Der Krieger aus der Hölle Roman von Austin Osman
Der Flug Alitalia 765 von Rom nach New York brachte den Widerlichen z...
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Der Krieger aus der Hölle Roman von Austin Osman
Der Flug Alitalia 765 von Rom nach New York brachte den Widerlichen zum Big Apple. Jeder, der in seine Nähe kam, hatte das Bedürfnis, sich zu waschen. Doch den Widerlichen störten die von Abscheu erfüllten Blicke, die ihn trafen, nicht. Die Maschine setzte zur Landung auf dem John-FKennedy-Airport an. »Bald, Luca«, wandte sich der Widerliche an seinen Begleiter, »bald ist es vorbei...«
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Kein Mensch begab sich nachts freiwillig in diese Gegend von New York. Bruce Darkness grinste bei diesem Gedanken. Kein Mensch - und auch kein Vampir. Dass er die Federung seiner Harley auf dieser Schlaglochstrecke verschliss, war nicht seine Idee gewesen. Baron Boris von Kradoc, der Herr aller New Yorker Vampire, hatte ihn zu sich zitiert und ihn beauftragt, einen Blick auf das Gelände zu werfen. Es handelte sich um einige Straßenzüge, die sämtliche Stadien des Verfalls schon hinter sich gebracht hatten. Ruinen säumten die Straße. Halb verfallene, in sich zusammengestürzte Schutthaufen wechselten sich mit ausgebrannten Mietshäusern ab, deren Außenmauern ein durcheinander von geborstenen Treppen, löchrigen Decken und zerbröckelten Zwischenwänden verbargen. Das tiefe Blubbern des Motors wurde von den schmutzigen Fassaden zurückgeworfen. Dann wieder verstummte das Echo, weil Baulücken den Blick auf die dahinter liegende Trümmerfläche freigaben. Die Ruinen schwitzten einen Geruch nach Unrat, Schmutz, vermodertem Gebälk und feuchtem Mörtel aus, als hätte sich das gesammelte Elend der ehemaligen Bewohner in den Mauern festgekrallt und würde nun wie eine zerschlissene Fahne über dem Verfall wehen. So war es in gewisser Weise ein Akt der Höflichkeit seitens der Stadtverwaltung, diesen Pickel im Antlitz des Big Apple dadurch zu verdecken, dass von den vorhandenen Straßenlaternen nur jede dritte oder vierte ein mattes Licht spendete, meist gerade genug um den eigenen Pfahl zu beleuchten. Natürlich lebten hier immer noch Menschen. Für den Abschaum der Großstadt boten sich ausreichend Unterschlupfmöglichkeiten. Aber auch für manchen Vampir fand sich in den weitläufigen Kellergewölben eine sichere Bleibe für die Stunden des Sonnenlichts. Zumindest hatten das einige von Kradocs Leuten gedacht, bis sie ein unfreiwilliges Sonnenbad nehmen mussten oder sich auf andere Art zu einem Fall für den Staubsauger entwickelten. »Etwas geht da vor«, hatte Kradoc zu Bruce - seinem Stellvertreter gesagt. »Beende das.« Am Straßenrand drängten sich einige zerlumpte Gestalten um ein Fass, in dem ein stinkendes Feuer blakte. Misstrauisch blickten sie zu dem schwarzhaarigen Mann in der schwarzen Lederkluft, der seine schwere Maschine langsam die Straße entlangrollen ließ. Bruce warf ihnen nur einen kurzen Blick zu. Nein, diese Typen waren schlimmstenfalls eine Gefahr für sich selbst. Unangenehmer war da schon eher dieses Licht, das sich mit rasender 3
Geschwindigkeit von der Seite näherte ... Noch bevor er die Situation überhaupt bewusst registriert hatte, reagierte sein Instinkt. Bruce sprang von seinem Motorrad und warf sich mit einem Riesensprung zur Seite. Er landete hinter einem der Autowracks, die den Straßenrand verschönerten. Seine Landung ließ ein wenig die Eleganz vermissen, die Bruce sonst an sich so überaus schätzte. Er übersah ein vorstehendes Metallstück. Die scharfe Metallschneide schlitzte seinen Oberschenkel bis zum Knochen auf und warf ihn noch in der Luft um die eigene Achse. Bruce Darkness krachte mit dem Gesicht voraus in die Glassplitter auf dem Bürgersteig. Verdammt!, dachte er, als er sich aufrappelte, und seine aufgeschlitzte Lederhose betrachtete. Die Wunde machte ihm weniger Sorgen, sie hatte sich schon fast geschlossen. In der nächsten Sekunden wurden Bruce Darkness zwei Dinge klar: Er hatte richtig reagiert. Und er brauchte zu der neuen Hose ein neues Motorrad. Seine Harley schmolz in diesem Moment in einer goldfarbenen Feuerblume, wie sie der beste Pyrotechniker Hollywoods nicht eindrucksvoller hingekriegt hätte. Bruce konnte seiner geliebten Maschine nicht einmal böse sein. Harleys reagierten nun einmal etwas empfindlich, wenn sie einen Volltreffer durch ein Leuchtspurgeschoss mitten in den Tank abbekamen. Schwarzer Rauch quoll auf, der beißende Gestank von verbranntem Gummi verdrängte den allgegenwärtigen Geruch des Verfalls. »Verfluchter Mist! Ich habe die Karre doch erst vor 'ner Viertelstunde vollgetankt«, schrie Bruce wütend. Dann zog er den Kopf ein, denn eine Dreiersalve schlug Funken sprühend unmittelbar neben ihm in das Autowrack und verteilte einen Hagel von Glassplittern. Es war an der Zeit, die Sache persönlich zu nehmen. Trotzdem verharrte er erst mal bewegungslos in Deckung. Das Feuer warf hektisch tanzende Schatten auf den Bürgersteig. Irgendwo auf der anderen Straßenseite, im dritten oder vierten Stockwerk des ausgebrannten Hauses, musste der Schütze lauern. Aber abgesehen von dem beruhigenden Gefühl, dass er die Sache mal wieder voll im Griff hatte, konnte sich Bruce mit dieser Erkenntnis auch nichts kaufen. Nun gut, es war nicht der Stil von Bruce Darkness, sich aus dem Hinterhalt beschießen zu lassen und dann nicht mal Danke zu sagen. Außerdem gab es eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass der Waffenfreak etwas mit den Ereignissen zu tun hatte, die Baron von Kradoc beunruhigten. Alles klar, Kumpel, sagte sich Bruce. Wenn du nicht kommst, dann komme ich. Vorsichtig hob er den Kopf. Sekundenbruchteile später jaulten 4
ihm wieder die Kugeln um die Ohren, krachten in das Blech oder schlugen gegen die Hauswand hinter ihm und sirrten als Querschläger in die Nacht. Der Typ auf der anderen Seite war nicht unbedingt ein Meisterschütze, aber er hatte wohl ein Zielfernrohr mit Restlichtverstärker an seinem Schießprügel und knauserte nicht mit der Munition. Aber auch das würde ihm nichts nutzen. Bruce robbte zum anderen Ende des Wagenwracks. Dann setzte er zum Spurt über die Straße an. Ein Carl Lewis wäre eine Lachnummer gewesen, im Vergleich zu dem Tempo, mit dem der Vampir die Straße überquerte. Doch als der Vampir das Haus erreichte, stand er vor einer vermauerten Tür. Das alleine war nicht so erheblich, aber nun entdeckte Bruce, dass auch die Fenster bis zum zweiten Stock sämtlich vermauert waren. Es war nicht so, als hätte er das nicht schon von der anderen Straßenseite aus bemerkt. Es war ihm schlichtweg egal gewesen. Jetzt allerdings fragte er sich, ob ein wenig mehr Planung nicht zuweilen Vorteile haben würde. Er stand ohne Deckung vor der Fassade. Beiderseits der Ruine waren Baulücken. Alles klar, dann ging er eben von hinten heran. Bruce Darkness wandte sich zur rechten Seite. Er hatte einige Schritte in lockerem Trab hinter sich gebracht, als ihn ein Geräusch herumfahren ließ. Der Liebhaber der Feuerwaffen hatte gewartet, bis sich Bruce für eine Seite entschied, um dann auf der anderen zu fliehen. Dumm gelaufen, Kumpel, dachte der Vampir, ich bin schon unterwegs. Ich habe noch ein Date mit dir! Bruce drehte sich auf dem Absatz, beschleunigte, raste die Fassade entlang und warf sich mit einem gellenden Kampfschrei um die Ecke. Dann fuhr es ihm durch den Kopf, dass er vielleicht doch etwas zu temperamentvoll reagiert hatte ... Sein Geschrei wurde nämlich durch einen vielstimmigen Chor aus dem Dunklen beantwortet. Laute, grölende Männerstimmen, die nur eine Mitteilung hatten - Kampf und Tod. Bruce konnte nicht schnell genug stoppen. Sein eigener Schwung warf ihn vorwärts, ließ ihn mit grotesken Schritten noch einige Meter weit in das Dunkel des Trümmergeländes stolpern. Um ihn herum spürte er die Anwesenheit vieler Sterblicher. Aber das war es nicht, was ihm in diesem Moment Sorge bereitete. Die waren nur Opfer für ihn. Es war vielmehr das heisere Röcheln unmittelbar vor ihm. Undeutlich konnte er einen großen kantigen Schatten ausmachen. Dann steigerte sich das Röcheln zum urwüchsigen Gebrüll. Acht Zylinder, liebevoll geschliffen und aufgebohrt, befeuert mit feinstem Superbenzin, das durch Kochtopfgroße Vergaser gurgelte, wuchteten ihre 5
Kraft auf eine gierige Pleuelstange - und der riesige Pick-Up machte fast aus dem Stand einen Tigersprung, während aus den beiden Auspuffsäulen Flammen fuhren. Bruce versuchte, sich mit einem Seitensprung aus der Gefahrenzone zu bringen. Aber dort im Dunkeln warteten die Sterblichen mit Eisenstangen. Ihre Hiebe konnten ihn zwar nicht ernsthaft verletzen, warfen ihn aber zurück vor die Stoßstange des Pick-Up. Der Aufprall ließ Bruce Darkness laut aufschreien. Schmerz jagte durch seinen Körper, er spürte, wie die Knochen in seinem rechten Arm splitterten und sich wie Nadeln durch die Haut bohrten und wie seine Rippen in die Lunge stachen. Er brauchte Zeit, um sich auf die Heilung zu konzentrieren. Es ging schnell, aber nicht schnell genug. Der Pick-Up schoss bereits wieder mit voll aufgeblendeter Lichtleiste auf den Vampir zu. Bruce Darkness, zusammengekrümmt vor Schmerz und mit weit aufgerissenen Augen, in denen eine unmenschliche Wut flackerte, wurde in gleißende Helligkeit getaucht. Die breiten Stollenreifen wühlten sich durch Steinbrocken und Schutt, rissen den tonnenschweren Wagen unter zornigem Heulen vorwärts. Jubel erklang aus dem Dunkel, als der Vampir mit lautem Krachen vom Kühler erwischt wurde. Sein Körper prallte mit der Brust gegen die massiven, schwarzen Eisenrohre. Die Wucht des Aufpralls schleuderte ihn in die Höhe, wo er sich mehrmals überschlug und dann in einigen Metern Entfernung auf die Straße prallte. Bruce rührte sich nicht. Fürchterliche Wunden bedeckten seinen Körper. Die Brust war zerschmettert, unter der schwarzen Lederjacke war der Leib aufgeplatzt, seine Beine und Arme waren seltsam verrenkt. Er spürte den schmutzigen Asphalt unter seinem Gesicht, blieb bewegungslos und konzentrierte sich darauf, seinen Körper wieder in Schuss zu bringen. Es war nicht leicht und es brauchte Zeit. Aber ob er die haben würde? Egal, welcher Gegner ihm gegenüberstand, er hatte mit seiner Waffe namens Automobil schon einigen Schaden angerichtet. Gerade als Bruce dieser Gedanke durch den Kopf ging, sprang der Pick-Up aus der Baulücke auf die Straße, wo die brennende Harley immer noch Beleuchtung spendete. Der Wagen wurde abgebremst und schleuderte gekonnt um 180 Grad herum. Die Kerle konnten ihre Wagen nicht nur frisieren, sie konnten auch damit umgehen. Im Wagen saßen zwei Männer, mehr konnte Bruce nicht erkennen. Dann beschleunigte der Pick-Up, raste auf den bewegungslosen Körper auf der Straße zu - und bremste im letzten Moment. Die Reifen rutschten 6
kreischend über den Asphalt und der Wagen kamen keinen Zentimeter vor Bruce zum Stehen. Der rührte sich immer noch nicht. »Ach Scheiße, der ist doch schon platt«, schrie eine Stimme aus dem Hintergrund. »Vergiss es, du Pfeife. Warts doch einfach ab.« Krachend wurde der Rückwärtsgang eingeworfen. Der Pick-Up rollte zurück, beschleunigte und bremste, dass die Motorhaube wie bei einem startenden Jet nach oben zeigte. Dann krachte wieder das Getriebe und der Wagen nahm mit qualmenden Reifen Tempo auf. Bruce ging es schon viel besser, auch wenn die Situation nicht unbedingt optimistisch stimmte. Aber im Kopf des Vampirs rasten die Gedanken. Sollte er sich schon in Deckung bringen? Oder sollte er sich überrollen lassen, in der Hoffnung, dass die Verletzungen nicht zu schwer sein würden, um den Zeitgewinn aufzuheben? Bruce Darkness entschied sich für die zweite Variante. Er beobachtete seine Umgebung und konzentrierte sich auf seine Wunden. Als der gewaltige Schatten des Pick-Ups über ihm war, drehte er sich blitzschnell, aber für seine Beobachter unmerklich, zur Seite. Die Reifen sausten links und rechts an ihm vorbei. Eindrucksvoll für das sterbliche Gesocks, das sich dort irgendwo im Dunkeln verbarg, denn für sie sah es so aus, als hätte es ihn voll erwischt. Regungslos blieb Bruce liegen. Bisher war er es gewesen, der in die Falle getappt war. Nun sollten die anderen den nächsten Zug machen. Und das taten sie. Ein Pfeife trillerte in der Nähe und dann stürmten ein Dutzend Gestalten hinter der Mauerecke hervor. Sie brüllten wie die üblichen Barbarenhorden in einem B-Film, schwangen Äxte und Macheten und erweckten auch sonst in keiner Weise den Verdacht, dass sie mit Bruce bei einem Tässchen Kamillentee über die Sache reden wollten. So weit waren die Verhältnisse geklärt. Aber wussten sie auch, dass der regungslose Vampir, auf den sie zustürmten, inzwischen wieder im Vollbesitz seiner übermenschlichen Kräfte war? Bruce Darkness beantwortet die Frage mit einem eindeutigen, boshaft grinsenden. Nein. Und wieder einmal in dieser ebenso unterhaltsamen wie lehrreichen Nacht, lag er falsch. Sie wussten es! Dennoch wurden sie von dem Angriff des Vampirs überrascht. Bruce wartete, bis sie ihn schon fast berühren konnten. Dann stemmte er sich mit Händen und Füßen in die Höhe. Es gelang ihm, sich bis über ihre Kopfhöhe zu schleudern und sich dann in der Luft zu drehen. Er landete mitten in dem angreifenden Haufen und packte sich zwei der 7
Gegner von hinten, schmetterte die Köpfe der beiden Männer gegeneinander. Es gab ein lautes Krachen und sie sanken bewusstlos oder tot in sich zusammen. Dann wollte er sich umwenden, aber noch in der Drehung erwischte ihn eine Eisenstange an der Seite. Der Vampir schrie in einer Mischung aus Wut und Schmerz auf. Er war offensichtlich beeindruckt, zumal die schiere Wucht des Schlages ihn zur Seite prellte. Trotzdem klemmte er die Stange mit seinem Arm ein, führte die Drehung weiter und riss sie so dem Gegner aus den Händen. Der wich zurück, nicht schnell genug, weil hinter ihm einer seiner Kumpane stand. Der Vampir nutzte den freien Arm und stieß die Stange unter seiner Achsel hindurch in den Gegner und durchbohrte seine Brustmitte. Kreischend vor Schmerz kippte der nach hinten. Das Geräusch, das eine Pump Gun machte, die durchgeladen wurde, erklang aus dem Hintergrund. Dann bellte der Schuss und der Vampir wurde herumgeworfen. Der Schütze hatte ihn aus nächster Nähe in den Unterleib getroffen. Der nächste Treffer saß weiter oben und zerfetzte die Lederjacke, sodass die klaffende Wunde, ein unerträglich anzuschauender Krater aus Haut, Blut, Fleisch und Schrotkugeln, offen lag. Noch ein Schuss. Wieder ein Treffer. Endlich knickte der Vampir ein. »Verdammt, wisst ihr Säcke eigentlich nicht, dass das weh tut?«, keuchte Bruce. Ein Johlen antwortete ihm, dann schwieg die Flinte und eine Machete sauste durch die Luft. Sie war auf die Schulter des Vampirs gezielt, aber der warf sich zur Seite. Das Messer knallte in den Asphalt, vom eigenen Schwung mitgerissen kam der Mann ins Stolpern und fiel auf die eigenen Hand, die den Messergriff noch umklammert hielt. Erschrocken sah er direkt neben sich die vor Wut leuchtenden Augen des Vampirs. »Dein letzter Fehler«, schrie Bruce. Dann legte er seine Hand auf den Rücken des Gegners und drückte ihn auf die Straße. Der Aufprall trieb ihm den Messergriff durch den Leib. Bevor sich Bruce auf den nächsten Gegner einstellen konnte, traf eine Machete auf seine Schulter. Die Klinge zerschnitt seine schwere Lederjacke, fuhr tief in das Fleisch und blieb im Schulterblatt stecken. Der Schmerz umnebelte seinen Verstand. Dann setzte der Sterbliche einen derben Kampfstiefel auf die Schulter des Vampirs und zog die Waffe ächzend aus der Wunde, wobei er ihr noch eine zusätzliche Drehung gab. 8
Bevor sich Bruce dafür rächen konnte, fuhr ihm ein Speer zwischen die Rippen, durchbohrte seine Lunge, fuhr in seinem Rücken wieder heraus und nagelte ihn förmlich an den Asphalt. Oh, Mann, ein Speer! An welche Spinner war er denn hier geraten? Am Anfang hatte Bruce Darkness die Angelegenheit für eine Nebensache gehalten. Dann begann er, die Keilerei sportlich zu sehen. Und spätestens jetzt musste er erkennen, dass er nicht mehr so völlig Herr der Situation war. Zeit für einen taktischen Rückzug. Seine Position auf der Straße war nicht unbedingt günstig, aber es reichte, um einigen der Gegner einen schnellen Tritt zu verpassen. Heulend, mit zerschmettertem Schienbein oder zertretenem Kniegelenk kippten sie nach hinten und schlugen auf den Asphalt. Für einige Augenblicke bildete sich ein freier Kreis um den Vampir. Wieder das Geräusch einer durchladenden Pump Gun aus dem Hintergrund. Bruce warf sich zur Seite. Der Schaft des Speeres, der in ihm steckte brach ab. Der Vampir stemmte sich hoch, riss den Rest des Spießes aus seinem Leib. Er wankte, während seine Gegner einen Kreis um ihn bildeten. Bevor er sich voll aufrichten konnte, krachte der Schuss und warf ihn fast wieder zu Boden. Aber der Vampir blieb auf den Beinen. Während er vor sich auf den Boden starrte und auf eine seltsame Weise seine Feinde zu vergessen schien, schlossen sich seine Wunden. »Vorsicht!« Der Warnruf kam zu spät. Einer der Angreifer hatte den Vampir unterschätzt und war mit einer Axt auf ihn zugestürmt. Eine einzige Handbewegung des Vampirs, als wollte er eine lästige Fliege verscheuchen, schleuderte die Waffe im hohen Bogen zur Seite. Dann fuhr der Arm vor, die Hand umklammerte, schneller fast, als es das menschliche Auge überhaupt wahrnehmen konnte, den Hals des Mannes. Sie ballte sich zur Faust, umkrallte die Kehle und fuhr zurück. Gurgelnd sackte der Mann zusammen und fasste sich selbst an die klaffende Halswunde, bevor röchelnd auf dem Bürgersteig zusammenbrach. Und Bruce rannte los. Augenblicke später trafen ihn wieder Schrotladungen aus der Pump Gun, doch auf diese Entfernung war die Streuung bereits zu stark, sodass die Treffer mehr schmerzten, als dass sie wirklich verletzten. Dann verstummten die Schüsse. Der Schütze hatte kein freies Sichtfeld mehr, weil seine Kumpane dem Vampir hinterher stürmten. Endlich erreichte Bruce die Hauswand. Seine Hände tasteten über das Mauerwerk, fühlten über Vorsprünge und fanden endlich eine Lücke. Er krallte seine Hände in den schmalen Spalt, spannte alle Muskeln und riss 9
