Sich in einen Fernsehstar wie Simon zu verlieben, findet die selbstbewußte Laurie albern – bis er zu ihrer Party kommt...
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Sich in einen Fernsehstar wie Simon zu verlieben, findet die selbstbewußte Laurie albern – bis er zu ihrer Party kommt...
Originalausgabe „First Impression“ 1985 by CORA Verlag
Band 52 (112) 1985
Scanned & corrected by SPACY Diese digitale Version ist FREEWARE und nicht für den Verkauf bestimmt
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Harriette S. Abels
Du bist der Star meiner Party Als Laurie für die Schülerzeitung den ehemaligen Kinderstar Simon Simpson interviewen soll, geht sie davon aus, daß Simon ein unerträglicher Angeber ist. Doch ihr Vorsatz, ein paar entsprechend bissige Bemerkungen in ihrem Artikel zu bringen, ist dahin, seit sie mit Simon gesprochen hat. Den Simon ist unheimlich nett, sieht irre gut aus und gehört – seit er sich mit Lauries Bruder angefreundet hat – auch schon fast zur Familie. Trotzdem kann sie ihre Meinung über ihn nicht einfach ändern, denn sie hat ihrem Freundinnen gegenüber kein gutes Haar an Simon gelassen. Daß sie in Simon verliebt ist, wagt sie den Mädchen nicht zu sagen – auch nicht, als die beschließen, Simon auf Lauries Geburtstagsparty einen Streich zu spielen der nicht mehr lustig ist...
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1. KAPITEL Laurie Reid warf die Tür ihres Kabinenschranks zu und klemmte sich ihre Schultasche unter den Arm. Wenn sie sich jetzt nicht auf die Socken machte, würde sie zu spät zum Redaktionstreffen des Kuriers kommen, der Schülerzeitüng der Monroe High School. Hastig versuchte sie einen Pullover in die bereits zum Platzen vollgestopfte Tasche zu zwängen. Auf keinen Fall durfte sie Tom Cummings verärgern, indem sie. sich verspätete. Tom Cummings war der Herausgeber der Schülerzeitung. Außerdem würde Miß Alvarez ihr garantiert eine Gardinenpredigt halten. Miß Alvarez, die Fachbereichsautorin, war eine gefürchtete Pünktlichkeitsfanatikerin. Bei dem Gedanken an den strengen Blick ihrer kalten blauen Augen hinter den randlosen Brillengläsern fröstelte Laurie. Sie war das jüngste und unbedeutendste Redaktionsmitglied. Daß man sie nun auch noch für unzuverlässig hielt, fehlte ihr gerade noch. Ihre Turnschuhe quietschten auf dem blankgebohnerten Fußboden, als sie den Korridor entlangeilte, in dem sich das Büro des Kuriers befand. Ihre beiden besten Freundinnen, Anne und Doris, hatten sie dazu überredet, die Stillarbeit in der letzten Stunde sausen zu lassen, damit sie Tennis spielen konnten. Zusammen mit einem vierten Mädchen aus ihrem Sportkurs hatten sie ein spannendes Doppel gespielt, wobei die Zeit nur so verflogen war. Als es plötzlich zur nächsten Stunde läutete, blieb Laurie kaum noch Zeit, sich umzuziehen. Die Schuhe mußten bis -3-
später warten. Vor der Tür des Büros angekommen, fuhr sie sich noch schnell mit dem Kamm durch ihre kurzen schwarzen Locken. Dann öffnete sie schwungvoll die Tür und trat ein. Tom und Miß Alvarez waren bereits da. Am gegenüberliegenden Ende des Raumes standen Maria Grant und Rod Goren, der Fotograf. Sie besprachen gerade das Fotolayout. Die anderen Redaktionsmitglieder rannten durcheinander, diskutierten über die Themenverteilung und verglichen ihre Notizen. Laurie packte ihre Sachen auf einen leeren Stuhl. Ein paar Leute winkten in ihre Richtung und begrüßten sie. Laurie war stolz darauf, Reporterin des Kuriers zu sein, auch wenn sie auf der untersten Sprosse der Redaktionsleiter stand. Im nächsten Jahr würde sie bestimmt wichtigere Themen zugeteilt bekommen. Im stillen träumte sie jedoch davon, eines Tages selber Herausgeberin der Zeitung zu werden. Zur Zeit blieb ihr jedoch noch nichts anderes übrig, als jede Story zu übernehmen, die man ihr gab, und das Beste daraus zu machen. Leider erhielt sie immer die unwichtigsten und langweiligsten Aufträge. So zum Beispiel letzte Woche. Man hatte ihr aufgetragen, über den Pappbecherverbrauch in der Cafeteria zu recherchieren und in einem Artikel darzustellen, wie die Verschwendung der Pappbecher mit zur finanziellen Misere der bereits verschuldeten Schule beitrug. Auch mit der größten Phantasie ließ sich aus so einer lahmen Ente kein Knüller machen. „Hallo, Laurie“, rief Tom durch den Raum. „Kommst du mal für einen Moment?“ „Aber klar doch.“ Sie nahm schnell Block und Bleistift aus ihrer Büchertasche und ging zu Tom hinüber. „Wir haben eine heiße Story, und wir glauben, daß du genau die Richtige dafür bist.“ Laurie verspürte auf einmal ein aufgeregtes Kribbeln im -4-
Magen. Endlich! Vielleicht war das ihre erste Schlagzeile. Mit gezücktem Bleistift wartete sie darauf, daß Tom und Miß Alvarez ihr den Auftrag näher erläuterten. „Hast du schon Simon Simpson kennengelernt?“ fragte Tom. Laurie dachte einen Moment nach. Sie konnte sich nicht erinnern, den Namen schon einmal gehört zu haben. „ich glaube nicht. Geht er auf unsere Schule?“ „Er ist neu hier“, erklärte Miß Alvarez. „Gestern angekommen. Wir möchten, daß du ein Interview mit ihm machst.“ Laurie war erstaunt. „Wieso? Ist er jemand Besonderes?“ Tom lachte. „Du scheinst mir nicht gerade ein großer Kinofan zu sein.“ „Ein Kinofan?“ Laurie hatte nicht die leiseste Ahnung, worauf er hinaus wollte. „Simon Simpson“, wiederholte Tom geduldig. „Der Simon Simpson aus Hollywood.“ Natürlich! Plötzlich wußte Laurie, wen er meinte. Simon Simpson war seit Jahren ein berühmter Kinderstar. Laurie hatte ihn gerade erst in einem Science-fiction-Film gesehen. Der kleine, dünne Junge hatte rotblondes Haar. Seine Himmelfahrtsnase und die runden Pausbäckchen waren von unzähligen Sommersprossen übersät. Das attraktivste an ihm war sein Lächeln, eine Mischung aus Charme und Frechheit. „Du meinst, Simon Simpson geht hier auf die Monroe High School?“ Laurie wollte nicht glauben, daß so ein berühmter Typ ausgerechnet in ihrer Kleinstadt an der Küste Marylands wohnen sollte. „Ist er denn nicht noch viel zu jung für die High School?“ Miß Alvarez gluckste. „Filme können ganz schön täuschen, Laurie. Simon ist jetzt sechzehn.“ „Aber ... aber ich habe ihn doch gerade erst in einem Film gesehen. Da kann er nicht viel älter als zwölf gewesen sein.“ -5-
