorherrschend, den vollständigen Nuklearkreislauf zu beherrschen. Dazu gehört auch der Umgang mit dem entstandenen Atommüll. Hierbei gibt es zwei Möglichkeiten: Die abgebrannten Brennstäbe werden aufbereitet – wobei dann gleichzeitig Plutonium für die Zünder von Wasserstoffbomben entsteht – oder in ein Endlager gebracht. Vorerst hat sich die Regierung in Beijing mit der Atomindustrie auf die Option des Baus einer Wiederaufbereitungsanlage in Lanzhou geeinigt.
Wiederaufbereitung Mit einer Wiederaufbereitungsanlage allein lässt sich das chinesische Problem des Atommülls allerdings nicht lösen. Sollte die installierte Kapazität bis zum Jahre 2010 die 10.000 MWe Grenze überschreiten und bis 2020 bei 40.000 MWe angelangt sein, so stiege die Atommüllproduktion von 300 Tonnen im Jahre 2007 auf 1.000 Tonnen im Jahr 2020. Allein durch die beiden CANDU579
Yi-chong, Xu (2008): Nuclear energy in China: Contested regimes; in: Energy; Vol. 33; S. 11971205; Elsevier; S. 1199. 580 Gu, Xuewu; Mayer, Maximilian (2007): Chinas Energiehunger: Mythos oder Realität?; Oldenbourg; München, Wien; S. 148.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
267
Schwerwasserdruckreaktoren (Pressurised Heavy Water Reaktor (PHWR)), die nicht so viel Kernbrennstoff benötigen wie Druckwasserreaktoren (Pressurised Water Reaktor (PWR)), entstehen 176 Tonnen hochradioaktiver Müll pro Jahr.581 Da der hochradioaktive Abfall in Hallen direkt bei den Kraftwerken zwischengelagert wird und diese Kapazität begrenzt ist, wird der Müll mit Lkws zur Wiederaufbereitungsanlage in Lanzhou – dem Lanzhou Nuclear Fuel Complex – gebracht. Dabei müssen weite Strecken überwunden werden, was den Transport letztlich zum Risiko macht. So beträgt die Entfernung zwischen Daya Bay und Lanzhou in etwa 4.000 km.582 Mit dem Bau des Lanzhou Nuclear Fuel Complex, der ein zentrales Zwischenlager für hochradioaktive Stoffe darstellt wurde im Jahre 1994 begonnen. Das anfänglich geplante Fassungsvermögen beträgt 550 Tonnen, kann aber nach Angaben des Betreibers verdoppelt werden. Dazu kommt eine Wiederaufbereitungsanlage im Pilotstadium mit einer Kapazität von 50 Tonnen pro Jahr, die 2006 fertig gestellt wurde. Bis Ende 2008 soll sie ihre Maximalgröße von 100 Tonnen pro Jahr erreicht haben. Danach soll mit dem Bau einer größeren kommerziell betriebenen Anlage in Xinjiang begonnen werden. Laut CNNC ist die Fertigstellung mit weiterentwickelter heimischer Technologie im Jahre 2020 geplant.583 Zudem hat CNNC im November 2007 eine Vereinbarung mit Areva unterschrieben, der zufolge eine Wiederaufbereitungsanlage mit einer Kapazität von 800 Tonnen pro Jahr errichtet werden soll. Das Investitionsvolumen für die Anlage in der Provinz Gansu ist mit 15 Milliarden Euro angesetzt. Sie soll ab 2025 von Areva betrieben werden.584 Aufgrund der weiten Entfernungen fordern die Betreiber der Kernkraftwerke indessen den Bau von Wiederaufbereitungsanlagen direkt bei den Reaktoren, um den Risiken des Transports vorzubeugen. Zudem wird über den Bau von schnellen Brütern nachgedacht, die Uran-238 verwerten können, wobei Plutonium entsteht, das wiederum für die Stromgewinnung eingesetzt werden soll, aber auch militärisch genutzt werden kann.585 581 World Nuclear Association (2008): Nuclear Power in China; in: World Nuclear Association Online; http://www.world-nuclear.org/info/inf63.html; Zugriff: 09.09.2008. 582 Kadak, Andrew C. (2006): Nuclear Power: “Made in China”; in: Brown Journal of World Affairs; Vol. 13; Issue 1; http://web.mit.edu/pebble-bed/papers1_files/Made%20in%20China.pdf; Zugriff: 10.09.2008; S. 13. 583 World Nuclear Association (2008): Nuclear Power in China; in: World Nuclear Association Online; http://www.world-nuclear.org/info/inf63.html; Zugriff: 09.09.2008. 584 World Nuclear Association (2008): Nuclear Power in China; in: World Nuclear Association Online; http://www.world-nuclear.org/info/inf63.html; Zugriff: 09.09.2008. 585 Kadak, Andrew C. (2006): Nuclear Power: “Made in China”; in: Brown Journal of World Affairs; Vol. 13; Issue 1; http://web.mit.edu/pebble-bed/papers1_files/Made%20in%20China.pdf; S. 13; Zugriff: 10.09.2008.
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4 Die Energiepolitik der VR China
Die Risiken und Umweltschäden, die bei der Wiederaufbereitung immer gegeben sind, werden bei diesen Planungen nicht mit berücksichtigt. So werden laut Greenpeace Schweiz aus den Wiederaufbereitungsanlagen La Hague (Frankreich) und Sellafield (Großbritannien) jeden Tag rund zehn Millionen Liter radioaktiv verseuchtes Abwasser in den Ärmelkanal und die Irische See gepumpt.586 Die daraus entstehenden Schäden für die Umwelt sind nicht abzusehen. Ähnlich riskant und heiß diskutiert, aber dennoch früher oder später notwendig ist auch für die VR China ein Endlager für hochradioaktive Stoffe.
Endlagerung Bei der Suche nach einem Endlager hat sich China ein Gebiet im Nordwesten in Beishan, Nahe der Wüste Gobi, ausgewählt. Die Gegend ist dünn besiedelt und sehr trocken. Das Endlager soll in die unter der Erde befindlichen Granitformationen eingelassen werde. Nach den ersten Untersuchungen wird ein Underground Research Laboratory bis 2015 entstehen. Das Endlager soll daraufhin im Jahre 2040 eröffnet werden. Interesse an dem Endlager haben auch Australien und Japan geäußert, die beide selbst nach einem Ort suchen, an dem hochradioaktive Stoffe über einen Zeitraum von einer Million Jahren von der Biosphäre abgeschirmt werden können.587 Wie in anderen Staaten auch, wird bis dahin der hochradioaktive Müll bei Atomreaktoren angesammelt, beziehungsweise zur Wiederaufbereitungsanlage gebracht werden. Bisher ist in der Volksrepublik das Problem der dauerhaften Einlagerung des Atommülls nicht gelöst. China ist – wie alle anderen Staaten mit einem Atomprogramm – mit Technologiebegeisterung in ein Flugzeug gestiegen, ohne einen Plan für die Landung entworfen zu haben. Dieses Problem fließt auch in die politische Debatte in der Volksrepublik mit ein.
4.4.4.3 Die Machtverhältnisse zwischen Wirtschaft und Politik Die Begründung der Befürworter in der chinesischen Regierung mit Hilfe der staatseigenen Konzerne, das Atomprogramm weiter zu betreiben lässt sich in drei Punkte gliedern. Erstens verursacht das rapide Wirtschaftswachstum einen 586
Greenpeace Schweiz: Wiederaufbereitung; in: Greenpeace Schweiz Online; http://www.greenpeace.ch/themen/atom/atommuell/wiederaufbereitung/; Zugriff: 09.09.2008. Kadak, Andrew C. (2006): Nuclear Power: “Made in China”; in: Brown Journal of World Affairs; Vol. 13; Issue 1; http://web.mit.edu/pebble-bed/papers1_files/Made%20in%20China.pdf; S. 14; Zugriff: 10.09.2008. 587
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
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enormen Mehrbedarf an Energie – vor allem in Regionen, in denen es kaum Kohle und Wasserkraft gibt. Die Transportkosten (Infrastruktur und Energiebedarf) sind so hoch, dass eine alternative Energieversorgung gefunden werden musste. Zweitens wurde China 1993 zum Nettoimporteur von Erdöl und 2007 zum Nettoimporteur von Kohle. Um den Eigenbedarf an Elektrizität weiterhin selbst produzieren zu können und Stromengpässen, wie in den Jahren 2003 und 2004 vorzubeugen, werden alle Energieträger gefördert, die zur Stromgenerierung geeignet sind. Drittens beträgt der Anteil von Kohle an der Stromproduktion nach wie vor 80 Prozent, wodurch eine immense Umweltverschmutzung verursacht wird. Laut Weltbank werden dadurch Folgeschäden in Höhe von acht Prozent des BIP verursacht.588 Da die chinesische Energiesicherheitsstrategie keinen Ausstieg aus der Atomenergie vorsieht, sind die Kernpunkte der Debatte in welcher Geschwindigkeit und mit welcher Technologie die Atomkraft ausgebaut werden soll. Auf der einen Seite steht die Aussage, dass die nukleare Stromgewinnung drastisch vorangetrieben werden muss, auf der anderen Seite wurde aber das Ziel für 2010 von 20.000 MW auf 10.000 MW reduziert. Im Jahre 2002 erklärte Hu Jintao, in seiner damaligen Funktion als Vizepräsident, dass „nuclear energy industry is a strategic industry and China needs to develop its own technology for its expansion. No money can buy the core technology. Developing indigenous design and technology is the only way for nuclear expansion.“ Dafür soll die heimische Entwicklungslinie bei Reaktoren beschleunigt werden. Denn die Kosten für den Reaktortyp AP1.000 von Westinghouse liegen bei etwa 2.300 US-Dollar/kW und in etwa zwei Milliarden US-Dollar pro Stück. Ein heimischer CNP1.000 wird aber mit 1.300 USDollar/kW und eine 1.000 MW Einheit ca. eine Milliarden US-Dollar veranschlagt. Das bedeutet, wenn alle neuen Kernkraftwerke bis 2020 mit ausländischer Technologie errichtet werden sollten, wären dies Mehrkosten von über 30 Milliarden US-Dollar.589 Andererseits gewann Westinghouse ein Bieterverfahren im Jahre 2005 gegen Areva und die russische Atomstroyexport, nicht zuletzt mit Unterstützung von US-Außenministerin Condoleezza Rice und Vizepräsident Dick Cheney. Das löste Befürchtungen bei den chinesischen Entscheidungsträgern aus, dass Japan die Kontrolle über den chinesischen Kernenergiemarkt bekommt, denn Mitsubishi Heavy Industries wollte Westinghouse Anfang des Jahres 2006 für 5,4 Milliarden US-Dollar übernehmen. Zudem wurde in den Jahren zwischen 588
Yi-chong, Xu (2008): Nuclear energy in China: Contested regimes; in: Energy; Vol. 33; S. 11971205; Elsevier; S. 1199. 589 Yi-chong, Xu (2008): Nuclear energy in China: Contested regimes; in: Energy; Vol. 33; S. 11971205; Elsevier; S. 1201f.
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1996 und 2003 kein einziger Reaktor aus der Produktion von Westinghouse ans Netz genommen. Damit konnte auch nicht aus Erfahrungen mit solchen Reaktor gelernt oder Kinderkrankheiten beseitigt werden.590 Auch zwischen der Atomindustrie und der Regierung wurde in diesem Zusammenhang heftig gestritten. So kritisierte CNNC die NDRC, dass sie ihre Politik der „combining self-reliance with foreign partnership“ im elften Fünfjahresplan gestrichen und durch die Aufforderung zum Ankauf der Technologie, die am weitesten entwickelt wurde, ersetzt hatte. Dies, so CNNC, gefährde auf lange Sicht die Entwicklung der heimischen Atomindustrie. Trotz dieser internen Auseinandersetzungen wurde im Dezember 2006 zwischen dem US-Department for Energy und der NDRC ein Memorandum of Understanding unterzeichnet, demzufolge Westinghouse in Sanmen und Yangjiang jeweils zwei Reaktoren bauen darf und chinesische Atomwissenschaftler bei der Entwicklung und beim Bau mitwirken können.591 Dadurch wurde aus „combining self-reliance with foreign partnership“ eher die Phrase „combining foreign partnership with technology transfer“. Das bedeutet aber wiederum, dass sich die NDRC weitgehend gegenüber der CNNC durchsetzen konnte und das trotz einer Machtkonstellation, die aufgrund des finanziellen Kapitals und der weitaus besseren Ausstattung mit Mitarbeitern, zugunsten der Industrie eingeschätzt wird.592 Auch an der öffentlichen Meinung wird der weitere Ausbau der Kernenergie in China nicht scheitern. Laut dreier Umfragen, die zwischen 2002 und 2006 von der Tsinghua Universität in Beijing in Auftrag gegeben wurden, befürworten um die 80 Prozent der Bevölkerung die Kerntechnologie. Allerdings wird dieses Ergebnis durch den Wissensstand über dieses Feld relativiert. Nach einer weiteren Studie haben über 76 Prozent der chinesischen Bevölkerung nur oberflächlich etwas über Atomenergie gehört, verfügen aber über kein tieferes Wissen. Auch wird in den chinesischen Medien, außer in den Fachzeitschriften für höher gebildetes Publikum, nicht auf die Gefahren der Kernenergie hingewiesen. Laut einer dritten Studie könnte es lokal zu Protesten gegen den Bau von Atomkraftwerken kommen, denn die Hälfte der Bevölkerung lehnt die Errichtung eines Kernreaktors in der näheren Umgebung ihres Wohnortes ab.593 590
Gu, Xuewu; Mayer, Maximilian (2007): Chinas Energiehunger: Mythos oder Realität?; Oldenbourg; München, Wien; S. 148; Yi-chong, Xu (2008): Nuclear energy in China: Contested regimes; in: Energy; Vol. 33; S. 1197-1205; Elsevier; S. 1202. 591 Hibbs, Mark; Weil, Jenny (2006): Westinghouse wins China contract; Chinese look at next expansion; in: Nucleonics Week; Vol. 47; Nr. 51; S. 1. 592 Downs, Erica (2006): Grappling with rapid energy demand growth; The Brookings Foreign Policy Studies Energy Security Series; China; S. 15. 593 Gu, Xuewu; Mayer, Maximilian (2007): Chinas Energiehunger: Mythos oder Realität?; Oldenbourg; München, Wien; S. 152; Yi-chong, Xu (2008): Nuclear energy in China: Contested regimes; in: Energy; Vol. 33; S. 1197-1205; Elsevier; S. 1203f.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
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Letztlich verläuft die Entwicklung des Atomsektors nicht so schnell, wie sie von manchen Kreisen in der chinesischen Industrie und Regierung gewünscht und prognostiziert wird. Die internen und bilateralen Debatten und Machtkämpfe zwischen Zentralregierung und Wirtschaft bremsen die weitere Entwicklung und führten zur Reduzierung der Ziele bis zum Jahre 2010. Dabei waren auch Argumente, wie das Fehlen eines Endlagers und den Anteil ausländischer Technologie und Investitionen entscheidend. Zudem gibt es auch in diesem Sektor einen enormen Fachkräftemangel. Es ist und wird fraglich bleiben, ob das Ziel eines vierprozentigen Anteils der Atomkraft an der nationalen Stromversorgung erreicht werden kann.594 Die Streitigkeiten im Atomenergiesektor verdeutlichen jedoch auch grundlegende Problematiken hinsichtlich der ganzen Energieversorgungspolitik. Einerseits möchte die Regierung eine autarke Versorgung mit Energie. Dem steht in diesem Sektor die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen wie der IAEA, die Abhängigkeit von Technologietransfer und der Import von Uran entgegen. Also versucht die Regierung einen Kurs einzuschlagen, der dem Prinzip folgt: Eigenversorgung so weit wie möglich, internationale Kooperation wenn nötig. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf dem Import von Know-how, das dann in China zur Etablierung der eigenen Produktionslinie umgesetzt werden kann. Für die Durchsetzung der Politik ist allerdings wie bei den anderen Energieträgern auch, vorwiegend die NDRC mit ihren 175 Mitarbeitern zuständig (Kap. 4.7.4.1).
4.4.4.4 Zwischenergebnis Atom Wie in anderen Staaten auch verzögert sich der Ausbau der Atomenergie in der Volksrepublik. Insofern ist zwar die Strategie der Regierung zu erkennen, zur flächendeckenden Energieversorgung alle Energieträger zu verwenden. Die verschiedenen Energieträger sollen dann wiederum da eingesetzt werden, wo es laut Strategie am sinnvollsten ist. So ist die Atomenergie bisher auf die Bereiche der Ostküste beschränkt und wird nicht zur Elektrifizierung der autonomen Republiken Tibet oder Xinjiang verwendet. Das wäre der Regierung aufgrund von Sicherheitsbedenken zu heikel. Dort kommen andere Energieträger zum Einsatz. Trotz der ambitionierten Ziele der Regierung hinsichtlich des Ausbaus der 594
Zu den Risiken und der überschätzten Umweltverträglichkeit von Atomenergie siehe diverse Schriften von Lutz Mez, u.a.: Mez, Lutz (2007): Zukunft der Atomenergienutzung in Deutschland; in: fundiert. Wissenschaftsmagazin der Freien Universität Berlin; Themenheft Energie; H. 1, S. 106113 und Corbach, Matthias (2005): Atomenergie; in: Reiche, Danyel (Hg): Grundlagen der Energiepolitik; S. 99-116; Peter Lang; Frankfurt am Main.
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4 Die Energiepolitik der VR China
Atomenergie ist dieser Sektor allerdings kein Substitut für die Energieträger Erdöl und Erdgas. Sie könnte höchstens eine Ergänzung bei der Stromgeneration darstellen; allerdings auch nur in beschränktem Maße. So ist auch dieser Energieträger keine Alternative zu dem steigenden Import bei fossilen Brennstoffen aus der Kaspischen Region. Zudem stellt die Regierung in den letzten Jahren mehr finanzielle Mittel für den Ausbau der Wasserkraft und neuerer Technologien bei Kohlekraftwerken bereit, so dass anzunehmen ist, dass im Atomsektor mehr Kapazität in kürzerer Zeit aufgebaut werden wird. Letztlich ist eine sichere Stromversorgung bei allen Gefahren, die in der Atomtechnologie heute (Stand 2009) und, aufgrund der Abfallprodukte, in den nächsten hunderttausenden von Jahren liegen, eher mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien zu erreichen.
4.4.5 Erneuerbare Energie Durch das sich wandelnde Bewusstsein sowohl bei der Zentralregierung in Beijing als auch in der Bevölkerung der VR China, dass eine Industrialisierung der Wirtschaft auch ökologische Aspekte berücksichtigen muss, wird zunehmend Wert auf den Einsatz von Erneuerbaren Energien gesetzt.595 Die Regierung ist sich darüber bewusst, dass der chinesische Industrialisierungsprozess sich nicht über 150 Jahre hinziehen und dass dieser auch nicht mit der gleichen Umweltverschmutzung einhergehen kann, wie er in den westlichen Staaten während und nach der industriellen Revolution vonstatten gegangen ist. Trotzdem hat China im Juli 2009 erstmals eigene Klimaziele in die internationalen Verhandlungen eingebracht, wonach die Volksrepublik die CO2-Emissionen ab 2020 zumindest einschränken möchte.596
595
Laut den Aussagen des Geschäftsführers eines chinesischen Großunternehmens hat die Regierung in Beijing momentan drei Schwerpunkte herausgegeben: Verbesserung der Wasser- und Luftqualität sowie der Ausbau eines sozialen Netzes. Persönliches Gespräch mit dem Geschäftsführer eines chinesischen Großunternehmens im Wassersektor am 08. Mai 2008. 596 Bayrischer Rundfunk: China macht Zugeständnisse; in: BR-Online; http://www.br-on line.de/wissen/umwelt/klimawandel-DID1206608167923/klimawandel-klimakonferenz-kopenhage n-ID1247127677615.xml; Zugriff: 19.08.2009.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
273
Hinsichtlich Erneuerbarer Energien597 ist es das Ziel Beijings bis zum Jahre 2020 allein 800 Milliarden Yuan (ca. 114 Milliarden US-Dollar oder 74 Milliarden Euro) zu investieren. Bis zum Jahr 2020 sollen 16 Prozent der Primärenergie in der VR China in diesem Bereich produziert werden. Die NDRC hat in ihrem Eleventh Five Year Program for the Development of Renewable Energies vom 18. März 2008 das Ziel wiederholt, dass der jährliche Verbrauch von Erneuerbaren Energien bis zum Jahre 2010 einen Anteil von zehn Prozent der Gesamtenergiekonsumtion erreichen soll. Im Vergleich zu 2005, als der Anteil am Gesamtverbrauch ungefähr 7,5 Prozent betrug, würde sich damit der Anteil von Erneuerbarer Energie am Primärenergieverbrauch von 116 Millionen Tonnen Erdöläquivalent auf 210 Millionen Tonnen Erdöläquivalent fast verdoppeln. Dabei wäre eine Reduzierung der CO2-Emissionen um 400 Millionen Tonnen möglich.598 Bis zum Jahre 2010 sollen die bestehenden Kapazitäten in den Sektoren Wasserkraft auf 190.000 MW, Windkraft auf 10.000 MW, Biomasse auf 5.500 MW und Solar auf 300 MW ausgebaut werden. Ferner hat sich die Regierung zum Ziel gesetzt beim Konsum von Biogas (marsh gas) 19 Milliarden Kubikmeter, bei Solarwassererhitzern eine Fläche von 150 Millionen Quadratmeter bis 2010 zu erreichen. Der Konsum von Nicht-Getreide Ethanol soll bis 2010 um zwei Millionen Tonnen pro Jahr steigen und von Bio-Diesel um 200.000 Tonnen.599 Laut Xu Dingming, Vizevorsitzender der National Energy Leading Group könnten durch Ausbau der Erneuerbaren Energien im Jahre 2020 rund 189 Millionen Tonnen Erdöläquivalent aus fossilen Energieträgern eingespart werden.600 Wasserkraftwerke sollen insgesamt 300.000 MW, Windmühlen 30.000 MW und Solarenergie 1.800 MW installierte Leistung stellen.601 Die Regierung geht da597
Mit Erneuerbaren Energien werden hier die neuen Erneuerbaren gemeint. Die Zahlen aus dem „Renewables 2007: Global Status Report“ der REN 21 ordnen jedoch Wasserkraftwerke bis 50 MW zu den kleinen Wasserkraftwerken – und somit den neuen Erneuerbaren Energien – zu. In Deutschland fallen in diese Kategorie Wasserkraftwerke bis 5 MW, bei internationalen Institutionen meist bis 10 MW. Die Klassifizierung richtet sich danach, ab welcher Größe mehr ökologische Folgeschäden entstehen, als Nutzen durch den Bau gezogen werden kann. REN 21 (2008): Renewables 2007: Global Status Report; REN 21; GTZ; in: http://www.ren21.net/pdf/RE2007_Global_Stat us_Report.pdf; Zugriff: 13.05.2008. 598 Platts: China sets renewables targets through end of current decade; in: Platts Renewable Energy Report; Nr. 152; 31.03.2008; S. 17. 599 China Chemical Reporter (2008): Program for Development of Renewable Energies; in China Chemical Reporter; 16.04.2008; S. 5. 600 Platts: China offers detailed targets for generating nation’s power from renewables by 2020; in: Platts Renewable Energy Report; Nr. 118; 27.11.2006; S. 9. 601 Meta Infodienst: China investiert 100 Milliarden USD in erneuerbare Energie; in: Meta-Infodienst Online; http://www.meta-infodienst.de/contenido/cms/front_content.php?idcat=88; S. 9; Zugriff: 13.05.2008.
274
4 Die Energiepolitik der VR China
von aus, dass es möglich ist, bis zum Jahr 2010 rund 10.000 MW und bis zum Jahr 2020 ca. 30.000 MW installierter Leistung bei Erneuerbaren Energien aufzubauen.602 Abbildung 52: Erneuerbare Energie in der VR China: 1990 – 2030 (TWh)
1400 1200
TWh
1000 800 600
erneuerbareEnergie
400 200 0 1990
2005
2015
2030
Quelle: IEA (2007): World Energy Outlook 2007; OECD/IEA; Paris; S. 597.
Die veranschlagte Investitionssumme von 800 Milliarden Yuan ist bei den Verantwortungsträgern in Beijing umstritten. So äußerte sich Chen Deming, Vizeminister der NDRC, dass die Umsetzung der Ziele bis ins Jahr 2020 zumindest zwei Billionen Yuan (ca. 285 Milliarden US-Dollar oder 184 Milliarden Euro) kosten werde.603 Es wird darauf ankommen, wie viele eigene Produktionsstätten die Volksrepublik für die Technologien bauen kann, wie sich die Kosten bei den Rohstoffen, die zur Fertigung der Anlagen benötigt werden, entwickeln werden, auf welche Summe sich die Wartungskosten einpendeln und zu welchen Preisen Technologie und Wissen aus dem Ausland eingekauft werden können, um die reale Höhe der Investitionen abschätzen zu können. Letztlich zeigt sich jedoch, dass es ein großes Interesse am Ausbau des Bereiches der Erneuerbaren Energien gibt. Darüber hinaus war die Volksrepublik im Jahre 2008 Weltmarktführerin bei 602
Platts: China accelerates renewables development with new partnerships, 2008 Olympics plan; in: Platts Renewable Energy Report; Nr. 107; 12.06.2006; S. 3. 603 Platts: China aims to boost renewables to 15% of energy consumption; in: Platts Renewable Energy Report; Nr. 138; 17.09.2007; S. 16.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
275
Solarthermie und kleiner Wasserkraft. Bei der Solarenergie- und Windkraftherstellung steht China kurz davor die USA, Japan und Europa zu überholen.604 Allein im Jahre 2006 wurden 10.000 MW an Wasserkraft installiert, so dass die akkumulierte Kapazität 125.000 MW erreichte. Das sind 25 Prozent des Gesamtpotentials. Die Kapazität bei Windkraft im Jahre 2006 betrug 1.332 MW, was eine Wachstumsrate von 270 Prozent im Gegensatz zum Jahr 2005 bedeutet. Die Produktionskapazität von Photovoltaikanlagen erreichte 300 MW. Das entspricht ca. zehn Prozent des globalen Produktionspotentials. Bei der Solarthermie erreichte die Produktionskapazität 18 Millionen Quadratmeter, was ein Wachstum von über zwei Millionen Quadratmeter im Jahre 2006 darstellt. Die akkumulierte Kapazität stieg auf fast 100 Millionen Quadratmeter. Im selben Jahr wurden über 19 Millionen Haushalte mit Biogas versorgt und es wurden mehr als 2.000 mittlere und große Biogasanlagen errichtet. Insgesamt stieg der Verbrauch bei Biogas auf neun Milliarden Kubikmeter. Im Vergleich zu 2005 stieg der Verbrauch bei Erneuerbaren Energien um 0,5 Prozent auf 140 Millionen Tonnen Erdöläquivalent – ausgenommen die traditionelle Biomasse. Dies entspricht einem Anteil an der Primärenergie von acht Prozent.605 Die IEA veranschlagt in ihrer Prognose im World Energy Outlook 2007 einen deutlichen Anstieg beim Anteil der Erneuerbaren Energien (Wasser, Biomasse und Müll, Geothermie, Solar, Wind, Gezeiten) in China. Demnach wird die Produktion von 407 TWh im Jahre 2005 auf insgesamt 1.268 TWh im Jahre 2030 ansteigen (Abb. 52). Dies entspräche einem Anteil von 16 Prozent am Primärenergieverbrauch der Volksrepublik. Den Hauptanteil werden aber nach wie vor Wasserkraftwerke mit 1.005 TWh tragen.606 Allein mit der installierten Kapazität an Elektrizitätsproduktionsanlagen aus erneuerbaren Energieträgern lag die VR China im Jahre 2007 mit 52.000 MW vor Deutschland (27.000 MW) und den USA (26.000 MW) auf Platz eins der Weltrangliste. Die globale Kapazität betrug im Jahre 2007 rund 240.000 MW. Das bedeutet, der Anteil Chinas an der globalen Kapazität war ca. 21,7 Prozent.607 Einen Anreiz zur Erfüllung der ehrgeizigen Ziele bis in die Jahre 2010 und 2020 bietet das Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG), welches am 1. Januar 2006 604
Zhongying, Wang; Fengchun, Wang; Jingli, Shi; Junfeng, Li (2007): Review and Evaluation of the Implementation of the Renewable Energy Law; Chinese Renewable Energy Industry Association; Energy Research Institute of NDRC; Beijing; S. 20. 605 Zhongying, Wang; Fengchun, Wang; Jingli, Shi; Junfeng, Li (2007): Review and Evaluation of the Implementation of the Renewable Energy Law; Chinese Renewable Energy Industry Association; Energy Research Institute of NDRC; Beijing; S. 20. 606 IEA (2007): World Energy Outlook 2007; OECD/IEA; Paris; S. 597. 607 REN 21 (2008): Renewables 2007: Global Status Report; REN 21; GTZ; in: http://www.ren21.net/pdf/RE2007_Global_Status_Report.pdf; S. 12; Zugriff: 13.05.2008.
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4 Die Energiepolitik der VR China
in Kraft trat. Die Verantwortlichkeit für die Umsetzung der 17 Hauptpunkte des Gesetzes hat der Staatsrat der NDRC übertragen. Zudem sind das Ministry of Finance (MoF), Ministry of Construction (MoC) und General Administration of Quality Supervision and Inspection and Quarantine (AQSIQ) zuständig.608 Das EEG beinhaltet finanzielle und steuerliche Anreize, wie beispielsweise Steuerbefreiungen für Windkraftanlagen und aus Abfall gewonnene Elektrizität. Subventionen und steuerliche Vergünstigungen gibt es auch für die Herstellung von Biokraftstoffen. Zudem gibt es staatliche Beihilfen und Vergünstigungen beim Neubau von Kraftwerken auf der Basis von Erneuerbaren Energien.609 Um die heimische grüne Industrie aufzubauen und nicht ausschließlich von ausländischer Technologie abhängig zu sein, sieht das Gesetz ferner einen Fond zur Förderung von Erneuerbaren Energien vor, der folgende Aspekte garantieren soll:
Wissenschaftliche und technologische Forschung, die Vorbereitung und Durchführung Pilot Projekten für die Entwicklung und Verwertung Erneuerbarer Energie; Aufbau von Erneuerbaren Energieprojekten für ländliche Gebiete; Aufbau von kleinen eigenständigen erneuerbaren Stromnetzen (die nicht ans transregionale Netz angeschlossen sind) in abgelegenen Landstrichen oder auf Inseln; Gutachten und Beurteilungen des Umfangs der Erneuerbaren Reserven und Ressourcen und die Etablierung eines Informationssystems; Lokale Produktion von Ausstattung für die Entwicklung und Verwertung von Erneuerbaren Energien.610
Durch das chinesische EEG, das unter Beratung der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) entstanden ist, wird die Eigenständigkeit im Bereich der regenerativen Energien gefördert. Im Gegensatz zum deutschen EEG611, dem das 608
Zhongying, Wang; Fengchun, Wang; Jingli, Shi; Junfeng, Li (2007): Review and Evaluation of the Implementation of the Renewable Energy Law; Chinese Renewable Energy Industry Association; Energy Research Institute of NDRC; Beijing; S. 4. 609 Chinese Government (2005): The Renewable Energy Law Of the People’s Republic of China; Adopted at the 14th Session of the Standing Committee of the 10th National People’s Congress on February 28, 2005; in: Eric Martinot Online; http://www.martinot.info/China_RE_Law_Bei jing_Review.pdf; Zugriff: 14.05.2008; S. 4f. 610 Chinese Government (2005): The Renewable Energy Law Of the People’s Republic of China; Adopted at the 14th Session of the Standing Committee of the 10th National People’s Congress on February 28, 2005; in: Eric Martinot Online; http://www.martinot.info/China_RE_La w_Beijing_Review.pdf; Zugriff: 14.05.2008; S. 5. 611 Im Juli 2007 war das deutsche EEG bereits Vorbild für ähnliche Gesetzgebungen in 40 Staaten weltweit und wird gerne mit dem Attribut „Exportschlager“ versehen. Umweltschutz-News: Export-
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
277
chinesische ansonsten in weiten Teilen sehr ähnelt, gibt es keine garantierte Abnahme von aufgebauten Kapazitäten. Diese werden im Rahmen eines Ausschreibungsmodells angeboten, auf das sich dann potentielle Betreiber mit Projekten bewerben können. Ein Ziel der Regierung ist es dabei chinesische Produzenten von Anlagen zu bevorzugen. Ausländische Hersteller werden zumeist nur zugelassen, wenn sie im Rahmen eines Joint-Ventures Produktionsstätten in der Volksrepublik betreiben. Damit möchte Beijing die Monopolisierung des inländischen Marktes im Bereich der Erneuerbaren Energien durch ausländische Firmen verhindern.612 Durch die Förderung von Forschung und Entwicklung sowie der Etablierung von Pilotprojekten, werden eigene Fachkräfte herangezogen, die es der Volksrepublik in Zukunft ermöglichen werden, die Abhängigkeit von Wissenstransfer aus dem Ausland zu minimieren. Das entspricht wiederum dem Ziel der Regierung eine weitestgehend autarke Energieversorgung zu garantieren. Durch die (Weiter-)Entwicklung von Technologie in diesem Bereich613 ist China zudem in der Lage den Export eigener Produkte zu ermöglichen. Ein Beispiel hierfür ist ein Wasserkraftwerk in der Nähe von Teheran, das im August 2006 vom iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadineschad und dem chinesischen Botschafter im Iran eingeweiht wurde. Das 17,8 MW Projekt wurde von einem Konsortium unter chinesischer Führung für die Tehran Regional Water Co. gebaut.614
schlager „Erneuerbare-Energien-Gesetz“; in: Umweltschutz-News Online; http://www.um weltschutz-news.de/250artikel1822.html; Zugriff: 22.05.2008. 612 Bechberger, Mischa; Reiche, Danyel (2006): Good Environmental Governance for Renewable Energies – The Example of Germany – Lessons for China?; Wisenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung; Berlin; S. 21/27; persönliches Gespräch mit dem General Manager eines chinesischen Großunternehmens im Wassersektor am 08. Mai 2008. 613 Die Gefahr, dass es zu Plagiaten beim Technologietransfer aus dem Ausland kommt ist in China weit verbreitet. Die Technologie wird dann durchaus weiterentwickelt. Ein Beispiel dafür, dass das aber nicht einfach ist, ist die im Jahre 2002 fertig gestellte Transrapidstrecke zwischen dem Flughafen und der Stadt Shanghai. Kurz danach häuften sich die Meldungen, China baue seinen eigenen Transrapid. Der Siemenskonzern reagierte empört. Was bei diesen Meldungen jedoch unterschlagen wurde, war, dass der chinesische Transrapid, der in der Tat das gleiche Aussehen hat wie der deutsche, nur eine Geschwindigkeit von höchstens 100 Stundenkilometer – manche Experten sprechen auch von nur 40 Stundenkilometern – aufweist. In jüngeren Pressemitteilungen wird nun davon ausgegangen, dass der chinesische Transrapid zwar nicht für Langstrecken, wohl aber für den innerstädtischen Betrieb eingesetzt werden soll; nicht zuletzt aufgrund seines geräuscharmen Betriebs. Ob sich so ein Projekt jedoch finanziell rechnet ist mehr als zweifelhaft. Heise, Sebastian: Der Transrapid fährt nur in China; in: Fokus Online; http://www.focus.de/finanzen/news/transrapid/transr apid_aid_230366.html; Zugriff: 27.03.2008. 614 Platts: Chinese-built hydropower plant in Iran begins producing energy; in: Platts Renewable Energy Report; Nr. 113; 18.09.2006; S. 20.
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4 Die Energiepolitik der VR China
4.4.5.1 Wasserkraft Die Generierung von Strom aus Wasserkraft macht – dank der enormen Kapazitäten in China – mit 16 Prozent im Jahre 2007 mit 482,9 TWh bei weitem den Hauptteil der Produktion von regenerativen Energien aus (Abb. 53). 2005 erzeugten die chinesischen Wasserkraftwerke rund 395 GWh Strom, etwa zwölf Prozent der sekundären Energie. Auch wenn in der internationalen Diskussion Großprojekte, wie der im Jahre 2006 in Betrieb genommene Drei-SchluchtenStaudamm615 stark kritisiert werden, gibt es eine Vielzahl an kleinen Wasserkraftwerken. Diese erreichten im Jahre 2005 eine Gesamtleistung von 125.000 MW und sind in über 1.600 Landkreisen bzw. Städten in über 30 Provinzen bzw. Kommunen mit Provinzstatus angesiedelt. 65 Prozent der kleinen Wasserkraftwerke werden im Südosten Chinas betrieben. Sie sind zusammengenommen für 50 Prozent der nationalen Kapazität verantwortlich.616 Die kleine Wasserkraft soll laut NDRC auch in Zukunft von der Regierung maßgeblich gefördert werden. Beispielsweise ist sie im ländlichen Elektrifizierungsplan gesondert berücksichtigt. Bis zum Jahre 2008 wurden ein Drittel aller Landkreise in China hauptsächlich über kleine Wasserkraft versorgt. Im Rahmen des Western China Cropland Conversion Program und des Western China Energy Development Program hat die Regierung einen speziellen Fond eingerichtet, um Hydroenergie auch in den unterentwickelten westlichen Provinzen zu fördern. Durch diese Förderprogramme soll die installierte Kapazität von 30 GW, was ca. 20 Prozent des projektierten Potentials entspricht, zwischen 2020 und 2030 auf 100 GW ausgebaut werden. Damit könnten in Zukunft ungefähr zehn Prozent der gesamten Stromproduktion aus kleiner Wasserkraft stammen.617 Ein Problem bei der Wasserkraft ist allerdings, dass das meiste Potential – rund 80 Prozent – im Südwesten des Landes liegt und hier in Gebieten, die äußerst schwer zugänglich sind. Diese Gegenden sind aber weit entfernt von den 615 Der Stausee hat eine Tiefe von 156 Meter und eine Länge von 600 Kilometern. Durch 26 Turbinen, mit einer Leistung von je 700 MW, die am Linksufer des Yangtses betrieben werden, soll der Staudamm eine Gesamtleistung von 18.200 MW und eine jährliche Stromerzeugung von 84.700 MWh erreichen. Tagesschau: Drei-Schluchten-Staudamm vollendet; in: Tagesschau Online; http://www.tagesschau.de/ausland/meldung116250.html; Zugriff: 20.01.2008; China.org: DreiSchluchten-Staudamm; in: China.org.cn Online; http://german.china.org.cn/politics/archive/staud amm/node_2257279.htm; Zugriff: 20.01.2008. 616 National Development and Reform Commission (NDRC): (2005): China Renewable Energy Overview; in: China Renewable Energy Development Project Online;http://www.ndrcredp.com/engl ish/id.asp?id=1107; Zugriff: 14.05.2008. 617 National Development and Reform Commission (NDRC): (2005): China Renewable Energy Overview; in: China Renewable Energy Development Project Online;http://www.ndrcredp.com/eng lish/id.asp?id=1107; Zugriff: 14.05.2008.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
279
Großabnehmern im Osten. Daher fließen bei der großen Wasserkraft viele Investitionen in den Aufbau der Hochspannungsleitungen, die sich durch weite Teile Chinas ziehen. Bei der kleinen Wasserkraft wird auf die regionale bzw. lokale Nutzung gesetzt.618 Abbildung 53: Strom aus Wasserkraft in der VR China
Quelle: BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff: 26.06.2008.
Mit dem Bau des Drei-Schluchten-Staudamms setzte die Volksrepublik ein Zeichen, dass sie in der Lage ist, Megaprojekte umzusetzen. Bis zur vollständigen Integration ins Netz – vorgesehen bis Ende des Jahres 2009 – soll das 180 Milliarden US-Dollar teure Prestigeprojekt eine Kapazität von 19.200 MW erreichen. Weitere 50.000 MW sollen am Gelben Fluss und am Perlfluss in Form von Großkraftwerken aufgebaut werden. Allerdings ist sich auch die chinesische Regierung der Probleme dieser Form der Energieerzeugung bewusst geworden. So kam es schon im Vorfeld zu Umsiedlungen von denen über 1,3 Millionen Menschen betroffen waren. Zumeist verlief dieser Prozess ohne Entschädigungszahlungen in angemessener Höhe. Zudem sind nach Fertigstellung der Großan618
Bundesagentur für Außenwirtschaft (2008): Energiewirtschaft China 2007; in: Bundesagentur für Außenwirtschaft Online; https://www.bfai.de/DE/Navigation/Datenbank-Recherche/Laender-undMaerkte/Recherche-Laender-und-Maerkte/recherche-laender-und-maerkte-node.html; Zugriff: 11.09. 2008.
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4 Die Energiepolitik der VR China
lage zumindest noch einmal so viele Menschen von einer Umsiedlung bedroht, da die gigantischen Wassermassen die Uferbereiche zum Teil so weit aufgeweicht haben, dass es zu Erdrutschen kommt, die komplette Dörfer bedrohen.619 Hinsichtlich dieser Problematik argumentieren Regierungsvertreter, dass es trotzdem sehr gut sei, wenn ganze Regionen mit Elektrizität versorgt werden können. Dies gehe zwar auf Kosten der Umwelt und der umzusiedelnden Menschen, aber es führe nicht zu sozialen Unruhen in größerem Maßstab. Das sei aber die Gefahr, wenn die Bevölkerung nicht in ausreichendem Maße an den Vorteilen des wirtschaftlichen Aufschwungs partizipieren könnte, wozu auch die Stromversorgung mit all ihren Folgemöglichkeiten (Radio, Fernsehen, Klimaanlage, elektrischer Herd, etc.) gehöre.620 In der Tat gibt es in China fast täglich Demonstrationen auf kommunaler Ebene, bei denen verschiedene Arten von Missständen (Arbeitsbedingungen, Umweltverschmutzung, etc.) angeprangert werden. Allerdings sind die meisten der Organisatoren der Demonstrationen nicht auf regionaler oder gar nationaler Ebene vernetzt. Hieraus ergibt sich für die Regierung ein schmaler Grat zwischen schneller nachholender Entwicklung der westlichen Provinzen und nachhaltiger Entwicklung der Umwelt, Wirtschaft und der sozialen Situation in diesen Gebieten. Somit wird sie – so lange das Umweltbewusstsein nicht allzu sehr entwickelt ist und sich noch keine regionale oder nationale Protestbewegung formiert hat – auch weiterhin auf große Wasserprojekte zur schnelleren gesicherten Elektrifizierung des Landes setzen. Gerade Wasser bietet im Bereich der Stromproduktion einen Vorteil gegenüber Wind- oder Solarenergie. Es ist außer bei großer Dürre ständig verfügbar und somit auch für die Grundlast bei der Elektrizitätsversorgung nutzbar, ähnlich, wie Kohle-, Gas- oder Atomkraftwerke. Solar- oder Windenergie sind dagegen nur verwendbar, wenn Sonne scheint oder Wind weht.
4.4.5.2 Windenergie Auf der European Wind Energy Conference & Exhibition (EWEC 2007), die vom 7. bis 10. Mai 2007 in Mailand stattfand, verlas die chinesische Delegation während der Eröffnungszeremonie eine Botschaft ihrer Regierung. Demnach existieren in China Ressourcen für Windkraftanlagen in Höhe von insgesamt einem Terrawatt, wovon 250.000 MW Onshore und 750.000 MW Offshore-
619
Süddeutsche Zeitung: Der Staudamm des Schweigens bricht; in: Süddeutsche Zeitung Online; http://www.sueddeutsche.de/panorama/artikel/152/134893/; Zugriff: 20.01.2008. 620 Gespräch mit einem Regierungsvertreter in Beijing im Februar 2007.
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Kapazitäten sind.621 Allein im Jahre 2006 baute die Volksrepublik eine zusätzliche Leistung von 1,35 GW auf und verdoppelte damit die installierte Kapazität. Bis zum Jahre 2010 sollen Windmühlen mit einer Gesamtleistung von 5.000 MW, bis zum Jahr 2020 von 30.000 MW installiert werden. Laut Xu Dingming, Vize-Vorsitzender der National Energy Leading Group, werden sich die Produktionsstätten auf verschiedene Provinzen verteilen. In den Provinzen mit den besten Voraussetzungen sollen jeweils mehr als 2.000 MW Kapazität aufgebaut werden. Ferner sind sechs Windparks mit einer jeweiligen Kapazität von 1.000 MW geplant.622 Die Regierung in Beijing geht davon aus, dass bis zum Jahr 2020 in der Windenergiebranche ein Entwicklungsschub den Sektor vollständig kommerzialisiert hat. Demnach sei es möglich, dass die installierte Kapazität im Jahre 2030 zwischen 150.000 und 200.000 MW beträgt und Windenergie, nach Kohle und Wasser, zur drittwichtigsten Energiequelle des Landes wird.623 Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, versucht die Regierung drei Hindernisse auszuräumen:
Den Engpass bei Windenergieexperten. Das Fehlen von Erfahrung sowie Forschung und Entwicklung (F&E) bei der Herstellung von großen Windmühlen (bis 5 MW). Den Mangel an Wissen über die Integration von großen Windparks ins Elektrizitätsnetz.624
Werden diese Hindernisse ausgeräumt, geht Li Junfeng, Vizedirektor der Chinese Renewable Energy Industries Association, in einem Hintergrundpapier für den Stern Review of Climate Change Economics aus dem Jahre 2006, davon aus, dass die installierte Kapazität an Windmühlen bis zum Jahr 2020 40.000 MW erreichen kann. Nach dieser Annahme läge die generierte Elektrizität bei 80 TWh pro Jahr. Dies wäre genug für die Versorgung von 80 Millionen Menschen 621 Manche Experten gehen davon aus, dass der Onshore-Wert unterschätzt ist. Da der Windatlas für China flächendeckend auf einer Höhe von nur 10 Metern angelegt ist, im Jahre 2009 aber bis in Höhen von über 100 Metern Onshore gebaut wird und dort andere Windverhältnisse vorherrschen. Bei der Offshore-Messung der Reserven wurden bis Ende 2006 nur Windatlanten für Guangdong und Fujian angelegt. Hieber, Saskia: Energiesicherheit in China; Verlag Ernst Vögel; Stamsried; S. 63; Bundesverband für Windenergie (2009): Repowering von Windenergieanlagen; Bundesverband für Windenergie e.V.; Berlin; S. 14. 622 Platts: China offers detailed targets for generating nation’s power from renewables by 2020; in: Platts Renewable Energy Report; Nr. 118; 27.11.2006; S. 9. 623 Junfeng, Li; Jinli, Shi; Lingjuan, Ma (2006): China: Prospect for renewable energy development; Final Draft; HM Treasury; London; S. 4. 624 Yang, Ming (2007): Climate change drives wind turbines; Energy Policy 35; S. 6546-6548; Elsevier; S. 6547.
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und würde – im Vergleich zum Energiemix von 2005 – 48 Millionen Tonnen CO2-Emissionen einsparen. Wenn diese Ziele erreicht würden, wäre der Anteil von Windenergie an der gesamten Elekrizitätsproduktion höher als der von Atomkraft.625 Hinsichtlich der Entwicklung von Technologie und Produktion von Anlagen holt China laut dem Renewables 2007 – Global Status Report der REN21 deutlich auf. Inzwischen ist die weltweite Rangliste der größten Windenergieanlagen wie folgt aufgebaut: Vestas (Dänemark), Gamesa (Spanien), General Electric (USA), Enercon (Deutschland), Suzlon (Indien), Siemens, Nordex und Repower (Deutschland), Acciona (Spanien) und Goldwind (China).626 Global betrachtet gab es in den USA, Indien und China das größte Wachstum bei nichteuropäischen Produktionsstätten für Windkraftanlagen. Während Indien seit einigen Jahren Windräder exportiert und aggressiv auf dem Markt vorgeht627, kam der Wendepunkt in Richtung einer exportorientierten Produktion für die Volksrepublik in den Jahren 2006/2007. Die beiden größten Windenergieanlagenhersteller sind Goldwind mit 33 Prozent (2006) und Sinovel Wind mit sechs Prozent (2006) am chinesischen Markt. Im Jahre 2007 hatte China vier staatliche Turbinenhersteller, sechs Joint Ventures mit ausländischen Produzenten und 40 chinesische Firmen, die auf verschiedenen Ebenen im Aufbau von Produktionskapazitäten beschäftigt. Zumeist engagierten sie sich in der Herstellung und dem Test von Prototypen. Mit diesem Potential in der Hinterhand wird die chinesische Produktion auch in Zukunft sowohl auf der nationalen als auch auf der internationalen Ebene weitere Marktanteile erobern.628 Ein ähnlich großes Potential hat China auch bei der Entwicklung der Solarenergie.
625
Junfeng, Li; Jinli, Shi; Lngjuan, Ma: (2006): China: Prospect for Renewable Energy Development; in: HM Treasury Online; http://www.hm-treasury.gov.uk./media/5/2/Final_Draft_China_Mitig ation_Renewables_Sector_Research.pdf; S. 4f.; Zugriff: 20.07.2007. 626 REN 21 (2008): Renewables 2007 – Global Status Report; Renewable Energy Policy Network for the 21st Century (REN21); Paris; S. 18. 627 Beispielsweise kaufte das indische Unternehmen Suzlon Anfang Mai 2007 die Aktienmehrheit von REpower. Nach einer monatelangen Übernahmeschlacht mit dem französischen Energiemischkonzern Areva, hält Suzlon jetzt knapp 87 Prozent der Stimmrechte, aber nur ca. 34 Prozent am Grundkapital. Eine Kaufoption am Grundkapital sicherte sich Suzlon auf die 23 Prozent der portugiesischen Martifer und auf die 30 Prozent, die Areva hält. Handelszeitung: Indische Suzlon sichert Finanzierung für Übernahme weiterer REpower-Anteile; in: Handelszeitung Online; http://www.handelszeitung.ch/artikel/Unternehmen-AWP_Indische-Suzlon-sichert-Finanzierungfuer-uebernahme-weiterer-REpower-Anteile_333640.html; Zugriff: 02.06.2008. 628 Platts: Analysts see renewable energy in China on Threshold of enormous growth; in: Platts Renewable Energy Report; Nr. 143; 26.11.2007; S. 3; REN 21 (2008): Renewables 2007 – Global Status Report; Renewable Energy Policy Network for the 21st Century (REN21); Paris; S. 18.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
283
4.4.5.3 Solarenergie Die VR China hat ein Potential von ca. 1.190 Millionen Tonnen Erdöläquivalent für die Generierung von Solarenergie. Über zwei Drittel des Landes erfüllt die klimatischen Anforderungen zum Aufbau von Produktionsanlagen. Die besten Bedingungen herrschen im Nordwesten Chinas vor. Zur Nutzung dieser Potentiale hat die Regierung zwischen 2002 und 2004 das Programm Township Level Electrification Program in Western Provinces (SDDX) mit einer Förderhöhe von 470.000 Millionen Euro aufgesetzt.
Photovoltaik Im Rahmen des SDDX-Programm wurden in 1.065 Dörfern in zwölf Provinzen netzunabhängige Photovoltaik-Systeme, Wind-Hybrid Systeme und kleine Wasserkraft aufgebaut – unter anderem in der inneren Mongolei, Qinghai, Xinjiang, Sichuan, Tibet und Shanxi. Durch die Verwendung von insgesamt 17 MW Photovoltaik wurde die Entwicklung der heimischen Photovoltaik-Industrie vorangetrieben. Die installierte Gesamtkapazität lag Ende des Jahres 2006 bei 80 MW, von denen ca. 42 Prozent netzunabhängige Anlagen für Straßenbeleuchtung und Haushalte waren. Diese stammen vorwiegend aus chinesischer Produktion. Wobei im Jahre 2006 von den 300 MW produzierter Solarzellen nur 10 MW auf dem heimischen Markt installiert wurden. Der Rest wurde exportiert.629 Bei der Produktionskapazität der einzelnen Komponenten, die zum Bau der Photovoltaik-Technologie benötigt werden zeigt sich jedoch die Schwäche der chinesischen Industrie. Silikon kann in China nur für Anlagen bis zu einer Gesamtkapazität von 25 MW hergestellt werden. Andere Komponenten, die zur Herstellung von Photovoltaikanlagen benötigt werden, werden in der Volksrepublik bisher noch nicht produziert. So werden 95 Prozent der Rohmaterialien importiert, aber 95 Prozent der Fertigprodukte exportiert. Das bedeutet, dass sich die Entwicklung des chinesischen Marktes verlangsamen wird, wenn ein Engpass beim Angebot der Rohmaterialien auf dem globalen Markt entsteht.630 Dadurch entstehen Verschiebungen im Markt, die den Preis für die Produktion und damit auch zu einem volatilen Photovoltaik-Strompreis führt. Könnte 629
Junfeng, Li; Jinli, Shi; Lngjuan, Ma: (2006): China: Prospect for Renewable Energy Development; in: HM Treasury Online; http://www.hm-treasury.gov.uk./media/5/2/Final_Draft_C hina_Mitigation_Renewables_Sector_Research.pdf; S. 4f.; Zugriff:: 20.07.2007. 630 Zhongying, Wang; Fengchun, Wang; Jingli, Shi; Junfeng, Li (2007): Review and Evaluation of the Implementation of the Renewable Energy Law; Chinese Renewable Energy Industry Association; Energy Research Institute of NDRC; Beijing; S. 28.
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4 Die Energiepolitik der VR China
dieses Importproblem gelöst werden, so könnte der Aufbau von PhotovoltaikKapazitäten in China stark beschleunigt werden. Gerade in ländlichen Gegenden, die nicht an die großen Netze angeschlossen sind, kann dadurch eine dezentrale Infrastruktur geschaffen werden, die den Aufbau von teuren Hochspannungsleitungen und deren Transportverluste unnötig machen. Die Gesamtkapazität für Photovoltaik in China beträgt 2.000 MW, wenn Großanlagen in der Wüste mitgerechnet werden. Dies prädestiniert die Technologie zu einer relevanten Stromproduktionskapazität in der Volksrepublik zu werden.631 Bei der anderen Form der Solarenergienutzung, der Solarthermie, ist die Entwicklung schon weiter fortgeschritten.
Solarthermie Auf dem globalen Solarthermalmarkt hat die Volksrepublik die führende Position eingenommen. Bei der Solarthermie erreichte die Produktionskapazität im Jahre 2006 in etwa 18 Millionen Quadratmeter. Die akkumulierte Kapazität stieg auf fast 100 Millionen Quadratmeter. Weltführend ist China mit 50 Prozent der globalen Produktion und im weltweiten Einsatz von Technologie im Bereich solarer Warmwassergewinnung.632 Im Jahre 2006 erreichte die gesamte installierte Kapazität in diesem Bereich 90 Millionen Kubikmeter. Dies ist eine Steigerung bei der Produktion um 18 Millionen Kubikmeter, bzw. von 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Andere Sektoren, in denen China im Bereich der Solarthermie nach Möglichkeit eine ähnliche Stellung wie bei der Warmwassergewinnung erreichen möchte und Pilotprojekte gestartet hat, betreffen Solarheizungen, solare Klimaanlagen, solarthermische Meerwasserentsalzungsanlagen und industrielle Heizanlagen auf Solarthermiebasis.633 Das Entwicklungspotential im Solarthermiesektor wird für 2020 auf 300 Millionen Quadratmeter und für 2050 auf 500 Millionen Quadratmeter für die Generierung von 180 TWh bzw. 300 TWh eingeschätzt. Das bedeutet, dass es
631
Platts: China accelerates renewables development with new partnerships, 2008 Olympics plan; in: Platts Renewable Energy Report; Nr. 107; 12.06.2006; S. 3. 632 Platts: China accelerates renewables development with new partnerships, 2008 Olympics plan; in: Platts Renewable Energy Report; Nr. 107; 12.06.2006; S. 3; Zhongying, Wang; Fengchun, Wang; Jingli, Shi; Junfeng, Li (2007): Review and Evaluation of the Implementation of the Renewable Energy Law; Chinese Renewable Energy Industry Association; Energy Research Institute of NDRC; Beijing; S. 20. 633 Zhongying, Wang; Fengchun, Wang; Jingli, Shi; Junfeng, Li (2007): Review and Evaluation of the Implementation of the Renewable Energy Law; Chinese Renewable Energy Industry Association; Energy Research Institute of NDRC; Beijing; S. 28f.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
285
eine Einsparung an Elektrizität in der Höhe einer installierten Leistung von 120.000 MW bis 2020 bzw. 200.000 MW bis 2050 geben kann.634 Gelänge ein Ausbau der Solarenergie in dieser Größenordnung, so könnte die Importabhängigkeit bei Erdgas und Erdöl zur Stromgeneration reduziert werden. Auch könnte China auf den Bau einiger Kohle- oder Atomkraftwerke verzichten, was wiederum einen deutlichen Rückgang der CO2-Emissionen und der Risiken der Nukleartechnologie bedeutete. Verstärkt werden könnte dieser Trend durch den Einsatz von „nichttraditioneller“ Biomasse.
4.4.5.4 Biomasse Zu Biomasse zählen landwirtschaftliche Abfälle, Holzabfälle, ölhaltige und energiereiche Pflanzen, städtischer Müll und andere organische Abfälle. Im Jahre 2006 wurden aus diesen Materialien in China zwei Gigawatt an Strom generiert, acht Milliarden Kubikmeter Biogas und Biotreibstoffe, 1,02 Millionen Tonnen Ethanol und 50.000 Tonnen Biodiesel hergestellt. Laut NDRC soll die installierte Leistung bei Biomasse 30.000 MW bis zum Jahr 2020. Bis dahin sollen jährlich 44 Milliarden Kubikmeter Biogas und Biotreibstoffe, zehn Millionen Tonnen Ethanol und zwei Millionen Tonnen Biodiesel produziert werden.635 Durch die Einführung des chinesischen EEG im Januar 2006 wurde auch der Ausbau von Energie aus Biomasse vorangetrieben. Die Zentralregierung genehmigte 39 Programme zur Energiegewinnung aus Biomasse. Die Programme umfassen den Aufbau einer Gesamtkapazität von 1.280 MW mit einem Budget von 100 Millionen Euro. Zudem wurde ein Methan-Programm implementiert, das 80 Millionen Menschen in ländlichen Gegenden mit zehn Milliarden Kubikmetern Methan versorgen soll. Seit dem Jahr 2004 wurden Bioethanolprogramme für Pkws in den Provinzen Heilongjiang, Jilin, Liaoning, Henan, Anhui und in 27 Städten in Hebei, Shandong, Jiangsu und Hubei begonnen.636 Allerdings gibt es Vorbehalte in der Bevölkerung und in einem Teil der Regierung gegenüber Biomasse, da China nach einer längeren Phase der Rodung von Wäldern und der traditionellen, das heißt nicht nachhaltigen Verwendung von Biomasse in vielen Landesteilen Probleme mit Erosion und Desertifikation 634 Junfeng, Li; Jinli, Shi; Lngjuan, Ma: (2006): China: Prospect for Renewable Energy Development; in: HM Treasury Online; http://www.hm-treasury.gov.uk./media/5/2/Final_Draft_China_Mit igation_Renewables_Sector_Research.pdf; S. 5f. ; Zugriff:: 20.07.2007. 635 Platts: China offers detailed targets for generating nation’s power from renewables by 2020; in: Platts Renewable Energy Report; Nr. 118; 27.11.2006; S. 9. 636 Zhongying, Wang; Fengchun, Wang; Jingli, Shi; Junfeng, Li (2007): Review and Evaluation of the Implementation of the Renewable Energy Law; Chinese Renewable Energy Industry Association; Energy Research Institute of NDRC; Beijing; S. 22f.
286
4 Die Energiepolitik der VR China
hat. Zudem gibt es Forderungen, dass die Anbaufläche, die für Energiepflanzen genutzt wird, ausschließlich zur Nahrungsmittelproduktion dienen soll. Da die Regierung auch in diesem Bereich große soziale Spannungen vermeiden möchte, aber auf die Entwicklung aller Energieträger angewiesen ist, um die Substitution von stark emittierenden Rohstoffen durch Erneuerbare Energien voranzutreiben und die Importabhängigkeit bei Erdöl und Erdgas zu minimieren, ist auch bei Biomasse der Handlungsspielraum eingeschränkt.
4.4.5.5 Geothermie Das geothermische Potential Chinas ist weitgehend unerforscht. Bisher gibt es nur kleinere Projekte in Tibet und in den Hengduan Bergen in Yunnan. Vor allem in Yangbajing in Tibet und Tengchong in Yunnan sind die geologischen Gegebenheiten für die Stromproduktion aus Erdwärme – bei der Temperaturen zwischen 150 und 200°C benötigt werden – am günstigsten. Die gesamte installierte Leistung lag im Jahre 2006 aber erst bei 32,08 MW, wovon 88 Prozent in Tibet aufgebaut wurden. In Tengchong wurde 2004 mit einem Geothermiekraftwerk begonnen, das nach seiner Fertigstellung eine Kapazität von 48,8 MW haben soll.637 Bei der Nutzung von Erdwärme für Warmwassergewinnung genügen im Gegensatz zur Stromproduktion relativ niedrige Temperaturen. Bei dieser Art der warmen Quellen verfügt China über das gesamte Land verstreut über ein vergleichsweise großes Potential. Vor allem in den 1990er Jahren konnte hier eine Steigerung der Nutzung von etwa zehn Prozent im Jahr verzeichnet werden. Im Norden treibt die Regierung die Technologie zum Heizen der Häuser und zur Gewinnung von Warmwasser voran. Im Jahre 2005 wurden 600.000 Haushalte mit insgesamt 30 Millionen Kubikmeter Warmwasser aus Geothermie versorgt.638 Um die Kapazitäten bei dieser Form der Energie auszubauen, sind einige Investitionen in die Exploration notwendig. Allerdings scheint es, dass dieses Geld eher in die Erkundung neuer Erdöl- und Erdgasfelder sowie in Solar-, Wind- und Wasserenergie fließt. Ähnlich sieht es bei der Meeresenergie aus.
637
Zhongying, Wang; Fengchun, Wang; Jingli, Shi; Junfeng, Li (2007): Review and Evaluation of the Implementation of the Renewable Energy Law; Chinese Renewable Energy Industry Association; Energy Research Institute of NDRC; Beijing; S. 29f. 638 Zhongying, Wang; Fengchun, Wang; Jingli, Shi; Junfeng, Li (2007): Review and Evaluation of the Implementation of the Renewable Energy Law; Chinese Renewable Energy Industry Association; Energy Research Institute of NDRC; Beijing; S. 29f.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
287
4.4.5.6 Meeresenergie Weltweit steckt die Gewinnung von Elektrizität aus dem Meer – Gezeiten, Wellen und Strömung – in den Kinderschuhen. Auch in der Volksrepublik wurden bis zum Jahr 2006 erst acht Gezeitenkraftwerke fertig gestellt und eine Reihe von Pilotprojekten gestartet. Einige Fortschritte konnten inzwischen bei Steigerung der Effizienz, der Stabilität und der Verbesserung der Materialherstellung bei der Gewinnung von Strom aus Wellen verzeichnet werden. So existieren seit Ende 2005 zwei Offshore Wellenenergiekraftwerke, die allerdings nur über eine Kapazität von 100 kW bzw. 20 kW verfügen. Zudem wurden 700 Kleinkraftwerke eingerichtet, die jedoch jeweils 1 kW oder weniger installierte Leistung haben.639 Damit wird klar, dass die Nutzung von Meeresenergie – trotz einer langen Küstenlinie – in naher Zukunft keine massentaugliche Option für die Volksrepublik ist.
4.4.5.7 Zwischenergebnis Erneuerbare Energie Die ständig drohenden Engpässe in der Stromproduktion in China können über den weiteren Ausbau von Wind-, Wasser-, und Solarenergie aufgefangen werden. Fände hier mehr Unterstützung der westlichen industrialisierten Welt statt, könnte durch den Transfer von Technologie zu günstigen Preisen die Verwendung von Kohle, Erdöl, Erdgas und Atom weiter eingeschränkt werden. Dadurch könnten langfristige Probleme durch Umweltverschmutzung, Klimawandel und die Verwahrung von Atommüll zumindest vermindert werden. Auch im Bereich der Erneuerbaren Energien versucht die chinesische Regierung Technologie aus dem Ausland anzuziehen, um eines Tages eine eigene Produktionslinien aufbauen zu können und dem Ziel der Autarkie bei der Energieversorgung näher zu kommen. Im Sektor der Photovoltaik und der Wasserkraft ist China sogar inzwischen schon ein Exporteur für Technologie. Allerdings sind manche Erneuerbaren Energieträger nur in bestimmten Regionen ausbaufähig, die auch über das entsprechende Potential verfügen. Erdöl und Erdgas können vorwiegend nur da durch Erneuerbare Energien ersetzt werden, wo sie zur Strom-, bzw. Wärmegewinnung eingesetzt werden. Im Transportsektor ist die VR China aber weiterhin auf einen wachsenden Import an fossilen Energieträgern angewiesen und muss auch in Zukunft in die kontinentale Versorgung investieren, um die maritime Importabhängigkeit zu diversifizieren. 639
Zhongying, Wang; Fengchun, Wang; Jingli, Shi; Junfeng, Li (2007): Review and Evaluation of the Implementation of the Renewable Energy Law; Chinese Renewable Energy Industry Association; Energy Research Institute of NDRC; Beijing; S. 30f.
288
4 Die Energiepolitik der VR China
Im Bereich der primären Energieträger hat sich gezeigt, dass die Akteure (Regierung und Konzerne) besonders bei der Preisgestaltung jeweils ihre Interessen durchsetzen versuchen. Das führt dazu, dass die Regierung ihre Reformen wiederholt zurücknehmen bzw. korrigieren musste. Die bisherige Analyse berücksichtigte dabei vor allem die Produzenten der Primärenergie. Ein zwischen Primaärenergieproduzent und Endverbraucher angesiedelter Akteur ist im sekundären Energiebereich zu finden. Ein Blick auf die Entwicklung des chinesischen Elektrizitätsmarkts zeigt die Problematik beim Energiemix und der komplexen Situation im Machtkampf zwischen den staatlichen Regulierungsbehörden und den staatlichen Energiekonzernen.
4.4.6 Elektrizitätssektor Im Jahre 2006 produzierte der Elektrizitätssektor in der VR China insgesamt 2.864,21 TWh Strom. Dabei gliederte sich der Energiemix in Kohle 2.301,41 TWh, Wasser 435,79 TWh (groß und klein), Atom 54,84 TWh, Erdöl 51,47 TWh, Erdgas 14,22 TWh, Solar und Wind 3,97 TWh, andere Erneuerbare und Müll 2,51 TWh.640 Die installierte Kapazität im Jahre 2006 von 620 GW verteilte sich auf Kohle 449 GW, Erdöl 16 GW, Erdgas 14 GW, Atom 7 GW, große Wasserkraft 100 GW und den Erneuerbaren Energien 52 GW (Wind 2,6 GW, kleine Wasserkraft 47 GW, Biomasse 2,0 GW, Geothermik und PV ohne nennenswerte Angaben).641 Die installierte Leistung an Erneuerbaren Energien – ohne große Wasserkraft – sollte im Jahre 2007 bei 240 GW liegen. Mit diesem Strommix gehört China neben den USA zu den Ländern mit dem größten Anteil an fossilen Energieträgern bei der Gewinnung von Elektrizität – zusammen 44 Prozent. Allerdings steht die Volksrepublik bei der Stromerzeugung aus Wasserkraft auf Platz eins in der Welt.642 Der Bedarf an Strom steigt in der Volksrepublik aufgrund der zunehmenden flächendeckenden Elektrifizierung und des nach wie vor steigenden Bedarfs in den Sektoren Industrie, Dienstleistung und Haushalt. Die wachsende Nachfrage ist hier vor allem dem weiterhin hohen Wirtschaftswachstum von jährlich zwischen zehn und elf Prozent geschuldet. Dieses Wachstum zieht neue Investitionen in Industrie und Dienstleistung sowie mehr Konsum von Strom verbrauchenden Geräten in privaten Haushalten nach sich. Der Aufbau von neuen 640
IEA (2008): Electricity Information 2008; IEA/OECD; Paris; S. II.10/14. IEA (2008): World Energy Outlook; IEA/OECD; Paris; S. 531. REN 21 (2008): Renewables 2007: Global Status Report; REN 21; GTZ; in: http://www.ren21.net/pdf/RE2007_Global_Status_Report.pdf; Zugriff: 13.05.2008; S. 38; IEA (2008): Electricity Information 2008; IEA/OECD; Paris; S. I.25.