einen Brocken aus zwei oder drei zusammenhängenden Ziegeln aus der Wand. Ohne innezuhalten schleuderte er die Steine. Das zum Geschoss gewordene Stück einer New Yorker Ruine sauste über die Köpfe der Angreifer hinweg und traf sein Ziel. Der Mann mit der Pump Gun gab noch eine Schuss ab, aber der ging in den schwarzen Nachthimmel. Mit zertrümmertem Brustkorb brach er zusammen. »Und jetzt zum Rest«, knurrte Bruce. Zum ersten Mal konnte er sich die Angreifer anschauen und versuchen, sie einzuschätzen. Und er war leicht verwirrt. Obwohl er schon ein halbes Dutzend von ihnen umgehauen hatte, mehr oder weniger endgültig, drangen immer noch viele auf ihn ein. Es waren allesamt junge Männer, teilweise noch Jungen und ihr Akzent verriet, dass keiner von ihnen aus New York stammte. Diese jungen Männer schienen ihre besondere Art des Extremsports gefunden zu haben - Vampirjagd. Gefährlicher als eine Besteigung des Mount Everest, aufregender als das Warten auf die große Welle vor Frisco. »Action and fun with Draculas son« oder so ähnlich musste ihr Slogan lauten. Am Schluß gab es dann ein T-Shirt mit dem roten Aufdruck »Ich pfählte einen Vampir«. Diese Jungs waren nicht schlecht. Sie hatten das Prinzip durchschaut: Immer in großer Überzahl sein, den Vampir ständig von allen Seiten angreifen, Knoblauch in Mamis Küche, Weihwassser in der Kirche lassen und stattdessen die Zimmerflak zum Date mit der Höllenkreatur mitnehmen. Eine Axt segelte knapp an Bruces Kopf vorbei, ihre scharfe Stahlklinge schlug in die Wand. Der aufsteigende Staub nahm ihm für Augenblicke die Sicht. Aber was er hörte, reichte ihm völlig. Es war das Klacken von vier, fünf oder sechs Revolverhähnen. Dann drückten sie ab, alle auf ein Kommando und der Vampir bäumte sich unter den Treffern auf und schrie vor Schmerz. Fehlschüsse prasselten in die Wand um seinen Kopf, die Querschläger jaulten, Ziegelstaub brach, wie von kleinen Vulkanen ausgespien, aus dem Mauerwerk und senkte sich über die Szene, während der Vampir langsam in sich zusammensank. »Ist er platt?« »Vergiss es, du weißt doch, wie es mit den anderen war.« »Und der hier ist noch zäher.« »Der ist ein harter Brocken. Schade, dass man seine Rübe nicht an die Wand hängen kann. Wär 'ne geile Trophäe.« »Schnauze jetzt. Noch eine Salve, sonst ist er gleich wieder fit. Wird langsam Zeit, dass wir fertig werden, sonst sind die Verluste zu hoch!« 10
Den letzten Satz hätte auch Bruce Darkness unterschrieben. So langsam wurde die Sache lästig. Er merkte deutlich, wie seine Kräfte immer mehr nachließen. Zwar konnte er auch jetzt noch seine Wunden schließen. Aber wenn die Angreifer ihre Taktik konsequent durchzogen und ständig angriffen, dann empfahl sich ein lebensverlängernder Rückzug ohne Rücksicht auf kleinliche Eitelkeit. Fragte sich nur, ob die Jungs ihn so einfach gehen ließen ... Die nächste Salve prasselte auf ihn ein. Der Vampir wurde von den Treffern geschüttelt, rührte sich aber ansonsten nicht. Erst als die ersten Gegner mit Macheten auf ihn eindrangen, schob er sich an der Wand hoch und sorgte mit einigen Tritten und Schlägen dafür, dass ihm genug Freiraum blieb. Die Getroffenen mussten ihre mangelnde Reaktionsschnelligkeit mit blauen Augen und dem Verlust einiger Zähne bezahlen. Aber auch sie merkten, was geschah. »He, dem Arsch geht die Puste aus«, rief ein stiernackiger Riese, nachdem er sich durch energisches Spucken einiger Schneide- und Backenzähne entledigt hatte. Wahrscheinlich hatte der Kerl noch niemals deutlich gesprochen, aber jetzt bekam seine Aussprache durch eine Reihe von Zischund Speichelspucklauten ihren eigenen charakteristischen Reiz. Dennoch verstanden ihn die anderen und drangen mit Geschrei auf den Vampir ein. Bruce nahm alle Energie zusammen, die ihm noch blieb. Mit einem kräftigen Hieb warf er zu seiner Rechten drei Angreifer zurück und drehte sich im gleichen Moment nach links. Der Kerl mit der Machete bekam einen Tritt zwischen die Beine, der ihn jaulend zusammenklappen ließ. Ein weiterer Tritt, ausgeführt mit aller Kraft und aller Wut, die noch in dem Vampir steckte, traf den Kopf. Ein scharfes Knacken, und der Mann sackte mit gebrochenen Genick zu Boden. Inzwischen war Bruce Darkness eins deutlich geworden: Er war kein Problem. Er hatte ein Problem. Die Angreifer drangen unvermindert heftig auf ihn ein. Inzwischen waren die Reaktionen des Vampirs so langsam, dass sie für die Sterblichen berechenbar wurden. Ihr Erfolg befeuerte die Angreifer. Das Ende der Jagd war spürbar nahe. Die Trophäe rückte in erreichbare Nähe. Ein Angreifer drückte sich durch die Mauer der anderen und drang auf Bruce ein. In der Hand hatte er einen angespitzten Zaunpfahl. »He, Arschloch, willst du einen Riesen pfählen«, höhnte Bruce. Je mehr Zeit er zum Heilen herausschinden konnte, desto besser. »Ich bin es halt gewohnt, dicke Stangen in der Hand zu halten.« »Wirds nicht mal Zeit für 'ne Freundin, die dir beim Halten hilft?« Vor Wut brüllend hieb der Kerl auf Bruce ein. Den ersten Versuch konnte 11
der Vampir durch einfaches Wegducken beantworten. Das Holz donnerte über ihm gegen die Wand. Dann kam von der anderen Seite ein Typ mit einer Machete. Bruce drehte sich um und ließ seine Faust gegen den Brustkorb des Mannes donnern. Die Knochen krachten hörbar, mit einem Seufzen verdrehte der Getroffene die Augen und kippte nach hinten. In diesem Augenblick traf der Holzpflock die Schläfe des Vampirs mit voller Wucht. Der Effekt verstärkte sich noch dadurch, dass der Kopf durch den Aufprall gegen die Wand geschmettert wurde und auch hier mit der Schläfe gegen die Ziegel prallte. Bruce Darkness wankte. So langsam sollte mir was einfallen, dachte er, sonst mache ich Katrina eine Freude. Der Vampir brüllte auf und warf sich in die Reihen seiner Angreifer. Doch jetzt hatte er nicht das Ziel, zu vernichten. Jetzt wollte er einfach durchbrechen und abhauen. Taktischer Rückzug, dachte Bruce, nicht Flucht. Natürlich wollten die Vampirjäger ihn nicht entkommen lassen, stürmten hinter ihm her. Doch mit jedem Schritt, den Bruce machte, fuhr die Selbstheilung seines zerschundenen Körpers weiter fort, und mit jedem Schritt wurde der Vampir noch schneller. Er sprintete um eine Ecke, dann um die nächste. Schon hatte er die Verfolger hinter sich gelassen. Der Vorteil daran, tot zu sein, liegt darin, dass einem die Puste nicht mehr ausgeht, dachte der Vampir. Der Vorteil am Leben ist, dass man sich noch bewegen kann. Und ich vereinige die Vorzüge von beidem in mir! Bruce fühlte sich inzwischen wieder fit und überlegte, ob er nicht umkehren sollte, um diese Hobby-Vampirjäger endgültig aufzumischen. In diesem Moment bog brüllend der Pick-Up hinter ihm um die Ecke und kam rasch näher. Ach, verdammt, fuhr es Bruce durch den Kopf. Er rannte weiter, bog in eine ziemlich schmale Straße ein, stoppte und presste sich gegen die Wand. Das Dröhnen des Pick-Ups kam näher. Dann war der Wagen heran. Mit kreischenden Reifen schleuderte er in die Kurve und beschleunigte bereits wieder, als er an Bruce vorbeifahren wollte. Der stürmte aus seiner Deckung hervor und warf sich mit all seiner übermenschlichen Kraft gegen das schwere Fahrzeug. Es war, als hätte ein anderes Auto den Pick-Up von der Seite gerammt. Zwar reichte es nicht, um ihn einfach gegen die Wand zu drücken. Aber Bruces Stoß genügte, um das Fahrzeug aus der Bahn zu werfen. 12
Verzweifelt versuchte der Fahrer des schlingernden Pick-Up, die Kontrolle wiederzuerlangen. Das Fahrzeug schrammte an einer Hauswand entlang. Funken flogen, als kreischend der Lack von der linken Seite gekratzt wurde. Der Fahrer riss das Lenkrad herum, fuhr dann auf der rechten Seite über die unteren Stufen einer Treppe. Beinahe wäre der Pick-Up umgekippt. Hoch standen die rechten beiden Räder in der Luft. Dann krachte das Fahrzeug wieder auf die Straße, hatten alle vier Reifen wieder Bodenhaftung, und der Fahrer erlangte endlich die Kontrolle zurück. Mit aufbrüllendem Motor sauste der Pick-Up davon. Bruce sah ihm hinterher. Wenn er den Fahrer richtig einschätzte, hatte es ihm mehr wehgetan, dass sein Wagen zerkratzt worden war, als dass einige seiner Kumpel nicht mehr aufstehen würden. Der Vampir grinste. Und ich bin hier angeblich der Böse, dachte er. Er warf einen Blick auf seine Uhr. Um den Rest dieser Typen würde er sich morgen kümmern müssen. Die Sonne ging bald auf. Dass er eben noch geflohen war, hatte er schon völlig verdrängt. Die Jungs, mit denen er sich angelegt hatte, waren nicht übel. Zum Glück liebten sie alles war lärmte und krachte. Wenn sich diese Sorte mit den hartgesottenen Vampirjägern zusammentäte und die ersten Armbrüste mit Holzpflöcken ins Spiel kämen, würde die Sache kritisch. Aber im Grunde machte sich Bruce Darkness nur über drei Dinge wirklich ernsthafte Gedanken. Die drei Fragen, in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit, lauteten: Wie kam er jetzt ohne seine Maschine am besten nach Hause? Welche Harley würde er in Zukunft benutzen? Und wie würde er die Kerle wiederfinden, um es ihnen heimzuzahlen? Das Hotel lag in einem der Straßenzüge New Yorks, die wie ein Filter wirken. Hier sammeln sich alle diejenigen, die auf dem Weg in das soziale Abseits noch nicht gänzlich aufgehört hatten zu strampeln. Jeder »Natürlich kann ich mit dem Trinken aufhören - und sicher bezahle ich meine Schulden-Typ«, der noch einen Rest an Illusion sein eigen nannte, einen Fetzen Selbstachtung und ein Körnchen Hoffnung, krallte sich an diese Straße. Dabei blickte er in Richtung auf die große Glitzerstadt, auf den großen, leckeren, lockenden Kuchen, von dem er ein Stück abhaben wollte. Manche schafften es tatsächlich in diese Richtung. Wenige stapften auf ihrem Rückweg sogar bis zum Gipfel, in eine der oberen Etagen der Wolkenkratzer. Denn wer durch die Hölle geht und zurückkommt, ist ein echter Fighter, und New York liebt die harten Kämpfer mit den Narben im Gesicht und auf der Seele. Aber die meisten sickerten durch den Filter und verschwinden in der anderen Richtung, ab zu den Bruchbuden, Suppenküchen, Sozialstationen und Obdachlosenheimen. 13
Entsprechend war das Hotel - ein freudloser Container für Leute, die sich nichts Besseres leisten konnten und sich vor Schlechterem scheuten. Von den sechs Stockwerken waren von der Baubehörde nur die unteren drei zur Nutzung freigegeben worden. Die beiden Männer hatten sich unter den fantasielosen Namen Jim James und John Miller eingetragen. Ein Geldschein hatte bei dem Mann an der Rezeption als vollwertiger Ersatz für die amtlichen Dokumente gedient. Als sie aus dem Flug der Alitalia mit der Nummer 765 gestiegen waren, hatten sie noch die Namen Lucanor Tomasi und Nikophorus Pfettner gehabt, beide italienischer Nationalität. Ihre Zimmer lagen am Ende des Flures, mit den Fenstern zu einem engen Innenhof, in dem sich Müllsäcke stapelten, über die nicht nur bei Nacht die Ratten und die streunenden Katzen raschelten. Wenn man die Fenster schloss und den säuerlichen Mief des Unrats aussperrte, roch es in dem Zimmer nach Bohnerwachs, Insektenpulver und scharfen Reinigungsmitteln - ein deutliches Zeichen dafür, dass man sich seitens des Personals auf einen ebenso gnadenlosen wie vergeblichen Krieg gegen den Schmutz eingestellt hatte. Sie hatten zwei Zimmer gemietet, die durch eine Tür verbunden waren. »Wann kommt sie«, fragte eine tiefe, träge Stimme aus dem Dunkeln. Es war zehn Uhr abends. Die Nacht machte sich breit, langsam, schleichend und hinterhältig, als wäre sie nichts als der Erschöpfungstod des Tageslichtes. »In zehn Minuten hole ich sie ab.« »Ist sie gut?« »Was willst du? Für unsere paar Dollar kannst du keine Venustochter erwarten, die dir die Wonnen des Paradieses verschafft.« »Luca, du weißt, was ich meine.« »Ich weiß es, ja. Sie ist in Ordnung. Ich habe lange gesucht, bis ich eine Passende gefunden habe. Eine Schwarze kommt nicht in Frage. Wenn sie zu routiniert ist, macht sie es nicht für den Preis, wenn sie zu abhängig ist, ist sie schmutzig und nur noch ein wandelndes Skelett. Es ist verteufelt schwer, eine passende Hure für deine Zwecke zu finden.« »Nenne nicht den Widersacher, Luca, du weißt, dass ich das nicht brauchen kann.« »Verzeihung. Ich gehe dann und hole die Nutte.« »Hast du den Müllsack?« »Ja, habe ich!« »Das Messer?« »Niki, wir haben alles durchgetestet und geprüft! Wir machen seit vier Tagen nichts anders. Ich sitze in dieser verdammten Kakerlakenburg, habe 14
pro Tag einen matschigen Hamburger gegessen, den nur ein New Yorker Magen aushalten kann und habe mit dir zusammen all diesen ganzen Krempel zusammengeklaubt. Ich brauchte zwei Tage, um diese verdammte Emailleschüssel auf einem Flohmarkt aufzutreiben. Ja, du erinnerst dich, es war erst heute, dass ich sie bekam. Und bevor du fragst - die Flasche Jim Beam habe ich auch und ich werde sie dem Nigger unten am Empfang geben, damit er sich platt säuft, aber das ist nicht mal nötig, weil er sich jeden Abend platt säuft.« »Du bist nervös, Luca. Du bist nervös und boshaft, beruhige dich.« »Ich bin ruhig, Niki, ich bin, verdammte Sch ... noch mal so ruhig wie der Obelisk auf dem Petersplatz, aber wenn ich die Nutte mit einem Zwanziger anfüttere, dann haben wir nichts mehr. Verstehst du? Nichts. Wir sind blank in der geldgierigsten Stadt dieses Globus. Da darf ich doch ein klein wenig kribbelig werden, oder? Erlaubst du mir das?« Aus dem Dunkel kam keine Antwort, nur ein Grunzen, dann ein ungeduldiges Schleifen, als würde sich ein Reptil auf dem Boden bewegen. Als für einen Moment Stille einkehrte, hörte man heisere, röchelnde Atemzüge, die an einen Todkranken auf dem Sterbebett erinnern mussten. »Geh und hole sie jetzt. Es ist bald so weit.« Das Mädchen war hellhäutig und hatte eine gute Figur. Ihr Gesicht war hübsch, wenn auch etwas schmal, was wahrscheinlich ein Tribut an jene Sucht war, die sie zur Hure hatte werden lassen. Sie konnte noch nicht lange in dem Geschäft sein, dafür gab sie sich noch zu viel Mühe, ihren Broterwerb hinter dezentem Make-up zu verstecken. Auch ihre Kleidung war noch etwas weniger freizügig, als die ihrer Kolleginnen. Andererseits war sie schon zu tief in dem Geschäft, um zu verstehen, dass sie jeder Klosterschüler als Nutte identifiziert hätte - einfach durch die Art, wie sie sich bewegte und sich umschaute und die Vorbeigehenden taxierte. Sie hatte blaue Augen, gefärbte blonde Haare, die an den Wurzeln ihr ursprüngliches Hellbraun zeigten und eine abgeblätterte kitschrosa Lackierung auf den angeknabberten Nägeln. Neugierig schob sie den Kopf in das dunkle Zimmer und wartete dann, bis der Mann an ihr vorbeiging und eine Stehlampe anmachte. Ein komischer Typ war der schon. Jeder andere hätte ihr bei der Gelegenheit schon die Hand auf den Hintern gelegt, wobei das noch die höfliche Art gewesen wäre. »Hey, ich bin Candy«, sagte sie in die Dunkelheit. »Natürlich bist du Candy.« Das Mädchen zuckte beim Klang der Stimme zusammen. Ihr Blick ging in die Ecke, aus der sie erklungen war. Schleifen und Keuchen ertönte. Dann schälten sich aus dem Dunkel die Umrisse eines riesigen Mannes heraus. 15
Er war nicht groß, er hatte im Gegenteil knappes Mittelmaß, war aber ungeheuer, ja geradezu absurd fett, so als hätte man einen Sumoringer der obersten Kategorie bei gleicher Leibesfülle um anderthalb Köpfe kleiner gemacht. Der Mann konnte sich nur mit Hilfe zweier armdicker Knüppel vorwärts bewegen, die ihm als Krücken dienten. Gekleidet war er in eine Art schmutziges Nachthemd. »Oh, mein Gott«, entfuhr es dem Mädchen, das von sich behauptete, Candy zu heißen, als sie das Gesicht des Mannes sah. Langes, strähniges, ungewaschenes Haar fiel von einem Mittelscheitel auf die von Fettringen verunstaltete Schulterpartie und betonte noch die breiten Gesichtszüge des Mannes. Es gab nichts in diesem Gesicht, das dem Auge des Betrachters Gnade gewährt hätte, keine Stelle, auf der es ruhen könnte, ohne Abscheu zu empfinden. Eine niedrige, gefurchte Stirn, borstige, zusammengewachsene Brauen über schwarzen, zusammengekniffenen Augen, Eine platte Nase mit weit aufklaffenden, wie in Panik witternden Nüstern, darunter ein voller, weichlicher, weibischer Mund mit müde hängenden Winkeln, der zugleich Gier und Verachtung der Gier auszudrücken schien. Der Mund war sozusagen das Ende des Gesichtes, denn das Kinn verschwand in verschiedenen Fettringen, die den Hals verdeckten und sich in übereinander liegenden Schichten bis auf die Brust legten. Das Mädchen Candy warf einen Hilfe suchenden Blick auf den Mann, mit dem sie gekommen war. Nun gut, der Typ war auch keine Schönheit - eher klein, schmal, hager, flachbrüstig und weißhäutig, auf dem Kopf gerade mal eine Handvoll hellblonder Haare, sodass man die Pracht nicht mal richtig erkennen konnte. Auf dem Weg zum Hotel war ihr aufgefallen, dass der Freier leicht hinkte. Er wirkte wie eine Art Priester. Oh ja, die hatten ja auch ihre Bedürfnisse. Vielleicht hätte er sogar angenehm gewirkt, wenn er nicht dieses eine Auge gehabt hätte. Das rechte Auge war blind und milchig weiß, ganz ohne Pupille. Trotzdem hatte sie das unangenehme Gefühl, er könnte sie durch diese Trübheit hindurch sehr genau ansehen. Eine Augenklappe wäre nicht schlecht gewesen. »Also«, bemühte sich das Mädchen Candy tapfer um gute Stimmung, »ihr Süßen seid also zu zweit? Auch gut. Aber damit eines klar ist, 'n Dreier kostet doppelt und anal vierfach und das mach ich nur mit 'ner Tüte, klar?« »Keine Sorge, mein Freund will nur zusehen«, sagte der Mann, der sie heraufgebracht hatte. Der erleichterte Seufzer des Mädchens war unüberhörbar. »Alles klar. Soll ich ein bisschen strippen, um uns in Stimmung zu bringen? Sagt mal, ihr Schnuckis, habt ihr zufälligerweise was zu trinken? Kann ruhig ein paar 16