„Der Film, ist wahrscheinlich bereits vor ein paar Jahren gedreht worden“, erklärte Miß Alvarez. „Manchmal dauert es mehrere Jahre, bis so ein Streifen endlich in die Kinos kommt.“ „Kannst du den Artikel übernehmen?“ unterbrach Tom. „Wir haben nämlich zuerst an dich gedacht, weil Simon in deiner Straße wohnt. Oder traust du es dir nicht zu?“ „Oh, das ist kein Problem für mich“, beeilte Laurie sich zu versichern, bevor Tom es sich anders überlegte. Diesen tollen Auftrag würde sie sich doch nicht entgehen lassen, nur weil Tom dachte, er sei eine Nummer zu groß für sie. „Es sollte schon ein bißchen mehr sein als das übliche Starinterview“, fuhr Miß Alvarez fort. „Deshalb haben wir uns gedacht, jemand, der in Simons Nähe wohnt und ihn in ganz gewöhnlichen, alltäglichen Situationen beobachten kann, sollte ihn interviewen.“ Sie machte eine kurze Pause. „Versuch mit seinen Eltern zu sprechen. Sieh dir seine Freunde an. Und vor allen Dingen finde heraus, wie er es fand, von Los An.geles hierher zu ziehen.“ „Er ist bereits Mitglied der Theatergruppe geworden“, warf Tom ein. „Und im Chor ist er auch, soviel ich weiß.“ Laurie zog die Augenbrauen hoch. „Er scheint das Showbusiness ja doch nicht ganz aufgegeben zu haben.“ Tom grinste. „Ja, wenn man erst mal auf den Geschmack gekommen ist...“ Laurie stimmte ihm im stillen zu. „Wahrscheinlich ist dieser Simon nicht gerade ein Ausbund an Bescheidenheit“, seufzte sie. „Aber das kann mir nur recht sein. Ich wette, er kann stundenlang über sich selbst reden.“ Miß Alvarez runzelte mißbilligend die Stirn. „Laurie, eine gute Reporterin sollte keine Vorurteile haben. Ich habe Simon bereits, kennengelernt, und er scheint mir ein netter junger Mann zu sein.“ Tom stand hinter ihr und zwinkerte Laurie über Miß -6-
Alvarez' Schulter hinweg zu. „Da haben Sie sicher recht“, lenkte Laurie diplomatisch ein. „Ich werde mir Mühe geben, objektiv zu sein.“ In ihrem Innern jedoch war sie überzeugt, daß Tom recht hatte. Simon war schon als kleines Kind ein Filmstar gewesen. In Hollywood aufzuwachsen war doch wohl kaum die geeignete Voraussetzung, um sich zu einem normalen Menschen zu entwickeln. Während Tom Laurie noch ein paar zusätzliche Informationen über Simon gab, kam Maria Grant auf sie zugeschlendert. „Falls du gerade für Tom ins Materiallager gehst, ich könnte auch noch ein paar Sachen gebrauchen“, sagte sie in süßlichem Ton zu Laurie. „Warte ein bißchen, ich hole meine Liste.“ Laurie kochte innerlich vor Wut bei dem herablassenden Ton der Mitschülerin. Aber da Maria zu den Starreportern des Kuriers gehörte, wollte sie sich lieber nicht mir ihr anlegen. Tom schaute Maria verärgert an. „Das hier ist keine Einkaufsliste, sondern wir reden über einen wichtigen Artikel, den Laurie schreiben soll.“ „So?“ Marias Gesichtsausdruck sprach Bände. Offenbar war es ihr ein Rätsel, daß Tom Laurie überhaupt einen Auftrag übergab, geschweige denn einen besonders interessanten. „Läßt du sie über die neue Baumbepflanzung neben den Fahrradständern berichten?“ stichelte sie. „Sie wird Simon Simpson interviewen“, entgegnete Tom ruhig. „Wie bitte?“ Maria war sichtlich schockiert. „Das sind ja echte Neuigkeiten! Hältst du es wirklich für klug, wenn ein Neuling wie Laurie das macht? Ich übernehme das gern, obwohl ich eigentlich schon viel zuviele Verpflichtungen habe“, meinte sie mit einem Seitenblick aufs Layout! „Schließlich ist Simon der wichtigste Schüler dieser Schule.“ -7-
„Nicht unbedingt der wichtigste“, bemerkte Miß Alvarez trocken. „Nur der berühmteste.“ „Ja, natürlich.“ Maria wurde verlegen. Miß Alvarez' tadelnder Ton war ihr unangenehm. „Genau das meinte ich, Miß Alvarez. Wir haben noch nie jemand Berühmtes an unserer Schule gehabt.“ Laurie könnte nicht länger an sich halten. „Wieso denkst du, daß sei jetzt der Fall? Ich finde, du machst viel zuviel Wirbel um ihn, bloß weil er aus Hollywood kommt.“ „Aber Laurie!“ Marias Stimme wurde um eine Oktave höher. „Wie kannst du so etwas sagen! Er ist der...“ „Hier, Laurie. Da hast du seine Adresse“, unterbrach Tom sie und drückte Laurie einen Zettel in die Hand. „Fang sofort an, okay? Wir wollen es möglichst noch nächste Woche bringen.“ „Geht in Ordnung. Ich ruf ihn gleich,an, wenn ich aus der Schule komme“, versprach Laurie. Viel Spaß noch“, rief sie Maria in fröhlichem Ton über die Schulter zu und lief aus dem Zimmer. Während sich die Tür zum Korridor hinter ihr schloß, registrierte sie mit Genugtuung, wie Tom über ihre letzte Bemerkung lachte. Aber sie wußte auch, daß es gefährlich war, sich Maria zur Feindin zu machen, und nahm sich fest vor, von nun an gut mit ihr zurechtzukommen. Zumindest so lange, bis ihre eigene Stellung bei der Zeitung gesichert war. Laurie verließ das Schulgebäude durch den Hinterausgang und ging ins Sportstadion. Sie stieg zur obersten Sitzreihe hinauf, wo Anne O'Hara und Doris Benbow bereits auf sie warteten. „Das ging ja schnell. Wir dachten, die Konferenz würde mindestens eine Stunde dauern.“ „Es war eigentlich keine richtige Konferenz“, erklärte -8-
Laurie. „Als ich reinkam, gab Tom mir einen Aufrag für ein besonders wichtiges Interview. Das war alles.“ „Ist er noch drinnen?“. fragte Anne. Ihre zurückhaltende Art stand in krassem Gegensatz zu Doris' übersprudelnder Lebhaftigkeit. Annes schwarzes Haar und ihre großen Rehaugen erinnerten Laurie immer ein bißchen an alte Gemälde. Obwohl Laurie sich oft über Doris' Späße und Streiche köstlich amüsierte, bewunderte sie an Anne deren ruhige Ausgeglichenheit, und mochte sie von all ihren Freundinnen mit Abstand am liebsten. Anne war seit einem Jahr mit Tom Cummings befreundet. Als er sich zum erstenmal mit ihr verabredet hatte, war es Laurie und Doris sehr unwahrscheinlich erschienen, daß ein Junge aus der Oberstufe sich für eine Schülerin der Mittelstufe begeistern konnte. Und jetzt, wo Tom auch noch dazu Herausgeber der Schülerzeitung war, fanden sie, daß Anne von allen Mädchen der Klasse den besten Freund erwischt hatte. „Ich glaube, Tom hat noch eine Weile zu tun“, meinte Laurie. „Einige Redaktionsmitglieder haben sich verspätet.“ „Dann warte ich nicht auf ihn. Ich gehe mit euch nach Hause.“ „Erzähl doch mal von deinem Auftrag“, drängte Doris, während sie das Stadion verließen und den Schulhof überquerten. „Du wirst es nicht glauben“, stöhnte Laurie. „Ich muß einen Größenwahnsinnigen interviewen.“ Anne und Doris brachen in schallendes Gelächter aus. „Sag's nicht. Laß mich raten“, kicherte Doris. „Jemand von der Footballmannschaft?“ Laurie schüttelte den Kopf.“Viel schlimmer. Simon Simpson.“ „Wie bitte?“ Doris blieb abrupt stehen und drehte sich auf dem Absatz um. „Den Filmstar?“ -9-