641 642
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
289
Kraftwerkskapazitäten zur Ausweitung des Produktionspotentials hat in etwa die gleiche Steigerungsrate, wie der Verbrauch. Dieses Potential hat zwar in den Jahren zwischen 2000 und 2007 mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von etwa 13,3 Prozent von 1.368,5 TWh auf 3.277,7 TWh zugenommen (Abb. 54). China ist jedoch nach wie vor Nettoexporteur von Strom. Im Jahre 2006 exportierte China Elektrizität in Höhe von 12,3 TWh, von denen der Hauptanteil von 10,9 TWh nach Hong Kong geleitet wurde. Dem standen Importe in Höhe von 5,4 TWh gegenüber.643 Abbildung 54: Stromproduktion in der VR China
Quelle: BP (2008): Statistical Review full Report Workbook 2008; in BP Online; http://www.bp.com/multipleimagesection.do?categoryId=9023755&contentId=7044552; Zugriff: 26.06.2008.
Aufgrund von wirtschaftlichen Aspekten und der politischen Reform sowie der Deregulierung der Preise und der Struktur bei einzelnen Energieträgern und im Stromsektor wird jedoch von der Regierung und den großen Elektrizitätsproduzenten weiterhin vor einer möglichen Stromversorgungskrise wie in den Jahren 2003 und 2004 gewarnt.644 Zu dieser Zeit war das Wachstum der Industrie, die zu 60 Prozent aus Schwer- und Verarbeitungsindustrie besteht, größer ausgefallen als erwartet. So schlugen die Auswirkungen der Deregulierung des Kohle643
IEA (2008): Electricity Information 2008; IEA/OECD; Paris; S. I.18/II.6. Lewis, Leo: Coal shortage brings fear of electricity crisis in China; in: Business Times Online; http://business.timesonline.co.uk/tol/business/industry_sectors/natural_resources/article4425801.ece; Zugriff: 30.07.2008; Mining Weekly: China fights coal and power crisis; in: Mining Weekly Online; http://www.miningweekly.com/article.php?a_id=141205; Zugriff: 05.09.2008. 644
290
4 Die Energiepolitik der VR China
marktes noch in Form von Versorgungskrisen auf den Kraftwerkspark durch und die Anzahl der Klimaanlagen645 nahm exponentiell zu (Abb. 55). Die Kombination dieser drei Faktoren führte zu Stromversorgungsengpässen in 21 der 31 Provinzen des Landes, denen mit dem Einsatz von Dieselgeneratoren begegnet wurde, was wiederum zu einer drastischen Zunahme bei den Erdöl- und Erdölproduktimporten führte (Kap. 4.4.1.2).646 Daraufhin kamen einige Akteure in der westlichen Welt zu dem voreiligen Schluss, dass Chinas nationale Erdölkonzerne den Weltmarkt leer kaufen würden. Dieses hohe Wachstum beim Erdölkonsum – so die Annahme – ginge in den Folgejahren weiter und sei ausschließlich verantwortlich für den rasch steigenden Erdölpreis (Kap. 2.9).647 Abbildung 55: Privateigentum an energieintensiver weißer und brauner Ware in China (1985-2030)
Quelle: IEA (2007): World Energy Outlook 2007; OECD/IEA; Paris; S. 308.
Um der ineffizienten Elektrizitätsproduktion mit Dieselgeneratoren entgegenzuwirken und den Stromverbrauch einzuschränken entschied sich die Regierung für den schnelleren Auf- und Ausbau des Kraftwerkparks und der Sensibilisierung der Bevölkerung für die Bereiche Energieeinsparung und Energieeffizienz. So 645
Alleine Klimaanlagen, Kühlschränke, Waschmaschinen und Fernseher beanspruchen 21 Prozent der in Haushalten verbrauchten Energie. IEA (2007): World Energy Outlook 2007; OECD/IEA; Paris; S. 305. 646 IEA (2007): World Energy Outlook 2007; OECD/IEA; Paris; S. 268. 647 Gu, Xuewu; Mayer, Maximilian (2007): Chinas Energiehunger: Mythos oder Realität?; Oldenbourg; München, Wien; S. 16f.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
291
wurde im Jahre 2007 alle fünf Tage ein neues Kohlekraftwerk beantragt.648 Im Süden und Südosten des Landes wird aber versucht Kohle durch andere Energieträger zu substituieren, da der Luftverschmutzung Einhalt geboten werden soll und die langen Transportwege von den Hauptabbaugebieten im Norden zunehmend als unökonomisch und zu energieintensiv erachtet werden. Deshalb wird hier auf den Ausbau der LNG-Kapazitäten gesetzt, um die Versorgung von Erdgaskraftwerken auf lange Sicht zu garantieren (Kap. 4.4.2.4). Um das Bewusstsein der Bevölkerung zu erreichen, nahm die chinesische Regierung beispielsweise die von verschiedenen Umweltorganisationen im Jahre 2005 ins Leben gerufene „Setzt die Klimaanlagen auf 26 Grad“-Kampagne in den Gesetzgebungsprozess auf. Die Kampagne beinhaltete, im Hochsommer die Temperatur in Innenräumen höchstens auf 26 Grad herunter zu kühlen. Dadurch könnte der Energieverbrauch in diesem Bereich um 15 Prozent gesenkt werden. Im Juni 2007 stellte die Stadt Beijing 22 „Energieeinspar Polizisten“ ein, die darauf achten, dass unter anderem diese Regelung befolgt wird.649 Ein weiterer Schritt, den Energiemix zu diversifizieren und den Anteil von Kohlestrom zu minimieren ist das am 1. Januar 2006 in Kraft getretene Erneuerbare Energiegesetz. Dies Betrifft vorwiegend die fünf großen staatlichen Stromerzeuger Chinas (Huaneng, Huadian, Datang, Guodiang und Diantou)650, die nach der Zerschlagung des staatlichen Stromkonzerns im Jahre 2002 etabliert wurden. Laut Gesetz sind die Konzerne dazu verpflichtet fünf Prozent ihrer Kapazitäten aus Wind, Sonne oder Biomasse aufzubauen. Das EEG hatte den Effekt, dass die großen Fünf zu den Hauptauftraggebern bei neuen Windparks in China zählen.651 Ein weiterer Faktor, der in Zukunft die Energieelastizität beeinflussen wird, ist, dass die Industrialisierung auch in China eines Tages abgeschlossen werden 648 Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy Crisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton; S. xi. 649 Chinadaily: Energy-saving cops to enforce air-conditioner rules; in: Chinadaily Online; http://www.chinadaily.com.cn/china/2007-06/11/content_891710.htm; Zugriff: 14.09.2008; People’s Daily: “Setting air conditioner at 26 degree Celsius” campaign launched in Beijing; in: People’s Daily Online; in: http://english.peopledaily.com.cn/200506/28/eng20050628_192865.html; Zugriff: 14.09.2008; Kirchner Ruth: Chinas Energiepolitik am Scheideweg; in: Schweizer Radio DRS 2; http://frankhaugwitz.com/doks/aboutme/2007_02_09_China_Energieversorgung_am_Scheideweg_In terview_Haugwitz.pdf; Zugriff: 14.09.2008. 650 Die fünf Konzerne haben jeweils 20 Prozent der Aktiva des zerschlagenen Staatsunternehmens zugesprochen bekommen. Daneben sind noch die beiden Netzbetreiber – Gujia Dianwang: Chinese State Grid Corporation und Nanfang Dianwang: China South Grid Corporation – entstanden. Gu, Xuewu; Mayer, Maximilian (2007): Chinas Energiehunger: Mythos oder Realität?; Oldenbourg; München, Wien; S. 49. 651 Kirchner Ruth: Chinas Energiepolitik am Scheideweg; in: Schweizer Radio DRS 2; http://frankhaugwitz.com/doks/aboutme/2007_02_09_China_Energieversorgung_am_Scheideweg_In terview_Haugwitz.pdf; Zugriff: 14.09.2008.
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4 Die Energiepolitik der VR China
sein wird (Kap. 4.5.1). Laut eines im August 2007 erstellten Blue Paper for Industrialisation der Chinese Academy of Social Sciences kann die Industrialisierung Chinas laut Composite Index bis 2021 zu 100 Prozent abgeschlossen sein.652 Einer Studie von Gapgemini zufolge müssen in der Zwischenzeit, weitere 280 GW an Produktionspotential aufgebaut werden, um die Ziele der Regierung zu erreichen, bis 2020 eine installierte Kraftwerksleistung von 950 GW zu erlangen. Das bedeutete Mehrkosten von ungefähr 180 Milliarden US-Dollar zu den veranschlagten 590 Milliarden US-Dollar und eine jährliche Kapazitätserweiterung von 48 GW zwischen den Jahren 2005 und 2020.653 Aus der Analyse der einzelnen Primärenergieträger und der Kapazitäten im Sekundärenergiemix zeigt sich, dass die Volksrepublik in diesen Bereichen mit immensen Problemen konfrontiert ist. So ist zwar die Erkenntnis in der chinesischen Regierung vorhanden, dass die zukünftige Entwicklung des Energiemixes weg von den hoch emittenten fossilen Energieträgern gehen muss und dass auch die Atomtechnologie auf lange Sicht keine geeignete Lösung zur nachhaltigen Energieversorgung der 1,3 Milliarden Menschen ist. Allerdings ist das Wachstum des Energieverbrauchs bei allen Bemühungen der Regierung beim Import und bei der einheimischen Produktion von Energieträgern und Stromkapazität kaum zu decken. Dies liegt an den Verzögerungen beim Pipelinebau für den Import von Erdöl und Erdgas aus Russland und der Kaspischen Region, dem Streben nach Autarkie hinsichtlich der Energieversorgung, bei Streitigkeiten in der Vorgehensweise bei der Atomenergie innerhalb der Regierung und an Schwierigkeiten beim Technologietransfer aus Industrieländern hinsichtlich der Erneuerbaren Energieträger sowie der Energieeffizienz und Energieeinsparung. Ein weiterer Faktor ist jedoch auch die Entscheidungsstruktur und das Ringen um Macht zwischen Regierung und Konzernen. Schon in der Analyse der einzelnen Energieträger hat sich gezeigt, dass ein Hauptentscheidungsträger die NDRC ist.
652
Dem Index liegen fünf Hauptindikatoren zugrunde: Das BIP pro Kopf, die Aufteilung des BIP nach den Bereichen Landwirtschaft, Industrie und Dienstleistungen, der Anteil an produzierten Waren am gesamten Warenkonsum, die Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung und die Arbeitslosenrate gestaffelt nach Landwirtschaft, Industrie und Dienstleistungssektor. Chinese Government (2007): CASS: China to realize full industrialization by 2021; in: Chinese Government’s Official Web Portal; http://www.gov.cn/english/2007-08/11/content_713205.htm; Zugriff: 20.08.2007. 653 Gapgemini (2005): Investment in China’s Demanding and Deregulating Power Market; Gapgemini; Paris; S. 11.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
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4.4.6.1 Die Entscheidungsstruktur zwischen Konzernen und Regierung Die Entscheidungsstruktur zwischen den Konzernen und der Regierung beim Ausbau des Elektrizitätssektors wird – wie bei allen anderen Energiefragen auch – von der NDRC und deren Energy Bureau bestimmt. Für den Bau eines neuen Kraftwerks muss ein Unternehmen die notwendige Genehmigung bei den staatlichen Institutionen beantragen und nachweisen, dass das Projekt den nationalen technischen Standards entspricht, eine Vereinbarung treffen, welcher Energieträger verwendet wird und, wenn das Kraftwerk am Netz ist, dokumentieren, dass es den nationalen Betriebsbestimmungen, einschließlich den Umweltstandards, entspricht. Allerdings sieht die Realität etwas anders aus. Beispielsweise räumt die Zentralregierung ein, dass von den 440.000 MWe installierter Kapazität Anfang des Jahres 2005 in etwa ein Viertel (110.000 MWe) von „illegalen“ Kraftwerken produziert wurde, die nie über eine Betriebsgenehmigung der zuständigen Behörde verfügten. Diese Kraftwerke wurden zwar offensichtlich finanziert, gebaut und ans Netz angeschlossen, aber sowohl die NDRC oder das Energy Bureau kann erklären, unter welchen Voraussetzungen oder nach welchen Standards.654 Entstanden ist dieser Zustand unter den Voraussetzungen einer sehr fragmentierten Kontrolle der Regierung im Energiesektor. In den sich nach wie vor schnell entwickelnden Küstenprovinzen Zhejiang und Guangdong ist die Gefahr eines Stromversorgungsengpasses am größten. Die dort ansässigen Bürokraten – als Hauptakteure im Kraftwerksbereich – haben lange Erfahrungen mit einem System, das durchweg eine Aufrechterhaltung des Wirtschaftswachstums unterstützt hat und „unternehmerische“ Wege ein Ziel zu erreichen toleriert. Beispielsweise haben die großen fünf Stromkonzerne nur in etwa 25 Prozent des Kapitals, das für den Bau eines neuen Kraftwerks benötigt wird. Der Rest kommt zu einem Großteil von Krediten der jeweiligen städtischen Zweigstelle einer staatlichen Bank. Diese Zweigstellen sind theoretisch ihrem Hauptsitz Rechenschaft schuldig. In der Praxis reagieren sie jedoch oft auf die Wünsche der lokalen Regierungsmitarbeiter, nicht zuletzt, da diese beträchtlichen Einfluss auf die Personalstruktur der Bank haben.655 Auf eine weitere wichtige Kapitalquelle haben örtliche Regierungen einen noch größeren Einfluss. Es handelt sich dabei um städtische Kooperationen im Bereich der Energieentwicklung, die aus verschiedenen Beiträgen und Steuern von der lokalen Regierung finanziert werden. Trotz der Rechenschaftspflicht 654 Lester, K. Richard; Steinfeld, Edward S. (2007): The Coal Industry in China; Industrial Performance Center; Massachusetts Institute for Technology; Cambridge; S. 9. 655 Lester, K. Richard; Steinfeld, Edward S. (2007): The Coal Industry in China; Industrial Performance Center; Massachusetts Institute for Technology; Cambridge; S. 9.
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4 Die Energiepolitik der VR China
gegenüber der Zentrale werden daher mit lokalen Mitteln finanzierte Kraftwerke gebaut, die die dringend benötigten Kapazitäten bereitstellen sollen. Um den Bau weiter zu beschleunigen, vergeben die städtischen Regierungen die Genehmigungen und schirmen die Betreiber vor weiteren Genehmigungsverfahren in Beijing ab, die eventuell eine Nachbesserung bei technischen, Umwelt- oder Brennstoffstandards nach sich ziehen würden.656 Die Tatsache, dass es im Jahre 2005 110.000 MWe an „illegal“ installierter Kapazität gab, heißt also nicht, dass die Kraftwerke im Schrank versteckt wurden oder dass es keinerlei Regierungsaufsicht gab. Es zeigt jedoch, dass ein Viertel des Ausbaus der produzierten Leistung nicht Teil einer kohärenten nationalen Politik waren, dass sie zum Teil die nationalen Standards nicht berücksichtigen und dass sie eine Planung des Mixes von Energieträgern, die für die Stromproduktion verwendet werden, konterkariert. Wie dies zustande kommt wird in Kapitel 4.7. genauer erläutert.657
4.4.6.2 Preis(de)regulierung Seit Beginn der wirtschaftlichen Reformen in China, wurden die Elektrizitätspreise Schritt für Schritt in Richtung am Markt orientierter Preise angehoben. 1985 erlaubte die Zentralregierung in Beijing der lokalen Ebene das erste Mal den Strompreis anzuheben, um die steigenden Kosten bei Brennstoffen und Transport abdecken zu können. Diese Anhebung stimulierte Investitionen im Energiesektor. Die Regierung veranschlagte zu dieser Zeit eine Politik unter dem Titel: „Investitionen in der Energieindustrie herbeiführen und eine breite Palette an Stromtarifen ausführen.“ Diese Politik sollte vorwiegend ausländische Direktinvestitionen anziehen und Gewinne für internationale Konzerne im chinesischen Energiesektor ermöglichen.658 Im Jahre 1987 erließ Beijing eine neue Politik zur Regulierung der Strompreise, die so genannte „Zwei-Cent“-Politik, die die Stromtarife landesweit um zwei US-Cent pro Kilowattstunde anhob. Ausgenommen waren davon Haushalte und einige stromintensive Industriezweige. Die Sonderrevenuen wurden von den regionalen Regierungen zum Bau von Mittel- bis Großkraftwerken eingesetzt. 1991 wurde eine so genannte high-in and high-out-Politik verabschiedet, die es 656
Lester, K. Richard; Steinfeld, Edward S. (2007): The Coal Industry in China; Industrial Performance Center; Massachusetts Institute for Technology; Cambridge; S. 9. 657 Chinadaily: Illegal power plants to be cracked down; in: Chinadaily Online; http://www.chinadaily.com.cn/english/doc/2005-02/15/content_416510.htm; Zugriff: 23.04.2008. 658 Lam, Pun-Lee (2004): Pricing of electricity in China; Energy Vol. 29, Nr. 2; S. 291–304; Elsevier; S. 290.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
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erlaubte, die Elektrizitätspreise an die Fluktuation der Energie- und Produktionskosten anzugleichen. 1993 implementierte die Zentralregierung eine new plant – new price-Politik, die es den Betreibern von Kraftwerken, die nach 1992 gebaut wurden, ermöglichte, die erzeugte Elektrizität über zehn Jahre lang zu Preisen an regionale Energieversorger zu verkaufen, die die aufgenommenen Schulden amortisierten. Daraufhin kam es zu einem schnellen Anstieg der Tarife.659 Dieser Trend hielt bis 1997 an, bis die Strompreise stagnierten. Die Deregulierung im Energiesektor ging Hand in Hand mit steigender Konkurrenz, um das Monopol der staatlichen Energiekonzerne aufzubrechen. Dieser Wettbewerb hat jedoch die Energiepreise in die Höhe getrieben und führte zu Ungleichgewichten zwischen den Produzenten von Energieträgern und den fünf staatlichen Stromkonzernen. Auch wenn die Elektrizitätspreise in China zunehmend die Marktkräfte spiegeln, blieben sie, im Vergleich zu Kohle- und Ölpreisen, unter strenger staatlicher Kontrolle.660 Nachdem die Energiepreise ab dem Jahr 2002 kräftig anzogen, etablierte die NDRC im Jahre 2004 – nicht zuletzt aus Sorge vor Inflation und sozialen Unruhen – die Politik der „gleichförmigen Bewegung bei Kohle und Elektrizitätspreisen“ (mei dian jiage liandong jizhi). Kern der Politik waren drei Punkte: Erstens wollte die NDRC die Regulierung des Kohle- und Elektrizitätsmarktes weiter aufrecht erhalten, um eine extreme Volatilität der Preise zu verhindern. Zweitens sollten sich die Produktionspreise für Elektrizität parallel zu den Kohlepreisen bewegen und drittens sollten die Strompreise beim Verkauf entsprechend denen der Produktion steigen und sinken. Dementsprechend wurde der Strompreis halbjährlich an den Kohlepreis angepasst, wenn dieser sich um mehr als fünf Prozent änderte. Wenn der Kohlepreis sich innerhalb der fünf Prozent Grenze bewegt hatte, so wurde die Anpassung des Strompreises um sechs Monate verschoben. Angewendet wurde diese Politik beispielsweise im Mai 2005 und im Juni 2006.661 Diese Preisgestaltung beruhigte zwar vorübergehend den Konflikt zwischen der Kohle- und der Stromindustrie und garantierte den Netzbetreibern einen geregelten Profit. Allerdings ging sie auf Kosten der Stromverbraucher, nachdem der Puffer der Stromproduzenten, der steigende Kohlepreise abfederte, weggefallen war.
659
Hang, Leiming; Tu, Meizeng (2007): The impacts of energy prices on energy intensity: Evidence from China; Energy Policy; vol. 35; S. 2978-2988; S. 2980 f. 660 Hang, Leiming; Tu, Meizeng (2007): The impacts of energy prices on energy intensity: Evidence from China; Energy Policy; vol. 35; S. 2978-2988; S. 2981. 661 Wang, Bing (2007): An imbalance development of coal and electricity industries in China; in: Energy Policy; Vol. 35; Nr. 10; Elsevier; S. 4966.
296
4 Die Energiepolitik der VR China
Inzwischen reguliert das Price Bureau der NDRC die Preise in Abstimmung mit den Provinzregierungen. Diese setzen sich in ihrem ureigensten Interesse dafür ein, dass die Preise niedrig genug sind, so dass die regionale Industrie wirtschaftlich arbeiten kann und die Bevölkerung zufrieden gestellt ist. Die Stromproduzenten ihrerseits machen Lobbypolitik, um die Einspeisetarife hoch genug zu halten, um ihre Energiekosten zu tragen und genug Profit zu erwirtschaften, um Rücklagen für nötige Investitionen zu haben. Dazwischen stehen die Netzbetreiber, die Druck auf die NDRC ausüben, eine Gewinnspanne zwischen den Produktions- und Verbrauchertarifen zu etablieren, um das nötige Kapital zu haben, das Netz weiter auszubauen – alleine zwischen 2006 und 2010 sollen dies 130 Milliarden US-Dollar sein.662 Abbildung 56: Die Preiskette des Elektrizitätssektors in China (2006) COAL MINING ($89 bn / 9.6%)
GENERATION ($98bn / 11.8%)
Shenhua Group – 203 mn tons China National – 101 mn tons
TRANSMISSION ($163bn / 4%) State Grid Corporation 1710 bn kwh
Huaneng – 282 bn kwh Datang – 260 bn kwh
2092 INDUSTRY Bn kwh
Datong Coal – 62 mnn tons Guodian – 226 bn kwh Others – 2014 mn tons
Huadian – 200 bn kwh 1200 mn tons
CPI – 168 bn kwh 2834 Others – 1694 bn kwh Bn kwh > CRP > CNNC > Guangdong Nuclear China Southern Power Grid > Three Gorges Dam 397 bn kwh > Shanhua Group > Datong Coal Other Transmission and Local > Yankuang Coal Consumption – 727 bn kwh > Provincial Power Companies
32 68 145 1000 Mn tons Mn tons Mn tons Mn tons
378 Bn kwh
53 Bn kwh
3 Bn kwh
4 12 Bn kwh Bn kwh
Imports Exports
Hydro
Nuclear
Wind
Imports Exports
Industry Other
324 RESIDENTIAL Bn kwh
90 COMMERCIAL Bn kwh
319 OTHER Bn kwh
Quelle: Rosen, Daniel H.; Houser, Trevor (2007): China Energy. A Guide for the Perplexed; China Balance Sheet; CSIS/Peterson Institute for International Economics; Washington DC; S. 24.
Trotz dieser etwas vertrackten Situation schafften es die Konzerne im Elektrizitätssektor Chinas zu den reichsten der Welt im Strombereich aufzusteigen, obwohl es schwer einzuschätzen ist, wo genau im Preisbildungsprozess die Rente eingenommen werden kann (Abb. 56). Die NDRC hat inzwischen damit begonnen, bei energieintensiven Kunden die Preise anzuheben. Aber die staatliche Schwerindustrie übt Druck auf die 662 Rosen, Daniel H.; Houser, Trevor (2007): China Energy. A Guide for the Perplexed; China Balance Sheet; CSIS/Peterson Institute for International Economics; Washington DC; S. 25.
4.4 Die Bedeutung der Energieträger bei Produktion und Verbrauch
297
Provinzregierungen aus, die Preissteigerungen moderat zu gestalten, um ihre Konzerne nach den Vorstellungen der Industrie wirtschaftlich betreiben zu können.663 Wie bei der Preis(de)regulierung bei anderen Energieträgern stößt die Regierung auch im Stromsektor auf verschiedene Probleme. Eines davon ist die Harmonisierung von zwei Ansätzen, die sich anscheinend gegenüberstehen. Auf der einen Seite ist Beijing bemüht, die Energiepreise an den Weltmarkt anzugleichen, um im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig sowie interessant für ausländische Investoren zu sein. Dazu muss allerdings der Wettbewerb auf nationaler Ebene etabliert sein. Schwierigkeit dabei ist, wie beschrieben, die Verteilung der Kosten, wenn Teile eines Marktsegments weitestgehend dereguliert sind, andere aber noch zum großen Teil der staatlichen Preiskontrolle unterliegen. Dadurch kommt es immer wieder zu Verzögerungen bei der Umsetzung des Ausbaus des Energiesektors und zu Engpässen bei der Versorgung. Auf der anderen Seite – sollte die Deregulierung eines Tages abgeschlossen sein – hat China das Problem, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich bei zunehmender Deregulierung des Preises weiter öffnet. Das bedeutet, wenn der Preis für Energie angehoben wird – was bei einer „Regulierung“ durch die „unsichtbare Hand“ des Marktes mit hoher Wahrscheinlichkeit die Tendenz sein wird – werden zwei Effekte eintreten. Das Bewusstsein, dass Energie ein teures Gut ist, wird zu Einsparungstendenzen führen. Allerdings wird es dann schwer sein, eine ausreichende und finanzierbare Energieversorgung für die gesamte Bevölkerung zu garantieren. Das ist aber nach der sozialistischen Idee, die in manchen Teilen der chinesischen Regierung nach wie vor zu finden ist, eine Verfehlung und kann – ganz ohne Ideologie betrachtet – zu weiteren sozialen Unruhen führen. Denn inzwischen ist auch in der ländlichsten Region angekommen, dass es Elektrogeräte gibt, die das Leben bequemer machen und dass es den hochentwickelten Osten und Südosten gibt, an dessen Reichtum auch die ärmere Bevölkerung in den unterentwickelten Regionen partizipieren will.
4.4.6.3 Zwischenergebnis Elektrizitätssektor Um eine Steigerung von 13 Prozent pro Jahr bei der Produktionskapazität von Strom weiterhin garantieren zu können und das Land vollkommen und ausreichend zu elektrifizieren, stellt sich nach der sozialen Komponente die Frage: Welche Energieträger sollen verwendet werden, um möglichst schnell eine möglichst nachhaltige Stromversorgung zu garantieren? Dabei wird der Aspekt der 663 Rosen, Daniel H.; Houser, Trevor (2007): China Energy. A Guide for the Perplexed; China Balance Sheet; CSIS/Peterson Institute for International Economics; Washington DC; S. 26.
298
4 Die Energiepolitik der VR China
Nachhaltigkeit wahrscheinlich vorerst im Hintergrund stehen, denn Kohle wird der Hauptenergieträger beim Ausbau bleiben und ob und wann und ob sich die CCS-Technologie durchsetzen kann bleibt fraglich. Der Ausbau im Atomsektor geht heute (Stand 2009) schon schleppend voran, da auch in China Atomkraftwerke eine lange Genehmigungs- sowie Konstruktionszeit haben. In der Volksrepublik kommen noch lange Verhandlungen mit ausländischen Firmen hinzu. Nach Kohle wird der Wassersektor einen wesentlichen Anteil an der Stromversorgung behalten; gefolgt von der großen Dynamik beim Ausbau der neuen Erneuerbaren Energiekapazität, wie Wind, Solarthermik, neuer Biomasse und Photovoltaik. Aber auch Erdöl und Erdgas werden weiterhin zur Generierung von Strom herangezogen werden. Der Verbrauch von Erdöl wird sich vor allem dann erhöhen, wenn es zu weiteren Stromversorgungsengpässen kommen sollte. Erdgas kommt im Gegensatz dazu zur weiteren Substitution von Kohlekraftwerken zum Einsatz. Wie oben beschrieben wird also auch im Stromsektor die weitere Diversifizierung der maritimen und kontinentalen Importstruktur an Bedeutung zunehmen. Ein „Energieträger“, der im Schwellenland China ein gewaltiges Potential hat und zur Umsetzung des Ziels der Selbstversorgung mit Energie beitragen kann ist aber die Energieeinsparung. Ein Teil davon ist die Energieintensität und Energieeffizienz. In diesem Bereich bemüht sich Beijing auf internationalen Klimakonferenzen vermehrt um gute Konditionen für einen Technologietransfer aus den Industrienationen in Richtung Volksrepublik. Ziel ist es mit dem Einsatz möglichst neuer Technologie dem hohen Stromverbrauch entgegenzuwirken und durch die Steigerung der Energieeffizienz und Energieeinsparung, bei gleichzeitigem Ausbau der Erneuerbaren Energien zukünftigen Stromengpässen entgegenzuwirken. Ein weiteres, wenn auch für China schwieriger erreichbares, Ziel ist die Reduktion der hoch emittenten Rohstoffe bei der Stromproduktion (Kap. 4.4.3). Wie der Stand in den Bereichen Energieintensität/Energieeffizienz und Energieeinsparungen ist und was für Prognosen daraus entwickelt werden können, wird im folgenden Kapitel untersucht.
4.5 Energieintensität, Energieeffizienz und Energieeinsparung 4.5.1 Energieintensität Wirtschaftliche Energieintensität zeigt an, wie viel Energie benötigt wird, um eine Einheit ökonomischen Ertrags in einem Staat oder Sektor zu produzieren. Grundlage dafür ist das Verhältnis zwischen realem Energieverbrauch und realem BIP. Dafür gilt, dass die Energieintensität = Energieeinsatz/BIP ist. Ende der
4.5 Energieintensität, Energieeffizienz und Energieeinsparung
299
1990er Jahre war ein Rückgang beim Energieverbrauch in China zu verzeichnen, der eine Verringerung dieses Quotienten auslöste. Nach offiziellen BIP-Zahlen fiel die wirtschaftliche Energieintensität von 1978 bis 1996, auch wenn der Primärenergieverbrauch und -produktion in diesem Zeitraum anstieg. So betrug die Energieintensität Ende der 1970er Jahre rund das Doppelte der der USA und das Dreifache derjenigen Japans.664 Abbildung 57: Internationaler Vergleich der Energieintensität (1980-2004)
Quelle: Polenske, Karen R. (2008): Regional Energy-Intensity Challenges in China; Multiregional Planning Team; MIT; http://web.mit.edu/agsam08/downloads/Polenske.pdf; Zugriff: 19.09.2008.
Anfang 1996 kehrte sich dieser Trend um (Abb. 57). So fiel der Verbrauch von Primärenergieträgern zwischen den Jahren 1996 und 2000 um acht Prozent. Ausschlaggebend war hier ein Rückgang des Kohleverbrauchs um 17,4 Prozent. Auch die Energieproduktion fiel in diesem Zeitraum um 17,8 Prozent. Dieser Rückgang ist zurückzuführen auf die Reduktion der Kohleförderung um 26,6 Prozent. Allerdings war der Rückgang in der Energieproduktion in den Jahren zwischen 1996 und 2000, als der Bedarf an Haushaltsgeräten und privaten Pkw deutlich zunahm, konträr zu den meisten Prognosen. Dies lässt an der Genauigkeit von Energiestatistiken und/oder den chinesischen BIP-Zahlen zweifeln.665 Wenn die revidierten geringeren BIP-Prognosen vorausgesetzt werden, bleibt dieser Trend im Langzeit-Szenario erhalten. Der Rückgang in der Energie664
Fischer-Vanden, Karin; Jefferson, Gary H.; Hongmei, Liu; Quan, Tao (2003): What is Driving China’s Decline in Energy Intensity; National Bureau of Statistcs; People’s Republic of China; S. 2 u. Hang, Leiming; Tu, Meizeng (2007): The impacts of enrgy prices on energy intensity: Evidence from China; Energy Policy; vol. 35; S. 2978-2988; S. 2981. 665 Fischer-Vanden, Karin; Jefferson, Gary H.; Hongmei, Liu; Quan, Tao (2003): What is Driving China’s Decline in Energy Intensity; National Bureau of Statistcs; People’s Republic of China; S. 2.
300
4 Die Energiepolitik der VR China
intensität vollzog sich nach diesen Zahlen immer noch schneller als beispielsweise in den USA oder in Taiwan. Wobei der Rückgang bei der Elektrizitätsintensität nicht so schnell voranschritt, wie bei der Primärenergieintensität, da der prozentuale Anteil im Endverbrauch bei Elektrizität nach wie vor ansteigt.666 Die gesamte Energieintensität fiel zwischen 1978 und 2001 immens, auch wenn dies in verschiedenen Energiebereichen unterschiedlich ausfiel. So verlief der Rückgang beim Einsatz von Kohle synchron zur gesamten Energieintensität. Dies ist nicht verwunderlich, da Kohle beim Primärenergieverbrauch zu Beginn dieses Zeitraums ca. 70 Prozent einnahm. Dagegen nahm die Energieintensität bei Erdöl kaum ab, bei Elektrizität blieb sie relativ konstant.667 Abbildung 58: Energieintensität bei Gesamtenergie, Kohle und Öl (1985-2004)
Quelle: Hang, Leiming; Tu, Meizeng (2007): The impacts of energy prices on energy intensity: Evidence from China; Energy Policy; vol. 35; S. 2978-2988; S. 2982.
Im Laufe des Jahres 2001 verkehrte sich die Abnahme der gesamten Energieintensität in ihr Gegenteil. Dies betrifft auch die Energieintensität im Kohle und Elektrizitätssektor, da die Energienachfrage und -konsumption seit einigen Jahren das Wachstum des BIP bei weitem übersteigt (Abb. 58). Die bisherigen politischen Konsequenzen im Bereich der Preisderegulierung und der angestrebten Liberalisierung haben bis ins Jahr 2008 in beiden Sektoren noch nicht die gewünschte Wirkung erzielt.
666
Sinton, Jonathan E.; Fridley, David G. (2000): What Goes Up: Recent Trends in China’s Energy Consumption; Energy Policy vol. 28; S. 671-687; S. 683. 667 Hang, Leiming; Tu, Meizeng (2007): The impacts of enrgy prices on energy intensity: Evidence from China; Energy Policy; vol. 35; S. 2978-2988; S. 2982.
4.5 Energieintensität, Energieeffizienz und Energieeinsparung
301
In Zukunft wird die Energieintensität in China, laut Prognose der IEA, während der Jahre 2005 bis 2030 um jährlich 2,6 Prozent abnehmen. Um dieses Ziel zu erreichen hat die Regierung in Beijing mit dem elften Fünfjahresplan eine Reihe von Richtlinien vorgelegt. Die Ziele sehen vor, dass die Energieintensität bis zum Jahr 2010 im Vergleich zu 2005 um 20 Prozent abnimmt.668 Dazu muss allerdings muss eine Energieversorgungssicherheit gewährleistet sein, damit nicht wieder Dieselgeneratoren im großen Maßstab zur Stromerzeugung eingesetzt werden. Die Fähigkeit Chinas den eigenen Energiebedarf in großem Maße über eigene Energiereserven zu decken, beruht letztlich auf einer Steigerung der Energieeffizienz und dem Ausbau der Energieproduktion. Der Rückgang bei der Energieintensität hat dabei zwei Ursachen. Erstens hat sich die Struktur der Wirtschaft verändert. Die Bedeutung des Dienstleistungssektors nahm an Bedeutung zu, während das Verhältnis zwischen Schwer- und Leichtindustrie sich zugunsten des Leichtindustriesektors verschoben hat. Dabei war der Schwerindustriesektor der mit der schlechtesten Energieintensität (Abb. 59).669 In den letzten 25 Jahren haben Reformen Chinas Industriemix aus verschiedenen Richtungen verändert. Vor allem die Öffnung gegenüber dem internationalen Handel und der Abbau von staatlich regulierten Preisen sowie direkten Staatsinvestitionen haben Veränderungen in der Profitabilität der verschiedenen Industrien hervorgerufen – allen voran die Schwerindustrie, die von Protektionismus und staatlichen Subventionen am meisten profitierte. Höhere Einkommen und Veränderungen bei relativen Preisen haben zudem Wechsel beim Verbraucherverhalten hervorgerufen – vor allem bei einer breiten Palette von Konsumgütern und Elektrogeräten.670 Zweitens hat die Regierung eine breite Palette an Maßnahmen ergriffen, um die Effizienz im Endverbrauch zu steigern.671 So gab es Mitte bis Ende der 1990er Jahre drei dramatische Veränderungen im Verhältnis von Energieversorgung und -verbrauch. Die erste Veränderung trat 1993 ein, als der Erdölverbrauch das erste Mal die Inlandsproduktion Chinas überstieg. Die Volksrepublik transformierte von einem der größten Nettoexporteure von Erdöl weltweit zu einem Nettoimporteur. Seitdem steigt die Abhängigkeit von Erdölimporten exponentiell. Ausgangspunkt dieser Entwicklung war ein substantieller Anstieg beim Verbrauch von Erdölprodukten sowohl im Transport- als auch im indus668
IEA (2007): World Energy Outlook 2007; IEA/OECD; Paris; S. 286 Andrews-Speed, Philip (2004): Energy Policy and Regulation in the People’s Republic of China; Kluwer Law International; The Hague, London New York; S. 11. 670 Fischer-Vanden, Karin; Jefferson, Gary H.; Hongmei, Liu; Quan, Tao (2003): What is Driving China’s Decline in Energy Intensity; National Bureau of Statistcs; People’s Republic of China; S. 12. 671 Andrews-Speed, Philip (2004): Energy Policy and Regulation in the People’s Republic of China; Kluwer Law International; The Hague, London New York; S. 11. 669
302
4 Die Energiepolitik der VR China
triellen Sektor, kombiniert mit einem ungenügenden Ausbau der eigenen Erdölproduktion.672 So deckt die Volksrepublik zwar 90 Prozent des eigenen Energiebedarfs aus inländischen Quellen, bei Erdöl liegt dieser Wert jedoch nur bei 50 Prozent.673 Im gleichen Jahr wurde das Energieministerium aufgelöst, was starke Auswirkungen auf die Regulierung der Energiesicherheitsstrategie mit sich brachte. Erst im Jahre 2005 wurde eine Energy Leading Group (ELG) eingerichtet, die direkt Premierminister Wen Jiabao und dem State Energy Office (SEO) untersteht. Eine Energie-Institution auf Ministerebene, die unabhängig und gut ausgerüstet ist, fehlt, trotz eingehender Debatte, weiterhin.674 Abbildung 59: Energieintensität in China nach Sektoren (1995-2004)
Quelle: Lin, Jiang; Zhou, Nan; Levine, Mark D.; Fridley, David (2006): Achieving China’s Target for Energy Intensity Reduction in 2010: An exploration of recent trends and possible future scenarios; Ernest Orlando Lawrence Berkeley National Laboratory; Berkley; S. 4.
Die zweite Veränderung brachte der Rückgang beim Energieverbrauch in den Jahren 1998 und 1999 mit sich. Zu dieser Zeit gab es einen Überschuss an Koh672
Andrews-Speed, Philip (2004): Energy Policy and Regulation in the People’s Republic of China; Kluwer Law International; The Hague, London New York; S. 12. 673 Downs, Erica (2006): China; The Brookings Foreign Policy Studies; Energy Security Series; S. 8. 674 Downs, Erica (2006): China; The Brookings Foreign Policy Studies; Energy Security Series; S. 6.
4.5 Energieintensität, Energieeffizienz und Energieeinsparung
303
le, verursacht durch jahrelange Überproduktion, die bis zum Jahre 2000 anhielt. Der Rückgang bei der Energiekonsumtion lässt sich in der Kombination von mehreren Faktoren erklären. Während der Asienkrise gab es eine generelle Rezession in der wirtschaftlichen Entwicklung in der Region, die einen Rückgang der Produktion in der energieintensiven Industrie nach sich zog. Dies hatte zur Folge, dass ineffiziente staatliche Fabriken geschlossen wurden, eine Steigerung der Energieeffizienz und die Substitution von Kohle zu Gas vorangetrieben wurde. Temporär ging auch die Nachfrage nach Öl und Elektrizität zurück, bis sie während des Jahres 1999 wieder anstieg.675 Gerade die Änderung der staatlichen Politik gegenüber Konzernen zog mehrere Effekte hinsichtlich der Energieeffizienz auf Firmenebene nach sich. Die Abschaffung von staatlich festgelegten Preisen führte zu steigenden relativen Energiepreisen, welche zu Innovationen im Bereich der Energieeinsparung führten. Zudem führte die Reform von Unternehmen zu mehr Anreizen auf der Managerebene auf andere Energieträger zurückzugreifen und Kosten schonende Innovationen zu implementieren. Ferner schloss die Regierung ineffektive Kleingeneratoren im Energiesektor, was wiederum Anreiz schuf, auch hier die Effizienz bei der Produktion von Elektrizität voranzutreiben.676
4.5.2 Energieeffizienz Neben der Debatte um den jeweiligen Energiemix, bekommt Energieeffizienz eine zunehmende Bedeutung in den Perzeptionen von Energiesicherheits- und Umweltschutzstrategien vieler Staaten. Energieeffizienz ist der kritische Parameter in der Politik, die Energiekonsumtion zwar zu verringern, dabei aber das Wirtschaftswachstum aufrechtzuerhalten, wenn nicht gar auszuweiten. Hierbei ist festzuhalten, dass die Energieeffizienz letztlich das Gleiche beschreibt, wie die Energieintensität. Der Unterschied besteht in der Annäherungsweise. Bei der Energieintensität wird nach dem Anteil an Energie gefragt, der in einer bestimmten Produktionseinheit enthalten ist (Energieinput/wirtschaftlicher Output), während Energieeffizienz den Umfang an Energie beschreibt, der zur Erwirtschaftung einer bestimmten Einheit in der wirtschaftlichen Produktion benötigt wird (wirtschaftlicher Output/Energieinput).677 675
Andrews-Speed, Philip (2004): Energy Policy and Regulation in the People’s Republic of China; Kluwer Law International; The Hague, London New York; S. 11. Fischer-Vanden, Karin; Jefferson, Gary H.; Hongmei, Liu; Quan, Tao (2003): What is Driving China’s Decline in Energy Intensity; National Bureau of Statistcs; People’s Republic of China; S. 12. 677 Han, Zhi-Yong; Fan, Ying; Jiao, Jian-Ling; Yan, Ji-Sheng; Wei, Yi-Ming (2007): Energy struc676
304
4 Die Energiepolitik der VR China
Auch in der VR China, als schnell aufstrebendem Schwellenland, hat sich diese Diskussion in einigen Verordnungen und Maßnahmen der Regierung niedergeschlagen. Die zu erwartende Energieeinsparung durch Energieeffizienz kann beim Stromverbrauch bis zu einem Drittel betragen. Beispielsweise hatte Chinas BSP nur einen Anteil von 4 Prozent am globalen BSP, während die Volksrepublik einen Anteil am weltweiten Erdölkonsum von acht Prozent hatte; zehn Prozent waren es beim Verbrauch von Elektrizität und 31 Prozent bei Kohle.678 Im Bereich des Umweltschutzes erscheint Chinas Ineffizienz beim Energieverbrauch noch größer. Beispielsweise hatte China im Jahre 2003 weltweit mit 21,59 Millionen Tonnen die höchsten SO2 Emissionen, davon kamen 90 Prozent vom exzessiven Verbrauch von Kohle. Im gleichen Jahr hatte China nach den USA den weltweit größten CO2-Ausstoß. Die Energieelastizität Chinas – das Verhältnis zwischen der Wachstumsrate beim Energieverbrauch und der des BIP – steigt indessen exponentiell. 1990 lag sie bei 0,7, während sie 2003 bei 1,61 einen Höhepunkt erreichte und 2004 mit 1,6 wieder leicht abfiel.679 Dennoch stieg die Energieeffizienz zwischen 1978 und 2003 konstant. Die Energiestruktur, die zwischen 1978 und 1991 in China vorherrschte, hatte einen negativen Effekt auf die Energieeffizienz. Während dieser Zeit beruhte das wirtschaftliche Wachstum nicht auf einer steigenden ökonomischen Effizienz, sondern einem Ausbau des Ressourceninputs. Das BIP wuchs zwar permanent, die wirtschaftliche und die Energiestruktur blieben jedoch gleich. Vor allem der wachsende Anteil von Kohle in der Produktion konterkarierte Fortschritte in der Energieeffizienz, die durch Verbesserungen in Technologie und Management hervorgerufen wurden.680 Zwischen 1991 und 2001 wurde diesem Effekt durch eine Umgestaltung der Energiestruktur von Kohle zu Erdöl entgegengetreten. Vor allem nach 1997 schloss Beijing viele kleine Kohleminen, was zu einer abnehmenden Kohleversorgung führte und zu einem Umstieg auf andere Energieträger (Kap. 4.4.3). Aufgrund dieses Umstiegs erfuhr Chinas aggregierte Energieeffizienz einen signifikanten Anstieg zwischen 1998 und 1999. Jedoch wurden die Kohleminen
ture, marginal efficiency and substitution rate: An empirical study of China; in: Energy Policy; No. 32; S. 935-942; S. 935. 678 Hang, Leiming; Tu, Meizeng (2007): The impacts of energy prices on energy intensity: Evidence from China; Energy Policy; vol. 35; S. 2978-2988; S. 2978. 679 Hang, Leiming; Tu, Meizeng (2007): The impacts of energy prices on energy intensity: Evidence from China; Energy Policy; vol. 35; S. 2978-2988; S. 2978. 680 Han, Zhi-Yong; Fan, Ying; Jiao, Jian-Ling; Yan, Ji-Sheng; Wei, Yi-Ming (2007): Energy structure, marginal efficiency and substitution rate: An empirical study of China; in: Energy Policy; No. 32; S. 935-942; S. 939.
4.5 Energieintensität, Energieeffizienz und Energieeinsparung
305
durch den schnell steigenden Energiebedarf wieder eröffnet, was wiederum zu einem Rückgang der Energieeffizienz nach dem Jahre 2000 führte.681 Seit 2006 hat die Regierung in Beijing ihre Politik hinsichtlich der Energieeffizienz deutlich verschärft. Neben steigenden Energiepreisen wurden durch folgende sechs Punkte Energieeffizienz und dadurch Energieeinsparung vorangetrieben:
Top 1.000 Enterprise Energy Savings Programm, das von der NDRC im Jahre 2006 initiiert wurde. Die 1.000 größten staatlichen Konzerne, die allein ein Drittel der Energie in China verbrauchen, müssen ihren Energiekonsum reduzieren. Eine Evaluation der Energieeffizienz: Mit dem Jahr 2008 wurde eine Evaluationsmethode hinsichtlich der Programme zur Steigerung der Energieeffizienz etabliert, die von lokalen Regierungen aufgestellt werden. Die Streichung von finanziellen Anreizen für energieintensive Industrien: Das Ministry of Commerce schaffte im Jahre 2007 Exportsteuerrabatte für 553 Produkte ab, deren Herstellung mit einer starken Umweltverschmutzung und einem überdimensionalen Ressourcenverbrauch einhergeht. Dies betrifft etwa Stahl, Zement und galvanisiertes Aluminium. Staatliche Banken wurden dazu aufgefordert in diesen Sektoren Kredite zu vergeben, um die Energieeffizienz zu steigern. Die Schließung von hochgradig umweltverschmutzenden Konzernen: Im Jahre 2007 wurden durch das Ministry of Environmental Protection kleine Kohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von einem Megawatt, in der stahl- und eisenverarbeitenden Industrie eine Kapazität von 18,43 Millionen Tonnen pro Jahr stillgelegt. Bei der Zementherstellung waren es 30 Millionen Tonnen, bei der Papierherstellung 1,7 Millionen Tonnen. Finanzielle Unterstützung für Verbesserungen im Bereich der Energieeffizienz: Das Ministry of Finance verteilte im Jahre 2007 Kredite und Subventionen in Höhe von umgerechnet 2,35 Milliarden Euro, von denen 700 Millionen Euro in zehn nationale Energieeffizienzprojekte flossen. Eine stärkere Regulationsinfrastruktur: Der National People’s Congress verbesserte das Energy Conservation Law und der Staatsrat plante eine Revision des Medium and Long-term plan for Energy Conservation.682
681 Han, Zhi-Yong; Fan, Ying; Jiao, Jian-Ling; Yan, Ji-Sheng; Wei, Yi-Ming (2007): Energy structure, marginal efficiency and substitution rate: An empirical study of China; in: Energy Policy; No. 32; S. 935-942; S. 939. 682 Cheung, Ray; Kang, Aram (2008): China’s Booming Energy Efficiency Industry; New Ventures; Feature Nr. 1; World Ressources Institute; S. 2.
306
4 Die Energiepolitik der VR China
Auch im Bereich der Steigerung der Energieeffizienz in der Industrie, bei Gebäuden, der Energiegeneration und des Stromtransports gibt es entsprechende Maßnahmen, die helfen sollen eine Senkung des Energiebedarfs und somit eine Erhöhung der Möglichkeit der Eigenversorgung mit Energie zu ermöglichen (Tab. 12). Tabelle 12: Ausgewählte Maßnahme im Bereich der Energieeffizienz Industry Cogeneration: combine heat and power systems to generate significantly more elctricity and thermal energy in a single system compared to separate systems Heat recovery: recover heat generated in the production of mechanical or electrical power Optimization of motor-driven systems: use pumps and compressors Steam Best Practices: optimize the use of steam across plants Process optimization: reduce process times, such as for smelting, in transportation between process stages, and through an increase in hot charging (for energy-intensive industries) Adoption of efficient manufacturing technologies: near-net-shape casting for steel and metal industries and near-net-shape membranes for the chemicals and food processing industries Builidings High efficiency heating and cooling equipment with tight building shells, including roof, wall floor insulation, and low-leakage windows Compact fluorescent lighting High efficiency energy water heaters Power Generation and Transmission High efficiency capacity power plants, such as ultra-supercritical coal plants of advanced combined cycle gas turbines Efficient transmission systems that minimize power losses Standby-power reduction Quelle: Cheung, Ray; Kang, Aram (2008): China’s Booming Energy Efficiency Industry; New Ventures; Feature Nr. 1; World Resources Institute; S. 2.
Allerdings reichen die Maßnahmen bei weitem noch nicht aus, um die Ziele des elften Fünfjahresplans zu erreichen. Demnach soll der Energieverbrauch pro Einheit BIP bis 2010 um 20 Prozent sinken. Bis zum Jahr 2007 wurden jedoch nur 1,23 Prozent erreicht. Laut Fu Zhihuan, Vorsitzender des Financial and Economic Committee of the National People’s Congress sei am langsamen Prozess vorwiegend der Bausektor schuld, der im Jahre 2005 allein 27,5 Prozent der produzierten Energie in China verbrauchte, gefolgt von Transport 16,3 Prozent und Gebäude 6,7 Prozent. Es seien zwar Gebäude mit einem hohen Energieeffi-
4.5 Energieintensität, Energieeffizienz und Energieeinsparung
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zienzwert in der Größenordnung von 1,06 Milliarden Quadratmeter errichtet worden, das entsprach jedoch nur einem Anteil von sieben Prozent der Gesamtgebäudefläche in Städten.683 Laut Ministry of Construction sind die Städte Beijing, Shanghai, Tianjin und Chongqing zwar relativ weit fortgeschritten bei der Implementierung von Energieeinsparungsgesetzen, in anderen Regionen müsse die Umsetzung von Technologiestandards und die Kontrolle von Regierungsvertretern wesentlich vorangetrieben werden.684 Als Konsequenz sollen zumindest 154 staatseigene Konzerne mit hohem Energieverbrauch und einem erheblichen Maß an Umweltverschmutzungspotential eine Garantie abgeben, dass sie ihre Energieintensität um 20 Prozent und ihre Schadstoffemissionen um zehn Prozent bis 2010 reduzieren.685 Die Ziele zur Eindämmung von Treibhausgasen, der Steigerung der Energieintensität und der Energieeffizienz stoßen jedoch auf strukturelle Hindernisse, die einen schnelleren Erfolg behindern. Dennoch zeigt die Regierung der Volksrepublik auch im Vergleich mit anderen Schwellenländern, dass sie bereit ist, mehr in grüne Technologie zu investieren. Nicht zuletzt ist diese Tendenz entstanden, um eine Reduzierung der Energieimporte voranzutreiben und an westliche Standards anzuschließen und saubere Luft, weniger Desertifikation, klares Wasser, und weitere Vorteile einer postindustriellen Gesellschaft zu erreichen.
4.5.3 Energieeinsparung und der Wunsch nach Technologietransfer Der oben beschriebenen Entwicklungen im Zeitraum zwischen den Jahren 1995 und 1998 sind auch durch Energieeinsparungsmaßnahmen erklärbar. Die schrittweise Einführung von Marktmechanismen bei den Preisen für verschiedene Energieträger führte zu teilweise signifikanten Preissteigerungen, die zwar zur Forschung an Technologien zur Steigerung der Energieeffizienz führten, aber auch eine Energieversorgungskrise in einigen Regionen Chinas auslösten. Fiel der Preis für Energieträger, so stiegen in diesen Jahren der Energieverbrauch und die Energieintensität. Dies qualifiziert hohe Energiepreise scheinbar zu einem Motivator für Energieeinsparung und Energieeffizienz. In einem Schwellenland wie der VR China kann dies jedoch nach wie vor zu Energieengpässen führen, 683 People’s Daily: China to amend law to reduce energy consumption; in: People’s Daily Online; http://english.peopledaily.com.cn/200706/24/eng20070624_387207.html; Zugriff: 15.09.2008. 684 People’s Daily: China to amend law to reduce energy consumption; in: People’s Daily Online; http://english.peopledaily.com.cn/200706/24/eng20070624_387207.html; Zugriff: 15.09.2008. 685 People’s Daily: China’s major SOEs ordered to meet energy, pollution targets ahead of schedule; in: People’s Daily Online; http://english.people.com.cn/90001/90778/6251582.html; Zugriff: 15.09.2008.
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4 Die Energiepolitik der VR China
die wiederum negative Auswirkungen auf Industrie und somit den Lebensstandard der Menschen haben können. Wobei der Lebensstandard in China in ländlichen Gebieten nach wie vor sehr niedrig ist. Zudem befindet sich die Volksrepublik inzwischen, zumindest in den großen Ballungszentren im Osten und im Süden, in einer Transformation vom energieintensiven Industrie- zum Dienstleistungssektor, der mit weniger Energie auskommt. Zwar nimmt der Bedarf an energieintensiven Produkten wie Stahl und Beton zum Bau von Wolkenkratzern und der Verkehrsinfrastruktur nach wie vor zu, dennoch wird auch hier zunehmend auf Hochtechnologie zurückgegriffen, die wesentlich energieeffizienter ist. Ein anderer scheinbarer Vorteil von steigenden Energiepreisen ist, dass diese nützlich für die Sicherung von Chinas Energieversorgung sein können. Das betrifft vorwiegend den Erdölsektor, da steigende Ölpreise für inländische Erdölunternehmen starke Anreize schaffen, ihre Kernkompetenzen auszubauen. Der rasche Anstieg beim Energieverbrauch und bei den Energiepreisen sorgte allerdings auch für eine stärkere Beschäftigung mit dem Thema der Energieversorgungssicherheit in der chinesischen Regierung. 2003 erreichten Chinas Erdölimporte 128,3 Millionen Tonnen, also rund 46 Prozent der inländischen Erdölkonsumption, als Reaktion auf die zunehmende Energienachfrage, die von heimischen Konzernen nicht mehr gedeckt werden konnte. Die steigende hohe Abhängigkeit von maritimen und zunehmend kontinentalen Erdölimporten setzte China der Preisvolatilität des globalen Erdölmarktes aus. Dies veranlasste jedoch die nationalen Erdölkonzerne sowohl die Energiequellen als auch die Produzenten zu diversifizieren. Beispiele hierfür sind das steigende Engagement chinesischer Akteure in Russland und der Kaspischen Region.686 Die Auswirkungen von steigenden Energiepreisen sind also multidimensional. Auf der einen Seite ziehen hohe Energiepreise ein steigendes Interesse an Energieeffizienz sowie Energieeinsparung nach sich. Auf der anderen Seite stellen sie jedoch eine zusätzliche Belastung für ärmere Haushalte dar. Aufgrund der großen Kluft zwischen Arm und Reich in China – der Gini-Koeffizient687 lag 686
Hang, Leiming; Tu, Meizeng (2007): The impacts of energy prices on energy intensity: Evidence from China; Energy Policy; vol. 35; S. 2978-2988; S. 2984 f. 687 Der Gini-Koeffizent ist ein globales, statistisches Maß, mit dem die Ungleichheit der Einkommen bestimmt werden kann. Der Wert kann eine beliebige Größe zwischen 0 und 1 annehmen. Je näher der Gini-Koeffizient an 1 ist, desto größer ist die Ungleichheit. Er lag in China noch in den achtziger Jahren bei 0,2. Jetzt beträgt er 0,46 Prozent und nähert sich den Werten Lateinamerikas, wo er um die 0,5 liegt. Das chinesische Ministerium für Arbeit und Soziale Sicherung sprach zu Beginn des Jahres von einer „alarmierenden Lage“. Nach offiziellen Angaben verdient der chinesische Städter im Durchschnitt 3,2 Mal so viel wie ein Landbewohner. Der Durchschnittsverdienst in den ländlichen Regionen betrug im Jahr 2005 gerade 3200 Yuan (etwa 320 Euro) im Jahr. Bundeszentrale für politische Bildung: Entwicklung und Verteilung der Bruttoeinkommen; in: bpb-Online; http://www.bpb.de/wissen/LVDBA4,0,Entwicklung_und_Verteilung_der_Bruttoeinkommen.html;
4.5 Energieintensität, Energieeffizienz und Energieeinsparung
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2002 bei 0,45 – ist es eine große Herausforderung für die Regierung in Beijing auch für den ärmsten Teil der Bevölkerung Energie erschwinglich zu machen.688 Durch die soziale Sensitivität der Energiepreise und deren mögliche Schockwirkung auf die chinesische Wirtschaft, ist es daher für politische Akteure in China notwendig, die Energiepreise über ökonomische Regulierung von ihrer Volatilität zu befreien. So hat China hinsichtlich zukünftiger Energiepreisreformen einen langen Weg vor sich, da Politiker zwischen ökonomischem Wachstum, sozialer Stabilität, Energieversorgungssicherheit und Energieeffizienz einen Kompromiss finden müssen. Seit Anfang 2006 hat die Regierung die Energiepreise mehrere Male erhöht. Beispielsweise hob sie die Preise für Benzin und Diesel am 26. März 2006 um 300 und 200 Yuan an. Am 24. Mai wurden die Preise für Erdölprodukte um 500 Yuan angehoben, während die Elektrizitätstarife seit dem 1. Mai 2006 um durchschnittlich 2,52 Fen stiegen. Diese Ballung von Preissteigerungen lässt vermuten, dass eine neue Reform des Preissystems nicht mehr lange auf sich warten lässt.689 Ein Hindernis für die Energieeinsparung in China ist die Tatsache, dass viele Weltkonzerne aus Industrienationen im Zuge der Globalisierung ihre energieintensive und CO2-emmissionsstarke Produktion in die Volksrepublik ausgelagert haben. Fast 70 Prozent des Energieverbrauches in China entfallen nicht zuletzt aus diesem Grunde auf die Industrie, denn mit den Fertigungshallen wurde auch der Energiebedarf nach China ausgelagert. Für die Klima- und Energieeinsparungsziele der westlichen Staaten ist dieser Prozess vorteilhaft. Beijing jedoch ist unter anderem deswegen internationaler Kritik ausgesetzt, weil der Energieverbrauch zu rasant steige, dadurch die weltweiten Energiepreise in die Höhe treibe und China zum weltweit größten Emittent von Treibhausgasen geworden ist.690
Zugriff: 03.05.2007; Kolonko, Petra: Wachsende Wut auf die „Reichen“; in: FAZ-Online; http://www.faz.net/s/RubDDBDABB9457A437BAA85A49C26FB23A0/Doc~E2FF189CA9C764B3 5BA7775B3D2CF06F6~ATpl~Ecommon~Scontent.html; Zugriff: 05.03.2007. 688 UNDP (2006): China by The Numbers; in: http://content.undp.org/go/cms-service/ stream/asset/?asset_id=412700; Zugriff: 03.05.2007. 689 Hang, Leiming; Tu, Meizeng (2007): The impacts of energy prices on energy intensity: Evidence from China; Energy Policy; vol. 35; S. 2978-2988; S. 2984 f. 690 Gu, Xuewu; Mayer, Maximilian (2007): Chinas Energiehunger: Mythos oder Realität?; Oldenbourg; München, Wien; S. 19.
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4 Die Energiepolitik der VR China
4.5.4 Zwischenergebnis Energieintensität, Energieeffizienz und Energieeinsparung Seit dem zweiten Quartal 2007 ist die Volksrepublik nach der Bundesrepublik Deutschland und vor den USA zum zweitgrößten Exporteur der Welt aufgestiegen.691 Chinesische Ausfuhren gehen jedoch zu fast 60 Prozent auf ausländische Unternehmen zurück, während chinesische Staatsunternehmen und Privatunternehmen nur einen Anteil von 40 Prozent am Außenhandel haben. Zwar wird aus der Statistik nicht ersichtlich, wie viele der Unternehmen Joint Ventures sind, doch zeigt sie, dass die meisten der nach China verlagerten Produktionsstätten auf die Nachfrage nach billigen Produkten auf dem Weltmarkt ausgelegt sind. Nach dem Prinzip der Gewinnmaximierung durch Produktion in Billiglohnländern, stehen zwar die multinationalen Konzerne aus den westlichen Staaten und deren Kunden, die sich mit Billigprodukten versorgen können, auf der Gewinnerseite. Die chinesische Bevölkerung aber hat unter den Unternehmensstrategien amerikanischer, europäischer, japanischer oder koreanischer Konzerne zu leiden.692 Zudem steigt durch den Ausbau der Industrie auch der Energieverbrauch. Wie oben dargestellt hat die VR China, trotz ambitionierter Programme bei den Erneuerbaren Energien, bei Energieeinsparung und Energieeffizienz, bisher aber kaum die Möglichkeit ihren Anteil von fossilen Energieträgern am Energiemix einzuschränken. Kohle, Erdöl und Erdgas werden auch in Zukunft den Energiemarkt in der Volksrepublik dominieren. Kohle ist dabei im Lande reichlich vorhanden, auch wenn der Verbrauch inzwischen die Produktion überschritten hat. Vor allem bei Erdöl ist dieser Trend frappierender. In diesem Sektor wird die Regierung ihr Ziel der Selbstversorgung wohl nicht mehr erreichen können. Also hat sie zwei Möglichkeiten des Imports. Entweder importiert sie weiterhin 80 Prozent ihres Erdöls über den maritimen Weg durch die Straße von Malakka, die unter Überwachung der US-Marine steht. Oder sie entbindet sich dieser Kontrolle und diversifiziert ihre Importe in Richtung des Kontinents. Durch die Verhandlungen über den Bau von Pipelines ist augenscheinlich, dass die Regierung in Beijing versucht den zweiten Weg zu gehen. Als Möglichkeiten für die Diversifizierung eignen sich allerdings nur Russland und die Kaspische Region. Alle anderen Gebiete sind aufgrund des Himalajas für China nicht zu erreichen.
691 Handelsblatt: Exportweltmeister-Titel adé; in: Handelsblatt Online;
News/Konjunktur-%d6konomie/Konjunktur/_pv/_p/200053/_t/ft/_b/>/@Y[[ &\ \ meister-titel-ad%e9.html; Zugriff: 18.06.2008. 692 Gu, Xuewu; Mayer, Maximilian (2007): Chinas Energiehunger: Mythos oder Realität?; Oldenbourg; München, Wien; S. 19.
4.6 Akteure im Erdölsektor der VR China
311
Um einem weiteren Energieengagement in der Kaspischen Region entgegenzuwirken und den Verbrauch von hoch emittenten Energieträgern vorzubeugen ist es deshalb dringend notwendig Strategien für eine Win-Win-Situation auszuarbeiten, wie Energieeffizienz-Technologie zu günstigen Preisen und in großem Umfang aus Industriestaaten nach China transferiert werden kann. China ist ein Schwellenland, in dem gut ausgebildete Fachkräfte in reichlicher Zahl zu finden sind, die ihre Qualifikation rund um den Globus erhalten haben und auch im Bereich der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz einsetzen können. Auch ein Umweltbewusstsein ist – gerade in den von Luftund Wasserverschmutzung betroffenen Gebieten – in Entwicklung. Insofern sollte eine ernsthafte Beschleunigung des Aushandlungsprozesses hinsichtlich des Technologietransfers, der inzwischen seit über einem Jahrzehnt geführt wird, maßgeblich vorangetrieben werden. Die Umweltverschmutzung, die durch eine weitere Verzögerung des Aufbaus hochentwickelter Energieeffizienztechnik in China entsteht, wird sich sonst in Zukunft auf den globalen Klimawandel in erheblichem Maße auswirken. Die Folgekosten, die daraus entstehen werden, werden die kurzfristigen Gewinnmitnahmen, die europäischen Konzerne heute (Stand 2009) durch den teuren Verkauf dieser Technologie erwirtschaften können, schnell amortisieren. Passiert dieser Technologietransfer nicht, werden die fossilen Energieträger langfristig einen Anteil von über 90 Prozent im Energiemix der Volksrepublik beibehalten. Somit werden sie auch in Zukunft eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Energiesicherheitsstrategie und dem – zum Teil als aggressives Vorgehen erachteten693 – weltweiten Investitionen im Erdöl- und Erdgasbereich einnehmen. Aber selbst wenn in diesem diffizilen Bereich ein Erfolg erzielt wird, bleiben die Machtkämpfe der Akteure um die Vorherrschaft im Energiesektor der VR China erhalten. Wie die Akteursstruktur in China gestaltet ist und welche Rivalitäten sich im Machtdreieck Regierung-staatliche Konzerne-Militär entwickelt haben wird im folgenden Kapitel anhand des Fallbeispiels des Erdölsektors genauer untersucht.
4.6 Akteure im Erdölsektor der VR China Die Hauptakteure im Energiesektor in China sind die großen staatlichen Erdölkonzerne im wirtschaftlichen, die National Development and Reform Commission, Ministry of Commerce, Ministry of Environmental Protection, Ministry of 693
Gu, Xuewu; Mayer, Maximilian (2007): Chinas Energiehunger: Mythos oder Realität?; Oldenbourg; München, Wien; S. 14.
312
4 Die Energiepolitik der VR China
Finance, Ministry of Construction, das Ministry on Foreign Affairs und weitere Ministerien im administrativ-bürokratischen, die People’s Liberation Army (PLA) im militärischen und Experten aus verschiedenen Denkfabriken und Universitäten im wissenschaftlichen Bereich. Innerhalb dieser Institutionen, Konzerne und anderen Einrichtungen gibt es wiederum konkurrierende Akteure, die ihre Interessen bzw. Vorstellungen durchzusetzen versuchen. Ein Beispiel dafür sind die Richtungskämpfe im Atomsektor, die von unterschiedlichen Koalitionen in der Regierung geführt werden. Durch diese Richtungskämpfe wurde das Atomprogramm inzwischen so weit verzögert, dass es fraglich ist, ob die hohen Ziele beim Zubau von Atomreaktoren bis 2020 erreicht werden können (Kap. 4.4.4). Ein anderes Beispiel, indem es zu Konkurrenzen zwischen den Hierarchieebenen kommt wurde im Kapitel 4.4.3 anhand der „illegalen“ Kraftwerke aufgezeigt. Abbildung 60: Akteursdreieck im chinesischen Energiesektor
Quelle: Eigene Grafik.
Die Hauptakteure lassen sich im Dreieck Regierung – staatliche Konzerne – Militär vereinen (Abb. 60). Innerhalb des Dreiecks sind die Akteure jedoch nicht klar differenziert. Vielmehr kommt es zu Ämterüberschneidungen zwischen Regierung und Konzernen bzw. zwischen Regierung und Militär oder Konzernen und Militär. Ähnlich wie in Frankreich können Regierungsmitglieder sehr leicht in gehobene Posten der Wirtschaft wechseln und danach wieder in die Regierung zurückkehren. Dadurch wird die Analyse der Machtstruktur zwischen Regierung, Wirtschaft und Militär erschwert, da die Grenzen fließend werden und eine genaue Interessenzuordnung auf den ersten Blick fast unmöglich scheint. Um dennoch auf ein Ergebnis zu kommen, welcher Akteur den meisten Einfluss auf die Entwicklung der Energiepolitik und damit auch der Energiesicherheitsstrategie
4.6 Akteure im Erdölsektor der VR China
313
in der Volksrepublik hat, werden in den folgenden Unterkapiteln die drei Hauptakteure genauer betrachtet.