Prozente haben. Ich nehme alles, was reinknallt.« »Im Nebenzimmer.« »Klasse. Sagt mal, was soll denn dieser blöde Kreis hier auf dem Boden? Ist diese Schüssel eure Badewanne oder soll ich vielleicht. . .« Der Rest des Satzes erstickte in einem unverständlichem Murmeln. Der Mann hatte ihr von hinten die Hand auf den Mund gelegt. Zuerst hielt Candy das für ein Spiel, dann spürte sie die keuchende Gewalt des Mannes und begann, sich zu wehren. Sie stieß mit den Ellenbogen und spürte, wie sie seine Rippen traf und wie er sich vor Schmerz krümmte. Aber er ließ nicht los, fasste mit dem anderen Arm um ihre schmale Taille, quetschte schmerzhaft ihren Busen und drückte sie in Richtung auf das einzeln stehende Bett mit dem Eisenrahmen. Das Mädchen trat um sich, sie war geschickt, sie hatte Angst. Sie nutzte alle Kraft, die sie hatte. Der Mann stöhnte, als ihre Tritte seine Füße und seine Schienbeine trafen, aber er gab nicht nach. Langsam drängte er das Mädchen zum Bett. Er schob sie bis zur Kante und drückte, sodass sie auf die Matratze stürzte. Dabei riss sie ihn mit und als er nicht aufpasste, rammte sie ihm ihr Knie zwischen die Beine. Er schrie kurz auf, krümmte sich zusammen, aber krallte immer noch die eine Hand vor den Mund des Mädchens, das sich Candy nannte. Ihr Gesicht wurde durch seine Hand zu einer Fratze verzogen. Dann nahm er alle Kraft zusammen und stieß ihr seinen Ellenbogen in den Unterleib. Er traf genau den Solarplexus. Sie krampfte sich zusammen und verdrehte dann in einer kurzen Ohnmacht die Augen. Mehr Zeit brauchte er nicht. Er warf sich über sie, stopfte ihr einen Knebel in den Mund und schob ihren rechten Arm in eine Schlaufe, die am Bettrahmen vorbereitet war. Er brauchte nur noch an einem Ende des Tuches zu ziehen, dann war der Arm unlösbar fixiert. Trotzdem brauchte er länger als erwartet. Das Mädchen erwachte, als er gerade ihren linken Arm in die Schlaufe legte. Sie begann, verzweifelt zu strampeln. Die ausgeleierte Matratze quietschte laut und klagend, durch den Knebel drangen die erstickten Schreie des Mädchens. Der Mann fasste ihren Arm mit beiden Händen, zog und zerrte, drückte ihn durch die Schlaufe und zog den Knoten fest. Dann rollte er sich zum Fußende und drückte, so gut es ging - und es ging nicht gut - mit seinem Gewicht ihre Beine auf das Laken. Als er schließlich auch die Beine gefesselt hatte, blieb er schweißnass auf dem Bett sitzen. »Soll ich?«, fragte der Mann. Der Dicke war in den Raum geschlurft. Weil sein Nachthemd - vielleicht 17
war es auch ein Hippiegewand oder ein Kleidungsstück aus dem Orient - bis zum Boden reichte, musste man den Eindruck haben, er würde auf den Knien rutschen und könnte riesenhafte Größe erreichen, wenn er sich auf die Füße stellen würde. »Noch nicht«, antwortete er. »Erst die Vorbereitungen.« Sie kontrollierten, ob der Kreis um die große Schüssel unbeschädigt war. Dann stellten sie bestimmten Stellen Kerzen auf, und der Dicke ließ sich stöhnend auf den Boden nieder und zeichnete mit einem Stift verschlungene Figuren an dem Kreis auf. Er ging sehr sorgfältig vor und ließ sich Zeit. Dennoch brauchte er länger, um sich danach wieder aufzurichten, als er für die Zeichen verwendet hatte. »Und nun?« »Warten.« Sie warteten lange. Der Dicke schlurfte zum Fenster. Der andere Mann lehnte an der Wand und schaute auf das Mädchen. Sie lag ruhig, aber ihre Augen waren voller Angst, flackerten unruhig und ihr Blick huschte in dem Zimmer umher, als gäbe es eine Lösung, einen Ausweg aus ihrem Schicksal, das sie ahnen konnte, aber nicht ahnen wollte. »Du bist pervers«, sagte der hagere Mann plötzlich. Der Dicke schaute aus dem Fenster. »Nicht ich bin pervers«, antwortete er. »Die Welt ist pervers.« Dann versanken sie wieder in Schweigen. In der Stille hörte man die Fernseher in den anderen Zimmern dröhnen, Musikfetzen, laut streitende Stimmen einer Frau und eines Mannes. Und wenn in manchen Momenten diese Geräusche für einige Sekunden verstummten, dann konnte man die Kakerlaken über die Tapeten krabbeln hören. »Das Weihwasser, Luca.« »Was ist damit?« »Bist du sicher, dass es richtiges Weihwasser ist?« »Ich habe selbst gesehen, wie es der Priester geweiht hat. Und dann musste ich dem Rotzlöffel von Ministrant zwanzig Dollar abdrücken, damit er mir das echte Weihwasser gab und es durch normales Leitungswasser ersetzte.« »Gut ... Hat sie nichts mehr von dem Geld, das du ihr gegeben hast?« Der Dicke deutete auf das Mädchen. »Nein, Niki. Sie hat damit sofort ihre Schulden bei einer Freundin bezahlt. Ich konnte nichts tun. Wir sind blank, absolut bei Null.« Der Dicke zögerte. Er wirkte nervös, sein röchelnder Atem wurde schneller und zugleich unregelmäßiger. Immer wieder strich er sich fahrig eine fettige Haarsträhne aus der Stirn. Dann tappte er zur Zimmermitte. »Es ist soweit. Wir beginnen. Schütte das Weihwasser vorsichtig in die 18
Schüssel. Dann die Kerzen. Und dann nimm das Messer.« Die Kerzen erfüllten den Raum mit flackernder, unregelmäßiger Helligkeit und einem faden Honigduft. Der Mann nahm ein Messer und setzte sich zu dem Mädchen. Sie schaute ihn aus großen, flehenden Augen an, während er ihr geschickt die Kleidung vom Leib schnitt. Viel Stoff trug sie nicht. Eine dünne Baumwollbluse und ein langer Rock aus leichtem Material war alles, was zwischen ihrer Nacktheit und der Welt lag. Auf Unterwäsche hatte sie aus praktischen Gründen verzichtet. Der Mann stand auf und holte den Blecheimer, in dem er das Weihwasser transportiert hatte. Er stellte ihn neben das Bett. Das Mädchen starrte ihn an, die Augen voller Panik, als er ein Tuch zum Vorschein brachte, aus dem er langsam ein blitzendes Skalpell auswickelte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und was aus ihrem vom Knebel verstopften Mund drang, war ein Flehen, das, obwohl unverständlich, jeden Stein gerührt hätte. Der Mann nahm das Skalpell in die Hand und suchte nach der optimalen Haltung der Finger. Candy begann zu weinen. Ein Schluchzen ließ ihren schmalen Körper beben. Dann begann sie zu wimmern, zerrte an ihren Fesseln, und das Bettgestell rüttelte und klapperte. »Soll ich?«, fragte der Mann trocken. »Fang an!« Der Dicke holte aus einer Tasche ein kleines, abgegriffenes Buch. Es war in Leder gebunden und allem Anschein nach schon durch viele Hände gegangen, die es verschwitzt umklammert und dem Einband einen speckigen Glanz gegeben hatten. »Invocatio ... « Unterbrochen von hastigem, mühevollem Atmen sprach der Dicke fremdartige Worte - Anrufungen, Namen, die geeignet waren, schon beim Zuhören das Echo eines Schreckens auszulösen. Die vorher heisere Stimme Pfettners gewann im Laufe der Beschwörung Kraft und Fülle. Schließlich blickte er beim Umblättern kurz auf und nickte Tomasi zu. Der atmete einmal tief durch. Die aufgerissenen, von Tränen feuchten Augen des Mädchens beobachteten jede seiner Bewegungen. Noch einmal prüfte Tomasi seine Fingerhaltung. Er war Linkshänder. Mit der Rechten strich er über den Bauch des Mädchens. Dann setzte er das Skalpell an und schnitt. Der Mann hob das Skalpell und betrachtete die feine, rote Linie, die sich über den Bauch des Mädchens zog. Sie wirkte dünn und harmlos, wie ein Strich mit dem Buntstift, den ein 19
Kind auf einem Blatt Papier gezogen hat. Die ersten Blutstropfen drückten sich aus der Wunde. Sie rollten über die weiße Haut und vereinten sich zu einem dünnen Strom. Tomasi rückte den Eimer zurecht. Erneut griff er dann zum Skalpell. Das Mädchen wurde von Krämpfen geschüttelt, als liefen Stromstöße durch ihren Körper. Der Stoff des Knebels konnte ihr schrilles Heulen kaum dämpfen - und dann fiel sie in Ohnmacht ... Die beiden Männer standen außerhalb des Kreises und starrten gebannt auf die Schüssel. »Ein Misserfolg.« »Sei still, Luca, dein Pessimismus ist schädlicher als jede fehlerhafte Beschwörung. Gib mir die Kerze.« Auch der dicke Pfettner spürte, dass sich Zweifel in sein Herz schlich und die Hochstimmung, die er während des Rituals empfunden hatte, verdrängte. Er hob die Kerze und beleuchtete die Schüssel. Ein Gemisch aus Wasser und Blut schwamm in dem emaillierten Behältnis. »Aus. Es ist aus«, klagte Tomasi. Er warf sich in einer Ecke auf den Boden und legte das Gesicht in die zitternden Hände. »Geduld scheidet den Meister vom Schüler, Luca.« »Es ist aus.« Tomasi schrie es so laut, dass er bei dem Widerhall seiner eigenen Stimme zusammenzuckte. Dann lief er wie ein gefangenes Tier von einer Wand zur anderen und zurück. Pfettner achtete nicht auf seinen Gefährten. Etwas nahm seine Aufmerksamkeit gefangen. »Schau, Luca.« »Vergiss es doch, mein Gott! Wir sitzen ohne einen Cent in dieser gottverdammten Stadt, mit einer Leiche auf dem Zimmer ... Gibt es hier die Todesstrafe?« »Komm her und schau!« Tomasi schien erst jetzt aus einem Albtraum zu erwachen. Schnell drängte er sich neben Pfettner und starrte mit ihm auf die Schale. Nichts hatte sich getan. Nichts! Doch! Da! Eine Bewegung! Wie eine leichte Strömung. Unfug, das konnte nur von den Vibrationen des morschen Fußbodens kommen. Lachhaft. Oder? Tomasi beugte sich vor, nahm selbst eine Kerze und brachte den Lichtschein ganz nahe an die spiegelnde Oberfläche der Flüssigkeit. Es war nicht zu übersehen. Der Inhalt der Schale war in Bewegung geraten, bildete Schlieren, Fäden und Stränge, die sich in einer Spirale zu 20
drehen begannen. Zuerst langsam, dann immer schneller, schließlich in einem wilden Wirbel wie in einem Strudel drehte sich die Flüssigkeit, brodelte, blubberte. Tomasi schien es, als hätten sich die Blutklumpen zu einer Gestalt zusammengeballt, die einem menschlichen Fötus ähnlich sah. Mehr konnte er nicht erkennen, denn eine unsichtbare Gewalt schleuderte ihn fort. Es war, als wäre der Fußboden plötzlich hochgehoben worden. Tomasi purzelte in die Zimmerecke, duckte sich, weil er an ein Erdbeben glaubte und glotzte dann verblüfft auf Pfettner, der immer noch stand und sich vor Lachen schüttelte. »Magische Kreise, Luca, haben auch im 21. Jahrhundert noch ihren Sinn.« Das Lachen brach ab, wurde durch Keuchen ersetzt. Aus der Schale stieg ein Wirbel, stieg und stieg, bis er die Decke erreicht hatte. Zuerst war nur ein leises Rauschen, wie von einem Wind, hörbar. Dann erklangen Stimmen in unbekannten Sprachen, wütende Schreie, Befehle, Trompetenstöße, Klirren von Waffen, das Dröhnen von Erz, Sirren von Bogensehnen, Zischen von Pfeilen ... Der Lärm steigerte sich, wurde unerträglich, bis er zu einer festen Masse geworden zu sein schien, die wie eine Glocke zwischen den Zimmerwänden hin und her dröhnte. Tomasi stopfte sich die Finger in die Ohren, versteckte das Gesicht hinter den Unterarmen und verkroch sich in seine Zimmerecke. So bemerkte er zu spät, dass plötzlich wieder Stille eingekehrt war. Der Wirbel hatte seine Form verändert. Jetzt konnte man Ansätze einer menschlichen Gestalt erkennen. Wie bei einem Foto, das in der Entwicklerflüssigkeit langsam sichtbar wird, schälten sich die Konturen eines hoch gewachsenen Mannes hervor. Tomasi konnte nur mit aufgerissenen Augen und offenem Mund schauen und staunen. Ein Riese von einem Mann, ein muskulöser, geradezu ungeschlachter Kerl stand in dem Kreis. Trotz dieses Anscheins bewegte er sich mit katzenhafter Geschmeidigkeit. Er war von Kopf bis Fuß in Leder gekleidet. Schwarze Stiefel mit weichen Sohlen bedeckten seine Waden, die Hose war aus dickem braunem, an den Oberschenkeln schon speckig glänzendem Leder. Dazu kam ein breiter Gürtel mit silbernen Verzierungen und großer Schnalle und eine Weste mit bunten Stickereien und Fellbesatz. In den Händen hielt der Mann ein Schwert. Er wirkte verwirrt und zugleich kampfbereit. Mit gesenktem Schwert, dessen Spitze über den Boden kratzte und kleine Späne aus dem Linoleum schnitt, drehte er sich im Kreis und blickte angespannt, lauernd und kampfbereit in eine Umgebung, die wohl nur er noch erkennen konnte. 21
Pfettner schaute dem Mann eine Weile zu, dann schob er einen Fuß vor und zerrieb die Linie des magischen Kreises. »Wie heißt du?« Der Mann stützte sich auf sein Schwert und schaute sich um. Jetzt war ihm die Verwirrung deutlich anzumerken. Er schien zu überlegen. »Mein Name ist Sarrak, Herr.« Er sprach mit einem fremdartigen rollenden R. Tomasi überlegte, aus welcher Erdgegend der Mann konnte mochte. Er hatte olivfarbene Haut, ein kantiges, entschlossenes, fast brutales Gesicht mit einer großen, kühn gebogenen Nase. Die schwarzen Augen wirkten wie die eines Asiaten und passten weder zu der Nase noch zu den Gesichtszügen noch zu dem breiten, energischen Mund. Die langen schwarzen Haare hatte Sarrak auf dem Kopf zu einem Zopf zusammengebunden, dennoch fielen ihm die Strähnen bis auf den Rücken. Der Anblick des Schwertes allerdings erschreckte Tomasi noch mehr als der Mann selbst. Es war eine riesige Waffe, ein Zweihänder aus glänzendem Metall. Aber es war weniger die Größe als die Form - noch nie zuvor hatte Tomasi ein Schwert gesehen, das seinen Zweck derart brutal offenlegte. Es hatte nichts von der Eleganz eines Samuraischwertes, nichts von der Pracht einer europäischen Ritterwaffe. Mit seiner gezackten Schneide, die in eine lange, schließlich fast nadeldünne Spitze auslief, erinnerte es an die Kralle eines Raubtieres oder den Stachel eines Insektes. Pfettners Stimme riss ihn aus seinem Betrachtungen. »Los Luca, wir haben zu tun.« Tomasi sprang auf. Es war gut, eine Aufgabe zu haben ... * Kein Mensch kennt seine Stunde, und so war auch Kim Park II davon ausgegangen, dass er mit seinen 46 Jahren, besten Cholesterinwerten und gesunder Lebensführung noch ein gutes Vierteljahrhundert an der Kasse seines eigenen kleinen Drugstores stehen würde. Er machte sich allerdings auch nicht viele Gedanken um die Zukunft nicht zu dieser Nachtstunde jedenfalls. Aus dem Radio dudelte Musik, zwei Kunden standen beratschlagend vor einem Regal. Dann kam dieser Mann. Er passte kaum durch die Tür, eine gewaltige Gestalt in einem langen schwarzen Ledermantel. So ist das also, dachte Kim Park II und empfand keine Furcht, nur großes Erstaunen, wie einfach der Tod sein konnte. Der Mann stellte sich vor die Ladentheke, holte ein Schwert unter dem Mantel hervor und schlug zu. Der Schädel kollerte zur Seite, der kopflose 22
Rumpf brach hinter der Theke zusammen, aus dem Hals spritzte, von den letzten vergeblichen Herzschlägen getrieben, drei oder vier Blutfontänen. Aus der Bewegung des Zuschlagens heraus änderte Sarrak die Griffhaltung, ließ das Schwert einen Kreis nachziehen und stieß dann blitzschnell unter seiner linken Achsel zu. Die Spitze musste den Kunden mitten in den Leib treffen, aber Sarrak erkannte aus den Augenwinkeln eine Veränderung und als er den Kopf wandte, sah er nur einen Nebel, der sich langsam zur Decke hin verzog. Ein spöttisches Lächeln war die einzige Reaktion Sarraks. Ein Flattern direkt unter der Deckenlampe. Das Schwert zuckte hoch, fuhr kreischend mit der Spitze durch das Metall der Lampenfassung und zerteilte die Fledermaus, die sich eben auf den Weg zur offenen Türe gemacht hatte. Ein Fußtritt beförderte den Kadaver unter das Regal, wo er verrotten würde. Zumindest einen hatte er erwischt. Ein Schlag mit dem Schwertknauf ließ die Kasse aufspringen. Der Laden hatte guten Umsatz gemacht. Sarrak riss die Geldlade aus der Verankerung und schüttete sich den Inhalt in die Tasche. Dann warf er die Ladentheke um und trat zu dem Toten. Eines war noch zu tun ... * Unter den Kerlen war heilloses Chaos ausgebrochen, als der Dämon sich auf sie gestürzt hatte - ein Dämon in schwarzer Bikerkluft. Bruce Darkness war über sie gekommen wie ein Orkan. Es war die gleiche Bande, die sich vor zwei Nächten mit ihm angelegt hatte. Zwei Nächte hatte er gebraucht, sie zu finden, hatte er hier einige Typen auf den Straßen eingeschüchtert und da ein paar Kontakte des Barons bemüht. Heute am frühen Abend hatte man ihm endlich gesteckt, wo sie sich verkrochen hatten. Sie hatten sich in einer Lagerhalle am Hafen breitgemacht. Die Trottel hatten sie ganz offiziell gemietet. Und da der Baron natürlich wusste, was in seiner Stadt vor sich ging ... Bruce hatte keinen Moment gezögert ... Hier hatten sie keinen Pick-Up, keine bereits gezogenen Macheten und keine griffbereiten Pumpguns. Diesmal hatte Bruce den Überraschungsmoment auf seiner Seite. Die Meisten von ihnen lagen bereits stöhnend, bewusstlos oder tot auf dem Boden, bevor sie wussten, wie ihnen geschah. Drei standen noch, hatten sich ihre Macheten besorgt und sich formiert. Nun umkreisten sie langsam den Vampir, wagten aber noch keinen Angriff. 23
Bruce lächelte. Es war etwas anderes, zu versuchen, einen schwer angeschlagenen Vampir zu zerhacken, als sich gegen einen zu wehren, der voll da war. Zumindest wenn dieser Vampir Bruce Darkness hieß! »Hey!«, rief Bruce seinen Gegnern zu. »Wollt ihr nicht lieber verschwinden? Nicht dass ich euch laufen lassen würde, aber vielleicht solltet ihr es versuchen?« Einer der drei, ein kräftiger Schwarzhaariger, zuckte tatsächlich herum, um wegzulaufen, aber als seine beiden Kameraden stehen blieben, überlegte auch er es sich anders. »Wir haben schon ganz andere Blutsauger fertiggemacht, du Ratte!«, brüllte einer der beiden Mutigeren. Doch da seine Stimme sich vor Panik überschlug, und das >Ratte< nur noch ein schrilles Kieksen war, fühlte Bruce sich nicht besonders beeindruckt. Mit einem wilden Fauchen stürzte sich der Vampir auf den Sprecher und stieß ihm die Faust in den Magen. Röchelnd brach der zusammen. Dann wirbelte Bruce herum und wandte sich dem Schwarzhaarigen zu. Er warf sich auf ihn, und riss ihn mit zu Boden. Keuchend stieß der Sterbliche die Luft aus, als er schmerzhaft auf den Rücken fiel. Er versuchte noch, mit der Machete zuzuschlagen, als der Vampir bereits seinen Kopf packte und einmal kräftig daran ruckte. Mit einem hässlichen Knirschen konnte man das Genick brechen hören. Da bemerkte Bruce hinter sich eine Bewegung. Hastig rollte er sich zur Seite. Gerade noch rechtzeitig! Knapp neben ihm hackte die Machete des Dritten hinab. Der Kerl konnte sie gerade noch stoppen, bevor sie sich in seinen toten Kumpel bohrte. Er riss sie wieder hoch und wollte dem Blutsauger hinterhersetzen ... Doch der stand bereits wieder auf den Beinen und grinste ihn an. »Moment mal . . .«, Bruce legte den Kopf zur Seite wie eine Katze. »Ich kenn dich. Du bist der Typ, der den Pick-Up gefahren hat!« Der Vampir grinste noch immer, doch seine Augen lachten nicht mehr mit. »Weißt du eigentlich, wie weh das tut, wenn man überfahren wird?«, brüllte er dann. Seine Augen blitzten, seine überlangen Eckzähne ließen ihn aussehen, wie das gefährliche Raubtier, das er ja auch war. Der Pick-Up-Fahrer warf sich herum, ließ die Machete fallen und rannte. Doch er hatte keine Chance. Schon nach wenigen Schritten hatte der Vampir ihn eingeholt. Der Sterbliche fühlte noch einen scharfen Schmerz im Rücken - dann wurde es schwarz um ihn herum ... Bruce richtete sich wieder auf und sah sich um. Tote Vampirjäger lagen in 24