„Genau“, bestätigte Laurie und verzog das Gesicht. „Er geht auf unsere Schule.“ „Darauf wäre ich nie gekommen“, wunderte sich Doris. „Dabei hab' ich immer gedacht, wir drei wüßten alles als erste.“ „Wahrscheinlich wollten sie es bis zu seiner Ankunft geheimhalten“, erklärte Laurie. „Aber jetzt will Tom ein Interview für die nächste Ausgabe des Kuriers haben. Der große Star wohnt übrigens ganz bei uns in der Nähe.“ Sie holte den Zettel, den Tom ihr gegeben hatte, aus der Tasche und las die Adresse. „Es ist nur vier Häuser von uns entfernt. Was bin ich doch für ein Glückspilz“, bemerkte sie spöttisch. „Ehrlich, ich versteh' dich nicht“, entgegnete Doris. Das ist doch wohl die tollste Sache, die uns jemals passiert ist, und du machst so ein Gesicht! Überleg doch mal. Du wirst tatsächlich mit Simon Simpson persönlich sprechen dürfen.“ Laurie sah Anne an. Aber selbst die schien von der bloßen Vorstellung, daß Laurie Simon interviewen würde, ganz überwältigt zu sein. „Er ist einfach einmalig, Laurie“, sagte sie. „Erinnerst du dich nicht? Wir haben ihn doch gerade erst letzte Woche in dieser Weltraumoper bewundert.“ „Ich weiß, ich weiß“, gab Laurie widerwillig zu. „Aber ich bin mir nicht sicher, ob er wirklich so einmalig ist. Der Film muß vor mehreren Jahren gedreht worden sein. Miß Alvarez sagt, Simon ist jetzt sechzehn.“ „Sechzehn?“ platzte Doris los. „Genau das richtige Alter!“ Langsam riß Laurie der Geduldsfaden. „Das richtige Alter wofür? Glaubt ihr im Ernst, ein Typ wie Simon würde uns auch nur eines Blickes würdigen? Der kennt garantiert in Hollywood ein Menge tolle Mädchen. Ihr wißt doch, wie diese Stars sind.“ „Aber Laurie“, protestierte Anne. „Du kennst ihn doch überhaupt noch nicht. Vielleicht ist er ganz anders.“ Laurie wußte, daß sie nicht fair war. Doch irgendwie - 10 -
brachte Anne und Doris' Begeisterung sie auf die Palme. Vermutlich, weil Maria schon so übertrieben reagiert hatte. „Okay“, lenkte sie ein. „Vielleicht habe ich mich da in eine fixe Idee verrannt. Aber ich möchte wetten, daß ich mit meiner Vorstellung gar nicht so falsch liege.“ „Wenn du erst dein Interview gemacht hast, werden wir es ganz genau wissen, nicht wahr?“ Doris strahlte. „Also ran an die Arbeit.“ Sie warf einen kurzen Blick auf ihre kleine goldene Armbanduhr. „Jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt. Wie wär's, wenn wir gleich mal bei ihm herein schauen?“ „Spinnst du?“ wehrte Laurie ab. „Ich muß ihn erst anrufen und einen Termin vereinbaren. Oder glaubst du etwa, ich könnte einfach bei ihm an die Tür klopfen und sagen: ,Ein Interview gefällig?“', Doris blieb hartnäckig. „Dann beeilen wir uns jetzt, damit wir schnell bei dir zu Hause sind und du ihn anrufen kannst. Zu Hause angekommen, gingen Laurie, Doris und Anne durch den Hintereingang in die Küche, wo Lauries Bruder Jason am Tisch saß und gerade genüßlich eine Riesenportion Eis verzehrte. „Na, ihr drei, was gibt's Neues?“ begrüßte er sie. „Tag, Jason.“ Doris hatte schon seit langem ein Auge auf ihn geworfen. Allerdings war sie zu der einen oder anderen Zeit bereits in fast jeden Jungen der Schule verliebt gewesen. Jason war siebzehn und ging in die Oberstufe. Natürlich hatte er nicht das geringste Interesse an den Freundinnen seiner kleinen Schwester. Doris sprudelte nur so die Geschichte von Lauries Auftrag heraus, während die anderen beiden ihre Bücher auf den Tisch warfen. - 11 -
„Ja, ja. Ich weiß, daß er hier ist. Ich habe ihn heute morgen in der Turnhalle gesehen.“ „Und?“ drängte Laurie. „Und was?“ fragte Jason in aller Ahnungslosigkeit zurück. „Wie ist er denn so?“ „Weiß ich doch nicht.“ Jason zuckte die Achseln. „Er scheint ganz in Ordnung zu sein.“ „Hat er dir nicht erzählt, was er für ein toller Schauspieler ist?“ bohrte Laurie. „Nein.“ Jason schüttelte den Kopf. „Hätte er das tun sollen?“ „Du meinst, er hat es überhaupt nicht erwähnt?“ hakte Laurie ungläubig nach. „Doch, das hat er schon“, gab Jason zu. „Aber nur, weil ihn ein paar Typen darauf angesprochen haben.“ „Aber natürlich“, spottete Laurie. „Was ist los?“ fragte Jason. „Bist du sauer, weil er nicht auf die Knie gefallen ist und dir seine unsterbliche Liebe erklärt hat?“ Laurie hörte Doris hinter sich kichern. „Ich habe ihn bis jetzt noch gar nicht getroffen“, gestand sie kleinlaut. „Ist ja großartig.“ Jason machte ein angewidertes Gesicht. „Du kennst ihn noch gar nicht und hast schon einen Haß auf ihn. Was ist eigentlich in dich gefahren?“ „Nichts“, schnaubte Laurie. „Ich kann nun mal eingebildete Stars nicht leiden.“ Jason lachte. „Und du glaubst, daß Simon in diese Kategorie gehört?“ „Ach, diese Schauspieler sind doch alle gleich.“ „Laurie, das ist nicht fair“, widersprach Anne. „Du gehst mit einem Haufen Vorurteilen zu diesem Interview. Bei deiner großen Voreingenommenheit wirst du kaum gute Arbeit leisten.“ - 12 -
„Sie hat recht“, stimmte Jason zu. Laurie beobachtete, wie er Anne einen nachdenklichen Blick zuwarf. „Wußtest du, daß er hier in unserer Straße wohnt?“ fragte Laurie. Diese Mitteilung schien Jason zu überraschen. Offensichtlich waren die beiden Jungen noch nicht dazu gekommen, ihre Adressen auszutauschen. „Nein, das ist mir neu. Aber es paßt mir prima, denn ich fand Simon echt nett. Und wenn er schon so nah bei uns wohnt, kann ich ihn ja mal zu uns einladen.“ Seine Stimme nahm einen trotzigen Unterton an. „Vielleicht wird er sogar mein bester Freund.“ „Ach, du meine Güte!“ Nun war Laurie wirklich sauer. „Das sagst du nur, um mich zu ärgern.“ Genervt ging sie zum Telefon hlnüber und riß den Hörer von der Gabel, „Was machst du da?“ rief Jason ihr nach. „Ich rufe bei der Auskunft an“, erwiderte sie patzig. „Wenn die Simpsons gerade erst eingezogen sind, wird ihr Name ja wohl kaum im Telefonbuch stehen.“ „Du kennst den Vornamen seines Vaters nicht“, wandte Jason ein. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß gerade jetzt so viele Familien mit dem Namen ,Simpson' in unsere Straße eingezogen sind“, sagte Laurie. Bei der Auskunft war der Name jedoch nicht eingetragen, und Laurie zog daraus den Schluß, daß die Simpsons noch keine Zeit gehabt hatten, ihr Telefon anschließen zu lassen. „Du wirst wohl oder übei bei ihm an der Tür klingeln müssen“, meinte Doris schadenfroh. „Los, wir gehen rüber. Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.“ „Vergiß es.“ Laurie warf einen kurzen Blick auf ihre Armbanduhr. „Jetzt ist es zu spät. Ich werde es am Samstag versuchen. Ich gehe gleich am frühen Morgen hinüber und - 13 -
klingle an der Tür, wie du gesagt hast.“ Sie lächelte und fügte scheinbar beiläufig hinzu: „Und ich gehe allein.“ „Das nennt sich nun Freundschaft“, brummte Doris, aber Laurie konnte sehen, daß sie nicht wirklich böse war. „Mach dir nichts daraus, Doris“, lenkte Laurie ein. „Sobald ich ihn kennengelernt habe, werde ich dich vorstellen. Das verspreche ich dir.“ „Und wenn sie es nicht tut, werde ich es“, fügte Jason hinzu. „Du?“ Die drei Mädchen starrten ihn entgeistert an. Jason war sonst nie bereit, ihnen eine Gefälligkeit zu erweisen. „Warum nicht?“ Er grinste, als er ihre erstaunten Gesichter sah, und schnappte sich seine Bücher. „Schließlich ist er doch praktisch schon mein bester Freund, oder etwa nicht?“ Er zwinkerte ihnen zu und verließ den Raum. „Jason ist so komisch“, seufzte Doris. „Und so süß.“ „Mach dir bloß keine falschen Hoffnungen“, bemerkte Laurie trocken., „Er interessiert sich nicht für jüngere Mädchen. Und eins kann ich dir versichern. Das wird bei Simon Simpson kaum anders sein.“ Bevor ihre Freundinnen ihr noch einmal widersprechen konnten, ging Laurie zum Kühlschrank und holte Eis heraus. Das würde die beiden erst einmal von dem heiklen Thema Simon Simpson abbringen.