4.6.1 Struktur der staatlichen Erdölkonzerne Die drei staatlichen Erdölkonzerne, die in den 1980ern gegründet wurden, sind der wirtschaftliche Arm, in der Sicherung von Erdöl- und Erdgasimporten sowie bei der Sicherung von Anteilen im internationalen Erdöl- bzw. Erdgasmarkt. Chinese National Petroleum Corporation (CNPC) wurde 1988 vom Ministry of Petroleum Industry gegründet. Sinopec ging 1983 aus einer gemeinsamen Investition vom Ministry of Petroleum Industry und dem Ministry of Chemical Industry hervor. Beide Konzerne agieren politisch auf Ministerebene, die Geschäftsführer haben den Rang eines Vizeministers. China National Offshore Oil Corporation (CNOOC) wurde als erster großer nationaler Erdölkonzern bereits 1982 vom Ministry of Petroleum Industry eingerichtet. Das Unternehmen hat den Status eines Generalbüros, das zwar niedriger als ein Ministerium, aber höher als ein Büro eingestuft wird.694 Nach ihrer Gründung waren die drei Konzerne vertikal integriert. Wobei CNPC für Exploration und Produktion, Sinopec für Raffinerie und Marketing und CNOOC für den Offshore-Sektor zuständig war. Diese vertikale Integration wurde während der 1990er Jahre im internationalen Bereich aufgehoben, um alle Chancen auf Marktanteile im Erdölsektor wahrnehmen zu können. Im Mutterland ist die Struktur jedoch bis heute (Stand 2009) erhalten geblieben.695 Während der Reformen des Energiesektors 1998 wurden CNPC und Sinopec neu organisiert und sind seitdem wieder vertikal integriert. Zudem gründeten alle drei Unternehmen zwischen 1999 und 2001 Tochtergesellschaften, um diese an den internationalen Börsen zu etablieren. Grund hierfür war es, dem internationalen Druck zur Öffnung des chinesischen Energiemarktes entgegenzukommen und ausländisches Kapital anzuziehen, das dann auch für Investitionen vom Upbis hin zum Down-Stream-Sektor genutzt werden kann. Immerhin wurde für CNPC von der Regierung das Ziel oktroyiert, bis zum Jahre 2010 50 Millionen Tonnen Erdöl aus Überseeproduktion zu importieren.696
694
Downs, Erica (2006): China; The Brookings Foreign Policy Studies; Energy Security Series; S. 22. 695 Andrews-Speed, Philip; Liao, Xuanli; Dannreuther, Roland (2002): The Strategic Implications of China’s Energy Needs; Adelphi Paper 346; Oxford University Press; Oxford; S. 51. 696 Andrews-Speed, Philip; Liao, Xuanli; Dannreuther, Roland (2002): The Strategic Implications of China’s Energy Needs; Adelphi Paper 346; Oxford University Press; Oxford; S. 52.
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4 Die Energiepolitik der VR China
Trotzdem die Volksrepublik in der öffentlichen Meinung der westlichen Staaten nach wie vor als sozialistischer, kommunistischer oder maoistischer Staat angesehen wird, waren die Börsengänge der Tochtergesellschaften der großen drei nationalen Erdölkonzerne als Erfolg zu bewerten. Es gab bei den Investoren und Anlegern keine Befürchtungen, dass die Privatisierung rückgängig gemacht werde und sie somit ihr angelegtes Kapital verlören. Vielmehr geht Steven W. Lewis, Fellow in Asian Studies am James A. Baker III. Institute der Rice University, davon aus, dass der Regierung in dieser Hinsicht die Hände gebunden sind. Die Glaubwürdigkeit der Reformen resultiert in China aus drei Faktoren: Erstens gibt es ein engmaschiges Netz von vertraglichen und eigentumsbezogenen Beziehungen zwischen den chinesischen Konzernen, um Marktkosten und politische Risiken zu internalisieren. Zweitens schwinden die Einflussmöglichkeiten der Regierung auf die Mitarbeiter und Manager der Unternehmen hinsichtlich der Konzernstrategien und drittens wachsen die finanzielle Autarkie und der ökonomische Einfluss der lokalen Regierungen, die untereinander um die Attraktivität ihrer Provinzen für Investitionen konkurrieren.697 Die Einflussmöglichkeiten der Zentralregierung auf die Mitarbeiter eines großen Konzerns in der VR China waren allerdings schon kurz nach der Gründung begrenzt. Zwar mussten die Konzerne Regierungstreue beweisen und die Fünfjahrespläne erfüllen, auf der anderen Seite haben sie durch Übertragung einer vielschichtigen Aufgabenpalette von Seiten der Regierung viel Macht erhalten, die bis heute (Stand 2009) im Bewusstsein der chinesischen Bevölkerung verankert ist.
4.6.2 Die historische Komponente der Arbeitsorganisation Die chinesischen „sozialistischen“ Kommunen (danwei/people’s commune) haben sich über die Jahrzehnte seit Gründung der VR China zu „gesellschaftlichen Einheiten“ entwickelt. Sie sind für alle sozialen Belange vom Gesundheitssystem über die Familienplanung – und Familienkontrolle – bis hin zur schulischen Bildung698 der urbanen und kommunalen Bevölkerung zuständig. Ein danwei ist aber auch zuständig für die Mediation bei Konflikten innerhalb der 697
Lewis, Steven W. (1999): Privatizing China’s State-Owned Oil Companies; James A. Baker III Institute; Rice University; S. 5. 698 Der Zwiespalt zwischen der Erziehung zu Hause und der staatlichen Sozialisation sollte nach Möglichkeit aufgehoben werden: „If a child is given a communist education at school and a noncommunist education at home, the results are bad. … The weaknesses of education at home from this point of view are more and more obvious.“ Renmin Ribao, 4. Oktober 1958 zitiert nach: Chesneaux, Jean (1979): China: The People’s Republic, 1949-1976; Harvester Press; Sussex; S. 91.
4.6 Akteure im Erdölsektor der VR China
315
Belegschaft oder deren Familien. Diese Befugnisse im Bereich der Rechtssprechung reichen bis hin zur Ermittlung in Gesetzesüberschreitungen und zur Verurteilung der ermittelten Schuldigen. Zudem organisiert ein danwei Arbeitsdienste, die der Allgemeinheit zugute kommen und ist für die Verteilung von Gütern bei Rationalisierungen aufgrund von Versorgungsengpässen zuständig.699 Der Kompetenzbereich eines danwei betrifft auch die Definition und die Durchsetzung von Eigentumsrechten – u.a. die zur Erfüllung des vorgegebenen Plansolls notwendigen, die Auszahlung von Entschädigungen oder Boni und die Vermittlung von Unterkünften oder Wohnungen für die Angestellten und Arbeiter. Seit den 1950er Jahren ist das Tor eines danwei das Tor zur Beschäftigung und einem stabilen Lebensumfeld für die chinesische Bevölkerung.700 So wird ein danwei in weiten Teilen der Bevölkerung als die Basisinstanz ihrer Gesellschaft und der Kommunikation mit der Regierung angesehen. Aufgrund der Varietät der Aufgaben wird der Konzern dadurch als ein Teil der eignen Identität anerkannt. Bis in die späten 1980er Jahre war der Betrieb, in dem der erste Arbeitsplatz gefunden wurde auch der, aus dem er bei Renteneintritt ausschied und der ihm seine Pension bezahlte.701 Mit den Wirtschaftsreformen unter Deng Xiaoping 1978 änderte sich dies. Es vollzog sich ein Übergang von einer zwei- zu einer drei-Sektoren Wirtschaft. Die ersten beiden Sektoren waren die kollektivierte Landwirtschaft und die staatliche Industrie. Der neue dritte Sektor war laut Xiao-Yuan Dong, Professorin für Wirtschaft an der University of Winnipeg, „nichtstaatlich und nicht landwirtschaftlich“ – besser gesagt „kommerziell“.702
699
Chesneaux, Jean (1979): China: The People’s Republic, 1949-1976; Harvester Press; Sussex; S.
89. 700
Erst am 10. Dezember 1958 legte die Wuhan Resolution die Funktion der danwei und wie sie betrieben werden sollten fest. Zu dieser Zeit gab es aber schon 26.578 Kommunen, in denen „99 percent of all the peasant families of all races in China“ organisiert waren und lebten. Chesneaux, Jean (1979): China: The People’s Republic, 1949-1976; Harvester Press; Sussex; S. 88. 701 In der Wuhan Resolution ist die Funktion der people’s commune wie folgt definiert: „[It] is the basic unit of the socialist social structure of our country, combining industry, agriculture, trade, education, and military affairs; at the same time it is the basic organization of the socialist state power. … the planning of the people’s commune must be part of the national plan and be subject to state administration. At the same time, in working out its plan, the commune must develop its own individuality and spirit of initiative to the full.” Wuhan Resolution zitiert nach: Chesneaux, Jean (1979): China: The People’s Republic, 1949-1976; Harvester Press; Sussex; S. 89; Klenner, Wolfgang (2006): China Finanz- und Währungspolitik nach der Asienkrise; Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft Band 6; Lucius & Lucius; Stuttgart; S. 53; Lewis, Steven W. (1999): Privatizing China’s State-Owned Oil Companies; James A. Baker III Institute; Rice University; S. 8. 702 Puttermann, Louis; Xiao-Yuan, Dong (2000): China’s State Owned Enterprises. Their Role, Job Creation, and Efficiency in the Long-Term-Perspective; in: Modern China; Vol. 26; No. 4; S. 403447; Sage Publications; S. 404.
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4 Die Energiepolitik der VR China
Insofern änderte sich die Struktur der chinesischen Wirtschaft in dem Maße, dass inzwischen ein großer Teil der Arbeitsplätze nicht mehr in danwei organisiert ist und auch die jüngere Generation oftmals keinen Bezug mehr zu den Normen und Werten dieser „gesellschaftlichen Einheiten“ hat. Dennoch hatte diese Form der wirtschaftlichen Organisation nicht nur bei den Wirtschaftsreformen der 1970er und 1980er Jahre Auswirkungen. Dadurch, dass die danwei mehr als 100 Millionen Arbeitsplätze zur Verfügung stellten, die von älteren Generationen lange Zeit in Anspruch genommen wurden und die dort sozialisiert wurden, ist die Bevölkerung mit dieser Form der Kommunikation mit der Regierung vertraut.703 Gepaart mit der Tatsache, dass es – nach westlichen Maßstäben – noch kein ausgeprägtes juristisches System gibt, erhalten sich die staatlichen Konzerne auch im neuen Jahrtausend somit ihre Macht gegenüber der Partei.704 Neben dieser sehr fragmentierten Struktur der chinesischen Wirtschaft, gibt es noch zwei weitere historische Faktoren bei der Interdependenz zwischen Wirtschaft und Regierung, die es der Regierung erschweren die Privatisierung der Konzerne genau zu überwachen. Erstens wird ein chinesischer danwei nicht von einem speziellen Regierungsressort kontrolliert, sondern von allen Ressorts. Das bedeutet, ein danwei ist keinem einzelnen Ministerium Rechenschaft schuldig, sondern allen. Er kann dadurch aber auch Berichte dermaßen zerfasern, dass die eigentliche, detaillierte Struktur des Konzerns für das Zentralkomitee der Partei kaum zu durchschauen ist.705 Das chinesische System war in dieser Hinsicht nicht so stark zentralisiert, wie das der Sowjetunion. Die meisten Betriebe wurden auf Provinzebene oder darunter liegenden Ebenen kontrolliert und nicht von Beamten der Zentralregierung in Beijing.706
703
Klenner, Wolfgang (2006): China Finanz- und Währungspolitik nach der Asienkrise; Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft Band 6; Lucius & Lucius; Stuttgart; S. 53. 704 Im Jahre 1995 wurde ein „10.000-1.000-100-10“-Programm aufgesetzt: in 10.000 großen Staatsbetrieben wurde bis 1997 das Rechnungswesen neuen Standards unterworfen und ihr Anlagevermögen neu bewertet. Ferner sollten diese Unternehmen ihre Managementrechte voll nutzen. 1.000 große Staatsunternehmen mussten ihre Anlagevermögen von einer staatlichen Wirtschaftskommission prüfen lassen. 100 große und mittlere Staatskonzerne wurden nach dem seit 1994 geltenden Gesellschaftsrecht in GmbHs oder Aktiengesellschaften umgewandelt. Zehn Stadtverwaltungen verwirklichten die umfassende Betriebs-, Wirtschafts- und Sozialreform. Hier wurden jedoch 18 Städte in einem Zeitraum von drei Jahren vorgesehen. Hebel, Jutta (1997): Chinesische Staatsbetriebe zwischen Plan und Macht; Mitteilungen des Instituts für Asienkunde; Hamburg; S. 4. 705 Lewis, Steven W. (1999): Privatizing China’s State-Owned Oil Companies; James A. Baker III Institute; Rice University; S. 10f. 706 Puttermann, Louis; Xiao-Yuan, Dong (2000): China’s State Owned Enterprises. Their Role, Job Creation, and Efficiency in the Long-Term-Perspective; in: Modern China; Vol. 26; No. 4; S. 403447; Sage Publications; S. 404.
4.6 Akteure im Erdölsektor der VR China
317
Dennoch weist die institutionelle Geschichte mancher chinesischer Betriebe Perioden auf, in denen der Eigentümer eine Zeitlang die Zentralregierung, dann aber wieder die Provinz war. Hinzu kommt, dass auch das Maß an regulatorischer Autarkie und die finanziellen Ressourcen, die einem Konzern zur Verfügung standen erheblich variierten.707 Auch in der Energieindustrie ist diese Komplexität der Machtverschiebungen in der Geschichte nachzuvollziehen. Vor der Entdeckung des bisher größten Erdölfeldes in Daqing im Nordosten Chinas, war die Volksrepublik von Erdölkonzernen wie dem danwei Sinochem abhängig.708 Der staatliche Konzern belieferte diverse Raffinerien, die zum Teil der Zentralregierung und zum Teil regionalen Regierungen unterstanden. Nach Produktionsbeginn in Daqing wurde das Ölfeld von der regionalen Administration dem neu geschaffenen zentralen Petroleum Ministry zugeordnet. Zur gleichen Zeit wurde das neue zentrale Chemical Industry Ministry durch hohe Investitionen in große Raffinerien an strategisch günstigen Standorten, die der Zentralregierung unterstanden, gestärkt. Über ein zentral gesteuertes Geology and Mining Ministry wurden Unternehmen zur Exploration und Entwicklung eingerichtet. Die neue staatliche Planungskommission war zuständig für die Erstellung des Fünf-Jahres-Plans für die Investitionen in den Öl- und Gassektor; die staatliche Wirtschaftskommission koordinierte die Investitionen über die Central Sectoral Ministries und deren untergeordneten Konzerne.709 Dennoch existierten kleine lokale Firmen und regional betriebene Ölfelder nebeneinander. Es kam bis in die späten 1970er Jahre zu Synergieeffekten, indem erfolgreiche Manager der lokalen Ebene in die danwei der Zentralregierung aufstiegen. Spätestens mit den ökonomischen Reformen ab 1978 nahm sich Beijing dann das Recht, sich unprofitabler Unternehmen zu entledigen. Ein Grund hierfür war, dass durch die oben beschriebene Struktur der danwei eine Überwachung der Aktivitäten der staatlichen Konzerne während der Reformen äußerst schwierig war. Von diesem Prozess wurden tausende Unternehmen von der staatlichen auf die regionale bis hin zur lokalen Ebene transferiert. So wurden selbst kleine Dörfer zu Akteuren in der Erdölindustrie – vor allem bei kleinen Raffinerien.710 707
Lewis, Steven W. (1999): Privatizing China’s State-Owned Oil Companies; James A. Baker III Institute; Rice University; S. 11. 708 Sinochem wurde im Jahre 1950 als staatliches Unternehmen, das direkt dem Staatsrat untersteht gegründet und hatte das Monopol auf den Außenhandel mit Erdöl und Erdölprodukten; Sinochem: Homepage; in: http://www.sinochem.com/tabid/615/Default.aspx; Zugriff: 06.06.2007. 709 Lewis, Steven W. (1999): Privatizing China’s State-Owned Oil Companies; James A. Baker III Institute; Rice University; S. 12. 710 Lewis, Steven W. (1999): Privatizing China’s State-Owned Oil Companies; James A. Baker III Institute; Rice University; S. 12f
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4 Die Energiepolitik der VR China
Dies hatte jedoch zur Folge, dass die Kontrolle für die Zentralregierung über den Liberalisierungsprozess und die Dezentralisierung der danwei noch schwieriger wurde und die Kosten für die Überwachung weiter anstiegen.711 Der zweite historische Moment der die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Regierung bestimmt ist der fortlaufende strukturelle Wandel der Besitzverhältnisse innerhalb der Unternehmen. So können Konzerne – abhängig von Größe, Bedeutung und Erfolg – ihren rechtlichen Status verändern. Es existieren staatliche Konzerne, städtische Kollektive oder Kooperationen, ländliche Verwaltungseinheiten und dörfliche Unternehmen und Kooperationen, private Firmen, Konzerne, die ausschließlich mit ausländischen Direktinvestitionen finanziert sind sowie Joint Ventures, Aktiengesellschaften und chinesische multinationale Konzerne. Zwischen 1949 und 1958, in der Phase der „sozialistischen Transformation des Kapitals“, wurden die verschiedenen Formen des Privatbesitzes verstaatlicht. Während der Landreform Anfang der 1950er Jahre erfolgte eine Neuverteilung der mittleren und großen Landflächen, die von Großgrundbesitzern oder traditionellen kommunalen Assoziationen betrieben wurden. Die großen sozialistischen Kommunen des „großen Sprung nach vorne“ entstanden danach Schritt für Schritt während der 1950er Jahre. Um eine gesicherte Versorgung mit Nahrungsmitteln in den Städten zu garantieren, wurden die Arbeiter in Verteilungsnetzwerken zusammengefasst. Diese Kooperativen sicherten die staatliche Kontrolle über die Produktionsmittel und die infrastrukturellen Investitionen, die schließlich in Kollektiveigentum übergingen.712 Der gleiche Prozess war hinsichtlich der Verstaatlichung des Industrie- und Handelssektors zu beobachten. Vor dem „großen Sprung nach vorne“ erfolgte die Nationalisierung hier über Entschädigungen oder den Erwerb der Mehrheit des Unternehmens durch den Staat. Später wurden die Kompensationszahlungen jedoch eingestellt.713 Ferner wurde die staatliche Kontrolle auch im künstlerischen Bereich und im Kleingewerbe über die Kollektivierung hergestellt. Im Zuge dessen wurden, hinsichtlich der Gleichstellungsbemühungen, Frauen über die Kollektive in den Produktionsprozess einbezogen. Vor allem bei den städtischen Kollektiven, die beispielsweise im Handelssektor ein Rückgrat der Wirtschaft darstellten, war jedoch eine Unterordnung nach Sektoren unter die entsprechenden Ministerien nicht festzustellen. Vielmehr wurden sie generell einem Collective Economy 711
Dittmer, Lowell; Xiaobo, Lu (1996): Personal Politics in the Chinese Danwei under Reform; in: Asian Survey; Vol. 36; Nr. 3; Informal Politics in East Asia; S. 246-267; Universtiy of California Press; 249. 712 Bjorklund, E.M. (1986): The Danwei: Socio-Spatial Characteristics of Work Units in China's Urban Society; Economic Geography; Vol. 62; Nr. 1; S. 19-29; Clark University; S. 22. 713 Lewis, Steven W. (1999): Privatizing China’s State-Owned Oil Companies; James A. Baker III Institute; Rice University; S. 15.
4.6 Akteure im Erdölsektor der VR China
319
Office unterstellt. Dabei spielte es auch keine Rolle, ob es sich um ein Nachbarschafts-, Stadtteil- oder städtisches Kollektiv handelte.714
4.6.3 Der Privatisierungsprozess unter staatlicher Kontrolle In den 1950er Jahren wurden auch die Gesetze und Regulationen erlassen, die bestimmten, in welcher Form die Zentralregierung sich als Eigentümer an privaten Unternehmen beteiligen kann, auch wenn diese nie von einem Gericht offiziell bestätigt wurden. So konnten die Reformer der 1970er Jahre in den Büchern zurückblättern und stießen auf ein Reformmodell. Durchsetzbar wurde das Reformmodell zudem, da auch die entsprechenden ideologischen Termini festgehalten waren, die die Argumente für die Durchsetzung einer „Sozialistischen Marktökonomie“ legitimierten.715 Als Auswirkung der Reformen Ende der 1970er und in den 1980er Jahren ist festzustellen, dass die Produktions- und Distributionsnetzwerke nicht nur die danwei – mit den verschiedenen Regierungsebenen als Eigentümer – einschließen, sondern auch eine Vielzahl von anderen Eigentumsverhältnissen berücksichtigen mussten. Verdeutlicht im Erdölsektor könnte sich dieser Sachverhalt wie folgt darstellen. Erdöl wird von einem Kollektiv, das vertraglich an ein staatliches Unternehmen gebunden ist und das Ölfeld besitzt oder verwaltet, produziert. Dann wird es von einem regional verwalteten Unternehmen zu einem Erdöldepot transportiert, das wiederum von einem städtischen Unternehmen betrieben wird. Von dort aus wird es von Tanklastzügen eines nahegelegenen Dorfunternehmens zu einer Raffinerie gebracht, die aus einem Joint Venture aus zentraler und lokaler Regierung besteht, die wiederum in technologischer Zusammenarbeit mit einem ausländischen Investor steht. Benzin und Diesel werden dann von einem städtischen Kollektiv zu einer vom Bezirk verwalteten kapitalgesellschaftlichen Tankstelle befördert, die wiederum von einem städtischen Konzern geleast ist. Andere Erdölprodukte werden von der Raffinerie in einem von einem multinationalen Konzern gehörendem Depot gelagert.716 Die oben exemplarisch geschilderten Zusammenhänge zeigen, dass die Produktions- und Distributionsnetzwerke nach den ersten Reformen wesentlich
714
Lewis, Steven W. (1999): Privatizing China’s State-Owned Oil Companies; James A. Baker III Institute; Rice University; S. 16. 715 Lewis, Steven W. (1999): Privatizing China’s State-Owned Oil Companies; James A. Baker III Institute; Rice University; S. 16. 716 Lewis, Steven W. (1999): Privatizing China’s State-Owned Oil Companies; James A. Baker III Institute; Rice University; S. 16f.
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4 Die Energiepolitik der VR China
"omplexer geworden sind, vor allem da sie ein Konglomerat aus danwei-Besitz, verschiedenen Regierungsebenen sowie privatem Eigentum darstellen. Nicht zuletzt erhielten die Manager der staatlichen Unternehmen zwischen 1978 und den frühen 1990er Jahren graduell mehr Autonomie hinsichtlich der Produktion und des Einkaufs, was ihre Aufmerksamkeit auf die Profite als Quelle für Boni und Investmentfunds lenkte. Dennoch blieben die Auswirkungen der Marktkräfte auf die Gehälter und die Rechte der Mitarbeiter eingeschränkt. Pflichtbewusste Mitarbeiter der großen Erdölkonzerne – mit ein paar Ausnahmen – sind nach wie vor davon überzeugt, dass ihr Arbeitsplatz für ihr Arbeitsleben sicher sei.717 Die ersten Schritte der ökonomischen Reform wurden zu Beginn der 1970er Jahre mit dem Wachstum der privaten kleinen Firmen in Dörfern und der damit einhergehenden Dekollektivierung der Behörden auf dem Land vollzogen. Kleine Privatunternehmen, die sich erst im rechtsfreien Raum etabliert hatten wurden bis zu einer Mitarbeiterzahl von neun Personen über Gesetze legalisiert.718 Aber auch diese Regelung wurde durch die Gründung einer Vielzahl von Subunternehmen umgangen und es entstanden Firmen, die mit den städtischen Konzernen in Konkurrenz traten. Parallel dazu gab es freiberufliche Traktorfahrer, kleine ländliche Bauarbeiterteams und Handelsunternehmen, ländliche industrielle Firmen im Besitz von städtischen Bezirken, Dorfvorstehern oder Privatleuten bzw. Partnerschaften. Unter anderem gehören in diese letzte Kategorie illegal betriebene Kohlegruben, mit einem enorm hohen Sicherheitsrisiko für die Arbeiter. Neben kleinen privaten Geschäften in der Stadt, produzierten diese Firmen was der Markt verlangte. Sie konnten ihre Anteilseigner oder Mitarbeiter jedoch nur dann bezahlen, wenn sie geschäftlichen Erfolg hatten. Im Gegensatz zu den staatlichen Konzernen waren die Gehälter nicht reglementiert und es gab normalerweise kaum oder gar keine anderen Vergünstigungen, wie beispielsweise soziale Absicherungen.719 Dennoch entwickelten sich die privaten Firmen 717
Puttermann, Louis; Xiao-Yuan, Dong (2000): China’s State Owned Enterprises. Their Role, Job Creation, and Efficiency in the Long-Term-Perspective; in: Modern China; Vol. 26; No. 4; S. 403447; Sage Publications; S. 412f. 718 “Nichtstaatliche Unternehmen konnten Arbeitskräfte selbständig einstellen, nach eigenen Kriterien entlohnen und gegebenenfalls entlassen. Hierbei hatten sie sich grundsätzlich an Vorschriften hinsichtlich Arbeitslosenversicherung, Renten- und Krankenversicherung zu halten. Viele Arbeitskräfte, vor allem die so genannten „Wanderarbeiter“, hatten indessen auf solche Sozialleistungen ebenso wenig Anspruch wie die Bauern. Nichtstaatliche Unternehmen verfügten daher im Hinblick auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen faktisch über einen in westlichen Industrieländern kaum vorstellbaren Freiheitsgrad.“ Klenner, Wolfgang (2006): China Finanz- und Währungspolitik nach der Asienkrise; Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft Band 6; Lucius & Lucius; Stuttgart; S. 26. 719 Puttermann, Louis; Xiao-Yuan, Dong (2000): China’s State Owned Enterprises. Their Role, Job Creation, and Efficiency in the Long-Term-Perspective; in: Modern China; Vol. 26; No. 4; S. 403-
4.6 Akteure im Erdölsektor der VR China
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schließlich in den 1990er Jahren zum Motor des Exports und der industriellen Produktion.720 Dieser Prozess veranlasste wiederum Lokalregierungen die Wirtschaftlichkeit staatlicher Konzerne zu prüfen und nicht profitable Abteilungen umzustrukturieren oder zu schließen, wenn sie nicht in das von der Zentralregierung ausgerufene Konzept des „Marktsozialismus“ integrierbar waren.721 Es gibt jedoch auf Beispiele aus der Energiewirtschaft, in denen die Auswirkungen der Reformen anders ausfielen. So wurden im Bereich der Kohlegruben kleine lokal verwaltete und private Bergwerke geschlossen, da sie eine zu große Konkurrenz mit den staatlich betriebenen Kohlekonzernen darstellten.722 Im Zeitraum zwischen dem Ende der 1970er Jahre und der Mitte der 1990er Jahre stärkten diese kleinen Gruben den wirtschaftlichen Aufschwung der VR China. Danach schwand ihr Ansehen jedoch zusehends, aufgrund ihrer geringen Sicherheitsstandards und Umweltschutzbestimmungen. Ein weiterer Grund warum die kleinen Minen als problematisch für die chinesische Wirtschaft angesehen wurden, war die in den 1990er Jahren auftretende Überproduktion an Kohle, die wiederum das Überleben der großen staatlichen Kohlegruben gefährdete. Deshalb wurden die kleinen dörflichen oder privaten Minen Opfer eines der rigidesten und flächendeckendsten Schließungsprogramme im modernen China.723 Diese Transformation von einem Retter zum Ausgestoßenen markiert 1998 eine Kehrtwende in der Politik der Zentralregierung. Nach offiziellen Angaben wurden 60.000 kleine dörfliche und private Kohlegruben zwischen 1997 und 447; Sage Publications; S. 413. 720 Lewis, Steven W. (1999): Privatizing China’s State-Owned Oil Companies; James A. Baker III Institute; Rice University; S. 17. 721 Eine weite Definition des Begriffs „Marktsozialismus“ ist: Jedes System, das Staatseigentum mit fast uneingeschränktem Kaufen und Verkaufen kombiniert kann „Marktsozialismus“ genannt werden. Da diese Definition jedoch zu viele kapitalistisch ausgerichtete Staaten einschließt, muss eine striktere Definition gefunden werden. In einer „Marktsozialistischen“ Wirtschaft kann der Staat die Produktion und speziell die Höhe der Investitionen dadurch steuern, dass er die Zinsen erhöht oder senkt, die Kosten für den Kapitalgebrauch und die Preise für Güter aufstellt, andere Preise jedoch dem klassischen Marktmechanismus überlässt, um sie von den Marktkräften aushandeln zu lassen oder von „trial-and-error“-Angleichungen, die den Markt imitieren. In einem „Marktsozialismus“ ist zwar der Staat Eigentümer der meisten Konzerne, die Manager müssen sich aber nach den Priesen richten, die unter Konkurrenz auf den internationalen Märkten entstanden sind. Puttermann, Louis; Xiao-Yuan, Dong (2000): China’s State Owned Enterprises. Their Role, Job Creation, and Efficiency in the Long-Term-Perspective; in: Modern China; Vol. 26; No. 4; S. 403-447; Sage Publications; S. 415. 722 Andrews-Speed, Philip (2004): Energy Policy and Regulation in the People’s Republic of China; Kluwer Law International; The Hague, London, New York; S. 79. 723 Andrews-Speed, Philip (2004): Energy Policy and Regulation in the People’s Republic of China; Kluwer Law International; The Hague, London, New York; S. 79.
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4 Die Energiepolitik der VR China
2001 geschlossen. Mit diesen Schließungen ging der Verlust von vielen hunderttausenden Arbeitsplätzen einher. Aber auch ein Rückgang der Kohleproduktion um ca. 400 Millionen Tonnen, was etwa 30 Prozent der Gesamtproduktion von 1996 entspricht.724 Durch diesen Produktionsausfall kam es zu einem Preisanstieg und die Nachfrage konnte nicht mehr befriedigt werden, so dass in den folgenden Jahren einige der Minen – legal oder auch illegal – wiedereröffnet wurden. Ob die Schließungen hinsichtlich der Sicherheit der Bergwerke einen Erfolg nach sich zogen bleibt jedoch umstritten. Zumindest bei Explosionen von Grubengas ist kein Rückgang der Fälle zu verzeichnen; nicht zuletzt da die dörflichen und kleinen privaten Kohlegruben nicht tief genug waren und sich somit auch kein Gas ansammeln konnte. Es ist eher davon auszugehen, dass es bei dieser Schließungsaktion um den Erhalt der großen staatlich betriebenen Minen ging, damit die Zentralregierung weiterhin besser regulierend auf Veränderungen der Nachfrage auf dem Kohlemarkt reagieren konnte. Auch wenn der Preis dafür die Verdrängung von zum Teil wirtschaftlicheren kleinen Minen und mehr soziale Unruhen, aufgrund der massiven Entlassungen ohne Sozialplan, waren und sind. Hieraus lässt sich erkennen, dass die wirtschaftlichen Reformen hin zu einer Öffnung des chinesischen Marktes zwar eine größere Komplexität in der Struktur der Eigentumsverhältnisse und eine größere Pluralität hinsichtlich der beteiligten Konzerne in einer Produktionskette hervorgerufen haben. Dennoch verfügt die Zentralregierung nach wie vor über genügend Macht und Legitimität, um mit drastischen Maßnahmen regulierend in den Markt einzugreifen, wenn die eigenen Interessen – in diesem Falle die Aufrechterhaltung des staatlichen Monopols auf die Kohleproduktion, die ja, wie oben beschrieben, 70 Prozent des Primärenergieverbrauchs deckt – gefährdet scheinen. Allerdings gibt es seit den 1990er Jahren starke Bemühungen der Regierung in Beijing die Planwirtschaft zu reformieren und marktwirtschaftliche Elemente mit einzubauen sowie das soziale Netz auszubauen. Was in den 1980er Jahren noch die „Waren-Planwirtschaft“ (you jihua de shangpin jingji) war, wurde Anfang der 1990er Jahre erst in die „Sozialistische Marktwirtschaft“ (shehuizhuyi shichang jingji) und im Jahre 1997 in die „Koexistenz verschiedener Eigentumsformen“ (duozhong suoyouzhi xingshi de bingcun) umgestaltet.725 Die marktwirtschaftlichen Elemente erlaubten es der chinesischen Wirtschaft sich – nach west724
Andrews-Speed, Philip (2004): Energy Policy and Regulation in the People’s Republic of China; Kluwer Law International; The Hague, London, New York; S. 79. 725 Chung, Jae Ho (2003): China’s Reforms at Twenty-Five: Challenges for the New Leadership; International Journal Vol. 1; Nr. 1; S. 119-132; Project Muse; S. 122. Klenner, Wolfgang (2006): China Finanz- und Währungspolitik nach der Asienkrise; Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft Band 6; Lucius & Lucius; Stuttgart; S. 21f.
4.6 Akteure im Erdölsektor der VR China
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lichen Kriterien – schneller für ausländische Investoren zu öffnen. Instrumente dabei waren und sind die Einrichtung von Joint Ventures, internationale Börsengänge von chinesischen Unternehmen oder deren Töchtern und Zusammenarbeit bei internationalen Projekten. Allerdings kommt es durch die Reformen und hier insbesondere durch die Preis(de)regulierungen, die, wie in Kapitel 3.2.3.2 aufgezeigt wurde, nie einen ganzen Sektor, sondern nur Teile davon betreffen, nach wie vor zu Konkurrenz hinsichtlich der weiteren Energiepolitik zwischen den staatlichen Konzernen und den Regierungsinstitutionen. Und auch bei der Gestaltung der Vorgehensweise hinsichtlich der Diversifizierung der Erdöl- und Erdgasimporte sind die Vorstellungen der Regierung andere als die der Konzerne. Dies führte um die Jahrtausendwende beispielsweise zur Situation, dass CNPC die Planungen zum Bau der Kasachstan-China-Pipeline einfror, während die chinesische mit der kasachischen Regierung weiter verhandelte (Kap. 5.4).
4.6.4 Machtverhältnisse im Erdöl- und Erdgassektor „Der Himmel ist hoch und der Kaiser ist fern.“726
Die Energiepolitik Chinas wurde von zwei Schlüsselfaktoren der Energiebürokratie geformt: die Ineffizienz der bei der Zentralregierung angesiedelten Institutionen, die im Energiesektor involviert sind und der Macht der nationalen Energiekonzerne. Die Liberalisierung und Dezentralisierung des Energiesektors, die die Transformation Chinas von der Plan- zur Marktwirtschaft begleitete, zusammengenommen mit der bürokratischen Restrukturierung der letzten 20 Jahre, resultieren heute (Stand 2009) in einer Machtverschiebung von der Zentralregierung hin zu den staatlichen Energiekonzernen und einer fragmentierten institutionellen Struktur des Energiesektors. Durch die Anpassung der institutionellen Rahmenbedingungen an die Entstehung von Märkten in verschiedenen Sektoren ist zudem ein Machtungleichgewicht zwischen regionaler und staatlicher Ebene entstanden. Beispielsweise haben lokale Regierungen mehr Kontrolle über ihre lokalen „kollektiven“ Unternehmen bekommen und erwirtschaften ihre Profite an der Zentralregierung in Beijing vorbei.727 Diese Situation verhindert die Koordination zwischen divergierenden Interessen im Energiesektor, vereitelt die Entwicklung einer umfassenden nationalen Energieversorgungssicherheitsstrategie und erlaubt es Chinas machtvollen staat726
Chinesisches Sprichwort; Tatsu, Kambara (2007): China and the Global Energy Crisis; Edward Elgar; Cheltenham, Northampton; S. 49. 727 Andrews-Speed, Philip (2004): Energy Policy and Regulation in the People’s Republic of China; Kluwer Law International; The Hague; London, New York; S. 48.
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4 Die Energiepolitik der VR China
lichen Energiekonzernen erheblichen Einfluss auf die Energiepolitik des Staates zu nehmen. Als Resultat sind Chinas Energieprojekte und -agenda häufiger von Interessen der Energiekonzerne als von den staatlichen Interessen geprägt.728 Im Falle des chinesischen Erdölsektors ist die Gewalt aufgeteilt zwischen und unter einer Anzahl von Regierungsorganen. Die machtvollste ist die NDRC, die mit der Aufgabe der Planung einer langfristigen Entwicklung des Energiesektors, der Festlegung von Energiepreisen und der Zustimmung bei Investitionen hinsichtlich in- und ausländischer Energieprojekte betraut ist. Sie gehört zu den Organen des „äußeren Kabinetts“ des Staatsrats und hat den Rang eines Ministeriums. Das Politbüro und der Staatsrat sind zwar die höchsten Instanzen in Partei und Staat, aber die eigentliche Macht wird im ständigen Ausschuss des Politbüros konzentriert (Abb. 61).729 Abbildung 61: Die Energiebürokratie der VR China
Quelle: IEA (2007): World Energy Outlook 2007; OECD/IEA; Paris; S. 269.
728
Downs, Erica (2006): China; The Brookings Foreign Policy Studies; Energy Security Series; Brookings Institution; Washington; S. 16. 729 Heilmann, Sebastian (2004): Das politische System der Volksrepublik China; VS Verlag für Sozialwissenschaften; Wiesbaden; S. 38.
4.6 Akteure im Erdölsektor der VR China
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Innerhalb der NDRC gibt es zumindest sieben Büros, die den Erdölsektor überwachen – inklusive dem Energiebüro. Andere Regierungsorgane, die in die Erdölpolitik involviert sind, sind das Ministry of Land and Resources, das für die Erhebung der natürlichen Ressourcen – inklusive Erdöl und Erdgas – zuständig ist und Explorations- und Produktionslizenzen vergibt. Das Ministry of Commerce verteilt Erdölimport- und Exportlizenzen und reguliert Investitionen ausländischer Unternehmen im chinesischen Energiemarkt ebenso wie Investitionen chinesischer Konzerne auf dem internationalen Energiemarkt. Das Ministry of Finance formuliert die Steuer- und Fiskalpolitik, um die Energieinteressen der Regierung durchzusetzen. Das Ministry of Foreign Affairs (MFA) unterstützt die nationalen Erdölkonzerne bei ihren Bemühungen um Investitionen im Ausland und achtet darauf, dass die Verträge der nationalen Erdölkonzerne konform zu den Zielen der Außenpolitik aufgestellt sind. Im Jahre 2005 kam die Energy Leading Group (ELG) mit ihrem administrativen Zentrum – dem State Energy Office (SEO) – als Regierungsakteur im Energiesektor hinzu.730 Viele chinesische Energieexperten sind seit langem der Ansicht, dass die fragmentierte Energiebürokratie der Regierung die Energiesicherheit unterminiert. Eine wachsende Anzahl von Experten fordert institutionelle Veränderungen. Ausgedehnte Elektrizitätsknappheit, eskalierende Erdölimporte, Engpässe beim Transport von Kohle und Unfälle in Kohlegruben, Rückschläge bei den Bemühungen der nationalen Erdölkonzerne um Anteile am Weltmarkt sowie der langsame Prozess bei der Stärkung des Nachfragemanagements führt viele Experten zu dem Schluss, dass die chinesische Energiebürokratie zur Umsetzung der Ziele im chinesischen Energiebereich uneffektiv ist. In chinesischen Energieexpertenkreisen sind Diskussionen über die Frage, welche institutionelle Struktur die effektivste wäre ein wichtiges Thema in der Energiesicherheitsdebatte geworden. Die meisten Experten favorisieren die Etablierung eines Ministeriums oder Supraministeriums, um eine zentrale Gewalt im Energiesektor zu schaffen, die die Interessen anderer Regierungsakteure koordiniert.731 Die Analyse, dass die Energieprobleme Chinas in der fragmentierten Energiebürokratie des Landes wurzeln und die Forderung des Aufbaus einer Regierungsinstitution auf hoher Ebene, die den Energiesektor überwacht und koordiniert hat Tradition. Die chinesische Regierung etablierte die State Energy Commission (SEC) (1980-1982) und das Ministry of Energy (MoE) (1988-1993) in Zeiten akuter Energieknappheit, um den Energiesektor erneut zu zentralisieren. Jedoch konnte keine der Institutionen die Energiepolitik effektiv koordinieren 730
Downs, Erica (2006): China; The Brookings Foreign Policy Studies; Energy Security Series; Brookings Institution; Washington; S. 16. 731 Fanjing, Lin: Highlights of China Energy Law draft and voices from experts; in: Xinhua China Oil, Gas & Petrochemicals; 24.12.2007.
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4 Die Energiepolitik der VR China
oder implementieren, unter anderem da sie sich nicht gegen die Interessen anderer Akteure durchzusetzen verstanden. Die SEC – aufgebaut, um die Implementierung der Politik zu verbessern – war von vornherein zum Scheitern verurteilt, da sie über unzureichende Autoritäten und Ressourcen verfügte und ihr Mandat nicht differenziert genug angelegt war. Auch wenn die SEC ein Supraministerium war, hatte sie keine zwingende Macht über das Kohle-, Erdöl- und Elektrizitätsministerium, da diese Institutionen dem SEC nicht untergeordnet waren. Die SEC hatte auch keine Kontrolle über Kapital zur Entwicklung des Energiesektors, was zum Verlust des Einflusses über andere Akteure in der Energiepolitik beitrug. Zudem war die Verantwortlichkeit der SEC für die Formulierung und Adaption hinsichtlich Gesetzgebung und Regulation im Energiebereich und bei der Politikimplementierung nicht klar definiert.732 Auch das MOE schaffte es nicht Kontrolle über den Energiesektor zu erlangen. Die Verantwortlichkeiten überschnitten sich mit denen der State Development and Planning Commission und der staatlichen Energiekonzerne. Die Regierung hatte das MoE so eingerichtet, dass die administrativen Funktionen des Ministry of Petroleum Industry, dem Ministry of Coal Industry, dem Ministry of Nuclear Industry – dessen Management und Produktionsfunktionen gingen an die staatlichen Energiekonzerne – und dem Energiesektor des Ministry of Water Resources and Electric Power verschmolzen. Diese Ministerien opponierten aber so weit gegen die Fusion, dass die Offiziellen des früheren Ministry of Coal Industry eine Petition verfassten, um ihre Ministerien wieder zu eröffnen. Das MoE war allein deshalb im Energiesektor aktiv, weil die anderen Energiesubsektoren es versäumten ihre Planungen und Investitionen zu koordinieren. Zhu Rongji – 1992 Vize-Ministerpräsident des Ministry of Petroleum Industry der VR China und zwischen 1993 und 1995 Präsident der chinesischen Zentralbank, ein strenger Verfechter der Einführung der Marktkräfte im Energiesektor – schaffte das Ministerium 1993 ab.733 Die Bemühungen der chinesischen Regierung den Einfluss auf den Energiesektor zu zentralisieren waren krisenbelastet, unstrukturiert und ineffektiv. Aufgrund der enormen Schwierigkeiten bei der Umstrukturierung der Macht in der chinesischen Energiebürokratie, gab es nur einen langsamen und unsystematischen Fortschritt. Die Etablierung eines Energiebüros als Teil der NDRC im Jahre 2003 und die Einrichtung der ELG und SEO im Jahre 2005 sind schließlich ein Indiz für die Notwendigkeit einer effektiveren institutionellen Autoritätsstruktur und des Widerstands von einflussreichen Akteuren hinsichtlich jeglicher 732
Downs, Erica (2006): China; The Brookings Foreign Policy Studies; Energy Security Series; Brookings Institution; Washington; S. 17. 733 Downs, Erica (2006): China; The Brookings Foreign Policy Studies; Energy Security Series; Brookings Institution; Washington; S. 17.
4.6 Akteure im Erdölsektor der VR China
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Veränderung, die ihre Macht einschränkte. Die Veränderung der institutionellen Landschaft in der Energiepolitik unter Berücksichtigung der Interessen der unterschiedlichen Akteure stellt die größte Schwierigkeit der chinesischen Regierung dar.
4.6.4.1 Die National Development and Reform Commission (NDRC) Wie in Kapitel 4.4. aufgezeigt, liegt bei der NDRC die gesamte Planung für die weitere strategische Entwicklung fast aller Energieträger und des Stromsektors. Die NDRC hat den Rang eines Ministeriums und ist verantwortlich für den Entwurf der Fünfjahrespläne im Bereich der Energie, die Veranschlagung von Energiepreisen und die Genehmigung von Projekten mit einem Investitionsvolumen ab 30 Millionen US-Dollar. Eine weitere Aufgabe ist die Koordinierung der Energiesicherheit. So veröffentlichte die NDRC im Jahre 2002 einen Erdölsicherheitsplan, in dem sie eine Reihe von Faktoren identifizierte, die es China erlauben würden mehr Kontrolle über die Erdölversorgung zu erlangen. Dies beinhaltete den Aufbau einer Hochseeflotte sowie den Ausbau der Luftwaffe zur Sicherung der Energiehandelswege.734
4.6.4.2 Das Energiebüro Die Einrichtung des NDRC untergeordneten Energiebüros im Zuge des National People’s Congress (NPC) im März 2003 war ein Kompromiss unter den Schlüsselakteuren in der chinesischen Energiebürokratie. Befürworter der Zentralisierung des Energiesektors hatten gehofft, dass die 2002 einsetzenden Elektrizitätsengpässe gepaart mit den wachsenden Besorgnissen hinsichtlich Chinas Erdölversorgung bei abzusehendem Irakkrieg die Regierung in Beijing veranlassten, eine auf hoher Ebene angesiedelte Behörde einzurichten, die den Energiesektor verwaltet. Dennoch wurden diese Hoffnungen durch den Widerstand der NDRC und der Energiekonzerne zerstört. Es gab Befürchtungen, dass der Kompetenzbereich einer solchen Behörde sich mit dem des NDRC überschneide. Die Einrichtung des Energiebüros unterhalb der NDRC bediente schließlich sowohl die Interessen der NDRC als auch der Energiekonzerne. Diese Konstellation schützte den Einfluss der NDRC und verhinderte den Aufbau einer weiteren Instanz oberhalb der Energiekonzerne.735 734
Handke, Susann (2006): Securing and Fuelling China’s Ascent to Power; Clingendael International Energy Programme; The Hague; S. 23. 735 Downs, Erica (2006): China; The Brookings Foreign Policy Studies; Energy Security Series;
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Der Mangel an Personal, finanziellen Ressourcen und politischer Macht hat jedoch die Möglichkeiten des Energiebüros, den chinesischen Energiesektor zu verwalten stark eingeschränkt. Das Energiebüro hatte ursprünglich nur 30 Arbeitsplätze; im Jahre 2005 wurden diese von der chinesischen Regierung auf 57 ausgebaut. Im Juni 2008 wurde das Personal noch mal um 43 Angestellte auf insgesamt 100 Personen erhöht.736 Der kleine Stab war mit Aufgaben, wie der Genehmigung von Projekten, voll und ganz ausgelastet, so dass nur wenig Kapazität verblieb sich mit weitergehenden Themen, wie der Entwicklung einer umfassenden Energieversorgungssicherheitsstrategie, zu befassen. Beispielsweise sind nur drei Personen verantwortlich für die Erhebung und Analyse von Energiedaten. Das Energiebüro hat auch zu wenig Finanzmittel für unabhängige Politikanalysen. Im Gegensatz dazu haben die großen Energiekonzerne Aktivposten im Wert von rund 10 Billionen Yuan (ca. eine Billion Euro).737 Zudem hat das Energiebüro, als Verwaltungseinheit innerhalb der NDRC, nicht die Autorität, um zwischen politisch machtvolleren Akteuren, wie den staatlichen Energiekonzernen und anderen Ministerien zu vermitteln. Wu Zhongwu, Analyst des NDRC Energy Research Institute, äußerte in diesem Zusammenhang, dass „in most cases, the Energy Bureau is incapable of coordinating relations.“738 So ist in der Theorie das Energiebüro zwar für die Untersuchung und das Konzept der Erdölgesetzgebung zuständig, aber in der Praxis hat es nicht genügend Macht, um die divergierenden Interessen der verschiedenen Akteure zu koordinieren.739
Brookings Institution; Washington; S. 18. 736 Jing, Fu: Energy bureau gets nod to increase size; in: China Daily Online; http://www.chinadaily.com.cn/bizchina/2008-06/28/content_6802880.htm; Zugriff: 30.06.2008. 737 Ye, Xie: Government rules out forming new energy ministry; in China Daily Online; http://www.chinadaily.com.cn/english/doc/2004-12/02/content_396820.htm; Zugriff: 04.05.2008. 738 China Economic Net: China needs a more powerful energy agency; in: China Economic Net Online; http://en.ce.cn/subject/EnergyCrisis/ECcomment/200412/03/t20041203_2473741.shtml; Zugriff: 12.05.2007. 739 Downs, Erica (2006): China; The Brookings Foreign Policy Studies; Energy Security Series; Brookings Institution; Washington; S. 18.
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4.6.4.3 Die Energy Leading Group und das State Energy Office Die Einrichtung einer Energy Leading Group (ELG)740 unterhalb des Staatsrats und eines State Energie Office (SEO), das direkt gegenüber dem Staatschef Wen Jiabao rechenschaftspflichtig ist, im Jahr 2005 impliziert, dass die Regierung die Unzufriedenheit vieler Energieexperten und Offiziellen mit dem Apparat der Energiepolitikimplementierung teilt. Die Idee der Etablierung der ELG und SEO entstand während der Energiekrise der Jahre 2003 und 2004. Die weite Auswirkung der Engpässe bei der Energieversorgung verdeutlichte die Notwendigkeit einer institutionellen Veränderung der Energiebürokratie, sowohl für die NDRC als auch die höchsten Regierungskreise.741 Die Energiekrise veranlasste Mitarbeiter der NDRC gegenüber den Regierungsführern zum Ausdruck zu bringen, dass die NDRC nicht fähig ist, den Sektor ohne Unterstützung der höchsten Regierungskreise zu verwalten. Obwohl sie die machtvollste Behörde in der chinesischen Energiepolitik ist, habe die NDRC nicht die Autorität, andere vitale Interessen wie die des MFA, zu koordinieren. So kam es zu Konflikten zwischen MFA und NDRC sowie dem MFA und den staatlichen Erdölkonzernen. Chinesische Diplomaten, die Vorbehalte gegenüber den Auswirkungen von Auslandsinvestitionen der nationalen Erdölkonzerne auf die außenpolitischen Leitlinien der VR China hatten, beschwerten sich, dass sie oftmals nicht über die Investitionen aufgeklärt wurden, sondern erst im Nachhinein davon erfahren hatten.742 Im Frühjahr 2004 rief Ma Kai, Leiter der NDRC, mehrere informelle Treffen (pengtouhui) in der NDRC ein, um über das Vorgehen bei der Energiekrise zu beraten. Auf diesen Sitzungen, die auch von den chinesischen staatlichen Erdölkonzernen begleitet wurden, wurde die Idee entwickelt, eine Behörde auf hoher Ebene einzurichten, die den Energiesektor kontrolliert. Ende des Jahres 740 Leading Groups sind ad hoc supraministerielle Koordinations- und Beratungsinstitutionen, die die Funktion haben bei Themen einen Konsens zu bilden, die Regierungs-, Partei und Militärsystems übergreifend sind und die bürokratischen Strukturen dies nicht erreichen. Es gibt zwei verschiedene Typen von Leading Groups. Partei Leading Groups verwalten die Politik des Politbüros und Sekretariats; Staatsrat Leading Groups koordinieren die Politikimplementierung für die Regierung. Diese Gruppen entwickeln Mechanismen um verschiedene Sichtweisen hoher Funktionäre auszutauschen – formell und informell – und um dem Politbüro sowie dem Staatsrat Vorschläge zu unterbreiten. Beispielsweise hielt die ELG während ihres ersten Jahres zwei offizielle Sitzungen, wobei die zweite von Repräsentanten der Regierung, Energiegesellschaften und Energiekonzernen beobachtet wurde. Downs, Erica (2006): China; The Brookings Foreign Policy Studies; Energy Security Series; Brookings Institution; Washington; S. 20. 741 Eurasia Group (2006): China’s overseas investments in oil and gas production; Eurasia Group; New York; S. 6. 742 Downs, Erica (2006): China; The Brookings Foreign Policy Studies; Energy Security Series; Brookings Institution; Washington; S. 19.
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2004 erzielte die Regierung in Beijing eine Übereinstimmung über die Einrichtung einer neuen Autorität im Energiesektor. Anfang November 2004 leitete Präsident Hu Jintao eine Politbürositzung, in der die Energiesituation des Landes diskutiert wurde. Dabei entschieden sich die Teilnehmer eine Leading Group und ein entsprechendes Group Office im Bereich der Energiepolitik einzurichten.743 Mitte November 2004 unterstützte Wen Jiabao, während eines Aufenthaltes in Laos, die Entscheidung, in dem er sagte, dass China einen Mechanismus für den Dialog über Energiethemen etablieren werde.744 Im Jahre 2005 wurde das SEP vom Staatsrat unter Leitung des Direktors Ma Kai und Co-Direktoren Ma Fucai sowie Xu Dingming eingerichtet. Die Information darüber wurde jedoch erst Ende April von der NDRC weitergegeben. Die offizielle Bekanntgabe über die Einrichtung des SEO und der ELG fand im Mai mit der Veröffentlichung des Regierungsdokuments 2005(14) des Staatsrats statt. Auch wenn die SEO der ELG untergeordnet ist, hat der Staatsrat die SEO vor der ELG eingerichtet, nicht nur weil ein Prototyp des Büros schon aufgrund der informellen Treffen unter Ma Kai existierte, sondern auch da Leading Groups Personal zur Entscheidungsdurchsetzung und Verwaltung der täglichen Angelegenheiten benötigen.745 Die chinesische Regierung hatte aber zumindest zwei weitere Ziele beim Aufbau der ELG und der SEO:
Der Öffentlichkeit demonstrieren, dass sie die Probleme im Energiesektor lösen würde. Zeit für Überlegungen zu schaffen, wie die Bürokratie am besten umstrukturiert werden kann und den Einfluss der Energiekonzerne zu schwächen.
Ein paar chinesische und ausländische Energieexperten in Beijing spekulierten, dass die Regierung sich dafür entschieden hatte anstelle eines Ministeriums eine Leading Group einzurichten, da ein Energieministerium leicht unter die Räder der verschiedenen vitalen Interessen der einzelnen Akteure kommen könnte.746 Leading Groups formulieren keine konkrete Politik (zhengce), aber Leitlinien über die generelle Richtung in welche sich die Bürokratie entwickeln sollte 743
Christoffersen, Gaye (2005): The Dilemmas of China’s Energy Governance: Recentralization and Regional Cooperation; Silkroadstudies; John Hopkins University; Washington D.C.; S. 73. Downs, Erica (2006): China; The Brookings Foreign Policy Studies; Energy Security Series; Brookings Institution; Washington; S. 19. 745 Christoffersen, Gaye (2005): The Dilemmas of China’s Energy Governance: Recentralization and Regional Cooperation; Silkroadstudies; John Hopkins University; Washington D.C.; S. 74. 746 Eurasia Group (2006): China’s overseas investments in oil and gas production; Eurasia Group; New York; S. 6. 744
4.6 Akteure im Erdölsektor der VR China
331
(fangzhen). Ein fangzhen bestimmt den Rahmen der Entwicklung der zhengce. Das entspricht in etwa der EU-Kommission und der von ihr herausgegebenen Grünbüchern. Die Vorschläge der Leading Group haben beträchtlichen Einfluss auf den Politikprozess, da sie einen Konsens der leitenden Mitglieder aus Regierung, Partei und Militärbehörden präsentieren. In manchen Fällen übernimmt die chinesische Führung die Vorschläge ohne oder nur mit kleinen Änderungen. Leading Groups, die über keinen permanenten Stab verfügen, müssen sich bei der Verwaltung der täglichen Arbeit und der Forschung sowie bei Politikvorschlägen auf ihre Büros verlassen. Somit hängt die Effektivität einer Leading Group oftmals von der Effizienz ihres Büros ab.747 Dies trifft auch für die SEO zu, die Gefahr läuft, ein Akteur unter vielen im Energiebereich zu werden. So verfügt sie über nicht allzu viel politische Macht. Die SEO hat den bürokratischen Rang eines sekundären Ministeriums, das unterhalb des NDRC und verschiedener staatlicher Energiekonzerne angesiedelt ist. Es hat auch keine formelle Autorität über alle Akteure im chinesischen Energiesektor. Vielmehr ist das Mandat der SEO nicht klar definiert und überschneidet sich mit dem des Energiebüros der NDRC. Der Direktor der SEO ist Ma Kai, ehemaliger Minister der NDRC; die Vize-Direktoren sind Xu Dingming, ehemaliger Direktor des Energiebüros der NDRC und Ma Fucai, aus dem Vorstand des größten staatlichen Erdölkonzerns CNPC. Die Führung der NDRC ist angehalten so zu arbeiten, dass die Interessen der SEO nicht konträr zu denen der NDRC verlaufen. Der Stab der SEO vereint Repräsentanten der NDRC und der Energiekonzerne. Laut Zhu Zhixin, Vizedirektor der NDRC, ist die SEO ein „corporate-driven think tank [set up in order to] serve the Chinese companies as much as possible yet at the same time ensure policies practiced by the commercial sector are not harmful to other areas.” Die SEO fungiert sowohl als Akteur, der den Einfluss der staatlichen Erdölkonzerne erhöht, als auch als Protagonist, der der Regierung hilft den Einfluss der Konzerne einzudämmen. So berief Ma Fucai, kurz nachdem er seinen Posten in der SEO bezogen hatte, ein Treffen zwischen CNPC, Sinopec, CNOOC und Sinochem Corporation ein, um die Bedeutung der neuen Einrichtung zu diskutieren.748 Die ELG hat dagegen symbolische Relevanz und substantielle Macht. Aber sie ist nicht in der Lage alle Probleme im chinesischen Energiepolitikprozess zu beheben, da diese in der Struktur der Energiebürokratie des Landes verwurzelt sind. Die ELG, die mit einigen der höchsten chinesischen Offiziellen besetzt ist, 747
Downs, Erica (2006): China; The Brookings Foreign Policy Studies; Energy Security Series; Brookings Institution; Washington; S. 20. Miller, Leland R. (2006): Energy: In Search of China’s Energy Authority; in: Far Eastern Economic Review; Hong Kong; S. 38; Downs, Erica (2006): China; The Brookings Foreign Policy Studies; Energy Security Series; Brookings Institution; Washington; S. 20f.
748
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4 Die Energiepolitik der VR China
kann nur in den Energiesektor eingreifen, um kleinere Probleme zu lösen. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass diese Akteure nicht in das tägliche Geschäft im Energiesektor involviert sind und die Verantwortung gegenüber den primären Regierungs- und Parteipositionen sie daran hindert, sich selbst den Konfliktlinien innerhalb der Regierung und zwischen Regierung und staatlichen Erdölkonzernen zu stellen, die die Politikformulierung im Energiesektor blockieren. Zwar ist die Einrichtung der ELG ein Beleg für die Unzufriedenheit der chinesischen Regierung mit der ineffektiven Energiebürokratie und den mächtigen Unternehmen, aber die ELG alleine kann diese Situation nicht auflösen.749 Aus dieser Analyse wird ersichtlich, dass sich die chinesische Energiebürokratie in einer schwierigen Lage befindet. Sie ist von ihrer Struktur sehr verzweigt (Abb. 61), wodurch verschiedene Interessenskonflikte über Zuständigkeitsbereiche entstehen. Des Weiteren gibt es Akteure mit gegensätzlichen Interessen in der Partei und im bürokratischen Apparat. Gepaart mit einer geringen Mitarbeiterzahl in den einzelnen Institutionen führt dies dazu, dass die Mitarbeiter rein aus Zeitgründen nicht über die Bearbeitung von Genehmigungsverfahren hinauskommen. Das bedeutet, es gibt keine freien Kapazitäten, um innerhalb der bürokratischen Einrichtungen eine langfristige Energieversorgungssicherheitsstrategie zu entwickeln. Deshalb ist der Apparat abhängig von Universitäten, Denkfabriken und den strategischen Abteilungen in den staatlichen Energiekonzernen.
4.6.4.4 Die drei staatlichen Erdölkonzerne Chinas staatliche Erdölkonzerne haben, aufgrund ihrer politischen, finanziellen und personellen Ressourcen, erheblichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung im Energiebereich. Die Macht der Firmen stieg zwischen den Jahren 1993 und 2003 deutlich, als Zhu Rongji für die chinesische Wirtschaft verantwortlich zeichnete. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre baute Zhu Rongji nach und nach die finanzielle und administrative Autonomie der chinesischen staatlichen Erdölkonzerne aus, um sie hinsichtlich der Börsengänge ihrer Tochtergesellschaften effektiver zu gestalten. Die politische Macht der Energiekonzerne liegt begründet in ihren Ursprüngen als Regierungsministerien und dem Einfluss dieser Ministerien auf den Politikprozess. Als die wirtschaftliche Bürokratie im Jahre 1953 eingerichtet wurde, wurde der Schwerindustrie relativ viel Macht hinsichtlich des Politikprozesses eingeräumt, um die Industrialisierung voranzutreiben. Jeder Sektor der Schwerindustrie hatte sein eigenes Ministerium. Als die 749
Downs, Erica (2006): China; The Brookings Foreign Policy Studies; Energy Security Series; Brookings Institution; Washington; S. 21.
4.6 Akteure im Erdölsektor der VR China
333
chinesische Regierung in den 1980er Jahren damit anfing, die Ministerien in Unternehmen zu transformieren, kämpften die Unternehmensführer darum ihre politischen Ämter zu behalten, um weiterhin entscheidenden Einfluss auf den Politikprozess zu behalten.750 Sowohl CNPC als auch Sinopec sind Unternehmen, die auf Ministeriumsebene angesiedelt sind; ihre Manager haben den Rang eines Vizeministers. CNPC ging im Jahre 1988 aus dem Ministry of Petroleum Industry hervor, während Sinopec schon im Jahre 1983 in Zusammenarbeit des Ministry of Petroleum Industry und des Ministry of Chemical Industry eingerichtet wurde. CNOOC – im Jahre 1982 als Unternehmen unterhalb des Ministry of Petroleum Industry etabliert – hat den Status eines Generalbüros, zwar mit weniger Macht als ein Ministerium, aber mehr als einem Büro.751 Die Generaldirektoren der staatlichen Erdölkonzerne stehen in direktem Kontakt mit der Staatsführung, ähnlich dem Verhältnis der CEOs anderer internationaler Erdölkonzerne und staatlicher Unternehmen mit den Regierungen ihrer Heimatstaaten. So wie in anderen Staaten auch, gibt es in China einen Dreh- und Angelpunkt zwischen der Regierung und den Erdölkonzernen. Manche der hohen Regierungsbeamten in China haben zuvor in der Erdölindustrie gearbeitet: Xu Dingming, ein stellvertretender Direktor der SEO und früherer Direktor des Energiebüros der NDRC, war zuvor der Kopf der Planungsstelle von CNPC und Ma Fucai, der zweite stellvertretende Direktor der SEO, war davor Generaldirektor bei CNPC und Vorsitzender des CNPCTochtergesellschaft PetroChina. Genauso arbeiteten viele Angestellte der nationalen Erdölkonzerne vorher in der Regierung. Beispielsweise arbeitete der frühere Vizepräsident von CNPC, Wu Yaowen, zuvor beim Ministry of Energy und in der staatlichen Planungskommission.752 Bei genauerer Betrachtung dieser Struktur fällt eine Ähnlichkeit zum französischen System auf. Durch die Grande Ecoles ist hier ein Netzwerk entstanden, in dem Einzelpersonen relativ einfach von Wirtschaft in die Politik und in die andere Richtung wechseln können. Auch die frühere Struktur staatlicher Konzerne des Erdölsektors begünstigt die (personelle) Verflechtung zwischen Staat und Wirtschaft.753 750
Handke, Susann (2006): Securing and Fuelling China’s Ascent to Power; Clingendael International Energy Programme; The Hague; S. 24. 751 Lin, Kun-Chin (2006): Disembedding Socialist Firms as a Statist Project: Restructuring the Chinese Oil Industrey, 1997-2002; Enterprise & Society: The International Journal of Business History; Vol. 7; Nr. 1; S. 59-97; Oxford University Press; S. 73-74. 752 Downs, Erica (2006): China; The Brookings Foreign Policy Studies; Energy Security Series; Brookings Institution; Washington; S. 22. 753 Nähere Informationen in: Arte Dokumentation (2001): ELF: Afrika unter Einfluss; Ausstrahlungsdatum 09.02.2001.
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4 Die Energiepolitik der VR China
Finanzielle Macht erlangen die staatlichen Energiekonzerne Chinas über ihre Gewinne und ihre finanzielle Unabhängigkeit. Im Jahre 2005 waren die Nettogewinne der drei größten chinesischen Erdölkonzerne, die an internationalen Börsen vertreten sind – PetroChina, eine Tochter von CNPC; Sinopec Ltd., eine Tochter von Sinopec; CNOOC Ltd., eine Tochter von CNOOC – für ca. 22 Prozent des Gesamtgewinns aller staatlichen Unternehmen in China verantwortlich.754 So verfügte die Energieindustrie im Jahre 2004 über Anlagen in Höhe von ca. 1,2 Billionen US-Dollar.755 Durch die hohen Profitmargen konnten die chinesischen Erdölkonzerne, speziell die börsennotierten Tochtergesellschaften, sich mehr Autonomie von der chinesischen Regierung erstreiten. Das Streben nach Profit brachte den Konzernen das Argument sich regierungsgestützten Projekten und Politiken zu widersetzen. Beispielsweise zeigte sich Sinopec Ltd. gegenüber der Teilnahme an der staatlichen Erdölreserve besorgt, da diese Beteiligung dem Streben nach Maximierung des Unternehmenswertes entgegengesetzt sei. Im Dezember 2005 stellte CNOOC Ltd. Verhandlungen mit Chevron über den Kauf von LNG aus Chevrons Gorgon-Projekt in Australien ein, da das Unternehmen nicht den Weltmarktpreis bezahlen wollte. Diese Entscheidung ärgerte den Vizeminister der NDRC, Zhang Guobao, der persönliche Interessen an dem Geschäft hatte.756 Zudem verschaffte die Tatsache, dass die an der Börse notierten Tochtergesellschaften der großen chinesischen Erdölkonzerne die besten Aktiva kontrollieren, den Konzernen Schutz vor staatlichen Interventionen. Vielmehr scheinen CNPC, CNOOC und Sinopec nicht mehr Willens zu sein, in ökonomisch umstrittene Pipelineprojekte zu investieren, wenn sie keine finanzielle Unterstützung von Seiten des Staates bekommen.757 Aufgrund der Intransparenz der Struktur und vor allem des Geldflusses zwischen der Regierung und den staatlichen Erdölkonzernen ist dies von außen allerdings nur schwer durchschaubar. So 754
Am 05. November 2007 ging PetroChina in Shanghai an die Börse. Die Aktie von PetroChina schoss am ersten Tag um bis zu 191 Prozent nach oben. „Die Titel, die zu 16,70 Yuan in den Handel gingen, schlossen am Ende bei 43,96 Yuan, was immer noch einem Aufschlag von 163 Prozent entspricht. Die China-Marktkapitalisierung des Konzerns ist dadurch über Nacht auf rund 1 Billion Dollar nach oben katapultiert worden. PetroChina ist damit jetzt gleichzeitig das nach Börsenwert mit Abstand größte Unternehmen der Welt und über doppelt so teuer wie die jetzige Nummer 2, der USÖlriese Exxon Mobil.“ Wallstreet-Online: PetroChina ist jetzt der größte Konzern der Welt – ExxonMobil auf Platz 2; in: Wallstreet-Online Online; http://www.wallstreet-online.de/nachricht en/nachricht/2181893.html; Zugriff: 04.05.2008. 755 Ye, Xie: Government rules out forming new energy ministry; in China Daily Online; http://www.chinadaily.com.cn/english/doc/2004-12/02/content_396820.htm; Zugriff: 04.05.2008. 756 Downs, Erica (2006): China; The Brookings Foreign Policy Studies; Energy Security Series; Brookings Institution; Washington; S. 22. 757 Handke, Susann (2006): Securing and Fuelling China’s Ascent to Power; Clingendael International Energy Programme; The Hague; S. 26.