der Lagerhalle verstreut. Er glaubte nicht, dass welche entkommen waren. Und wenn doch, würde ihnen sowieso niemand glauben. Und ganz bestimmt würden sie nie wieder versuchen, Vampire zu jagen. Der Vampir Bruce Darkness seufzte. Jetzt musste er nur noch aufräumen... * Wie konnte jemand so bescheuert sein und sein Kind Tom nennen. Tom! Und das mitten im tiefsten, im allertiefsten Süden, platt mittendrin in KuKlux-Klan-County, wo ein Schwarzer immer noch ein Nigger ist und gefälligst zuerst zu Grüßen hat und höflich »Ja Sir, Mister Sheriff« sagen muss, sonst hatte er ein echtes Problem mit der Justiz am Hals. Tom! Ein Verbrechen. Vor allem, wenn man dem Balg den Nachnamen Uncle mit auf den Lebensweg gibt und ihn so zum Onkel Tom macht. Detective Tom Uncle machte sich auf der Fahrt zu einem Tatort stets diese Gedanken. Nicht, dass es ihn wirklich gejuckt hätte. Aber es lenkte ab. Der gewichtige mittelgroße Fünfzigjährige, der durch seinen singenden Tonfall immer noch seine Herkunft verriet, hasste diese Fahrten. Der Gedanke an das, was ihn erwartete, erweckte Übelkeit, auch nach dreißig Jahren Polizeidienst in Big Apple. Aber vielleicht machte genau das eine der Qualitäten des farbigen Detectives aus - er hatte sich stets standhaft geweigert, menschliche Tragödien nur als Fall anzusehen. Um den Drugstore in der schmalen Seitenstraße waren Absperrungsbänder gezogen. Davor versammelten sich Anwohner und schauten schweigend zu dem Laden. Sie alle hatten den Besitzer gekannt und fast täglich gesprochen. »Warum macht ihr diese Scheiß-Absperrungen immer so niedrig«, knurrte Detective Uncle, als er seine Leibesfülle unter dem Band durchgebracht hatte. »Das ist 'n Trick vom NYPD, um Mitarbeiter zu gymnastischen Übungen zu veranlassen«, grinste Sergeant McLachnach, den alle der Einfachheit halber und um ihre Zungen nicht in Gefahr zu bringen, nur Mac nannten. »Gibts da nicht so was wie 'ne Gewerkschaft?« Mac kannte diese Tour. Wenn sich Uncle dem Tatort näherte, redete er daher wie eine ganze Bande Halbstarker im Vollrausch. Er schloss sich dem Detective an. Glassplitter knirschten unter ihren Sohlen, als sie den Laden betraten. »Oh Gott!« »Tja, saubere Arbeit. Übrigens - vorhin habe ich per Funk den Pathologiebericht wegen der Leiche im Müllsack bekommen. Unbekannte 25
Frau, etwa Zwanzig, sie wurde regelrecht seziert.« »Was bitte?« Uncle schaute verkniffen auf die Leichenteile, die sich hinter der umgeworfenen Ladentheke befanden und wandte sich jetzt erst Mac zu. »Der Gerichtsmediziner sagte, sie sei mit einem Skalpell aufgeschlitzt worden. Er vermutet, bei lebendigem Leibe. Und der Täter hatte medizinische Kenntnisse.« »Hipp, hipp, hurra, wir haben den Sohn von Jack the Ripper in der Stadt.« »Oder den Sohn von Dracula, Sir. Die Leiche war total ausgeblutet. Schnitte an den richtigen Stellen und alles ist herausgeflossen.« »Mann, ich möchte nicht hören, wie die Putze geflucht hat, die die Schweinerei dann wegmachen musste. Na gut, wenden wir uns anderen leckeren Sachen zu. Gibts irgendwas?« »Ja, ein Obdachloser hat in einem Karton vor der Mauer hier gleich in der Nähe geschlafen. Er behauptet, er hätte einen Riesen mit einem Schwert gesehen, der die Straße entlanggerannt wäre und dann direkt neben ihm über die Mauer geflogen wäre.« »Geflogen, was?« »Das genau gab er zu Protokoll. Die Mauer ist mindestens drei Meter hoch.« »Klar, dann kann man nur auf den Tunnelbohrer warten oder fliegen. Wie viele Promille hatte der Penner denn. Oder waren es schon Prozente« »Also auf mich wirkte er völlig nüchtern. Er behauptet auch, er würde nicht saufen.« »Jeder Säufer sagt, er würde nicht saufen. Und wenn es ein geübter Säufer ist, dann merkt man ihm das Saufen nicht mal an.« »Es ist nicht so, als ob ich neu in der Stadt wäre«, antwortete Mac merklich pikiert. »Nichts für ungut, Mac. Mal sehen, was wir hier haben. Vor allem haben wir eines nicht.« »Häh?« »Blut. Kein Tropfen Blut zu sehen.« Mac klatschte sich vor die Stirn. »Das darf nicht wahr sein. Ich war nur ein paar Sekunden hier in dem Laden, aber es hätte mir auffallen müssen.« »Da oben haben wir Blut«. Uncle deutete zur Decke. »Deutliche beschleunigte Tropfspuren. Das Blut muss von einem Gegenstand abgetropft sein, der in diesem Moment schnell bewegt wurde ... Unglaublich, der Kerl hat tatsächlich ein Schwert benutzt. Da, dieser Kratzer in der Lampe.« »Dann ist die Geschichte von dem Obdachlosen also doch nicht völlig 26
daneben.« »Eins zu Null für Sie ...« * Sie nannten sich NY Bone Breakers, hielten sich für eine Straßengang, trugen schwarze Lederkleidung, hatten Tätowierungen und Waffen und waren der Witz des Jahres. Ja, sie waren eine verdammte Lachnummer. Irgendwie brachten sie es nicht und sie wussten nicht, woran es lag. Na gut, vielleicht war es die Sache mit Hank und Starkey - das die Konkurrenz die beiden plattgemacht hat, war ja nicht das Ding. Jeder kannte das Risiko und das gehörte ja irgendwie zum Vergnügen mit dazu. Aber wie sie die beiden umgebracht hatten, das war so ... na ja, jedenfalls war das vermutlich genau der Punkt, an dem die BBs den Schneid verloren hatten. Und wie das so läuft. Erst ist der Schneid weg, dann verliert man die ersten Straßen. Und schließlich hat man noch weniger Biss als vorher. Das war der Stand der Dinge, und darum saßen sie alle nun nachts zusammen auf dem schmutzigen Hinterhof und mampften Pizza, weil das so ziemlich das einzige war, an das sie noch umsonst rankamen, weil der Rest der Läden jetzt im Revier der Konkurrenz lag. Der hoch gewachsene Mann war auf weichen Stiefelsohlen lautlos gekommen und stand wie aus dem Boden gewachsen neben ihnen. Die jungen Männer fuhren auf, bekleckerten sich mit der Pizzasoße und fluchten wütend. Dann umringten sie den Fremden. Sie waren eine Lachnummer, aber ein paar Dinge ließen sie noch immer nicht mit sich machen, und keiner kam ungestraft in ihr Hauptquartier geschlichen. Andererseits war der große Mann nicht nur groß, sondern riesig und zeigte sich nicht die Spur beeindruckt von ihren finsteren Mienen. »Was willst du, du Arsch«, rief einer von ihnen. »Euch.« »Dann hol dir, was du willst.« Ein Messer blitzte bei diesem Worten auf, dann fiel es klirrend zu Boden. Der Messerschwinger fiel steif wie ein Brett nach hinten und rührte sich nicht mehr. In seiner Stirn war ein großes blutiges Loch. Der Fremde betrachtete seinen blutbeschmierten Zeigefinger, und wischte ihn dann an seiner Hose ab. »Wer ist euer Boss?« »Ich.« Jake schob sich vor, nein, es war eher so, dass die anderen zurückwichen und er darum alleine vor dem Fremden stand. 27
»Verschwinde.« Die Stimme des Fremden war tief und heiser und jeder, der sie hörte, dachte sofort, dass es Schreie von Kampf und Wut gewesen sein mussten, die ihren Klang bestimmt hatten. »Vergiss es! Du verpisst dich, sonst bist du fällig.« Er konnte ja nicht zugeben, dass er sich vor Angst beinahe in die Hose machte. »Ist das so?« »Ja, das ist so.« Jake war groß, aber dennoch wenigstens anderthalb Köpfe kleiner als der Fremde. Trotzdem stellte er sich nun provozierend lässig, die Arme in die Hüften gestemmt, vor den Eindringling. Jake war nicht unbedingt ein Feigling. Er hatte sogar schon einen Mann getötete - zwar aus dem Hinterhalt, aber immerhin -, aber jetzt wäre er am liebsten getürmt. Er wollte sich nicht mit dem Fremden anlegen. Dieser Mann hatte eine überwältigende Aura von Aggressivität und Macht, die an sich schon niederdrückend wirkte. Jake ahnte seine Niederlage, schmeckte ihre Bitterkeit schon auf der Zunge und wurde dennoch zum Kampf gedrängt durch die stille Erwartung der jungen Männer hinter ihm. Unwillkürlich zuckte es in seinem Gesicht. Dann wollte er angreifen, aber bevor er überhaupt etwas tun konnte, hatte ihn der Fremde am Hals gepackt und ihm einige schallende Ohrfeigen verpasst. Die Demütigung wirkte zerstörerischer als ein Blattschuss. Jake klappte förmlich zusammen. Dann klang Sarraks lauter Befehl: »Angetreten!« Die Gang hatte mit allem, was Militär war, nichts am Hut. Aber sie hatten oft genug Full Metal Jackett und andere Filme dieser Art angesehen, um zu wissen, was sie machten mussten. Und so organisierten sie sich zu einer schiefen Linie - eine Ansammlung verwirrter, verängstigter Jungen, die von der Anwesenheit des Fremden wie von Gitterstäben eingekerkert wurden. Sarrak ging langsam an der Linie entlang. Er sagte kein Wort, sondern schaute nur in die Gesichter. Im Hintergrund erklang das Wimmern Jakes, der sich auf dem Boden wälzte und dann versuchte wegzukriechen. Vor einem Farbigen blieb Sarrak stehen. Er nahm den Kopf des Jungen ihn beide Hände und brachte, in die Knie gehend, sein Gesicht genau vor das des Jungen. Der Junge war recht groß, aber auch ziemlich korpulent. Er hatte ein feingeschnittenes, hübsches Gesicht, auf dem man sofort Intelligenz erkennen konnte. Er hatte keine Familie, war kein großer Kämpfer, aber er wurde akzeptiert, weil er mehr Grips hatte, als der Rest der Bande zusammen. Wegen seiner figurmäßigen Überbreite und dem Anfangsbuchstaben seines Nachnamens wurde er nur Double U genannt. 28
»Was ist mit deinem Dad?« »Vergiss ihn!« »Was ist mit deiner Mom?« »Vergiss sie!« »Aaaahhhh.« Sarrak stieß diesen Laut aus, der eine Mischung aus Erstaunen und Freude ausdrückte. »Du bist der, den ich suche. Ich sehe das rote Licht in deinen Augen. Du bist ein Töter, weißt du das?« Double U antwortete nicht, sondern bemühte sich nur, seine Augen nicht unter dem Blick des Fremden niederzuschlagen. »Ich spüre die Wut in dir, Junge. Oh ja, so viel Wut, so viel Hass, so viel Lust auf Zerstörung. Das ist gut. Ich werde dir helfen, deine Wut zu spüren, bis du Feuer spucken kannst wie ein Drache.« Noch drei weitere Gangmitglieder fanden Gnade vor den Augen des Fremden. Sie traten vor. Alleine dadurch, dass der Fremde sie ausgewählt hatte, waren sie auf ewig von den anderen getrennt. »Kommt«, sagte Sarrak. Auf der Straße war kein Mensch zu sehen. Sarrak wartete einige Autos ab, bis ein Lieferwagen kam. Als der Wagen nur noch wenige Meter entfernt war, trat ihm Sarrak in den Weg. Der Fahrer hatte keine Chance mehr zu bremsen. Es war auch nicht nötig. Sarrak schob wie ein Footballer die Schulter vor und ließ den Wagen in sich hineinkrachen. Die Wucht des Aufpralls warf ihn einige Schritte zurück, dann stand der Wagen. Der Fahrer war angeschnallt und blieb steif von dem Schock sitzen. Der Beifahrer wurde durch die Frontscheibe auf die Straße geschleudert, wo er sich auf die Ellbogen stützte und zu schreien begann. Sarraks Begleiter sahen zu, wie ihr neuer Führer durch die zerstörte Frontscheibe langte, den Fahrer am Hals ergriff und dann mitsamt Sicherheitsgurt und Halterung des Gurtes nach außen riss. Der Mann war schon tot, bevor der Riese ihn fallen ließ. »Was ist? Kümmert euch um den anderen!« Der scharfe Befehl riss die Jungen aus ihrer Erstarrung. Vorsichtig umringten sie den Liegenden. Einer seiner Füße stand in einem unnatürlichen Winkel ab - so unnatürlich, dass alleine der Anblick Schmerz erregend war. Der liegende Mann schaute zu den Jungen auf und hob Hilfe erbittend eine Hand. Double U war es, der als Erster zutrat. Sein Tritt fegte den Ellbogen, auf den sich der Mann stützte, zur Seite. Nun, als wäre damit Barriere gefallen, stürzten sich alle anderen auf das Opfer. 29
Schließlich hielten die Jungen keuchend inne. Sarrak trat zu ihnen. »Ja, so war es richtig. Ihr habt gespürt, wie gut das tut. Und ich gebe euch mehr davon. Los, einer geht ans Lenkrad.« »Wohin«, fragte Double U, der sich hinter das Steuer geklemmt hatte. »Zum Quartier der Skulls.« »Die Skulls? Oh, Mann, die haben uns in den letzten acht Monaten nur gejagt. Und jetzt sind sie alle zusammen in ihrem Hauptquartier.« »Aaaahhh, alle zusammen. Es wird uns Spaß machen, Jungs, und dann haben wir ein neues Hauptquartier. Also, fahr los, ich kann es kaum erwarten!« * Als Bruce Darkness den Gang zum Büro des Barons hinunterging, hörte er sofort das Klappern der Absätze. An sich ein erregendes Geräusch, zumal wenn die Hochhackigen am unteren Ende hübscher Beine befestigt sind. In diesem Fall deutete alles darauf hin, dass Katrina Stein mal wieder just diesen Moment abgepasst hatte, um einige Giftpfeile in seine Richtung abzuschießen. »Da schau her, unser Vize ...« Sie sprach das Wort so aus, wie ein Priester einen Begriff wie Sodomie ausgesprochen hätte, sozusagen mit zwei spitzen Fingern auf den Stimmbändern, und deutete damit nur allzu offensichtlich an, was sie von ihm hielt. Katrina war eine der Beraterinnen des Barons, und sie war gar nicht damit einverstanden, dass jemand wie Bruce mehr zu sagen hatte als sie. »Sind wir wieder so cool wie immer. Keine Verletzungen mehr von deiner Begegnung mit ein paar Sterblichen?« »Kann dir ja nicht passieren, dass du verletzt wirst. Du hältst dich ja immer feige zurück.« Katrina lächelte. »Jeder benutzt das, was er hat. Du deine Muskeln, ich meinen Verstand.« Er wollte kontern, da fuhr sie fort. »Und der Baron wartet seit zwei Minuten auf dich!« Bruce wandte sich ab und betrat das Büro seines Chefs. Katrina folgte ihm. Boris Baron von Kradoc winkte seine engsten Mitarbeiter schon an den Besprechungstisch, während er selbst noch einige Papiere auf dem Schreibtisch zusammensuchte. Dann setzte er sich zu Bruce. »Wir haben ein Problem.« »Diese Krawallmacher von neulich? Kein Problem. Ich habe sie letzte Nacht aufgespürt und ... Na, ich möchte diese verhätschelte Tussi hier 30
nicht verstören«, sagte er mit einem Seitenblick zu Katrina. Baron von Kradoc, der Herr aller Vampire New Yorks, sah seinen Stellvertreter kalt an. »Als ich davon sprach, dass wir ein Problem haben, meinte ich ein Problem und keine Bande von Krawallsuchenden Sterblichen. Bruce, wir haben ein wirkliches Problem. Und Teil dieses Problems ist, dass ich nicht weiß, wo es herkommt und wie sein genauer Charakter ist.« Der Baron hob eine Zeitung. Die Schlagzeile sprach von metzelnden Blutsaugern. Bruce hob abwehrend die Hände. »Ich wars nicht. Und ich habe mich damit abgefunden, dass ich niemals der Held von so einem Roman werde wie Buffalo Bill und Konsorten. Was solls, eine schlechte Presse haben wir eh, also können uns diese Zeitungsfritzen mal gern haben.« »Du unterschätzt die Macht der Medien, Bruce. Aber darum geht es nicht. Die Medien können wir immer noch in die richtige Richtung drehen. Es geht um denjenigen, der das macht.« »Und wer ist es?« »Ich weiß es nicht. Aber es ist kein gewöhnlicher Sterblicher. Zwei von uns sind mit ihm in Kontakt geraten. Der Überlebende hat berichtet, dass er von ihren übernatürlichen Fähigkeiten nicht besonders beeindruckt war. Ohne zu zögern hat er Edward Saint Johns in dessen Fledermausgestalt ausgemacht und vernichtet.« Oh, dachte Bruce, Eddie ist tot? Schade, mit dem konnte man ganz gut um die Häuser ziehen. »Egal, wer dieser Mann ist«, stellte Kradoc klar, »er ist gefährlich, er ist enorm mächtig und er hat einen Plan. Innerhalb kürzester Zeit hat er einige der gefürchtetsten Straßengangs zerschlagen, die Mitglieder aussortiert und die Banden neu formiert. Sie nennen sich jetzt Sword Society.« »Die Bruderschaft des Schwertes«, dachte Bruce laut. »Klingt cool, aber was kümmern uns diese Straßenratten?« »Viel, seit sie keine Straßenratten mehr sind. Sie sind mehr. Sie greifen nach dem Drogenhandel, sie haben den Prostituierten klargemacht, an wen sie Prozente abgeben sollen, sie legen sich mit allem an.« »Und damit ist auch unser Geschäft bedroht?« »Es geht hier nicht um das Geschäft. Was kümmern mich ein paar Scheine, was kümmern mich ein paar Millionen. Davor fürchte ich mich nicht. Aber der Plan - der Plan und derjenige, der dahintersteckt, das ist es, was mir bedrohlich erscheint.« Baron von Kradoc holte unter den Papieren, die er zum Besprechungstisch gebracht hatte, einen Stadtplan hervor. Das Empire State Building, in dem sie sich befanden, war als roter Punkt markiert. Gelbe Punkte formten ein 31
Muster um diesen Mittelpunkt. Der Baron deutete mit dem Finger darauf. »Erkennst du das System?« »Entweder ich lüge oder ich sage Nein. Nein!« »Ein Pentagramm. Die gelben Punkte sind allesamt die Stellen, an denen es in den letzten Tagen Tote gegeben hat. Wenn man sie genau betrachtet, bilden sie ein noch nicht vollständiges Pentagramm, mit diesem Gebäude als Mittelpunkt.« »Könnte das nicht bloßer Zufall sein?« »Vielleicht. Aber ich glaube nicht an Zufälle. Schon gar nicht an derartige.« »Und das bedeutet?« »Dieser Mann muss beseitigt werden. Selbst wenn nichts weiter dahinter steckt als ein irrsinniger Sterblicher, würde dieses Geschwafel um Vampire und Blutsauger doch nur lästige Vampir Jäger aus allen Teilen des Landes in meine Stadt ziehen. Das gilt es zu vermeiden.« »Alles klar«, sagte Bruce Darkness. »Ich finde ihn und haue ihn um.« »Du unterschätzt die Gefahr. Daher - und wie auf Stichwort kommt er habe ich einen Freund gebeten, uns zu helfen.« Es hatte geklopft. Katrina war aufgestanden, hatte die Tür geöffnet und einen Mann um die Dreißig hereingelassen. Der Typ sah gut aus, sehr gut sogar, das musste Bruce ihm zugestehen. Groß, schlank, mit schwarzem, gelocktem Haar und der drahtigen Figur eines Balletttänzers war Reynaud de Champsvert das Abziehbild eines Südstaatenkavaliers der uralten Schule. Er unterstrich diesen Eindruck durch seinen eleganten, wenn auch etwas altmodischen, taillierten Gehrock und die ziemlich deplazierten, allerdings wunderschönen Reitstiefel. Bruce Darkness hatte von Champsvert gehört. Er war erst vor einigen Monaten aus Atlanta gekommen, hatte die Damen entzückt, die Herren dadurch um so mehr genervt und war schon als heimlicher Konkurrent des Barons gehandelt worden. Und nun stellte ihn von Kradoc als seinen Freund vor? Oh, Mann, es geschahen seltsame Dinge in der Gemeinde der New Yorker Vampire! »Ah, Reynaud, Sie kennen meinen Stellvertreter Bruce Darkness?«, stellte der Baron vor. Darkness und Champsvert schüttelten sich die Hand. Ab diesem Moment wusste Bruce, wen er auf seiner Hassliste ganz nach oben setzen musste. Dieser Südstaatenschnösel hatte sich die Mühe gemacht, vor ihrem Händedruck die andere Hand in die Tasche zu stecken und dazu noch gegen die Decke zu schauen, als hätte sich Bruce gerade in Luft aufgelöst. Offensichtlicher konnte man seine Verachtung nicht zum Ausdruck bringen. 32