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2. KAPITEL Am nächsten Morgen hielt Laurie gespannt in der Schule nach dem „Ehrengast Simon Simpson“ Ausschau, wie sie ihn in Gedanken nannte. Doch leider lief er ihr nicht über den Weg. Zu Hause versuchte sie noch einmal über die Auskunft seine Telefonnummer zu erfahren. Dieses Mal hatte sie mehr Erfolg. Sie verabredeten sich für Samstagmorgen bei den Simpsons. Als der große Tag endlich gekommen war, machte sich Laurie mit gemischten Gefühlen auf den Weg. Nervös umklammerte sie Block und Bleistift, während sie in Gedanken ein letztes Mal die Fragen durchging, die sie Simon stellen wollte. Ob sie ihn wohl wiedererkennen würde? Natürlich würde er viel größer sein als in dem Science-fiction-Film, den sie neulich gesehen hatte. Bestimmt hatte er noch diesen typischen Blick in seinen großen Augen, mit dem er Karriere gemacht hatte, während andere Kinderstars in seinem Alter schon längst vergessen waren. Eine Sache paßte jedoch absolut nicht in das Bild, das sie sich von ihm gemacht hafte. Seine Stimme. Am Telefon war Laurie überrascht gewesen, wie tief und voll sie klang. Selbstverständlich war ihr klar, daß dies zum Teil mit dem Schauspielunterricht zusammenhängen mußte, den er sicherlich bekommen hatte. Außerdem hatte Jason erwähnt, daß Simon auch sang. Dennoch war sie überrascht gewesen. Es hatte sich angehört, als spräche dort am anderen Ende der Leitung ein - 15 -
Mann. Während sie nun in den kleinen Pfad einbog, der zur Eingangstür der Simpsons führte, erinnerte sie sich wieder an ihr kurzes Telefongespräch mit ihm. Eigentlich hatten sie sich nur auf eine Zeit für das Interview geeinigt, aber seitdem wollte Laurie unbedingt wissen, wie er aussah. Egal. Sie drückte entschlossen auf den Klingelkhopf. Im nächsten Moment ging die Tür auf, und Simon Simpson stand vor ihr. Laurie schluckte und machte einen Schritt zurück. Sie traute ihren Augen nicht. Das sollte der berühmte Kinderstar sein? Das Bild von dem kleinen Jungen mit rotem Haar, Sommersprossen und dem spitzbübischem Lächeln war schlagartig vergessen. Das Lächeln war zwar geblieben, aber das rote Haar wirkte jetzt eher kupferfarben und schimmerte seidig. Die Sommersprossen waren fast ganz verschwunden. Aus dem süßen kleinen Jungen war ein großer junger Mann geworden. Kein Wunder, daß er nicht mehr „Littie Simon“ genannt werden wollte! „Laurie?“ Das war wieder diese tolle Stimme, die Laurie schon am Telefon begeistert hatte. Sie gab sich einen Ruck und reichte ihm die Hand. „Tag, Simon. Nett von dir, daß du so kurzfristig zugesagt hast.“ Sie folgte ihm in den Flur. „Zwei Tage sind mehr als genug, um sich auf ein Interview vorzubereiten“, lachte Simon. „Es gab Zeiten, da haben mich die Reporter mit Fragen bombardiert, ohne sich überhaupt vorzustellen.“ Laurie spürte, wie sich ihr Mißtrauen wieder zu regen begann. „Was für ein schweres Schicksal, immer im Rampenlicht zu stehen“, bemerkte sie ironisch. Simon sah sie verständnislos an. „So hatte ich es eigentlich nicht gemeint.“ - 16 -
„Natürlich nicht.“ Laurie versuchte die unangenehme Situation zu überspielen. Es hatte ihr gerade noch gefehlt, daß er sich weigerte, mit ihr zu sprechen. Schließlich wollte sie doch einen guten Artikel schreiben. Einen Moment lang sahen sie sich schweigend gegenseitig an. „Am besten, wir setzen uns in die Bibliothek. Dort sind wir ungestört“, schlug Simon vor. Im Vorübergehen warf Laurie einen kurzen Seitenblick in die anderen Zimmer. Überall lagen Umzugskartons herum, die meisten Möbel standen jedoch bereits an ihrem Platz. Gerade als Simon die Tür zur Bibliothek öffnete, kam eine attraktive rothaarige Frau auf den Flur, deren Ähnlichkeit mit Simon unverkennbar war. „Hallo. Du bist sicher das Mädchen von der Schülerzeitung.“ Mrs.Simpson lächelte Laurie freundlich an. Unwillkürlich lächelte Laurie zurück. „Ja, ich bin Laurie Reid“, erwiderte sie. „Viel Spaß bei eurem Interview.“ Simons Mutter verschwand wieder in der Küche. „Ich war mir nicht sicher, ob du einen Schreibtisch brauchst, oder ob dir ein Stuhl genügt“, sagte Simon. „Die Bibliothek ist bis jetzt der einzige Raum, der schon fertig eingerichtet ist.“ Dann grinste er. „Du solltest mal den Rest des Hauses sehen.“ „Warum seid ihr hierher gezogen?“ begann Laurie. „Mein Vater ist Chemiker“, erklärte Simon. „Man hat ihm hier eine sehr gute Stelle angeboten.“ Laurie machte es sich in einem Sessel bequem. „Und deshalb mußtest du mitgehen? Macht es dir gar nichts aus, deine Karriere aufzugeben?“ Simon schüttelte energisch den Kopf. „Überhaupt nicht. Ich habe schon seit einem Jahr keinen Film mehr gedreht.“ „Und warum nicht?“ Wie würde er wohl die Tatsache - 17 -
erklären, daß ihn in Hollywood niemand mehr engagieren wollte? Simon zuckte die Achseln. Er sah sehr ernst aus. „Als ich auf die High School kam, erkannte ich, daß es wichtigere Dinge gibt, als Filme zu drehen. Schließlich möchte ich später mal studieren.“ Laurie zog skeptisch die Augenbrauen hoch. „Willst du damit sagen, daß du nach all den Jahren in Hollywood vorhast, aufs College zu gehen, um Schauspielunterricht zu nehmen?“ Simon schaute sie betroffen an. Für einen Moment empfand Laurie Reue. Dann preschte sie jedoch weiter vor, entschlossen, ihn noch mehr aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das hier sollte keins dieser schmeichelnden PublicityInterviews werden, die sie selber so langweilig fand. Sie konnte Simon ansehen, daß er sich nicht ganz sicher war, was er von ihrer Taktik halten sollte. Sie stellte ihm nun die üblichen Fragen, die man für ein Interview brauchte. „Wie alt warst du, als du mit dem Filmen anfingst?“ Simon lachte verlegen. „Sechs Monate. Meine Mutter war Fotomodell, bevor sie meinen Vater heiratete, und deshalb kannte sie viele Leute in dem Geschäft.“ „Aha.“ Laurie kritzelte ein paar Notizen auf ihren Block. „Und wer gab dir den Spitznamen 'Little Simon'?“ „Irgend so ein Witzbold in einem Studio.“ Er lächelte gequält. „Macht es dir nichts aus, in deinem Alter mit einem solchen Namen herumzulaufen?“ „Na ja“, meinte er ausweichend. Laurie ließ nicht locker. „Wie heißt du eigentlich richtig?“ Ein Anflug von Röte überzog sein Gesicht. „Simon Cameron Simpson,“ sagte er. „Cameron ist ein typischer Name in unserer Familie.“ Laurie schrieb alles auf ihren Block. „Cameron klingt gut.“ - 18 -