4.6 Akteure im Erdölsektor der VR China
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wurde beispielsweise am 23. August 2007 zwischen der Regierung und CNPC ein Abkommen über eine zweite West-Ost-Pipeline mit einer Kapazität von 30 Milliarden Kubikmeter pro Jahr unterzeichnet. Wie die finanzielle Aufteilung des von PetroChina durchzuführenden Projektes, das das mit 4.895 Kilometer lange Horgas in Xinjiang mit Guangzhou im Süden und Shanghai im Osten verbinden wird und 2010 den Betrieb aufnehmen soll, zumindest prozentual konzipiert ist, unterliegt jedoch der Geheimhaltung.758 Allerdings ist das Augenmerk auf die Wirtschaftlichkeit eines Projektes nur bei inländischen, nicht jedoch bei Investitionen im Ausland zu bemerken. Da die Konzerne in China in den letzten Jahren kaum auf größere Erdölvorkommen gestoßen sind – eine Ausnahme sind die Funde in der Bohai-Bay im Jahre 2008 –, dringen sie verstärkt auf den internationalen Markt. Hier können sie über Einsparungen durch geringere Kosten auf dem heimischen Markt und durch sehr günstige Kreditkonditionen, die von der chinesischen Regierung und inländischen Finanzinstitutionen subventioniert werden, erfolgreich mit ihren Rivalen aus den USA und anderen zumeist westlichen Staaten konkurrieren. Bei den Bieterwettbewerben sind die chinesischen Konzerne mit Geboten vertreten, die zumeist eine bis zwei Milliarden US-Dollar über denen ihrer Konkurrenz liegen. Hier ist die Wirtschaftlichkeit bei der Höhe der veranschlagten Investitionssumme jedoch zumeist stark umstritten.759 Das zeigte sich beispielsweise bei der Übernahme von PetroKazakhstan durch CNPC (Kap. 5.17). Dennoch scheinen die erhoffte Gewinnsumme und der Ausbau der hart umkämpften Anteile auf dem Erdölmarkt Anreiz zu bieten, das Geschäft – im Sinne der Konzerninteressen – trotzdem einzugehen. Dementsprechend sind die Strategien der Konzerne eher von den Interessen der Vorstandsetage der Konzerne geprägt, denn von einer nachhaltigen Sicherung der Energieversorgung der VR China. Ein weiterer Machtfaktor der Energiekonzerne ist ihr Humankapital. Ende 2005 hatte PetroChina 424.175 Mitarbeiter, Sinopec 389.451, während das Energiebüro und die SEO nur über 57 und 24 Angestellte verfügten (Abb. 62).760 Demzufolge ist die chinesische Regierung von der Arbeitskraft, dem Wissen und der Erfahrung der Energiefirmen abhängig. Ein früherer Angestellter bei einem 758
CNPC: The route of the Second West-East-Pipeline Project set; in: CNPC Online; http://www.cnpc.com.cn/eng/press/newsreleases/TherouteoftheSecondWest%EF%BC%8DEastPipeli neProjectset_.htm; Zugriff: 29.08.2007; Chinese Government; China sets route for second West-East natural gas pipeline; in: Chinese Government Online; http://english.gov.cn/2007-08/27/ content_728434.htm; Zugriff: 29.08.2007. 759 Handke, Susann (2006): Securing and Fuelling China’s Ascent to Power; Clingendael International Energy Programme; The Hague; S. 27. 760 ICG (2008): China’s Thirst for Oil; International Crisis Group Asia Report Nr. 153; in: http://www.crisisgroup.org/library/documents/asia/153_china_s_thirst_for_oil.pdf; S. 5; Zugriff: 10.06.2008.
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staatlichen Erdölkonzern erklärte, dass es kaum überraschend sei, dass der größte Teil des Stabs der SEO aus den Energiekonzernen stammt, da diese etwas von Energiethemen verstünden. Mitarbeiter von Sinopec waren an der Konzipierung des Gesetzes über die chinesische strategische Erdölreserve beteiligt, da Sinopec in diesem Bereich über das größte Expertenwissen verfügt. Chinesische Beamte, die im Energiebereich tätig sind, treffen sich regelmäßig mit Vertretern der Energiekonzerne, um ihr Wissen in bestimmten Bereichen zu erweitern. Im März 2005 traf sich das Energiebüro mit Repräsentanten von CNPC, Sinopec und CNOOC, um sich über Chinas Erdgas-Versorgung und -Bedarf zu informieren und den Versorgungsengpass bei Erdgas im Winter 2005 zu verstehen.761 Abbildung 62: Angestellte ausgewählter Erdölkonzerne und Regierungsbehörden (2005)
Quelle: Downs, Erica (2006): China; The Brookings Foreign Policy Studies; Energy Security Series; Brookings Institution; Washington; S. 23.
Jedoch ist der Einfluss der chinesischen staatlichen Energiekonzerne auf den Politikprozess nicht unbegrenzt. Der Staat hat auch Kontrollmechanismen gegenüber den Unternehmen. Diese beinhalten die Berufung und Entlassung der Vorstände der Energiekonzerne und die Genehmigung aller substantiellen in761
Downs, Erica (2006): China; The Brookings Foreign Policy Studies; Energy Security Series; Brookings Institution; Washington; S. 23.
4.6 Akteure im Erdölsektor der VR China
337
oder ausländischen Investitionen der Konzerne. Die Kommunistische Partei Chinas übt Kontrolle über die Berufung, Beförderung und Entlassung aller Führungskräfte der großen staatlichen Unternehmen und über ihre Organisationsabteilung aus. Die Manager werden nicht nur danach ausgewählt, wie gut sie ihre Unternehmen leiten, sondern auch, wie weit sie die Interessen der Kommunistischen Partei vertreten.762 Zudem hält die Regierung die Aktienmehrheit an den Unternehmen und sorgt dafür, dass ausländische Investoren keine Sitze in den Aufsichtsräten haben.763 Ein weiteres Kontrollinstrument hinsichtlich der staatlichen Energiekonzerne hat die chinesische Regierung über das Genehmigungssystem für Investitionen. Inländische und internationale Investitionen chinesischer Erdölkonzerne müssen von der NDRC und vom Ministry of Petroleum Industry genehmigt werden, auch wenn die chinesische Regierung den Entscheidungsprozess moderat dezentralisiert hat. Im Jahre 2004 setzte das Ministry of Petroleum Industry die Grenzsumme für Investitionen im internationalen Energiesektor, die von der NDRC genehmigt werden müssen von einer Millionen US-Dollar auf 30 Millionen US-Dollar herauf. Ausländische Energieprojekte, bei denen die Investitionssumme für chinesische Konzerne 200 Millionen US-Dollar übersteigt, werden von der NDRC überprüft und vom Ministry of Petroleum Industry genehmigt. Solche Summen sind jedoch bei Investitionen im Erdölbereich schnell überschritten, was zur Folge hat, dass die seit März 2008 auf ca. 170 Personen erweiterte Mitarbeiterkapazität der NDRC selbst mit diesen Aufgaben anscheinend überlastet sind.764 Aus dieser Analyse wird klar, dass die zentralistische Struktur, die in den staatlichen Erdölkonzernen vorherrscht, ihre große Anzahl an Arbeitskräften und ihre finanziellen Ressourcen ihnen erhebliche Macht gegenüber der chinesischen Regierung einräumt. Aufgrund der Überlastung und der fragmentarischen Struktur ist hingegen die Macht der Regierungsinstitutionen eingeschränkt. Dennoch 762
Beispielsweise wurde Li Yizhong, Generaldirektor bei Sinopec, im Jahre 2002 Vollmitglied im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei. Während Ma Fucai, Generaldirektor von CNPC, nur als Stellvertreter berufen wurde, da Li in den Augen der chinesischen Regierung einen besseren Arbeitsplatz gemacht hatte als Ma, indem er die Proteste von entlassenen Erdölarbeitern beruhigte. Mas politisches Glück schwand aber auch, da sein Unternehmen es nicht geschafft hatte, den Bau einer Erdölpipeline von Russland nach China zu sichern, bevor Japan intervenierte. Zudem kamen bei einer Gasexplosion auf einem von CNPC betriebenen Feld in Sichuan im Jahre 2003 242 Menschen ums Leben, mehr als 10.000 wurden verletzt. Vor dieser Katastrophe wurde Ma für den Gouverneursposten der Provinz Sichuan nominiert. Ye, Xie: Government rules out forming new energy ministry; in China Daily Online; http://www.chinadaily.com.cn/english/doc/200412/02/content_3968 20.htm; Zugriff: 04.05.2008. 763 Hieber, Saskia (2006): Energiesicherheit in China; Verlag Ernst Vögel; Stamsried; S. 122. 764 Ye, Xie: Government rules out forming new energy ministry; in China Daily Online; http://www.chinadaily.com.cn/english/doc/2004-12/02/content_396820.htm; 04.05.2008.
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benötigen die Konzerne die Rückendeckung bei Investitionen im Ausland. Ohne diese Rückendeckung hätten die staatlichen Erdölkonzerne wohl auch beim Bau der Kasachstan-China-Pipeline keinen Erfolg gehabt (Kap. 5). Doch zur Vervollständigung des Akteursdreiecks fehlt die Analyse der Bedeutung des Militärs auf die Energiepolitik in der VR China.
4.6.4.5 Das Militär Das Militär untersteht laut Weißbuch über Chinas Landesverteidigung aus dem Jahr 2004 der absoluten Führung der Partei.765 Dennoch ist durch personelle Überschneidungen und Aufgaben, wie beispielsweise der zunehmenden Überwachung von Handelswegen, ein Einfluss auf die (Energie-)Politik zu verzeichnen. Für die wirtschaftliche Entwicklung Chinas sind Armeeangehörige dazu verpflichtet pro Jahr durchschnittlich acht Tage unentgeltlich am nationalen Aufbau mitzuwirken: „Die Pionierkorps können in ihrer ganzen Sollstärke an der Durchführung nationaler oder lokaler Bauprojekte teilnehmen. Die Truppen der Bewaffneten Polizei für Goldminen, Forstwirtschaft, Wasserbau, Stromerzeugung und Verkehr nehmen direkt am nationalen Wirtschaftsaufbau teil.“ Als Beispiele, wo die Truppen eingesetzt wurden, werden der Drei-Schluchten-Staudamm, das Projekt der Stromleitung von West- nach Ost-China und die West-OstErdgaspipeline genannt.766 Aufgrund der Beteiligung an diesen Projekten und der Auffassung der Regierung, dass sich Chinas Militärkomplex im Kriegsfall auch über die heimische Erdölproduktion und Raffineriekapazitäten versorgen könnte und nicht auf Importe angewiesen sei,767 ist davon auszugehen, dass es nach wie vor zumindest gemeinsame Planungsstäbe mit Beteiligung von Akteuren aus Militär, Regierung und staatlichen Konzernen gibt. Allerdings ist die Macht des Militärs im zivilwirtschaftlichen Bereich seit Mitte der 1990er Jahre deutlich eingeschränkt worden.
765
Staatsrat der VR China (2004): Chinas Landesverteidigung 2004; in: German.China.Org Online; http://german.china.org.cn/pressconference/2005-08/12/content_8746081.htm; Zugriff: 25.09.2008. 766 In einem Absatz zu den Zielen und Aufgaben zur Wahrung der nationalen Sicherheit heißt es: „ … an der Richtlinien für eine koordinierte Entwicklung des Aufbaus der Landesverteidigung und der Wirtschaft festzuhalten.“ Dazu gehört auch die Sicherung der Energietransporte und Energietransportrouten. Staatsrat der VR China (2004): Chinas Landesverteidigung 2004; in: German.China.Org Online; http://german.china.org.cn/pressconference/2005-08/12/content_8746081.htm; Zugriff: 25.09.2008. 767 Andrews-Speed, Philip; Liao, Xuanli; Dannreuther, Roland (2002): The Strategic Implications of China’s Energy Needs; Adelphi Paper 346; Oxford University Press; Oxford; S. 49.
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Im November 1993 wurde die Direktive: The CMC Decision Concerning the Rectification and Reform of the Army’s Production and Business herausgegeben, wonach unter anderem eine wirtschaftliche Betätigung der Armee auf allen Ebenen unterbunden werden sollte. Anfang des Jahres 1995 berichtete eine Leading Group on Rectification, dass 40 Prozent der vom Militär betriebenen Wirtschaftsunternehmen zerschlagen worden waren. Über 1.000 Unternehmen wurden geschlossen, mehrere hundert wurden an private Konzerne übergeben.768 Im neunten Fünfjahresplan, der 1996 in Kraft trat, wurde das Ziel herausgegeben, dass alle noch verbliebenen Wirtschaftsunternehmen der Volksbefreiungsarmee aus der Kontrolle des Militärs entbunden werden sollten.769 Nachdem dies wiederum nicht durchgesetzt werden konnte, ordnete der damalige Präsident Jiang Zemin – zu dieser Zeit war er auch Vorsitzender der Central Military Commission (CMC)770 – an, dass die Volksbefreiungsarmee sich aus einer Vielzahl von Wirtschaftstätigkeiten zurückziehen müsse. Diesmal konnte sich die Regierung gegenüber dem Militär durchsetzen. Gründe für den Erfolg waren erstens die Schwächung der Kampfkraft der Armee durch Korruption und Vetternwirtschaft. Dies geschah zu einer Zeit, in der die Spannungen gegenüber den USA und Taiwan ständig zunahmen. Zweitens wurde die Spaltung zwischen militärischer und ziviler Führung zum Imperativ der nationalen Sicherheit. Drittens weigerten sich die zivilen Autoritäten den Wehretat zu erhöhen und viertens wurde die Strategie des graduellen Abbaus von Wirtschaftstätigkeiten der Volksbefreiungsarmee parallel zur Wiederherstellung der Kontrolle der Partei durch Zivilisten, um zu verhindern, dass sich Offiziere gegen den Verlust ihrer Privilegien auflehnten.771 Mit den Reformen von 1998 wurden weitere 6.000 Wirtschaftsunternehmen, die unter Leitung der Volksbefreiungsarmee standen aufgelöst oder in zivilen Besitz überführt. Darunter auch große Kohleminen und Ölfirmen, wie die Zhenrong Corporation. Im Dezember 1998 wurde das Verbot der Handelstätigkeit gegenüber der Armee und der bewaffneten Volkspolizei endgültig durchgesetzt. Mit der Einführung des Entwicklungsprogramms für die Westgebiete im Jahre 2002 wurden über eine Million Soldaten eingesetzt um die zivile Infra768
Cheung, Tai Ming (2001): China’s Entrepreneurial Army; Oxford University Press; Oxford; S. 52/54f. 769 Cheung, Tai Ming (2001): China’s Entrepreneurial Army; Oxford University Press; Oxford; S. 57. 770 Die Relevanz der CMC wird u.a. dadurch ersichtlich, dass alle wichtigen Parteiführer von Mao Zedong, über Deng Xiaoping bis Jiang Zemin immer darauf Wert legten, dort den Vorsitz zu übernehmen. Heilmann, Sebastian (2004): Das politische System der Volksrepublik China; Verlag für Sozialwissenschaften; Wiesbaden; S. 154. 771 Mora, Frank O.; Wiktorowicz, Quintan (2000): Economic Reform and the Military: China, Cuba and Syria in Comparative Perspective; Department of International Studies; Vol. 44; Nr. 2; S. 87116; Tennessee; S. 95.
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struktur aufzubauen. Fünf Militärflughäfen, 200 militärische Eisenbahnlinien und 30 militärisch genutzte Ölpipelines wurden der zivilen Nutzung übergeben.772 Neben dem Verbot der Handelstätigkeit für das Militär, was einen entscheidenden Machtverlust darstellte, da die Armee jetzt vollständig auf Staatsmittel angewiesen war, versuchte die KPC auch in der Regierung das Militär zu schwächen. Zwar hielt sich der Anteil der Vollmitglieder des Zentralkomitees der KPC aus dem Militär zwischen den Jahren 1992 und 2002 bei 22 bis 23 Prozent. Im Politbüro ist aber seit den 1980er Jahren eine Verringerung der Repräsentanz des Militärs von elf Prozent im Jahre 1987 auf acht Prozent in den Jahren 1997 und 2002 zu verzeichnen. Zusammen mit der Tatsache, dass seit 1997 kein Offizier der Armee mehr im ständigen Ausschuss des Politbüros sitzt, deutet dies darauf hin, dass sich die zivilen Akteure in der Spitze der Partei gegenüber den militärischen Akteuren durchzusetzen vermochten und dass es zunehmend zu der von Jiang Zemin angestrebten Arbeitsteilung zwischen zivilem und militärischen Sektor kam. Die Sicherung der Kontinuität der Reform gegenüber der Militärführung lag nicht zuletzt darin begründet, dass Jiang Zemin auch nach der Einsetzung von Hu Jintao zum neuen KP-Generalsekretär und Staatspräsidenten zwischen 2002 und 2003 die Position als Vorsitzender der CMC behielt. Er konnte dadurch das Militär beruhigen, indem er sich nachdrücklich für die Erhöhung des Militärhaushaltes einsetzte. Andererseits konnte er seinen Kurs fortfahren, das Offizierskorps zum Teil personell neu zu besetzen und damit seinen Standpunkt zu stärken, um die Armee im wirtschaftlichen Sektor zu entmachten.773 Damit wurde dem Militär eine einträgliche Finanzquelle genommen. Finanzmittel die nicht von der Partei abgesegnet werden mussten, sondern die Armee in die Position eines Staates im Staate versetzten. Durch die Entmachtung in diesem Bereich konnte die Regierung ihre Steuerungsmöglichkeiten über das Militär wieder zurückgewinnen und ihre eigene Machtposition ausbauen. Ganz machtlos ist die Armeeführung dennoch nicht. Durch die neuen Aufgaben, wie die angestrebte Sicherung der See- und Landhandelswege, ist die Stimme des Militärs nach wie vor richtungweisend. Hinzu kommt, dass sie auch in der Partei nach wie vor stark vertreten ist und auch dort ihren Einfluss geltend machen kann. Allerdings ist sie im Vergleich zu den anderen Akteuren im Energiesektor wie den staatlichen Energiekonzernen und der Regierung in den Hintergrund getreten. Zwischen den Interessensgruppen der Energiekonzerne und der Regie772
Heilmann, Sebastian (2004): Das politische System der Volksrepublik China; Verlag für Sozialwissenschaften; Wiesbaden; S. 154f. 773 Heilmann, Sebastian (2004): Das politische System der Volksrepublik China; Verlag für Sozialwissenschaften; Wiesbaden; S. 154f.
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rung wird die Hauptauseinandersetzung um die Planung und Durchsetzung einer Energiesicherheitsstrategie geführt. Wobei die Ineffizienz der Regierungsinstitutionen den Konzernen einen Vorteil im Machtkampf verschafft.
4.6.4.6 Die Auswirkungen der Machtkonstellation auf die Energiepolitik Die Ineffizienz der chinesischen Energieinstitutionen und die Macht der Energiekonzerne haben verschiedene Auswirkungen auf das Management im Energiesektor. Die fragmentierte Energiebürokratie Chinas hat es bisher verhindert, dass eine langfristige nationale Energiestrategie, die von allen Akteuren akzeptiert wird, entwickelt werden konnte. Trotz einer anhaltenden Anzahl verschiedener Vorschläge von diversen Regierungsbehörden und Forschungsinstitutionen in den letzten Jahren, gibt es keinen Akteur, der über soviel Macht verfügt, um die anderen Akteure zur Akzeptanz seiner Strategie zu bewegen. Zudem hat das Fehlen einer umfassenden Struktur in der Energiebürokratie den Energiepolitikprozess hin zu einem reaktionsbedingten Management geleitet, das nach dem Prinzip verfährt: Behandle den Kopf wenn der Kopf schmerzt; behandle den Fuß wenn der Fuß schmerzt.774 Durch die mangelnden personellen und finanziellen Ressourcen der staatlichen Institutionen im Bereich der Energiepolitik – im Gegensatz zum Überfluss dieser Ressourcen bei den staatlichen Energiekonzernen – wurde Beijing in die politische Abhängigkeit der Unternehmensinteressen geführt. Da die Konzerninteressen jedoch auch nicht konform laufen, ist es in der Vergangenheit wiederholt vorgekommen, dass die staatlichen Erdölkonzerne bei internationalen Ausschreibungen gegeneinander geboten haben; sehr zum Missfallen der Zentralregierung, die die Unternehmen hinsichtlich ihrer Aktivitäten im Ausland gerne als geschlossenen Akteur sähe.775 Das entstandene Vakuum auf höchster Ebene hat dafür gesorgt, dass die Regierung Chinas kleineren Problemen zwar begegnen kann, aber sich nicht mit übergreifenden Aufgaben befassen kann. Die Ideen entstehen zumeist in den Strategieabteilungen der staatlichen Energiekonzerne, die die Tendenz haben eher von Projekt zu Projekt zu arbeiten, denn eine nachhaltige Strategie zu entwerfen. Zwar verpacken manche Unternehmen ihre Interessen in spezielle Projekte, die augenscheinlich das Ziel einer nationalen Energiesicherheit verfolgen. Dennoch haben NRDC-Mitarbeiter kaum Zeit und kaum Ressourcen zu überprü774
Downs, Erica (2006): China; The Brookings Foreign Policy Studies; Energy Security Series; Brookings Institution; Washington; S. 24. 775 Downs, Erica (2006): China; The Brookings Foreign Policy Studies; Energy Security Series; Brookings Institution; Washington; S. 24.
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fen, ob diese Projekte so nachhaltig sind, wie sie scheinen und ob es demnach sinnvoll ist, sie zu unterstützen.776 Zusammengefasst ergibt sich daraus folgende grobe hierarchische Staffelung bei den Akteuren in der Erdölsicherungsstrategie der VR China: die machtvollste Position haben die staatlichen Erdölkonzerne, danach folgt die NDRC mit den untergeordneten Institutionen. Darunter anzuordnen ist die Volksbefreiungsarmee, der verschiedene Analysten aus Denkfabriken und Universitäten folgen.777 Auch wenn in dieser Hierarchie die Regierung nicht an erster Stelle steht, so hat sie nach wie vor verschiedene Instrumente zur Hand, um die Macht der Konzerne einzuschränken. Das Wichtigste ist dabei die Gesetzgebung. So hat die Regierung im Dezember 2007 ein neues Energiegesetz auf den Weg gebracht, das weitreichende Reformen vorsieht. Nicht nur, dass die bestehenden Regierungsinstitutionen weiter gestärkt werden sollen, auch die Preisstruktur soll neu gestaltet werden. So steht im Entwurf des Gesetzes, dass die Energiepreise die Kosten reflektieren sollen, die der Knappheit der Rohstoffe und der Umweltkosten gerecht werden. Ferner soll ein Steuersystem etabliert werden, nach dem Erneuerbare Energien, Energieeinsparung und der Import von Technologien in diesen Bereichen unterstützt werden.778 Dennoch bleibt unklar, welcher Akteur wie viel Einfluss auf die Erstellung des Gesetzentwurfes hatte. Beispielsweise wurden die Kapitel die den Umweltschutz und den Klimawandel im Energy Law of the People’s Republic of China betreffen, auf Druck der staatlichen Erdölkonzerne gestrichen. Angestellte des Energy Bureau sind zumeist Machtlos gegenüber dem Druck den CNPC, CNOOC und Sinopec aufgrund personeller Verflechtungen auf hoher Regierungsebene und einer gut ausgebauten Strategieabteilung aufbauen können. Ferner haben CNPC und Sinopec den Rang eines Ministeriums, deren Vorstandsvorsitzende haben den Rang eines Vizeministers. Das Energy Bureau untersteht zwar direkt der NDRC und dem Staatsrat, in der Bürokratie sind die Konzerne jedoch höher angesiedelt.779
776
Downs, Erica (2006): China; The Brookings Foreign Policy Studies; Energy Security Series; Brookings Institution; Washington; S. 24. 777 Handke, Susann (2006): Securing and Fuelling China’s Ascent to Power; Clingendael International Energy Programme; The Hague; S. 23. 778 Platts: China’s energy law stalled amid government reorganization; in: Platts Online; http://www.platts.com/Electric%20Power/News/8004377.xml?p=Electric%20Power/News&sub=Ele ctric%20Power?src=energybulletin; Zugriff: 07.09.2008. 779 ICG (2008): China’s Thirst for Oil; International Crisis Group Asia Report Nr. 153; in: http://www.crisisgroup.org/library/documents/asia/153_china_s_thirst_for_oil.pdf; S. 6; Zugriff: 10.06.2008.
4.6 Akteure im Erdölsektor der VR China
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Der Machtkampf zwischen Konzernen und Regierung wird also höchstwahrscheinlich weitergehen. Er führt allerdings dazu, dass die Entwicklung effektiver Politik hinsichtlich der Exploration, Produktion und Konsumtion einzelner Energieträger verhindert wird: „Every actor tries to further his own personal or institutional interests, breeding rivalry and mistrust. State-run enterprises are increasingly concerned with profitability, but at the same time their directors must maintain good ties to high-ranking officials in order to operate effectively. Rather than following explicit government directives, they are more likely to use government policies to justify decisions they would like to make for commercial reasons. The wording of most government edicts is so evasive that it is usually possible to find a clause validating any sort of action.”780
Die Machtkämpfe zwischen den staatlichen Erdölkonzernen und der Regierung werden also weitergehen, auch wenn die gemeinsamen Interessen der beiden Akteursgruppen zum Teil überwiegen.781 So lassen sich die Hauptinteressen der staatlichen Erdölkonzerne in folgenden Punkten identifizieren: Deckung des steigenden inländischen Bedarfs an Erdöl und Erdgas und Aufrechterhaltung der Monopolstellung.782 Investitionen im Ausland, da die inländische Produktion in den nächsten Jahren weiter abnehmen wird – zumindest im Onshore-Sektor. Kooperation mit ausländischen Konzernen zur Deckung der immensen Investitionen und den Technologietransfer. Die vitalen Interessen der chinesischen Regierung sind folgende:
780
Deckung des steigenden Energiebedarfs. Ausweitung der Explorationstätigkeiten im On- und Offshore-Bereich, um den Anteil der Eigenversorgung mit Erdöl und Erdgas möglichst aufrechtzuerhalten oder auszubauen. Unterstützung der staatlichen Erdölkonzerne bei der Etablierung von Marktanteilen im Ausland zur Diversifizierung der Produzentenstaaten.
Jakobson, Linda (2007): The Burden of ‘Non-Interference’; China Economic Quarterly; Q2; S. 15. ICG (2008): China’s Thirst for Oil; International Crisis Group Asia Report Nr. 153; in: http://www.crisisgroup.org/library/documents/asia/153_china_s_thirst_for_oil.pdf; S. 5; Zugriff: 10.06.2008. 782 Da die vertikale Integration auf dem heimischen Markt nach wie vor vorhanden ist, konkurrieren die NOCs hier nicht gegeneinander und können auch die Joint Ventures mit ausländischen Konzernen – u.a. gestützt durch die Regierung – zu ihren Gunsten bestimmen. 781
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Die Gründe zur Diversifizierung der Erdölversorgung sind dabei vielfach: Erstens versucht die Volksrepublik vom zunehmend destabilisierten und USdominierten Nahen Osten unabhängiger zu werden. Zweitens versucht die Regierung in Beijing mit Staaten eine Energiepartnerschaft zu gründen, die nicht unter dem direkten Einfluss der US-Regierung stehen, um dem Risiko einer Unterbrechung der Lieferungen auf US-Anweisung entgegenzutreten. Drittens versucht China in allen lohnenswerten bilateralen Beziehungen eine Energiekooperation aufzubauen, um einen Engpass bei der Erdöl- und Erdgasversorgung vorzubeugen. Viertens steigert die Volksrepublik ihre Energieimporte aus Zentralasien und der Russischen Föderation, um unabhängiger von Erdöltransporten durch die von den USA kontrollierte Straße von Malakka zu sein. Und sechstens hält die Regierung die staatlichen Erdölkonzerne dazu an so viele Konzessionen an ausländischen Ölfeldern wie möglich zu erwerben, um „chinesisches Erdöl“ nach China zu transportieren.783 Damit stellt sich die Frage, welche Elemente die Strategie der wirtschaftlichen Expansion Chinas ins Ausland enthält und wie sie entstanden ist.
4.6.5 Ausländische Investitionen in die chinesische Wirtschaft Eine Komponente, die einen Eckpfeiler für das chinesische Wirtschaftssystem darstellt ist die Internationalisierung der Wirtschaft der VR China. Die Möglichkeit für ausländische Unternehmen Direktinvestitionen in China zu tätigen besteht seit den 1970er Jahren. Zu dieser Zeit ermöglichte Beijing Investitionen in den Hochtechnologiebereich, in gemeinsame Forschung und kooperative Produktion. In den 1990er Jahren wurde dies ausgebaut in Investitionsmöglichkeiten in den Leichtindustriesektor in ganz China. Alle ausländischen Investitionen müssen jedoch von der Zentralregierung genehmigt werden, wobei vielfach zuerst eine Konzession für die Sonderwirtschaftszonen (Abb. 63) erteilt wird und später für die ganze Volksrepublik. In den späten 1980er Jahren wurden Joint Equity Ventures zur gängigen Beteiligungsform; Mitte der 1990er Jahre wurden diese dann durch vollständige Foreign Ventures ersetzt.784 Dennoch agierten die staatlichen Konzerne in der Mitte der 1980er Jahre, als sie erstmals auf den internationalen Märkten erschienen, als einigermaßen gut
783
Handke, Susann (2006): Securing and Fuelling China’s Ascent to Power; Clingendael International Energy Programme; The Hague; S. 36. 784 Lewis, Steven W. (1999): Privatizing China’s State-Owned Oil Companies; James A. Baker III Institute; Rice University; S. 21.
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budgetierte Institutionen, die die städtischen Belegschaften gegen den „Schock“ des ökonomischen Wandels mit Sozialprogrammen abfederten.785 Als Folge der Öffnung begannen die Provinz- und Lokalregierungen um die ausländischen Investoren zu konkurrieren, indem sie örtliche wirtschaftliche Entwicklungszonen einrichteten und Instrumente, wie beispielsweise temporäre Steueranreize, ausgebaute Infrastruktur und effiziente Mechanismen zur Streitbeilegung anboten. Diese punktuellen Entwicklungszonen standen wiederum in Konkurrenz mit denen, die von staatlicher Seite eingerichtet worden waren. Die zunehmende Konkurrenz und die sich dadurch erweiternden Sonderwirtschaftszonen (Abb. 63) brachten schließlich chinesische Unternehmen auf die Idee, im Ausland Tochtergesellschaften zu gründen und mit diesen in der Volksrepublik zu reinvestieren, um an den diversen wirtschaftlichen Anreizen zu partizipieren.786 Auch bei der Öffnung der Wirtschaft nach Außen, war das Ergebnis das Gleiche wie bei der Liberalisierung der staatlichen Wirtschaftssektoren. Die danwei, die Regierungen auf verschiedenen Ebenen und die privaten Konzerne konkurrierten miteinander um die Investitionen ausländischer Akteure. Dadurch wurden die alten Strukturen der Planwirtschaft teilweise durch den klassischen Marktmechanismus ersetzt. Diese Transformation hatte wiederum einen Effekt auf die Erwartungshaltung der Menschen gegenüber ihrer Zentralregierung, vor allem in hochentwickelten Regionen in Südchina, wo inzwischen jeder vierte Arbeitnehmer bei einem ausländischen Konzern angestellt ist.787 Am Beispiel des Erdgassektors kann aber verdeutlicht werden, dass auch diese Strukturen wieder Rückgängig gemacht werden, bzw. dass die Zentralregierung in Beijing jederzeit nach ihren Interessen regulierend eingreifen kann. Zwar gibt es in China noch keinen bekannten Fall, in Russland hingegen schon. Exemplarisch ist der Fall des Rückzugs von Konzessionen in Sachalin-2 in Russland. Dort wollte die teilstaatliche Gazprom eine Beteiligung am Projekt, das von Shell, Mitsui und Mitsubishi betrieben wurde, erreichen. Nicht zuletzt, da eine LNG-Verflüssigungsanlage aufgebaut wird und Gazprom großes Interesse an dieser Technologie hat. Ferner hat Moskau selbst ein Interesse die in den 1990er Jahren geschlossenen Verträge wieder aufzulösen, da die Konditionen aufgrund
785
Puttermann, Louis; Xiao-Yuan, Dong (2000): China’s State Owned Enterprises. Their Role, Job Creation, and Efficiency in the Long-Term-Perspective; in: Modern China; Vol. 26; No. 4; S. 403447; Sage Publications; S. 413. 786 Lewis, Steven W. (1999): Privatizing China’s State-Owned Oil Companies; James A. Baker III Institute; Rice University; S. 24f. 787 Lewis, Steven W. (1999): Privatizing China’s State-Owned Oil Companies; James A. Baker III Institute; Rice University; S. 24f.
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des damaligen niedrigen Ölpreises vom heutigen Blickpunkt aus zwar vorteilhaft für das Konsortium, nicht aber für die Revenuen Russlands waren.788 Abbildung 63: Sonderwirtschaftszonen in der VR China
Quelle: http://www.info2china.com/info2chinad/travel/china_landkarten/sonderwirtschaftszonen_in_ china_1997.jpg; Zugriff: 03.05.2008.
In diesem Fall wurde Ende des Jahres 2006 die Umweltbehörde eingeschaltet, die Shell grobe Verstöße hinsichtlich der Umweltschutzbestimmungen vorwarf. Die daraufhin von der Regierung erstellten Gutachten führten dazu, dass das Konsortium neu verhandelt wurde, Danach hält Gazprom 50 Prozent plus eine Aktie, Shell besitzt 27,5 Prozent, Mitsui 12,5 Prozent und Mitsubishi 10 Prozent.789 788
Handelsblatt: Blauer Riese aus Moskau; in: Handelsblatt Online; http://www.handelsblatt-machtschule.de/news/weltkonzerne.php?id=127&cat=17; Zugriff: 06.02.2007; Hartman, Jens: Kampf um Rohstoffe auf der Insel der Verbannten; in Welt Online; http://www.welt.de/printwelt/article92394/Kampf_um_Rohstoffe_auf_der_Insel_der_Verbannten.html; Zugriff: 05.11.2006. 789 International Herald Tribune: Gazprom completes Sakhalin-2 takeover; in: IHT Online; http://www.iht.com/articles/2007/04/18/news/shell.php; Zugriff: 18.02.2007; Handelsblatt: Blauer
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Es gibt also für einen Nationalstaat immer einen Weg Verträge auf die eine oder andere Weise aufzulösen, wenn das entsprechende Interesse und die Machtposition vorhanden sind. In der VR China, die nach wie vor Technologie ins Land importieren möchte und deren Verflechtungen im internationalen Finanzund Wirtschaftssektor weiter zunehmen wird, ist das Risiko, dass sie gegründete Joint Ventures mit ausländischen Konzernen aufkündigen oder die Privatisierungstendenzen wieder umkehrt sehr gering. Allerdings setzt die Volksrepublik auf dem Aktienmarkt merkantilistische Maßnahmen an. So wurde seit Beginn der Entwicklung der Aktienmärkte im Jahre 1990 ein zweigliedriges System praktiziert. Es gab von vornherein Aktien für die chinesische inländische Bevölkerung – die so genannten A Shares – und die B Shares für Ausländer.790 Nach der Gründung der Börsen in Shanghai und Shenzhen, wurden auch international Aktien ausgegeben. Für die Börse in Hongkong die so genannten H Shares und für die Wall Street in New York die N Shares. Wobei die Aktien die im Ausland gehandelt wurden Tochterunternehmen von staatlichen Konzernen betrafen und somit keinerlei Übernahmegefahr für chinesische Konzerne durch ausländische Unternehmen bestand. Selbst bei den scheinbar privatisierten Tochterkonzernen von CNPC, CNOOC und Sinopec liegt die Aktienmehrheit beim Mutterkonzern, bei staatlichen Banken und bei der Regierung. Die Regierung kontrolliert in etwa 66 Prozent aller in China gehandelten Wertpapiere.791 Dadurch wird klar, dass der chinesische Markt, vor allem bei strategischen Sektoren, nur zu einem gewissen Maß für ausländische Investitionen geöffnet wurde. Die Volksrepublik geht in dieser Hinsicht einen anderen Weg, als beispielsweise Russland nach Zusammenbruch der Sowjetunion. In Russland wurden strategische Rohstoffe in private Hände gegeben und ausländische Konzerne wurden zu Konsortialführern, wie im Beispiel Sakhalin-2 beschrieben. Als dann der russischen Regierung genug eigenes Kapital zur Verfügung stand, wurden die Konsortien umgestaltet, private Unternehmer, die sich den Interessen der Regierung widersetzten wurden zum Teil festgenommen. Dieses Verhalten traf Riese aus Moskau; in: Handelsblatt Online; http://www.handelsblatt-macht-schule.de/ news/weltkonzerne.php?id=127&cat=17; Zugriff: 06.02.2007; Hartman, Jens: Kampf um Rohstoffe auf der Insel der Verbannten; in Welt Online; http://www.welt.de/print-welt/article92394/ Kampf_um_Rohstoffe_auf_der_Insel_der_Verbannten.html; Zugriff: 05.11.2006. 790 Die meisten Firmen, die B Shares für Ausländer ausgaben, boten auch A Shares an. Der Preis der Ersteren lag im Allgemeinen unter dem für A Shares, das heißt, Aktien, die den gleichen Anspruch auf das Vermögen eines Betriebes begründeten, wurden zu unterschiedlichen Preisen gehandelt. Klenner, Wolfgang (2006): China Finanz- und Währungspolitik nach der Asienkrise; Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft Band 6; Lucius & Lucius; Stuttgart; S. 57. 791 Klenner, Wolfgang (2006): China Finanz- und Währungspolitik nach der Asienkrise; Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft Band 6; Lucius & Lucius; Stuttgart; S. 55f/93.
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international auf harsche Kritik. In China wird dieser Weg nicht eingeschlagen. Vielmehr wird die Wirtschaft so entwickelt, dass die Hauptanteile der Konzerne in chinesischer, staatlicher Hand bleiben. Dies trifft zwar auch auf Kritik aus den westlichen Ländern – vor allem seit China Mitglied in der WTO ist wird dem Staat vermehrt Protektionismus vorgeworfen –, aber es verhilft den chinesischen Konzernen trotzdem zu Investitionen aus dem Ausland und bringt sie selbst in eine recht komfortable Ausgangsposition, um rund um den Globus erfolgreich tätig zu werden.
4.6.6 Chinesische Investitionen im globalen Erdölmarkt Die Orientierung der chinesischen Energiewirtschaft nach außen begann spätestens im Jahre 1993 als China Nettoimporteur von Erdöl wurde. Forciert wurde das Engagement im Jahre 1999, als das Zentralkomitee der KPC die „schwärmt aus“ (zouchuqu) Strategie herausgab. Ziel der Strategie war es durch die Reform und Liberalisierung der Regularien des finanziellen Regimes und der administrativen Regeln, Investitionsanreize für Konzerne zu schaffen. Chinas Präsident Hu Jintao verstärkte nochmals im Jahre 2002 die Bestrebungen der staatlichen Konzerne im Ausland Konzessionen und Anteile an Erdölquellen, Pipelines und Unternehmen zu erwerben.792 Allerdings stand dem chinesischen Engagement zur Sicherung der Erdölimporte der seit knapp einem Jahrhundert unter den großen Konzernen aufgeteilte globale Erdölmarkt entgegen. Für CNPC, Sinopec und CNOOC war es von vornherein schwer, Anteile in diesem hart umkämpften Markt zu sichern. Bis zum Jahre 2006 hatten es die chinesischen NOCs jedoch erreicht, dass 15 Prozent der Erdölimporte aus Quellen stammen, die mit eigener Kapitalbeteiligung betrieben werden. Der Anteil von diesem „equity-oil“ soll in den nächsten Jahren weiter ausgebaut werden, um über langfristige Verträge abgesichertes Erdöl zu beziehen, das von der Volatilität des Ölpreises und Versorgungsengpässen nur peripher betroffen ist. In der Funktion eines Nachzüglers ist dies für China aber nur möglich, wenn es in riskante und marginale Nischen des internationalen Ölmarktes investiert (Tab. 13).793
792
ICG (2008): China’s Thirst for Oil; International Crisis Group Asia Report Nr. 153; in: http://www.crisisgroup.org/library/documents/asia/153_china_s_thirst_for_oil.pdf; Zugriff: 10.06. 2008; S. 4. 793 Steinhilber, Jochen (2006): Öl für China: Pekings Strategien der Ölsicherung in Nahost und Nordafrika; in: Internationale Politik und Gesellschaft; Nr. 4; S. 80-104; Berlin; S. 85.
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Tabelle 13: Ausgewählte chinesische Auslandsinvestitionen im Erdölsektor seit 2005 Selected Chinese overseas oil investments Year Event 2005 CNPC buys out PetroKazakhstan for $4.2-billion 2006 CNPC buys slightly over 4% stake in Russia’s Rosneft for $500 million; CNPC (49%) and Rosneft (51%) set up Russia-based oil and gas exploration JV Vostok Energy, which is vurrently developing two hydrocarbon deposits in the Irkutsk region in eastern Siberia CNOOC buys 45% stake in Nigeria’s Akpo offshore oil and gas field for $2.7-billion Sinopec signs MoU with Saudi Aramco for 1-million b/d of crude supply by 2010. Sinopec earlier bought a stake in the Rub al-Khali field in Saudi Arabia 2007 CNPC acquires all the upstream operations of EnCana of Chad for $202.5 million in January. In September, CNPC signs a cooperation agreement with Chad for a refinery project CNPC buys 258.6 square meter Alberta oil sands lease in Canada in January, the first time to buy assets in oil sands 2008 China sovereign welath fund (SAFE) buys 1.6% stake in Total of France for $2.9-billion SAFE buys 1% share of BP for $2-billion Sinopec in talks with Brazil’s Petrobras to jointly expolore a key heacy crude oil prospect in Ecuador, the Ishpingo, Tambococha and Tiputini fields that are thought to hold about 1 billion barres of reserves Venezuela’s PDVSA and China are looking at three specific blocks in the Orinoco extra heacy oil belt for the development of one of several new E&P projects with a total cost of $10 billion China’s CNPC and Iraq reach agreement August 28 on a $3 billion project to develop the al-Ahdab oil field in Iraq in the first major upstream contract to be ewarded to a foreign oil company since the 2003 war Quelle: Platts: Selected Chinese overseas oil investments; in: Platts http://www.platts.com/Oil/Resources/News%20Features/energyinchina/investments.xml; 17.09.2008.
Online; Zugriff:
Ein Beispiel hierfür ist das Engagement von CNPC im Sudan. Aufgrund des Krieges der sudanesischen Regierung gegen ethnische Minderheiten in Darfur mussten sich andere Konzerne aus der Erdölproduktion in dem afrikanischen Land zurückziehen. Durch den Aufbau internationalen Drucks auf die Unternehmen, die mit der Regierung Geschäfte machten, zogen sich unter anderem die österreichische OMV und die kanadische Talisman zurück und verkauften ihre Anteile in den Jahren 2002 und 2003 an CNPC, die indische ONGC und die malaysische Petronas. Wobei sich die förderbare Menge an Erdöl auf ca. eine
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Milliarde Barrel für CNPC, 600 Millionen Barrel für Petronas und 300 Millionen Barrel für ONGC verteilt.794 Das Engagement von ONGC und Petronas findet international kaum Beachtung. Den chinesischen Investitionen steht allerdings massiver Protest von westlichen Regierungen und Personen des öffentlichen Lebens gegenüber.795 So sehen sich chinesische Ölkonzerne genötigt in Staaten zu investieren, denen gegenüber andere Konzerne Vorbehalte hinsichtlich der Sicherheit oder des politischen Systems haben. Die Suche nach Kapazitäten in Übersee brachte Beijing dazu, enge diplomatische Beziehungen zu Iran, Sudan, Usbekistan und Venezuela aufzubauen; Staaten, die konträr zu den Interessen der USA und/oder der EU handeln. Was bei der Kritik an der Erdölförderung im Sudan vergessen wird, ist die Tatsache, dass China dadurch die Gesamtmenge an Erdöl auf dem Weltmarkt aufrechterhält. Vor allem, da von dem Erdöl aus dem Sudan nur ca. 20 Prozent nach China verschifft werden. Der Rest wird über den internationalen Markt in Konsumentenstaaten auf der ganzen Welt verkauft.796 Wäre der Ölpreis hauptsächlich von Angebot und Nachfrage bestimmt, so schützten chinesische Konzerne ihn in diesem Fall vor einer Erhöhung. Das Engagement der chinesischen Konzerne in Afrika wird von der Regierung in Beijing unterstützt. Mit einer Entwicklungspolitik, nach der China den afrikanischen Staaten vermittelt, sie seien wegen des Schwellenlandstatus auf gleicher Augenhöhe, bezieht die Volksrepublik Rohstoffe im Austausch für den Aufbau der Infrastruktur, der Bildungseinrichtungen und des medizinischen Sektors. Dank dieser Strategie ist Angola inzwischen zum wichtigsten Erdöllieferanten Chinas geworden.797 Eine andere Möglichkeit für chinesische Konzerne an Förderlizenzen auf dem internationalen Markt zu gelangen ist die Beteiligung an Bieterwettbewerben. Allerdings sind hier auch Konzerne aus anderen Nationen anzutreffen. Die Folge ist, dass der Preis für die Investition zumeist bedeutend höher ist, als beim Aufkauf von Nischenvorkommen. Beispielsweise bot das russisch-britische Joint Venture TNK-BP ihre Tochtergesellschaft Udmurtneft zum Verkauf. Anton Rubzov von Ray, Man & Gor Securities meint, dass Sinopec eine gute Chance hatte das Geschäft abzuschlie794
Henken, Lühr (2007): Nächster Interventionskandidat Sudan? In: AG Friedensforschung an der Uni Kassel; http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Sudan/henken.html; Zugriff: 29.08.2007. IHT: China and Darfur; in: International Herald Tribune Online; http://www.iht.com/; Zugriff: 5.08.2006. 796 Wacker, Gudrun – Chinaexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik – auf dem Symposium des Humboldt-Forums Wirtschaft „China und der Westen“; Humboldt Universität Berlin; 25.06.2008. 797 Adolf, Matthias; Köstner, Jan (2007): China versus USA: Der neue Kampf um Afrika; Blätter für deutsche und internationale Politik; April; S. 485-490; Berlin. 795
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ßen, da China es sich leisten kann, einen übertriebenen Preis für die Firma bezahlen kann. Und nicht nur die geschätzten 2,5 bis vier Milliarden US-Dollar.798 Ein anderes Beispiel ist das Bieterverfahren zwischen der indischen OME – ein Konsortium zwischen Indiens Oil and Natural Gas Corporation (ONGC) und der Mittal Stahl Gruppe –, der russischen Lukoil und Chinas CNPC hinsichtlich PetroKazakhstan799 mit Hauptsitz in Kanada. Der Konzern kontrollierte im Oktober 2005 zwölf Prozent der kasachischen Ölreserven.800 PetroKazakhstan operierte seit dem Jahr 1997 in Kasachstan und war dort zweitgrößtes Energieunternehmen, das in ausländischem Besitz stand. William Magee von Creditfinance Securities Ltd. in Kanada erklärte, „PetroKazakhstan is sitting on a lot of oil in the South Turgai Basin of central Kazakhstan. All of their 10 fields are relatively close to the large Kumkol field processing facility.” Laut Magee gehörte dem Unternehmen auch die Raffinerie Shymkent, welche 1986 gebaut wurde und die allein im Jahre 2004 Light Sweet Crude in der Größenordnung von 3,5 Millionen Tonnen verarbeitet hatte. In den letzten Jahren war Shymkent die wichtigste Raffinerie zur Benzinversorgung in Kasachstan.801 Im Bieterwettbewerb um PetroKazakhstan bekam CNPC den Zuschlag für 4,18 Milliarden US-Dollar, das sind 21 Prozent mehr als der Aktienkurs zu dieser Zeit und eine Milliarde USDollar mehr als das Angebot von OME.802 Um diese immensen Mehrausgaben bei Bieterverfahren einzuschränken, zeigten chinesische Firmen ein großes Interesse daran die Anzahl der abgesprochenen Bieterwettbewerbe beispielsweise mit der indischen ONGC zu erhöhen, um die Investitionssummen bei Übernahmen im Ausland zu senken.803 In diesem Zusammenhang äußerte sich Indiens Energieminister Mani Shankar Aiyar während eines Chinaaufenthaltes im Januar 2006: „We look on China not as a strategic competitor but a strategic partner. It is clear to me that any imitation of the ‚Great Game’ between India and China is a danger to peace. We cannot endanger each other’s security in our quest for energy security.”804 Insofern soll in Zukunft eine engere Kooperation bei der Verteilung von Ressourcen, bei Bieterverfahren und Investitionen vorherrschen. Dass eine sol798
Russland.RU: China bekommt erstmals Zugang zum russischen Erdöl; in: www.russland.ru; Zugriff: 21.06.2006. 799 “PetroKazakhstan produces 7 million tons of crude oil per annum; has about 357 million barrels proven reserves and 146 million barrels probable, which is a total of 503 million barrels of oil”; Asia times: Kazakh oil coup for China, India cries foul; in: www.atimes.com; Zugriff: 24.08.2005. 800 Asia times: Kazakh oil coup for China, India cries foul; in: www.atimes.com; Zugriff: 24.08.2005. 801 Asia times: China’s Kazakh prize: The expert opinion; in: www.atimes.com; Zugriff: 25.08.2005. 802 Asia times: Kazakh oil coup for China, India cries foul; in: www.atimes.com; Zugriff: 24.08.2005. 803 Handke, Susann (2006): Securing and Fuelling China’s Ascent to Power; Clingendael International Energy Programme; The Hague; S. 28. 804 AsiaTimes: No „Great Game“ between India, China; in: AsiaTimes Online; http://www.atimes.com/atimes/China_Business/HA12Cb01.html; Zugriff: 03.09.2006.
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che Absprache möglich ist zeigen Fälle in Syrien und Sudan. So hatten CNPC und ONGC im Dezember 2005 – also kurz nach der Bieterkonkurrenz um PetroKazakhstan – in einem Joint Venture für 484 Millionen Euro Besitzrechte von Petro-Canada an einem Ölfeld in Syrien gekauft. Der Besitz wird von der syrischen staatlichen AlFurat Petroleum Company und Syria Shell Petroleum Development B.V. verwaltet. Der Verkauf beinhaltet: einen Anteil von 37,5 Prozent am Deir Ez Zor Service Vertrag und den assoziierten Anlagen, 33,3 Prozent am Ash Sham Vertrag und den assoziierten Anlagen, 36 Prozent an einem Gas Utilization Agreement sowie assoziierte Anteile am Deep and Lateral Agreement.805 Diese Zusammenarbeit signalisierte einen Umschwung in den wirtschaftsdiplomatischen Beziehungen zwischen der VR China und Indien hinsichtlich der Energiepolitik. Denn eigentlich hätte CNPC den Bieterwettbewerb allein gewinnen können, da ONGC, wie die Erfahrung unter anderem mit PetroKazakhstan gezeigt hatte, über weniger Kapital verfügte als der chinesische Konzern und bei niedrigeren Summen aus dem Wettbewerb ausstieg. Dennoch ist die Absprache bei Bieterwettbewerben eine Win-Win-Situation für beide Seiten. ONGC hat die Beteiligung an syrischen Ölfeldern erhalten und CNPC musste keine überzogene Summe bieten, um sich der Konkurrenz zu entledigen. Doch auch die hohen Gebote für ausländische Konzerne garantieren nicht immer einen Erfolg. Im Übernahmekampf um den US-Erdölkonzern Unocal unterlag CNOOC. Trotz des Angebots von 16,8 Milliarden US-Dollar von Seiten CNOOC, das wesentlich höher war als das der Konkurrenten, bekam der in den USA ansässige Chevron-Konzern den Zuschlag. Die Entscheidung des UnocalVorstands das Unternehmen in US-Händen zu belassen lag unter anderem an der starken Einmischung des US-Senats, der sich klar gegen eine Übernahme durch CNOOC ausgesprochen hatte.806 Neben der Befürchtung, dass ein chinesisches Unternehmen USamerikanische Arbeitsplätze abbauen könnte, war wohl ein anderer Grund für die Entscheidung maßgebend. Wäre Unocal an CNOOC überschrieben worden, so wäre auch das Firmenarchiv in chinesische Hände gelangt. Darin enthalten sind die Strategiepläne zu den Verhandlungen zwischen Unocal und den Taliban, in denen es um den Bau einer Pipeline von Turkmenistan durch Afghanistan nach Pakistan ging. An diesen Verhandlungen im Jahre 1999 waren auf Seiten von Unocal unter anderem der heutige afghanische Präsident Hamid Karsai und der Sonderbevollmächtigte der USA für Greater-Middle-East, Zalmai Khalizad, 805
Petro-Canada: Petro-Canada to Sell Mature Syrian Production for $676 Million Cdn; in: PetroCanada Online; http://www.petro-canada.ca/en/media/1886.aspx?id=576105; Zugriff: 06.05.2006. 806 Daojiong, Zha (2006): China’s Energy Security: Domestic and International Issues; Survival; pp. 179-190; vol. 48; No. 1; Spring 2006; p. 184.
4.6 Akteure im Erdölsektor der VR China
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beteiligt. Insofern ergibt es Sinn, dass sich der US-Senat dafür einsetzt, dass diese Unterlagen, deren Inhalt die nationale Strategie der USA hinsichtlich der Energiesicherheit und der nationalen Sicherheit betreffen, nicht an einen chinesischen Konzern weitergegeben werden.807 Tabelle 14: Weltweite Präsenz chinesischer Ölkonzerne (2006) Africa Countries invested in Producing oil in Total equity production (tbpd) Middle East Countries invested in Producing oil in Total equity production (tbpd) Former Soviet Union Countries invested in Producing oil in Total equity production (tbpd) East and Southeast Asia Countries invested in Producing oil in Total equity production (tbpd) North and South America Countries invested in Producing oil in Total equity production (tbpd)
CNPC
Sinopec
CNOOC
8 3 180
6 2 9
4 0 0
3 3 30
4 1 1
0 0 0
3 3 250
3 1 40
0 0 0
4 3 30
2 0 0
4 2 35
4 4 70
3 2 40
1 0 0
Quelle: Rosen, Daniel H.; Houser, Trevor (2007): China Energy. A Guide for the Perplexed; China Balance Sheet; CSIS/Peterson Institute for International Economics; Washington DC; S. 31.
807
Daojiong, Zha (2006): China’s Energy Security: Domestic and International Issues; Survival; pp. 179-190; vol. 48; No. 1; Spring 2006; p. 184.
354
4 Die Energiepolitik der VR China
Trotz solcher Rückschläge sind die chinesischen staatlichen Erdölkonzerne, vor allem CNPC (Tab. 14) international zu ernst zunehmenden Investoren aufgestiegen. Dies ist ihnen dank ihrer vielfältigen Strategien und der Unterstützung durch die chinesische Regierung auf dem diplomatischen Parkett gelungen. Die internationale Konkurrenz um die Erdölreserven der Welt zwischen staatlichen Erdölkonzernen und privaten Erdölkonzernen wird aber mit zunehmender Härte weitergeführt werden. Vor allem durch die Tatsache, dass rund 70 Prozent der globalen Erdöl- und Erdgasreserven in der Strategischen Ellipse zu finden sind, rückte nach Ende der Blockkonfrontation die Kaspische Region in den Fokus des Interesses. Hier galt es einen Nischenmarkt, aus dem sich mit Russland ein Großakteur scheinbar zurückgezogen hatte, neu zu verteilen. Wie in Kapitel 1.6. dargestellt wurde sind die Energiereserven in der Region nach wie vor nicht so vielfältig wie Anfang der 1990er Jahre erwartet. Deshalb kommt es in Zentralasien und dem Südkaukasus zu Konkurrenzen der internationalen Akteure. Im Speziellen setzt sich diese Arbeit im folgenden Kapitel mit den divergierenden Interessen Chinas, Russlands, der USA und der EU in der Kaspischen Region auseinander. Wobei beispielhaft der Politikprozess um die Kasachstan-ChinaPipeline analysiert wird.
5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
„In politics there are no permanent enemies, nor permanent friends: only permanent interests.”808
5.1 Das Fallbeispiel der Kasachstan-China-Pipeline Nachdem die VR China 1993 zum Nettoimporteur von Erdöl wurde, musste ein Großteil der Erdölimporte in die Volksrepublik durch die von der US-Marine überwachte Straße von Malakka transportiert werden. Um diese Überwachung zu umgehen – die im Falle von Konflikten zwischen den USA und China auch zu einer Sperrung der Straße führen könnte – wurde nach alternativen Importrouten gesucht (Kap. 4). Aufgrund der geographischen Lage der Volksrepublik kamen für eine Versorgung über den Landweg in erster Linie zwei Staaten in Frage: Russland und Kasachstan. Zwar wird auch eine Pipeline von Birma nach China gebaut, aber der südasiatische Staat hat kaum eigene Energiereserven. Insofern fiel das Interesse Beijings auf Russland und Kasachstan. Kasachstan bot dazu noch die Möglichkeit, als Transitland für Erdöl und Erdgas aus der gesamten Kaspischen Region bis hin zum Persischen Golf genutzt zu werden. So gab es Pläne der chinesischen Regierung eine „panasiatische globale Energiebrücke“ aufzubauen, die Erdgas und Erdöl aus West- und Ostsibirien, dem Iran, Aserbaidschan, Turkmenistan, Usbekistan und Kasachstan in die Volksrepublik transportieren sollte. Aber nicht nur dies: Durch den Aufbau einer solchen Energiebrücke könnte sich China auch aus der Rolle eines Konsumenten befreien und zudem als Energieversorger in Asien auftreten (Kap. 4). Doch bis zum Frühjahr 2009 sind von diesen ehrgeizigen Zielen nur wenige umgesetzt worden. Es existiert bisher nur eine Pipeline (Fertigstellung Ende 2005) vom kasachischen Atasu, die kasachisches und russisches Erdöl in die chinesische Grenzstadt Alashankou leitet. Eine weitere Erdölpipeline wird von Ostsibirien nach Nordostchina gebaut und eine Erdgaspipeline von Turkmenistan
808 Winston Churchill zitiert nach: Madonna, G. Terry; Young, Michael (2003): Leadership and Luck; in: Franklin & Marshall College; http://www.fandm.edu/x3920; Zugriff: 14.05.2009.
M. Adolf, Energiesicherheitspolitik der VR China in der Kaspischen Region, DOI 10.1007/978-3-531-92738-1_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
356
5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
über Usbekistan und Kasachstan nach Xinjiang soll im Oktober 2009 ihren Betrieb aufnehmen. Abbildung 64: Die Kasachstan-China Pipeline
Quelle: Eigene Bearbeitung; EIA (2004): Kazakhstan: Proposed Pipeline to China; in: EIA Online; http://www.eia.doe.gov/emeu/cabs/Kazakhstan/images/Map_KZ-CH_2Aug04.pdf; Zugriff: 02.02.2009.
Um jedoch aufzuzeigen, wie die chinesischen staatlichen Erdöl- und Erdgaskonzerne mit Unterstützung der chinesischen Regierung bei ihrem Engagement in der Kaspischen Region vorgehen, wird in diesem Kapitel beispielhaft der Politikprozess um die Westkasachstan-Westchina-Pipeline dargestellt (Abb. 64).
5.2 Der kasachische „Jahrhundertvertrag“
357
5.2 Der kasachische „Jahrhundertvertrag“ China importiert seit 1997 Erdöl per Eisenbahn aus Kasachstan. Eine Ausweitung der Erdölgeschäfte mit dem zentralasiatischen Staat gelang chinesischen Staatsbetrieben aber erst im Juni 1997. Es war CNPC gelungen einen 60 prozentigen Anteil an der kasachischen Erdölfirma Aktyubinsk zu erwerben. CNPC kaufte sich dort für 4,3 Mrd. US-Dollar ein und setzte sich damit gegenüber den US-amerikanischen Unternehmen Texaco und Amoco sowie der russischen Yuzhny Most durch. Von dieser Summe flossen von CNPC 320 Mio. US-Dollar als „Bonus“ an die Regierung in der alten Hauptstadt Almaty.809 Über die vereinbarte Beteiligung über 20 Jahre sollten Importkapazitäten für China gesichert werden, die dann über eine zu dieser Zeit geplante 3.000 km lange Pipeline von den Ölfeldern in Aktyubinsk im Norden Kasachstans nach Xinjiang transportiert werden sollten (Abb. 64).810 CNPC verpflichtete sich zwischen 1998 und 2018 vier Milliarden USDollar in die drei Ölfelder Zhanazhol, Kenkiyak 1 und Kenkiyak 2 im Westen Kasachstans (Abb. 64) zu investieren und diese im Joint Venture mit der kasachischen Erdölfirma Kazakhoil zu entwickeln.811 Bei einem Staatsbesuch in Kasachstan nur drei Monate später am 24. September 1997 unterzeichneten Chinas damaliger Premierminister Li Peng und der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew Vereinbarungen über den Verlauf der gemeinsamen Grenzen812 und chinesische Investitionen in kasachische Ölund Erdgasreserven in Höhe von 9,5 Mrd. US-Dollar. Unter anderem ging es um die Reanimation des zweitgrößten Ölfelds Kasachstans, dem im Westen gelegenen Uzen-Feld. Im darauffolgenden Bieterwettbewerb um das Feld bekam dann auch folgerichtig CNPC den Zuschlag vor der US-amerikanischen Amoco und einem Konsortium aus der US-amerikanischen Unocal und der malaysischen Petronas. Der Zuschlag sah eine chinesische Beteiligung am kasachischen Erdölproduzenten Aktobemunaygaz in Höhe von 60 Prozent vor. Allerdings war auch in diesem Vertrag die Verpflichtung zum Bau einer Pipeline, die die Ölfelder im Westen Kasachstans mit der chinesischen Grenze verbinden sollten verankert. Zudem sollte auch eine 250 Kilometer lange Pipeline gebaut werden, um Kasachstan und Turkmenistan zu verbinden. Diese sollte – nach den damaligen 809
Noch im Jahre 1997 wurde Astana zur neuen Hauptstadt Kasachstans. Asian Review of Business and Technology: Kazakhstan – China takes oil stake; in: Asian Review of Business and Technology; factiva; 01.07.1997. 811 International Market Insight Reports: Kazakhstan – China Wins Bid for Kazakstani Oil Fields; Telegraphic Report from the American Embassy in Almaty; Factiva; 03.07.1997. 812 In diesem Abkommen ging es um die Region um den Berg Khan Tengri. Es wurde sich auf die Demarkation eines elf Kilometer langen Grenzabschnitts geeinigt. BBC: Kazakhstan, China Sign Multi-Billion Dollar Oil and Gas Deal; in: BBC Monitoring Service; factiva; 03.10.1997. 810
358
5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
Planungen der chinesischen Regierung und Konzerne – Erdöl aus dem Iran über Turkmenistan und Kasachstan nach China leiten.813 Li erklärte, die Dokumente seien „an important page in the history of Kazakh-Chinese relations“. Das Abkommen sei erst der Anfang der Öl- und Gasdiplomatie zwischen China und Kasachstan. In Anlehnung an den damaligen aserbaidschanischen Präsidenten Haidar Alijew bezeichnete auch Nursultan Nasarbajew diesen Vertrag als „Jahrhundertvertrag“.814 Nasarbajew war überzeugt, dass die Pipeline spätestens im Jahre 2002 fertig gestellt sei. Realistischer war zu dieser Zeit sein Außenminister Kasymzhomart Tokayev, der davon ausging, dass „the pipeline should be ready for full-scale operation by 30th June 2005.“815 Fertig gestellt wurde der Teilabschnitt der Pipeline, der das kasachische Atasu mit dem chinesischen Alashankou verbindet, am 15. Dezember 2005. Durch den „Jahrhundertvertrag“ nahm die Route der geplanten Pipeline von Kasachstan nach China konkretere Form an. Um die Ölfelder von Uzen und Aktyubinsk mit der Volksrepublik zu verbinden blieb nur die in Abbildung 64 dargestellte Strecke zur Auswahl. Nachdem sich die Parteien auf die Route der Pipeline geeinigt hatten, traten jedoch die ersten Zweifel und Vorbehalte auf. So gab es auf kasachischer Seite bei Kazakhoil Zweifel, ob genügend Produktionskapazitäten vorhanden sind, um die geplante Menge von mindestens 20 Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr für die Pipeline bereitzustellen. Das Erdöl für die Pipeline sollte ausschließlich aus den Feldern von CNPC in Kasachstan gefördert werden. Die Idee, das Problem zu beheben kam vom Vizepräsidenten von Kazakhoil, Galiausat Keshubayev. Er schlug vor, russische Unternehmen an der Sondierung des Geländes und dem späteren Bau der Pipeline zu beteiligen, um dadurch einen Anreiz für russische Erdölkonzerne zu schaffen, sich an den Erdöllieferungen nach China zu beteiligen und somit die Pipeline auszulasten. Russische Firmen, wie Yukos oder Lukoil standen in den 1990er Jahren sowieso mit
813
International Market Insight Reports: Kazakhstan – China Wins Bid for Kazakstani Oil Fields; Telegraphic Report from the American Embassy in Almaty; Factiva; 03.07.1997; Dow Jones Energy Service: Kazakstan, China to Sign Uzenskoye Oil Deal; in: Dow Jones Energy Service; factiva; 23.09.1997; Inzhenernia Gazeta: Kazakhstan: China National Petroleum Corp. will Take Part in Development of the Uzen Deposit; in: Inzhenernaia Gazeta; factiva; 01.07.1998. 814 Im Jahre 1994 wurde in Baku der so genannte „Jahrhundertvertrag“ zwischen Aserbaidschan und einem internationalen Ölkonsortium über acht Milliarden Dollar unterschrieben. Er sah die Entwicklung der drei wichtigsten aserbaidschanischen Ölfelder vor: Azeri, Chirag und Gunashli. Diese hatten ein Gesamtpotential von drei bis fünf Milliarden Barrel Erdöl. Ohanian, Ani (2005): Die Baku-TiflisCeyhan Pipeline: Chance und Risiko für die Kaspische Region; in: Weltpolitik.net; http://www.weltpolitik.net/Regionen/Russland%20und%20Zentralasien/Kaspischer%20Raum/Grund lagen/btc_pipeline.html; Zugriff: 02.02.2009. 815 BBC: Kazakhstan, China Sign Multi-Billion Dollar Oil and Gas Deal; in: BBC Monitoring Service; factiva; 03.10.1997.
5.2 Der kasachische „Jahrhundertvertrag“
359
China in Kontakt, um über den Bau von Pipelines aus Russland in die Volksrepublik zu verhandeln (Kap. 4.4.1.4).816 Ein weiterer Zulieferer für Erdöl sollte die US-amerikanische Chevron Corp. sein, die Förderrechte am Offshore-Feld Tengiz in Kasachstan unterhält. Ein damaliger Repräsentant von Chevron in Almaty erklärte: „We are interested in exploring marketing opportunities in China. However, we continue to see the Caspian Pipeline Consortium as our priority.“ Auch wenn die Priorität des Handels von Chevron nicht auf China lag, so belieferte der Konzern ab November 1997 eine Raffinerie im Westen Chinas mit Erdöl per Eisenbahn.817 Neben der Sorge um die Produktionsbegrenzungen in Kasachstan äußerten Experten aus der Erdölbranche Bedenken an der Wirtschaftlichkeit der Pipeline. So seien verschiedene Pipelinerouten angedacht und sogar verhandelt worden, bis in das Jahr 1998 sei jedoch kein Projekt realisiert. Von allen angedachten Pipelines sei die kasachisch-chinesische Route auf Grund ihrer langen Distanz vom Kaspischen Meer bis zur chinesischen Ostküste die unrealistischste. Ein weiteres Projekt betrifft eine Pipeline, die von Kasachstan durch Turkmenistan in den Iran gebaut werden sollte. Diese Investition wird allerdings durch den IranLibyan-Sanction-Act behindert.818 Dazu kamen die Verhandlungen über eine Pipeline, die von Turkmenistan Erdgas durch Afghanistan nach Pakistan und Indien leiten sollte, was allein auf Grund der Sicherheitslage in Afghanistan unmöglich war und ist.819 Die Bedenken hinsichtlich der Kasachstan-China-Pipeline, dass sie aus wirtschaftlichen Gründen nicht gebaut würde, konnten allerdings zerstreut werden. Dies vor allem auch, da der Bau der Pipeline strategisch und politisch motiviert ist. Es ging zum einen um eine Diversifizierung der Erdölimporte Chinas – 80 Prozent werden durch die Straße von Malakka transportiert. Zum anderen 816
BBC: Kazakhstan-China Pipeline Provides Opportunities for Russia; in: BBC Monitoring Service; factiva; 31.10.1997. 817 Clover, Charles: Kazakhstan Turns to China; in: Financial Times; factiva; 20.11.1997. 818 Reuters: Existing, Planned Oil Pipelines from Caspian; in: Reuters News; factiva; 27.02.1998; Reuters: Kazakh PM Visits Builds Cina Oil, Commerce Ties; in: Reuters News; factiva; 09.05.1998. 819 Im Jahre 1998 tobte in Afghanistan nach wie vor ein Bürgerkrieg zwischen den radikalislamischen Taliban und der Nordallianz. Die Taliban waren im Begriff ganz Afghanistan zu erobern. Aus diesem Grund verhandelten Vertreter des US-Konzerns Unocal mit Vertretern der Taliban über den Bau der Pipeline. Auf Seiten von Unocal waren die Verhandlungsführer der heutige Präsident von Afghanistan Hamid Karzai und der Sonderbeauftragte der USA für die Region „Greater-Middle-East“ Zalmay Khalizad. Die Verhandlungen scheiterten, da die Talibanführung zur Finanzierung der Pipeline keinen Kredit des IWF aufnehmen wollte. Martin, Patrick (2002): Unocal Advisor Named Representative to Afghanistan; in: Centre for Research on Globalisation; http://www.global research.ca/articles/MAR201B.html; Zugriff: 16.03.2009; Kleveman, Lutz C.: Der AfghanistanJoker; in: Spiegel Online; https://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,213648,00.html; Zugriff: 16.03.2009.