Subtiler allerdings auch nicht. »Ach ja, ich habe selbstverständlich von ihm gehört«, säuselte Champsvert mit seiner Gnädigste-haben-Augen-in-denen-ein-Mannversinken-möchte-Stimme lächelnd. »Unter anderem davon, dass einige Sterbliche ihn fast umgebracht hätten.« Bruce unterdrückte ein tierhaftes Knurren. Was für ein Arschloch! »Nun, Sie haben von der Begegnung nur gehört, daher fehlen Ihnen wohl noch einige Einsichten zur endgültigen Beurteilung«, sagte er ruhig. Das war große Klasse. Höflich und kühl, nur nicht provozieren lassen. Das leichte Lächeln, das sich auf den Lippen von Bruce Darkness gebildet hatte, war wie weggewischt, als er die Entgegnung hörte. »Nun, es reicht zu wissen, dass es sich nur um eine niedrige zweistellige Zahl Sterblicher handelte. Das sollte doch schon alles sagen. Allerdings gebe ich zu, wenn man keine Fähigkeiten besitzt außer der des unkultivierten Herumprügelns ...« »Jedenfalls bin ich optimistisch, dass Ihre Fähigkeiten, lieber Champsvert, mehr als ausreichen werden, um diesen unbequemen Störenfried zu beseitigen«, mischte sich diplomatisch der Baron ein. »Es sollte mich wundern, wenn es anders wäre«, gab Champsvert mit ungewollter Zweideutigkeit zurück. »Es ist mir eine Freude, lieber Baron, Ihnen helfen zu können, wenn Not am Manne ist. Darf ich mich nun wieder verabschieden? Ich würde Ihnen gern noch Gesellschaft leisten, aber ich habe noch ein Rendezvous, und ich möchte die Dame auf keinen Fall warten lassen.« Nach einer leichten Verbeugung vor dem Baron und Bruce ignorierend verließ er den Raum. Katrina folgte ihm, um ihn zur Tür zu geleiten. Bruce blies die Backen auf und ließ Augen rollend die Luft entweichen. »Wenn ich nicht schon starke Minderwertigkeitskomplexe hätte, würde ich mich jetzt wohl damit infiziert haben.« »Dies ist nicht die Zeit für lockere Scherze, Bruce. Ich möchte, dass du Champsvert im Auge behältst. Und nur das, verstehst du? Und zwar so, dass er nichts bemerkt!« Als er wieder auf dem Flur stand, griff sich Bruce an die Schläfen. So ganz bekam er die ganze Sache noch nicht auf die Reihe. Wenn der Baron diesem Südstaatenschnösel nicht traute, dann sollte er ihn einfach aus der Stadt schmeißen. Oder ihn, Bruce, die Sache erledigen lassen - endgültig. Aber zumindest war die Besorgnis des Barons echt. Und noch eins war klar - es musste Katrina Stein gewesen sein, die dem Schönling die Geschichte seiner letzten Keilerei brühwarm und mit sicherlich boshaftem Lächeln mitgeteilt hatte. Grund genug, ihr kurz die Meinung zu geigen. Bruce war in der 33
entsprechenden Stimmung und wandte sich also energischen Schrittes zum Büro Katrina Steins. Die Tür war nur angelehnt. Bruce hob die Hand, um ohne Vorwarnung die Tür aufzudrücken, als er die Stimme Katrinas hörte: »Bitte, nicht hier.« Es folgte eindeutiges Rauschen von Stoff, noch eindeutigere Geräusche, die etwas mit dem Zusammenprall von Lippenpaaren zu tun hatten und dann wieder Katrinas hektisches Flüstern: »Wenn du die Sache erledigt hast, dann wird klar sein, wem die Macht gehört und dann kommt der Augenblick, wo wir ... « Es war nicht so, dass es Bruce Darkness peinlich oder unangenehm gewesen wäre, Katrina zu belauschen. Aber nun wurde die Tür eines anderen Büros geöffnet und er musste einen Blitzrückzug zum Aufzug antreten. Der Typ, mit dem Katrina in ihrem Büro flüsterte, konnte nur Reynaud de Champsvert sein. Bruce war sich sicher, weil er das widerliche Parfüm des Schönlings aus ihrem Büro erschnüffelt hatte. Er grinste boshaft. So langsam klärten sich manche Dinge. Die nächsten Tage versprachen, spannend zu werden. * Die beiden schwarzen Stretchlimousinen waren aus entgegengesetzten Richtungen gekommen, hatten sich Zeichen mit der Lichthupe gegeben und waren dann, Stoßstange an Stoßstange, stehen geblieben. Die Insassen des einen Wagens war ausgestiegen und hatte sich mit in den anderen Wagen gesetzt. Es war ein Routinegeschäft - ein Koffer mit fast reinem Koks gegen einen Koffer mit garantiert echten Geldscheinen. In der Szene hatte es in den letzten Tagen Unruhe gegeben, darum beulten sie ihre teuren ArmaniAnzüge mit Pistolen aus und um den Wagen standen drei Aufpasser. Die drei Wachhunde fröstelten in der feuchten Luft, die hier, nur wenige Meter vom Wasser entfernt, fast greifbar war. Ein Schlepper gab lang gezogene Sirenensignale und tuckerte in der Nähe vorbei. Seine Positionslichter schimmerten auf dem Wasser, fleckig und verschwommen wie ausgelaufene Farbe, dann war er vorbei und hinterließ nur noch einige Wellen, die sich klatschend gegen die Kaimauer warfen. Nichts, aber auch gar nichts deutete darauf hin, dass aus dem Dunkel ein riesiger Mann mit gezücktem Schwert auf die Wächter zurasen würde. Bevor sie überhaupt verstanden, was geschah, wankte der kopflose Rumpf des ersten Wächters. Und bevor die Leiche mit sanftem Rauschen zu Boden gesunken war, hatte ein Schwerthieb den zweiten Wächter fast zerteilt. Ihm 34
blieb noch Zeit für einen Schrei und dieser gellende Ton alarmierte den dritten Wächter, der auf der anderen Seite des Wagens stand. Instinktiv griff er zu seiner Waffe, wandte sich in der gleichen Bewegung dorthin, wo der Schrei herkam und sprang zurück, um freies Schussfeld zwischen sich und den Wagen zu bringen. Die Reaktion war perfekt, aber sie nutzte nichts, wenn es darum ging, einen Gegner wie diesen zu bekämpfen. Der Angreifer sprang hoch, rollte sich über das Dach der Limousine hinweg - ein wirrer Schatten, dessen Mantelschöße wie Flügel flatterten und der kein gutes Ziel abgab. Der Wagen bockte unter dem Gewicht und hing tief in der Federung. Dann kam der Schwertträger auf die Füße und warf sich nach vorne, bevor der Wächter auch nur den Abzug durchziehen konnte. Die nadelartige Schwertspitze traf ihn in den Unterleib. Es war weniger der brennende Schmerz als der Schock des Getroffenseins, der den Mann lähmte. Der Wächter kannte nur noch Flucht. Alle seine Gedanken waren ausgeblendet, nur noch seine Reflexe funktionierten und befahlen panikartigen Rückzug, obwohl seine Verwundung ihm nur wenige Schritte erlauben würde. Nicht einmal diese symbolische Flucht war ihm vergönnt. Er hörte das Singen der Klinge, verspürte eine Berührung am Hals und versank in ewige Düsternis. Sarrak wartete nicht einmal, bis der Gegner am Boden lag. Er machte kehrt, nahm einige Schritte Anlauf und sprang gegen die Limousine. Der Aufprall verbeulte die Türe, ließ die getönte Glasscheibe zerbröseln und warf den schweren Wagen fast um. Jetzt erst verstanden die Insassen, was um sie herum geschah. Einer der Drogendealer starrte mit kokainweiß umpuderter Nase blöde durch die zerborstene Scheibe. Der Stoff war klasse, der Flash war gewaltig und es war der Letzte. Denn die Schwertklinge bohrte sich krachend in seinen Schädel, fraß sich weiter und schlitzte noch die Halsschlagader des Nachbarn auf. Der Gegenübersitzende sprang auf, was verständlich, aber ein Fehler war, denn so brauchte Sarrak beim Zurückziehen des Schwertes nur ein wenig die Richtung zu ändern und der Stahl schnitt glatt durch die Rippen und stoppte erst an der Wirbelsäule. Ein wilder Kampfschrei stieg aus Sarraks Kehle und flog über das Wasser wie ein Flammensignal. Mit einer Mischung aus blanker Wut und Zerstörungslust hieb er auf die Limousine ein, ließ Glas splittern, Fenstersäulen knicken und das Dach aufklaffen. Er öffnete den Wagen wie eine riesige Konservendose, bis aus der Stretchlimousine ein halbes Cabrio 35
geworden war, in dem sich nur noch eine kreischende Frau mit langem blondem Haar befand und ein Dealer, der sich nicht einmal mehr die Mühe machte, Gegenwehr zu leisten. »Kommt her!«, sagte Sarrak, als auch diese Zeugen beseitigt waren. Double U und drei seiner Begleiter näherten sich aus ihrem Versteck dem Wrack. Sarrak hatte ihnen verboten, dem Kampf zuzusehen und sie hatten sich an das Verbot gehalten. Dennoch hatten sie die Geräusche gehört und nun sahen sie das Ergebnis der Begegnung ihres Anführers mit Zweien der mächtigsten Dealer der Stadt. Double U machte mit angewidertem Gesicht einen weiten Bogen um den Kopf der Frau. Im Licht der Taschenlampen schimmerte das blonde seidige Haar und das Blut glänzte zwischen den Pflastersteinen. Das mit der Tussi hielt Double U für unnötig. Bisher hatten sie nur Kerls kalt gemacht und jeder von denen hatte es doppelt und dreifach verdient. Aber diese Schlunze verkaufte ihre Muschi gegen ein hübsches Leben, na und? Nicht, dass er scharf auf dieses Stück gewesen wäre. Absolut nicht. Aber irgendwie bohrte da dieses Gefühl, dass Sarrak die Sache jetzt überzogen hatte, und obwohl sich Double U bemühte, bekam er dieses Bohren nicht aus den Gedanken. Bei ihr hätte doch nicht gleich der Kopf fliegen müssen, oder? »Nehmt das Geld, die Drogen verkauft ihr. Mischt nicht zuviel bei, wir wollen die anderen auch durch Qualität aus dem Markt drücken, und nun verschwindet, schnell. Was ist, Double U, willst du nicht den Geldkoffer nehmen?« Als sich die Schritte seiner Leute eilig entfernt hatten, blickte sich Sarrak um. Plötzlich wirkte er müde und kraftlos. Mühevoll und nur mit langen Pausen gelang es ihm, die Toten aus dem Wagen zu ziehen und aufeinander zu stapeln. Er zwang sich selbst zu Schnelligkeit, denn er hatte nicht unbegrenzt Zeit. Als er endlich vor dem Leichenhaufen stand, hob er das Schwert... * »Sicher doch höre ich Ihnen zu«, sagte Detective Uncle und bemühte sich, seine empfindliche Nase etwas aus dem stinkigen Atem des Penners zu drehen, ohne dabei unhöflich zu wirken. Zugleich tadelte er sich selbst, weil er gerade eben Penner gedacht und diesen gerade einmal mittelalten Mann vor sich gemeint hatte. Nein, das war nicht gut. Tom Uncle war jenseits aller läppischen politischen Korrektheit der festen Überzeugung, dass sich ein Mensch einem anderen Menschen immer mit Respekt und einer gewissen Demut nähern sollte. 36
Und wenn ein Mensch nicht in der Lage war, sich selbst gegenüber Respekt zu empfinden, dann mussten die anderen ihm eben dabei helfen. Nur so funktionierte eine Gesellschaft, die die Absicht hatte, zu überleben. Und so hatte es auch in seiner Heimat funktioniert - eine Gemeinschaft verschüchterter Schwarzer, die dem mächtigen Ku-Klux-Klan ins Gesicht lachen konnten, weil sie sich gegenseitig vor dem Aufgeben retteten. Im Grunde, so ging es ihm durch den Kopf, war das nichts anderes als das, was seine Mutter ihm erzählte und ihm bei Bedarf auch durch körperliche Lernhilfen beibrachte. Ja, seine Mutter, diese schlanke, schöne, stolze Frau, war genau das Gegenteil des Klischees der »Niggermamie« aus Schrottfilmen wie »Vom Winde verweht« und darum eine stete Provokation für jeden weißen Rassisten ... Sie behauptete, die Tochter einer Königstochter zu sein und leitete aus diesem Adel die Pflicht ab, dem Gegenüber mit besonderer Würde und Zuneigung gegenüberzutreten. Das mit dem Adel hatte Uncle nie Ernst genommen, aber jetzt, wenn er an seine Mutter zurückdachte, war ihm klar, dass sie nicht gelogen hatte. Okay, Onkel Tom, dachte er, in deinen Adern fließt das Blut von Königen. Irgendwann gehst du nach Afrika, schnappst dir eine Bande wilder Krieger und räumst in den Südstaaten auf. Dann ziehst du dich in dein Reich im dunklen Herzen Afrikas zurück und schaust den Schönheiten zu, die für dich auf wundervoll schweinische Art tanzen. Aber vorher nimmst du dir dieses Wrack eines Exemplars der überlegenen weißen Rasse vor! »Fangen wir also noch einmal an«, sagte Detective Uncle. Wie oft hatte er eigentlich diese zerstörten Gesichter gesehen, diese wässrigen Säuferaugen, diese Ruinen eines menschlichen Gebisses hinter schorfverkleisterten Lippen, diese versoffenen Stimmen mit ihrem Genuschel und ihren halb verblödeten Gerede? Zu oft jedenfalls! »Was soll das? Ich habe Ihnen doch schon alles gesagt! Mindestens fünf Mal ...« »Nun ja, Sie werden einsehen, dass Ihre Aussage etwas ungewöhnlich ist.« Detective Uncle schaute über die Schulter zu dem Abschleppwagen, der das zerbeulte Wrack einer einst teuren Limousine auf seine Ladefläche zog. Vieles war ungewöhnlich, zu vieles ... »Hören Sie, Detective, das ist nicht mein Problem. Ich sag ja nur, wie es war. Also sag ich, dass da so ein großer Kerl war und auf die Toten eingehakt hat, mit 'nem Schwert. Und dann, als er davon genug hatte, dann ist er auf die Knie runter und hat was geschlürft. Muss das Blut gewesen sein. Es war so laut, dass ich das bis da hinten hin hören konnte, wo ich pennen wollte in meinem Karton. Und dann ist er weg, richtig schnell weg 37
war der. So, mehr sag ich nicht. Ich bin es satt, für 'nen blöden Säufer gehalten zu werden.« Uncle tätschelte dem sitzenden Mann die Schultern und wuchtete sein beträchtliches Lebendgewicht stöhnend zurück in die Senkrechte. Natürlich erzählte dieser versoffene Kerl nur Schrott. Aber leider hatten sich einige dieser Obdachlosen abgesprochen und erzählten eine ähnliche Geschichte, und leider lagen da verstreute Leichen, alle ohne einen Rest von Blut. Detective Uncle griff in seine Tasche und schob dem immer noch sitzenden Obdachlosen einen Geldschein in die Hand. »Versaufen Sie es nicht.« »Nee, mach ich nicht, Ehrenwort.« »Sehr gut, geben Sie Ihre Aussage zu Protokoll und dann lassen Sie sich von einem Wagen zu dieser Adresse fahren. Sie können da eine Woche bleiben, ich drücke das unter Zeugenschutz weg. Nutzen Sie die Zeit, um sich in Form zu bringen, dann brauchen Sie auch keine Kartonunterkünfte mehr. Ach so, und noch eins - das alles bleibt unter uns. Braucht keiner zu wissen, klar?« Der andere nahm Haltung an und deutete eine Form von militärischem Salutieren an. »Fahr mich nach Hause«, sagte Uncle, als er sich in den Wagen fallen ließ, »drei Überstunden reichen für heute.« »Was ist los«, höhnte Mac vom Vordersitz, »wo bleibt der Einsatz?« »Ich werde alt, das ist es. Außerdem habe ich meinem Sohn versprochen, ihm heute noch eine Geschichte zu erzählen.« »Na, das ist doch wichtiger als der Job. Ach ja, was hat unser Zeuge denn erzählt, wenn ich mal fragen darf?« »Das, was einer erzählt, wenn er sich das Hirn mit Sprit weggesprengt hat...« Detective Uncle schlich durch das Treppenhaus und steckte den Schlüssel unhörbar in das Schloss. Er öffnete, steckte den Kopf vorsichtig in den Flur und schob sich hinein. Dann erklang das Peng-du-bist-tot, das er zu vermeiden gehofft hatte. Das Spielchen war zwischen ihm und seinem Sohn seit langem aktuell, aber bisher hatte sich Uncle noch nie dem Fangschuss entziehen können. Er zog den Mantel aus und umarmte den Jungen. »Na, alles klar?« »Bestens, wir haben heute die aus der Zehn mit 73 zu 65 geputzt. Ich war guuut...« Und Benjamin zeigte in extremer Zeitlupe einen Spielzug, der mit einem genialen Korbwurf abgeschlossen wurde. Leider schepperte bei dem Wurf eine Vase zu Boden, was zum sofortigen Erscheinen von Misses 38
Uncle führte. »Ben, du gehst jetzt ab ins Bett.« »Och, Mom, ich bin noch gar nicht müde.« Das war das Vorspiel. Es folgte der Konter. »Jungs in deinem Alter müssen um diese Zeit ins Bett, auch wenn sie noch nicht müde sind, weil sie nämlich müde sind, ohne es zu wissen.« Dieser unbezwingbaren mütterlichen Logik konnte Benjamin Uncle nun seine Trumpfkarte gegenüberstellen. »Paps wollte mir noch eine Geschichte erzählen.« »Aber nur fünf Minuten!« Vater und Sohn zogen sich in das Wohnzimmer zurück. Uncle ließ sich in das Sofa fallen, Benjamin entschloss sich, den Tag abzuschließen, indem er sich an seinen Vater kuschelte. »Meine Güte, Ben, was hast du für spitze Knochen.« »Kann ja nicht jeder so fett sein wie du und Mom.« »Werd nicht unverschämt, Junior. Wir sind nur so, weil wir Heizkosten sparen wollen. Fett isoliert.« »Und ich soll dann erfrieren, was?« »Du kannst dich an uns kuscheln. Weißt du was, du kommst nach deiner Großmutter. Die war auch so schlank, sei froh, dass du nicht so pummelig wirst. Was für eine Geschichte soll es denn heute sein?« »Was mit Monstern und Bullen.« »Du sollst nicht immer Bullen sagen, Benjamin, das mag ich nicht.« »Aber jeder sagt Bullen. Kojak sagt auch Bullen.« »Glaub ich nicht« »Doch, in der letzten Folge stand er vor einer Tür und sagte: >Hier ist der freundliche Bulle von nebenan.<« »Na gut, Kojak hat 'ne Glatze, der darf Bulle sagen, du nicht oder soll ich dich rasieren?« »Wenn ich selber bei der Polizei bin, dann mach ich mir vielleicht 'ne Glatze. Ist doch cool. Sag mal, hat Gerald 'ne Glatze?« Benjamin schaute auf und bemerkte daher das Zucken nicht, das bei dieser Frage durch seinen Vater fuhr. »Woher soll ich das denn wissen?« »Ich frag ja nur, ich meine, wenn man als Undercoveragent arbeitet, dann kann man doch auch Glatze tragen, oder?« »Na klar, man darf nur nicht allzu sehr auffallen.« »Sag mal, Dad. . .« Benjamin überlegte und schien die Frage mehrmals durchzukauen, bevor er sie stellte. »Also, Henry Bessern hat gesagt, dass mein Bruder nie und nimmer ein Polizeiagent ist, weil er dafür viel zu jung 39
ist. Stimmt das?« »Dein Henry hat keine Ahnung. Denk an die vielen Straßengangs, soll da so ein alter Sack wie ich hingehen und sagen >Hey, ich mach mit bei euch?<« »Du würdest mich doch nicht belügen, oder? Ich meine, Gerald ist doch wirklich bei der Polizei und ist darum untergetaucht und nur darum ist er nicht mehr bei uns?« Tom Uncle schluckte und fixierte ein Foto auf der Anrichte an der gegenüberliegenden Wand. Dann nickte er. »Ich würde dich nie belügen. Wie soll ich dich belügen, wo wir doch nichts haben in dieser verrückten Welt als uns selbst. Da müssen wir zusammenhalten, ganz fest.« Benjamin kuschelte sich an seinen Vater. Dessen Bauch war weicher als ein Kissen und wärmer. Und außerdem gluckste es so lustig. »Ich glaube, es stimmt, was du sagst, mit dem Zusammenhalten« und so. Aber ist es nicht fürchterlich traurig für Gerald, dass wir ihn wegen seinem Job nicht sehen können und ich mich kaum an ihn erinnern kann?« »Gerald weiß, dass wir an ihn denken, jeden Tag und jede Stunde. Und darum ist er uns so nah, wie wir uns jetzt nahe sind.« »Und jede Minute?« »Sogar jede Sekunde, Benni.« * Reynaud de Champsvert war ein Schönling und benutzte ein schwuchteliges Eau de Toilette, aber er kannte eine ganze Menge Leute in New York. Bruce Darkness war überrascht, wie schnell dieser Südstaatenschönling sich ein Netz von Beziehungen geschaffen hatte, sowohl unter seinesgleichen als auch unter den Sterblichen. Ob der Baron davon wusste? Bestimmt! Schließlich war das hier seine Stadt. Bisher hatte Champsvert keine Beweise besonderer Fähigkeiten abgelegt, mal abgesehen davon, dass er hinreißend lächelte und den Handkuss perfekt beherrschte, was in gewissen Kreisen mindestens so viel Wert ist wie ein Picasso. Es war absolut nicht die Art von Job, auf die Bruce Darkness scharf war. Schon die Tatsache, dass er nicht mehr selbst bestimmen konnte, wann er wo hinging, macht ihn rasend. Und dann war es auch kein Vergnügen, im Regen an einer Ecke zu stehen, und zu warten, bis sich der Herr von und zu und de in seinen Daimler Turbo schwang und losfegte. Und dann, nicht zu vergessen, war es eine üble Sache, dass man mit einer 40