Sie blickte kurz auf und sah, daß Simon sie nachdenklich beobachtete. „Ehrlich“, bekräftigte sie. „Danke“, erwiderte er. „Vielleicht sollte ich lieber meinen zweiten Namen benutzen anstatt Simon.“ „Tut mir leid“, widersprach sie lachend. „Aber dazu ist es jetzt zu spät. Alle Schüler haben inzwischen mitbekommen, daß Simon Simpson angekommen ist. Du könntest vielleicht mit einer Abkürzung davonkommen, wie z.B. ,Simmy' aber an Cameron werden sie sich nie gewöhnen.“ Simon verzog das Gesicht. „Du hast recht. Wahrscheinlich wird in meinem ganzen Leben niemand erfahren, wie ich richtig heiße.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Außer den Leuten, die mir nahestehen.“ Laurie setzte sich abrupt auf und umklammerte ihren Bleistift mit zittrigen Fingern. Die Luft im Zimmer war plötzlich spannungsgeladen. Da ertönte plötzlich das Pfeifen eines Teekessels aus der Küche, und Laurie atmete erleichtert auf. „Ich habe eine lange Liste mit verschiedenen Punkten vorbereitet“, sagte sie in betont geschäftsmäßigem Ton. „Wenn du nichts dagegen hast, würde ich sie gern mit dir durchgehen.“ „Selbstverständlich.“ Er setzte sich zurück. „Schieß los.“ Während der folgenden halben Stunde befragte sie ihn über seine Karriere in Hollywood und über die vielen Filme, in denen er mitgespielt hatte. Er erzählte ihr eine Menge witziger Stories, mit denen sie ihren Artikel ausschmücken konnte. Simon und Laurie waren so gut wie fertig, als Laurie sich zu ihrem eigenen Entsetzen mit der Frage herausplatzen hörte: „Wann bist du so gewachsen?“ Er blickte sie erstaunt an. „Wie bitte?“ „Ich meine, ich habe dich letzte Woche in einem Film gesehen. Und da warst du so klein...äh... jung“, stammelte sie. - 19 -
Simon brach in dröhnendes Gelächter aus. „Du meinst wahrscheinlich den Film, der jetzt gerade im Embassy Theater läuft“, antwortete er amüsiert. „Ich hab mich schon gefragt, was die anderen Schüler hier wohl sagen würden, wenn sie mich zu sehen bekämen. Der Streifen ist vor drei Jahren gedreht worden. Da war ich dreizehn.“ „Ach so, jetzt verstehe ich. Sag mal, wann hast du Geburtstag?“ „Am zwölften Oktober“, verkündete er stolz. „Genau wie Kolumbus.“ Laurie fühlte ein komisches Kribbeln im Magen. Was für ein seltsamer Zufall. „Nicht nur wie Kolumbus“, bemerkte sie mit leicht unsicherer Stimme. „Auch wie Laurie Reid. „im Ernst?“ Er strahlte sie an. „Wir haben also beide am selben Tag Geburtstag?“ Laurie nickte. „Allerdings bin ich ein Jahr jünger als du.“ „Das macht nichts“, erwiderte er, als ob sie sich soeben über etwas einig geworden wären. Laurie war sich nicht ganz sicher, worüber, aber aus irgendeinem Grund beschloß sie, das Thema nicht weiter zu verfolgen. Sie betrachtete ihn kritisch. Er sah älter als sechzehn aus. Wahrscheinlich kam es daher, daß er in Hollywood aufgewachsen war. Voller Entschlossenheit, das Gespräch wieder auf eine ganz sachliche Ebene zu bringen, erzählte Laurie ihm, was sie gerade gedacht hatte. „Aber das stimmt doch gar nicht“, korrigierte Simon sie. „Mein Vater arbeitete während der letzten acht Jahre in Palo Alto in Kallfornien. Ich bin immer nur dann nach Los Angeles gefahren, wenn ich in einem Film mitspielen mußte. Und wie ich schon sagte, habe ich das ganze letzte Jahr über nicht mehr gedreht.“ „Schade.“ Lauries Stimme klang mitfühlend. „Erst sechzehn - 20 -
und schon ein Altstar.“ Kaum waren die Worte heraus, erkannte sie, wie gemein ihre Bemerkung klang. Simons Gesicht wurde starr, und er stand abrupt auf. Seine Bewegungen wirkten steif. Obwohl Laurie mehr als genügend Material für einen Artikel hatte, wollte sie das Interview nicht auf diese Weise enden lassen. „Ich glaube, du kennst meinen Bruder Jason“, wechselte sie schnell das Thema, während sie ihren Bleistift in die Brusttasche ihrer Jacke steckte. „Jason?“ Er überlegte einen Moment. „Ach ja, Jason Reid. Tut mir leid, daß mir das nicht früher eingefallen ist.“ Er sah sie fragend an. „Du bist ganz anders als er.“ „Natürlich.“ Laurie lachte nervös. „Er ist ein Junge, und ich bin ein Mädchen.“ Simons Verhalten wurde jetzt eindeutig kühl und reserviert. „So habe ich es nicht gemeint.“ „Laurie erhob sich und klemmte sich ihren Block unter den Arm. „Ich glaube, das war's.“ „Seid ihr beiden denn immer noch nicht fertig mit dem Interview?“ Mrs. Simpson kam herein und lächelte Laurie an. „Du hast doch bestimmt schon genug Material für deinen Artikel.“ Laurie spürte Panik in sich aufsteigen. Erst hatte sie Simon verärgert und nun schien es, als wolle Mrs. Simpson andeuten, daß sie ihre Gastfreundschaft über Gebühr in Anspruch genommen hatte. „Laurie wollte gerade gehen“, sagte Simon. „Ja, ja. Das stimmt“, fügte Laurie rasch hinzu. „Hat mich gefreut, Mrs. Simpson.“ Hastig ging sie zur Eingangstür. Simon überholte sie mit langen Schritten und öffnete ihr höflich die Tür. „Nett, daß du gekommen bist, Laurie.“ Er hielt ihr nicht die Hand hin, wie er es bei der Begrüßung getan hatte, und bevor Laurie es sich versah, stand sie wieder - 21 -
draußen auf dem kleinen Gehweg. Das Gefühl brennender Scham verwandelte sich langsam in Wut. Der hatte vielleicht Nervent Nur weil ihr diese dumme Bemerkung herausgerutscht war. Schließlich war es nicht ihre Schuld, wenn ihn niemand mehr für einen Film engagieren wollte. Daß er eine Ausbildung machen wollte, war doch nur eine Ausrede. Aufgebracht machte sich Laurie auf den Nachhauseweg. Vielleicht werden Jason und Simon tatsächlich Freunde, überlegte sie. Aber was mich betrifft, so kann dieser Simon Simpson herzlich gern das nächste Flugzeug zurück nach Hollywood nehmen. Zu Hause wurde Laurie schon von Anne und Doris in der Küche erwartet. „Na?“ Doris platzte fast vor Neugier. „Ach, nichts Besonderes“, antwortete sie in gleichgültigem Ton. Dann bemerkte sie Annes enttäuschtes Gesicht.“Okay“, seufzte sie. „lch werde euch alles erzählen. Aber ihr könnt mir glauben, es war völlig uninteressant.“ Doris schnappte nach Luft. „Du willst uns wohl auf den Arm nehmen!“ „Eine Stunde lang zuzuhören, wie so ein Star über sich selbst redet, ist stinklangweilig.“ Laurie war sich darüber klar, daß das nicht stimmte, aber die letzten paar Minuten ihres Gesprächs hatten sie wieder in all ihren Vorurteilen gegen Simon bestärkt. Doris sah enttäuscht aus. „Die ganze Zeit über habe ich hier gesessen und gehofft, daß du dich irrst.“ Sie seufzte und. sah auf die Küchenuhr. „Wird Zeit, daß wir zum Krankenhaus gehen und uns für die freiwillige Krankenhilfe anmelden. Du kannst uns die Einzelheiten ja auf dem Weg erzählen.“ „Okay“, sagte Laurie. Sie hatte sich inzwischen wieder gefangen. - 22 -