360
5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
sollte durch die Kooperation im Energiesektor auch der politische Einfluss auf zentralasiatische Staaten verstärkt werden. Deshalb erklärte auch der britische China-Experte Philip Andrews-Speed im Jahre 2002: „They [the Chinese government] might yet decide that the current dependence on the Gulf for oil supplies is excessive, that a stronger Chinese presence in Central Asia is required to counter-balance the growing US influence, and that the Kazakhstan oil pipeline should be constructed, regardless of cost.“820 Die Kosten für die Pipeline von der kasachischen Küste des Kaspischen Meeres an die Ostküste Chinas wurden von einem belgischen Unternehmen, der Tractebel SA, in einer Studie, die im April des Jahres 1998 herauskam, veranschlagt. Laut Untersuchung sollte die Pipeline zwischen 7.000 und 12.000 Kilometer lang sein und 20 Mrd. US-Dollar kosten. Innerhalb der kasachischen Regierung wurden die Kosten für den kasachischen Abschnitt der Pipeline – laut Kasachstans Botschafter in Großbritannien – auf ca. 2,65 Mrd. US-Dollar veranschlagt. Damit blieben für das Teilstück von Chinas Westgrenze bis in die hochentwickelten Gebiete im Osten ca. 17 Mrd. US-Dollar an Investitionen. Diese sollten zwischen chinesischen Konzernen, der US-amerikanischen Unocal und der chinesischen Regierung aufgeteilt werden.821 Der neue chinesische Ministerpräsident Zhu Rongji, der am 17. März 1998 Li Peng abgelöst hatte, empfing am 8. Mai 1998 seinen kasachischen Amtskollegen Nurlan Balgimbayev in Beijing, um die Erdöl relevanten Vereinbarungen über 9,5 Mrd. US-Dollar zu bestätigen. Auch der Bau der Pipeline wurde bei diesem Besuch bekräftigt. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Kapazität der Pipeline von 20 auf 25 Millionen Tonnen pro Jahr erhöht, die Fertigstellung auf das Jahr 2004 festgelegt.822 Am letzten Tag des Besuchs, dem 12. Mai 1998, wurde ebenfalls zwischen Balgimbayev, der vor seiner Tätigkeit als Ministerpräsident Vorsitzender von Kazakhoil war, und Zhu der Baubeginn der Pipeline für September 1998 vereinbart. Balgimbayev machte zudem den Vorschlag, direkt neben die Erdöl- eine Gaspipeline zu bauen. Der Optimismus auf kasachischer Seite ist in diesem Fall auf die weiteren Vereinbarungen zurückzuführen, die während des Treffens verabschiedet wurden. Dazu gehörte der Import von 2.000 GW Strom nach China, der in der nordöstlichen Region Kasachstans Pawlodar erzeugt wird und bisher für den Export nach Russland bestimmt war. Allerdings hielt sich der 820
Andrews-Speed, Philip; Liao, Xuanli; Dannreuther, Roland (2002): The Strategic Implications of China’s Energy Needs; Adelphi Paper 346; Oxford University Press; Oxford; S. 61. 821 Hart’s Daily Petroleum Monitor: Kazakhstan-China Pipeline Study; in: Hart’s Daily Petroleum Monitor; factiva; 22.04.1998. 822 Reuters: Kazakh PM Visits Builds China Oil, Commerce Ties; in: Reuters News; factiva; 09.05.1998.
5.2 Der kasachische „Jahrhundertvertrag“
361
russische Vertragspartner nicht an die abgeschlossene Vereinbarung mit Kasachstan und verweigerte die Abnahme des Stroms, weshalb das chinesische Angebot der Stromabnahme für Balgimbayev genau zur richtigen Zeit kam. Ferner versprach Zhu Rongji ein Investmentpaket in Höhe von 100 Mio. USDollar für klein- und mittelständische Betriebe, den Aufbau einer Automobilfabrik und den Bau eines Hotels in Astana. Im Gegenzug sollten die beiden größten Banken Kasachstans – Kazkommertsbank und Narodny Bank – in China tätig werden dürfen.823 Positive Auswirkungen auf den Stand der Verhandlungen hinsichtlich des Baus der Pipeline hatte die endgültige Beilegung der Grenzdispute zwischen Kasachstan und China am 4. Juli 1998. Das Abkommen wurde auf einem Gipfeltreffen zwischen China, Russland, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan verabschiedet, bei dem das Hauptthema die Lösung der noch aus Zeiten der Sowjetunion resultierenden Streitigkeiten über die insgesamt 8.000 Kilometer lange Grenze zwischen China und den vier Anrainerstaaten war. Hinsichtlich der 1.900 Kilometer langen Grenze zu Kasachstan konnte eine Regelung bei den letzten beiden umstrittenen Gebieten getroffen werden. Um eine bessere Verhandlungsposition gegenüber der mächtigeren VR China zu haben, hatten die drei zentralasiatischen Staaten auf Verhandlungen unter Einbeziehung Moskaus bestanden. Allerdings nutzte die kasachische Regierung die Verhandlungen auch, um die Wirtschaftsbeziehungen zu China über ein für 15 Jahre veranschlagtes Programm zu festigen und dadurch die Abhängigkeit von Russland zu vermindern.824 Die Diversifizierungsbestrebungen Kasachstans betragen auch die Kasachstan-China-Pipeline, die zu Beginn der Verhandlungen nicht nur für die Versorgung Chinas, sondern auch für Exporte in Richtung Südkorea und Japan konzipiert war. Allerdings konnte diese Planung nicht umgesetzt werden, da der chinesische Bedarf an Erdöl schnell stieg und steigt825 und keine weiteren Kapazitäten für die Durchleitung nach Südkorea und Japan zur Verfügung stehen, bzw. auch die Planung der Verlängerung der Pipeline eingestellt wurde. Damit konnte 823
AFP: Kazakhstan-China Oil Pipeline Construction to Start in September; in: Agence France-Press; factiva; 14.05.1998. Hiro, Dilip: Kazakhstan/China: Border Pact Removes Last Hurdle to New Ties; in: Inter Press Service; factiva; 07.07.1998. 825 In den Jahren zwischen 1993 und 1996 stieg der Import bei Rohöl nach China von 25.000 Barrel pro Tag um das 18-Fache auf 445.000 Barrel am Tag. Ein Jahr später verdoppelte sich der Bedarf fast auf 800.000 Barrel pro Tag. Im Jahre 2007 belief sich der Import von Erdöl in die Volksrepublik auf 4.112.000 Barrel am Tag. British Petroleum (2008): Statistical Review of World Energy; in: BP Online; http://www.deutschebp.de/liveassets/bp_internet/germany/STAGING/home_assets/assets/deutsche_b p/broschueren/de_statistical_review_of_world_energy_full_report_2008.pdf; Zugriff: 20.10.2008. 824
362
5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
Kasachstan eine weitere Diversifizierung der Abnehmerstaaten nicht vollziehen. Das wäre jedoch nötig, um eine bessere Verhandlungsposition gegenüber Russland aufzubauen und Investitionen und Technologie auch aus anderen Staaten anzuziehen.826 Neben der Sicherung der Erdölimporte und der Diversifizierung der Importrouten und Produzentenstaaten, hatte die chinesische Regierung die Hoffnung, dass die Pipeline zu einer Industrialisierung der Provinz Xinjiang beiträgt. Durch die Industrialisierung würde dann dort die nachholende Entwicklung einsetzen, zum Abbau der Arbeitslosigkeit beitragen und einhergehend mit der steigenden Zufriedenheit der Bevölkerung zu einem Rückgang radikaler Tendenzen in der Region beitragen. Die Regierung erhoffte sich also, dass durch steigenden Wohlstand die Separatisten in der Region, die für einen eigenen Staat „OstTurkestan“ einstehen, hätten geschwächt werden können.827 Durch den bis 1998 positiven Verhandlungsverlauf mit China konnte sich die kasachische Regierung jedoch einen größeren Verhandlungsspielraum gegenüber westlichen Konzernen und Aserbaidschan erarbeiten, die darauf drängten eine Pipeline durch das erdbebengefährdete Kaspische Meer nach Aserbaidschan zu bauen, um die Konstruktion der Baku-Tbilissi-Ceyhan-Pipeline voranzutreiben. Ferner konnte das Ziel der Verringerung des russischen Einflusses über die Kasachstan-China-Pipeline erreicht werden, ohne eine Pipeline durch das isolationistische Turkmenistan in den von Sanktionen belasteten Iran bauen zu müssen. Das hätte wiederum die Beziehungen zu westlichen Staaten – und hier vorwiegend zu den USA – belastet. International waren die Reaktionen auf den „Jahrhundertvertrag“ von Astana gemischt. Die russische Regierung hätte es gerne gesehen, wenn Lukoil und nicht die chinesische CNPC den Zuschlag für die Entwicklung des Uzen-Feldes bekommen hätte, da dadurch der russische Einfluss auf Kasachstan hätte gefestigt werden können. In Washington war die Administration unter Clinton einerseits zufrieden, dass Lukoil den Bieterwettbewerb nicht gewonnen hatte. Auf der anderen Seite hatten die westlichen Firmen sich auch nicht durchsetzen können. Das bedeutete auch für die US-Regierung einen Einflussverlust in Zentralasien. Zudem bedeutet jedes Barrel Öl, das direkt von Kasachstan nach China transportiert wird und an langfristige Verträge gebunden ist, ein Barrel Öl weniger auf dem Weltmarkt.828 826
Hiro, Dilip: Kazakhstan/China: Border Pact Removes Last Hurdle to New Ties; in: Inter Press Service; factiva; 07.07.1998. 827 Hiro, Dilip: Kazakhstan/China: Border Pact Removes Last Hurdle to New Ties; in: Inter Press Service; factiva; 07.07.1998. 828 Hiro, Dilip: Kazakhstan/China: Border Pact Removes Last Hurdle to New Ties; in: Inter Press Service; factiva; 07.07.1998.
5.3 Euphorie und Realitätsverlust
363
Washington erklärte hinsichtlich der Tatsache, dass Kasachstan keinen Zugang zu einem Weltmeer hat, dass die USA den Aufbau möglichst vieler Pipelines unterstützen werde, um die Abhängigkeit des zentralasiatischen Staates von ein oder zwei Transitstaaten zu minimieren.829 Das bedeutete aber, dass die westlichen Konzerne auch weiterhin in Konkurrenz zu chinesischen und russischen Ölfirmen in Kasachstan stehen werden.
5.3 Euphorie und Realitätsverlust Bei der Unterzeichnung des „Jahrhundertvertrags“ zwischen China und Kasachstan im Juli 1998 war die Machbarkeitsstudie für die Kasachstan-China-Pipeline noch in Arbeit. Der Abschluss der Studie war für Februar bis März 1999 veranschlagt. Erst danach konnte überhaupt abgesehen werden, ob es sich für CNPC rentierte, die Pipeline zu finanzieren.830 Als Konsequenz daraus sah sich Kazakhoil weiterhin nach Alternativen zur Kasachstan-China-Pipeline um. Im Januar 1999 trafen sich hochrangige Vertreter des staatlichen aserbaidschanischen Erdölkonzerns Socar und Kazakhoil, um die Einspeisung kasachischen Erdöls in die Baku-Supsa-Pipeline und den Bau der Transkaspi-Pipeline vom kasachischen Aktau in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku zu beraten (Abb. 65).831 Vorwiegend berührten die Verhandlungen jedoch die Pipeline aus der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku zum georgischen Schwarzmeerhafen Supsa und die Pipeline aus Baku zum russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk (Abb. 65). Die Produktionskapazität Aserbaidschans reichte bis zum Jahr 1999 nicht aus, um beide Pipelines mit einer Kapazität von insgesamt 7,5 Millionen Tonnen pro Jahr auszulasten (Abb. 66).832 In der Euphorie, die ob der potentiellen Erdölreserven in der Region vorherrschte, gingen sowohl die aserbaidschanische, die kasachische Regierung als auch die nationalen und internationalen Erdölkonzerne davon aus, dass die Gesamtkapazität der beiden Pipelines bis auf jeweils zehn Millionen Tonnen erweitert werden könnten.
829
Inzhenernaia Gazeta: Kazakhstan: Feasibility Study on a Proposed Kazakhstan-China Pipeline was Developed; in: Inzhenernaia Gazeta; factiva; 13.10.1998. 830 Inzhenernaia Gazeta: Kazakhstan: Feasibility Study on a Proposed Kazakhstan-China Pipeline was Developed; in: Inzhenernaia Gazeta; factiva; 13.10.1998. 831 Trend Oil: Socar and Kzakoil to Conduct Joint Talks on January 24-25; in: Ternd Oil; factiva; 06.01.1999. 832 Die Baku-Supsa-Pipeline startete mit einer Kapazität von 2,5 Millionen Tonnen pro Jahr und sollte auf erst 5 Millionen Tonnen pro Jahr ausgebaut werden. Die Pipeline Baku-Novorossiysk hat eine Kapazität von 5 Millionen Tonnen pro Jahr.
364
5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
So äußerte sich auch Nurlan Balgimbayev, damaliger Ministerpräsident Kasachstans, optimistisch, was die potentielle Exportkapazität für kasachisches Erdöl über Baku betraf: „Kazakhstan plans to pump about 2,5 million tonnes of its oil via the Baku-Supsa west export pipeline during 1999. […]In general, Kazakhstan plans to pump up to 10 million tonnes of oil via Azerbaijan, including railway and pipeline systems, in 1999.”833 Abbildung 65: Pipelines in der Kaspischen Region
Quelle: EIA (2004): Caspian Region Pipelines; in: EIA Online; http://www.eia.doe.gov/emeu/cabs/i ages/AzPipeMap.gif; Zugriff: 02.02.2009.
833 Trend Oil: Socar and Kzakoil to Conduct Joint Talks on January 24-25; in: Ternd Oil; factiva; 06.01.1999.
5.3 Euphorie und Realitätsverlust
365
Abbildung 66: Erdöl in Aserbaidschan: Produktion, Verbrauch, Exportkapazität (1985-2007)
Quelle: British Petroleum (2008): Statistical Review of World Energy; in: BP Online; http://www.deutschebp.de/liveassets/bp_internet/germany/STAGING/home_assets/assets/deutsche_b p/broschueren/de_statistical_review_of_world_energy_full_report_2008.pdf; Zugriff: 20.10.2008.
Abbildung 67: Erdöl in Kasachstan: Produktion, Verbrauch, Exportkapazität (1985-2007)
Quelle: British Petroleum (2008): Statistical Review of World Energy; in: BP Online; http://www.deutschebp.de/liveassets/bp_internet/germany/STAGING/home_assets/assets/deutsche_b p/broschueren/de_statistical_review_of_world_energy_full_report_2008.pdf; Zugriff: 20.10.2008.
Von den 14,5 Mio. Tonnen Erdöl, die im Jahre 1997 in Kasachstan zum Export zur Verfügung standen (Abb. 67) konnten nur 8,2 Mio. Tonnen über das existierende Pipelinesystem, Eisenbahn und Tankschiffe über Russland transportiert
366
5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
werden. Es fehlte also an Exportinfrastruktur. Zwar waren seit der Implementierung eines neuen Gesetzes am 28. Juni 1995 einige neue Anreize für ausländische Direktinvestitionen geschaffen worden. Doch waren bis Juli 1997 nur ca. zwei Milliarden US-Dollar in Kasachstans Erdöl- und Erdgassektor investiert worden. Durch das reichliche Interesse ausländischer Erdölkonzerne an Joint Ventures mit kasachischen Firmen entstanden einige Pipelineträume bei der kasachischen Regierung:834
Tengiz-Noworossijsk (Caspian Pipeline Consortium (CPC)) (67 Mio. t pro Jahr). Aktau-Neka Port (2 Mio. t pro Jahr). Tengiz-Alashankou (25 Mio. t pro Jahr). Aktau-Baku (25 Mio. t pro Jahr). Atyrau-Samara (15 Mio. t pro Jahr).
Die Realisierung all dieser Projekte hätte weitere Investitionen im hohen zweistelligen Milliardenbereich und eine Gesamtkapazität von 134 Mio. Tonnen pro Jahr benötigt (Abb. 67).835 Dass diese Träume – sowohl bei der Umsetzung der Projekte, als auch beim Ausbau der Produktionskapazität – der Realität nicht entsprochen haben und bis zum Jahre 2009 nicht entsprechen, kann in Tabelle 16 nachvollzogen werden. Dennoch äußerte sich Nurlan Kapparov, ehemaliger Vorsitzender von KazakhOil, im Juli 1997 sehr optimistisch: „According to most pessimistic forecasts, Kazakhstan‘s oil output will rise to 150 million tonnes a year by 2015. […] Kazakhstan is ready to pump up to 50 million tonnes of its crude on the subsea pipeline per year. Yet 70 million tonnes more are expected to be pumped on the pipeline to be built by the Caspian Pipeline Consortium, a part of which will be exported on the Kazakhstan-China oil pipeline.“836 Solche unrealistischen Einschätzungen waren Mitte bis Ende der 1990er Jahre in der ganzen Region verbreitet. So kommentierte der damalige Präsident des staatlichen aserbaidschanischen Erdölkonzerns SOCAR, Natig Aliyev, die Äußerungen Kapparovs wie folgt: „Kazakhstan is eager to transit its oil via Azerbaijan. […] However, Kazakhstani oil does not have a decisive meaning for the main oil export pipeline. Azerbaijan possesses its own oil resources quite enough for the operation of the main export pipeline.”837 Auch hier hat die Reali834
EIA (1997): Kazakhstan; in: Zugriff: 12.02.2009. 835 Trend Oil: Socar and Kzakoil 06.01.1999. 836 Trend Oil: Socar and Kzakoil 06.01.1999. 837 Trend Oil: Socar and Kzakoil
Converger Online; http://www.converger.com/eiacab/kazak.htm; to Conduct Joint Talks on January 24-25; in: Ternd Oil; factiva; to Conduct Joint Talks on January 24-25; in: Ternd Oil; factiva; to Conduct Joint Talks on January 24-25; in: Ternd Oil; factiva;
5.4 Die erste Machbarkeitsstudie von 1999
367
tät gezeigt, dass die Exportkapazitäten Aserbaidschans bis zum Jahre 2009 nicht ausreichen, um die verschiedenen Exportpipelines mit aserbaidschanischem Erdöl zu füllen. Abgesehen von den damaligen Spekulationen über die Höhe der zukünftigen Produktions- und Exportkapazitäten gestalteten sich die Verhandlungen über die geplanten Pipelines sowohl in Aserbaidschan als auch in Kasachstan schwierig. Das lag nicht zuletzt daran, dass die geplanten Pipelineprojekte russisches Territorium umgehen sollten und im Kreml die Befürchtungen größer wurden, dass durch den Bau der Pipelines der russische Einfluss im „Nahen Ausland“ leiden könnte. So verzögerte sich auch der Baubeginn der Kasachstan-China-Pipeline. In den Planungen sollte die Konstruktion im Jahre 1998 starten. Dennoch wurde der erste Teil der Machbarkeitsstudie erst im April 1999 fertig gestellt. Für den kasachischen Abschnitt war dabei das wissenschaftliche Institut „Caspiymunaigaz” in Atyrau zuständig. Bei der Untersuchung bestand eine enge Zusammenarbeit mit dem Chinese Institute for Planning Oil Industry (CPPEI). Laut Machbarkeitsstudie sollte die Pipeline im Höchstfalle 3.268 Kilometer lang sein und in etwa drei Milliarden US-Dollar kosten.838
5.4 Die erste Machbarkeitsstudie von 1999 Nach Abschluss der ersten auf die Wirtschaftlichkeit der Pipeline ausgerichteten Machbarkeitsstudie ging CNPC davon aus, dass die Pipeline innerhalb von 60 Monaten gebaut sei. Sollte es bei den notwendigen Vorbereitungen zum Bau zu Verzögerungen kommen, so sei von einer Fertigstellung bis zum 1. Oktober 2005 auszugehen. Zu den Vorbereitungen der Pipeline, die nun das Uzen-Feld in Kasachstan mit der Urumqi-Raffinerie in Xinjiang verbinden sollte, war bspw. die Route, die die Pipeline in Kasachstan nehmen sollte. In der Machbarkeitsstudie hatten Experten des CPPEI und Caspiymunaigaz drei Varianten erarbeitet: eine nördliche, eine südliche und eine zentrale Route. Als Präferenz der kasachischen Seite wurde die zentrale Route mit einer Länge von 2.780 Kilometer angegeben. Vorteile dieser Route waren die größte Wirtschaftlichkeit und eine mögliche Beteiligung von mehreren ausländischen Erdölkonzernen, da der Verlauf mehrere Gebiete betraf, in denen Erdölreserven vermutet wurden, die zur Auffüllung der Pipeline genutzt werden konnten. Ferner wurde davon ausgegangen, dass auch russisches Erdöl in die Pipeline eingespeist werden könnte, denn die
06.01.1999. 838 Denisova, Irina: The Great Chinese Pipe; in: Oil & Gas of Kazakhstan; factiva; 30.04.1999.
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5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
Pipeline sollte laut Vertrag ansonsten nur mit von chinesischen Konzernen in Kasachstan gefördertem Erdöl gefüllt werden.839 Chinesische Experten bevorzugten hingegen die nördliche 3.268 Kilometer lange Variante, da diese die Gebirge auf der Strecke umginge und eine bereits existierende 670 Kilometer lange Pipeline in der Region Kumkol – die KarakoiAtasu-Pipeline – eingebunden werden könnte. Das CPPEI garantierte eine Abnahme von 20 Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr, von denen auch ein Teil aus Russland stammen könnte.840 Ein weiterer Punkt, der im April 1999 noch der Klärung in einer zweiten Machbarkeitsstudie bedurfte, war der prozentuale Anteil von chinesischen Experten an der Durchführung des Projektes. Das kasachische Institut „KazMunaiGaz“ veranschlagte 1.500 Spezialisten, die im Projekt eingebunden wären. Davon sollten nicht mehr als fünf Prozent in der ersten Stufe aus China stammen. In der weiteren Realisierung sollte dieser Anteil noch einmal auf drei Prozent reduziert werden. Laut Aman Nysangaliyev – damaliger Direktor von „KazMunaiGaz“ – wäre dadurch ein weiterer Ausbau der kasachischen Erdölindustrie garantiert.841 Auch wenn die Experten der Caspiymunaigaz der zentralen Route der Pipeline bei voller Auslastung von 20 Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr ökonomische Rentabilität unterstellten, waren sich andere kasachische und russische Experten nicht so sicher. Pessimistische Einschätzungen kamen zu dem Schluss, dass eine Wirtschaftlichkeit bei dieser Länge der Pipeline und dem im Jahre 1998 niedrigen Ölpreis von ca. 18 US-Dollar pro Barrel erst ab 40 Millionen Tonnen pro Jahr gegeben sei. Zudem sahen sie den Bau der Pipeline im Falle einer Wirtschaftskrise gefährdet, da dann die für die Investitionen nötigen Kredite von den entsprechenden Banken nicht vergeben würden.842 Doch selbst wenn die Pipeline „nur“ für eine Kapazität von 20 Millionen Tonnen pro Jahr ausgelegt sein sollte, war ein Hindernis, dass sie ausschließlich mit dem von chinesischen Erdölkonzernen in Kasachstan geförderten Öl gefüllt werden sollte. Die Lizenzen, die CNPC in Kasachstan hatte, beliefen sich jedoch nur auf 13,8 Millionen Tonnen pro Jahr.843 Daraus ergibt sich, dass 6,2 Millionen 839 Interfax: Kazakhstan-China Oil Pipeline Feasibility Study Almost Ready; in: Interfax Petroleum Report; factiva; 25.05.1999; Denisova, Irina: The Great Chinese Pipe; in: Oil & Gas of Kazakhstan; factiva; 30.04.1999. 840 Denisova, Irina: The Great Chinese Pipe; in: Oil & Gas of Kazakhstan; factiva; 30.04.1999. 841 Denisova, Irina: The Great Chinese Pipe; in: Oil & Gas of Kazakhstan; factiva; 30.04.1999. 842 Dion, Richard R.: Long View of Caspian Oil Export Options Tilts to Kazakhastan-China; in: The Oil and Gas Journal; factiva; 7.06.1999; Denisova, Irina: The Great Chinese Pipe; in: Oil & Gas of Kazakhstan; factiva; 30.04.1999. 843 Die 13,8 Millionen Tonnen setzen sich aus veranschlagten 5,8 Millionen Tonnen in den Feldern Zhanazhol und Kenkyak sowie 8 Millionen Tonnen in Uzen zusammen.
5.4 Die erste Machbarkeitsstudie von 1999
369
Tonnen Erdöl pro Jahr von russischen, angloamerikanischen oder kasachischen Beständen zugekauft werden mussten. Das allerdings stellte die Wirtschaftlichkeit der Pipeline erneut in Fragen.844 Aufgrund dieser Probleme wurde es für die beteiligten Akteure der Erdölindustrie zunehmend klar, dass die Pipeline erst gebaut würde, wenn Probebohrungen im Kaspischen Meer unter Beteiligung von chinesischen Konzernen zum Erfolg führten.845 Viel Hoffnung auf eine Einspeisung von russischem Erdöl bestand Ende der 1990er Jahre nicht, denn die russischen Erdölkonzerne hatten eigene, andere Interessen. Unter der Prämisse der „Durchdringung der südostasiatischen Märkte mit Kohlenwasserstoffen“ liefen Verhandlungen zwischen Russland, der VR China, Japan und Südkorea über den Ausbau von Erdöllieferungen aus Sachalin und Irkutsk (Kap. 4.4.1.4). Der Bau der Kasachstan-China-Pipeline wurde von Seiten Russlands als Konkurrenz für die eigene Planung angesehen und somit auch nicht unterstützt. Also verzögerte sich der Start der Bauphase auch in dem Fall, dass die chinesische und die kasachische Regierung der Machbarkeitsstudie zustimmten.846 Doch es sprachen Ende der 1990er Jahre noch zwei weitere Faktoren gegen einen schnellen Bau der Pipeline. Erstens ist das westkasachische Erdöl von niedriger Viskosität. Um es möglichst schnell durch eine Pipeline zu leiten muss es in verschiedenen Abständen erhitzt werden, damit es flüssiger wird. Dies führt wiederum zu höheren Kosten, die nur schwerlich realistisch veranschlagt werden können. So stiegen bspw. die Kosten für das aserbaidschanische AMOK-Projekt von acht bis zehn Millionen US-Dollar im Jahre 1994 auf 13 Millionen USDollar im Jahre 1998.847 Zweitens musste mit Widerstand der US-Konzerne gegen die KasachstanChina-Pipeline gerechnet werden, denn das Erdöl, das in Kasachstan gefördert und nach China transportiert war, war auf dem Weltmarkt nicht mehr verfügbar. Das heißt, es war dem Zugriff und somit auch der Kontrolle der US-Konzerne entzogen. Es ist aber im Interesse der US-Regierung, Kontrolle über möglichst jede Erdölquelle zu haben – nicht zuletzt um die Währung zu bestimmen, in der das Erdöl verkauft wird (Kap. 2.8). China als neuer Akteur in der Region ermöglichte es der kasachischen Regierung zudem sich aus der bipolaren Entscheidungsstruktur herauszulösen. Der Zurückzug von russischem Einfluss sollte so nicht quasi automatisch in einem verstärkten US-amerikanischen Einfluss münden. Auch diese Herauslösung aus der Interessensphäre war von Seiten der USA 844
Denisova, Irina: The Great Chinese Pipe; in: Oil & Gas of Kazakhstan; factiva; 30.04.1999. Dion, Richard R.: Long View of Caspian Oil Export Options Tilts to Kazakhastan-China; in: The Oil and Gas Journal; factiva; 07.06.1999. 846 Denisova, Irina: The Great Chinese Pipe; in: Oil & Gas of Kazakhstan; factiva; 30.04.1999. 847 Denisova, Irina: The Great Chinese Pipe; in: Oil & Gas of Kazakhstan; factiva; 30.04.1999. 845
370
5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
nicht gewünscht, da das einen Rückschlag für die Containmentpolitik gegenüber Russland bedeutet hätte. So waren US-Konzerne nicht nur bei der Wirtschaftlichkeit der Pipeline am Zweifeln, sondern setzten auch aus geopolitischen Gründen eher auf Investitionen in die CPC-Pipeline von Kasachstan zum russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk oder die BTC-Pipeline, die von der USRegierung präferiert wurde.848 Während sich die US-Konzerne hinsichtlich des Einstiegs in die Pipeline zurückhielten und die Lage in Russland zunehmend unübersichtlich wurde849, setzte die an der Pipeline beteiligte kasachische staatliche KazTransOil weiterhin auf den baldigen Beginn der Bauphase der Kasachstan-China-Pipeline. So bekräftigte Timur Kulibayev, damaliger Präsident von KazTransOil, dass die Pipeline nach China „the most competitive project“ sei, durch welches die Probleme des Exports kasachischen Erdöls außerhalb der zentralasiatischen Staaten gelöst werden könnte. Zudem sei die VR China durch den zu erwartenden Anstieg des Erdölverbrauchs in den nächsten Jahren die sicherste Abnehmerin für kasachisches Erdöl. Die im Jahre 1999 vollzogene Teilprivatisierung CNPCs spielte laut Aussagen sowohl der chinesischen als auch der kasachischen Seite bei der Realisierung des Projektes keine Rolle.850
5.5 Das Ende der Pipeline? Nach dem Optimismus, der vor allem bei den beteiligten kasachischen Akteuren vorherrschte, kam die Ernüchterung Ende August 1999, als CNPC bekanntgab, die Fertigstellung des zweiten Teils der Machbarkeitsstudie um ein Jahr zu verschieben. Als Begründung wurde angegeben, dass die Felder Uzen und in Aktyubinsk, für die der Konzern über Förderlizenzen verfügte, nicht genügend Potential besäßen, um die Pipeline nach China zu füllen. Laut eigenen Berechnungen von CNPC ließen sich aus den Feldern 7,6 Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr fördern – das waren 17,4 Millionen Tonnen zu wenig, um die von CNPC angestrebte Pipelinekapazität von 25 Millionen Tonnen pro Jahr zu erreichen. Die 848
Dion, Richard R.: Long View of Caspian Oil Export Options Tilts to Kazakhastan-China; in: The Oil and Gas Journal; factiva; 07.06.1999. 849 Ende der 1990er litt Russland unter einer Wirtschaftskrise. Ferner verlor der damalige Präsident Jelzin zunehmend die Kontrolle über die aufsteigenden Oligarchen und auch die Provinzgouverneure drohten sich der Kontrolle durch die Zentralregierung zu entziehen. Dion, Richard R.: Long View of Caspian Oil Export Options Tilts to Kazakhastan-China; in: The Oil and Gas Journal; factiva; 07.06.1999. 850 Interfax: Chinese Oil Firm Shares Won’t Affect Sino-Kazak Pipe Project; in: Interfax Central Asia News; factiva; 27.07.1999; Interfax: Kazakhstan to Extract Over 100 Mln Tonnes of Oil in 2010; in: Ingerfax Petroleum Report; factiva; 25.08.1999.
5.5 Das Ende der Pipeline?
371
Möglichkeit, die Pipeline über Erdöl aus dem Tengiz-Feld im Kaspischen Meer zu füllen, sah der chinesische Konzern zu dieser Zeit nicht mehr gegeben. Die Hauptbetreiberfirma des Feldes – Chevron Corp. – hatte sich entschlossen zum Abtransport des Erdöls eine Pipeline von Atyrau am Kaspischen Meer, zum russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk zu bauen – die CPC-Pipeline, die im Jahre 2001 in Betrieb gehen sollte. Dadurch wäre kein zusätzliches Erdöl mehr übrig, das in die Kasachstan-China-Pipeline eingespeist werden könne. Die Pipeline war somit wirtschaftlich nicht mehr rentabel. Eine letzte Hoffnung bestehe allerdings noch, wenn CNPC den Zuschlag für die Förderrechte bekäme, die die Regierung in Kasachstan im August 1999 verkaufen wollte.851 Nachdem die Entscheidung von CNPC an die Öffentlichkeit gedrungen war, wurden auch Stimmen aus der kasachischen Erdölindustrie laut, die versicherten, dass die Produktionskapazitäten Kasachstans in den nächsten Jahren nicht auf die 20 Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr ausgebaut werden könnten, die für die Pipeline nach China benötigt würden.852 Auf staatlicher Ebene wurden die Einschätzungen von CNPC und aus der kasachischen Erdölindustrie jedoch weitestgehend ignoriert. Laut stellvertretendem Minister des Ministry of Energy, Industry and Trade in Kasachstan, Yerbolat Dosayev, sollte es im November 1999 ein Treffen zwischen dem damaligen chinesischen Präsidenten Jiang Zemin und Nursultan Nasarbajew geben, auf dem die Machbarkeitsstudie über die Pipeline diskutiert werde. Sehr optimistisch verkündete er gegenüber Agence France Press: „When we get some results and after talks between the two presidents, we will resolve the issue.” In Richtung China machte er weiter deutlich, dass die kasachische Regierung an die Realisierung des Projektes glaube: „Although there are some skeptics, officially no one has cancelled the ongoing investigation into this pipeline.”853 Dass der Glaube der kasachischen Regierung an einen schnellen Ausbau der Produktionskapazitäten im Herbst des Jahres ungebrochen war854, wird auch durch die Verhandlungen über andere Exportmöglichkeiten deutlich. So wurde 851
Die Regierung in Astana hatte entschieden fast die Hälfte ihres Anteils am Tengiz-Feld für 1,2-1,6 Milliarden US-Dollar zu veräußern, um eine Lücke im Staatshaushalt von ca. 560 Millionen USDollar zu füllen. Oil & Gas Journal: CNPC Shelves China-Kazakhstan Oil Pipeline; in: The Oil & Gas Journal; factiva; 30.08.1999. 852 Interfax: Kazakhstan-China Oil Pipeline Found tob e Impractical; in: Interfax Cnetral Asia News; factiva; 02.09.1999. 853 Agence France Presse: Kazakhstan, China to Discuss Oil Export Pipeline Next Month; in: Agence France-Presse; factiva; 07.10.1999. 854 In Kasachstan betrug die Produktion von Rohöl im Jahre 1998 26 Millionen Tonnen. Nach Angaben des Ministry of Energy, Industry and Trade aus dem Jahre 1999 sollte diese Kapazität auf 28,5 Millionen Tonnen im Jahre 1999 und 45 Millionen Tonnen im Jahre 2000 ausgebaut werden. Bis 2010 sollte die Produktion 100 Millionen Tonnen pro Jahr erreichen. Interfax: Construction Plans for Kazakhstan-China Pipeline Acceptable; in: Interfax Petroleum Report; factiva; 20.10.1999.
372
5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
im Ministry of Energy, Industry and Trade in Kasachstan weiter an einer Studie über die Möglichkeit der Einspeisung kasachischen Erdöls in die BTC-Pipeline gearbeitet. Und auch Verhandlungen über eine Exportpipeline durch Turkmenistan in den Iran wurden weiterhin ernsthaft geführt. Zu diesem Zweck war Nasarbajew Anfang Oktober 1999 in den Iran gereist. Bedenken wegen der Sanktionen der USA gegenüber dem Iran und der Verschlechterung der Beziehungen zwischen Astana und Washington hatte Nasarbajew nicht. Auch hier bestimmte Zweckoptimismus das Handeln, denn die kasachische Regierung ging davon aus, dass die Beziehungen zwischen dem Iran und den USA sich in nächster Zeit bessern würden. In diesem Zusammenhang erklärte der stellvertretende Ministry of Energy, Industry and Trade: „It’s an issue with a political character, but economically it’s very interesting.“ Interessant musste die Pipeline an die persische Golfküste für Kasachstan allerdings erscheinen, denn es war nach wie vor der kürzeste Weg, um das Erdöl über die Weltmeere auf dem freien Markt zu verkaufen und somit an dringend benötigte Devisen zu kommen.855 Auch von Seiten des staatlichen Transportunternehmens für Erdöl, KazTransOil, kam Unterstützung für die kasachische Regierung. Auf einer Pressekonferenz am 20 Oktober 1999 kam weder eine Bestätigung noch ein Dementi vom Vizepräsidenten des Konzerns, Kairgeldy Kabyldin, hinsichtlich der Rückstellung der Machbarkeitsstudie durch CNPC. Er betonte jedoch, dass die Kasachstan-China-Pipeline wirtschaftlich akzeptabel sei.856 Von Seiten der chinesischen Regierung wurde zudem weiter auf den Bau der Pipeline gesetzt. Während eines Treffens zwischen Jiang Zemin und Nursultan Nasarbajew in Beijing vom 23. bis 24. November 1999 bekräftigte die chinesische Seite, dass sie die Finanzierung des Teilabschnitts der Kasachstan-ChinaPipeline vom kasachischen Atasu ins chinesische Alashankou, trotz der Asienkrise, übernehmen werde. Der damalige kasachische Außenminister Yerdan Idrisov sagte nach dem Treffen, dass das Erdöl für die Pipeline aus den von CNPC betriebenen Erdölfeldern in Aktyubinsk kommen solle.857
855
Agence France Presse: Kazakhstan, China to Discuss Oil Export Pipeline Next Month; in: Agence France-Presse; factiva; 07.10.1999. 856 Interfax: Construction Plans for Kazakhstan-China Pipeline Acceptable; in: Interfax Petroleum Report; factiva; 20.10.1999. 857 BBC: Plans to Route Kazakh Oil via China Discussed in Beijing; in: BBC Monitoring Former Soviet Union; factiva; 26.11.1999; Interfax: Kazakhstan Mulls Construction of China Pipeline Segment; Interfax Companies & Commodities; factiva; 25.11.1999.
5.6 Kasachische Zweifel an chinesischen Investitionen
373
5.6 Kasachische Zweifel an chinesischen Investitionen Im Januar des Jahres 2000 kamen in Kasachstan allerdings Zweifel an der Zuverlässigkeit der chinesischen Partner auf. Diese Zweifel betrafen vorwiegend das Verhalten CNPCs hinsichtlich des kasachischen Erdölkonzerns Aktobemunaygaz, an dem das chinesische Unternehmen einen Anteil von 60 Prozent hielt. Im April des Jahres 1999 hatte CNPC 2.000 kasachische Arbeiter entlassen. Obwohl chinesische Manager von Aktobemunaygaz zugesichert hatten, dass die Arbeiter nach einer Restrukturierung des Unternehmens wieder eingestellt würden und bis dahin 30 Prozent ihres Gehaltes weiterhin bezögen, waren diese Zahlungen nicht geflossen. Der damalige stellvertretende Generaldirektor von Aktobemunaygaz Pei Xian-Shen betonte gegenüber Interfax, dass alle Verträge eingehalten worden seien, auch wenn die kasachische Regierung in diesem Punkt anderer Ansicht sei.858 Zur gleichen Zeit stellte sich heraus, dass CNPC nur 85,4 Prozent der für das Jahr 1998 geplanten Investitionen in Aktobemunaygaz in der Region Aktyubinsk eingebracht hatte. Das Ergebnis für das Jahr 1999, während der Asienkrise, sah sogar noch schlechter aus: Von den zugesagten 117,4 Millionen US-Dollar waren nur 70 Millionen US-Dollar – also ca. 60 Prozent – in das Projekt geflossen. CNPC hatte vertraglich vereinbart, über fünf Jahre Investitionen in einer Höhe von 485 Millionen US-Dollar in Aktobemunaygaz zu tätigen. Daraufhin wurde CNPC von der kasachischen Regierung aufgefordert, die Probleme mit den entlassenen Arbeitern zu lösen, keine weiteren Arbeiter zu entlassen und mit dem Bau einer geplanten Erdgasproduktionsanlage zu beginnen. CNPC wiederum berief sich auf die Erfolgszahlen bei der Erdölproduktion und dem Export nach China. So waren 1997, als der „Jahrhundertvertrag“ unterzeichnet worden war, nur 1.700 Tonnen Erdöl per Eisenbahn nach China transportiert worden. Im Jahre 1998, als CNPC seine Tätigkeit bei Aktobemunaygaz aufgenommen hatte, waren es schon 360.000 Tonnen gewesen. Im Jahre 1999 sei diese Menge auf insgesamt 450.000 Tonnen Erdöl erweitert worden.859 Die Probleme in der Region Aktyubinsk waren auch Thema beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos Ende Januar 2000. Bei einem Treffen zwischen dem damaligen kasachischen Premierminister Kasymzhomart Tokayev und dem damaligen chinesischen Vizepremier Wu Bangguo am Rande des Gipfels, verurteilte Tokayev das Geschäftsgebaren von CNPC und forderte eine schnelle Wiedereinstellung der entlassenen Arbeiter von Aktobemunaygaz. Er wies Wu darauf hin, 858
Interfax: Controversy in Kazakhstan – China Petroleum, Tractebel under Fire; in: Interfax Petroleum Report; factiva; 26.01.2000. 859 Interfax: Controversy in Kazakhstan – China Petroleum, Tractebel under Fire; in: Interfax Petroleum Report; factiva; 26.01.2000.
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5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
dass sich die sozialen Spannungen in der Region inzwischen erhöht hatten. Ferner forderte er, dass CNPC den zweiten Teil der Machbarkeitsstudie hinsichtlich der Kasachstan-China-Pipeline vorlegen solle, damit das Projekt endlich vorangetrieben werden könne. Demgegenüber verlangte Wu Bangguo von der kasachischen Regierung Garantien über die Bereitstellung von genügend Erdöl, um die Pipelinekapazität voll auszunutzen und somit für die Wirtschaftlichkeit der Rohrleitung zu sorgen. Nach dem Treffen bekundeten beide Politiker, dass es weitere Verhandlungen über die strittigen Punkte geben solle. Auf ein konkretes Ergebnis konnte sich allerdings nicht geeinigt werden.860 Die kasachische Reaktion auf die Verzögerungen und neuen Forderungen der chinesischen Seite ließ nicht lange auf sich warten. Am 20. März 2000 traf sich der damalige kasachische Premierminister, Kasymzhomart Tokayev, in Astana mit Vertretern der Japanese Bank for International Cooperation. Ziel des Treffens waren Verhandlungen über den Bau einer Pipeline von Kenkiyak nach Atyrau (Abb. 64), die Erdöl aus der Region in Richtung Atyrau leiten sollte, um es dann über die CPC-Pipeline in Richtung Schwarzes Meer zu pumpen. Die kasachische Seite betonte allerdings, dass die Interessen von CNPC, die in der Region Kenkiyak tätig ist, nicht betroffen seien. Allerdings deckt sich der Verlauf der Pipeline genau mit einem Teil der damals geplanten Kasachstan-ChinaPipeline, mit dem Unterschied, dass das Erdöl nicht in Richtung Osten sondern Westen gepumpt werden sollte.861 Insofern zeigte die kasachische Regierung zu diesem Zeitpunkt nicht die Bereitschaft, der Forderung Chinas nachzugeben und sich in Richtung von Garantien für die Auslastung der Pipelinekapazität zu bewegen. Intern hatte die Chefetage von CNPC schon im Jahre 1999, also während der damaligen Weltwirtschaftskrise, beschlossen, dass erst am Pipelineprojekt weiter gearbeitet werde, wenn es Belege gibt, dass in Kasachstan genügend Erdöl vorhanden ist, um auch die Leitung nach China mit zumindest 20 Millionen Tonnen pro Jahr zu füllen. Erst wenn die Förderkapazitäten Kasachstans so weit ausgebaut seien, dass die Durchleitungssumme gewährleistet sei, lohne es sich weiter mit der Planung fortzufahren. Bis dahin sollte hinsichtlich Kasachstans ausschließlich in die Exploration investiert werden. Um die Pläne der chinesischen Regierung zur Diversifizierung der Erdölimportrouten aber weiter zu unterstützen, wurde die Kooperation mit der russischen Yukos vorangetrieben, um eine Pipeline aus dem russischen Angarsk ins chinesische Daqing zu bauen. Diese sollte im Jahre 2005 fertig gestellt werden, was aufgrund der Festnahme 860
Interfax: Kazakhstan, China Discuss situation in Kazakh Oil Company; in: Interfax Companies & Commodities; factiva; 31.01.2000. 861 BBC: Japanese bank ready to fund oil pipeline construction projects; in: BBC Monitoring Service; factiva; 21.03.2000.
5.7 Neue Hoffnung durch Erdölfund im Kaspischen Meer
375
von Michael Chodorkowski, dem ehemaligen Eigentümer von Yukos, und der Zerschlagung des Konzerns nicht eingehalten werden konnte (Kap. 4.4.1).862 Um jedoch den Bau der Kasachstan-China-Pipeline nicht vollkommen einzustellen, mussten neue Möglichkeiten zur vollständigen Füllung gefunden werden, nachdem Yukos als Zulieferer ausgefallen war. Dazu wurde nun die deutsch-österreichische ILF Beratende Ingenieure GmbH damit beauftragt, eine weitere Machbarkeitsstudie für die Pipeline zu erstellen. Zudem wollte die kasachische Regierung damit der Blockadehaltung von Seiten CNPC entgegentreten.863 Hinsichtlich der Probleme mit den von Aktobemunaygaz entlassenen Arbeitern in der Region Aktyubinsk, gab CNPC bekannt, dass der Konzern mit Tokayev in Verbindung stehe. Den ausstehenden Investitionen solle nachgekommen werden. Es sollten weiterhin Experten in die Region entsandt werden, um Investitionsmöglichkeiten in regionale Unternehmen zu prüfen. Die aufgrund der Reorganisation von Aktobemunaygaz entlassenen Arbeiter sollten laut CNPC entweder wiedereingestellt oder in neugegründete Unternehmen integriert werden. Bei Aktobemunaygaz versprach CNPC eine Lohnerhöhung und mehr soziale Absicherung für die Arbeiter. Daneben kündigte CNPC weitere infrastrukturelle und soziale Zuwendungen für die Region an.864
5.7 Neue Hoffnung durch Erdölfund im Kaspischen Meer Auf höchster Ebene ging der Politikprozess um die Pipeline erst Ende Juli 2000 weiter. Der damalige chinesische Vizepräsident Hu Jintao betonte bei einem Staatsbesuch in Kasachstan, dass hinsichtlich der Kasachstan-China Pipeline „both parliaments should speed up the work on the preliminary scientific basis.“ Auch der damalige Außenminister Kasachstans, Yerlan Idrisov, betonte: „I think this project has prospects as it has been given the political support of both countries.” Grund für die Zuversicht und Eile, die die chinesische Seite erneut an den Tag legte, war aber nicht primär der zunehmende Druck von Seiten der kasachischen Administration. Vielmehr war kurz davor das Ost-Kashagan-Erdölfeld im kasachischen Teil des Kaspischen Meeres entdeckt worden (Abb. 68). Nach ersten Schätzungen sollte das Feld sieben Milliarden Tonnen Erdöl umfassen, 862
Organisation of Asia-Pacific News Agencies: Kazakh-Chinese Oil Pipeline – Problems in Project Implementation; in: Organisation of Asia-Pacific News Agencies; factiva; 25.11.2002. 863 Russian Energy Digest: Russia/CIS – Oil & Gas Industry, March 25-27, 2000 (Part 3); in: Russian Energy Digest; factiva; 27.03.2000. 864 Interfax: China Oil Company to Invest $585 Mln in Kazakhstan; in: Interfax Petroleum Report; factiva; 12.04.2000.
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5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
was Kasachstan zu einem der fünf Hauptproduzenten im Erdölbereich weltweit hätte werden lassen können.865 Die Zahlen aus dem Jahre 2007 sind allerdings nicht mehr so hoch angesiedelt. Das Konsortium Agip Kazakhstan North Caspian Operation Company (Agip KCO), das das Feld betreibt, ging Ende 2007 davon aus, dass das Feld Reserven in Höhe von fünf Milliarden Tonnen besitzt. Davon sind laut Agip KCO ca. 1,8 Milliarden Tonnen förderbar.866 Abbildung 68: Das Kashagan Erdöl-Feld
Quelle: Bhadrakumar, M.K.: Russia, Iran and Eurasian Energy Politics; in: The Asia Pacific Journal Online; http://japanfocus.org/products/details/2613; Zugriff: 17.03.2009. 865
Albrighton, Denise: Chinese Vice President Urges Movement on Kazakh Oil Pipeline; in: Agence France-Presse; factiva; 28.07.2000. 866 EIA (2007): Kazakhstan; in: EIA Online; http://www.eia.doe.gov/emeu/cabs/Kazakhstan/Oil.html; Zugriff: 17.03.2009.
5.7 Neue Hoffnung durch Erdölfund im Kaspischen Meer
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Aus chinesischer Sicht waren mit der Entdeckung des Feldes die Zweifel an der Kapazitätsauslastung der Kasachstan-China-Pipeline erst einmal beseitigt. Und auch Idrisov erklärte, dass das neue Erdölfeld „good news” für die Pipeline sei.867 Allerdings mussten die Kapazitäten für die Pipeline gesichert werden, denn es gab Anfang des neuen Jahrtausends zumindest zwei ernst zu nehmende Konkurrenzprojekte. Ein Projekt war die Transkaspi-Pipeline, die kasachisches Erdöl in die damals noch nicht gebaute Baku-Tbilissi-Ceyhan-Pipeline einspeisen sollte. Hier versprach sich die aserbaidschanische Regierung, dass ein Vertrag über größere Lieferungen mit Kasachstan zustande käme. Das zweite Konkurrenzprojekt war die CPC, von Kasachstan zum russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk. Hier hofften vorwiegend westliche Erdölkonzerne auf eine Auslastung der Kapazität durch das neu gefundene Erdöl. Doch die kasachische Regierung wollte Mitte bis Ende des Jahres 2000 auch Erdöl aus den zukünftigen Produktionsstätten im Kashagan-Feld nach China leiten. So betonte der damalige kasachische Vizeminister für Energie, Industrie und Handel, Kanat Bozumbaev, dass die Produktion von Aktobemunaygaz nicht ausreiche, um eine große Pipeline zu füllen. Der Bau der Pipeline sei einzig und allein Abhängig von den Funden im kasachischen Teil des Kaspischen Meeres.868 Die Einschätzung von Bozumbaev zu dieser Zeit war treffsicher. Denn das chinesisch-kasachische Joint Venture Aktobemunaygaz steckte in der Krise. Nicht nur hinsichtlich der entlassenen Arbeiter und der mangelnden Investitionsbereitschaft von CNPC gab es Probleme. Durch interne Streitigkeiten über den Vertrieb des Öls und den Bau einer Raffinerie führten zu Unregelmäßigkeiten in der Produktion. Das Erdöl sollte über ein Swap-Geschäft an die russische Tyumen Oil Company (TNK) verkauft werden. Allerdings verweigerte diese die Annahme, da die Lieferungen zu unregelmäßig waren. In den Verhandlungen zur Lösung der Krise zwischen TNK und Aktobemunaygaz, forderte die russische Seite, in Aktyubinsk eine Raffinerie zu bauen. Das lief jedoch konträr zu den Interessen von CNPC, die sich große Investitionen in der Erdölveredelung sparen wollten, da sie auf den Bau der Kasachstan-China-Pipeline warteten, die das Rohöl zu Raffinerien in Xinjiang leiten sollte.869
867
Reuters: China Talks Oil, Regional Security with Kazakhstan; in: Reuters News; factiva; 28.07.2000. Interfax: Kazakhstan, China National petroleum Corp. to Hold Talks on Pipeline Project; in: Interfax; factiva; 04.10.2000. 869 BBC: Chinese-Owned Kazakh Oil Company Compromises to Settle Oil Swap Row; in: BBC Monitoring Central Asia; factiva; 11.02.2001; Inzhenernaia Gazeta: Kazakhstan: Aktobemunajgaz Has Reached a Compromise with TNK on Oil Swap Scheme; in: Inzhenernaia Gazeta; factiva; 20.02.2001. 868
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5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
Nach einem Kompromiss, der Anfang Februar 2001 gefunden wurde, wurde das Swap-Geschäft wieder aufgenommen. 80 Prozent des Erdöls aus Aktyubinsk – mit einer Produktion von 3,25 Millionen Tonnen im Jahre 2001870 – wurde wieder in die russische Raffinerie bei Omsk befördert, nachdem TNK sich bereit erklärt hatte, Aktobemunaygaz in US-Dollar und nicht in Rubel zu bezahlen. Von dort gelangte es nach Noworossijsk, um auf dem Weltmarkt verkauft zu werden. Die Bezahlung in US-Dollar war Aktobemunaygaz deswegen wichtig, um Devisen in einer frei konvertierbaren Währung zu bekommen, mit der überall auf der Welt Geschäfte möglich sind.871 Somit schienen zumindest einige der Probleme in Aktyubinsk vorerst gelöst zu sein. Gegenüber der Entscheidung die Kasachstan-China-Pipeline zu bauen, blieb CNPC jedoch weiter skeptisch. Laut Unternehmenssprecher seien nach wie vor nicht genügend Kapazitäten zur Auslastung der Pipeline vorhanden.872
5.8 Neue Diplomatie nach dem 11. September 2001? Bis zum 7. September 2001 bewegte sich darauf hin nicht mehr viel. CNPC wartete auf die ersten Ergebnisse der Exploration und den Beginn der Produktion des Kashagan-Feldes. Währenddessen versuchte der Konzern Anfragen nach dem Bau der Kasachstan-China-Pipeline abzuwenden. Erst mit der Ankündigung, dass der damalige chinesische Premierminister Zhu Rongji vom 12.-13. September 2001 nach Kasachstan reisen werde, kam neue Hoffnung auf, dass auch der Bau der Pipeline – und damit die, wenn auch verzögerte, Einhaltung des Vertrags von 1997 – vorangetrieben werde.873 Allerdings wurde der Besuch nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA abgesagt. Trotz des Einmarsches der US-Truppen in Afghanistan und der verstärkten Diplomatie der USA hinsichtlich dem Aufbau neuer Militärbasen in Zentralasien zur Unterstützung der Streitkräfte gegen die Taliban, also einer vollkommen Umgestaltung der geopolitischen Situation in der Region, gingen die Verhandlungen um den Bau der Kasachstan-China-Pipeline nach einer kurzen Pause weiter. Schon am 9. Oktober 2001 verlautbarte Inzhenernaia Gazeta, dass die 870
VWD: CNPC-Aktobemunaigas steigert Produktion; in: vwd GUS-Republiken; 16.01.2002; Eschborn. 871 Chan, Felix K. (2001): Chinese Energy and Asian Security; in: Orbis; Vol. 45; Issue 2; S. 211240; Elsevier; S. 234; Interfax: Pipeline From Kazakhstan to China Will Not be Built in Near Future; in: Interfax Daily Petroleum Report; factiva; 29.03.2001. 872 Interfax: Pipeline From Kazakhstan to China Will Not be Built in Near Future – CNPC Representative; in: Interfax Daily Petroleum Report; factiva; 18.04.2001. 873 BBC: Chinese Premier to Visit Kazakhstan; in: BBC Monitoring Central Asia; factiva; 07.11.2001.
5.8 Neue Diplomatie nach dem 11. September 2001?
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Kazakh National Company Oil and Gas Transport (TNG) und CNPC eine neue Rahmenvereinbarung zum Bau einer 450 Kilometer langen Pipeline zwischen Kenkiyak und Atyrau unterzeichnet haben. Dieser Abschnitt sollte zwar Erdöl aus chinesischen Feldern in der Region Kenkiyak nach Atyrau und dann über die Atyrau-Samara-Pipeline nach Russland oder durch die CPC nach Noworossijsk ans Schwarze Meer transportieren, sie kann jedoch durch relativ einfache Maßnahmen auch Erdöl in die entgegengesetzte Richtung leiten. Die Pipeline Kenkiyak-Atyrau zählt letztlich als ein Teilstück der Kasachstan-China-Pipeline. So erklärte auch der damalige geschäftsführende Direktor von KazMunaiGaz, Kairgeldy Kabyldin, dass die Durchleitungsrichtung der Pipeline in Zukunft umgedreht werden könnte.874 Die Pipeline zwischen der zentralkasachischen Stadt und dem Kaspischen Meer sollte eine Kapazität von 14 Millionen Tonnen pro Jahr erreichen und die Transportprobleme für die zunehmende Produktion von Erdöl aus Kenkiyak beheben. Bis dahin wurde das Erdöl, das vom chinesisch-kasachischen Unternehmen Aktobemunaygaz gefördert wurde, über eine kleine Pipeline nach Orsk in Russland und per Eisenbahn ins chinesische Xinjiang oder nach Aktau ans Kaspische Meer transportiert. Die neue Pipeline, deren Baukosten auf ca. 190 Millionen US-Dollar veranschlagt wurden, sollte zur einen Hälfte von Aktobemunaygaz und zur anderen von KazMunaiGaz finanziert werden. Im Mai 2002 erklärte sich CNPC jedoch bereit im Notfalle auch die ganzen Kosten allein zu tragen.875 Das unterstreicht den Wandel in der Haltung zur Pipeline bei CNPC nachdem zumindest ein größeres Erdölfeld im Kaspischen Meer gefunden wurde, von abwartender Skepsis hin zur Überzeugung, dass eine Pipeline in die VR China zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Aus kasachischer Sicht war es notwendig geworden mehr Erdöl ans Kaspische Meer zu transportieren, da sich auf den Bau der BTC Aserbaidschan in die Türkei geeinigt worden und die CPC in Auftrag gegeben war. Beide Pipelines sollten auch mit kasachischem Erdöl aufgefüllt werden. Zum Bau der Pipeline wurde das kasachisch-chinesische Joint Venture Munai Tas (51 Prozent staatlich kasachische KazMunaiGaz, 49 Prozent CNPC) gegründet, das die russische Stroytransgaz mit der Konstruktion beauftragte, die dann wiederum Ende Mai 2002 den ersten Spatenstich setzte. Laut kasachischem Premierminister Imangaly Tasmagambetov, war das „the beginning of largescale diversification of [Kazakhstan’s] export routes, especially in the oil sector.“ 874
Inzhenernaia Gazeta: Kazakhstan: China to Help Build Oil Pipeline in Kazakhstan; in: Inzhenernaia Gazeta; factiva; 09.10.2001; TASS Energy Service: Rusenergy – Caspian Exporters Yet to Choose Route; in TASS Energy Service; factiva; 03.06.2002. 875 Interfax: CNPC Ready to Finance Oil Pipeline Consturction in Kazakhstan; in: Interfax Petroleum Report; factiva; 01.05.2002.
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5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
Die Pipeline sollte noch Ende des Jahres 2002 mit einer Kapazität von sechs Millionen Tonnen ihren Betrieb aufnehmen. Die Kapazität sollte dann über zehn Millionen Tonnen 2004 auf 14 Millionen Tonnen 2006 ausgebaut werden.876 Für die russische Stroytransgaz war der Zuschlag für den Bau des Teilstücks der Pipeline ein großer Erfolg. Nach dem Zerfall der Sowjetunion folgten viele westliche Konzerne den großen Erdölunternehmen, wie bspw. Exxon nach Zentralasien und erhielten Verträge, da sie mit einer besseren Technologie und mehr Geld aufwarten konnten als die russische Konkurrenz. Der damalige Vizepräsident von Stroytransgaz, Leonid Bokhanovsky, beschrieb die Situation wie folgt: „These construction companies possess a very rich experience of construction services provision, have well established management system and colossal financial resources.” Und weiter: „Majority of Russian construction companies is usually not acquainted with tender requirements. This is an entire science. Russians can build well with high quality but are less skillful in presentation of their skills, technical intelligence, in speaking about technological knowhow, especially at the stage of bids submission. At this point we are inferior to Western companies. At present Stroytransgaz is one of the few Russian companies that have experience of bids preparation according to Western standards.”877 Der kasachische Transportsysteme-Konzern KazTransOil brachte aufgrund der neuen Entwicklungen bei der Kasachstan-China-Pipeline und der Erdölfunde im Kaspischen Meer im Dezember 2002 einen Entwicklungsplan für die kasachische Pipelineinfrastruktur im Umfang von 30 Milliarden Tenge878 heraus. Demnach soll die Pipeline-Kapazität allein für Erdöl auf 70 Millionen Tonnen pro Jahr bis 2010 ausgebaut werden. KazTransOil beschrieb im Entwicklungsplan, dass das Land zu einer Art Verteilerstation für Erdöl aus der ganzen Region werden könnte. So sollte kasachisches, kirgisisches, russisches und turkmenisches Erdöl über das kasachische Pipelinesystem in Richtung Kaspisches Meer und dann weiter auf den Weltmarkt und in Richtung VR China geleitet werden. Eine wichtige Route sollte dabei die, laut Plan bis 2007 fertig gestellte, Kasachstan-China-Pipeline darstellen, die unter anderem Erdöl aus dem russischen Omsk weiter in Richtung Westen oder Osten leiten sollte. Allerdings ist die Pipeline in vollem Umfang bis zum Jahr 2009 noch nicht fertig gestellt (Abb. 69).879
876
Kistauova, Zaure; Ivanova-Galitsina Anna: Kazakhstan, China Start $ 160M Oil Pipeline Construction; in: Dow Jones International News; factiva; 23.05.2002. 877 Russian Oil & Gas Report: Russion oil and Gas Pipeline Construction Companies Ready to Build Great Energy Road in CIS Countries; in: Russian Oil & Gas Report; factiva; 12.07.2002. 878 Tenge heißt die Währung Kasachstans. 879 Novecon: Energy Press Digest – Russia/CIS – Oil & Gas Industry; in: Novecon: Russia/CIS Energy Digest; factiva; 25.12.2002.
5.9 Der Wettlauf um die Reserven im Kaspischen Meer
381
Von Seiten der Regierung kam im Januar 2003 die Weisung, die Erdölproduktion im Jahre 2003 auf 52 Millionen Tonnen auszubauen880, um Exportzusagen halten und Exportprojekte ausweiten zu können. So betonte der damalige kasachische Minister für Energie und Rohstoffe, Vladimir Shkolnik, dass zu diesem Zweck zügig ein Programm zur Entwicklung des kasachischen Sektors des Kaspischen Meeres ausgearbeitet werden müsste. Dieses Programm solle der Regierung noch im Februar 2003 vorgelegt werden. Weiter erklärte er: „This is of great significance, especially given trends on the world markets.“881 Für die Entwicklung des kasachischen Sektors waren jedoch Verhandlungen mit Russland über die Aufteilung des nördlichen Kaspischen Meeres notwendig. Da die Verhandlungen mit allen Anrainerstaaten nicht vorangingen, versuchte die kasachische Regierung die Debatte bilateral voranzutreiben. Dies betraf vor allem die grenzüberschreitenden Felder Khvalinskoye und das Zentralfeld im Meer. Allerdings kamen auch die Gespräche mit Russland nicht richtig voran. So äußerte sich Shkolnik: „In the Central field we have not yet started to work because of the Russian side, which contradicts an agreement on the division of the Caspian seabed signed by Russia and Kazakhstan.”882
5.9 Der Wettlauf um die Reserven im Kaspischen Meer Aber auch die chinesische Seite blieb nicht untätig, um die Pipeline weiter voranzutreiben. Eine Bedingung des Vertrages über die Pipeline war, dass sie nur mit von chinesischen Konzernen gefördertem Erdöl gefüllt werden dürfe. Zur Absicherung mussten also chinesische Firmen eine Produktion von mindestens 20 Millionen Tonnen pro Jahr in Kasachstan nachweisen – ansonsten wäre die Wirtschaftlichkeit der Pipeline gefährdet gewesen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Blöcke im Kaspischen Meer, die auch das neu gefundene Kashagan-Feld beinhalteten schon auf das Agip KCO Konsortium verteilt. Dennoch gelang es Ende März 2003 erst CNOOC North Caspian Sea Ltd. (einer Tochterfirma von CNOOC Ltd.) und dann Sinopec innerhalb weniger Tage jeweils die Zusage über den Verkauf eines 8,33 Prozent Anteil für 615 Millionen US-Dollar des britischen Erdgasproduzenten British Gas Plc (BG) zu bekommen.883 Damit 880
Das Ziel wurde sogar mit 52,4 Millionen Tonnen um 0,4 Millionen Tonnen im Jahre 2003 übertroffen (vgl. Tabelle 5). Interfax: Kazakhstan to Produce Almost 52 Mln Tonnes of Oil in 2003; in: Interfax Energy News Service; factiva; 28.01.2003. 882 Interfax: Kazakhstan to Produce Almost 52 Mln Tonnes of Oil in 2003; in: Interfax Energy News Service; factiva; 28.01.2003. 883 Interfax: Foreign Companies in Kazakhstan May Participate in Building Pipeline to China; in: Interfax Energy News Service; factiva; 31.03.2003. 881
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5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
hatte BG zwar keinen Anteil mehr am Kashagan-Feld, aber noch eine Beteiligung an Erdölfeldern im Norden Kasachstans und an der CPC-Pipeline. Die anderen Teilhaber an Kashagan, die noch bis zum 8. Mai 2003 das Vorkaufsrecht an den Anteilen von BG hatten, waren gemischter Ansicht über den chinesischen Vorstoß.884 So erklärte ein Vorstandsmitglied eines im Konsortium verbliebenen Konzerns, dass die chinesische Beteiligung das Konsortium „more international, and less British“ mache. Ein anderes britisches Unternehmen mit Anteilen am Erdölfeld war BP, bevor der Konzern seine Anteile an Royal Dutch/Shell verkauft hatte. Die chinesischen Konzerne könnten als „aligned partners“ angesehen werden. Allerdings könne es kleinere Probleme geben, da es sich um Staatsunternehmen handelte, die in manchen Fällen strategische über kommerzielle Interessen stellten. Als strategischen Grund für die Beteiligung identifizierte das Vorstandsmitglied die Kasachstan-China-Pipeline: „The economics of the pipeline were quite challenging, but it is quite possible that the entry of the Chinese companies will throw the West-East pipeline back into the debate.“ Bisher sei ein Ausbau der Transportkapazitäten bis zum Jahre 2010 eher in Richtung Iran über Turkmenistan und eine Transkaspipipeline nach Aserbaidschan, denn in die VR China diskutiert worden. Es bestehe aber kein Konsens im Konsortium über die Exportrouten. Shell und Exxon-Mobil wollten die CPC nutzen. Agip, Japans Inpex und TotalFinaElf präferierten die Schiffsroute über das Kaspische Meer nach Aserbaidschan und die Einleitung in die BTC-Pipeline. ConocoPhillips habe sich noch nicht zu der Problematik geäußert.885 Andere Akteure im Agip KCO Konsortium waren dem möglichen chinesischen Einstieg in Kashagan nicht so wohlgesonnen: „The development of Kashagan and other huge offshore deposits requires huge financing, and the more investors are willing to share the risks and contribute to the project, the better. But such partners as the Chinese may contribute new political problems on top of investments.”886 Inzwischen war auch der zweite Teil der Machbarkeitsstudie zur WestKasachstan-West-China-Pipeline fertig gestellt worden, die laut damaligen Vizepräsidenten von KazMunaiGaz, Kairgeldy Kabyldin, sowohl die technische Machbarkeit als auch die kommerzielle Durchführbarkeit des Projektes bestätig884
Das Konsortium setzte sich zu dieser Zeit zusammen aus: ENI Agip, BG, Royal Durch/Shell, Exxon Mobil und Total Fina Elf (jeweils 16,67 Prozent); ConocoPhillips und Japans Inpex (jeweils 8,33 Prozent). 885 Teo, Karen; Dale, Sam; Ritchie, Michael: Chinese Takeaway – China Inc. Moves into Kazakhstan; in: NEFTE Compass; factiva; 13.03.2003; Prime-TASS: Rusenergy – Pipeline from Kazakhstan to China at crossroads; in: Prime-TASS Energy Service; factiva; 05.05.2003. 886 Prime-TASS: Rusenergy – Pipeline from Kazakhstan to China at crossroads; in: Prime-TASS Energy Service; factiva; 05.05.2003.