Harley Schwierigkeiten haben konnte, einem Daimler Turbo unauffällig zu folgen, weil man diesem britischen Geschoss überhaupt nicht folgen konnte, es sei denn als Dachgepäck. Mit anderen Worten, Bruce Darkness war eher mies drauf, als er mal wieder gegenüber dem hohen, altertümlich verzierten Gebäude wartete. Zumindest hatte er mitbekommen, welchen Namen auf der Klingelleiste Champsvert mit dem Druck seines adeligen Daumens beglückte. Allerdings half das auch nicht, weil er mit dem Namen nichts anfangen konnte. Warum es in New York immer dann richtig regnen musste, wenn Bruce Darkness vor einem Gebäude wartete, war ihm auch unklar, aber er beschloss, seine Harley für den Moment stehen zu lassen und sich unter das Vordach des Gebäudes zu flüchten. Durch die Glastür sah er einen Schatten, der sich über den Flur dem Ausgang näherte. Da es sich um eine Frau handeln musste, dem Geklapper der Absätze nach, und nicht um Champsvert hielt es Bruce nicht für nötig, sein trockenes Plätzchen aufzugeben. Er rückte nur galant zur Seite, als eine ältere Dame mit blau gefärbtem Haar, einer mit Strass-Steinen besetzten Brille und einem hundeähnlichen Wollknäuel an der Leine aus der Tür trat. Sie lächelte über seine Höflichkeit, ganz offensichtlich sehr erfreut angesichts einer so seltenen Geste von einem ansehnlichen jungen Mann, der gekleidet war, als würde er zu den Hells Angels gehören. Ihr Lächeln brachte Bruce auf eine Idee. »Entschuldigen Sie, Mam« , sagte er und brachte eine fast perfekte Nachahmung Champsverts zu Stande, »ich wollte zu«, hier nannte er den Namen von der Türklingel, »aber der scheint nicht da zu sein ...« »Oh, Sie nehmen Fechtunterricht, junger Mann? Wundervoll, das gibt Eleganz und Kraft und man wird auch ein besserer Tänzer. Ich glaube, der Meister hat vorhin einen Schüler eingelassen, dann ist er für niemand anderen zu sprechen. Warten Sie einfach, bis ein sehr gut aussehender Herr in mittleren Jahren dieses Haus verlässt, dann wird ihnen bestimmt Zutritt zur Fechtschule gewährt.« Das machte Bruce, allerdings saß er da schon wieder auf seinem Bike und versuchte, dem Daimler zu folgen, ohne seinen eigenen Motor zu überdrehen. Champsvert nahm also Fechtunterricht! Nur zur Auffrischung? Oder hatte er keine Ahnung von dem Geschäft und wollte sich wenigstens ein paar Grundbegriffe beibringen lassen? Dann allerdings war fraglich, wie er mit diesem Schwert schwingenden Killer mithalten wollte, der New York zur Zeit etwas in Aufregung versetzte. 41
Bald wurde Bruce klar, dass er nicht mehr lange auf eine Antwort würde warten müssen. Champsvert verschwand samt Wagen in der Tiefgarage seines Apartmenthauses, nur um nach einer quälend langen Stunde wieder aufzutauchen und sich in flotter Fahrweise in eine Gegend zu begeben, in die sich ein normaler Südstaatenschnösel niemals trauen sollte, weil es ihm nicht bekommen würde, zum mächtigsten Boss der Gegend Nigger zu sagen. Vor einer ehemaligen Fabrikhalle hielt Champsvert an. Als er ausstieg trug er einen langen, schmalen Gegenstand bei sich, der nicht nach einem Regenschirm aussah. Bruce musste sein Motorrad in der Nähe abstellen und sich zurückschleichen. Hinter einem Stahlträger fand er ein sicheres Versteck, das ihm einen guten Blick auf die Halle erlaubte. Er hätte den Anblick auch ungern vermisst, denn Champsvert, der mit einem schweren Degen eine Art Spiegelfechten ohne Spiegel übte, sah derart bescheuert aus, das man ihn nicht verpassen durfte. Und so eine Pfeife ließ Katrina an ihre Wäsche, fuhr es ihm durch den Kopf. Das Mädel hatte null Niveau, er hatte es schon immer gewusst! Die Frage, ob sich hier etwas abspielen würde, oder ob Champsvert die Halle nur als Übungsgelände nutzte, wurde auch beantwortet. Eine Tür schepperte. In diesem Moment hielt Champsvert mit seiner Übung inne und begann langsam zu schweben. Er drehte sich in der Luft in die Horizontale und stieg bis zur Hallendecke auf. Bis dorthin konnte Bruce ihm nicht mehr mit den Blicken folgen. Aber der Anblick des Mannes, der eben die Halle betreten hatte, zog sowieso seine gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Ein Riese von einem Mann, mit gewaltigen Muskeln und einer raubtierhaft geschmeidigen Art, sich zu bewegen. Er musste ein fürchterlicher Gegner sein. Für einen Sterblichen, nicht für Bruce ... Der Mann warf seinen langen schwarzen Ledermantel ab, unter dem er ein Schwert trug. Dann lehnte er sich an eine Strebe, die Hände auf das Schwert gestützt und schloss die Augen. Schlief er? Kannte er überhaupt so etwas wie Schlaf? Als diese Gedanken Bruce durch den Kopf schossen, sah er Champsvert, der langsam herabschwebte, sich drehte, seine Waffe in die rechte Position brachte und dann mit einem markerschütternden Wutschrei wie ein Adler auf den Mann herabstieß. Der Mann mochte geschlafen haben. Der Schrei Champsverts weckte ihn jedenfalls und das noch rechtzeitig. Er riss sein Schwert hoch. Metall krachte auf Metall. Dann sauste Champsvert in halber Manneshöhe über den Boden und der Riese warf sich nach hinten, rollte über die Schulter ab 42
und gab dem Vampir dabei noch einen kräftigen Tritt. »Sehr originell. Ihr Idioten glaubt immer noch an eure Tricks«, knurrte er, als er wieder auf den Beinen stand. »Ich bin Sarrak von Traal. Und ich habe schon mehr von deiner Sorte vernichtet, als du Jahre zählst, du Anfänger!« Dabei schaute er genau auf den Pfeiler, hinter dem sich Bruce verbarg. Er schaute länger und intensiver, als notwendig gewesen wäre und so kam Champsvert zu seiner zweiten Chance. Der Tritt hatte ihn völlig aus dem Konzept gebracht, hatte ihn aus der Flugbahn geworfen und taumeln lassen, bis er sich wieder gefangen hatte. Er landete kurz, konzentrierte sich, die Hände um den Degengriff nervös knetend, und stieß sich dann wieder in die Höhe. Er hätte seinen Gegner durchbohrt, doch Sarrak hörte das Rauschen des heranrasenden Vampirs und drehte sich im letzten Moment um. Sein Schwert fegte den Degen Champsverts zur Seite, aus derselben Bewegung heraus wendete er sein Schwert und rammte den Knauf brutal in das Gesicht des Vampirs. Das Krachen der Schädelknochen hallte durch den weiten Raum. Eine Wunde blühte wie eine rote Rose auf der Stirn Champsverts. Er musste landen, denn das Blut lief ihm in beide Augen und nahm ihm die Sicht. Der Riese nutzte die Möglichkeit zum Angriff nicht. Bruce war sicher, dass dieses Versäumnis nichts mit Dummheit zu tun hatte. Der Mann war sich seiner Sache einfach sicher. Das Duell Mensch - wenn es denn einer war - gegen Vampir hielt er schon für entschieden. Während er sich auf das Schließen der Wunde konzentrierte, unternahm Champsvert einige Finten und Scheinangriffe, die eher peinlich wirkten, weil ihr Zweck allzu offensichtlich war. Sarrak nahm sie amüsiert zur Kenntnis und beantwortete sie mit ebenso fadenscheinigen Gegenattacken. Eines wurde dadurch allerdings offensichtlich - er war ein glänzender Fechter, Meister jeder Situation und er konnte seinen schweren Zweihänder auch mit einer Hand führen und zwar so gelassen, als handele es sich um ein Florett. »Nun, war das alles? Das bisschen Schweben?«, höhnte er. »Zirkus für Vampire - oder willst du mich etwa tatsächlich bekämpfen?« Statt einer Antwort machte Champsvert einen Ausfallschritt und brachte seine Degenspitze nahe an die Herzgegend des Gegners. Der wich zurück, einen Schritt, noch einen Schritt, immer nicht mehr als eine Fingerbreit von der Degenspitze entfernt. Es wirkte so einfach und spielerisch, dass Bruce nicht klar war, wer von den beiden Kontrahenten tatsächlich die Initiative ergriffen hatte. Die Tatsachen wurden in dem Augenblick klargestellt, indem Champsvert 43
ungeduldig die entscheidenden Zentimeter bis zum blutigen Treffer überbrücken wollte. Er sprang, stand einen Herzschlag lang unsicher, während sich sein Gegner wie eine Feder zurückbog und dann zutrat. Champsvert hatte sich direkt neben einen Pfeiler manövrieren lassen. Er hatte dieses taktische Manko ebensowenig bemerkt, wie er den Tritt erwartet hatte. Der Stiefel seines Gegners fuhr ihm krachend gegen die Hüfte. Champsvert sprang zurück und stieß heftig gegen den Pfeiler. Für nur einen Sekundenbruchteil war er benommen und schwankte. Eine lange Zeit für einen Krieger wie Sarrak, der herumfuhr, die Arme zurückwarf und dann mit der Schwertspitze den Leib des Vampirs durchbohrte. Das Schwert fuhr scheinbar mühelos durch Fleisch und Knochen und bohrte sich Funken sprühend in einen Stahlträger - in einen Stahlträger. Champsvert war festgenagelt. Er brüllte vor Schmerz wie ein Stier, fuchtelte mit den Armen und strampelte wild mit den Beinen. Sarrak blieb völlig unbeeindruckt. Er ließ den Schwertgriff fahren, drehte sich, machte einige zierliche Trippelschritte, als wolle er tanzen, und wandte sich wieder um. Blitzschnell wie eine zustoßende Schlange hatte er das Schwert gepackt, riss es aus dem Stahl, drehte es in der Wunde und sprang zurück, riss die gezackte Klinge aus Champsvert heraus. Kein Mensch hätte eine solche Wunde auch nur einen Wimpernschlag lang überlebt, und selbst Bruce Darkness spürte einen Kloß in der Kehle, als er die klaffenden, blutig roten Fleischfetzen sah, die durch die zerfetzte Kleidung Champsverts leuchteten. Die Sache war entschieden, diese Wunde konnte Champsvert nie mehr schließen, ohne seine gesamte Verteidigung zu vernachlässigen. Bruce Darkness konnte seinen Lieblingsfeind von der Liste streichen. Freu dich, Katrina, du Süße, jetzt bist du wieder meine Nummer eins! Aber welche Täuschung! Vor Schmerz kreischend, rasend und rotäugig vor Wut krümmte sich Champsvert, ohne seine Waffe loszulassen. Er fauchte und richtete sich dann zu ganzer Größe auf. Unter seinem vollen, dunklen Haar leuchteten die Augen rot wie die Schlußlichter eines Zuges in einem sehr dunklen Tunnel. Sarrak schürzte die Lippen. »Respekt. Wenn du nicht so gekreischt hättest, hättest du fast wie ein Mann gewirkt, Langzahn.'« Mehr konnte er nicht sagen, denn der Vampir stürzte sich mit der gesamten Wucht seiner unmenschlichen Wut auf ihn. Wieder nutzte Sarrak den Schwung seines Gegners aus, indem er sich rückwärts abrollte und den anderen mit den Beinen davonschleuderte. Bis sich Champsvert wieder orientiert hatte, konnte Sarrak in aller Ruhe 44
aufstehen. Er verhöhnte seinen Gegner noch dadurch, dass er seine Weste zurecht zupfte und umständlich einen Flusen von einer Stickerei zupfte. Doch nun schien Champsvert langsam die Oberhand zu gewinnen. Sie kämpften verbissen, Stahl schlug krachend auf Stahl, Funken flogen in hohem Bogen durch die dämmrige Halle. Das Klirren der Klingen hallte aus den Ecken und Winkeln wider. Einmal war Champsvert dem Sieg ganz nahe. Sie standen Brust an Brust, die Waffen erhoben und sein Degen glitt langsam am Schwert Sarraks hinunter. Es gab ein lautes, metallisches Geräusch, als der Degen an einer der Zacken in der Schwertschneide entlangfuhr und wie in einer Sperrklinke einrastete. Sarrak konnte die Waffe für einen Moment nicht bewegen, weil Champsvert auf diese geschickte Art eine Blockade gesetzt hatte. Der Vampir senkte den Kopf, entblößte seine Eckzähne und schlug sie in den Hals des Gegners, der genau vor ihm war. Um ehrlich zu sein - genau so hatte sich Champsvert den Ausgang dieser Aktion und damit dieses Kampfes gedacht. Aber Sarrak gab allen Widerstand auf. Der Vampir wurde einmal mehr durch den eigenen Schwung umgerissen, geriet ins Taumeln und stürzte zu Boden. Mit einem Satz war Sarrak über ihm. Der Schwerthieb hätte den Vampir gespalten, aber Champsvert rollte sich zur Seite und so pfiff die Schneide knapp hinter seinem Rücken durch die Luft und zerschmetterte ein Stück des Betonbodens, sodass spitzkantige Splitter umherspritzen. Er kam wieder auf die Beine, lächelte, die hässliche Wunde in seinem Bauch war inzwischen ganz verheilt. Unbeeindruckt griff Sarrak an, drang auf Champsvert ein und trieb ihn durch die Halle. Schließlich blieb der Vampir erschöpft stehen und Sarrak setzte zum Todesstoß an. Doch seine Schwertklinge blieb ohne Opfer, denn Sarrak stoppte völlig verblüfft den Angriff. Champsvert schien seine Farbe zu ändern, schien auszubleichen, heller zu werden, dann schimmerte ein Graffiti auf der Hallenwand durch ihn hindurch, nur noch Konturen waren zu erkennen und dann war der Vampir verschwunden. Sofort zog sich Sarrak in die Mitte der Halle zurück, wo er genügend Raum nach allen Seiten hatte. Er stemmte sein Schwert hoch, fasste es mit beiden Händen und lehnte es zu seiner eigenen Entlastung gegen die linke Schulter. So wartete er regungslos und gelassen auf einen tödlichen Gegner, den er nicht mehr sehen konnte ... Beeindruckend, stellte Bruce Darkness fest. Champsvert war also doch ein 45
Könner. Aber dieser Kerl da - war das überhaupt ein Sterblicher? Aber was sollte die Frage schon, er war auf jeden Fall für den Kampf geschaffen. Er bewegte sich im Getümmel des Verletzens und Tötens mit der Sicherheit und Freude eines Delphins, der durch blaues Wasser gleitet. Was war mit seinem Schwert? Jetzt erst fiel Bruce auf, das die Klinge keine Spuren von Blut zeigte, obwohl sie in den Eingeweiden des Vampirs gewühlt hatte. Sarrak spannte sich. Er lauschte und ging leicht in die Knie. Sein Blick ging nicht in die Richtung des Angriffs, er verließ sich auf sein Gehör, das ihm das Rauschen des aus der Luft angreifenden Vampirs zutrug. Aus dem Nichts erscholl ein wilder Angriffsschrei. In die Knie gehend schwang Sarrak des Schwert. Dort, wo das Ziel des Angreifers gelegen hatte, war kein Gegner außer der rasiermesserscharfen Schwertklinge. Der Kampfschrei des Vampirs wandelte sich in eine gellende Klage. Ein blutender Körper stürzte aus der Luft, aus dem Nichts, auf den Boden und krümmte sich. Sarrak sprang hinzu, schleuderte mit einem Tritt den Degen Champsverts fort und hackte den Vampir in Stücke. Der Kampf war entschieden. Bruce Darkness hatte genug gesehen, mehr als genug. Und es begann schon zu dämmern. Zeit zu verschwinden. So erlebte Bruce nicht mehr das Ende des Vampirs Reynaud de Champsvert, dessen Beine und Arme abgeschlagen waren, der nur als verwundeter, blutiger Rumpf auf dem Betonboden lag und dennoch nicht tot war. Er hatte nicht einmal den Kampf aufgegeben. Er war einer der Mächtigeren seiner uralten Rasse, ausgestattet mit hervorragenden Fähigkeiten, ein potentieller Herrscher und Fürst. So war er auch in der Lage, in die Köpfe der Sterblichen einzudringen und ihre Gedanken zu lesen und zu verändern. Selbst ihre Erinnerung konnte er nach seinem Gutdünken gestalten und damit hatte er das Leben der Sterblichen in seiner Hand. Stöhnend drehte Champsvert den Kopf zur Seite. Der Schmerz brannte, als würde Feuer durch seine Adern fließen. Neben ihm lag das abgetrennte, linke Bein seiner Hose. Das abgetrennte Körperteil war sofort zu Staub zerfallen. Er lag in einer Pfütze aus Blut. Der Gestank war unerträglich. Reynaud de Champsvert mußte sich konzentrieren, dann war alles sehr einfach. Er musste diesem Riesen klar machen, dass sie schon immer Freunde waren, seit ihrer gemeinsamen Jugend. Dann musste er diesen Freund dazu bringen, ihn an einen ruhigen, dunklen Ort zu tragen, wo er sich in einigen Tagen regenerieren würde. Unterdessen würde sein FreundGegner sich an die unglückliche Liebesgeschichte erinnern, die sein gesamtes Leben überschattete und sich daher aus Verzweiflung selbst das Leben nehmen. Ja - so musste es sein! 46
Champsvert musste nur den Eingang finden. Irgendwo war die schwache Stelle, durch die er in das Bewusstsein eines Sterblichen eindringen konnte. Sarrak kam heran und hockte sich neben den Rumpf Champsverts. »Du klopfst an, Langzahn, ich kann es spüren. Aber ich lasse dich nicht ein. Trotzdem - versuche es nur weiter. Einige Minuten hast du noch, dann werden wir gemeinsam den Sonnenaufgang genießen.« So blieben sie, der verstümmelte Rumpf eines Vampirs und ein riesiger Mann, der daneben hockte. Dann stand Sarrak auf und riss mit einer ungeduldigen Kraftanstrengung eines der großen Schiebetore auf. Er beobachtete das Sonnenlicht, das wie eine goldene Flut langsam in die Halle spülte. Champsvert kreischte, zitterte, heulte, fauchte. Dann traf ihn der erste Sonnenstrahl und der Vampir verging in einem Feuerball ... * Der Raum hatte eine Fensterwand, durch die man auf den Central Park schauen konnte. Der Park sah aus wie eine wunderschöne Schmuckeinlage, eine Intarsie im Betongrau der umgebenden Hochhäuser. Die Aussicht war Millionen wert, aber Nikophorus Pfettner achtete nicht darauf. In diesem Moment war er damit beschäftigt, eine Magnumpackung feinster Trüffelpralines aufzureißen. Seine fetten, wurstartigen Finger fuhren in die Packung, griffen sich zwei der süßen Köstlichkeiten und schoben sie in seinen Mund. Er kaute schmatzend, und noch bevor er auch nur einmal schluckte, stopfte er sich bereits Nachschub zwischen die wulstigen Lippen. Im Nu war die große Trüffelpackung geleert, und Pfettner riss die Nächste auf. Er hatte noch immer Schokolade im Mund, da bediente er sich schon aus der zweiten Packung, dann die dritte. Er kaute und mampfte, ohne sich Zeit zum Atmen zu nehmen. Und wenn er doch Luft holen musste, dann war es keuchend und hastig, um ja keine Pause bei dem süßen Genuss einlegen zu müssen. »Warum hast du nicht drei Kilo im Karton bestellt - offene Ware ohne diese lästige Verpackung, Luca?«, fragte der Dicke nach der vierten Packung. »Habe ich, aber das Geschäft konnte nicht sofort diese Mengen liefern.« Pfettner schaute in komischer Verzweiflung zur getäfelten Decke. »Da sind wir schon im Babylon der Moderne, in der Hauptstadt der westlichen Raffgier, Geilheit und Unkultur, und man bekommt nicht mal eine Handvoll Pralinen, ohne Wochen zu warten!« 47