Während der Busfahrt gab sie einige von Simons Geschichten zum Besten. Doris war sehr davon beeindruckt, daß Simon und Laurie am selben Tag Geburtstag hatten. „Das ist ein Wink des Schicksals“, verkündete sie feierlich. „Es wird einen großen Einfluß auf eure Beziehung haben.“ „Beziehung?“ Laurie konnte ihre Empörung nicht mehr zurückhalten. „Du spinnst jawohl!“ „Du wirst schon sehen.“ Doris machte ein weises Gesicht. Dann hellte sich ihre Miene plötzlich auf. „Ich habe ja nicht behauptet, daß es eine gute Beziehung wird, oder?“ Sie brachen in schallendes Gelächter aus. Laurie fand ihre Freundinnen unmöglich aber sie mußte trotzdem mitlachen. Als Laurie, Doris und Anne im Krankenhaus ankamen, beruhigten sie sich wieder. Es war eine große Ehre, in die Freiwillige Krankenhilfe aufgenommen zu werden, und sie waren sich dieser Tatsache wohl bewußt. Gleich am ersten Tag des Jahres hatten sie sich dafür beworben. Der Vorstellungstermin war jedoch erst jetzt, Mitte Mai. Mrs. Larsen, die für freiwillige Helfer verantwortlich war, machte mit ihnen einen kurzen Rundgang und erklärte ihnen, was sie zu tun hatten. Sie sollten Zeitungen, Bücher und Blumen verteilen und die Patienten zwischen den verschiedenen Räumen hin- und herfahren. „Bevor ihr euch endgültig entschließt, möchte ich euch die Kinderstation zeigen“, kündigte Mrs. Larsen an. „Vieie Mädchen glauben, sie würden gern hier im Krankenhaus arbeiten, aber wenn sie das dann sehen, überlegen sie es sich anders, weil sie den Anblick so vieler schwerkranker Kinder nicht ertragen können. Dies soll keine Kritik sein“, fügte sie hastig hinzu. „Wir finden es nur unnötig, Helferinnen auszubilden, die uns schon nach dem ersten Tag wieder - 23 -
verlassen.“ Ein paar Minuten später verstand Laurie, was Mrs. Larsen meinte. Es ging ihr unheimlich nahe, Kinder zu sehen, die ans Bett oder an den Rollstuhl gefesselt waren. In diesem Zimmer lag ein fünfjähriges kleines Mädchen, dessen ganzer Körper in einem Streckverband steckte. Als Laurie sich umdrehte, sah sie, daß Anne Tränen in den Augen hatte. Aber sie selbst reagierte ganz anders. Sie wäre am liebsten zu dem kleinen Mädchen hingegangen, hätte es umarmt und ihm gesagt, daß alles wieder gut werden würde. „Nun?“ fragte Mrs. Larsen. „Was meint ihr?“ Doris und Anne schauten Laurie erwartungsvoll an, als habe sie in dieser Angelegenheit das letzte Wort. „Ich möchte auf jeden Fall helfen“, erklärte Laurie leise. Mrs. Larsen sah Anne fragend an. „Meinst du, du wirst damit zurechtkommen?“ Ihre Stimme klang mitfühlend. Laurie erkannte, daß auch ihr aufgefallen war, wie sehr Anne das alles mitnahm. Anne überlegte einen Moment. „Ich würde es gern versuchen“, sagte sie schließlich. „Wenn ihr nicht zu schlecht von mir denkt, falls ich dann doch wieder aufgebe.“ Mrs. Larsen zögerte. Dann nickte sie kurz. „Gut. Wir werden es versuchen.“ Mit dem Fahrstuhl fuhren sie wieder ins Erdgeschoß. Dort zeigte Mrs. Larsen ihnen den Umkleideraum. Danach erklärte sie ihnen, wo sie ihre Uniformen kaufen konnten. Solange sie noch Schule hatten, würden sie nur samstags ein paar Stunden arbeiten. Später wurde jedoch von ihnen erwartet, daß sie sich an zwei Tagen pro Woche für je vier Stunden zur Verfügung stellten. Auf der Flückfahrt schwiegen sie. Laurie wußte, daß Anne innerlich sehr aufgewühlt war von dem, was sie im - 24 -
Krankenhaus gesehen hatten. Sie fragte sich, ob ihre Freundin mit der Arbeit fertig werden würde. Selbst die sonst so lebhafte Doris schien in gedämpfter Stimmung zu sein. Sie verabredeten sich noch kurz fürs Kino und verabschiedeten sich dann an der Haltestelle. Lauries Mutter wirtschaftete in der Küche herum, als Laurie zum Hintereingang hereinkam. „Wie war's?“ wollte sie wissen. Laurie erzählte ihr von Mrs. Larsen und von Annes Reaktion beim Besuch der Kinderstation. „Sie wird es schon schaffen“, meinte Mrs. Reid. „Anne ist eine starke Persönlichkeit.“ Laurie nahm sich eine knusprige Selleriestange von dem Teller, der auf dem Tisch stand. „Hoffentlich hält sie es aus. Sie versetzt sich vielleicht zu sehr in die Kranken hinein.“ „Das ist kein Fehler“, erwiderte ihre Mutter. „Du hast Anne lieber als Doris, nicht wahr?“ fragte Laurie. Mrs. Reid lächelte verschmitzt. „Ich mag Doris. Sie ist witzig. Besonders wenn sie Jason schöne Augen macht.“ Sie mußten beide lachen. „Aber Anne ist anders“, fuhr sie fort. „Sie ist eine Freundin fürs ganze Leben.“ Laurie verspürte den Impuls, Doris zu verteidigen. Doch fast im selben Moment wurde ihr klar, daß ihre Mutter nichts sagte, was sie nicht auch schon selbst gedacht hatte. „Doris ist in Ordnung. Eins kannst du mir glauben, Jason ist nicht der einzige, auf den sie es abgesehen hat.“ Ihre Mutter lachte laut. „Darauf hätte ich auch gewettet.“ „Hey, was geht hier eigentlich vor?“ Laurie fiel plötzlich auf, daß ihre Mutter für das Abendessen einen Heidenaufstand trieb. Normalerweise aßen sie samstags Pizza oder Hamburger, wenn nicht gerade Besuch angesagt war. Jetzt bemerkte Laurie - 25 -
den Duft von gegrillten Hähnchen, der aus dem Ofen strömte, und auf dem einen Küchenbord entdeckte sie eine Schokoladentorte. „Wer kommt heute zum Essen?“ fragte sie. Der Blick ihrer Mutter überraschte sie. Laurie hätte schwören mögen, daß ihre Mutter rot geworden war. „Nun, Jason hat Simon Simpson zum Essen eingeladen. Ich dachte...“ Fassungslos stemmte Laurie die Hände in die Hüften und sagte: „Was, du hast dir all diese Mühe gemacht, nur weil dieser Simon Simpson kommt?“ „Ach, Laurie, er war doch noch nie bei uns zu Hause.“ Mrs. Reids Stimme klang ein bißchen nervös. „Aber Mom, er ist doch nicht der Präsident der Vereinigten Staaten, sondern nur ein zu alt gewordener Kinderstar.“ „Laurie!“ Mrs. Reid war echt schockiert. „Ich finde das unmöglich“, empörte sich Laurie. Sie konnte nicht glauben, daß ihre eigene Mutter zu der Schar von Fans gehörte, die Simon anhimmelten. „Sonst gibt es abends immer nur Pizza oder so etwas Ähnliches“, maulte sie. „Das hier ist unser Abendessen, das ich für heute abend vorgesehen hatte. Simon wird es nur mit uns teilen.“ „So, so. Gegrilltes Hähnchen und Schokoladentorte an einem Samstagabend? Das gab es noch nie!“ „Willst du damit sagen, daß ich dir nicht gut genug koche?“ Laurie merkte, daß sie weit genug gegangen war. Wenn sie jetzt nicht zurücksteckte, würde das ganze in einen Streit über „ Respekt“, „Dankbarkeit“ und „freches Mundwerk“ ausarten. „Nein, Mom. Ich hab' mich bloß gewundert.“ „Ich erwarte von dir, daß du dich unserem Gast gegenüber anständig benimmst“, ermahnte Mrs. Reid ihre Tochter, während sie sich wieder ihren Vorbereitungen zuwandte. Einen Moment lang war Laurie verletzt. Wie konnte ihre - 26 -
Mutter nur so etwas denken? Doch dann fiel ihr wieder ein wie Simon und sie an dem Morgen auseinandergegangen waren. „Keine Angst. Ich werde dich nicht blamieren“, erklärte sie eingeschnappt und verließ die Küche.