5.10 Phase I: Die Kenkiyak-Atyrau-Pipeline
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te. Insofern waren die geplanten chinesischen Investitionen in das KashaganErdölfeld im Kaspischen Meer nur folgerichtig. Allerdings machte Kabyldin auch darauf Aufmerksam, dass es seiner Ansicht nach zu früh sei, die Pipeline zu bauen, da noch keine Transportkapazität auf chinesischer Seite aufgebaut sei, um das Erdöl in die Industriestädte an der Ostküste Chinas zu transportieren.887 Diese Skepsis teilte der damalige Vorstandschef von KazMunaiGaz, Lyazzat Kiinov, nicht, der Ende Februar 2003 postulierte, dass China bereit sei bis zu 50 Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr aus Kasachstan zu importieren. Das entspräche der vollständigen Produktionskapazität Kasachstans. Er sagte weiter: „China is a huge market and of course a pipeline needs to be built in that direction.“ Diese Meinung teilte wohl auch der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew, der während eines Besuchs in Beijing im Dezember 2002 von chinesischer Seite gebeten worden war, mehr chinesische Beteiligungen an großen kasachischen Erdölprojekten zuzulassen, um die Pipeline rentabel zu machen. Eine Bitte, der Nasarbajew wohl auch nachkommen wollte.888 Dass es bei der Beteiligung am Konsortium des Kashagan-Feldes unter anderem um den Bau der Pipeline nach China ging bestätigte am 12. März 2003 der Leiter der Finanzabteilung von CNOOC, Mark Qiu. Er sagte, dass eine neue Pipeline gebraucht werde, wenn das Ölfeld in den kommenden Jahren seine volle Produktion aufnehme.889
5.10 Phase I: Die Kenkiyak-Atyrau-Pipeline Am 28. März 2003 wurde der Abschluss der ersten Phase des Baus der Kenkiyak-Atyrau-Pipeline mit einer Feierlichkeit in Atyrau am Kaspischen Meer begangen. Stroytransgaz gab dabei bekannt, dass die Pipeline fertig gestellt sei und ans Netz gehe. Sie habe ein Fassungsvermögen von sechs Millionen Tonnen pro Jahr, das auf zwölf Millionen Tonnen pro Jahr ausgebaut werde. Die russische Stroytransgaz und ihr größter Subunternehmer, die kasachische KazStroiServis deckten dabei den größten Teil der Arbeit an der 448 Kilometer langen und bis zu 19,5 Meter tief verlegten Pipeline ab.890 887
Teo, Karen; Dale, Sam; Ritchie, Michael: Chinese Takeaway – China Inc. Moves into Kazakhstan; in: NEFTE Compass; factiva; 13.03.2003. 888 Teo, Karen; Dale, Sam; Ritchie, Michael: Chinese Takeaway – China Inc. Moves Into Kazakhstan; in: NEFTE Compass; factiva; 13.03.2003. 889 IPR Strategic Information Database: Dual Beals Boost China’s Presence in Kazakhstan; in: IPR Strategic Information Database; factiva; 23.03.2003. 890 Die Pipeline musste u.a. unter dem Fluss Ural verlegt werden. RIA Oreanda: West KazakhstanChina Oil Pipeline Launched; in: RIA Oreanda; factiva; 28.03.2003; Kuanysheva, Marina: Oil Pipeline Launched; in: Kazakhstanskaya Pravda; factiva; 29.03.2003.
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5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
Mit diesem Erfolg gingen die Verhandlungen zwischen der kasachischen Regierung und CNPC über den Bau der weiteren beiden Teilstücke der Pipeline (Kenkiyak-Aralsk-Kumkol und Kumkol-Atasu-Alashankou (Abb. 69)) weiter. CNPC forderte dabei wiederholt, dass der Konzern zur weiteren Durchführung des Projektes mehr Beteiligungen an kasachischen Erdölfeldern benötige und eine Garantie über die Gewährleistung der Durchleitungskapazität von 20 Millionen Tonnen pro Jahr bei der Pipeline brauche. Der damalige kasachische Premierminister, Imangaly Tasmagambetov, betonte dahingegen, dass er glaube, dass sich andere ausländische Konzerne an der Konstruktion der Pipeline beteiligen werden. Es gäbe Gespräche in diese Richtung. Die Regierung werde solche Vereinbarungen nicht behindern. Vielmehr erklärte er: „We will only welcome such decisions.“891 Auch CNPC gab sich trotz einiger zu überwindender Hürden zuversichtlich. Der Vizepräsident des Konzerns und Vorsitzender des Direktorats bei CNPCAktobemunaygaz Wu Yaowen erklärte während der Feierlichkeiten zur Einweihung des ersten Abschnitts der Pipeline, dass „the successful cooperation in the construction of the Kenkiyak-Atyrau oil pipeline has laid the firm basis for our further joint work in Kazakhstan.“ Während seiner Rede hob er das gelungene Engagement CNPCs in Kasachstan hervor. Das chinesisch-kasachische Venture CNPC-Aktobemunaygaz sei ein Vorbild für zukünftige Unternehmen. In den letzten fünf Jahren habe die Firma 686 Millionen US-Dollar in den Erdöl- und Erdgassektor investiert. Wu Yaowen hob hervor, dass „we have overfulfilled our investment commitments to Kazakhstan during the purchase of the stakes in Aktobemunaygaz.“ Neben der Modernisierung einer existierenden Erdgasraffinerie in der Region Aktyubinsk sei eine neue Raffinerie gebaut worden und die Erdölproduktion solle in von 4,36 Millionen Tonnen im Jahre 2002 auf 5,2 Millionen Tonnen im Jahre 2003 ausgeweitet werden. Die kasachische Regierung betonte, dass die chinesischen Investitionen die wichtigsten in der Region seien. Premierminister Tasmagambetov erklärte: „The Kenkiyak-Atyrau oil pipeline is the beginning of the future Western Kazakhstan-China transcontinental pipeline.“ Diese Pipeline könne, so Tasmagambetov weiter, innerhalb eines Jahres fertig gestellt werden. Alle Probleme, die zu zahlreichen Verzögerungen des Baus geführt hatten, schienen in Vergessenheit geraten zu sein.892 Anfang April 2003 empfing Nursultan Nasarbajew den Vizepräsidenten von CNPC. Dabei war der Bau der Kazakhstan-China Erdölpipeline das Hauptthema. 891
Interfax: Foreign Companies May Help Build Western Kazakhstan-China Pipeline; in: Interfax Energy News Service; factiva; 28.03.2003. BBC: Kazakhstan, China to Boost Oil and Gas Cooperation; in: BBC Monitoring Central Asia; factiva; 29.03.2003; Interfax: Foreign Companies in Kazakhstan May Participate in Building Pipeline to China; in: Interfax Energy News Service; factiva; 31.03.2003.
892
5.10 Phase I: Die Kenkiyak-Atyrau-Pipeline
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Wu erklärte dazu, dass die ersten 500 Kilometer der Pipeline gebaut seien. Die restliche Pipeline werde in Abschnitte unterteilt. Das nächste zu bauende Teilstück sei die Atasu-Alashankou-Pipeline, also der Abschnitt, der Kasachstan mit China verbinden wird. Auch bei diesem Treffen sickerten keine problematischen Punkte bei der Planung und Durchführung des Projektes nach außen. Vielmehr lobte der Präsident die Unterstützung von CNPC bei der Lösung der sozialen Probleme in der Region Aktobe.893 Dieser Punkt war – vor allem durch die Entlassungen, die CNPC durchgeführt hatte – zwei Jahre zuvor noch ein Grund für die Verzögerung des Baus der Pipeline gewesen. Vielleicht war neben der Fertigstellung des ersten Abschnitts der Pipeline ein anderer Moment ausschlaggebend für die Harmonie bei diesem Treffen. Wu Yaowen überreichte dem kasachischen Präsidenten die chinesische Übersetzung von Nasarbajews Buch „About the Time, the Fates and Myself.“ Die Übersetzung von Prof. Lu Bin war von CNPC finanziert worden. Und Wu erklärte Nasarbajew, dass der Professor schon an der Übersetzung des jüngsten Werkes des Präsidenten „Critical Decade“ arbeitete. Ein solches Geschenk an den Präsidenten könnte auch in Kasachstan ausschlaggebend für sehr gute Geschäftsbeziehungen sein. Zumindest war die Übersetzung der beiden Bücher des damaligen turkmenischen Präsidenten, Saparmurat Nyýazow, der Ruhnama I und II, ein unabdingbarer Türöffner für Milliardenaufträge für ausländische Investoren in Turkmenistan. Und auch bei dessen Nachfolger Gurbanguli Berdimuchamedow wird diese Form der Kontaktpflege aufrecht erhalten.894 Dazu passt auch eine Aussage des damaligen kasachischen Premierministers Imangaly Tasmagambetov von Mitte April des Jahres 2003. Er erklärte, dass die kasachische Regierung wahrscheinlich ihren 25 Prozent Anteil an CNPCAktobemunaygaz verkaufen werde. Zwar betonte er in seiner Aussage, dass dann alle im kasachischen Erdöl- und Erdgasgeschäft tätigen Konzerne mitbieten könnten, aber er erklärte auch, dass es ein „natürliches Bedürfnis“ gebe, dass CNPC die 25 Prozent übernehme. CNPC hatte zwischen 1997 und 2003 den Anteil an CNPC-Aktobemunaygaz von 60,2 Prozent auf 75 Prozent ausgebaut. Insofern würde die Firma, die immerhin für fast die gesamte Versorgung der Region Aktobe mit Erdöl und Erdgas verantwortlich zeichnete, nach dem Verkauf des Regierungsanteils, der von der US-amerikanischen Access Industries verwaltet wurde, komplett in das Eigentum von CNPC übergehen.895 893
Kazakhstanskaya Pravda: Meeting With President; in: Kazakhstanskaya Pravda; factiva; 03.04.2003. 894 Halonen, Arto; Frazier, Kevin (2008): Shadow of the Holy Book; Dokumentarfilm; Art Films Production AFP Ltd.; Finland. 895 Interfax: Kazakhstan Launces First Phase of Kenkiyak-Atyrau Pipeline; in: Interfax Petroleum Report; factiva; 16.04.2003.
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5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
Während sich beide Seiten in der gegenseitigen Bestätigung der guten Beziehungen übten und am 1. Mai 2003 das erste Erdöl durch die Kenkiyak-Atyrau floss, gingen die Verhandlungen über den Bau des zweiten Abschnitts der Kasachstan-China-Pipeline vom kasachischen Atasu ins chinesische Alashankou weiter (Abb. 69).
5.11 Der harte Kampf um Kashagan Auf einer Konferenz zur Bekanntgabe der Quartalsergebnisse von KazTransOil Mitte April des Jahres 2003 stand auch der Bau des zweiten Abschnitts der Kasachstan-China-Pipeline auf der Tagesordnung. A. Smankulov, Generaldirektor von KazTransOil, erklärte, dass der Konstruktionsentwurf der 1.010 Kilometer langen Pipeline von Atasu über die chinesische Grenze nach Alashankou demnächst begänne. Er betonte, dass die Pipeline nach dem neuesten technologischen Stand gebaut und dass die Belastung der Umwelt auf ein Minimum reduziert werde. Laut Prognosen könne die Pipeline innerhalb von zwei Jahren gebaut sein. Die Kosten für den Teilabschnitt seien mit 850 Millionen US-Dollar veranschlagt.896 Für den Bau der Pipeline brachte sich Ende April 2003 wiederum die russische Stroytransgaz ins Spiel. Der damalige erste Vizepräsident Yevgeny Lavrentiev sagte gegenüber Prime-Tass: „Since the North Kazakhstan-China pipeline continues the Kenkiyak-Atyrau pipeline that was built by our company, we hope to build it too.“897 Anfang Mai 2003 kam es zu einem Treffen der Außenminister Chinas, Li Zhaoxing, und Kasachstans, Kasymzhomart Tokayev. Dabei wurde zwar über Energieprojekte, nicht aber über die Kasachstan-China-Pipeline gesprochen. Der Einstieg von CNOOC und Sinopec in das Agip KCO Konsortium im Erdölfeld Kashagan kam dabei auch nicht zur Sprache, obwohl die beiden Projekte von äußerster Relevanz für die zwischenstaatlichen Beziehungen waren und obschon noch im April das Thema auf der Agenda in Kasachstan stand.898 Je näher der 8. Mai 2003 rückte, also die Deadline für das Vorkaufsrecht am Anteil der BG durch die anderen Konsortialteilnehmer, desto mehr Druck versuchte die chinesische Regierung gegenüber dem Konsortium aufzubauen. So 896
Paramonova, Tatiana: KazTransOil Resuming Results; in: Kazakhstanskaya Pravda; factiva; 19.04.2003. 897 Prime-TASS: Stroitransgaz to bid for North Kazakhstan-China pipeline; in: Prime-TASS Energy Service; factiva; 29.04.2003. 898 Prime-TASS: Rusenergy – Pipeline from Kazakhstan to China at crossroads; in: Prime-TASS Energy Service; factiva; 05.05.2003.
5.11 Der harte Kampf um Kashagan
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warnte Beijing die Mitglieder von Agip KCO, dass jeder Konzern, der einer chinesischen Beteiligung im Weg stehe die Konsequenzen zu tragen hätte und eigene Anteile an Projekten in China gefährdete. Vor allem betraf diese Drohung Royal Dutch/Shell und Exxon Mobil, die noch am 7. Mai 2003 erklärten, dass sie unentschlossen seien, ob sie von ihrem Vorkaufsrecht gebrauch machen wollten. Ein Sprecher von Sinopec verlautbarte daraufhin gegenüber Energy Intelligence, dass die Unternehmensführung unglücklich über die jüngsten Entwicklungen sei: „It is not like us to work so hard on a deal only to then allow Shell to exercise its pre-emption rights.“ Shell hingegen bekräftigte, dass sie mit CNOOC und Sinopec kooperierten und sie sich als Partner im Konsortium wünschten.899 Exxon und Shell waren im Jahre 2003 in mehrere Erdöl- und Erdgasprojekte in China involviert. Die Unternehmen beteiligten sich am Bau der chinesischen West-Ost-Erdgaspipeline (Kap. 4.4.2). Mit CNOOC entwickelte Shell am australischen North-West-Shelf-LNG-Projekt. Die beiden Konzerne arbeiteten am Aufbau des Erdgasmarktes im chinesischen Küstenbereich. Royal Dutch/Shell war zudem in Verhandlungen über einen Anteil im Konsortium zur Entwicklung des Bohai Bay Offshore-Feldes in Nordchina und wollte 200 Millionen US-Dollar in 600 neue Tankstellen in verschiedenen Provinzen Chinas investieren. Ferner hatten Shell und CNOOC im November 2002 einen Vertrag über den Bau eines petrochemischen Komplexes in Guangdong im Wert von 4,3 Milliarden US-Dollar unterzeichnet.900 Letztlich machte das Konsortium von seinem Vorkaufsrecht gegenüber CNOOC Gebrauch. Gründe dafür waren höchstwahrscheinlich die unterschiedlichen Vorstellungen hinsichtlich des Exportes des Erdöls. Während die westlichen Konzerne den Verkauf auf dem Weltmarkt präferierten, sahen sie einer chinesischen Beteiligung mit zunehmenden Vorbehalten gegenüber. Sowohl CNOOC als auch Sinopec hätten bei der Entscheidung der Exportoption die Befüllung der Kasachstan-China-Pipeline ins Spiel gebracht und hätten dabei als staatliche Konzerne wesentlich mehr Rückendeckung aus Beijing erhalten, als die westlichen Firmen von ihren Regierungen. Dadurch hätte sich das Gleichgewicht im Konsortium eindeutig in Richtung CNOOC und Sinopec verschoben. Damit mussten aber Exxon und Shell um ihr Geschäft in China bangen. In diesem Zusammenhang erklärte ein Mitglied der chinesischen Administration, dass die Regierung ausländische Konzerne in einem Ranking der „bevorzugten Unternehmen“ bewerte. Damit vergäbe sie in Zukunft nur widerwillig Aufträge an
899
Irwin, James: Kazakhstan – China Warns Kashagan Partners Against Preemption; in: NEFTE Compass; factiva; 08.05.2003. 900 Irwin, James: Kazakhstan – China Warns Kashagan Partners Against Preemption; in: NEFTE Compass; factiva; 08.05.2003.
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Shell oder Exxon. Die Quelle erklärte weiter: „Revenge is a dish best served cold.”901 Die Drohungen der chinesischen Regierung standen durch die Beteiligungen von Shell und Exxon an chinesischen Projekten nicht im luftleeren Raum. Andererseits ist China auf diese Beteiligungen aufgrund der ausländischen Kapitalanlagen und vor allem des Technologietransfers angewiesen. Durch die Reaktionen zeigte die chinesische Seite aber deutlich, dass Beijing sehr viel Wert auf eine strategische Präsenz im Energiebereich der Kaspischen Region legt. Diese Präsenz ist für die Volksrepublik nicht zuletzt aus Gründen der Diversifizierung der Erdöl- und Erdgasimporte und der Einflussnahme auf den benachbarten politischen und Wirtschaftsraum relevant. Die Entscheidung des Agip KCO-Konsortiums die chinesischen Unternehmen auszuschließen stellte jedoch, laut eines Sprechers von Sinopec, wiederum die Wirtschaftlichkeit der Kasachstan-China-Pipeline in Frage.902 Die bisherigen chinesischen Projekte in Süd- und Zentralkasachstan genügten nach wie vor nicht, um die Pipeline zu füllen. Und ob zumindest ein Teil des Erdöls des Kashagan-Feldes jemals in Richtung China flösse, war im Mai 2003 eher unwahrscheinlich.
5.12 Die Planung der zweiten Phase: Atasu-Alashankou Trotz des Rückschlags hinsichtlich der Beteiligung am Kashagan-Erdölfeld im Kaspischen Meer von CNOOC und Sinopec, trafen sich das kasachische Staatsunternehmen KazMunaiGaz und CNPC am 14. Mai 2003 zu Verhandlungen über den Bau des östlichen Abschnitts der Kasachstan-China-Pipeline. Dieser Teil sollte den Erdölverladeterminal in Atasu mit dem Bahnhof im chinesischen Alashankou, nahe der kasachisch-chinesischen Grenze verbinden. Die Pipeline mit einer Länge von 1.010 Kilometern wurde mit 850 Millionen US-Dollar veranschlagt und sollte noch im Jahre 2005 fertig gestellt werden (Abb. 69). Von Alashankou sollte dann eine Pipeline das Erdöl zur von CNPC betriebenen Raffinerie in Karamay im Tarim Bassin in Xinjiang leiten.903 Während der Verhandlungen einigten sich beide Seiten darauf, dass für den Bau eine Firma gegründet werden sollte, deren Aufgaben in der Auswahl und Koordination der Subunternehmer für das Design, die Materialien und die Kon901
Neff, Andrew: Kazakhstan – Western Oil Firms Block CNOOC Bid to Join Kazakhstan’s Kashagan-Project; in: Global Insight; factiva; 12.05.2003. Ng, Eric: China Petro in fresh snub; in: South China Morning Post; factiva; 14.05.2003. 903 Interfax: Kazakhstan, China Begin designing Project for Atasu-Alashankou Pipeline; in: Interfax Energy News Service; factiva; 15.05.2003. 902
5.12 Die Planung der zweiten Phase: Atasu-Alashankou
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struktion der Pipeline betreffen sollte. Es wurde sich ferner darauf geeinigt, dass drei Arbeitsgruppen gebildet werden. Eine für die technische Dimension, eine Zweite zur Berechnung des Mindestvolumens und eine Dritte für die Klärung juristischer Fragen und Probleme. Als Grundlage für die Arbeitsgruppen sollte die schon existierende Machbarkeitsstudie über die gesamte Kasachstan-ChinaPipeline herangezogen werden.904 Ende Mai 2003 erklärte der stellvertretende Geschäftsführer von KazTransOil, Sabr Yessimbekov, gegenüber Platts, dass die chinesischen Erdölkonzerne nach neuen Production Sharing Agreements (PSA) in Kasachstan Ausschau hielten, um die Auslastung der Pipeline zu sichern. Es werde zudem überlegt, dass die Produktion des Kumkol-Erdölfeldes in Zentralkasachstan, das von der kanadischen Hurricane Hydrocarbons betrieben wird, in die Pipeline einfließen soll. Ferner versuchte CNPC die kasachische Regierung davon zu überzeugen, dass sie bei dem für Ende 2003 bis Anfang 2004 geplanten Bieterwettbewerb um neu ausgeschriebene Blöcke im Kaspischen Meer bevorzugt werde.905 Trotz des Rückschlags bezüglich des Agip KCO-Konsortiums wolle CNPC die Pipeline von 20 Millionen Tonnen pro Jahr auf eine Kapazität von 30 bis 50 Millionen Tonnen pro Jahr erweitern, so Yessimbekov. Ansonsten könne die Pipeline nicht wirtschaftlich betrieben werden. Allerdings war das Problem, dass die Produktion in Kasachstan im Jahre 2002 nur 47 Millionen Tonnen pro Jahr betrug, wovon ein Großteil zu einer Raffinerie ins russische Samara oder in Richtung Westen über die CPC nach Noworossijsk transportiert wurde. Ein weiteres Problem sei, dass es keine Erdölpipeline von der Raffinerie im westchinesischen Karamay zur Ostküste gäbe. Deswegen solle KazTransOil die Pipeline bis in die Industrieregionen in Chinas Osten weiterbauen. Dazu gäbe es schon eine Machbarkeitsstudie von den Spezialisten der deutschen Firma ILF. Zu den Kosten wollte sich Yessimbekov nicht äußern. Er meinte aber, dass diese Option deutlich günstiger sei, als die Pipeline, die von der russischen Yukos geplant wurde und von Angarsk ins chinesische Daqing führen sollte. Das Yukos-Projekt wurde von KazTransOil als Konkurrenz angesehen.906 Die Motive der chinesischen Konzerne, den Zugriff auf kasachisches Erdöl trotz schleppender Verhandlungen und Realisierungen der Projekte zu erweitern, waren jedoch nicht nur von energiepolitischer Natur. So besuchte Hu Jintao Anfang Juni 2003 während seiner ersten Auslandsreise als neuer Präsident als 904
Interfax: Kazakhstan, China Begin designing Project for Atasu-Alashankou Pipeline; in: Interfax Energy News Service; factiva; 15.05.2003. 905 Platts: Kazakhstan, China Mull Boosting Capacity of Planned Export Line; in: Platts Commodity News; factiva; 30.05.2003. 906 Platts: Kazakhstan, China Mull Boosting Capacity of Planned Export Line; in: Platts Commodity News; factiva; 30.05.2003.
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dritten Staat Kasachstan, um über die Vertiefung der bilateralen Beziehungen zu diskutieren. Neben der engeren Kooperation im Energiesektor stand ein weiterer Aspekt im Zentrum des Staatsbesuchs. Das zwischenstaatliche Handelsvolumen sollte innerhalb von zwei Jahren von zwei Milliarden US-Dollar im Jahre 2002 auf fünf Millionen US-Dollar mehr als verdoppelt werden. Ein gewichtiger Grund dabei war die Ausweitung der militärischen Präsenz der USA in Zentralasien seit dem 11. September 2001. Vor allem durch die Militärbasen in Usbekistan und Kirgistan sah sich die chinesische Regierung von US-Truppen zunehmend umzingelt und wollte dem durch die Verbesserung der Beziehungen zu den zentralasiatischen Staaten entgegentreten. Zur Vertiefung der Beziehungen gehört auch die Expansion der chinesischen Partizipationsmöglichkeiten im kasachischen Energiesektor. Dazu erläuterte Hu: „China lacks mineral resources [...] whereas Kazakhstan can export tens of millions of tons of oil to foreign markets – there are big prospects for increased cooperation in the energy sector.” Folgerichtig wurde nach dem Treffen der Präsidenten eine neue Vereinbarung zum Bau der Kasachstan-China-Pipeline zwischen CNPC und KazMunaiGaz unterzeichnet.907 Laut dieser Vereinbarung sollte die Planung für die Pipeline noch im Jahre 2003 abgeschlossen werden. Der Leiter der Abteilung für Auslandsbeziehungen bei CNPC, Zhang Xin, erklärte dazu, dass das Projekt nicht in Konkurrenz zur Yukos-Pipeline von Ostsibirien nach Westchina stehe. Das kasachische Erdöl sei zur Versorgung West- und Zentralchinas gedacht, wohingegen das russische Erdöl zur Deckung des Bedarfs der boomenden Ostküste herangezogen werde.908 Während sich die chinesische Seite in der Erläuterung ihrer Diversifizierungsstrategie für den Erdölimport übte, was von Sabr Yessimbekov von KazTransOil kritisiert wurde, trieb die kasachische Regierung zusammen mit der staatlichen KazMunaiGaz die Diversifizierung der Erdölexporte voran. In der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku kam es Anfang Juni 2003 zu Verhandlungen über die kasachische Beteiligung an der BTC-Pipeline. Demnach sollte sich bis Ende des Jahres darauf geeinigt werden, in welchem Umfang kasachisches Erdöl durch die Leitung fließen sollte. Laut Kairgeldy Kabyldin, Geschäftsführer für die Transportinfrastruktur und Dienstleistungsprojekte von KazMunaiGaz, sollten die Erdöllieferungen von zwei Millionen Tonnen im Jahre 2002 auf bis zu 20 Millionen Tonnen ausgebaut werden.909 Hinter dieser Aussage steckt aller907
Dow Jones International News: China’s Hu Agrees to Boost Kazakhstan Trade, Energy Ties; in: Dow Jones International News; factiva; 03.06.2003; Yuldasheva, Aida: China’s Hu Promises Friendship, Economic Ties With Neighbouring Kazakhstan; in: Agence France Presse; factiva; 03.06.2003; BBC: Chinese, Kazakh Leaders Meet Press; in: BBC Monitoring Asia Pacific; factiva; 03.06.2003. 908 Interfax: Kazakhstan-China Oil Pipeline Project Nearing Completion; in: Interfax Central Asia News; factiva; 19.06.2003. 909 Interfax: Kazakhstan to Join Baku-Tbilisi-Ceyhan Oil Pipeline Project; in: Interfax Energy News
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dings sehr viel Optimismus. Erstens setzte die Belieferung der BTC mit 20 Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr voraus, dass entweder eine neue Hafenanlage im kasachischen Aktau und ca. fünf neue Tanker mit einer Kapazität von je 60.000 Tonnen oder eine Pipeline durch das Kaspische Meer gebaut würden. Beides setzte Investitionen in Höhe von ungefähr drei Milliarden US-Dollar voraus.910 Zu diesen Anlagen kämen zweitens hohe Investitionen in den Ausbau der Förderkapazität. Wie oben beschrieben gingen die kasachische Regierung und die Energiekonzerne von zukünftigen Transportkapazitäten von 134 Millionen Tonnen pro Jahr aus. Bis 2015 sollte die Produktion auf 150 Millionen Tonnen pro Jahr ausgebaut sein. Im Jahre 2003 belief sich die Förderung aber nur auf 52,4 Millionen Tonnen, der eigene Verbrauch auf 8,8 Millionen Tonnen (Tabelle 15). Insofern war Kasachstan zu diesem Zeitpunkt mit einer Exportkapazität von 43,6 Millionen Tonnen noch 90 Millionen Tonnen vom angestrebten Ziel entfernt. Tabelle 15: Erdöl in Kasachstan: Produktion, Verbrauch, Exportkapazität (19972007) Jahr 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 25,8 25,9 30,1 35,3 40,1 48,2 52,4 60,6 62,6 66,1 68,7 Produktion in Mio. t pro Jahr 8,5 7,0 7,4 8,9 9,3 8,8 9,0 10,0 11,0 10,6 Verbrau 10,3 ch in Mio. t. 14,5 17,4 23,1 27,9 31,2 38,9 43,6 51,6 52,6 55,1 58,1 Exportkapazität in Mio. t. Quelle: British Petroleum (2008): Statistical Review of World Energy; in: BP Online; http://www.deutschebp.de/liveassets/bp_internet/germany/STAGING/home_assets/assets/deutsche_b p/broschueren/de_statistical_review_of_world_energy_full_report_2008.pdf; Zugriff: 20.10.2008.
Das durchschnittliche jährliche Wachstum der Förderung von Erdöl zwischen den Jahren 1997 und 2003 betrug dabei 12,5 Prozent. Auch zwischen den Jahren 2003 und 2007 steigerte sich die Wachstumsrate nicht. Für diesen Zeitraum belief sie sich auf 12 Prozent. Das heißt, dass sich die Produktion von 52,4 MillioService; factiva; 04.06.2003. 910 Gusep, Tarel (2006): BTC-Pipeline: Wenn sich hinter einer Röhre weitere verstecken; in: Caucaz Europenews Online; http://www.caucaz.com/home_de/breve_contenu.php?id=175; Zugriff: 30.04.2009.
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nen Tonnen im Jahre 2003 auf 68,7 Millionen Tonnen im Jahre 2007 erweiterte. Eine konstant anhaltende jährliche Wachstumsrate bedeutete aber beispielsweise zwischen den Jahren 2012 und 2013 eine Steigerung der Produktion um ca. 15 Millionen Tonnen von 121 Millionen auf 136 Millionen Tonnen. Für das Jahr davor und danach wäre ein ähnlich großer Ausbau der Förderkapazitäten nötig. Dies wird jedoch aufgrund der mangelnden Reserven und Investitionen kaum möglich sein. Dazu kommt, dass die Förderkapazität nicht der Exportkapazität entspricht. Abgezogen werden muss hier noch der Verbrauch in Kasachstan, der zwischen den Jahren 2003 und 2007 mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 4,7 Prozent zu Buche schlug (Tab. 15).
5.13 Erdöl für den freien Weltmarkt Allen Zahlenspielen zum Trotz setzte sich nicht nur Baku und die in Kasachstan tätigen Erdölkonzerne, die auch Anteile am Bau der BTC-Pipeline hatten (u.a. ENI, Total, ConocoPhillips, und Inpex), für die Befüllung der Pipeline mit kasachischem Erdöl ein. Auch die US-Regierung hatte großes Interesse an der Durchführung des BTC-Pipeline-Projektes. Die Pipeline, die nach langen Verhandlungen und Verzögerungen schließlich am 25. Mai 2005 in Betrieb ging und eine Durchleitungskapazität von 50 Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr ab dem Jahr 2015 erreichen soll, ist die erste große Pipeline, die Erdöl aus der Kaspischen Region auf den Weltmarkt leitet und dabei russisches Territorium umgeht. Das heißt, dass Russland durch diese Pipeline an Einfluss auf den Transport des Erdöls aus der Region eingebüßt hat. Einfluss gewonnen hatte dahingegen die USA. Immerhin liegt in der Nähe des Mittelmeerhafens Ceyhan, bei dem das Erdöl aus der BTC ankommt, die sechste Flotte der US-Marine und hat somit auch Anteil an der Kontrolle über den Rohstoff aus der Kaspischen Region. Ein Beleg für diese These ist das starke Engagement von Steven Mann, Senior Adviser des US-State Departments für Energiediplomatie im kaspischen Becken, hinsichtlich der Realisierung der BTC. Steven Mann war maßgeblich für die Weiterführung der Verhandlungen zwischen Baku und Astana verantwortlich. In einem Interview mit Oil Daily Anfang Juni 2003 sagte er, dass er hoffe, er habe helfen können ein Paket von Vereinbarungen auf den Weg zu bringen, welches „provide reliable commercial terms for Kazakh oil to go into the pipeline [BTC]“ und damit die BTC durch das Kaspische Meer erweitern werde. Das Paket beinhaltete eine Vereinbarung zwischen den Exportkonzernen und der kasachischen Regierung, eine weitere zwischen den Konzernen und der aserbaidschanischen Regierung und ein Übereinkommen zwischen den Regierungen Kasachstans und Aserbaidschans. Das Paket basierte auf einem Treffen,
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das unter Vorsitz der USA im Dezember 2002 das erste Mal stattgefunden hatte und zur Beschleunigung des Projektes diente.911 Im Gegensatz zur CPC-Route, die vom Kaspischen Meer über russisches Territorium zum Schwarzmeerhafen Noworossijsk führt und auch mit Unterstützung der USA gebaut wurde, habe Russland auf die BTC keinen Einfluss mehr. Mann erläuterte weiter, dass sowohl die CPC als auch die BTC notwendig seien, aber: „What we‘ve seen in CPC is that there is still a desire in Russia to break the agreements and regulate it as a monopoly. We have expressed our concern.“ Deshalb sei der Bau der BTC von hoher Bedeutung. Aber die USA unterstützten auch die Kasachstan-China-Pipeline-Option, insofern sie kommerziell sinnvoll sei.“912 Die Diskussion um die Wirtschaftlichkeit einer Pipeline betraf aber auch die BTC-Pipeline. Es ging dabei um die These, dass diese nur Sinn mache, wenn kasachisches Erdöl mit eingespeist würde.913 Insofern erhöhte sich die Chance, dass die BTC wirtschaftlich sinnvoll betrieben werden kann, aber nur dann, wenn nicht ein weiterer Teil der knappen kasachischen Produktionskapazitäten in Richtung China geleitet und damit auch dem Weltmarkt und der Kontrolle durch die S-Konzerne entzogen würde.
5.14 Chinesische Fortschritte in Kasachstan Auf der anderen Seite konnte China Erfolge in der chinesisch-kasachischen Zusammenarbeit verbuchen. So kaufte CNPC am 28. Mai 2003 den verbleibenden Anteil von 25,12 Prozent im Joint Venture CNPC-Aktobemunaygaz für 150 Millionen US-Dollar von der kasachischen Regierung und übernahm den Konzern damit zu 100 Prozent.914 Mit der kompletten Übernahme hatte CNPC nun freie Hand, die Erdölfelder in der Region Aktobe nach eigenen strategischen Planungen zu entwickeln und damit die Füllung der Kasachstan-China-Pipeline ein weiteres Stück in Richtung Realität zu rücken. Zudem bedeutete der Verkauf des Regierungsanteils einen Vertrauensvorschuss von Kasachstan an China. Immerhin ist der Erdölsektor die Haupteinnahmequelle und damit von außerordentlicher Relevanz für Kasachstan. Ein weiterer Fortschritt in den kasachisch-chinesischen Beziehungen konnte dann Mitte Juni 2003 verzeichnet werden. Mit der Ratifizierung der Vereinba911
Ritchie, Michael: US Diplomat Works to Bring Kazakhstan Into BTC Oil Pipeline; in: The Oil Daily; factiva; 17.06.2003. 912 Ritchie, Michael: US Diplomat Works to Bring Kazakhstan Into BTC Oil Pipeline; in: The Oil Daily; factiva; 17.06.2003. 913 Nabiyev, Rizvan (2003): Erdöl- und Erdgaspolitik in der kaspischen Region; Köster Verlag; Berlin. 914 The Oil and Gas Journal: Quick Takes; in: The Oil and Gas Journal; factiva; 23.06.2003.
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rung über den Grenzverlauf zwischen Russland, Kasachstan und China von 1999 durch das kasachische Parlament wurde ein langer Streit ad acta gelegt. Die genaue Festlegung der Grenze ist insofern von Relevanz, da sie den grenzüberschreitenden Handel und die Bewirtschaftung von grenznahen Flächen begünstigt. Ohne Einigung kann es ansonsten zu Kompetenzstreitigkeiten und Konflikten kommen.915 Abbildung 69: Chinesische Erdölbeteiligungen in Kasachstan bis 2003
Quelle: Eigene Bearbeitung; EIA (2004): Kazakhstan: Proposed Pipeline to China; in: EIA Online; http://www.eia.doe.gov/emeu/cabs/Kazakhstan/images/Map_KZ-CH_2Aug04.pdf; Zugriff: 02.02.2009.
Ermutigt von den Erfolgen versuchte CNPC sein Engagement in Kasachstan weiter voranzutreiben. Nachdem der Einstieg von CNOOC und Sinopec in das 915 Organisation of Asia-Pacific News Agencies: Itar-Tass Asian news digest; in: Organisation of Asia-Pacific News Agencies; factiva; 25.06.2003.
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Agip KCO-Konsortium beim Kashagan-Erdölfeld im Kaspischen Meer gescheitert war, erreichte CNPC Ende Juli 2003 eine Vereinbarung mit der saudischen Nimir Petroleum hinsichtlich eines Anteils am North Buzachi Erdölfeld (Abb. 69). Das Onshore-Feld hatte gesicherte Reserven in Höhe von 1,8 Milliarden Barrel und wurde von einem Konsortium aus ChevronTexaco (65 Prozent) und Nimir Petroleum (35 Prozent) betrieben. Nach der Vereinbarung mit dem saudischen Konzern trat CNPC in Verhandlungen mit ChevronTexaco über die restlichen 65 Prozent des Feldes. CNPC soll für ihre Tätigkeit das ganze Feld betreffend 210 Millionen US-Dollar geboten haben. Das relativ niedrige Angebot leitete die Konzernführung davon ab, dass Chevron einen Anteil an den großen Tengiz und Karachaganak-Feldern habe (Abb. 70) und deshalb nicht auf NordBuzachi angewiesen sei.916 Abbildung 70: Exportpipelines in Westkasachstan
Quelle: Karachaganak Petroleum Operating: Export Pipeline Map; in: Karachaganak Petroleum Operating B.V. Online; http://www.kpo.kz/cgi-bin/index.cgi/40; Zugriff: 02.05.2009.
Der Einstieg in Nord-Buzachi gelang dann im August 2003 mit dem Erwerb des Anteils über 35 Prozent von Nimir Petroleum und bedeutete auch die Steigerung der chinesischen Erdölproduktion in Kasachstan und damit einen Zugewinn für 916
Energy Compass: China: Feeding frenzy; in: Energy Compass; factiva; 31.07.2003.
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die Füllung der Kasachstan-China-Pipeline.917 Das wäre dann, neben Kenkiyak und Uzen, das dritte Projekt von CNPC in Kasachstan zur Belieferung der Pipeline. Eine weitere Quelle sollten die im zentralkasachischen Kumkol (Abb. 69) von der kanadischen PetroKazakhstan betriebenen Feldern sein. Bis dahin musste PetroKazakhstan das Erdöl über die wesentlich kostenintensivere und langsamere Eisenbahn abtransportieren.918 Laut Askar Smankulov, Chef der kasachischen KazTransOil, sei eine weitere Option nötig, russisches Erdöl in die Kasachstan-China-Pipeline einzuspeisen. Kasachstan brauche eine Diversifizierung seiner Exportrouten. Die CPC verlaufe über russisches Territorium, wie die meisten anderen Pipelines aus Kasachstan auch. Um den russischen Einfluss zurückzudrängen, sei es deshalb notwendig einen Teil der Exporte über die BTC und einen anderen Teil über die Kasachstan-China-Pipeline durchzuführen. Eine Pipelineoption über Turkmenistan und den Iran sei aber nicht möglich (September 2003), da sich die in Kasachstan tätigen US-Konzerne weigerten, ihr Erdöl in Richtung des schiitischen Staates zu leiten. Smankulov erläuterte diesen Punkt wie folgt: „Our country’s leaders say that at the moment the most advantageous route is the southern one. It could provide access to the Gulf, and the benefits are clear. […] But to our regret, politics still prevail over economics.”919 Die Möglichkeit die Diversifizierung des Erdölexports über Turkmenistan und den Iran zu den offenen Weltmeeren voranzutreiben, war für Kasachstan, das auf die ausländischen Direktinvestitionen angewiesen war, also weiterhin nicht machbar. Dahingegen war das Jahr 2003 für CNPC in Kasachstan von Erfolg gekrönt. Allerdings war die Investitionsstrategie des Konzerns nach dem Motto „better safe than sorry“ weniger risikobehaftet als zuvor – Gebote wurden nur noch für bereits explorierte Felder abgegeben. Dadurch wurden die Explorationsrisiken minimiert, auch wenn ein höherer Preis für die Beteiligung an Projekten, bei denen die Produktion schon begonnen hatte, bezahlt werden musste. Trotz der vorsichtigeren Strategie konnte CNPC im Frühjahr 2003 den letzten kasachischen Anteil von 25 Prozent an Aktobemunaygaz aufkaufen. Im Mai wurde das erste Stück der Kasachstan-China-Pipeline von Kenkiyak nach Atyrau in Betrieb genommen. Und im August 2003 gelang CNPC der Einstieg in NordBuzachi.920 Die verbleibenden 65 Prozent am Erdölfeld konnte CNPC Mitte Oktober 2003 von Chevron-Texaco erwerben.921 917
Oil & Capital Russia: Beijing Pumps Its Money Into ‘Safe’ Caspian Projects; in: Oil & Captial Russia; factiva; 24.09.2003. Afanasiev, Vladimir: Kazakhstan Turns on The Taps; in: Upstream; factiva; 29.08.2003. 919 Solovyov, Dmitry: Interview – Kazakhs Plan China Oil Link to Tap Rising Output; in: Reuters News; factiva; 10.09.2003. 920 Oil & Capital Russia: Beijing Pumps Its Money Into ‘Safe’ Caspian Projects; in: Oil & Captial Russia; factiva; 24.09.2003. 921 BBC: Chineses Company Becomes Only Owner of Oil Field in Kazakh West; in: BBC Monitor918
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Im Januar 2004 gelang es dann Shengli Oil – einem Tochterunternehmen für das Upstream-Geschäft von Sinopec – einen Anteil von 50 Prozent in drei Blöcken eines Erdölfeldes nahe dem größten kasachischen Onshore-Feld Tengiz für 2,3 Millionen US-Dollar zu erwerben. Die anderen 50 Prozent verblieben im Besitz von Big Sky Kazakhstan, einem Tochterunternehmen der kanadischen China Broadband. Laut China Broadband sollte die Produktion im MorskoyeBlock Mitte des Jahres 2004 mit einem Volumen von 1.500 Barrel am Tag (ca. 77.000 Tonnen pro Jahr) starten. Die anderen zwei Blöcke seien noch auf ihr Potential hin zu untersuchen.922 Abbildung 71: Erdgaspipelines: Kasachstan-China und Turkmenistan-China
Quelle: Yenikeyeff, Shamil Midkhatovich (2008): Kazakhstan’s Gas: Export Markets and Export Routes; Oxford Institute for Energy Studies; Oxford; S. 66.
Einen Rückschlag musste die chinesische Regierung allerdings bezüglich der von Yukos geplanten Pipeline von Ostsibirien nach Nordost-China hinnehmen (vgl. Kapitel China Erdöl). Durch die Festnahme des Konzernchefs Michael Chodorkowski im Herbst 2003 wurde das Pipelineprojekt auf Eis gelegt. Laut ing Central Asia; factiva; 21.10.2003. 922 Neff, Andrew: China’s Sinopec Acquires Stakes in Three Blocks in Western Kazakhstan; in: WMRC Daily Analysis; factiva; 09.01.2004.
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Kairgeldy Kabyldin, Geschäftsführer bei KazMunaiGaz, rückte deswegen der Bau der Kasachstan-China-Pipeline wieder in den Fokus des chinesischen Interesses: „The route from western Kazakhstan to China is now coming to the forefront. It looks like the situation around YUKOS has played its role.“ So kam es Anfang Oktober 2003 zu einer Vereinbarung zwischen KazMunaiGaz und CNPC, den Bau des nächsten Abschnitts von Atasu nach Alashankou spätestens Mitte 2004 zu beginnen.923 Ferner sollte auch eine Machbarkeitsstudie über eine Erdgaspipeline von Kasachstan nach Xinjiang zu diesem Termin fertig gestellt sein (Abb. 71).924 Aber nicht nur in Kasachstan, sondern auch in Aserbaidschan gelang CNPC der verstärkte Einstieg in das von US-Konzernen dominierte Erdölgeschäft in der Kaspischen Region. So waren chinesische Unternehmen bei der Exploration und Entwicklung des größten Onshore-Projekts dem Kusangi-Karabagli Block tätig. Im Jahre 2002 kauften Subunternehmen von CNPC einen 50 Prozent Anteil an der Salyan Oil Operating Company. Die übrigen 50 Prozent sind im Besitz des staatlich aserbaidschanischen Erdölkonzerns SOCAR. Zudem haben chinesische Firmen Anteile an der Exploration und Entwicklung des South-West-Gobustan Onshore-Feldes. Im Frühjahr 2003 kaufte CNPC einen Kontrollanteil am Betreiber des Feldes, der Gobustan Operating Company. Und auch der Einstieg von Chinas Shengli Oil im Pirsaat Onshore-Feld am 4. Juni 2003 verdeutlicht das zunehmende Engagement und dadurch den steigenden Einfluss chinesischer Erdölkonzerne in der Kaspischen Region.925 Gerade bei Rentierstaaten, wie Aserbaidschan, Turkmenistan und Kasachstan bedeutet ein Einfluss auf den strategischen Erdöl- und Erdgassektor aber auch eine zunehmende politische Relevanz der chinesischen Staatskonzerne in den jeweiligen Förderstaaten. Das impliziert wiederum durch die Diversifizierung der dort tätigen Unternehmen eine Verringerung der Einflussnahme der russischen und der westlichen Konzerne und Regierungen auf die Politik der Länder.
5.15 Sicherung der Investitionen durch militärische Unterstützung Einhergehend mit den verstärkten Investitionen in den Energiesektor war und ist auch ein steigendes Engagement beim Aufbau der Sicherheitskräfte in Zentral923
Zhdannikov, Dmitry: Kazakhstan-China Oil Pipeline Work to Start 2004; in: Reuters News; factiva; 09.10.2003. 924 Interfax: Kazakhstan-China Gas Pipeline Study to be Ready in 2004; in: Interfax Energy News Service; factiva; 09.10.2003. 925 Oil & Capital Russia: Beijing Pumps Its Money Into ‘Safe’ Caspian Projects; in: Oil & Captial Russia; factiva; 24.09.2003.
5.15 Sicherung der Investitionen durch militärische Unterstützung
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asien und dem Südkaukasus zu verzeichnen. Diese Militärhilfen dienen der Sicherung der Erdöl- und Erdgastransporte in einer Region, die stark Krisen-, Konflikt- und Kriegsbelastet ist, ebenso, wie der Einflussnahme auf die jeweilige Regierung des Landes. Ein Staat, der bspw. von China militärische Unterstützung bekommt, wird damit die Diplomatie hinsichtlich der USA nicht erleichtern. Die VR China setzt bei der militärischen Unterstützung auf zwei Ebenen. Die erste Ebene ist die Einbindung der zentralasiatischen Staaten und Russland in die SCO. Neben der Intensivierung bei der wirtschaftlichen Kooperation und der Lösung von Streitigkeiten dient die Organisation dazu, die Sicherheitslage in der Region unter Kontrolle zu bringen. Dies geschieht vorwiegend nach Interessen der großen Staaten innerhalb der Organisation – Russland und China. Dafür werden vermehrt Manöver unter Beteiligung der Mitgliedsstaaten organisiert, wie bspw. im Jahre 2007 in Russland oder im Jahre 2009 in Kasachstan. Die zweite Ebene betrifft die direkte bilaterale Militärhilfe in den Staaten Zentralasiens. So verteilt Beijing seine Unterstützung auf alle Länder der Region, wobei der Löwenanteil auf Kasachstan fällt. So hat die chinesische Regierung vereinbart, 3,6 Millionen US-Dollar in den Aufbau der bewaffneten Truppen Kasachstans zu investieren. Zwar sind auch Russland und die NATO als Geldgeber für das kasachische Militär zu verzeichnen, die chinesischen Investitionen fließen jedoch, im Gegensatz zu den russischen und denen der NATO, in spezifische Projekte, die von strategischer Relevanz sind. Laut kasachischem Verteidigungsminister, Mukhtar Altynbayev, hat China für Geländefahrzeuge, Computer und chinesische Sprachprogramme Geld in Kasachstan ausgegeben. Weiterhin werden kasachische Militärs in chinesischen Marineakademien ausgebildet und China will Schiffe zur Unterstützung der kasachischen Marine bereitstellen.926 Aber auch die USA sind in der Region im militärischen Sektor aktiv. Bspw. hilft das Pentagon Aserbaidschan und Kasachstan beim Aufbau ihrer Küsteninfrastruktur. Ein mobiles Einsatzkommando der USA war im Jahre 2004 auf der aserbaidschanischen Apsheron-Halbinsel stationiert, um den Bau der BakuTbilissi-Ceyhan-Pipeline zu überwachen. In Turkmenistan sind vorwiegend türkische Unternehmen aktiv. Sie halfen z.B. bei der zivilen und militärischen Modernisierung des Hafens der westturkmenischen Stadt Turkmenbashi.927 Die Auswirkungen des militärischen Engagements in der Region lassen sich dann auch beim Aufbau der Pipelineinfrastruktur beobachten. Durch die starke US-Präsenz in der Kaspischen Region war es bisher nicht möglich, die günstigste Pipelinevariante für den Transport von Erdöl aus der landumschlossenen Re926 927
Mukhin, Vladimir: War of Routes; in: WPS Defense & Security; factiva; 28.01.2004. Mukhin, Vladimir: War of Routes; in: WPS Defense & Security; factiva; 28.01.2004.
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gion umzusetzen. Ein Nord-Süd-Korridor in den Iran und dann weiter bis zum Persischen Golf wäre eine deutlich günstigere Option gewesen, als der Bau der Baku-Tbilissi-Ceyhan-Pipeline. Das Erdöl könnte dann zur Versorgung des ostasiatischen Marktes herangezogen werden. Für den westlichen Markt könnte auch iranisches Erdöl über Swap-Geschäfte verkauft werden und durch Pipelines zum Mittelmeer oder direkt über russisches Territorium transportiert werden. Das wiederum würde eine Zeitersparnis von zehn bis zwölf Tagen im Vergleich zum traditionellen Tankertransport durch den Suezkanal einbringen. Diese Optionen sind jedoch so lange nicht möglich, bis vor allem die US-Sanktionen gegen den Iran aufgehoben werden.928 Auch Kasachstan steht unter dem Einfluss verschiedener Großmächte. So übt Russland Druck auf Astana aus, mehr Erdöl über russisches Territorium zu leiten. Die USA versuchen in ihrer Energiediplomatie Kasachstan dazu zu bewegen, eine Pipeline durch das Kaspische Meer zu legen, um die BTC-Pipeline in größerem Maßstab zu füllen. Dabei werden sie flankiert von Japan und der EU. Die EU hat ihre Bemühungen um den Ausbau der Erdöltransporte in Richtung Europa in Kasachstan verstärkt. China treibt seit Jahren den Bau der KasachstanChina-Pipeline voran. Bei den jeweiligen Projekten geht es immer um Transportkapazitäten von 20-50 Millionen Tonnen pro Jahr.929 Allerdings hatte Kasachstan im Jahre 2007 nur eine Exportkapazität von knapp 58 Millionen Tonnen Erdöl (Tab. 17). Das heißt, jede Zusage für ein Pipelineprojekt bedeutet, dass die Exportkapazitäten für die anderen Vorhaben schwinden. Dadurch kann aber wiederum der politische Druck auf Kasachstan von den Staaten, deren Unternehmen ihre Vorstellungen nicht umsetzen konnten, erhöht werden, damit nicht die letzte Chance auf Realisierung eines Projektes schwindet. Ein Beispiel dafür war der steigende Druck auf Astana von Seiten des USVerteidigungsministeriums Anfang des Jahres 2004. Während eines offiziellen Besuches in der kasachischen Hauptstadt am 25. Februar 2004 wollte der damalige Verteidigungsminister der USA, Donald Rumsfeld, über die geplante USMilitärhilfe für das laufende Jahr in Höhe von 4,2 Millionen US-Dollar mit der kasachischen Regierung verhandeln. Dabei stellte er die Bedingung, dass Astana darauf hinwirken sollte, dass die Kasachstan-China-Pipeline allein von der chinesischen Seite finanziert wird. Hintergedanke dabei war, dass CNPC daraufhin die Wirtschaftlichkeit der Pipeline in Frage stellt und das Projekt scheitern lässt. Washington zielte darauf ab, dass die US-Konzerne ihr Engagement in Kasachstan ohne zunehmende chinesische Konkurrenz fortführen könnte und China – nach dem vorläufigen Scheitern der Ostsibirien-China-Pipeline – weiterhin 928
Mukhin, Vladimir: War of Routes; in: WPS Defense & Security; factiva; 28.01.2004. Irwin, James; Teo, Karen: China: Plotting Next Moves in The Great Game; in: Energy Compass; factiva; 12.02.2004.
929
5.15 Sicherung der Investitionen durch militärische Unterstützung
401
hauptsächlich von Erdöltransporten über den Seeweg abhängig bliebe. Die Seewege wiederum, wie bspw. die Straße von Malakka, werden vorwiegend von der US-Marine kontrolliert. Zudem wären so die kasachisch-chinesischen Beziehungen torpediert worden, was eine Zunahme an Einfluss der US-Politik in Zentralasien zur Folge gehabt hätte.930 Allerdings hatte die US-Regierung in diesem Falle keinen Erfolg. Am 23. Februar 2004 übersandte KazMunaiGaz die Machbarkeitsstudie über die 1.000 Kilometer lange Pipeline von Atasu nach Alashankou, die mit 800 Millionen US-Dollar Baukosten veranschlagt wurde an die kasachische Regierung. Da KazMunaiGaz ein staatliches Unternehmen ist, wäre es dazu nicht gekommen, wenn Rumsfeld die US-Interessen gegenüber Nursultan Nasarbajew hätte durchsetzen können.931 Anfang März 2004 gab der kasachische Premierminister Daniyal Akhmetov bekannt, dass die Regierung beschlossen habe, den Baustart für die Pipeline auf die Mitte des Jahres zu legen. Gründe dafür seien die schnelle Diversifizierung der kasachischen Erdölexporte und die mögliche Integration des kasachischen, russischen und chinesischen Erdölpipelinesystems. Da die Nachfrage in Chinas westlichen Regionen in den kommenden Jahren stark ansteigen werde, sei die Pipeline für den Export der steigenden kasachischen Produktion von großer Bedeutung. Dadurch könnten die bisherige Transportkapazität über Eisenbahnen von einer Million Tonnen pro Jahr auf erst zusätzliche zehn Millionen, später 20 Millionen Tonnen pro Jahr ausgebaut werden. Allerdings bliebe die Finanzierung der Pipeline alleine bei CNPC.932 Anfang April 2004 einigten sich KazMunaiGaz und CNPC darauf, dass auch der dritte Abschnitt der Kasachstan-China-Pipeline von Kenkiyak nach Kumkol gebaut werden solle. Baubeginn war, nach Abschluss der Machbarkeitsstudie, für Mitte des Jahres 2006 veranschlagt. Der späteste Termin für die Inbetriebnahme sei das Jahr 2010. Für die Finanzierung des mittleren Stückes seien sowohl KazMunaiGaz als auch CNPC verantwortlich. Nach Inbetriebnahme des letzten Teilstückes sollte dann auch die Pipeline von Kenkiyak nach Atyrau ihre Durchleitungsrichtung umkehren, so dass auch Erdöl vom Kaspischen Meer in den Westen der VR China gepumpt werden könne. Ferner solle die Pipeline nicht in Alashankou enden, sondern zur 300 Kilometer weiter in China gelegenen Raffinerie in Dushanzi gebaut werden. Dass die Pipeline weiterhin von gro930 Economist Intelligence Unit: China Risk: Alert – US Attempting to Undermine Oil Pipeline Project; in: Economist Intelligence Unit; factiva; 01.03.2004. 931 Interfax: Feasibility Study of China Pipeline Reaches Kazakh Govt.; in: Interfax Central Asia News; factiva; 23.02.2004. 932 BBC: Kazakh Premier Orders Construction of China Pipeline; in: BBC Monitoring Central Asia; factiva; 02.03.2004; Interfax: Chinese Ambassador Hails Kazakhstan Pipeline Link; Interfax Petroleum Report; factiva; 03.03.2004.
402
5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
ßer strategischer Bedeutung für beide Staaten war, lässt sich unter anderem daran ablesen, dass bei den Verhandlungen, neben hochrangigen Vertretern von KazMunaiGaz und CNPC, auch der kasachische Präsident Nasarbajew und der Präsident der China Development Bank, Chan Yuan, anwesend waren.933 Um sich aber nicht ganz in die Hände von CNPC begeben zu müssen, erklärte der kasachische Premierminister Daniyal Akhmetov, dass Kasachstan einen Anteil von mindestens 51 Prozent an der Pipeline erhalten müsse.934 Für die Füllung der Pipeline konnte Anfang des Jahres 2003 der kanadische Konzern PetroKazakhstan, die frühere Hurricane Hydrocarbons Inc., gewonnen werden. Im Jahre 2003 hatte das Unternehmen seine Produktion des zentralkasachischen Erdölfeldes bei Kumkol auf 75.000 Barrel am Tag ausgebaut. Laut eines Unternehmenssprechers stünden damit ungefähr 3,8 Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr zur Einspeisung in die Kasachstan-China Pipeline zur Verfügung. Anfang März 2004 gingen dann die ersten Gerüchte um, dass ein staatlicher Erdölkonzern Chinas Anteilseigner von PetroKazakhstan werden oder das Unternehmen ganz übernehmen könnte.935 Neben PetroKazakhstan sollte die Produktion von Aktobemunaygaz, das zu 100 Prozent im Besitz von CNPC ist, in Höhe von 100.000 Barrel am Tag zur Füllung der Pipeline verwendet werden. Allerdings gab es dabei verschiedene Standpunkte über die Wirtschaftlichkeit. Denn die 5,1 Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr wurden bisher über die CPC ans Schwarze Meer und dann auf den Weltmarkt geleitet. Diese Route ist wesentlich kürzer als die in Bau befindliche Westkasachstan-Westchina-Pipeline und der darauffolgende Transport von West- nach Ostchina. Die restlichen ca. 65 Prozent des zur Auslastung der geplanten Pipelinekapazität benötigten Erdöls sollte von Lukoil, TNK-BP und dem Nachfolgekonzern von Yukos aus Russland eingespeist werden.936 Die Garantie über die Auslastung der Pipeline stellte also nach wie vor ein Problem dar. Weitere Punkte, die bis zum Staatsbesuch Mitte Mai 2004 von Nursultan Nasarbajew in Beijing geklärt werden sollten, waren die jeweiligen Anteile an der Finanzierung der Pipeline, die Aufteilung der Besitzrechte – Kasachstan forderte einen Anteil von mindestens 51 Prozent – und die Vorstellung 933
Interfax: Kazakhstan, China Discussing Oil Pipeline Construction; in: Interfax Central Asia News; factiva; 03.04.2004; Interfax: Sino-Kazakh Pipeline Discussed in Almaty; in: Interfax China Business News; factiva; 08.04.2004; Interfax: Kazakhstan, China Discuss Oil Pipeline; in: Interfax Energy News Service; factiva; 07.04.2004. 934 Neff, Andrew: Kazakhs Want Greater Share of China Pipeline and Kumangazy Profits; in: Global Insight; factiva; 15.04.2004 935 Jang, Brent: PetroKaz Hits Record Highs; Speculation on China’s Role Helps Fuel Rise; in: The Globe and Mail; factiva; 09.03.2004. 936 Sampson, Paul: Kazakhstan: Chia Staps Up Pressure Over Export Pipeline; in: NEFTE Compass; factiva; 19.04.2004.
5.16 Phase II: Der Bau der Atasu-Alashankou-Pipeline
403
von KazMunaiGaz, die Pipeline bis an die Ostküste Chinas zu verlängern, um auch den südkoreanischen und japanischen Markt versorgen zu können.937
5.16 Phase II: Der Bau der Atasu-Alashankou-Pipeline Vom 16. Bis 19. Mai 2004 reiste Nursultan Nasarbajew für einen Staatsbesuch nach China. Nach Konsultationen mit dem chinesischen Präsidenten Hu Jintao wurden verschiedene Abkommen unterzeichnet. Neben der engeren Kooperation in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik sowie der Intensivierung der Zusammenarbeit hinsichtlich Sicherheit und des Handels im Rahmen der SCO, ging es auch um die Operationalisierung der Atasu-AlashankouPipeline. Nach Unterzeichnung der Dokumente äußerte sich Nasarbajew, dass der Baustart für die Pipeline, die seit 1997 geplant wurde, Mitte des Jahres 2004 sei. Fertig gestellt werde sie Ende des Jahres 2005. Alle Hindernisse, die der Konstruktion im Wege standen, hätten ausgeräumt werden können. Es bleibt zu vermuten, dass die Einigung auch aufgrund eines Geschenkes an den kasachischen Präsidenten zustande kam. Hu Jintao überreichte Nursultan Nasarbajew die chinesische Übersetzung seines zweiten Buches „The Critical Decade.“938 Die Einigung sah vor, dass der Baubeginn Anfang Juli 2004 erfolgen sollte. Die erste Phase der knapp 1.000 Kilometer langen Pipeline sollte Ende 2005 fertig gestellt sein und Anfang des Jahres 2006 in Betrieb gehen. Der Anschluss der zweiten Phase wurde für das Jahr 2011 festgelegt. Die veranschlagten 700 Millionen US-Dollar für den Bau sollte über Kredite mit chinesischer Bürgschaft finanziert werden.939 Zur Regelung der Eigentumsrechte hatten KazMunaiGaz und CNPC ein Joint Venture zum Betrieb der Pipeline gegründet. Beide erhielten daran einen Anteil von 50 Prozent und verpflichteten sich jeweils 50 Millionen US-Dollar einzubringen. Insgesamt sollte CNPC über einen Zeitraum von zehn Jahren 20 Milliarden US-Dollar zu Finanzierung des Baus der kompletten Pipeline vom Kaspischen Meer bis nach Alashankou investieren.940
937
Inzhenernaia Gazeta: Kazakhstan: CNPC and KazMunaiGaz Plan to Extend an Oil Pipeline from Kazakhstan to China to Allow Shipments to Eastern Chinese Provinces, Including Imports from Russia; in Inzhenernaia Gazeta; factiva; 27.04.2004. 938 Xinhua: Kazakhstan-China Oil Pipeline to Start Eastern Section Within Year, President; in: Xinhua News Agency; factiva; 18.05.2004. 939 Interfax: Kazakhstan, China to Build Atasu-Alashankou Pipeline; in: Interfax Energy News Service; factiva; 18.05.2004. 940 Interfax: Nazarbayev Propses New Oil, Gas Projects; in: Interfax Energy News Service; factiva; 18.05.2004.
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5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
Laut Nasarbajew sei die Auslastung der Pipelinekapazität dann kein Problem, wenn russische Konzerne sich entschlössen russisches Erdöl in die Pipeline einzubringen. Da die Ostsibirien-China-Pipeline nicht so schnell realisiert werden könne, könnten die Unternehmen die Omsk-Pawlodar-Shymkent-CharjouPipeline, die sehr nahe an Atasu vorbei ginge, nutzen, um Erdöl für die AtasuAlashankou-Pipeline zur Verfügung zu stellen. Wenn die Strecke fertig gestellt sei, könne zudem eine Erdgaspipeline parallel dazu gelegt werden. Diese Kooperation, so der Präsident, „would be profitable for Russian, Kazakh and Chinese energy companies.“941 Um das importierte Erdöl in China verteilen zu können, sollten zwei Pipelines genutzt werden. Eine Leitung von Shanshan in Xinjiang nach Lanzhou in der Provinz Gansu mit einer Länge von 1.500 Kilometern und einer Kapazität von zehn Millionen Tonnen pro Jahr und eine schon existierende 1.800 Kilometer lange Pipeline von Urumqi nach Lanzhou mit einem Durchleitungsvermögen von acht bis zehn Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr (vgl. Abb. 70). Die Pipeline Shanshan-Lanzhou sollte bis Ende des Jahres 2005 fertig gestellt sein, also rechtzeitig zur Inbetriebnahme der Atasu-Alashankou-Pipeline.942 Am 30. Juni 2004 wurde schließlich die Kazakhstan-China Pipeline LLP gegründet. An der zur Koordination des Baus und des Betriebs gegründeten Firma hatte KazTransOil, ein Teil von KazMunaiGaz, und China National Oil Development Corporation einer Tochtergesellschaft von CNPC jeweils einen Anteil von 50 Prozent.943 Ein Sprecher von KazTransOil äußerte sich zur Bedeutung der neu gegründeten Firma wie folgt: „The implementation of the project to build the AtasuAlashankou pipeline is in the strategic interests of KazTransOil and of the entire oil transport sector in Kazakhstan, based on the principles of diverse export routes and the maximum effective use of the pipeline system.”944 Die Reaktion von Seiten der USA auf das Abkommen von Mitte Mai 2004 zwischen Kasachstan und der VR China war frostig. Steven Mann, Sonderbotschafter des Außenministeriums der USA für die Energiepolitik im kaspischen Becken, erklärte, dass die USA zwar das Interesse der Regierung in Astana an der BTC-Pipeline als Exportoption begrüße. In Verhandlungen mit KazMunaiGaz hätte sich allerdings gezeigt, dass noch schwerwiegende Probleme gelöst werden müssten. Allerdings könne die Pipeline auch ohne kasachisches Erdöl 941
Interfax: Nazarbayev Propses New Oil, Gas Projects; in: Interfax Energy News Service; factiva; 18.05.2004. Xinhua: China Speeds Up Building West-East Oil Artery; in: Xinhua News Agency; factiva; 01.06.2004. 943 Auyeshanova, Aynur: KazTransOil: Stride Towards Strategic Partnership; in: Kazakhstanskaya Pravda; factiva; 02.07.2004. 944 Interfax: China, Kazakhstan Set up Pipeline Joint Venture; in: Interfax Energy News Service; in: factiva; 02.07.2004. 942
5.16 Phase II: Der Bau der Atasu-Alashankou-Pipeline
405
betrieben werden.945 Diese Aussage stellt eine vorläufige Kehrtwende in der USPolitik dar. Denn, wie oben beschrieben, hatte Steven Mann noch wenige Monate zuvor ein großes Interesse, Kasachstan zur Füllung der BTC zu bewegen. Nun, da die USA ihre Interessen in Kasachstan nicht hatten durchsetzen können und ihre Versuche, den Bau der Kasachstan-China-Pipeline zu unterbinden, gescheitert waren, war das Erdöl aus Kasachstan für den Bau der BTC anscheinend plötzlich irrelevant geworden. Abbildung 72: Pipelines in China
Quelle: CNPC: Domestic Oil & Gas Pipeline Network; in: Energy Supply; CNPC Online; http://www.cnpc.com.cn/resource/english/images1/pdf/07 20csr 20report/7-Energy 20Supply.pdf; Zugriff: 03.05.2009.
Anfang Juni 2004 erklärte sich die russische Transneft bereit, zehn bis zwölf Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr bereitzustellen, um die Pipeline von Atasu nach Alashankou zu füllen. Für den Transport zur Leitung könne die Omsk-Pawlodar945
Turan Information Agency: Steven Mann: Success of Baku-Tbilisi-Ceyhan Oil Pipeline Does Not Depend on Kazakh Oil; in: Turan Information Agency; factiva; 01.06.2004.