»Morgen kommen fünf Kilo, im Paket - der Geschäftsführer des Ladens wollte nicht verstehen, dass jemand das Zeug ohne irgendwelche Verpackung haben wollte.« Zwischen Pfettners Zähne saßen Reste der eben verschlungenen Süßigkeiten, sein Mund war schmierig und verklebt. Tomasi registrierte es und wunderte sich selbst, dass er keinen Ekel verspürte. Pfettner griff zu seinen Krücken. Er hatte inzwischen ein neues Paar aus bestem Stahl, das durch seine Verzierungen nicht ganz den Charakter einer Krankenhilfe hatte, sondern fast snobistisch wirkte. Schneckengleich und schnaufend begab sich Pfettner in einen Nebenraum. »Lass mich nun bitte allein, Luca.« Die Aufforderung war überflüssig, Tomasi kannte die Stunde und er wusste, was Pfettner nun in den schwarz verhängten Raum trieb. Als sich die Türe hinter Pfettner schloß, trat Tomasi an das Fenster. Tief unten konnte er die Jogger und Inline-Skater als winzige Figuren sehen. Vielleicht, so dachte er, war das nicht nur eine Frage der Entfernung. Vielleicht war es eine Wahrheit. Manche Menschen waren nur Winzlinge und fühlten sich sehr wohl dabei. Und andere schauten von oben auf sie herab und sie erschienen den Winzlingen selbst als Winzlinge. Seufzend machte sich Tomasi daran, die herabgefallenen Pralinenschachteln aufzuheben und in den Mülleimer zu werfen. Wie ging es weiter? Sie waren reich - mehr als reich. Aber Pfettner schien etwas anderes zu wollen, ohne ihm seine Absichten offenzulegen. Misstraute Pfettner ihm plötzlich? Tomasi schloss die Augen, genoß die weiche Umschlingung durch den Sessel und spürte den Luxus um sich herum. Vielleicht war es gar nicht so dumm, dass Pfettner seinem Weggefährten nicht mehr traute? Tomasi merkte, wie sich der Gedanke in seinem Kopf bildete. Er war erstaunt und las ihn voller Überraschung, als hätte er eben den Brief eines Unbekannten erhalten ... * Der Raum, in den sich Pfettner zurückgezogen hatte, war groß wie alle Teile ihres neuen Apartments. Die Wände waren mit schwarzem Samt verhängt, in der Mitte stand ein Gebetspult als einziges Einrichtungsstück. Dahinter an der Wand hing ein Kreuz. Rosa, dass puertoricanische Zimmermädchen, war ganz begeistert davon, dass ihr Dienstherr ein so religiöser und frommer Mann war. Sie hielt ihn für eine Art Priester. Der Dicke schlurfte zu dem Kreuz hin, nahm es ab und hängte es verkehrt 48
herum wieder auf. Wenn Rosa das gesehen hätte, wäre sie vermutlich sofort in Ohnmacht gefallen. Jetzt ließ sich Pfettner schnaufend hinter dem Gebetspult nieder. Das Holz knarrte unter seinem Gewicht. Ein Hustenanfall schüttelte Pfettner. Sein Fett schwabbelte, als er Speichel spie und spuckte, um wieder Luft schnappen zu können. Er faltete die Hände wie zum Gebet, neigte den Kopf und schloss die Augen. Nach einem Moment der Stille kam ein Schwall von Flüchen über seine Lippen, einer lästerlicher, als der andere. Hätte die arme Rosa auch nur den harmlosesten von ihnen gehört, sie wäre wahrscheinlich auf der Stelle tot umgefallen. Da ließ ein Geräusch ihn aufblicken. »Was willst du, Babriel? Ich habe dich nicht gerufen«, sagte er ohne ein Zittern in der Stimme. »Ganz so würde ich das nicht sagen«, entgegnete der elegante Mann, dessen perfekt sitzender weißer Anzug einen scharfen Kontrast zum schwarzen Samt des Hintergrundes bildete. Er war fast zierlich gebaut und hatte ein Gesicht von anrührender Schönheit, zugleich männlich und doch auch von weiblicher Weichheit. Seine Augen waren völlig schwarz, und es entging Pfettner nicht, dass diese Augen wie ein Spiegel waren und dass sie verbargen, was hinter ihnen lag. Er lächelte wie jemand, der endlich die Kakerlake sah, die er gejagt hatte und die er nun zertreten würde. »Ich will es so formulieren«, begann der Gast mit einem gewinnenden Lächeln auf den Lippen, »es ist ja nicht so, als hätte man nicht ein offenes Ohr auf die Gesänge der Welt. Und deine Gesänge scheinen mir anzudeuten, dass sich zwischen uns eine Zusammenarbeit, lohnen könnte. Du weißt, nichts verbindet mehr als ein gemeinsamer Feind.« »Gemeinsamer Feind? Du hast doch seine Stiefel geleckt.« »Lange her, mein Freud, lange her. Außerdem - was tatest du denn lange Jahre, du Leuchte der heiligen Kirche?« »Hat er dich geschickt?« »Er? Der Höllenfürst persönlich? Nein, er lässt uns viel Freiheit, mehr als der Tyrann dort oben, und so bin ich hier, als, sagen wir mal, freier Unternehmer.« »Was willst du?« »Was willst du, Nikophorus Pfettner?« »Ich spiele ein Spiel.« »Mehr nicht?« »Mehr kann ein Mensch nicht tun.« Der Gast lachte. Es war ein höhnisches, meckerndes Lachen mit einem metallischen Nachklang und es leugnete die Harmonie und Schönheit seines 49
äußeren Bildes. »Was ist das für ein Spiel, Nikophorus Pfettner? Wie sind die Regeln?« »Ich kenne sie nicht. Ich mache einen Zug und warte, ob ich gewonnen habe. Und dann mache ich den nächsten Zug.« »Ein gefährliches Spiel.« »Ein lohnendes Spiel.« »Was ist der Gewinn.« »Der Gewinn des Spieles ist zu spielen.« »Nein, Nikophorus Pfettner, diese Lüge ist zu offensichtlich. Vergiss nicht, ich kenne mich auf diesem Gebiet aus.« »Macht«, sagte Pfettner. »Ich wusste es doch.« Der Gast schlug klatschend eine Faust in die offene Handfläche. In diesem Augenblick wirkte er wie ein Motivationstrainer in einem Managerseminar. »Ich wusste, dass wir ins Geschäft kommen.« »Vielleicht.« »Es lohnt sich für uns beide.« »Möglich.« Der Gast trat näher an den knienden Pfettner heran. Nun war erkennbar, dass die Luft um ihn von tanzenden Schlieren durchzogen war, als würde er Hitze oder vielleicht Kälte ausströmen. »Du weißt, Nikophorus Pfettner, dass wir es nicht mögen, wenn man uns betrügt. Jede Pein der Hölle wäre die Strafe für den Versuch.« Pfettner hob den Kopf und schaute furchtlos und ungerührt in die düsteren schwarzen Spiegelaugen seines Gegenübers. Ein Lachen erschütterte seinen massigen Körper. »Glaubt ihr überheblichen Kreaturen etwa, es gäbe irgendein Leid der Hölle, das ich nicht schon in diesem Leben erfahren hätte?« * Bruce stieg aus der Kabine des Expressaufzugs. Hier oben im Empire State Building, 85 Stockwerke über der Straße, kam er so langsam ins Grübeln. Nicht über die Zukunft, mit der konnte er sich später noch befassen. Auch nicht über diesen Sarrak-Typen. Eine Auseinandersetzung mit dem Krieger mit dem riesigen Hackmesser stand schon fest in seinem Terminplan unter »irgendwann demnächst«, und damit gehörte er eindeutig zur Zukunft. Reynaud de Champsvert interessierte ihn viel mehr. Der Südstaatenschönling gehörte inzwischen eindeutig zur Vergangenheit. Er war Geschichte. 50
Bruce musste bei diesem Wortspiel grinsen. Aber dazu musste er den Baron wohl trotzdem mal interviewen. Er klopfte an Kradocs Bürotür und trat ein, ohne eine Antwort abzuwarten. Der Baron wusste bestimmt sowieso schon längst, dass sein Vize da war. So war es auch. Bruces Boss saß hinter seinem antiken Schreibtisch und blickte Bruce entgegen. »Ja, Bruce?«, sagte er. »Was hast du zu berichten?« »Ihr Freund Champsvert ist tot.« Der Baron sah in schweigend an. Bruce hatte das Gefühl noch etwas sagen zu müssen. »Äh, er hat tapfer gegen einen gewissen Sarrak gekämpft und verloren. Na ja, den Schluss habe ich mir nicht mehr angesehen, weil die Sonne aufging und ...« Bruce brach ab. Das Gesicht von Boris Baron von Kradoc war noch immer völlig unbewegt. Aber die Augen ... Wenn Bruce nicht alles täuschte, dann lachte der Baron sich innerlich gerade kaputt. »Er war gar nicht ihr Freund, oder?«, sagte er deshalb. »Nein, Bruce, Reynaud de Champsvert war ganz bestimmt nicht mein Freund. Eher im Gegenteil ... Er war so etwas wie ein Konkurrent.« Der jüngere Vampir zuckte mit den Schultern. »Wenn er so scharf auf Harlem war, um dort aufs Neue irgendwelche Farbigen auszupressen, dann hätte ich ihn doch auch einfach umhauen können. Oder Sie hätten ihn dort einsetzen können. Ganz nach Wunsch.« »Es ging um mehr. Viel mehr!« Er blickte Bruce mit einem Gesichtsausdruck an, der fast ein Lächeln sein könnte. »Es ging ihm um ganz New York.« »Was?« Bruce verstand das Problem nicht. »Dann hätte man ihn erst recht umhauen sollen. Wenn ich fünf Minuten mit diesem Schnösel gehabt hätte, dann wäre er ganz schnell abgezogen.« So langsam redete er sich in Fahrt. »Ich meine, haben sie ihn gehen sehen. Da schrie doch alles: >Bitte tu mir nichts! Ich bin so weich und zart!<« Der Baron hob leicht eine Hand an und brachte Bruce damit zum verstummen. »Zum einen«, sagte er dann, »denke ich, dass du ihn unterschätzt. Aber du hast ihn ja selbst kämpfen gesehen, und wirst das beurteilen können.« Bruce dachte an den Kampf zwischen Sarrak und Champsvert zurück. Zugegeben, dachte er, er hatte schon ein paar coole Tricks drauf. Dann schüttelte er unbewusst den Kopf. Er hätte diesen Südstaatenschönling trotzdem geplättet. 51
»Zum anderen«, fuhr der Baron fort, »hatte er mächtige Freunde. Ich weiß, das klingt jetzt nach diesem Fernsehfilm über die Mafia, von dem du immer schwärmst, wenn ich dich nach Little Italy schicke ...« »Der Pate«, warf Bruce ein. »Wie auch immer. Champsvert war ein Günstling von Rutger Thorn, dem Herrscher von Atlanta - unter anderem. Ich konnte ihn nicht einfach so beseitigen lassen, ohne mir einige neue Feinde zu schaffen. Und wenn sie die Beseitigung Champsverts durch mich nur als Vorwand genutzt hätten, um mich in meinen Plänen zu behindern. New York ist mächtig, aber es steht nicht allein da in der Welt. Und ich kann wirklich darauf verzichten, dass Marcus von Thule auch noch Unterstützung erhält.« Bruce dachte nach. Klang ja ganz sinnig, dass der Herrscher von Philadelphia nicht auch noch Hilfe bei seinen ständigen Attacken auf New York bekommen sollte. »Deshalb haben Sie dafür gesorgt, dass sich dieser Südstaatenschönling mit dem Krieger anlegt. Gestorben in Ausübung seiner Pflicht, oder sowas.« »Oder so etwas. Es kommt darauf an, dass die offizielle Version mich unangreifbar macht. Ich wasche meine Hände in Unschuld, wie man sagt. Und das Beste ist, das ich sie notfalls beweisen kann.« »Wie das? Da war keiner außer mir.« »Man könnte deine Gedanken lesen«, beschied der Baron seinem Untergebenen. Bruce verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. Das war doch hoffentlich ein Witz. Dummerweise hat Kradoc überhaupt keinen Sinn für Humor, dachte er. Abschließend berichtete Bruce noch kurz über die enge »Zusammenarbeit« zwischen Katrina und Champsvert, was der Baron aber nur schweigend zur Kenntnis nahm. Dann war Bruce entlassen. »Oh, Mann!«, sagte er, als er die Bürotür hinter sich geschlossen hatte. »Ich hasse Politik! Es könnte alles so einfach ohne sie sein.« »Darum wirst du es auch nie zu etwas bringen.« Bruce sackte innerlich in sich zusammen. Dass Katrina ausgerechnet jetzt auftauchen musste. Seufzend hob er den Kopf und blickte sie an. Sie trug ein atemberaubendes, tief ausgeschnittenes Kleid aus schwarzer Seide. Ihre ebenfalls schwarzen Haare hatte sie hochgesteckt. Sie war - wie immer - ein grandioser Anblick. »Katrina!«, sagte Bruce. »Wir haben gerade von dir geredet. Es freut mich, dir mitteilen zu können, dass du gefeuert bist. Fristlos.« Katrina Stein streckte die perfekt manikürte Hand aus, um ihm die Wange zu tätscheln. Dass er ihr auswich und zurückzuckte, ließ ihn wirken wie 52
einen kleinen Jungen, der nicht von seiner Tante gestreichelt werden möchte. »Aber nein, Dummerchen«, entgegnete sie. »Das heißt befördert. Warst du endlich schlau genug, nach Alaska auszuwandern. Soll ich deinen Flug buchen?« Sie wollte sich abwenden. »Und jetzt entschuldige mich bitte.« »Champsvert ist tot!«, berichtete er ihr mit einem Hauch von Häme. »Oh, gut«, kam die Antwort. »Ein Problem weniger.« Dann drehte sie sich um, öffnete die Tür zum Büro des Barons und verschwand dahinter. Bruce starrte für einen Moment auf die geschlossene Tür. Eisbiest, dachte er. Sie ist bei der Nachricht vom Tod ihres Lovers nicht einmal zusammengezuckt. Er schüttelte sich. Schaurig. Wenn man mit dem Expressaufzug in das Erdgeschoss des Empire State Building hinunterrauscht, hat man nicht viel Zeit zum Nachdenken. Wie gut, dass sich manche Probleme von selbst erledigten. Andere blieben. Katrina zum Beispiel. Aber daran wollte er jetzt nicht denken. Da war ihm der Mann mit dem Schwert schon lieber. Bruce Darkness freute sich auf die Konfrontation. Dieser Sarrak war echt gut. Er hatte beschlossen, diesmal nicht blind loszustürmen. Das war in letzter Zeit zu häufig daneben gegangen. Darum hatte er sich eine jener Stadtkarten besorgt, in denen die Reviere der einzelnen Gangs eingezeichnet waren, und hatte sich überlegt, wie er am besten vorgehen sollte. Danach rollte seine Harley durch die düstere Straße, an der das Quartier der Terrorists lag. Es handelte sich um eine schmutzige, einige Meter vom Straßenrand abgesetzte Halle. Zwei Schiebetore gewährten Einblick in die Werkstatt. Obwohl ein Schild ziemlich protzig behauptete, es handele sich um eine Reparaturstätte für Automobile, war nichts zu erkennen, was auf derartige Aktivitäten hindeutete. Ein schwerer Doppel-T-Träger, der an zwei Ketten pendelnd aufgehängt war, fiel Bruce ins Auge, als er langsam vorbeirollte. Mehrere Autos und Motorräder parkten auf der Fläche vor der Halle. Musik dröhnte aus scheppernden Lautsprechern, die Halle und der Vorplatz waren grell beleuchtet. Es lag eine hektische Stimmung in der Luft, wie ein Militärlager kurz bevor der Feind kommt. Und sie passten auf. Als Bruce das dritte Mal vorbeirollte, konnte er im Rückspiegel sehen, wie zwei Kerle auf die Straße liefen und tuschelnd hinter ihm herschauten. Aber das war egal. Bruce hatte gesehen, was er sehen wollte. Sein Plan 53
stand fest. Jetzt musste er nur noch ein bereits bestelltes Päckchen abholen, und es konnte losgehen... Mit Vollgas knüppelte die Harley um die Ecke. Das Motorengeräusch brüllte in der engen Straße, rollte durch sie hindurch wie eine Flutwelle und riss die Terrorists aus ihrer nervösen Ruhe. Sie fuhren auf, griffen sich ihre Waffen und registrierten dann erst die Maschine, die laut und dröhnend auf ihren Vorhof donnerte. Dann entspannten sie sich wieder, als sie bemerkten, dass es kein Angriff war, sondern nur ein einzelner Mann, der ihnen ja kaum gefährlich werden konnte. Ray, der Anführer der Terrorists, trat auf den Kerl, ein Rocker ganz in Schwarz, zu. »Hey, was willst du? Verpiss dich!« Der Fremde lächelte. »Hallo, ich bin Bruce. Ich bin hier, um euch zu sagen, dass ihr verschwinden sollt. Ich werd mich hier breit machen.« »Sag mal, spinnst du?« Ray umklammerte die Pistole in seiner Rechten fester und hob sie an. Bruce zuckte mit den Schultern. Er hatte es immerhin versucht. Ohne weitere Verzögerung zuckte seine Faust vor, krachte gegen die Brust seines Gegenübers. Mit einem hässlichen Geräusch brachen die Rippen und noch bevor der Anführer der Terrorists seine Waffe ganz auf seinen Gegner richten konnte, wurde er bewusstlos mehrere Meter zurückgeschleudert. Der Vampir wirbelte sofort herum und stürzte sich auf sein nächstes Opfer, brach ihm wie beiläufig das Genick. Dem Dritten zertrümmerte er mit einem Tritt das Schienbein, sodass dieser zusammenbrach und sich laut schreiend vor Schmerz am Boden wand. Erst jetzt lösten sich die übrigen Terrorists aus ihrer Erstarrung, hoben ihre Waffen und stürzten sich auf den Feind. »Macht ihn fertig!«, riefen sie. »Bringt ihn um!« Mehrere Kerle mit Eisenrohren drangen laut rufend auf Bruce ein und ließen ihre improvisierten Keulen auf ihn niedergehen. Einem Hieb konnte der Vampir aus weichen, einen anderen fing er ab und entriss dem Schläger einfach seine Waffe. Doch dann trafen ihn zwei Eisenrohre von hinten. Der Schlag auf den Rücken war nicht weiter schlimm, aber als Bruce in die Kniekehle getroffen wurde, knickte er ein. Noch bevor er auf dem Boden aufkam, warf er sich herum und trat und schlug wild um sich. Es waren zwar keine gezielten Schläge, aber sie reichten aus, um die Kerle um ihn herum von den Füßen zu fegen. Noch bevor sie sich wieder aufgerappelt hatten, stand er bereits auf den 54
Beinen. Als die Terrorists erkannten, mit wem sie es zu tun hatten, war es für sie zu spät. Oder es wäre für sie zu spät gewesen, wenn Bruce daran gelegen hätte, sie zu verfolgen. So aber ließ er sie entkommen, als sie in Panik flohen. Er wollte nur ihr Hauptquartier übernehmen und hier auf Sarrak warten. Die Terrorists waren die einzige nennenswerte Gang gewesen, die noch existierte. Bruce Darkness setzte sich auf den träge schaukelnden T-Träger und lächelte. Noch eine kleine Vorbereitung und der Kerl mit seinem riesen Hackmesser konnte kommen … * »Bereit?« »Alle fertig und bereit!« Sarrak musterte aufmerksam die Gesichter der jungen Männer, die vor ihm standen. Ja, sie waren bereit. Sie trugen ihre schwere Lederkleidung, die ihnen Schutz gab, sie hatten ihre Waffen dabei. Und sie trugen die Lust auf den Kampf im Herzen. Jeder von ihnen hatte Blut an den Händen, jeder hatte im Nahkampf gesehen, wie das Auge des Gegners in der Sekunde des Todes glasig wird. Und sie alle hatten es geliebt. »Sehr gut«, knurrte Sarrak. »Aufsitzen! Double U, du kommst noch mal mit mir!« Der füllige Farbige war eine Art von Unterführer geworden, daher verwunderte es niemanden, dass er zur Planbesprechung noch einmal zurückgerufen wurde. »Setz dich«, sagte Sarrak. Double U ließ sich auf einen Stuhl fallen und schaute vor sich hin. Deutlich spürte die Aura ihres Führers, diese Mischung aus Kampfeslust, selbstmörderischem Mut und gnadenloser Entschlossenheit. Bisher hatte sie für ihn so etwas wie eine Batterie bedeutet, an der er sich aufladen konnte. Und sie war ein Vorbild gewesen. Jetzt aber empfand er sie als bedrohlich, als etwas, das ihn bedrängte, ihn umklammerte wie ein Raubtier seine Beute. Er spürte die Blicke Sarraks, die ihn langsam abtasteten wie suchende Hände. »Ich habe gehört, du bist gestern bei einem Priester gewesen. Stimmt das?« Double U nickte stumm und mit gesenktem Kopf. »Weswegen?« »Ich habe gebeichtet.« 55