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3. KAPITEL Laurie war gerade dabei, den Abendbrottisch zu decken, als Jason und Simon hereinkamen. Jason stellte Simon erst seiner Mutter vor, dann schaute er Laurie an und sagte: „Ihr kennt euch schon, wie ich höre?“ Laurie suchte in Simons Gesicht nach einem Hinweis auf das, was er ihrem Bruder über das Interview erzählt hatte. Aber Simons Miene blieb ausdruckslos. Daher wechselte sie vorsichtshalber lieber das Thema. „Wo kommt ihr denn so spät noch her?“ „Vom Baseball natürlich“, erklärte Jason. „Und wo war das höllische Trio heute? Ihr verpaßt doch sonst nie eine Gelegenheit, eure neuesten Helden zu bewundern“, flachste er. „Wir hatten etwas Besseres vor“, gab Laurie mit gespielter Hochnäsigkeit zurück und fuhr fort, den Tisch zu decken. „Tatsächlich? Na, vielleicht werdet ihr drei eines Tages auch noch mal erwachsen.“ Laurie hätte ihn erwürgen können. Er stellte sie und ihre Freundinnen als kleine Kinder hin. Und das nur, weil er nächstes Jahr seinen High-School-Abschluß machte. „Ich finde es großartig, daß die Mädchen zu allen Sportveranstaltungen gehen“, warf Simon ein. „Wenn ich in einer Mannschaft wäre, würde ich es toll finden, angefeuert zu werden.“ „Da fällt mir etwas ein“, sagte Jason. „Sobald wir mit dem Essen fertig sind, zeige ich dir meine Geräte.“ „Was für Geräte?“ wollte Laurie wissen. - 28 -
„Ich habe Simon von dem Trainingsraum erzählt, den Dad mir eingerichtet hat. Ich dachte, er möchte dort vielleicht mal trainieren.“ Laurie staunte. Ihr Bruder war seit zwei Jahren in der Schulmannschaft und ein begeisterter Turner. Mit seiner teuren Geräteausstattung war er sehr eigen. „Kannst du turnen?“ fragte sie Simon. „Eigentlich nicht“, gestand er. „Aber ich habe sehr viel Fecht- und Tanzunterricht gehabt.“ „Hm“, bemerkte Laurie ungeduldig. „Das ist wohl kaum dasselbe.“ „Es ist gar nicht mal so viel anders“, entgegnete Jason ruhig. Anscheinend war ihm nicht klar, daß er im Begriff war, sich aufs Glatteis zu begeben. „Simon wird hart an seinen Oberarmmuskeln arbeiten müssen, aber wenn er fleißig trainiert ...“ „Wovon sprichst du eigentlich'?“ unterbrach Laurie ihn. „Hast du ihm etwa die verrückte Idee in den Kopf gesetzt, er könne sich für die Schulmannschaft aufstellen lassen?“ „Ja, sicher.“ „Aber er ist doch schon sechzehn Jahre alt. Ist es, nicht viel zu spät für ihn, jetzt noch mit Turnen zu beginnen?“ „Nun hör aber auf! Ich hab doch nicht gesagt, daß er an den Olympischen Spielen teilnehmen soll“, protestierte Jason. Bevor das Ganze in einen Streit ausartete, ging die Tür auf, und Lauries Vater kam herein. Ihre Mutter begrüßte ihn mit einem Kuß auf die Wange. „Hallo, Schatz“„ sagte sie. „Wie war das Golfspiel? Wir haben heute einen Gast zum Abendbrot. Simon, das ist mein Mann. Das ist Simon Simpson, Liebling.“ Lauries Vater lächelte und streckte Simon die Hand hin. „Wie geht's, Simon? Freut mich, dich kennenzulernen.“ „Danke, Mr. Reid. Aber was meinen Namen angeht, ich - 29 -
habe beschlossen, ihn nicht mehr zu benutzen.“ Mit einem kurzen Seitenblick auf Laurie fuhr er fort: „Ich glaube, ich werde mich mit meinen zweiten Namen anreden lassen. Jemand hat mir heute gesagt, daß es ihm gefällt.“ „Und wie lautet der?“ fragte Jason neugierig. „Cameron“, antwortete Laurie, ohne nachzudenken. Alle drehten sich zu ihr um, und sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. „Na ja, Simon hat es mir heute morgen bei dem Interview erzählt.“ „Und du hast ihm gesagt, daß dir der Name gefällt, nicht wahr?“ bemerkte Jason, der seine Schwester natürlich durchschaute. Lauries Mutter legte Simon beschwichtigend die Hand auf den Arm.“ Ich kann mir gut vorstellen, wie du dich fühlst. Aber du wirst wohl kaum jemanden dazu bringen können, dich anders zu nennen als Simon.“ „Das hat Laurie auch gesagt. Wahrscheinlich haben Sie beide recht.“ „Ich nenne dich gern 'Cameron', wenn du einverstanden bist“, bot Laurie ihm leise an. „Wirklich?“ Er sah ihr tief in die Augen. „Aber nur, wenn niemand zuhört“, fügte sie schnell hinzu. „Ich möchte nicht, daß irgend jemand denkt, wir...“ Sie brach abrupt ab. „Wann essen wir denn endlich? Ich bin mit Anne und Doris um acht beim Embassy verabredet. Wenn wir jetzt nicht mit dem Essen anfangen...“ „Mir geht's genauso.“ Ihr Vater kam ihr zu Hilfe. „Nach einem ganzen Nachmittag auf dem Golfplatz bin ich schon halb verhungert. Ich möchte mir nur kurz die Hände waschen.“ Beim Essen gab Simon bereitwillig auf alle Fragen zu seinen Erfahrungen mit Regisseuren und Stars Antwort und unterhielt die ganze Familie mit seinen amüsanten Anekdoten. - 30 -
„Hast du vor, nach Abschluß der Schule die Schauspielerei wieder aufzunehmen?“ erkundigte sich Lauries Vater interessiert. Simon zuckte die Achseln. „Ich weiß es einfach noch nicht. Bis jetzt habe ich nie etwas anderes gemacht. Es ist aber ein großer Unterschied, ob man ein Kinderstar ist oder ein ernsthafter Künstler. Wenn ich mit der Schauspielerei wieder anfange, dann bestimmt im Theater und nicht beim Film.“ „Das klingt vernünftig“, stimmte Lauries Vater zu. „Mir ist klargeworden, daß ich bis jetzt vieles rein gefühlsmäßig gemacht habe. Ich möchte es gern richtig lernen“, fuhr Simon fort. Laurie beobachtete ihn fasziniert. Er hatte eine Ernsthaftigkeit an sich, die sie auch von den fleißigsten und erfolgreichsten Schülern ihrer Schule nicht kannte. „Laurie“, sagte ihre Mutter, als sie mit dem Essen fertig waren, „wenn du dich um acht mit deinen Freunden treffen willst, dann sollten wir uns jetzt lieber sputen. Du bist nämlich heute dran mit Abwaschen.“ „Was? Ach ja.“ Laurie sprang sofort auf und begann den Tisch abzuräumen. Die Verabredung mit Anne und Doris hatte sie vollkommen vergessen. Inzwischen tat es ihr sogar ein wenig leid, daß sie gehen mußte. Es war viel interessanter, Simon zuzuhören. Als sie so vor sich hin sinnierte und dabei die Teller in den Geschirrspüler stellte, unterbrach sie plötzlich ihre Arbeit. Was dachte sie da gerade? Sicher, seine Stories waren witzig, aber wahrscheinlich war die Hälfte erfunden. Bestimmt wollte er damit nur zeigen, was für ein aufregendes Leben er in Hollywood geführt hatte. Sie warf ihm einen grimmigen Blick über die Schulter zu und ärgerte sich über sich selber, weil sie auf ihn hereingefallen war. Da saß er nun und spann eine Geschichte - 31 -