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5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
Shymkent-Charjou-Pipeline genutzt werden. Laut dem Präsidenten von Transneft, Semyon Vainshtok, wäre der Konzern zwar auch noch an einer Route von Omsk in den Iran interessiert. Es gäbe jedoch Unstimmigkeiten mit Turkmenistan, die den Bau der Pipeline behinderten.946 Mit den zehn bis zwölf Millionen Tonnen zusätzlichem Erdöl zu den neun Millionen Tonnen von Aktobemunaygaz und PetroKazakhstan könnte aber die Pipeline nach China voll ausgelastet werden. Auf der Suche nach weiteren Möglichkeiten zur Belieferung der Pipeline begann Shengli Oil Mitte Juni 2004 in Kirgistan nach Erdöl zu suchen. Die Tätigkeiten beschränkten sich erst auf das Altai-Tal, in dem gesicherte Reserven von 50 Millionen Tonnen lagerten.947 Der chinesische Präsident Hu Jintao machte zur gleichen Zeit einen Staatsbesuch in Usbekistan, um dort über ein chinesisches Engagement hinsichtlich der Ausbeutung der dortigen Erdöl- und Erdgasvorkommen zu verhandeln.948 Auch ein Treffen der SCO im September 2004 stand im Zeichen der Energiezusammenarbeit in der Region. Die Staatschefs der sechs Mitgliedsstaaten Russland, VR China, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan unterzeichneten einen Plan, der unter anderem einen Katalog verschiedener Kooperationsprojekte im Energiebereich vorsah. Eingebettet sollten diese Projekte in eine Schritt-für-Schritt Implementierung des freien Handels bei Waren, Kapital, Dienstleistungen und Technologien sowie der Harmonisierung der legislativen Systeme innerhalb der SCO sein. Kasachstans Premierminister Daniyal Akhmetov erklärte, dass der Plan eine neue Energiekooperation in der asiatischen Region zulasse. Dazu gehöre neben anderen Pipelineprojekten auch die KasachstanChina-Pipeline.949 Trotz dieser Erfolge für die chinesische Erdölindustrie in der Kaspischen Region und den Bekundungen von KazMunaiGaz und KazTransOil, dass die Zusammenarbeit mit China zu einer strategischen Partnerschaft generiere, gab es aber auch Rückschläge für CNPC in Kasachstan. Mitte August 2004 untersagte ein kasachisches Gericht für Wirtschaft die weitere Ausbeutung von 14 Erdölquellen in der Region Aktobe durch das Tochterunternehmen von CNPC Aktobemunaygaz. Schon im Mai des Jahres musste der chinesische Staatskonzern eine illegal betriebene 30 Kilometer lange Pipeline von Kenkiyak nach Zhanaz946
Interfax: Russion to Supply 12 Mln Tonnes of Oil to Kazakh-China Pipe; in: Interfax Petroleum Report; factiva; 09.06.2004. AFP: China’s Sinopec Searches for Oil in Neighbouring Kyrgyzstan; in: AFP; factiva; 15.06.2004. 948 AFX Asia: China’s Sinopec Searches for Oil in Neighbouring Kyrgyzstan; in: AFX Asia; factiva; 16.06.2004. 949 Golubov, Andrei; Lymar, Anton: Russia Insists on Boosting SCO Cooperation Plan; in: Inter-Tass World Service; factiva; 23.09.2004. 947
5.16 Phase II: Der Bau der Atasu-Alashankou-Pipeline
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hol einstellen. Zur Begründung für den Produktionsstopp der Erdölquellen erklärte das Gericht, dass Umweltstandards nicht eingehalten worden seien. Für CNPC war dies auch ein Rückschlag, da das Erdöl zur Befüllung der Kasachstan-China-Pipeline genutzt werden sollte.950 Nicht zuletzt aufgrund dieser Probleme, die von CNPC als politisch motiviert eingeschätzt wurden, verzögerte sich der Baubeginn der Atasu-Alashankou-Pipeline.951 Der eigentlich für Juli/August geplante Spatenstich, sollte Mitte des Jahres 2004 auf Ende September verschoben werden.952 Einen Tag vor der geplanten Feier zum Baubeginn der Pipeline brachte sich Russland ins Spiel. Der russische Energieminister Viktor Khristenko sagte am 27. September 2004 bei einem Besuch in Kasachstan, dass russische Firmen sich an der Pipeline beteiligten, wenn die beiden Staaten im Energiebereich näher kooperieren werden. Die Tätigkeiten im Erdöl- und Erdgasbereich in beiden Staaten sollten jeweils transparent gemacht und weitestgehend koordiniert werden.953 Nach Angaben der International Mineral Resources Academy in Kasachstan, waren die Betreiber der Pipeline auf russisches Erdöl zur Auslastung der Kapazität angewiesen, da die kasachische Produktion nicht dafür ausreichte. So wie es jetzt aussah machte Russland die Erdöllieferungen aber davon abhängig, ob es zu einer engeren Zusammenarbeit zwischen Russland und Kasachstan im Erdöl- und Erdgassektor käme. Hintergrund dessen ist der drohende Einflussverlust Russlands auf sein nahes Ausland, wenn die Pipelineexportinfrastruktur zu sehr diversifiziert werde und der Transport der Rohstoffe nicht mehr fast ausschließlich über russisches Territorium erfolge. Auch müssten dann Einbußen bei den Einnahmen aus dem Transit hingenommen werden. Eine Option die drohenden Schäden einzugrenzen, ist zumindest die Beteiligung – und damit auch ein Mitspracherecht – an möglichst vielen Projekten zu erlangen.954 Allerdings scheint in diesem Falle der russische Energieminister nicht richtig informiert gewesen zu sein, denn schon einen Tag später bei der Zeremonie für den ersten Spatenstich der Bauphase für die Pipeline, am 28. September 950
Interfax: Court Bans CNPC-Aktobemunaigaz From Operating 14 Wells; in: Interfax Petroleum Report; 18.08.2004. 951 CNPC befürchtete, dass die kasachische Regierung und die staatlichen kasachischen Erdölkonzerne mit der Anhäufung von Finanzmitteln und der Ausweitung ihrer Fachkenntnisse weniger auf ausländische Investitionen und Technologietransfer angewiesen sein werden. Als Folge könnte die Regierung versuchen über Rechtsvorschriften oder juristische Verfahren die Anteilsverhältnisse in den Konsortien zu Gunsten der kasachischen Konzerne zu ändern, ähnlich wie dies in Russland passiert ist (Vgl. Kapitel 3.5.5.). 952 Platts: Kazakhstan-China; in: Platts Oilgram News; factiva; 16.09.2004. 953 RIA Novosti: Russia May Join Kazakhstan-China Oil Pipeline; in: RIA Novosti; factiva; 27.09.2004. 954 Interfax: Kazakhstan-China Pipe to Experience Oil Shortages; in: Interfax Energy News Service; factiva; 27.09.2004.
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2004, erklärte der kasachische Minister für Energie und mineralische Ressourcen, Vladimir Shkolnik, dass die Pipeline auch mit westsibirischem Erdöl und Reserven der Yuzhno-Turgayskiy-Gruppe befüllt werde: „The oil pipeline will be filled with oil not only from deposits of Yuzhno-Turgayskiy but also from Western Siberia.“ CNPC, die für die Befüllung der Pipeline verantwortlich sei, führe mit Unterstützung der kasachischen Regierung die Verhandlungen u.a. mit Yuzhno-Turgayskiy und Lukoil in dieser Sache.955 Eine Einleitung von westsibirischem Erdöl in die Pipeline bedeutete aber auch eine direkte Konkurrenzsituation mit der EU hinsichtlich der Reserven aus der Region. Denn bisher profitierte vorwiegend die europäische Staatengemeinschaft von diesem Erdöl aus Russland. Der Energieminister betonte die „great strategic importance of the pipeline for the development of Kazakhstan’s economy. […] This is a chance for our oil to enter the extremely big Chinese market of hydrocarbons, which is developing very rapidly. This is a chance for our transit potential to be used for receiving oil from Western Siberia. This is about 500 new jobs [which will be created] during the period of the operation of the oil pipeline.” Laut Geschäftsführer von KazMunaiGaz, Kairgeldy Kabyldin, kämen über 70 Prozent der Investitionen in die Pipeline kasachischen Konzernen zugute. „60 per cent of the construction of the linear [section of the] pipeline will be carried out by Kazakh contractors. […] All the work related to the construction of pump stations, communications and control systems” werde von kasachischen Konzernen ausgeführt.956 Die Konstruktionskosten, die nun auf 700 Millionen US-Dollar veranschlagt waren, wurden, anders als ursprünglich geplant, auf KazMunaiGaz und CNPC zu gleichen Teilen verteilt. Allerdings werde nur CNPC den Kredit bei einer Bank unterzeichnen. Die Bank sei, laut dem kasachischen Energieminister auch schon gefunden. Es sei die Bank mit den niedrigsten Zinssätzen.957 Ihor Wasylkiw, Sprecher von PetroKazakhstan, machte auf einen weiteren Vorteil der Pipeline für die Transporte seines Konzerns nach China aufmerksam. Laut firmeninternen Berechnungen könne PetroKazakhstan, das seit Juni 2002 Erdöl per Eisenbahn in Richtung China geleitet hatte, nun 3,50 US-Dollar pro Barrel an Transportkosten einsparen. Bei einer Summe von 637 Millionen Barrel im Jahre 2003 wären dies immerhin 2,2 Milliarden US-Dollar.958 955 BBC: Kazakh Pipeline to China to Transport Russian Oil – Energy Minister; in: BBC Monitoring Central Asia; factiva; 28.09.2004; Russian Oil & Gas Report: Construction of the Oil Pipeline From Kazakhstan to China Started; in: Russian Oil & Gas Report; factiva; 01.10.2004. 956 BBC: Kazakh Pipeline to China to Transport Russian Oil – Energy Minister; in: BBC Monitoring Central Asia; factiva; 28.09.2004. 957 RIA Novosti: Kazakhstan to Gain Access to World Hydrocarbon Markets Bypassing Russia, in: RIA Novosti; factiva; 29.09.2004. 958 Sampson, Paul: Kazakhstan: Kazakh-China Pipe on the Fast Track; in: NEFTE Compass; factiva;
5.17 Ausweitung der chinesischen Tätigkeiten in Kasachstan
409
Neben PetroKazakhstan, chinesischen und russischen Konzernen, die sich zur Belieferung der Pipeline bereit erklärten, zeigten nach dem ersten Spatenstich, auch westliche Konzerne aus dem Agip KCO-Konsortium, dass das Kashagan-Feld im kasachischen Teil des Kaspischen Meeres betreibt, Interesse an der Pipeline als Exportoption. „China has got to be on our radar screen,“ äußerte sich z.B. Martin Ferstl, oberster Repräsentant von Shell in Kasachstan959. Und auch Luis Coimbra, Geschäftsführer für Eurasien bei ChevronTexaco, erklärte, dass Chevron „very exited“ über die Marktmöglichkeiten in China sei: „We are very interested in the Kazakhstan-China pipeline.“ Allerdings sei China und nicht ChevronTexaco der Motor für die Entwicklung des 3.300 Kilometer langen Pipelinesystems: „The Chinese need to be the motor behind it because it is Chinese demand that needs to be satisfied.“ Auf die Frage, ob er sich eine Beteiligung von ChevronTexaco am Bau des fehlenden Stückes von Kenkiyak nach Kumkol in der Kasachstan-China-Pipeline vorstellen könne, antwortete Coimbra allerdings: „I won’t talk about our investment program but I can tell you that if this is about investing in one potential link of a multiple link pipeline, we are probably not interested.”960
5.17 Ausweitung der chinesischen Tätigkeiten in Kasachstan Zwar wollten die in Kasachstan tätigen westlichen Erdölkonzerne wohl auch von der neuen Exportmöglichkeit in die VR China profitieren, aber nur, wenn keine eigenen Investitionen getätigt werden mussten. So versuchten chinesische Konzerne ihre Tätigkeiten in Kasachstan aufzunehmen, bzw. auszuweiten. Sinopec gelang bspw. im Oktober 2004 der Kauf von Aktiva der US-amerikanischen First International Oil Company im Wert von über 150 Millionen US-Dollar. Das Unternehmen war im Besitz des 150 Kilometer westlich von Atyrau gelegenen Feldes Sazankurak mit einer Produktionskapazität von 200.000 Tonnen Erdöl im Jahr und von fünf Explorationsblöcken nahe des Kaspischen Meeres.961 Neben dem Sazankurak-Feld, das sein Förderplatteau schon erreicht hatte, machte sich Sinopec vorwiegend Hoffnung auf größere Funde bei den fünf weiteren Blöcken (Abb. 73).962 07.10.2004. 959 Sampson, Paul: Kazakhstan: Kazakh-China Pipe on the Fast Track; in: NEFTE Compass; factiva; 07.10.2004. 960 Platts: Chevron Texaco Eyes China to Diversify Exports From Tengiz Field; in: Platts Commodity News; factiva; 13.10.2004. 961 Alexander’s Oil & Gas Connections: Sinopec Buys Kazakh Oil Assets; in: Alexander’s Oil & Gas Connection Online; http://www.gasandoil.com/goc/company/cnc44529.htm; Zugriff: 05.05.2009. 962 Sampson, Paul: China Snaps Up Us Firm’s Interests In Kazakhstan; in: NEFTE Compass; factiva;
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5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
Abbildung 73: Chinesische Beteiligung im kasachischen Erdölsektor Anfang 2005
Quelle: Eigene Bearbeitung; EIA (2004): Kazakhstan: Proposed Pipeline to China; in: EIA Online; http://www.eia.doe.gov/emeu/cabs/Kazakhstan/images/Map_KZ-CH_2Aug04.pdf; Zugriff: 02.02.2009.
Auch CNPC konnte im Februar des Jahres 2005 einen neuen Erfolg in Kasachstan erzielen. Sie kaufte das Arysskoye Erdölfeld mit einer Produktion von 4.500 Barrel am Tag (ca. 200.000 Tonnen pro Jahr) von der staatlichen kasachischen AiDan Munai in Zentralkasachstan (Abb. 73).963 Die Investitionen chinesischer Erdölkonzerne in kasachische Erdölfelder beliefen sich mit diesem Zukauf auf 1,3 Milliarden US-Dollar bis Februar 2005. Für die Kasachstan-China-Pipeline 30.09.2004; Neff, Andrew: Sinopec Acquires Kazakh Oil Assets With FIOC Purchase; in: Global Insight; factiva; 22.10.2004. 963 Sampson, Paul; Ritschie, Michael: Rooster: Chinese Dig Deeper Into Kazakhstan; in: NEFTE Compass; factiva; 10.02.2005.
5.17 Ausweitung der chinesischen Tätigkeiten in Kasachstan
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wurden zudem noch einmal ca. 1,5 Milliarden US-Dollar an Investitionsvolumen für CNPC fällig.964 Neben dem Interesse an weiteren Beteiligungen im kasachischen Erdölsektor gingen parallel die Verhandlungen über den Bau einer Erdgaspipeline von Kasachstan nach China weiter. Ende Januar 2005 wurden Studien über die kasachischen Reserven abgeschlossen, die für den steigenden Bedarf in der Volksrepublik von Interesse waren. Ebenso wurde die Arbeit an einer Machbarkeitsstudie begonnen. Die Inbetriebnahme der Erdgaspipeline, die direkt neben der Kasachstan-China-Erdölpipeline verlaufen soll, wurde für das Jahr 2008 veranschlagt. Die Kapazität der Leitung sollte acht bis zehn Milliarden Kubikmeter umfassen.965 Eine Erdgaspipeline nach Xinjiang wäre ein großer Durchbruch für die Diversifizierungsbemühungen bei diesem Energieträger für die zentralasiatischen Staaten. Bis auf eine kleine Pipeline von Turkmenistan in den Iran wird bisher sämtliches Erdgas aus Zentralasien über russisches Territorium in Richtung Europa geleitet.966 Schließlich startete, nach dem Beginn der Konstruktion des kasachischen Sektors der Atasu-Alashankou-Pipeline im September 2004, am 23. März 2005 die Bauphase des in Xinjiang veranschlagten 240 Kilometer Abschnitts von der chinesischen Grenzstadt Alashankou zur Raffinerie in Dushanzi. Die Fertigstellung der Pipeline von Atasu nach Alashankou war zu diesem Zeitpunkt für den 16. Dezember 2005 geplant.967 Als ein Subunternehmen für den Bau wurde die kasachische Kazstroitekhmontazh JSC von China Petroleum Pipeline Engineering (CPPE) verpflichtet.968 Das Problem der Füllung der Kapazität der Pipeline von erst zehn Millionen Tonnen, später dann 20 Millionen Tonnen pro Jahr war jedoch im Frühjahr 2005 – also ein dreiviertel Jahr vor der geplanten Inbetriebnahme – immer noch nicht gelöst. Der Vorschlag des kasachischen Energieministers , die Pipeline zu jeweils 50 Prozent aus dem Turgai Bassin nahe Kumkol und zu 50 Prozent mit westsibirischem Erdöl zu befüllen, wurde zwar von CNPC für gut befunden. Allerdings wurden diesbezüglich noch keine Verträge unterzeichnet.969 964
Aris, Ben: In 1842 a British Captaion Lost His Head … Now the Contest is About Oil; in: The Business; factiva; 13.02.2005. 965 Itar-Tass: Kazakhstan, China in Preliminary Talks on Gas Pipeline; Itar-Tass World Service; factiva; 05.02.2005. 966 Russian Oil & Gas Report: Kazakh National Oil Company KazMunayGaz Reports That it is Considering the…; in: Russian Oil & Gas Report; factiva; 09.02.2005. 967 China Energy Daily News: Construction Starts on Xinjiang Section of Kazakhstan-China Oil Pipeline; in: China Industry Daily News; factiva; 24.03.2005; Xinhua News Agency: China Starts Work on Kazakhstan-China Oil Pipeline; in: Xinhua News Agency; factiva; 24.03.2005. 968 Interfax: CPPE of China Subcontracted Kazstroitekhmontazh to Construct a Section of Kazakhstan-China; in: Interfax Central Asia News; factiva; 30.03.2005. 969 Interfax: China Negotiates Oil Sources for Atasu-Alashankou Pipe; in: Interfax Energy News
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5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
So betonte auch Giang Go Bao, zweiter Vorsitzender des chinesischen State Committee for Development and Reforms, beim ersten Treffen des kasachischchinesischen Unterausschusses für Energiekooperation am 5. April 2005 in Astana, dass weitere Investitionen in den kasachischen Erdölsektor unerlässlich seien: „Chinese party expressed intention to boost investing in oil industry, including Kazakhstan’s part of Caspian shelf.”970 Im Juni 2005 gab der Präsident der russischen Transneft, Semyon Vainshtok, eine Stellungnahme zur Befüllung der Atasu-Alashankou-Pipeline mit westsibirischem Erdöl ab. Er erklärte, dass es unmöglich sei, dass russisches Erdöl über die Omsk-Pawlodar-Shymkent-Erdölpipeline (Abb. 73) zur Einspeisung in die Kasachstan-China-Leitung genutzt werden könne. Der kasachische Vizeminister für Energie und mineralische Rohstoffe kommentierte dies: „Maybe he meant other kinds of moments, but those capacities that Russia and Kazakhstan have today are sufficient enough to pump 10 million tonnes of oil a year into this system. […] Nobody has worked with Transneft concerning this project. Talks are currently underway with oil companies, and then when they agree and come to Transneft, Transneft will say that this is not a possibility for us.” Daraus wird ersichtlich, dass zu diesem Zeitpunkt die Wirtschaftlichkeit der Pipeline an der russischen Option hing und dass sich sowohl Kasachstan, als auch China in dieser Hinsicht in Zweckoptimismus übten. Denn immerhin sollte die Pipeline spätestens Anfang 2006 in Betrieb gehen und die Auslastung der Kapazität musste bis dahin geklärt werden.971
5.18 Die Schlacht um PetroKazakhstan Eine Chance, die Kasachstan-China-Pipeline mit weiteren eigenen Produktionskapazitäten zu füllen, bot sich für CNPC Mitte Juni 2005. Nachdem schon im März des Jahres 2004 die ersten Gerüchte um einen möglichen Verkauf des in Kasachstan tätigen und in Kanada ansässigen Konzerns PetroKazakhstan verbreitet wurden, verdichteten sich nun die Informationen, dass die Firma zur Übernahme bereit stand (Tab. 16). Attraktiv war das Unternehmen für die chinesische Seite, da einige Erdölfelder, die von PetroKazakhstan betrieben wurden, nahe der Kasachstan-China-Pipeline gelegen waren und eine zusätzliche ProdukService; factiva; 05.04.2005. 970 The Times of Central Asia: Kazakhstan, China Sign Energy Cooperation Accord; in: The Times of Central Asia; factiva; 05.04.2005. 971 Interfax: Kazakhstan Still Expects to Fill Pipeline to China With Siberien Oil; in: Interfax Central Asia News; factiva; 02.06.2005; Interfax: Transneft Will Not Participate in Kazakhstan-China Pipe; in: Interfax Central Asia News; factiva; 21.06.2005..
5.18 Die Schlacht um PetroKazakhstan
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tionskapazität von ca. 200.000 Barrel am Tag (ca. 10 Millionen Tonnen pro Jahr) zur Debatte standen. Und PetroKazakhstan hatte schon zugesagt, sich an der Befüllung der Pipeline zu beteiligen. Aber auch aus Indien kamen Interessenbekundungen der indischen OME, einem Konsortium zwischen Indiens ONGC und der Mittal Stahl Gruppe. Die US-amerikanische ConocoPhillips zeigte auch Interesse. Zudem hatte die russische Lukoil ein Auge auf PetroKazakhstan geworfen. Immerhin produzierte das kanadische Unternehmen sieben Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr, verfügte über ca. 360 Millionen Barrel gesicherter Reserven und war Betreiber einer Raffinerie in Kasachstan.972 Tabelle 16: PetroKazakhstan in Zahlen Erdölproduktion (Halbjahr 1 2005) Marktkapitalisierung Reserven (gesichert und prognostiziert) Profit (2. Quartal 2005) Lizenzen für Erdölfelder
Raffinerien (Kapazität)
105.947 Barrel am Tag 3 Milliarden US-Dollar 550 Millionen Barrel 138,7 Millionen US-Dollar (+13,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr) Kumkol South, South Kumkol, Kumkol North, Kyzylkiya, Akshabulak, Aryskum, Maibulak, East Kumkol, North Nurali, Nurali and Aksai Shymkent (140.600 Barrel am Tag)
Quelle: Neff, Andrew: Bidding War for PetroKazakhstan Tades Shape; in: Global Insight Daily Analysis; factiva; 16.08.2005.
Die kanadische Seite hatte sich zum Verkauf entschlossen, da für sie Kasachstan zunehmend an Attraktivität für weitere Investitionen verlor. Erstens betrieb PetroKazakhstan ein 50:50 Joint Venture mit Lukoil hinsichtlich der Turgai Petroleum im Südwesten Kasachstans. Hier konnten sich die beiden Konzerne nicht über die Preispolitik beim geförderten Erdöl einigen. Ferner gab es einen Gerichtsbeschluss, nach dem PetroKazakhstan über 500 Millionen US-Dollar an Kompensationszahlungen an Lukoil überweisen sollte, da drei Millionen Barrel Erdöl vom kanadischen Unternehmen widerrechtlich gefördert worden waren.973 Zweitens brachte die kasachische Regierung eine Anordnung heraus, der zufolge alle Erdölkonzerne in Kasachstan ihre Produktion von Erdöl reduzieren sollten, so dass das Abfackeln von Erdgas, das bei der Förderung von Erdöl immer zu Tage tritt, unterbunden werden konnte. Dies bedeutete für PetroKa972
Asia times: Kazakh oil coup for China, India cries foul; in: www.atimes.com; Zugriff: 24.08.2005. Irwin, James: Is PetroKazakhstan China’s Next Target?; in: International Oil Daily; factiva; 28.06.2005. 973
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5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
zakhstan eine Verminderung ihrer Produktion von 150.000 Barrel am Tag auf 100.000 Barrel am Tag, also von 7,68 Millionen Tonnen auf 5,12 Millionen Tonnen pro Jahr. Bei einem durchschnittlichen Erdölpreis von 54,52 US-Dollar pro Barrel im Jahre 2005 entspräche das einem Verlust von 2,7 Millionen USDollar. Martin Molyneaux von FirstEnergy Capital in Calgary erklärte in diesem Zusammenhang, dass es schwierig sei die nächsten Schritte der kasachischen Regierung einzuschätzen: „They do unpredictable and odd things. […] Their decision to reduce flaring costs the country several hundred thousand barrels of lost production at a time when oil prices are at record levels. Making oil companies comply was not an economically smart thing to do.“974 Kaum war die Verkaufsoption für über 2,5 Milliarden US-Dollar bekannt geworden, erklärte die kasachische Regierung, dass sie ein Vorkaufsrecht am kanadischen Konzern habe. Der kasachische Energieminister Vladimir Shkolnik erläuterte gegenüber der Presse: „If there is such an offer, we’ll consider it and take a decision whether to buy [it] or approve the transaction.” Shkolnik berief sich dabei auf die Rechtslage in Kasachstan: „The Kazakh government will have the first right of refusal on any asset sales by PetroKazakhstan – of course, at a market price. […] If any company is selling assets to another company, it has to first get Kazakh government approval.” Ein Firmensprecher von PetroKazakhstan entgegnete dazu: „If somebody comes in with a bid that offers considerable value to our shareholders, the board would consider it.”975 Anfang Juli 2005 reiste Hu Jintao nach Kasachstan, um über den Aufbau einer strategischen Partnerschaft mit dem Nachbarland zu verhandeln. Bei den Verhandlungen ging es neben einer engeren bilateralen Kooperation bei Sicherheitsfragen auch um eine Zusammenarbeit in den Bereichen Handel und Kultur. Im Energiesektor sollte der Bau einer Eisenbahnstrecke vom Kaspischen Meer nach Westchina und die Verlegung einer Erdgaspipeline parallel zur KasachstanChina-Erdölpipeline vorangetrieben werden. Hu versprach eine rasche Umsetzung der Projekte, nicht zuletzt, um den Weg zu bereiten für einen reibungslose Übernahme PetroKazakhstans durch CNPC.976 Nach den bilateralen Verhandlungen zwischen Kasachstan und China fand ein Treffen der SCO in Astana statt. Zur Versammlung erhielten Indien, Pakistan und Iran einen Beobachterstatus. Vor allem die Einladung des Iran, die von Seiten der USA als Affront gesehen wurde, verdeutlicht die Versuche Russlands 974
Irwin, James: Is PetroKazakhstan China’s Next Target?; in: International Oil Daily; factiva; 28.06.2005. 975 Ritschie, Michael: Kazakhs Claim Veto Rights Over Any PetroKazakhstan Deal; in: International Oil Daily; factiva; 30.06.2005. 976 BBC: Sino-Kazakh Joint Statement on Strategic Partnership; in: BBC Monitoring Asia Pacific; factiva; 04.07.2005.
5.18 Die Schlacht um PetroKazakhstan
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und Chinas eine asiatische Sicherheits- und Energieinfrastruktur aufzubauen. So forderte die SCO im Sommer 2005 erstmals eine Deadline für den Abzug der US-geführten Koalition aus Afghanistan und eine Schließung der USamerikanischen Luftwaffenstützpunkte in Kirgistan und Usbekistan.977 Die Einigkeit in diesem Punkt war sicherlich ein Grund für einen Erfolg Chinas bezüglich der Lieferung von russischem Erdöl zur Auslastung der Pipeline-Kapazität von Atasu nach Alashankou. Laut Nurbol Sultan, stellvertretender Geschäftsführer von KazTransOil, werde Russland jährlich fünf Millionen Tonnen Erdöl in die Atasu-Alashankou-Pipeline einfüllen.978 Dennoch verstärkte CNPC über ihr Tochterunternehmen PetroChina das Engagement im Bieterwettbewerb um PetroKazakhstan, dem nach Chevron zweitgrößten Investor in Kasachstan. Die erste Gebotsrunde schloss dann auch am 15. August 2005 mit Geboten von PetroChina und ONGC-Mittal in Höhe von 3,4 Milliarden und 3,6 Milliarden US-Dollar. Die beiden anderen Akteure, Lukoil und KazMunaiGaz, von denen ein Angebot erwartet wurde, hielten sich wohl aus taktischen Gründen vorerst zurück.979 Nur knapp eine Woche später erhöhte PetroChina ihr Angebot um eine halbe Milliarde US-Dollar auf 4,18 Milliarden US-Dollar. Das entsprach einem Preis pro Aktie von 55 US-Dollar. Ein Preis, der 21,1 Prozent über dem Schlusswert der Aktie an der NYMEX vom 19. August 2005 lag.980 Ein Sprecher von PetroKazakhstan erläuterte zur anstehenden Übernahme, dass das Vorkaufsrecht der kasachischen Regierung in diesem Fall hinfällig sei. Es würden kanadische Aktien verkauft und nicht kasachische Erdölaktiva. Insofern wären auch den Verkauf betreffende Proteste aus Astana gegenüber der Vereinbarung zwischen PetroKazakhstan und PetroChina hinfällig.981 Dennoch versuchte die kasachische Regierung ihre Vorkaufsrechte zu schützen. Im September brachte sie einen Ergänzungsantrag ins kasachische Parlament ein, wonach die Regierung das Recht bekommen sollte, den Vorzug bei allen Geschäften, die Firmen betreffen, die im Erdölsektor tätig sind, zu erhalten. Bei schneller Abwicklung des Antrags hätte die Ergänzung den Deal 977
The Economist: Suppression, China, Oil – The Shanghai Co-operation Organisation; in: The Economist; factiva; 09.07.2005. Russian Financial Control Monitor: Russia to Export 5 Mln Tons of Oil to China by KazakhstanChina Pipeline; in: Russian Financial Control Monitor; factiva; 14.07.2005. 979 Neff, Andrew: Bidding War for PetroKazakhstan Tades Shape; in: Global Insight Daily Analysis; factiva; 16.08.2005; Financial Express: ONGC Mittal Likely to Outbid China National in PetroKazakh; in: Asia Africa Intelligence Wire; factiva; 17.08.2005. 980 Knell, Steven: China National Petroleum Corp. to Acquire PetroKazakhstan in US$4.18-bil. Deal; in: Global Insight Daily Analysis; factiva; 22.08.2005. 981 Bradsher, Keith; Pala, Christopher: Chinese Beat India for Kazakh Oil Fields But Shadow Emerges Over $4.2 Billion Deal; in: The New York Times; factiva; 23.08.2005. 978
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zwischen PetroKazakhstan und PetroChina noch verhindern können, denn die Abstimmung der Aktionäre von PetroKazakhstan betreffend der Übernahme war erst für Mitte Oktober vorgesehen.982 Und auch Lukoil brachte sich neu ins Spiel, nachdem die Exploration von einigen Blöcken im Tengiz-Feld in Westkasachstan gescheitert war. Die Konzernführung argumentierte, dass sie zur Hälfte am Joint Venture Turgai Petroleum mit PetroKazakhstan beteiligt sei und deshalb bei den entsprechenden Erdölfeldern nahe Kumkol ein Vorkaufsrecht habe. Aber auch in diesem Fall wies Ihor Wasylkiw, Sprecher von PetroKazakhstan, die Forderung zurück: „We have indeed received notification from Lukoil stating their position ... and we have indicated that we don't agree with their position and point of view.” Die kanadische Firma sei zum Verkauf angeboten und nicht Aktiva in Kasachstan.983 Daraufhin erklärte Lukoil, dass es in dieser Angelegenheit vor ein kanadisches Gericht ziehen werde. Allerdings wies das Alberta Court of Queen’s Bench am 25. Oktober 2005 das angestrebte Verfahren von Lukoil zurück. Damit waren Lukoil alle Instrumente zur Verhinderung der Übernahme genommen.984 Ein anderes Hindernis war nach wie vor die kasachische Regierung. Es gab von chinesischer Seite Befürchtungen, dass, nachdem das kasachische Parlament den Ergänzungsantrag der Regierung am 12. Oktober 2005 bestätigt hatte, es zu einer ähnlichen Situation kommen könnte wie im Bieterwettbewerb um Unocal im selben Jahr. Dabei intervenierte der US-Senat gegen die Übernahme von Unocal durch die chinesische CNOOC (Kap. 4.4.1). Allerdings benötigte das neue Gesetz in Kasachstan noch die Unterschrift des Präsidenten. Um den Deal nicht im letzten Moment scheitern zu lassen, unterbreitete CNPC Mitte Oktober 2005 der kasachischen Regierung einen neuen Vorschlag. Demnach sollte ein Anteil von 33 Prozent von PetroKazakhstan für 1,4 Milliarden US-Dollar an KazMunaiGaz verkauft werden.985 Die Unterschrift von Nursultan Nasarbajew kam jedoch nicht mehr schnell genug auf das Dokument. Am 6. November 2005 hatten die Aktionäre von PetroKazakhstan dem Verkauf des Unternehmens an PetroChina zugestimmt. Pang Changwei, Wissenschaftler an der China Petroleum University in Beijing, kommentierte das Ereignis wie folgt: „For China, [this deal] is a dream come 982
Sampson, Paul: Kazakhstan: Chinese Heading For Clash Over PetroKazakhstan; in: NEFTE Compass; factiva; 22.09.2005. 983 Sampson, Paul: Kazakhstan: Chinese Heading For Clash Over PetroKazakhstan; in: NEFTE Compass; factiva; 22.09.2005. 984 Singer, Jason: CNPC Hopes to Clinch PetroKaz Deal by Selling 33 Per Cent to Government; in: Wall Street Journal; factiva; 14.10.2005. 985 Neff, Andrew: Canadian Court Approves CNPC-PetroKazakhstan Deal; Global Insight Daily Analysis; factiva; 27.10.2005; Singer, Jason: CNPC Hopes to Clinch PetroKaz Deal by Selling 33 Per Cent to Government; in: Wall Street Journal; factiva; 14.10.2005.
5.19 Das Ende der zweiten Bauphase der Kasachstan-China-Pipeline
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true to realize a cross-border upstream and downstream oil deal simultaneously. […] The importance of the deal is determined also by the fact that Kazakhstan is a friendly neighboring country with great oil potential where the political risks for our companies are much smaller than in Sudan.”986 Mit der Übernahme von PetroKazakhstan gelang CNPC über ihr Tochterunternehmen PetroChina ein wichtiger Schritt zur eigenen Etablierung als TopAkteur im Erdölsektor Kasachstans und zur eigenständigen Befüllung der Kasachstan-China-Pipeline, so wie es im Vertrag von 1997 mit KazMunaiGaz vorgesehen war. Ein weiterer positiver Effekt der Bieterschlacht sowohl für China als auch für Indien war ein im August 2005 geschlossenes Abkommen zwischen den beiden Akteuren, das vorsah bei zukünftigen Bieterwettbewerben Absprachen zu treffen. Nicht zuletzt wird dies dem recht hohen Preis geschuldet sein, den PetroChina aufgrund der harten Konkurrenz um PetroKazakhstan bezahlen musste. Durch den Kauf konnte sich CNPC – der Mutterkonzern von PetroChina – als einer der größten Produzenten von Erdöl in Kasachstan etablieren. Westliche Konzerne, die ebenfalls ein großes Interesse an den Erdölvorkommen in Kasachstan haben, hielten sich höchstwahrscheinlich aus dem Bieterwettbewerb um PetroKazakhstan heraus, da CNPC angekündigt hatte, dass sie jeglichen Preis für die Übernahme bezahlen würden. Dies entspricht dem harten Kampf der chinesischen Erdölkonzerne, die Schwierigkeiten haben sich in dem seit Jahrzehnten verteilten Erdölmarkt zu positionieren.987
5.19 Das Ende der zweiten Bauphase der Kasachstan-China-Pipeline Eine weitere Vereinbarung über eine Beteiligung an der Erdölproduktion in Kasachstan konnten CNPC und CNOOC am 31. August 2005 mit KazMunaiGaz erzielen. Das Memorandum of Understanding sah die Exploration und Entwicklung des Darkhan-Erdölfeldes im nördlichen Kaspischen Meer vor. Damit kam bei den chinesischen Konzernen wieder die Hoffnung auf, sich doch in das Offshore-Geschäft in Kasachstan einbringen zu können, nachdem, wie oben beschrieben, die Versuche von CNOOC und Sinopec hinsichtlich des KashaganFeldes im Mai des Jahres 2003 gescheitert waren.988 986 Bezlova, Antoaneta: Energy: China Scores a Major Win in Central Asia Oil Deal; in: Inter Press Service; factiva; 07.11.2005. 987 Bradsher, Keith; Pala, Christopher: Chinese Beat India for Kazakh Oil Fields But Shadow Emerges Over $4.2 Billion Deal; in: The New York Times; factiva; 23.08.2005; Petroleum Intelligence Weekly: China Trumps India in Kazakh Takeover; in: Petroleum Intelligence Weekly; factiva; 29.08.2005. 988 Platts: KazMunaiGaz, CNPC, CNOOC Ink Deal on Darkhan Block Development; in: Platts
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Bezüglich des Darkhan Feldes hatte es zuvor schon verschiedene Memorandums of Understanding mit westlichen Erdölkonzernen gegeben. Doch der Verhandlungsprozess war aus drei Gründen bisher nicht weiter vorangetrieben worden. Erstens gab es Vorbehalte aufgrund des Steuersystems in Kasachstan, das erst im Laufe des Jahres 2005 für ausländische Investoren attraktiver gestaltet worden war. Zweitens kamen Zweifel auf, ob weitere große Entdeckungen, wie das Tengiz-Onshore- oder das Kashagan-Offshore-Feld gemacht werden könnten. Und drittens sind die Explorationskosten im Kaspischen Meer extrem hoch, so dass viele Firmen vorsichtig sind, ihre Investitionen auszuweiten.989 Insofern war die kasachische Regierung – zwar unter Vorbehalten – den chinesischen Investitionsbemühungen gegenüber nicht abgeneigt. Energieminister Vladimir Shkolnik äußerte sich dazu: „We have invested billions of dollars over the years to develop and upgrade our pipeline and transport system. […] Still, we need to improve our ability to move more oil from the Caspian Sea to world markets, and that requires greater investment in this infrastructure.”990 Ein Ausbauprogramm der Pipelineinfrastruktur für den Zeitraum 2006-2010, das Ende September von KazTransOil vorgelegt wurde, bestätigte die Aussage des Energieministers. Danach müssten mindestens 750 Millionen US-Dollar in die Überholung und den Ausbau des Erdöl-Pipeline-Systems investiert werden, um den zukünftigen Produktionskapazitäten gerecht zu werden.991 Dies war jedoch noch Zukunftsmusik. Denn die Probleme mit der Garantie von Produktionskapazitäten für die im Bau befindlichen Pipelines, zeigten sich nach wie vor an der Kasachstan-China-Pipeline. Die Verhandlungen mit den russischen Konzernen über belastbare Verträge gingen nur langsam voran. Anfang Oktober unterbreitete zwar die russische Rosneft ein Angebot über die Lieferung von 1,2 Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr zur Befüllung der neuen Exportroute nach China. Allerdings war die Inbetriebnahme der Pipeline für Anfang des Jahres 2006 geplant.992 Abschlüsse im Erdölsektor sind äußerst kompliziert und daher von langer Dauer geprägt. Das ist auch als Grund anzusehen, warum die kasachische und die chinesische Regierung nun jedes Forum nutzten, um die russischen Konzerne, bzw. die russische Regierung von der neuen Exportmöglichkeit für russisches Erdöl nach China zu überzeugen. Ein weiterer Versuch wurde bspw. beim Treffen der SCO Ende Oktober unternommen. Das Ergebnis
Commodity News; factiva; 08.09.2005. 989 Teo, Karen: Kazakh Oil Link Deal May be in Pipeline; in: The Standard; factiva; 09.11.2005. 990 PR Newswire: Kazakhstan Calls for Increased U.S. Investment to Help Bring More Oil to Market; in: PR Newswire; factiva; 09.11.2005. 991 Interfax: Kazakh Pipes Need 100 BLN Tenge in Investment; in: Interfax Petroleum Report; factiva; 28.09.2005. 992 Reuters: Rosneft Wants to Ship Oil to China Via Kazakh Link; in: Reuters; factiva; 11.10.2005.
5.19 Das Ende der zweiten Bauphase der Kasachstan-China-Pipeline
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war jedoch nur eine weitere Zusage der russischen Regierung, dass russische Konzerne sich an der Befüllung der Pipeline beteiligen werden.993 Die Fertigstellung des zweiten Teilstücks der Kasachstan-China-Pipeline gelang schließlich am 14. November 2005, also genau einen Monat und zwei Tage vor dem geplanten Bauabschluss. Die offizielle Einweihung und der Start der Befüllung der Pipeline sollten jedoch erst am 15. Dezember stattfinden.994 Am 3. Dezember 2005 gab es Wahlen in Kasachstan, bei denen Nursultan Nasarbajew für sieben Jahre als Präsident wiedergewählt wurde. Bei der Wahl erhielt er 91,6 Prozent der Stimmen, wobei Nasarbajews Hauptkonkurrent Scharmachan Tujakbaj, von der oppositionellen Bewegung „Für ein gerechtes Kasachstan“, auf 6,6 Prozent kam. Die Opposition wurde dabei schon im Vorfeld von der Regierung massiv beim Wahlkampf behindert. Wahlwerbung wurde zerstört, Treffen der Opposition wurden gestört. In den staatlichen Medien, die von Nasarbajews Tochter Dariga kontrolliert werden, tauchte ausschließlich das Bild des Präsidenten auf; die Opposition wurde diskreditiert. Nach Angaben von OSZE-Wahlbeobachtern entfielen 93 Prozent der Sendezeit zum Thema Wahlen auf Nursultan Nasarbajew. Da die Legitimität der erneuten Kandidatur des Präsidenten in der Bevölkerung diskutiert wurde und es in der Regierung Befürchtungen gab, dass es zu Massenkundgebungen gegen den Präsidenten kommen könne, wurden die „bunten Revolutionen“ in Georgien, Kirgistan und der Ukraine, die zu Regierungswechseln geführt hatten, negativ dargestellt. In den Medien wurde über die Instabilität der jeweiligen Gesellschaft berichtet. Die neuen Regierungen wurden als unfähig dargestellt, die Probleme in ihren Ländern unter Kontrolle zu bekommen.995 Die bilaterale Zusammenarbeit zwischen Kasachstan und China wurde kurz nach der Wahl von Nasarbajew als eine besondere strategische Partnerschaft bezeichnet. Er sagte, dass der bilaterale Handel auf fünf Milliarden US-Dollar angestiegen sei und auf zehn Milliarden ausgebaut werden solle. Dabei sei die Pipeline von Kasachstan nach China von großer Relevanz. Die Mitgliedschaft beider Staaten in der SCO habe die Zusammenarbeit im Energiesektor vorange-
993
Russian Oil & Gas Report: Russian Companies May Use Kazakh Pipeline for Oil Export to China; in: Russian Oil & Gas Report; factiva; 28.10.2005. 994 Neff, Andrew: Trans-Kazakhstan Oil Pipeline to China Completed; in: Global Insight Daily Analyses; factiva; 16.11.2005; Platts: Kazakhstan-China; in: Platts Oilgram News; factiva; 16.11.2005; Platts: Oil Filling in Kazakhstan-China Crude Line Slated to Begin Dec. 15.; in: Platts Commodity News; factiva; 17.11.2005. 995 Kleymann, Britta: Autoritärer Präsident Nasarbajew bei Wahl in Kasachstan klar bestätigt; in: Deutsche Welle Online; http://www.dw-world.de/dw/article/0,,1799565,00.html?maca=de-teas er_top_stories-212-rdf; Zugriff: 10.05.2009.
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trieben. Im Rahmen der Organisation solle die Kooperation mit China auf den Gebieten Handel, Wirtschaft, Sicherheit und Energie weiter ausgebaut werden.996 Neben diesen positiven Bekundungen von Seiten Kasachstans wuchsen auf chinesischer Seite die Ressentiments hinsichtlich der Auslastung der Kapazität der Atasu-Alashankou-Pipeline. Am 6. Dezember 2005, also neun Tage vor der offiziellen Eröffnung der Pipeline erklärte Zhou Dadi, Vorsitzender des chinesischen State Development and Reforms Committee’s Energy Research & Development Institute: „There are no guarantees that Russian companies will supply oil into the Kazakhstan-China pipeline. China will regret it if the expensive pipeline is partially unused.” Der Direktor des Oil Industry Departments des kasachischen Energieministeriums, Musabek Isayev, entgegnete daraufhin: „CNPC should resolve the problem of filling the Atasu-Alashankou pipeline. This company should agree with the Russians on oil supplies. At the initial stage Kazakhstan will supply Kumkol oil into the pipeline, and agreement on the remaining supplies is the affair of private companies.” Allerdings war zwischen CNPC und Rosneft oder anderen russischen Konzernen, die sich zur Befüllung der Pipeline bereit erklärt hatten, noch kein Vertrag zustande gekommen. Auch wurden von Seiten der russischen Unternehmen Zweifel geäußert, ob die Pipeline vom russischen Omsk nach Atasu eine ausreichende Kapazität für das zusätzlich durchzuleitende Erdöl zur Befüllung der Atasu-Alashankou-Pipeline habe.997 Nicht zuletzt aufgrund dieser ungeklärten Situation, die allerdings große Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit der Pipeline hatte, wurden Forderungen aus der chinesischen Administration laut, die Tätigkeiten der chinesischen Erdölkonzerne im Kaspischen Meer auszuweiten. Dazu müssten große chinesische Banken die Garantie geben, Kredite zu günstigen Konditionen an die staatlichen Erdölkonzerne zu vergeben. Die Intensivierung des Engagements müsse in bilateralen Verhandlungen und im Rahmen der SCO vorangetrieben werden.998 Am 15. Dezember 2005 fand schließlich die offizielle Eröffnung der AtasuAlashankou-Pipeline statt. Präsident Nursultan Nasarbajew startete eine Pumpstation vom Kontrollzentrum von KazTransOil in Astana. Damit begann die Befüllung der Pipeline mit 600.000 Tonnen Erdöl. Dieser Prozess sollte Mitte des Jahres 2006 abgeschlossen sein, womit der Transport von Erdöl durch die Pipeline beginnen sollte.999 „This is the start of a long road to bring big Kazakh 996 Xinhua: Kazakhstan Willing to Push Forward Ties With China: Nazarbayev; in: Xinhua News Agency; factiva; 06.12.2005. 997 Interfax: China Wants Russian Oil in China-Kazakhstan Pipe; in: Interfax Petroleum Report, factiva; 07.12.2005. 998 China Industry Daily News: Chinese Energy Enterprises Eye Caspian Sea; in: China Industry Daily News; factiva; 12.12.2005. 999 BBC: Kazakh Leader Opens Pipeline to China; in: BBC Monitoring Newsfile; factiva; 15.12.2005.
5.19 Das Ende der zweiten Bauphase der Kasachstan-China-Pipeline
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oil to the East,“ kommentierte der kasachische Energieminister Vladimir Shkolnik die Eröffnung der Pipeline.1000 Abbildung 74: Chinesische Beteiligung im kasachischen Erdölsektor Anfang 2006
Quelle: Eigene Bearbeitung; EIA (2004): Kazakhstan: Proposed Pipeline to China; in: EIA Online; http://www.eia.doe.gov/emeu/cabs/Kazakhstan/images/Map_KZ-CH_2Aug04.pdf; Zugriff: 02.02.2009.
Mit der Inbetriebnahme dieser Pipeline, die erstmals – Eisenbahntransporte ausgenommen – kasachisches Erdöl nicht über russisches Territorium pumpte, wurde auch ein Wendepunkt in der kasachischen und chinesischen Energiepolitik erreicht. Für Kasachstan stellte die Pipeline den Start zur Diversifizierung ihrer Erdölexporte in größerem Stil dar und damit auch die Verringerung des russischen Einflusses auf das Land. Für China bedeutete die Eröffnung der Pipeline den Beginn der Diversifizierung der Erdölimporte, die bisher zu über 80 Prozent 1000 Nurshayeva, Raushan: Kazakhstan Opens Oil Pipeline to China; in: Reuters News; factiva; 15.12.2005.
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mit Tankern über die vom US-Militär kontrollierte Straße von Malakka erfolgten. Das bedeutete für die Volksrepublik einen Schritt der Befreiung des chinesischen Handels aus der Überwachung durch die USA. Gefüllt werden sollte die Pipeline mit Erdöl aus der Region Aktobe (sechs Millionen Tonnen) und Kumkol (sieben Millionen Tonnen), die von chinesischen Erdölkonzernen betrieben wurden (Abb. 74). Dadurch, dass der Baubeginn für das letzte Stück der Kasachstan-China-Pipeline von Kenkiyak in Aktobe nach Kumkol erst für das Jahr 2011 geplant war, sollte das Erdöl mit der Eisenbahn von Kenkiyak nach Atasu befördert werden, was wiederum eine Einschränkung der Transportkapazität bedeutete. Und auch der Transport durch die bereits existierende Pipeline von Kumkol nach Atasu konnte nicht sofort beginnen, da die Fließrichtung noch umgekehrt werden musste. So wurde erst einmal mit einer Pipelinekapazität der Leitung Atasu-Alashankou von zehn Millionen Tonnen gerechnet, die nach dem Jahr 2010 auf 20 Millionen Tonnen pro Jahr ausgebaut werden sollte. Laut Nurbol Sultan, Vizedirektor der staatlichen KazTransOil gab hinsichtlich des Ausbaus des fehlenden Stückes von Kenkiyak nach Kumkol die Einschätzung ab: „Once the second stage of the project is implemented, it will be technically feasible to boost the pipeline’s annual capacity to up to 50 million tonnes of crude. […] It will all depend on the suppliers of oil.”1001 Ob aber allein das erste Kapazitätsziel über 10 Millionen Tonnen pro Jahr erreicht werden kann, hing zu dieser Zeit nach wie vor von der Bereitschaft russischer Konzerne zur Befüllung der Pipeline ab. Die Auslastung der Pipeline mit von CNPC in Kasachstan produziertem Erdöl scheiterte vorerst an der zu geringen Transportkapazität per Eisenbahn von Kenkiyak nach Atasu. Vom russischen staatlichen Pipelinebetreiber Transneft kam jedoch Anfang Januar 2006 die Verlautbarung, dass eine Lieferung von sibirischem Erdöl in nach Atasu technisch nicht möglich sei. Das bedeutete einen Rückschlag der chinesischen Verhandlungen mit russischen Konzernen und war wahrscheinlich Vorbehalten der russischen Regierung geschuldet, die durch die Eröffnung der BTC- und der Atasu-Alashankou-Pipeline im Jahre 2005 befürchtete an Einfluss auf die kaspischen Energiereserven zu verlieren.1002 Trotz der pessimistischen Einschätzung von Transneft gingen die Verhandlungen über die Lieferungen von russischem Erdöl nach China über die AtasuAlashankou-Pipeline Anfang Februar 2006 weiter. So sagte der Präsident der 1001 Nurshayeva, Raushan: Kazakhstan Opens Oil Pipeline to China; in: Reuters News; factiva; 15.12.2005; Reuters: Factbox – Key Facts About the Kazakhstan-China Pipeline; in: Reuters News; 15.12.2005. 1002 Petroleum Intelligence Weekly: Caspian Producers Chip Away at Russia’s Tight Grip; in: Petroleum Intelligence Weekly; factiva; 09.01.2006.
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russischen Rosneft Sergei Bogdanchikov gegenüber Journalisten in Usinsk: „We have started negotiations with KazMunaiGaz, KazTransOil, CNPC and Transneft on possible shipments and we are discussing both the pumping and the price formula.” Er sehe keine technischen Probleme bei der Möglichkeit der Lieferungen: „In general, we cannot rule out the possible use of the pipeline in the case of mutual economic interests of all the players - there are in fact four of them here being balanced.” Ein schwieriger Verhandlungspunkt sei die Entscheidung, ob die Beteiligung an der Atasu-Alashankou-Pipeline weiterhin nur bei KazMunaiGaz und CNPC liege oder ob auch die an der Verhandlung beteiligten möglichen Zulieferer Rosneft und Transneft Anteile bekämen.1003 Um die russischen Bedenken des Einflussverlustes zu beruhigen und die kasachisch-russischen Beziehungen nicht zu belasten, kam es Ende Februar 2006 zu Neuverhandlungen von bestehenden PSA-Verträgen über die Beteiligung russischer Erdölkonzerne an kasachischen Erdölfeldern im Kaspischen Meer. Der neue kasachische Minister für Energie und mineralische Rohstoffe, Baktykozha Izmukhambetov, der Vladimir Shkolnik nach einer Kabinettsumbildung im Januar 2006 abgelöst hatte, wollte sich jedoch nicht zu Details der neuen PSA-Verträge äußern.1004
5.20 Die Konkurrenz um kasachische Erdölreserven verschärft sich Die Neuverhandlung über die kasachisch-russischen Verträge zog wiederum Befürchtungen von Seiten Chinas nach sich, dass die erhofften Neuinvestitionen im kasachischen Erdölsektor scheitern könnten, was dann wiederum Auswirkungen auf den geplanten Ausbau der Kapazität der Kasachstan-China-Pipeline haben könnte. Profitieren kann von dieser Konkurrenz um die Energiereserven allerdings Kasachstan, das die beiden großen Nachbarn in dieser Hinsicht gegeneinander ausspielen kann. Allerdings bedeuten die aggressiven Bemühungen um Einflussgewinn von China und Russland auch, dass europäische und USInteressen in Kasachstan zurückgedrängt werden. Durch die hinsichtlich strategischer Partnerschaft, Mitgliedschaft in der SCO und der geographischen Verortung besseren Ausgangspositionen und weiter fortgeschrittenen Anbindungen von China und Russland an das Nachbarland, ist auch die Auswahl an Instrumenten zur Erhöhung des Drucks auf die Regierung in Astana weitaus größer, als die Mittel, die den westlichen Staaten zur Verfügung stehen. So beteiligte 1003
Interfax: Rosneft Considering Atasu-Alashankou to Ship Oil to China; in: Interfax Energy News Service; factiva; 08.02.2006. 1004 Neff, Andrew: Kazakhstan and Russia Plan to Sign New PSAs for Caspian Oilfields; in: Global Insight Daily Analysis; factiva; 27.02.2006.
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sich, wie oben beschrieben, auch Kasachstan an der Forderung der SCO aus dem Jahre 2005 für die Festlegung einer Frist zum Abzug der US-geführten Truppen und Schließung der Militärbasen der USA in der Region.1005 Allerdings bezahlt China für seine Erdölinteressen in der Region einen hohen Preis. So musste CNPC nach der Übernahme von PetroKazakhstan, bei der Zahlungen in Höhe von 4,18 Milliarden US-Dollar flossen, ein Drittel des neu erworbenen Konzerns an KazMunaiGaz zu einem weit niedrigeren Preis verkaufen. Durch die Schaffung eines neuen Joint Ventures war jedoch nicht klar, wie viel Erdöl aus den von PetroKazakhstan betriebenen Feldern zur Einspeisung in die Atasu-Alashankou-Pipeline zur Verfügung stehen würde. Dies war aber auch ein Grund, warum CNPC einen überteuerten Preis für den Konzern bezahlt hatte. Robert Ebel, Vorsitzender des Energieprogramms des Center for Strategic and International Studies in Washington, kommentiert das wie folgt: „The Chinese are overpaying, but they have a lot of money from exports and they want to spend it on any equity oil they can find.” In die gleiche Richtung argumentiert auch Thierry Kellner, Wissenschaftler für chinesisch-zentralasiatische Beziehungen and der Freien Universität in Brüssel: „Price is less important than reliability and building good will in the Kazakhstani government. […] For the Chinese ensuring friendly relations with the Kazakh leadership is just as important as getting the oil.”1006 Auf der anderen Seite ist der Einfluss des Kremls auf Kasachstan nach wie vor so groß, dass die Regierung zwar einen gewissen Handlungsspielraum hat, um bspw. über die Zulieferung von kasachischem Erdöl für die BTC-Pipeline, die Russland ein Dorn im Auge ist, zu verhandeln. Auch der Bau der Kasachstan-China-Pipeline ist nicht zuletzt dank Verhandlungen mit Russland im Rahmen der SCO möglich gewesen. Während einer Rede des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew am 1. März 2006 wurde die Gewichtung der bilateralen Beziehungen jedoch deutlich. An erster Stelle der Außenpolitik stand eine zunehmende Integration mit Russland, gefolgt von einer Verbesserung der Kooperation mit der VR China. Erst an dritter Stelle erklärte er das außenpolitische Ziel einer „long-term, stable partnership“ mit den USA.1007 Nach dieser Rangfolge ist auch zu erklären, dass nach den Verhandlungen über neue PSA-Verträge mit Russland vom Februar 2006, im April desselben Jahres ein Angebot des kasachischen Präsidenten an China erfolgte. Das Ange1005
Neff, Andrew: China Competing With Russia for Central Asian Investments; in: The Oil and Gas Journal; factiva; 06.03.2006. 1006 Pala, Christopher: China Pays Dearly for Kazakhstan Oil; in: The New York Times; factiva; 17.03.2006. 1007 Pala, Christopher: China Pays Dearly for Kazakhstan Oil; in: The New York Times; factiva; 17.03.2006.
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bot sah den Bau und den gemeinsamen chinesisch-kasachischen Betrieb von petrochemischen Anlagen in Kasachstan vor. Die Reaktion von Seiten der chinesischen Regierung auf das Angebot war durchaus wohlwollend. So äußerte sich Chinas Außenminister Li Zhaoxing: „Oil and gas companies of our countries should comprehensively study this issue. [The two countries are now] successfully implementing a number of major projects in the energy sphere having strategic importance.”1008 Schließlich erreichte am 4. Mai 2006 das erste Erdöl, das durch die Pipeline Atasu-Alashankou floss, seinen Zielort in China. Doch es zeichnete sich ab, dass die Pipeline auf unbestimmte Zeit allein mit von chinesischen Konzernen in Kasachstan produziertem Erdöl gefüllt werden musste. Die Verhandlungen mit Rosneft, Lukoil und Transneft über zusätzliche Lieferungen russischen Erdöls durch die Pipeline waren immer noch keinen Schritt weiter gekommen.1009 Aber nicht nur auf der kasachischen Seite der Pipeline gab es Probleme. Die chinesischen Konzerne hatten es nicht rechtzeitig geschafft, die Raffineriekapazitäten in Dushanzi für das zusätzliche Erdöl auszubauen. Die Raffinerie war auf eine Produktion von sechs Millionen Tonnen pro Jahr ausgelegt und sollte um vier Millionen Tonnen pro Jahr erweitert werden. So kam es Mitte Juli 2006 zu einer für sieben Wochen veranschlagten Unterbrechung der Erdöllieferungen aus Kasachstan. Die Importe durch die Pipeline, bei denen es, wie zuerst bekanntgegeben wurde, auch einige Probleme mit einer Pumpstation gab, waren bis dahin in zwei Erdöltanks in der Nähe von Alashankou geflossen.1010 Doch die Verzögerungen bei den Lieferungen durch die Pipeline waren wohl vorwiegend den Unstimmigkeiten bei der Festlegung des Preises für das aus Kasachstan exportierte Erdöl geschuldet. Ein Kompromiss zwischen KazMunaiGaz und CNPC kam erst Ende Juli zustande. Ab diesem Zeitpunkt waren auch die scheinbar aufgetretenen Probleme bei der kasachischen Pumpstation gelöst.1011 Die Fertigstellung der Pipeline zog zudem noch weitere Probleme nach sich. Durch die Überlastung der chinesischen Raffinerien wurden im Juni und Juli des Jahres 2006 die russischen Erdöllieferungen, die per Eisenbahn Xinjiang 1008
Kirillov, Andrei; Shchepin, Konstantin: Kazakhstan Offers China Cooperation in Petrochemical Sphere; in: Organisation of Asia-Pacific News Agencies; factiva; 12.04.2006. 1009 Platts: First Deliveries of Kazakh Crude Arrive in China Via New Pipeline; in: Platts Commodity News; factiva; 4.05.2006; NEFTE Compass: Kazakhstan: Russian Producers Uncertain About China Pipeline; in: NEFTE Compass; factiva; 04.05.2006. 1010 Platts: Glitches Delay Kazakhstan-China Oil Pipeline Flows; in: Platts Commodity News; factiva; 12.07.2006; Jaipuriyar, Mriganka; Lee, Winnie: Kazakh Crude Reaches PetroChina Tank; in: Platts Oilgram News; factiva; 01.08.2006. 1011 NEFTE Compass: Finish Line: Pricing Issues Bedevil Kazakh-China Pipeline; in: NEFTE Compass; factiva; 10.08.2008.
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erreichten, ausgesetzt. Das wiederum belastete die Verhandlungen über die Füllung der Atasu-Alashankou-Pipeline mit russischen Erdölkonzernen.1012 Trotz der Unstimmigkeiten und der Schwierigkeiten, die nicht nur während der Planungs- und Bauphase, sondern auch nach der Fertigstellung der AtasuAlashankou-Pipeline bestanden sowie der Tendenz der kasachischen Regierung eine Art Pendeldiplomatie zwischen den konkurrierenden Mächten hinsichtlich des kasachischen Energiemarktes Russland und China zu betreiben blieben die chinesischen Träume zur Diversifizierung der Energieversorgung aus Kasachstan erhalten. So einigten sich KazMunaiGaz und CNPC im November des Jahres 2006 auf den Bau einer Erdgaspipeline, die parallel zur Kasachstan-ChinaErdölpipeline verlaufen sollte. Nach auch hier langwierigen Verhandlungen vereinbarten beide Seiten die erste Phase der 30 Milliarden Kubikmeter pro Jahr umfassenden Pipeline bis Ende 2009 fertig zu stellen. Die zweite Phase sollte bis zum Jahr 2012 ans Netz gehen. Die Einigung bewegte die chinesische NDRC dazu, den Bau einer zweiten Ost-West-Erdgaspipeline von Xinjiang nach Guangzhou voranzutreiben, um bis 2009 genügend Kapazitäten zum Weitertransport des Erdgases zur Verfügung stellen zu können.1013 Rückschläge gab es jedoch nach wie vor bei der geplanten Steigerung der Kapazität der Atasu-Alashankou-Erdölpipeline und bei weiteren chinesischen Investitionsversuchen im kasachischen Erdölsektor. Anfang des Jahres 2006 hatte die chinesische Investmentfirma CITIC versucht die kanadische Nations Energy, die einige Anteile im kasachischen Erdölmarkt besaß, für 1,9 Milliarden US-Dollar zu übernehmen. Doch kasachische Ressentiments gegenüber zu vielen chinesischen Investitionen und der Vorstellung in Zukunft ausschließlich als Rohstofflieferant für den großen Nachbarn zu werden, bewogen die kasachische Regierung Ende des Jahres 2006 zu dem Versuch, den Deal platzen zu lassen. Ein Wissenschaftler einer Denkfabrik der chinesischen Regierung äußerte sich diesbezüglich: „Kazakhstan is adopting an distinctively diversifying strategy, trying to strike a balance between Russia and China.”1014 Trotzdem konnte CITIC Anfang 2007 die Anteile von Nations Energy Company Ltd. an kasachischen Erdölfeldern für 1,91 Milliarden US-Dollar aufkaufen. Damit hatte CITIC das Recht übernommen das Karazhanbas Erdöl- und Erdgasfeld im Oblast Mangistau bis 2020 zu entwickeln und auszubeuten. Das Feld hatte gesicherte Reser-
1012 China Energy Daily News: Xinjiang Suspends Crude Oil Imports from Russia by Rail; in: China Industry Daily News; factiva; 17.08.2006. 1013 NEFTE Compass: Kazakhstan: Gas Pipeline To Strengthen Kazakh-China Ties; in: NEFTE Compass; factiva; 16.11.2006. 1014 Hornby Lucy: Kazakhstan, China Tighten Energy Ties; in: Reuters News; factiva; 20.12.2006.
5.20 Die Konkurrenz um kasachische Erdölreserven verschärft sich
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ven in Höhe von 340 Millionen Barrel Erdöl und Anfang 2007 eine Produktion von mehr als 50.000 Barrel am Tag (Abb. 75).1015 So blieb die kasachische Energiediplomatie gegenüber China paradox. Am Rande eines Treffens der SCO unterzeichneten Nursultan Nasarbajew und der chinesische Präsident Hu Jintao eine Übereinkunft über eine engere EnergieKooperation. Ein Teil davon sah auch vor, dass die Bedingungen für chinesische Investitionen in den kasachischen Erdölsektor erleichtert und gefördert werden sollten. Aus kasachischer Sicht war dieses Einlenken gegenüber China notwendig geworden, nachdem sich der chinesische Druck erhöht hatte, ausreichend Kapazitäten für die Auslastung der Atasu-Alashankou- und der geplanten parallelen Erdgaspipeline zur Verfügung zu stellen. Die Füllung der Erdgaspipeline schien einfacher zu sein, da sie bis nach Turkmenistan, dem Land, mit den weltweit zweitgrößten Erdgasreserven, verlängert werden sollte (Abb. 75).1016 Vor allem die Verlängerung der Erdgaspipeline nach Turkmenistan war jedoch eine Provokation für die russischen Interessen in der Region. Eine Diversifizierung der turkmenischen Erdgasexporte, die bis auf eine kleine Pipeline in den Iran bisher ausschließlich über russisches Territorium verliefen, bräche das Monopol Russlands. Das hätte nicht nur einen Rückgang der Transitgebühren zur Folge. Russische Unternehmen betrieben einen Wiederverkauf des in Turkmenistan und Kasachstan erworbenen Erdgases an die EU und die Ukraine. Da hier die Gewinnspanne weitaus höher lag als bei reinen Transitgebühren, träfe der Bau einer Erdgaspipeline nach China die russischen Konzerne besonders hart. Diese Vorbehalte waren dann auch Thema bei einem Treffen von Nursultan Nasarbajew und dem damaligen russischen Präsidenten Wladimir Putin.1017 Die Konkurrenz zwischen Russland und China bekommt aber auch China direkt zu spüren. China befand sich Anfang des neuen Jahrtausends in einer defensiven Position gegenüber Russland. Durch den wachsenden Verbrauch bei Erdöl und Erdgas und den Diversifizierungsbemühungen wollten chinesische Konzerne die Verhandlungen über Pipelines, die die Energieträger aus Ostsibirien nach Nordchina pumpen sollten, schnell voranbringen. Doch der Kreml nahm wiederholt Einfluss auf die russischen Erdöl- und Erdgasunternehmen und verzögerte die Planungsphase. Zudem wurde der Preis für die Erdgasexporte nach China mehrfach erhöht. Damit wollte die russische Regierung Druck ausüben, um Chinas 1015
Xinhua: Kazakhstan-China Pipeline Pours Four Million Tons of Oil Into China in First Year; in: Xinhua News Agency; factiva; 11.07.2007. 1016 Neff, Andrew: Kazakhstan, China Sign Energy Co-Operation Agreements; in: Global insight Daily Analysis; factiva; 21.12.2006; BBC: Kazakhstan, China Agree to Extend Oil Pipeline „Almost“ to Caspian Sea; in: BBC Monitoring Central Asia; factiva; 26.12.2006. 1017 BBC: Kazakhstan-China Energy Deals Detrimental to Russian Interests; in: BBC Monitoring Former Soviet Union; factiva; 02.01.2007.
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Engagement in Zentralasien – dem „Nahen Ausland“ und somit der „natürlichen“ Einflusssphäre Russlands – einzudämmen, was aber nicht gelang.1018 Abbildung 75: Chinesische Beteiligung im kasachischen Erdölsektor Anfang 2007
Quelle: Eigene Bearbeitung; EIA (2004): Kazakhstan: Proposed Pipeline to China; in: EIA Online; http://www.eia.doe.gov/emeu/cabs/Kazakhstan/images/Map_KZ-CH_2Aug04.pdf; Zugriff: 02.02. 2009.
So unternahm der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier vom 30. Oktober bis 04. November 2006 eine Zentralasienreise, vor dem Hintergrund der Ausarbeitung einer Zentralasienstrategie der EU, die die deutsche Regierung während ihrer EU-Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2007 etablieren wollte. Bei der Reise ging es um fünf Kernbereiche der Zusammenarbeit. Die 1018 Asia Pulse: Analysis: China Looks to Central Asia for Energy Supply; in: Asia Pulse; factiva; 03.07.2007.