»Gebeichtet?« Sarrak stieß ein freudloses Lachen aus. »Du hast gebeichtet! Deine Sünden auf Gott abladen, was? Ich höre es nicht gerne. Ein Krieger sollte keinen Gott neben sich haben. Er braucht nur eines - die große Leere unter sich, in die er fällt, wenn er unaufmerksam, langsam, schwach, gefühlsduselig wird. So einen Mann kann ich nicht brauchen. Komm ...« Sarrak stand auf und ging zu einer Tür, die in einen Verschlag führte, in dem sich Bierdosen stapelten. Er deutete Double U mit einer Kopfbewegung an hineinzugehen. Dann schloss er die Tür ab. »Wenn wir zurück sind, werden wir über dich richten. Bis dahin bist du ja versorgt!« Double U lauschte, konnte aber die leisen Schritte Sarraks nicht vernehmen. Erst als die Motoren angelassen wurden, war er sicher, alleine zu sein. Er tastete im Dunkeln nach einem Sitzplatz. Die Tür prüfte er aus reiner Langeweile. Sie war aus Eisen und verschlossen - was sonst? Double U starrte in die Dunkelheit. Das war nicht gut. Es war fast, als würde man abends die Augen schließen und auch dann kamen die Bilder, die ihn belauerten, ihn quälten und ihn zu einer Entscheidung drängten ... * Sie machten es auf die übliche Art... Plötzlich krachte das Heck eines Lieferwagens gegen das Schiebetor, warf es aus seiner unteren Gleitschiene und ließ es einen Spalt aufspringen. Von draußen ertönte das Aufheulen des Motors, als der Wagen noch einmal Schwung nahm, krachend gegen das Tor fuhr und es diesmal völlig aus der Verankerung riss. Mit lautem Scheppern fiel das schwere Tor in die Halle. Dann sprangen sie aus dem Lieferwagen und verteilten sich. Aber da war niemand. Mit hängenden Armen, ihre Knüppel, Messer und Pistolen zu Boden gerichtet, standen sie herum und wirkten wie eine Gruppe Schuljungen, denen man eine Freistunde gestrichen hat. Sarrak erschien. Er schaute sich um, blickte aufmerksam witternd in die Runde. »Verschwindet und wartet in der Nähe«, knurrte er dann. »Ich werde die Sache allein erledigen.« Die Mitglieder der Schwertbruderschaft zogen sich zurück. Als sie alle das ehemalige Hauptquartier der Terrorists verlassen hatten, ging Sarrak ruhig zu dem zerstörten Tor, hob es auf und setzte es wieder an seinen Platz. Die Anstrengung ließ ihn nicht mal schneller atmen. 56
»Angst vor Schnupfen wegen Durchzug?«, ertönte da eine herausfordernd klingende Stimme. »Keine Lust auf Zuschauer«, antwortete Sarrak. »Du bist der Junge, der zugesehen hat, wie ich diesen schwächlichen, fliegenden Vampir vernichtet habe.« Bruce grinste, ein Katana locker in der Hand haltend. »Na, also Junge finde ich nicht ... « Er griff an. Sarrak hatte sich nicht überraschen lassen. Locker wehrte er den wilden Angriff des Vampirs ab und schlug seinem Gegner mit der flachen Klinge ins Gesicht. Bruce Darkness wurde wie ein Ball durch die Luft gewirbelt und schlug mit dem Kopf zuerst auf. Sterne tanzten vor seinen Augen. Sein Schwert rutschte scheppernd über den Boden davon. Schnell versuchte er, wieder aufzustehen. Aber Sarrak war schon da und trat ihm den Arm, mit dem er sich aufstützte, unter dem Körper weg. Wieder krachte Bruce mit dem Gesicht auf den Boden. Der Riese verzog höhnisch den Mundwinkel und riss seine Klinge hoch, um den Vampir in zwei Teile zu spalten. »Das war ja fast zu einfach!« Das Schwert fuhr hinab. Bruce griff zu, bekam ein Bein Sarraks zu packen und riss den Gegner von den Füßen, bevor die Klinge Bruce erreichte. Der Riese war überrascht, fiel trotz all seiner Geschicklichkeit schwer auf den Rücken und musste mit einer Benommenheit fertig werden, die ihn kurzzeitig lähmte. Die Zeit nutzte Bruce, um aufzuspringen und sich sein Schwert zu greifen. Sarrak kam ebenfalls wieder auf die Beine und stürmte auf ihn zu. Funken schlagend trafen ihre Klingen aufeinander. Bruces Samuraischwert zuckte vor. Er war kein gelernter Fechter, aber er war stärker und schneller als jeder Mensch, ja sogar als die meisten Vampire. Doch Sarrak war kein Mensch ... Es schien mehr, als sei er der Gestalt gewordene Kampf. Er ahnte jeden Hieb des Vampirs voraus, parierte ihn und konterte. Bruces blitzende Klinge schien überall zu sein, sie war beinahe schneller, als das Auge folgen konnte. Mit seinem wütenden Angriff trieb er den Krieger vor sich her. Der wehrte die wilden Hiebe des Vampirs ab und wich zurück, versuchte nur selten einen eigenen Angriff. Dann verlor Bruces Attacke an Schwung, und nun war es an Sarrak, seinen Gegner vor sich herzutreiben. Nur mit Mühe und mit viel Glück gelang es dem Vampir, die schnellen Vorstöße und wuchtigen Hiebe 57
abzuwehren. Sarrak fintete nach rechts und ließ seine Klinge dann links vorsausen. Bruce steppte zur Seite, ließ sein eigenes Schwert vorschnellen. Das Schwert des Kriegers bohrte sich in die Seite des Vampirs, während dieser seinem Gegner nur einen tiefen Schnitt am Oberschenkel beibringen konnte. Die Kontrahenten trennten sich. Bruce lächelte, während sich seine Wunde schloss, denn das Blut strömte weiter von Sarraks Oberschenkel. Diese Taktik funktionierte immer bei Menschen. Sie konnten nicht verstehen, dass ihr Gegner bereit war, eine schwere Verletzung hinzunehmen, nur um sie nur leicht zu verwunden. So war es lediglich eine Frage der Zeit, bis er gewann. »Hey!«, rief der Vampir mit seinem Schwert deutend. »Du blutest!« Sarrak machte ein verwirrtes Gesicht und sah an sich hinunter, betrachtete den hervorquellenden Blutstrom. »Oh, du hast recht«, antwortete er. Dann blickte er Bruce ruhig in die Augen. »Nein, doch nicht!« Von einem Moment zum anderen versiegte der pulsierende Blutstrom. Bruce machte große Augen. Ich hoffe, dachte er, Plan B funktioniert besser als Plan A! Wieder drang er mit ungebrochener Wildheit auf Sarrak ein. Erst schien es, als wäre er dem Krieger überlegen. Wieder trieb er Sarrak vor sich her - doch er konnte keinen weiteren Treffer anbringen. Schließlich schien der fremde Krieger genug zu haben. Er grunzte unwillig, und mit einem wuchtigen Hieb bremste er den Ansturm des Vampirs, drängte ihn nun seinerseits zurück. Bruce musste zu seiner Verblüffung einsehen, dass der fremde Krieger besser war als er. Es war nicht die Kraft, die Erfahrung oder die Schnelligkeit. Es war etwas anderes. Vielleicht lag es daran, dass Sarrak den Kampf um des Kampfes willen liebte - und dass Bruce eigentlich nur seinen Spaß dabei haben wollte. Der Vampir verlegte sich darauf, dem Gegner auszuweichen oder ihn allenfalls durch einige Ausfälle auf Abstand zu halten. So schnell war die Klinge Sarraks, dass Bruce den Schmerz erst spürte, wenn der Hieb schon in den Nächsten übergegangen war. Die scharfe Klinge ritzte seine Seite und schlitzte im nächsten Augenblick seinen Oberschenkel auf. Der Vampir hinkte zurück, bis er an einer Wand lehnte. »Was ist? Kein lockerer Spruch?« Sarrak war seinem Gegner nicht gefolgt. »Die Zuhörerschaft ist mir zu blöd.« »Nun denn, wenn es mir zu langweilig wird, mache ich der Sache ein 58
Ende.« Mit diesen Worten sprang Sarrak vor und rammte dem Vampir die Klinge mitten in den Leib. Bruce hatte keine Chance, die Klinge noch abzuwehren. Er hörte, wie das Metall sich hinter ihm knirschend in den Beton bohrte. Vor sich erkannte er hinter roten Nebelschleiern das Gesicht Sarraks. Dann riss der Krieger seine Klinge zurück. Die bösartigen Sägezähne rissen die Wunde noch weiter auf. Bruce stöhnte, ließ sein Samuraischwert fallen und sackte zu Boden. Er presste beide Hände auf die schon wieder verheilende Verletzung. Breitbeinig stellte sich Sarrak über ihn und berührte, wie zur Probe, mit der Klinge den Hals des Vampirs. Dann hob er das Schwert ... Hinter ihm gab es einen gedämpften Knall und eine Kette klimperte. Sarrak wirbelte herum. Aus weit aufgerissenen Augen sah er einen Doppel-T-Träger, der wie eine Ramme von der Decke auf ihn zustürzte. Trotz seiner Überraschung wäre es ihm ein Leichtes gewesen, noch auszuweichen. Doch in diesem Moment warf sich Bruce Darkness nach vorn und umklammerte die Knie seines Gegners, hielt ihn fest. Sarraks Beine knickten ein. Kniend sah er den Doppel-T-Träger auf sich zukommen, und überrascht durch den Angriff eines Gegners, den er schon für besiegt gehalten hatte, verharrte der Krieger für einen Sekundenbruchteil auf der Stelle. Einen Sekundenbruchteil zu viel ... Der Stahl traf Sarrak voll und , sauste über den hinter ihm kauernden Vampir hinweg, um dann gegen die Wand zu krachen. Bruce blickte erst auf, als der kopflose Rumpf des Kriegers zur Seite kippte. Schwankend kam er auf die Beine und hob sein Katana auf. Sarraks Schwert lag auf dem Boden, blank als wäre es eben poliert worden. Na, das ist mal ein cooles Andenken, dachte Bruce lächelnd und ging darauf zu. Da blitzte das Schwert kurz auf. Der Vampir stutzte. Trat einen Schritt zurück und wieder vor. Kein Blitzen. Er hatte sich also nicht getäuscht, es war kein einfacher Lichtreflex gewesen. »Schade!«, murmelte er und wandte sich ab. Man musste es ja nicht drauf ankommen lassen. Bruce kümmerte sich nicht weiter um die Waffe. Der Tag war nahe. Er war sehr stolz auf sich. Den T-Träger an die Decke zu ketten und mit einer Sprengladung zu versehen ... Das war doch genial. Außerdem hatte er es geschafft, Sarrak an die richtige Stelle zu locken und dann den Funkauslöser zu drücken. 59
Bruce, sagte er sich, du bist einfach super! * Double U fuhr auf. Er musste eingenickt sein, jedenfalls tanzten in seiner Erinnerung noch unscharfe Schatten der Träume, die er gehabt hatte. Als er seinen Blick von den inneren Bildern nach außen richtete, bemerkte er die Dunkelheit um sich herum, den seltsamen Geruch in der kleinen Kammer und das Rascheln in seiner Nähe. Ratten! Ein instinktiver Ekel trieb ihn hoch, ließ ihn um sich schlagen und stolpern. Er verlor völlig den Halt, fiel mit einem Schreckensruf in die Finsternis, prallte gegen ein Hindernis und drückte die Tür auf. Das graue Morgenlicht brannte wie Salz unter den Lidern. Double U kniff die Augen zusammen und vergewisserte sich, dass da tatsächlich ein Spalt zwischen Tür und Rahmen war. Er war sicher, dass diese Tür in der letzten Nacht verschlossen gewesen war. Vorsichtig trat er hinaus. Die Drohung Sarraks, die er bisher erfolgreich verdrängt hatte, wurde ihm wieder bewusst. Nein, er wollte sich nicht von Sarrak richten lassen. Hier in der Stadt würde er nie sicher sein vor dem Schwert schwingenden Krieger. Also musste er sich auf den Weg machen. Vielleicht in den Süden oder nach Alaska, es kam nicht darauf an. Seltsam war es schon, dass keiner von den anderen zu sehen war. Double U schnüffelte herum, schaute in Kühlschränke und prüfte die Menge an Bierdosen und genutzten Tellern. Er konnte es nicht glauben, obwohl sich die Ahnung immer mehr zur Gewissheit verfestigte. Sie waren von ihrem Zug gar nicht zurückgekommen! Und das wiederum konnte auch nur eines bedeuten! Das war seine Chance! Ein Griff in die Kasse und dann ab durch die Mitte! Double U kannte die Kombination des Tresors, der in einem Raum stand, den sie wegen diverser Telefone und Faxgeräte, die fast nie benutzt wurden, etwas hochtrabend als Kommandozentrum bezeichneten. Als er in dem Raum stand, ja, noch als er die gebündelten Tausender vor sich sah, glaubte er seine eigene Lüge von dem Weglaufen. Dann warf er die Tresortür zu und machte sich auf den Weg. Er wusste, wo die anderen waren und genau dort musste er hin. Als Double U den blitzenden Chevy vor der sogenannten Autowerkstatt und tatsächlichem Hauptquartier der Terrorists anhielt, war ihm sofort klar, dass etwas nicht stimmen konnte. Über der Straße lag eine gespenstische Ruhe. Noch einmal stellte sich Double U die Frage, warum er nicht der Gnade 60
des vollen Tanks Rechnung trug und einfach abhaute. Er tat es nicht, sondern er stieg aus und ging mit bleischweren Schritten und hängenden Armen auf die Werkstatt zu. Durch einen Spalt zwischen Pfosten und Schiebetor drückte er sich in das Innere der Halle. Da standen sie. Double U erschrak, als er sie sah. Sie reagierten nicht einmal auf sein Erscheinen. Er brüllte einen seiner Kameraden an, schüttelte ihn und weckte ihn erst durch eine Ohrfeige aus seiner Lethargie. »Wo ist Sarrak?«, schrie er. Ein müder Fingerzeig auf den Boden. Double U legte die Hand vor die Augen und drückte und rieb. Dort lag ein riesiger kopfloser Körper, Sarraks Körper. »Was ist passiert?«, verlangte Double U zu wissen. Keine Reaktion. Es war, als stünden dort Schaufensterpuppen. Der Gedanke erfüllte ihn mit Wut. Er schaute sich nach etwas um, dass er den anderen um die Ohren hauen konnte, um sie aus ihrer Lethargie zu schrecken. Ein Glitzern weckte seine Aufmerksamkeit. Als er näher kam, erkannte er das Schwert. Der Griff des Schwertes war kühl und als er es schwang und pfeifend durch die Luft fahren ließ, war es erstaunlich leicht, als hielte er bloß einen Weidenzweig in der Hand. Nachdem er das Schwert an einen Pfeiler gelehnt hatte, wandte sich Double U zum Gehen. Es war aus. Doch dann zögerte er. »Hört mir zu«, Double Us Stimme klang zuerst brüchig, dann wurde sie immer klarer und deutlicher. Wenigstens schauten sie jetzt auf und als er sie heranwinkte, kamen sie näher und scharten sich um ihn. »Der Boss ist tot. Das ist die eine Seite. Aber es gibt noch eine andere Seite. Wir leben noch. Wir haben das Geld, wir haben das Material. Warum ich das sage? Wundert ihr euch? Ich will euch sagen warum. Gestern nahm mich der Boss beiseite. Er war besorgt. Er ahnte seinen Tod. Er ahnte, dass es viele von uns erwischen würde. Aber er wollte nicht, dass ich in Gefahr gerate. Bisher war ich doch bei jedem Überfall dabei. Warum also nicht bei diesem? Weil der Boss mich nicht gefährden wollte. Wenn es mich erwischt, dann bist du der neue Führer, sagte er gestern zu mir. Du hältst die Jungs zusammen, dir werden sie gehorchen, du wirst dafür sorgen, dass es keine Streitigkeiten gibt. So sprach er gestern zu mir und ich musste es ihm schwören, dass ich den Job machen würde. Und genau darum bin ich hier. Ich bin euer neuer Boss. Hört ihr. Was habe ich gesagt?« »Du bist der Boss«, kam es zurück. Es klang verwundert und etwas 61
schleppend, so ähnlich wie ein Schulgebet am ersten Tag nach den Ferien, aber jeder spürte, wie die alte Lebendigkeit langsam zurückkehrte. Jeder hatte die ungeheure Ausstrahlung Sarraks gespürt. Dann war sie verschwunden und sie fühlten sich wie Zombies. Nun aber kam es zurück dieses Knistern, dieses Vibrieren, dieses Gefühl der Unbesiegbarkeit. »Männer«, schrie Double U, »wir haben einen Kampf verloren, aber wir werden den Krieg gewinnen. Ich sage euch, was wir wollen. Macht, dann noch mehr Macht und dann alle Macht. Hier ...« Mit einer gekonnt theatralischen Geste griff sich Double U das Schwert, als hätte er es eben aus einem Felsen gezogen. Seine verschwitzten Hände umklammerten den Griff. War es Einbildung oder konnte er tatsächlich einen Strom von urgewaltiger Kraft spüren, der aus der Waffe in ihn überging? Und spürten es nicht auch die anderen? Sie kamen jetzt näher, drängten sich um ihn, einen neuen Glanz in den Augen. »Hier ist das Schwert. Sarrak hat es uns gelassen, als Waffe und als Symbol. Die Bruderschaft des Schwertes lebt. Sie ist lebendiger denn je. Wir werden neue Leute rekrutieren. Wir werden Revier um Revier übernehmen. Wir werden den Dealern sagen, wer der Chef ist. Wir werden den Luden sagen, wer der Chef ist. Wir werden der verdammten Mafia, zeigen, wer Herr in der Stadt ist. Und wir werden uns einem neuen Feind zuwenden. Sarrak hat uns von ihnen berichtet, uns vor ihnen gewarnt. Und er hat nicht gelogen. Seht selbst!« Er deutete auf den kopflosen Körper ihres ehemaligen Anführers. »Kein Mensch konnte Sarrak besiegen. Ein Mensch nicht - aber diese Ausgeburten der Hölle. Warum haben sie ihn getötet? Weil er ihre Macht angriff! Aber sie sollen sich getäuscht haben. Wir haben unseren wahren Feind erkannt. Diese Höllenwesen sollen in uns ihren ärgsten Gegner haben. Wir werden nicht ruhen und nicht rasten, bis die Herrschaft der Blutsauger vernichtet ist und wir unseren Fuß in ihren Nacken gesetzt haben. Das ist die Wahrheit und ich sage euch, so wird es sein, so sicher wie ich euer neuer Führer bin und Gerald Uncle heiße.« * »Also ist er erledigt«, schloss Bruce seinen Bericht ab. Er saß im Büro seines Chefs zusammen mit dem Baron und Katrina Stein am Besprechungstisch. »Freut mich zu hören«, erwiderte der Baron knapp. Dann wandte er sich an Katrina. Seine Stimme änderte ihren Klang. »Weniger erfreut bin ich zu hören, dass du dich wesentlich öfter als notwendig mit dem so plötzlich verschiedenen Reynaud de Champsvert getroffen hast. Ich gehe davon aus, 62
dass es um künstlerische Dinge ging und keine Fragen berührt wurden, die deine Loyalität in Zweifel stellen. Das darf ich doch voraussetzen?« Bruce Darkness hatte seinen Sitz etwas zurückgeschoben, daher konnte er ungehindert Katrinas perfektes Profil betrachten. Fast überkam ihn so etwas wie Mitgefühl mit ihr, angesichts der fein formulierten, aber dennoch knüppelharten Attacke des Barons. Doch sie verzog keine Miene. »Selbstverständlich, Herr.« »Wir werden bei Gelegenheit darüber reden«, sagte der Baron. »Du kannst jetzt gehen.« Katrina verließ betont ruhig den Raum. Sie hatte sich hervorragend unter Kontrolle. Etwas später, als auch Bruce den Raum verlassen hatte, blickte Boris Baron von Kradoc aus dem 85. Stockwerk des Empire State Building nieder auf seine Stadt. Bruce hatte sich bewährt, wieder einmal, und eine Bedrohung für seine Kradocs - Herrschaft beseitigt. Doch der Baron hatte ein ungutes Gefühl. Es war mehr als ein Gefühl, es war Gewissheit. Diese Angelegenheit war noch nicht zu Ende ... ENDE
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Sarrak, der Krieger aus der Hölle, ist tot. Doch die von ihm gegründete Bruderschaft des Schwertes lebt weiter. Und beseelt von seinem Geist beginnen die Schwertbrüder mit der Jagd auf Vampire.
Die Bruderschaft des Schwertes Sarrak, der Krieger aus der Hölle, hatte sie gegründet. Er hatte die Gangs Manhattans ausradiert und nur die Besten unter sich vereint. Sie waren bereit gewesen, die Herrschaft über die Stadt anzutreten. Aber dann war Sarrak gestorben, ermordet worden von einem Vampir. Doch sie würden ihn rächen. Sie würden alle Blutsauger der Stadt vernichten. Sie waren nur Sterbliche, doch sie konnten es schaffen. Denn sie waren Sarraks Erben. Sie waren die Bruderschaft des Schwertes Lies diesen spannenden Roman über die Erben des Höllenkriegers.
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