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Themen waren Rechtsstaatlichkeit, Demokratieförderung, der Aufbau eines bilateralen und strukturierten Menschenrechtsdialog und die Gründung einer Bildungsinitiative. Als wichtiges Element der Zusammenarbeit kündigte Steinmeier einen regelmäßigen Energiedialog an. Dieser sollte die Diversifizierung von Energieträgern, Produktionsstaaten und Transitrouten enthalten. Dazu unterzeichneten Kasachstan und die EU am 4. Dezember 2006 in Brüssel ein Abkommen über eine engere Zusammenarbeit im Energiebereich.1019 Darin hieß es unter anderem: „In view of the importance for the EU to diversify its energy supplies and for the Republic of Kazakhstan to diversify its energy markets and supply routes, both sides will co-operate in implementing the appropriate conditions to facilitate the development of new energy transportation infrastructure of mutual interest (ex. the Odessa Brody - Plock oil pipeline) and, where necessary, to promote the upgrading of the existing infrastructure of mutual interest. Maritime safety issues and in particular the definition of navigation routes in the Caspian Sea should be promoted under this roadmap.”1020
Vom 27. bis 28. März 2007 fand dann auf Außenministerebene eine Reise Steinmeiers mit einer Troika der EU nach Astana statt, um die Ergebnisse des Besuchs Ende Oktober bis Anfang November 2006 zu vertiefen und die entsprechenden Vereinbarungen vom Dezember 2006 voranzutreiben. Die EU-Troika bestand aus der EU-Kommissarin für Außenbeziehungen und Nachbarschaftspolitik Dr. Benita Ferrero-Waldner und aus dem Sonderbeauftragten der EU für Zentralasien Pierre Morel.1021 Allerdings wurde der anfängliche Erfolg der EU bezüglich der Energiezusammenarbeit getrübt von einer Reise des damaligen russischen Präsidenten Putin und des Chefs von Gazprom, Alexej Miller, vom 10. Bis 12. Mai nach Astana und Ashgabat. Während dieser Reise gelang es Putin und Miller ein Memorandum of Understanding mit Nursultan Nasarbajew und Gurbanguli Berdi1019 Auswärtiges Amt (2006): Zentralasienreise von Bundesaußenminister Steinmeier; in: Auswärtiges Amt Online; http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/AAmt/BM-Reisen/2006/ZentralasienOktNov2006,navCtx=126164.html; Zugriff: 14.05.2009; Riegert, Bernd: Kasachstan und EU unterzeichnen Energieabkommen; in: dw-world online; http://www.dw-world.de/dw/article/0,,2263583,00. html; Zugriff: 14.05.2009. 1020 Europäische Union (2006): Memorandum of Understanding on co-operation in the field of energy between the European Union and the Republic of Kazakhstan; in: EurActiv Online; http://www.euractiv.com/de/energie/eu-kasachstan-vereinbaren-engere-energiezusammenarbeit/ article-160247; Zugriff: 14.05.2009. 1021 Auswärtiges Amt (2007): Erstes Außenministertreffen der EU-Troika mit den fünf Staaten Zentralasiens; in: Auswärtiges Amt Online; http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/AAmt/BM-Reisen/ 2007/ZAS-Mrz2007-Troika,navCtx=126164.html; Zugriff: 14.05.2009.
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muchamedow zu unterzeichnen. Die Vereinbarung sah vor, die Kapazitäten der Erdgaspipelines nach Russland von 60 auf 90 Milliarden Kubikmeter bis zum Jahre 2014 auszubauen. Die entsprechenden Dokumente für den Bau der neuen Leitungen wurden im Juni 2008 vorbereitet.1022 Wird die Entwicklung der Exportkapazitäten Kasachstans und Turkmenistans (Tab. 17 u. 19) mit in Betracht gezogen, wird klar, dass Putin mit seiner Reise im Mai 2007 die Pipelineträume der EU vorerst durchkreuzt hat. Denn die Produktion von Erdgas in Turkmenistan und Kasachstan steigt nicht schnell genug, um damit eine zusätzliche große Pipeline in Richtung der EU füllen zu können. Die russische Seite hat den Prozess von der Unterzeichnung eines Memorandum of Understanding hin zu harten Verträgen über die Gaslieferungen schneller vorantreiben können, als dies für die EU möglich war. Nicht zuletzt ist das dem größeren Einfluss des Kremls auf sein „Nahes Ausland“ geschuldet. Die Diversifizierungsbemühungen hinsichtlich russischer Erdgaslieferungen in die EU wurden jedoch schon im Jahre 2005 beschlossen. Durch einen kontinuierlichen Streit zwischen der Ukraine und Russland sowie zwischen Weißrussland und dem Kreml drohten die Lieferungen ins Stocken zu geraten. Deshalb beschloss sich Brüssel nach Alternativen Pipelinerouten Ausschau zu halten. Eine Möglichkeit dabei war die so genannte Nabucco-Pipeline, die u.a. zentralasiatisches Erdgas, unter Umgehung russischen Territoriums in Richtung EU leiten sollte. Dazu waren jedoch harte Lieferverträge mit den Erdgaskonzernen in Kasachstan und Turkmenistan notwendig. Diese hatten aber schon jetzt Schwierigkeiten ihre Lieferverträge mit Russland einzuhalten, da der Aufbau von neuen Produktionskapazitäten schleppend verlief. Vorangetrieben werden sollte die Energiediplomatie unter anderem durch die neue Zentralasienstrategie, die während der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands entstanden war und von bilateralen sowie EU-weiten Verhandlungen mit den jeweiligen Präsidenten in der Region.1023 Eine Route zum Import des zentralasiatischen Erdgases in die EU, die vom Nabucco-Betreiberkonsortium unter Vorsitz der österreichischen OMV überdacht wurde, war der Bau einer Pipeline von Kasachstan durch das Kaspische 1022
Konicz, Tomasz (2007): Erfolg für Putin; in: AG Friedensforschung an der Uni Kassel; http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Russland/kaspi2.html; Zugriff: 14.05.2009; RIA Novosti: Turkmenistan, Russland und Kasachstan bereiten Dokument über Bau Kaspischer Gaspipeline vor; in: RIA Novosti Online; http://de.rian.ru/postsowjetischen/20080617/110958166.html; Zugriff: 14.05.2009. 1023 Europäische Union (2007): Die EU und Zentralasien: Strategie für eine neue Partnerschaft; in: Auswärtiges Amt; http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Europa/Aussenpolitik/Regional abkommen/Zentralasien-Strategie-Text-D.pdf; Zugriff: 10.05.2009; The Times of Central Asia: Europe is Laying the Groundwork to Put New Pressure on Astana; in: The Times of Central Asia; factiva; 20.03.2007.
5.21 Phase III: Der Bau der Kenkiyak-Kumkol-Pipeline
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Meer, die dann über den Südkaukasus, die Türkei und den Balkan nach Österreich führen sollte. Da der Rechtsstatus des Kaspischen Meeres jedoch bis zum Frühjahr 2009 nach wie vor nicht geklärt wurde ist der Bau einer solchen Pipeline bis heute (Stand 2009) höchst umstritten. Ein anderer Vorbehalt gegen eine solche Pipeline ist, dass das kaspische Becken eine außerordentliche Erdbebenregion darstellt und Pipelines eine Erschütterung von höchstens sechs auf der Richterskala überstehen würde.1024 Eine andere Route für die Durchleitung von turkmenischem Erdgas wäre eine Pipeline von Turkmenistan über den Iran und die Türkei. Allerdings ist diese Pipeline so lange unrealistisch, wie die US-Sanktionen gegenüber dem Iran aufrechterhalten bleiben. Zwar betrifft der Iran-Libyan-Sanction-Act nur USKonzerne, aber auch europäische Unternehmen können mit der Drohung der Einstellung ihres US-Geschäftes damit unter Druck gesetzt werden. Insofern drängt die EU zwar verstärkt auf den für ihre Energiesicherheit interessanten zentralasiatischen Energiemarkt, ist aber aufgrund fehlender Exportoptionen im Gegensatz zu Russland, China und den USA als marginaler Player zu bewerten.1025 Immerhin konnten die EU und die USA hinsichtlich des kasachischen Erdölmarktes im April 2007 einen Erfolg erzielen. So erklärte sich Kasachstan bereit ab dem Jahre 2008 Erdöl per Tanker über das Kaspische Meer zu transportieren und damit die BTC-Pipeline mit zu füllen. Dazu der kasachische Energieminister Baktykozha Izmukhambetov: „First Tengiz oil will be pumped through the BTC pipeline in 2008. The volume of oil supplies through the BTC will depend on the export of crude oil via other routes. The matter is that we have started to construct the second section of the Kazakhstan-China oil pipeline.”1026
5.21 Phase III: Der Bau der Kenkiyak-Kumkol-Pipeline Die Atasu-Alashankou-Pipeline beförderte im ersten Betriebsjahr nach Behebung der oben beschriebenen Startprobleme von Juli 2006 bis Juli 2007 ca. vier Millionen Tonnen Erdöl aus Kasachstan nach China. Das ist zwar ein Anstieg von ungefähr drei Millionen Tonnen gegenüber dem Vorjahr als die Exporte ausschließlich per Eisenbahn erfolgten, aber zwei Millionen Tonnen weniger als 1024
The Times of Central Asia: Europe is Laying the Groundwork to Put New Pressure on Astana; in: The Times of Central Asia; factiva; 20.03.2007. 1025 Russia Profile: Energizing Central Asia: Caspian Partnerships Will Pay Off; in: Russia Profile; factiva; 31.05.2007. 1026 BBC: Kazakhstan to Export Oil Via Baku-Ceyhan Pipeline in 2008; in: BBC Monitoring Caucasus; factiva; 04.04.2007.
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die für die Startphase veranschlagten sechs bis zehn Millionen Tonnen pro Jahr. Werden aber die ganzen Rückschläge, die während der Planungs- und Bauphase vonstatten gingen, mit in die Überlegungen mit einbezogen, so kann dies trotzdem als Erfolg gewertet werden. Denn es sah zwischen den Jahren 1997 und der offiziellen Einweihung der Pipeline Ende 2006 lange Zeit so aus, als werde das Projekt nicht verwirklicht.1027 Das Pipelineprojekt ist ebenso für beide Seiten eine Erfolgsgeschichte, wie die für 6,7 Milliarden US-Dollar veranschlagte Erdgaspipeline von Turkmenistan über Usbekistan und Kasachstan nach China, die Ende des Jahres 2009 fertig gestellt sein und 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr nach China leiten soll (Abb. 71).1028 Am 17. Juli 2007 kam es während eines Staatsbesuches des neuen turkmenischen Präsidenten Gurbanguli Berdimuchamedow in Beijing zur Unterzeichnung von PSA-Verträgen zwischen CNPC und der turkmenischen Regierung sowie CNPC und dem staatlichen turkmenischen Erdgaskonzern Turkmengas. Auch diese Verträge, in denen die Ausbeutung der ostturkmenischen Erdgasfelder in Bagtyyarlyk durch CNPC und der Bau der Erdgaspipeline von Turkmenistan in die Volksrepublik vereinbart wurden, stellen wiederum eine Win-Win-Situation dar. Für China bedeuten sie eine Diversifizierung ihrer Erdgasimporte, für Turkmenistan eine Diversifizierung der Erdgasexporte, die, bis auf eine kleine Pipeline in den Iran, bisher ausschließlich über russisches Territorium nach Europa erfolgten.1029 Während eines Staatsbesuchs von Hu Jintao bei Nursultan Nasarbajew Mitte August 2007 kam es schließlich zu einer Übereinkunft zwischen KazMunaiGaz und CNPC das letzte Stück der Kasachstan-China-Pipeline von Kenkiyak nach Kumkol zu bauen und die Kapazität der Pipeline zu steigern. Der Bau sollte im Dezember 2007 beginnen und im Oktober 2009 enden. Die Kapazität der Pipeline wurde durch die Betreibergesellschaft Kasachstan-China Pipeline (KCP) LLP auf zehn Millionen Tonnen pro Jahr festgelegt. Zudem erteilte Nasarbajew die Genehmigung ein Teilstück der Turkmenistan-ChinaErdgaspipeline durch Kasachstan zu legen (Abb. 71). Beide Seiten bekräftigten die unkomplizierte und erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen den Staaten, die unter anderem am wachsenden Handelsvolumen abzulesen sei. Das Handelsvo-
1027
Xinhua: Kazakhstan-China Pipeline Pours Four Million Tons of Oil Into China in First Year; in: Xinhua News Agency; factiva; 11.07.2007. Oil & Gas of Kazakhstan: Turkmenistan-China Gas Pipeline Costs $6,7 Billion; in: Oil & Gas of Kazakhstan; factiva; 14.04.2008. 1029 Poon, Terence; Oster, Shai: China-Turkmen Gas Deal – Import Pact Helps Fill Beijing Energy Needs; a Pared Russian Role; in: The Wall Street Journal Europe; factiva; 18.07.2007; Sampson, Paul: CNPC Signs Turkmen Bagtyyarlyk Acreage PSA; in: International Oil Daily; factiva; 19.07.2007. 1028
5.21 Phase III: Der Bau der Kenkiyak-Kumkol-Pipeline
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lumen war im Jahre 2007 auf 14 Milliarden US-Dollar gestiegen1030 und hatte sich somit gegenüber dem Jahr 2005 verdoppelt. Nicht zuletzt war dies der Fertigstellung der Atasu-Alashankou-Pipeline geschuldet, durch die der Handel mit Erdöl um ungefähr das Vierfache anstieg.1031 Die Vorbereitungen zum Bauvorhaben der letzten Etappe der KasachstanChina-Pipeline von Kenkiyak nach Kumkol begannen schließlich ohne größere Verzögerungen am 11. Dezember 2007, der eigentliche Bau sollte im März 2008 beginnen. Die Konstruktion der 761 Kilometer langen Strecke wurde auf eine Milliarde US-Dollar festgelegt und sollte ungefähr zwei Jahre in Anspruch nehmen. Das Segment Kenkiyak-Kumkol wurde auf eine Kapazität von erst zehn und später 20 Millionen Tonnen pro Jahr festgelegt und soll Erdöl der von CNPC rund um Kenkiyak betriebenen Felder erst nach Kumkol und dann weiter nach Alashankou transportieren (Abb. 75). Für die Fertigung der einzelnen Segmente der Pipeline wurden die russischen Konzerne Vyksa Steel Works und Tube Metallurgical Co (TMK) verpflichtet.1032 Kurz vor Weihnachten des Jahres 2007 wurde auch eine Lösung hinsichtlich der Füllung der Atasu-Alashankou-Pipeline gefunden. Die russische Rosneft und CNPC hatten sich auf eine neue Preisformel für die Transporte russischen Erdöls durch die Pipeline geeinigt. Und auch der russische Energie- und Industrieminister Viktor Khristenko erklärte, dass Russland bereit sei im ersten Quartal des Jahres 2008 300.000 Tonnen Erdöl in die Pipeline einzuleiten. Das Exportvolumen werde zu gleichen Teilen unter TNK-BP und GazpromNeft aufgeteilt. Im selben Jahr werden die Lieferungen, so Khristenko weiter, auf fünf Millionen Tonnen pro Jahr ausgeweitet. Laut Sergei Bogdanchikov, Präsident von Rosneft, waren die bereits abgeschlossenen Verträge mit CNPC für die russische Regierung bisher nicht attraktiv genug. Dafür wurde keine Exportgenehmigung für das Erdöl erteilt. Nach den neuen Verhandlungen sähe das nun anders aus.1033 Am 6. März 2008 meldete schließlich KazTransOil, dass der Transport russischen Erdöls zur Atasu-Alashankou-Pipeline begonnen habe. Die russischen Exporteure GazpromNeft und TNK-BP würden so lange Erdöl für die Pipeline 1030
Russia & CIS Business and Financial Newswire: Chinese President Says Oil/Gas Pipeline Projects Must be on Schedule; in: Russia & CIS Business and Financial Newswire; factiva; 24.01.2008. Itar-Tass: Kazakhstan, Cina to Build Oil Pipeline from China to Caspian; in: Itar-Tass; factiva; 18.08.2007; Oil & Gas of Kazakhstan: Kenkiyak-Kumkol to Build the Kazakhstan-China Pipeline; in: Oil & Gas of Kazakhstan; factiva; 02.09.2007. 1032 Platts: Final Segment of Kazakhstan-China Line to be Completed Oct 2009; in: Platts Commodity News; factiva; 11.12.2007; Russian Financial Control Monitor: Vyksa Steel Works Ships First Pipes to Kazakhstan; in: Russian Financial Control Monitor; factiva; 22.04.2008; Steel Business Briefing: TMK Starts Shipping Pipes for Kazakh Oil Pipeline; in: Steel Business Briefing; factiva; 29.04.2008. 1033 NEFTE Compass: Russia to Boost Oil Exports to China; in: NEFTE Compass; factiva; 20.12.2007. 1031
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5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
zur Verfügung stellen, bis die Eastern-Siberia-Pacific-Ocean-Pipeline, die Russland mit China verbinden wird, fertig gestellt sei. Die Pipeline, die eine endgültige Kapazität von 30 Millionen Tonnen pro Jahr haben soll, werde Ende des Jahres 2009 ans Netz gehen. Mitte Juli 2009 gab CNPC eine Pressemitteilung heraus, der zufolge das dritte Teilstück der Pipeline von Kenkiyak nach Kumkol am 11. Juli fertig gestellt sei – drei Monate vor dem geplanten Termin. Die Pipeline hat laut Mitteilung eine Kapazität von zehn Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr. Dieses Potential werde innerhalb des nächsten Jahres durch die Modernisierung und den Ausbau der Pumpstationen entlang der Pipeline auf 20 Millionen Tonnen pro Jahr erweitert werden.1034 Im zweiten Betriebsjahr des Pipeline-Segments, das Kasachstan mit China verbindet, erreichte sie die vorerst vorgesehene Kapazität von zehn Millionen Tonnen pro Jahr. Das war eine Steigerung von sechs Millionen Tonnen im Vergleich zu den vier Millionen Tonnen, die im ersten Betriebsjahr durch die Pipeline flossen. Gründe für diese Ausweitung des transportierten Erdöls waren erstens, dass es endlich gelungen war russisches Erdöl mit in die Pipeline einzuleiten – im ersten Quartal 2008 wurden aus Russland 12.000 Barrel Erdöl pro Tag in die Atasu-Alashankou-Pipeline eingespeist1035 – und zweitens die Beilegung der Unstimmigkeiten zwischen China und Kasachstan über Preise für das zu exportierende Erdöl und das chinesische Engagement in Kasachstan, die im ersten Betriebsjahr zu Verzögerungen und Blockaden geführt hatten.1036 Die Verträge und Memorandums of Understanding, die Ashgabat bisher unterzeichnet hat, sehen jährliche Erdgasexporte in Höhe von fast 170 Milliarden Kubikmeter pro Jahr vor. 80-90 Milliarden Kubikmeter pro Jahr sollen in Richtung Russland, 30 Milliarden Kubikmeter pro Jahr jeweils Richtung China und Indien und zehn Milliarden Kubikmeter pro Jahr jeweils in die EU und den Iran geleitet werden. Allerdings gehen selbst optimistische Schätzungen davon aus, dass Turkmenistan bis zum Jahr 2015 seine Produktionskapazitäten höchstens auf 100 Milliarden Kubikmeter pro Jahr ausbauen kann (Abb. 76).1037 1034
Neff, Andrew: KazTransOil Begins Shipping Russian Oil to China Via Kazakhstan; in: Global Insight Daily Analysis; factiva; 07.05.2008; APS Review Oil Market Trends: Kazakhstan – Kazakhstan-China Pipeline; in: APS Review Oil Market Trends; factiva; 4.08.2008; CNPC: KenkiyakKumkol section of Kazakhstan-China Oil Pipeline becomes operational Tuesday; in CNPC Online; http://www.cnpc.com.cn/en/press/newsreleases/Kenkiyak_Kumkol_section_of_Kazakhstan%EF%B C%8DChina_Oil_Pipeline_becomes_operational.htm; Zugriff: 14.07.2009. 1035 Neff, Andrew: KazTransOil Begins Shipping Russian Oil to China Via Kazakhstan; in: Global Insight Daily Analysis; factiva; 07.05.2008; APS Review Oil Market Trends: Kazakhstan – Kazakhstan-China Pipeline; in: APS Review Oil Market Trends; factiva; 04.08.2008. 1036 Oil & Gas of Kazakhstan: Kazakhstan Transported over 10 Million Tons of Oil to China; in: Oil & Gas of Kazakhstan; factiva; 20.08.2008. 1037 Oil & Gas of Kazakhstan: The Pipeline to China is Launched; in: Oil & Gas of Kazakhstan; factiva; 03.10.2008.
5.21 Phase III: Der Bau der Kenkiyak-Kumkol-Pipeline
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Abbildung 76: Erdgas in Turkmenistan: Produktion, Verbrauch und Exportkapazität (1985-2007)
Quelle: British Petroleum (2008): Statistical Review of World Energy; in: BP Online; http://www.deutschebp.de/liveassets/bp_internet/germany/STAGING/home_assets/assets/deutsche_b p/broschueren/de_statistical_review_of_world_energy_full_report_2008.pdf; Zugriff: 20.10.2008.
Die Verbesserung der bilateralen Beziehungen zwischen Kasachstan und China wurde auch verdeutlicht durch den Baubeginn der Kasachstan-ChinaErdgaspipeline am 9. Juli 2008. Bei der Planung dieser Pipeline, die ebenso ein Joint Venture zwischen KazMunaiGaz und CNPC ist, wie die Kasachstan-ChinaErdölpipeline, gab es bei weitem nicht die Verzögerungen, die es bei der Erdölpipeline gab. Trotz der Beteiligung von Usbekistan und Turkmenistan, also zwei weiteren Staaten, verlief auch die Bauphase der Pipeline bis zum Frühjahr 2009 ohne nennenswerte Interessenskonflikte ab. Eine Parallele kann jedoch bei der Frage der Füllung der Pipelines gezogen werden. Da die turkmenischen Produktionskapazitäten schon in den vergangenen Jahren nicht ausreichten, um die bestehenden Verträge zu erfüllen, stellt sich die Frage, wie das Land innerhalb von kürzester Zeit weitere 30 Milliarden Kubikmeter pro Jahr für die Auslastung der Turkmenistan-Usbekistan-Kasachstan-China-Pipeline zur Verfügung stellen will.1038
1038 RIA Oreanda: Contruction of Kazakhstan-China Gas Pipeline Launched; in. RIA Oreanda; factiva; 29.09.2008.
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5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
5.22 Zwischenergebnis des Politikprozesses um die Kasachstan-ChinaPipeline Der Prozess um den Bau der Kasachstan-China-Pipeline war sowohl für Kasachstan als auch für China von vielen Hindernissen und Schwierigkeiten geprägt, die es zu beseitigen galt. Schließlich wurde die gesamte Pipeline von der Ostküste des Kaspischen Meeres bis zur Westgrenze Chinas am 11. Juli 2009 fertig gestellt, auch wenn das Teilstück zwischen Atasu und Alashankou schon kasachisches Erdöl in die VR China transportiert. Für die Realisierung des Baus der Pipeline mussten nach dem Ende der Blockkonfrontation erst die Probleme zwischen Kasachstan und China aus dem Weg geräumt werden, die hinsichtlich der neuen Staatlichkeit Kasachstans in den bilateralen Beziehungen bestanden. Dazu gehörten die Anerkennung der Souveränität Kasachstans durch die chinesische Regierung in Beijing und der rudimentäre Aufbau von diplomatischen Beziehungen. Danach mussten Grenzstreitigkeiten gelöst werden, was fast zehn Jahre in Anspruch genommen hat. Ohne die Einigung über einen gemeinsamen Grenzverlauf wären alle weiteren Verhandlungen, auch über die Kooperation bei der Bekämpfung von terroristischen, separatistischen und extremistischen Gruppierungen schwierig, wenn nicht gar unmöglich geworden, da es in diesen Feldern genauso wie bei dem Bau einer transnationalen Pipeline um die Achtung des Territoriums des jeweils anderen Landes geht. Grenzstreitigkeiten wären dabei kontraproduktiv. Begünstigt wurde dieser Einigungsprozess durch die Gründung der SCO, die einen Austausch über die Probleme der Region nicht nur auf bilateraler sonder auf multilateraler Ebene erlaubte. In diesem Zuge konnte Vertrauen aufgebaut und Vorurteile abgebaut werden. Dies gilt auch für die wirtschaftliche Zusammenarbeit in der Region. So gab es von kasachischer Seite sowohl in der politischen Elite als auch in der „normalen“ Bevölkerung starke Vorbehalte gegenüber einem Ausverkauf Kasachstans an den übermächtigen Nachbarn China. Diese Ressentiments waren auch in die Verhandlungen über chinesische Investitionen in den kasachischen Energiesektor von Bedeutung. So kam es, wie oben beschrieben, vermehrt zu Verzögerungen bei chinesischem Engagement in kasachische Erdölquellen und Erdölkonzerne, die von der kasachischen Regierung verursacht worden waren. Dies betraf sowohl die Einigung über ein Konsortium, das die Kasachstan-China-Pipeline bauen sollte als auch die Übernahme von kasachischen Unternehmen durch chinesische Investoren in der Region um Aktobe. Aber auch von chinesischer Seite kam es zu Verschleppungen und zum zeitweiligen Abbruch der Verhandlungen über die Pipeline. Der hauptsächliche Grund hierfür waren chinesische Vorbehalte gegenüber der Produktionskapazität
5.22 Zwischenergebnis des Politikprozesses 437 von Erdöl in Kasachstan, die für eine hinreichende Auslastung der Pipeline von großer Relevanz wäre. Immerhin sollte die Pipeline auf dem Boden wirtschaftlicher Tatsachen realisiert werden, auch wenn eine politische Motivation nicht auszuschließen ist. Zum Problem, dass die Pipeline in absehbarer Zeit nicht allein mit kasachischem Erdöl gefüllt werden konnte und immer noch nicht kann kam hinzu, dass die russische Regierung zeitweise den Zufluss von russischem Erdöl für die Pipeline unterband. Hierbei waren russische Interessen von Belang. Der Kreml wollte verhindern, dass seine Monopolstellung beim Transport von kaspischen Energiereserven in Drittstaaten unterminiert wird. Dadurch entstand nach einer geringen Annäherung an die chinesischen Bedürfnisse wiederholt eine Blockadehaltung, die aber aufgelöst werden konnte. Ein anderer auswärtiger Einflussfaktor, der den Bau der Pipeline behinderte, waren die Interessen der USA in der Region. Dadurch, dass die Produktionskapazität in Kasachstan nicht so schnell zunahm, dass alle Pipelinealternativen ausgelastet werden konnten, verstärkten die USA den Druck auf die Regierung in Astana, vorrangig die CPC und die BTC-Pipeline zu beliefern. Allerdings kam die kasachische Regierung dadurch in eine Art Zwickmühle, denn sie sah sich von zumindest drei gewichtigen Interessenten – Russland, China und USA – umringt, mit denen sie es sich aus machtpolitischen Gründen nicht verspielen konnte. So kam es zu einer Pendeldiplomatie, in der Nursultan Nasarbajew einerseits versuchte alle Interessen einschließlich der kasachischen zu bedienen und andererseits Zeit zu gewinnen, um die auswärtigen Akteure nicht zu verärgern. Denn Kasachstan war durchaus auf die militärische und wirtschaftliche Hilfe aller drei Staaten angewiesen. Es lag jedoch nicht im Interesse Kasachstans, diese wirtschaftliche Hilfe in Form von Direktinvestitionen in den kasachischen Energiesektor, der kasachischen Kontrolle zu entziehen. Als Rentierstaat ist Kasachstan vor allem von den Einnahmen aus dem Verkauf von Erdöl und Erdgas angewiesen und möchte daher auch mitbestimmen, wie die Weichen in diesem Bereich gestellt werden. Somit kam die kasachische Regierung auch hier in die Versuchung auf der einen Seite die Investitionsmöglichkeiten für ausländische Unternehmen zu begrenzen. Sie musste aber auf der anderen Seite darauf achtgeben, dass sie die Konzerne nicht verprellte, denn der kasachische Energiesektor war vor allem in den 1990er Jahren auf den Technologietransfer und das Geld aus dem Ausland angewiesen. Ohne diese Mittel wäre ein Ausbau der Produktionskapazitäten im Land nicht möglich gewesen. Insofern waren die Verzögerungen bei der Kasachstan-China-Pipeline nicht nur der kasachischen und chinesischen Seite geschuldet, sondern auch den Interessen Russlands und der USA. Die Bemühungen der EU sich mehr Zugriff auf die kasachischen Erdölreserven zu verschaffen, waren hingegen von geringerer
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5 Die Energieinteressen der VR China in Zentralasien
Bedeutung. Der Bau des Teilstücks der Pipeline von Atasu nach Alashankou brachte jedoch Kasachstan den Vorteil, sich gegenüber den russischen Interessen etwas mehr zu emanzipieren, da die Fertigstellung der Pipeline eine Diversifizierung der Erdölexporte unter Umgehung russischen Territoriums bedeutete. Und auch China hatte allen Grund den Bauabschluss zu feiern. Denn für die Volksrepublik bedeutete dies, dass sie nun nicht mehr 80 Prozent ihres Erdölimportes über die Straße von Malakka transportieren musste. Die geglückte bilaterale Kooperation hat eine wirtschaftliche Verflechtung beider Staaten nach sich gezogen, von der beide Seiten profitieren können. Sie hat den Weg geebnet für einen weiteren Ausbau der bilateralen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen. Dennoch wird die kasachische Regierung weiterhin skeptisch auf den mächtigen Nachbarn schauen, denn sie wird weiterhin darauf achten, dass sie sich nicht zu sehr vereinnahmen lässt. Die chinesische Seite hingegen hat einen recht stabilen Partner und Absatzmarkt für die eigenen Produkte in der Kaspischen Region gefunden. Über den Bau der Pipeline konnten chinesische Unternehmen zeigen, dass sie begonnene Projekte durchführen, auch wenn sie auf den ersten Blick mehr politische denn wirtschaftliche Vorteile in sich tragen. Die Realisierung des Projektes wurde auch von anderen Staaten in der Region genau beobachtet und führte zu weiteren Verträgen über den Abtransport von Energiereserven aus Turkmenistan und Usbekistan in Richtung China, die in Form von Pipelines und Rechten an Erdgasfeldern umgesetzt werden. Somit ist das langwierige und schwierige Engagement der VR China in den Pipelinebau in Kasachstan ein Erfolg gewesen, da es den Grundstein für eine steigende Versorgung mit Erdgas und Erdöl aus der Region darstellte. Immerhin sind einige chinesischen Projekte umgesetzt worden oder befinden sich in der Entwicklung, während bspw. die EU mit der Nabucco-Erdgaspipeline kaum und mit der Füllung der BTC-Pipeline mit kasachischem Erdöl nur schleppend vorankam.
6 Resümee und Politikempfehlungen
6.1 Resümee In der vorliegenden Arbeit wurde detailliert dargestellt, welche Aspekte einer Energiesicherheitsstrategie in welchem historischen Kontext entstanden sind (Kap. 2). Einem Vergleich der Strategien der Energiesicherheit der UNO, der EU und der VR China (Kap. 3) folgte in Kapitel 4 eine genaue Analyse der chinesischen Energiepolitik aus verschiedenen Blickrichtungen. Die einzelnen Energieträger wurden auf ihre Pfadabhängigkeit, das heißt ihre historische Entwicklung, Verfügbarkeit, ihre Bedeutung für den Energiemix und ihre langfristige Perspektive für die Energieversorgung Chinas untersucht. Dabei wurde auch ein Fokus auf die Analyse der im Energiesektor tätigen Akteure und deren Instrumente zur Durchsetzung ihrer Interessen gelegt, um die Machtstruktur im chinesischen Energiesektor darzustellen (Kap. 4). Daran anschließend wurde in Kapitel 5 die Energieaußenpolitik der Volksrepublik hinsichtlich der kontinentalen Importstruktur am Beispiel des Politikprozesses um die Kasachstan-China-Pipeline untersucht. Während der Analyse wurde aufgezeigt, dass die VR China versucht, sich an den Erfahrungen anderer Staaten hinsichtlich einer Energieversorungssicherheitsstrategie zu orientieren. Während China lange Zeit nicht im internationalen Energiemarkt integriert war, da es seine Versorgung fast vollständig aus der Ausbeutung im Land vorhandener Rohstoffe garantieren konnte, durchliefen westliche Staaten einen langwierigen Prozess des learning by doing bei der Aufstellung ihrer Energiesicherheitsstrategie. Die wichtigsten historischen Ereignisse waren dabei die Umstellung des militärischen und später auch zivilen Transportsektors von Kohle auf Erdöl. Einerseits steigerte dies zwar die Mobilität, andererseits waren Maßnahmen, wie die Kontrolle der Quellen und die Sicherung der Transportwege notwendig, da rund zwei Drittel der globalen Erdöl- und Erdgasreserven in der Strategischen Ellipse zu finden sind. Umgesetzt wurde die Kontrolle zuerst mit klassischer Großmachtpolitik, die in der Tradition des Imperialismus stand. Eingesetzt wurden vorwiegend kriegerisch-militärische Mittel. Beispiele hierfür sind der Putsch gegen Mossadeq im Iran oder der gescheiterte Krieg zur Kontrolle des Suezkanals gegen Ägypten (Kap.2.1 bis 2.3). Danach gab es eine Phase in der vermehrt friedlich-militärische Mittel zum Einsatz kamen, wie beispielsweise die Öl-für-Sicherheit-Partnerschaft zwischen den USA und Saudi Arabien (Kap. 2.8). Allerdings gab es spätestens nach dem 11. SepM. Adolf, Energiesicherheitspolitik der VR China in der Kaspischen Region, DOI 10.1007/978-3-531-92738-1_6 , © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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6 Resümee und Politikempfehlungen
tember eine Rückbesinnung auf kriegerisch-militärische Instrumente, die im Afghanistankrieg und im dritten Golfkrieg (Irak 2003) zur Anwendung kamen (Kap. 2.8 u. 2.10). Für die Energiepolitik der VR China ist der Aspekt der Sicherung der Transportwege von Bedeutung, da die steigenden Erdölimporte zu 80 Prozent durch die Straße von Malakka transportiert werden müssen. Diese wird allerdings von der US-Marine kontrolliert. Es waren aber die USA, die gegenüber Japan, dessen Erdölversorgung zu Zeiten des 2. Weltkriegs zu 80 Prozent aus den USA gedeckt wurde, einen Erdölboykott ausriefen. Aus diesen historischen Erfahrungen abgeleitet hat die chinesische Regierung ein großes Interesse an zwei Faktoren. Erstens baut China seine Hochseeflotte aus, um an der Überwachung der Transporthandelswege zumindest zu partizipieren (Kap. 4.7.4.5). Zweitens versuchen die chinesischen staatlichen Erdölkonzerne unterstützt von ihrer Regierung, den Anteil der maritimen Versorgung zu reduzieren und über das verstärkte Engagement in Russland und der Kaspischen Region – hier vor allem in Zentralasien – ihre kontinentale Importstruktur auszubauen (Kap. 3.3 u. 4.4.1). Beschleunigt wird dieser Prozess durch die maritimen Grenzstreitigkeiten in der Ost- und Südchinesischen See, die die Ausbeutung der dort vorhandenen Erdöl- und Erdgasreserven verhindern (Kap. 3.3.3). Ein weiterer Aspekt, aus dem die VR China von den historischen Erfahrungen anderer Staaten lernen konnte, ist die Entwicklung von Zusammenschlüssen sowohl der Produzenten (OPEC) als auch der Verbraucher (IEA). Die Gründung des OPEC-Kartells führte, nach ihrem Machtgewinn durch die erfolgreiche Politik Gaddafis, dazu, dass die Produzentenstaaten ihre Interessen hinsichtlich des Erdölpreises gegenüber den Sieben Schwestern und anderen Erdölkonzernen durchsetzen konnten. Zudem versuchten die einzelnen Mitgliedsstaaten der OPEC über die Organisation ihre politischen Interessen gegenüber westlichen Staaten durchzusetzen, was zur Erdölpreiskrise Anfang der 1970er Jahre führte. Mit der Gründung des „Verbraucherkartells“ der IEA wurde der OPEC allerdings ihre Macht weitestgehend entzogen (Kap. 2.6). Durch eine Diversifizierungsstrategie, den Aufbau von strategischen Erdölreserven und dem Solidaritätsprinzip innerhalb der IEA, hatten die Mitgliedsstaaten Instrumente, die sie bei Versorgungskrisen wirksam einsetzen konnten. Das betraf auch die Erdölpreiskrise Ende der 1970er Jahre (Kap. 2.4 bis 2.7). Ein weiteres wichtiges Instrument in dieser Hinsicht ist der Auf- bzw. Ausbau von wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen Produzenten- und Abnehmerstaaten. Ein Beispiel dafür ist die Öl-für-Sicherheit-Partnerschaft zwischen Saudi Arabien und den USA. Durch die Existenz dieser Partnerschaft konnten die USA ihre Präsenz in der Region Greater-Middle-East etablieren und haben ihren Einfluss auf politische Entscheidungen der saudischen Regierung
6.1 Resümee
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erhalten. Zudem konnten sie unter anderem durch die Partnerschaft garantieren, dass der US-Dollar nach Zusammenbruch des Bretton-Woods-System weiterhin Leitwährung geblieben ist (Kap. 2.8). Das unterstreicht die Bedeutung erstens regionaler oder internationaler Organisationen und zweitens wirtschaftlicher und politischer Interdependenz zur Durchsetzung eigener Interessen. Die chinesische Regierung hat das durchaus erkannt. Sie benutzt beispielsweise die Shanghai-Five und später SCO, als Fundament für den Ausbau ihres (energie-)politischen und wirtschaftlichen Engagements in Zentralasien. Zudem konnten über die Organisation Grenzdispute gelöst werden, was wiederum Voraussetzung für die Verhandlungen über eine grenzüberschreitende Energieinfrastruktur war. Die Organisation ist aber auch für die zentralasiatischen Staaten von Bedeutung, da sie mit einer Rückendeckung durch China und Russland selbstbewusster gegenüber den USA und der EU auftreten können. China hat jedoch nicht allein ein Interesse an guten Beziehungen mit den zentralasiatischen Staaten. Die Regierung in Beijing versucht seit der Transformation zum Nettoimporteur von Erdöl im Jahre 1993 und der Einführung der „Schwärmt aus“Politik des Jahres 2002 – unter Einhaltung der eigenen Interessen (Ein-ChinaPolitik, Unterstützung im UN-Sicherheitsrat, Zugriff auf Rohstoffe) – eine politische und wirtschaftliche Interdependenz mit afrikanischen und südamerikanischen Staaten aufzubauen. Dabei bietet sie beispielsweise den Staaten in Afrika eine alternative Entwicklungspolitik, als die der EU oder der USA.1039 Das könnte wiederum den hochverschuldeten Staaten eine Chance bieten, sich den neoliberalen Reformen, die an Kredite des IMF gekoppelt sind, zu entziehen. Auch gegenüber den volatilen Erdölpreisen, die für diese Verschuldungen mitverantwortlich sind, hat China eine Strategie entwickelt. So baut die chinesische Regierung, in Anlehnung an die Empfehlungen der Energiesicherheitsstrategie der UNO, eine strategische Erdölreserve auf. Zudem kann sie über ihre Währungsreserven in Höhe von rund zwei Billionen US-Dollar, die fast zur Hälfte in US-Staatsanleihen investiert sind, zunehmend den Wert der Weltwährung mitbestimmen. Dies geschieht einerseits durch öffentliche Überlegungen, ob das Kapital aus den USA zurückgezogen und in anderen Währungen angelegt wird (Kap. 3.3.2). Andererseits verstärkt China den Druck auf die USA, Verhandlungen über die Neustrukturierung des Weltwährungssystems einzugehen und erhält dabei Rückendeckung aus europäischen Staaten wie beispielsweise Frankreich (Kap. 2.9 u. 2.10). Die Regierung in Beijing betont dabei, dass ihr Ziel nicht Unipolarität, sondern eine multipolare Ordnung ist (Kap. 1.6.4). Allerdings wird durch die steigende Abhängigkeit Chinas von Erdölimporten auch die Interdependenz zu den USA bestehen bleiben. Der Exportstaat Chi1039
Adolf, Matthias; Köstner, Jan (2007): China versus USA: Der neue Kampf um Afrika; Blätter für deutsche und internationale Politik; April 2007; Berlin; S. 485-490.
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6 Resümee und Politikempfehlungen
na benötigt Absatzmärkte zur Aufrechterhaltung des Wirtschaftswachstums und zur Deviseneinnahme. Die Devisenreserven sind dabei auch relevant, um die 1,3 Milliarden Menschen die in China leben, gesichert mit Erdöl und Erdgas versorgen zu können. Bei beiden Energieträgern sind die Preise hoch volatil; beide Energieträger werden in US-Dollar gehandelt. Insofern wird China seine Devisenreserven in Richtung Euro, Rubel und Yen diversifizieren, der Hauptanteil wird jedoch in US-Dollar verbleiben; zumindest so lange die US-Währung auch Weltwährung und hauptsächliche Handelswährung für Energierohstoffe ist (Kap. 2.9). Durch das Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 9,5 Prozent pro Jahr seit 1978 und das wachsende Bedürfnis der Bevölkerung am steigenden Reichtum Chinas zu partizipieren, ist auch weiterhin ein Anstieg des Energieverbrauchs von rund drei Prozent pro Jahr zu erwarten (Kap. 4). In diesem Punkt muss die VR China selbst Instrumente innerhalb der Energiesicherheitsstrategie entwickeln, da es bisher noch keine internationalen Erfahrungen gibt, wie die Energieversorgung von fünf Prozent der Weltbevölkerung und rasant steigendem Energieverbrauch gesichert werden kann. Beispielsweise entstanden in der VR China mehrere Probleme durch die wachsende Importabhängigkeit bei Erdöl, Erdgas und Kohle: Erstens konnten die Energiekonzerne beim Aufbau der Energieproduktionsanlagen und Energieinfrastruktur zeitweise dem Anstieg beim Verbrauch nicht mehr gerecht werden, was zu Stromengpässen in den Jahren 2003 und 2004 führte. Dadurch wurde wiederum mehr Diesel genutzt, da viele Industrieunternehmen und private Haushalte auf den Gebrauch von Dieselgeneratoren zurückgriffen (Kap. 4.4.6). Das führte dazu, dass die Regierung versucht, den schnellen Ausbau aller Energieträger, die zur Verfügung stehen, zu fördern. Allerdings kommt es deswegen vermehrt zu Entscheidungen, die zwar dem Autarkiestreben bei der Energieversorgung gerecht werden, jedoch auf Kosten der Umwelt, des Klimas und des sozialen Friedens gehen. Beispiele hierfür sind Großprojekte wie der Drei-Schluchten-Staudamm, die weitere Abhängigkeit vom Energieträger Kohle oder dem Ausbau der Atomkraft, die stark risikobehaftet ist und bei der auch in China die Frage der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle nicht geklärt ist (Kap. 4.4.5.1, 4.4.3 u. 4.4.4). Zweitens sind bei steigender Importabhängigkeit Reformen notwendig, um die Inlandspreise für Energie an die Weltmarktpreise anzugleichen. Auch hier gibt es nur begrenzte internationale Erfahrungen, die zum Erfolg führen könnten. So versucht zwar die EU ihren Energiebinnenmarkt zu harmonisieren und die Energiepolitik zu zentralisieren, stößt dabei aber auf Hindernisse bei den einzelnen Mitgliedsstaaten, für die die Selbstbestimmung bei der Gestaltung ihrer Energiesicherheitsstrategien als vitales nationales Interesse gilt (Kap. 3.2). Im
6.1 Resümee
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Gegensatz dazu existiert in der VR China ein zentralisiertes System, das aber von verschiedenen Akteuren geprägt ist (Regierung, staatliche Konzerne, Militär), die wiederum versuchen ihre zum Teil divergierenden politischen und/oder wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen (Kap. 4.7). Dazu kommt, dass es drei Hauptansatzpunkte bei den Reformen gibt, die von der Regierung und ihren Institutionen nicht gleichzeitig verändert werden. Die NDRC treibt beispielsweise Preisreformen bei Rohstoffen voran, berücksichtigt bei der Planung jedoch nicht ausreichend die Konsequenzen für die Betreiber von Kraftwerken und für die Endabnehmer. So musste die Regierung Kraftwerksbetreiber zeitweise hoch subventionieren, um Konkurse zu verhindern und den gestiegenen Preis für Rohstoffe nicht an den Endverbraucher weiterzugeben, was wiederum eine nachhaltige Versorgungssicherheit gefährdet hätte. Dadurch entstand in der VR China eine Politik, die nach dem Prinzip Try and Error funktioniert. Auch wenn diese Politik bei der Teilprivatisierung der staatlichen Erdölkonzerne erfolgreich verlief (Kap. 4.4.1), führte sie in anderen Bereichen dazu, dass Reformen wieder zurückgenommen und neue Konzepte entwickelt werden mussten (Kap. 4.4.3.3, 4.4.6.2). Drittens sah und sieht sich die Regierung in Beijing damit konfrontiert, dass sie die Machtverhältnisse im Energiesektor zu ihren Gunsten verändern muss. Die drei Hauptakteure – Regierung, staatliche Konzerne, Militär – versuchen ihre Interessen bei der Gestaltung der Energieversorgungsstrategie durchzusetzen. Das Militär konnte durch Reformen Ende der 1990er Jahre zum Teil entmachtet werden. Vor den Reformen agierte das Militär als weitgehend eigenständiger wirtschaftlicher Akteur und betrieb zum Beispiel eigene Erdölquellen und Pipelines. In den Jahren ab 1998 wurde dies geändert, was dazu führte, dass die Eigenversorgung des Militärs mit Rohstoffen und Kapital endete. Das Militär wird nun durch den steigenden Wehretat der Regierung finanziert und hat dadurch eigenen Handlungsspielraum eingebüßt. Allerdings kann der Einfluss auf die Politikgestaltung durch Faktoren wie den Ausbau der Hochseeflotte zur Sicherung der Seehandelswege wieder zunehmen (Kap. 4.7.4.5). Im Gegensatz dazu haben die staatlichen Erdölkonzerne an Einfluss auf die Regierung gewonnen. Durch die steigende Importabhängigkeit Chinas und die dadurch implizite Integration der Unternehmen in die Weltwirtschaft wächst auch der Handlungsspielraum gegenüber der Regierung. Die Konzerne sind zwar bei ihren weltweiten Investitionen auf die diplomatische Unterstützung hochrangiger Regierungsvertreter angewiesen und haben deren Rückenddeckung durch die „schwärmt aus“-Strategie (Kap. 4.7.6). Dadurch, dass die Unternehmen aber erst sehr spät auf den hart umkämpften internationalen Erdölmarkt vorgedrungen sind und Investitionen in Erdölquellen, die Übernahme von ausländischen Unternehmen und den Aufbau einer Transportinfrastruktur tätigen müssen, die oft-
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6 Resümee und Politikempfehlungen
mals nach wirtschaftlichen Kriterien äußerst umstritten sind, können sie günstige Kredite und eine Entscheidungshoheit gegenüber der Regierung einfordern (Kap. 4.4.1.4, 4.4.2.3, 5.14 u. 5.18). Dazu kommt, dass die Konzerne über bedeutend mehr Fachpersonal verfügen, als die Regierungsinstitutionen. So sind die NDRC und die ihr untergeordneten energiepolitischen Institutionen aufgrund ihrer dünnen Personaldecke schon mit den Genehmigungsverfahren hinsichtlich neuer Investitionen im In- und Ausland und der Regulierung der Energiepreise zu großen Teilen ausgelastet. Zur Gestaltung der Energiesicherheitsstrategie werden zwar auch Universitäten und Denkfabriken beauftragt, viele Energieexperten arbeiten jedoch in den Strategieabteilungen der staatlichen Konzerne. Dadurch und durch die personelle Verflechtung zwischen Regierung und Konzernen können die Unternehmen eine weitere Ausgestaltung der Energiesicherheitsstrategie maßgeblich mitentscheiden und ihre gewinnorientierten Interessen durchsetzen (Kap. 4.7.4.6). Viertens ist der internationale Erdölmarkt seit Jahrzehnten verteilt. Das Konfliktpotential, das entsteht, wenn ein neuer Akteur sich in diesem hart umkämpften Feld, das in der Vergangenheit immer wieder Auslöser für Kriege und Regierungsumstürze war (Kap. 2.2, 2.3 u. 2.8), etablieren möchte, ist enorm. Investitionen chinesischer Konzerne in Marktnischen, die entstehen wenn andere internationale Erdölunternehmen sich aus wirtschaftlichen Gründen oder aufgrund politischen Drucks ihrer Regierungen aus einem Gebiet zurückziehen, führen zumeist zu internationaler Kritik. Ein Beispiel hierfür ist das Engagement chinesischer Konzerne im Sudan. Nachdem sich die österreichische OMV aus dem Land zurückgezogen hatte, wurden indische, malaysische und chinesische Unternehmen dort tätig. Allerdings werden über 80 Prozent der dortigen Erdölproduktion auf dem Weltmarkt verkauft und nicht nach China verschifft. Somit tragen auch die chinesischen Konzerne ein ständiges hohes Risiko einer kriegsbedingten Unterbrechung der Produktion in und des Exports aus Staaten, in die kein anderer Konzern investiert. Tätigten sie die Investitionen nicht, so müsste das, aus Gründen der Angebotsverknappung, wiederum eine Steigerung des Ölpreises nach sich ziehen. Also stabilisieren die nationalen Ölkonzerne aus der VR China zumindest in diesem Falle das Angebot und in dem geringen Maße, in dem der Ölpreis noch auf Angebot und Nachfrage basiert, auch den Preis (Kap. 2.9 u. 4.7.6). Aus diesen Problemen wird klar, dass die chinesische Regierung und die energiepolitischen Institutionen zwar einige Grundinstrumente (Diversifizierung, strategische Reserve, internationale Kooperation, Sicherung der Transportwege) der übergeordneten UN-Energiesicherheitsstrategie übernehmen kann. Bei anderen Faktoren, wie der Berücksichtigung des Umwelt- und Klimaschutzes bei gleichzeitiger Garantie einer umfassenden Energieversorgung bei sozialen Prei-
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sen, wird es jedoch wiederholt zu einem Abwägen der Vor- und Nachteile für den Umweltschutz oder sozialen Frieden kommen, wie das Beispiel des DreiSchluchten-Staudamms zeigt (Kap. 4.4.5.1). Durch die Entwicklung eigener Instrumente für eine nachhaltige Energiesicherheitsstrategie in verschiedenen Staaten und Regionen wird jedoch eine globale Harmonisierung der Strategien erschwert. Durch die zum Teil konträren Interessen, die sich aus den unterschiedlichen Strategien ergeben, kommt es auch zu gravierenden Komplikationen etwa bei Verhandlungen über ein internationales Klimaschutzprogramm. Auf der anderen Seite kann auch eine weltweite Harmonisierung der Instrumente der verschiedenen Energiesicherheitsstrategien zu Konflikten führen. Die Diversifizierungsstrategie der Abnehmerstaaten bei Erdöl und Erdgas ist zwar ein Schutz gegen Kartelle wie die OPEC, führt aber aufgrund der geographischen Verteilung der Energierohstoffe zu einer Konkurrenz um die Ausbeutung der Rohstoffe. Das wurde in der vorliegenden Arbeit am Beispiel des Politikprozesses um die Kasachstan-China-Pipeline aufgezeigt. In der Kaspischen Region können aus dem Verbraucherspektrum allein vier Großakteure (USA, Russland, EU und China) definiert werden. Dazu kommen noch kleinere Akteure wie Indien und Japan, die ein Interesse an den Erdöl- und Erdgasvorkommen in der Region haben. Diese Akteure versuchen aus unterschiedlichen Gründen, Zugriff auf die dort vorhandenen begrenzten Energiereserven zu bekommen. Mit einem Weltanteil von rund vier Prozent bei Erdöl und Erdgas entsprechen die Vorkommen in der Region in etwa denen, die in der Nordsee vorhanden waren. Wird der Eigenverbrauch der Staaten des Südkaukasus und Zentralasiens mit einberechnet, so ergibt sich eine Exportkapazität bei den Energieträgern von jeweils zwei großen Pipelines (Kap. 1.6). Diese Tatsache verschärft die Rivalität um die Rohstoffe in der Region. Russland benötigt die Rohstoffe, um den Interessen des Kremls hinsichtlich des Aufbaus einer Energiesupermacht nachzukommen und die Energieexporte in Richtung EU weiterhin aufrecht erhalten zu können. Ferner betrachtet die russische Regierung die Kaspische Region als ihr „Nahes Ausland“, das heißt als eine „natürliche“ Einflusssphäre. Das entspricht in etwa der Haltung der USA gegenüber mittel- und südamerikanischen Staaten (Kap. 1.6.2). Die USA versuchen den Zugriff auf das Erdöl und das Erdgas zu erlangen, um die Leitwährungsrolle des US-Dollar zu schützen. Zudem versuchen sie über ihre Beziehungen in der Region und den Aufbau von Militärbasen eine Containmentpolitik gegenüber Russland, China und dem Iran fortzuführen (Kap. 1.6.1). Die Politik der beiden Akteure gegenüber der Region ist vorwiegend von klassischer Großmachtpolitik geprägt. Im Gegensatz dazu versuchen die EU und China ihre Interessen über den Aufbau wirtschaftlicher Interdependenz durchzusetzen. Die EU versucht dabei ihre Diversifizierungsstrategie weiter zu führen, um unabhängiger von den Erd-
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öl- und vor allem Erdgasimporten aus Russland zu werden (Kap. 1.6.3). Das Ziel Beijings ist es, den steigenden Bedarf an den beiden Energieträgern über eine kontinentale Diversifizierung der Importe zu decken. Wie die detaillierte Untersuchung bezüglich des Ausbaupotentials der in China eingesetzten Energieträger gezeigt hat, ist eine Substitution der wachsenden Importabhängigkeit bei Erdöl und Erdgas mittelfristig nicht zu erwarten. Auch wenn die VR China bei der Nutzung der verschiedenen Erneuerbaren Energien im globalen Ranking unter den ersten Zehn agiert und diverse Programme zur Steigerung der Energieeinsparung und Energieeffizienz aufgesetzt hat, wird sie weiterhin massiv von fossilen Energieträgern abhängig sein. Dabei ist ein verstärktes Engagement hinsichtlich einer kontinentalen Importstruktur zu erwarten, um die von den USA kontrollierten maritimen Einfuhren reduzieren zu können. Zudem können vielversprechende Fördergebiete nicht exploriert werden, solange die Grenzstreitigkeiten in der Ost- und Südchinesischen See nicht beigelegt sind (Kap. 1.6.4 u. 4). Durch das verstärkte Engagement Chinas in der Kaspischen Region hat sich das Kräfteverhältnis, das kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entstanden war, verschoben. Anfang der 1990er Jahre etablierten sich dort, neben den russischen Energiekonzernen, vorwiegend angloamerikanische und europäische Unternehmen. Während die westlichen Firmen nach wie vor die Produktion in Aserbaidschan kontrollieren, sieht dies in Zentralasien anders aus. Erstens konnten hier russische Konzerne ihren Einfluss zu weiten Teilen aufrechterhalten oder wiedergewinnen. Zweitens hat Kasachstan mit dem „Jahrhundertvertrag“ des Jahres 1997 ein großes chinesisches Investitionsprogramm zugelassen (Kap. 1.6, 5.2, 5.13 u. 5.22). Trotz vieler Schwierigkeiten und Verzögerungen bei den Verhandlungen und dem Bau der für die kasachisch-chinesischen Energiebeziehungen beispielhaft untersuchten Kasachstan-China-Pipeline, zeigt sich auch bei der Regierung in Astana ein Interesse an der Diversifizierung der Exportstaaten, ähnlich wie dies in Turkmenistan zu verzeichnen ist. Dadurch kann Kasachstan seine Abhängigkeit von der russischen Transportinfrastruktur senken und mehr Autonomie gegenüber dem großen nördlichen Nachbarn entwickeln. In Richtung EU gibt es allerdings noch kaum Möglichkeiten die Exporte unter Umgehung russischen Territoriums weiter auszuweiten. Das liegt vor allem daran, dass der Rechtsstatus des Kaspischen Meeres noch nicht geklärt ist und deshalb keine Pipeline nach Aserbaidschan gebaut werden kann. Das gleiche gilt in geringerem Maße für Turkmenistan. Auch ein Ausbau der Pipelineinfrastruktur durch den Iran ist nicht möglich. Aufgrund der Sanktionen der USA aber auch der EU, sind keine Investitionen in diesem Bereich zu erwarten. Auch Pipelines durch das Kriegsgebiet Afghanistan zur Versorgung Pakistans und Indiens, sind bis zum Ende der Kriege und Konflikte in der Region nicht in Betracht zu ziehen. Insofern bleibt
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für Kasachstan und Turkmenistan zur Durchsetzung ihrer Diversifizierungsinteressen und der Aufrechterhaltung der Erdöl- bzw. Erdgasrevenuen, auf die sie als Rentierstaaten angewiesen sind, fast ausschließlich eine Erweiterung der Exportkapazitäten in Richtung der VR China (Kap. 1.5.2, 1.7 u. 5.3). Die Analyse des Politikprozesses um die Kasachstan-China-Pipeline hat gezeigt, dass die Verhandlungen und der Bau der Pipeline von diversen Schwierigkeiten geprägt waren. Einerseits betraf dies die bilaterale Situation zwischen China und Kasachstan. Andererseits intervenierten internationale Akteure, die ihre Interessen gefährdet sahen. Hinsichtlich der bilateralen Verhandlungen waren vorwiegend staatliche Akteure involviert. Auf kasachischer Seite waren dies die Regierung mit ihren Institutionen sowie der staatlicher Energiekonzern KazMunaiGaz. Hier kam es vor allem zu Verzögerungen des Prozesses, wenn die kasachische Regierung die Gefahr sah, dass sie zu viel Einfluss auf den Energiesektor im eigenen Lande einzubüßen drohte. Das betraf die Streitigkeiten in der Region Aktobe und die von Kasachstan unterstellte Unzuverlässigkeit der chinesischen Konzerne bezüglich der Umsetzung von vertraglichen Verpflichtungen (Kap. 5.5). Ein anderes Beispiel war die Übernahme von PetroKazakhstan durch CNPC, die die kasachische Regierung versucht hatte zu verhindern. Der Konflikt konnte jedoch durch eine Beteiligung Kasachstans am Konzern beigelegt werden (Kap. 5.18). Auf der chinesischen Seite war die Akteurskonstellation ebenfalls durch staatliche Player geprägt. An den Verhandlungen beteiligt waren vorwiegend die chinesische Regierung mit ihren Institutionen und der staatliche Erdölkonzern CNPC. Andere Akteure, wie CNOOC, Sinopec und Shengli Oil hatten nur marginale Bedeutung (Kap. 5.11). Hindernisse für den Bau der Pipeline von chinesischer Seite wurden vor allem bei der Auslastung der Pipelinekapazität gesehen. Dabei wurde argumentiert, dass eine unzureichende Befüllung die Wirtschaftlichkeit des Projektes in Frage stellte. Diese Bedenken führten wiederholt zu einer Blockadehaltung bei CNPC und prägten die Verhandlungen um weitere Investitionen chinesischer Energiekonzerne in Kasachstan über den gesamten Planungs- und Bauprozess der Pipeline (Kap. 5.5 bis 5.20). Eine Einigung konnte erst erzielt werden, nachdem die Zuleitung von russischem Erdöl garantiert wurde (Kap. 5.16 u. 5.21). Mit der Integration der russischen Akteure – Kreml, Yukos, Rosneft, TNKBP – in den Politikprozess wurde die Planung jedoch verkompliziert. Die russischen Interessen, nach denen China ein reiner Abnehmerstaat bleiben, aber nicht als Produzent in der Region auftreten sollte, waren für weitere Verzögerungen beim Bau der Pipeline verantwortlich (Kap. 1.6.2). Zudem befand sich Russland in einer Phase, in der sich der Kreml im Machtkampf mit russischen Oligarchen, wie beispielsweise dem ehemaligen Eigentümer von Yukos, Michail Chodor-
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kowski, stand. Durch diesen Machtkampf, der mit der Verhaftung und Verurteilung Chodorkowskis und der weitgehenden Re-Verstaatlichung des russischen Energiesektors endete, kam es zu einer Neustrukturierung der russischen Erdölkonzerne, die allein schon aus organisatorischen Gründen zu einer Unzuverlässigkeit der russischen Position führte (Kap. 5.6). Neben der schwankenden Position Russland versuchten die USA den Pipelinebau zu verhindern, indem sie einerseits die Beteiligung von chinesischen Erdölkonzernen am Kashagan-Feld unterbanden (Kap. 5.11). Andererseits versuchten sie direkt auf die kasachische Regierung Druck auszuüben, indem sie zum Beispiel Verhandlungen über militärische Hilfe an das Scheitern des Pipelineprozesses koppelten (Kap. 5.15). Aber auch diese Bemühungen konnten den Bau der Pipeline nicht verhindern. Während die Rivalität um die zentralasiatischen Energieträger zwischen den USA und der VR China weiterhin bestehen, sieht es so aus, als ob Russland die chinesischen Aktivitäten in der Region inzwischen zumindest toleriert. Der Grund hierfür wird nicht zuletzt in der häufig kohärenten Vorgehensweise bei Entscheidungen des UN-Sicherheitsrates liegen und in der wachsenden Bedeutung regionaler Organisationen wie der SCO, in der beide Staaten Mitglied sind. Die EU versucht ebenfalls weiterhin auch auf die zentralasiatischen Rohstoffe Zugriff zu bekommen. So finden nach wie vor Verhandlungen mit Turkmenistan über die Befüllung der Nabucco-Pipeline mit turkmenischem Erdgas statt. Solange aber der Rechtsstatus des Kaspischen Meeres nicht geklärt ist, dürfte das die Grenze sowohl für ein erfolgreiches energiepolitisches Engagement der EU in Zentralasien, als auch der VR China in Aserbaidschan darstellen. Bei kleineren Akteuren in der Region konnten Rivalitäten mit der VR China weitestgehend geklärt werden – zumindest gibt es Ansätze dafür. Während CNPC und die indische OME sich bei der Übernahmeschlacht um PetroKazakhstan noch als Konkurrenten gegenüber standen, vereinbarten sie, kurz nachdem CNPC in dieser Hinsicht gewonnen hatte, zukünftig im Vorfeld Absprachen zu treffen. Beide Staaten sind bemüht Anteile auf dem internationalen Erdölmarkt zu erobern und können sich gegenüber den anderen Akteuren besser durchsetzen, wenn sie gemeinsam agieren. Auch in Bezug auf Japan konnte China einige Konflikte zumindest vorerst beilegen. So gehen die Verhandlungen um die Grenzziehung und die Offshore-Reserven in der Ostchinesischen See voran und auch hinsichtlich der Konkurrenz um den Bau einer russischen Pipeline, die jetzt zur Versorgung Chinas und Japans angelegt ist, gab es eine Einigung (Kap. 3.3.3 u. 4.4.1.4.2).
6.2 Politikempfehlungen
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6.2 Politikempfehlungen Die chinesische Regierung sollte bei Umsetzung einer nachhaltigen Energiesicherheitsstrategie ihre Bemühungen zu Kooperation in der Kaspischen Region aber auch mit Organisationen wie ASEAN oder OVKS weiterführen. Dazu gehört vor allem der Ausbau der SCO, da diese Organisation über ihre verschiedenen Büros auch ein wachsendes Potential hat, Konflikte um Energieträger in der Region beizulegen. Zudem scheint das Prinzip der wirtschaftlichen Interdependenz als eines der Hauptinstrumente der chinesischen Außenpolitik zu funktionieren, auch wenn die Regierung in Beijing versucht, ihre vitalen Interessen möglichst vollständig durchzusetzen. Ferner sollten Ansätze, wie die indischchinesische Energiekooperation weiter verfolgt werden und als Möglichkeiten zur Interaktion mit anderen Akteuren in Betracht gezogen werden. Absprachen in dieser Hinsicht wären auch zwischen der EU und China zu etablieren, wenn sich beide als gleichberechtigte Akteure ansähen. Innenpolitisch wird China weiterhin den Ausbau des Energiesektors vorantreiben, um bei gleichbleibend hohem durchschnittlichem Wirtschaftswachstum eine flächendeckende Energieversorgung garantieren zu können. Dabei muss die Regierung in Beijing aber beachten, dass die Umweltfolgekosten durch einen hohen Anteil von fossilen Energieträgern am Energiemix steigen und einen Teil des BIP beanspruchen werden. Deshalb sollten weitere radikale Programme zur Ausweitung der Energieeinsparung, der Energieeffizienz und der Kapazitäten im Bereich der Erneuerbaren Energien verabschiedet werden. Zudem ist eine Erhöhung der Investitionen in Forschung und Entwicklung notwendig, um die eigene Produktion von effizienten Anlagen voranzutreiben. Die chinesische Regierung kann sich nicht darauf verlassen, neueste Technologien in den für die nachhaltige Entwicklung des Landes relevanten Bereichen günstig auf den Leadmärkten in den Industrienationen einkaufen zu können. Andererseits sollten die internationalen Verhandlungen zur Beschleunigung eines Technologietransfers von den Produzentenstaaten in Schwellenländer schnellstens eine Einigung erzielen. Dazu sollte es auch westlichen Politikern und Konzernen bewusst sein, dass die kurzfristigen Gewinnmitnahmen von heute (Stand 2009) durch die immensen Umweltfolgekosten von morgen, die auch dadurch entstehen, dass Schwellenländer nicht ausreichend mit Umwelt- und Klimaschutztechnologie versorgt werden, sehr schnell getilgt werden. Denn der Klimawandel, der durch die vorwiegende Verwendung von fossilen Energieträgern in den Schwellenländern entsteht, ist ein zukünftiges Problem für die gesamte Weltgemeinschaft. Die EU könnte in dieser Hinsicht eine Vorreiterrolle übernehmen. Durch die technologische Kompetenz, die dazu führte, dass sich beispielsweise
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Deutschland zum Leadmarkt bezüglich Wind- und Solarenergieanlagen entwickelt hat, könnte die EU bei internationalen Klimaverhandlungen den Weg zu einer Kompromisslösung beim Technologietransfer bereiten. Eine Lösungsmöglichkeit des Problems wäre die Einrichtung eines internationalen Finanzierungspools. Weiterhin sollte die EU ihre multipolare außenpolitische Ausrichtung nutzen, um Dialoge mit regionalen Organisationen, wie der SCO, zu vertiefen um damit beispielsweise Konflikten und Rivalitäten um die Energierohstoffe in der Kaspischen Region zu begegnen. Über solche Dialoge könnte auch die VR China stärker in das internationale Wirtschaftssystem integriert werden, was wiederum wirtschaftliche und politische Konflikte um die Verteilung von Rohstoffen begrenzen könnte. Auch die USA sollte wesentlich mehr einen Dialog mit einzelnen Staaten, aber auch Organisationen in der Region aufnehmen, um sie besser in das internationale Wirtschafts- und Staatensystem zu integrieren. Dazu müssten die USA aber ihre klassische Großmachtpolitik ändern und von einer unipolaren auf eine multipolare außenpolitische Strategie umschwenken. Gelänge dieser Paradigmenwechsel unter dem neuen US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama, könnten Konflikte, die sich durch die Konkurrenz um die Energiereserven und die Containmentpolitik der USA in der Kaspischen Region ergeben, reduziert werden. Dazu gehört jedoch auch ein intensiver Dialog mit dem Iran zur Aufhebung der US-amerikanischen Sanktionen. Wenn die isolationistische Politik gegenüber der aufstrebenden Regionalmacht Iran in eine integrierende umgestaltet werden könnte, würde sich auch das sich verstärkende politische Machtdreieck zwischen Russland, China und dem Iran auflösen. Wenn die Containmentpolitik der USA und das aggressive Vorgehen ihrer Erdölkonzerne in der Region jedoch bestehen bleibt, kann sich das Machtdreieck zu einem Machtblock entwickeln, der eine multipolare Weltordnung ausschlösse und eine bipolaren Situation schüfe. Neben Eingeständnissen von Seiten der USA gehörte zur Vorbeugung von Konflikten aber auch ein Politikwechsel Russlands. Denn auch der Kreml versucht seine Interessen uneingeschränkt und zum Teil aggressiv in seinem „Nahen Ausland“ durchzusetzen. Gegenüber China musste Russland vermehrt Zugeständnisse machen. Dennoch konnte der Kreml bisher seinen Einfluss in der Kaspischen Region wiedergewinnen. Allerdings wird eine Fortführung dieser Politik bei der interessenspolitischen Gemengelage in der Region zwangsläufig zu neuen Konflikten führen. Auch hier sollte ein Umdenken in Richtung Interdependenz und Multipolarität einsetzen. Ein Ansatzpunkt wäre in dieser Hinsicht die Einrichtung eines internationalen Währungspools zur Ablösung der Weltwährung US-Dollar. Dieser Währungspool, bei dem zuerst der US-Dollar, der Euro und der Yen die bestimmen-
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den Währungen wären, könnte auf der Basis des Instrumentes der Sonderziehungsrechte des IMF funktionieren. Dadurch könnten im Laufe der Zeit auch Währungen wie der Rubel und der Renminbi integriert werden. Die internationale Verteilung der Seignorageeffekte würde jedoch zu mehr internationaler Kooperation führen und dazu beitragen, dass kriegerische Auseinandersetzungen, wie sie im Irak und in Afghanistan stattfinden, in Zukunft vermieden werden könnten. Langfristig kann eine stabile weltpolitische und weltwirtschaftliche Situation nur geschaffen werden, wenn aufstrebenden Mächten nicht mit Konkurrenz sondern mit Kooperation begegnet wird und diese in einen Dialog auf gleicher Augenhöhe ins Weltwirtschaftssystem integriert werden. Dies gilt auch für die Aufstellung eines internationalen Klima- und Energieregimes.
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