nach der anderen. Ihre Eltern und ihr Bruder lachten über alles, was er sagte. Du liebe Güte, stöhnte Laurie innerlich. Sie bestaunen ihn gerade so, als sei er das größte Genie aller Zeiten. „Laurie, beeil dich.“ Die Stimme ihrer Mutter schreckte sie aus ihren Betrachtungen auf. „Okay, Mom“, erwiderte sie leise. Schnell stellte sie das restliche Geschirr in die Maschine, und rannte die Treppe hinauf, um sich umzuziehen. Als sie wieder herunterkam, wartete ihr Vater schon mit den Autoschlüssein in der Hand auf sie. Laurie drückte ihrer Mutter rasch einen Kuß auf die Wange. „Ich komme bestimmt nicht zu spät zurück. Großes Ehrenwort.“ „Wer bringt dich nach Hause?“ wollte Mrs. Reid wissen. „Mrs. O'Hara holt uns ab. Mach dir keine Sorgen.“ Sie folgte ihrem Vater zur Tür. „Laurie.“ Der scharfe Ton ihrer Mutter ließ sie herumfahren, „Willst du dich nicht von unserem Gast verabschieden?“ Laurie fühlte sich ertappt und errötete vor Verlegenheit. Sie nickte kurz in seine Richtung und sagte: „Auf Wiedersehen, Simon. Nett, daß du uns besucht hast.“ „Danke“, sagte er ernst. Er machte einen Schritt auf sie zu und streckte ihr die Hand hin. Unwillkürlich erwiderte sie seinen Händedruck. „Ich bin gespannt darauf, das Interview in der Zeitung zu lesen. Wann wird es erscheinen?“ „Nächsten Freitag.“ Sie hatte plötzlich ganz weiche Knie. „Hoffentlich gefällt dir mein Artikel.“ „Bestimmt.“ Laurie bekam ein eigenartiges Gefühl im Magen. „Nun, also...“ Langsam entzog sie ihm ihre Hand. „Wir laufen uns ja sicher mal wieder über den Weg.“ „Das will ich hoffen.“ Sein Lächeln war warm und freundlich. „Bis bald.“ - 32 -
Simons Prophezeiung sollte sich bewahrheiten. Im Laufe der folgenden Tage traf Laurie ihn andauernd. Nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause. Nachdem er am Samstagabend Jasons Trainingsraum bewundert hatte, war er fest entschlossen, sich für die Schulmannschaft aufstellen zu lassen. Jason hatte bereits angeboten, ihm beim Training zu helfen. Am Mittwoch begann Laurie sich zu fragen, ob Simon wohl die Absicht hatte, bei ihnen einzuziehen. Beim Abendessen konnte sie sich nicht länger zurückhalten. Kaum hatte Jason sich an den Tisch gesetzt, sagte sie: „Du scheinst ja tatsächlich zu glauben, daß Simon das Zeug zu einem guten Turner hat.“ Jason lachte und schilderte ihr begeistert Simons Fortschritte. „Er hat wirklich ein ausgezeichnetes Koordinationsvermögen“, schwärmte er. „Wahrscheinlich kommt das von seinem Fecht- und Tanzunterricht. Und er ist richtig athletisch. Stell dir vor, er hat schon einmal Tennisunterricht bei einem Profi gehabt. Auf der Privatschule war er in der Schwimmannschaft. Und...“ „Hey, Moment mal“, unterbrach ihn Laurie. „Du brauchst mir keinen Vortrag zu halten. Alles, was ich wissen wollte, war...“ „Und ich habe dir nur geantwortet“, unterbrach Jason sie gereizt. Laurie stocherte lustlos in ihren Spaghettis her um. „Ich glaube nicht, daß all dieser Unterricht etwas mit Turnen zu tun hat.“ „Aber selbstverständlich hat er das.“ Er warf Laurie einen verächtlichen Blick zu. „Simon ist ein echtes Talent. Er weiß, - 33 -
wie er seinen Körper einsetzen muß. Ich brauche ihm nur etwas vorzuturnen und ihm zu erklären, wie man es macht, und schon kann er es auch. Es macht echt Spaß.“ Laurie aß scheinbar völlig ungerührt weiter. „Dir schmeichelt es doch nur, einen Schüler zu haben. Warte erst mal den Aufnahmewettbewerb für die Mannschaft ab. Dann wirst du schon sehen.“ „Ich habe Simon bereits unserem Trainer, Mr. Shelley, vorgestellt“, verkündete Jason triumphierend. „Er ist der gleichen Meinung wie ich. Jetzt kann Simon noch nicht in die Mannschaft oder an den Wettbewerben teilnehmen, aber wir werden ihm ein Trainingsprogramm für den Sommer zusammenstellen. Im September wird er auf jeden Fall versuchen, in unser Team zu kommen.“ „Das ist ja lächerlich“, stichelte Laurie. „Andere müssen dafür jahrelang trainieren.“ „Laurie“, mischte ihre Mutter sich ein. „Das genügt. Ich verstehe nicht, warum du Simon nicht magst. Er ist ein sehr netter Junge. Nach dem Riesenstapel von Filmzeitschriften in deinem Zimmer zu urteilen, müßtest du es eigentlich wunderbar finden, deinen eigenen Gaststar im Hause zu haben.“ „Er ist höchstens ein Altstar“, widersprach Laurie sauer. „Seine Glanzzeit ist vorbei.“ Jason sprang von seinem Stuhl auf. „Wenn du nicht endlich aufhörst, so gemein zu sein, kannst du was erleben.“ „Setz dich, Jason.“ wetterte Mr. Reid. „Ich dulde nicht, daß du so mit deiner Schwester sprichst. Und was dich angeht, junge Dame, ich finde deine Einstellung Simon gegenüber schlicht und ergreifend ungehörig.“ Laurie saß auf ihrem Stuhl wie festgewachsen. Wenn ihr Vater anfing, Worte wie „ungehörig“ zu benutzen, wußte sie, daß sie besser den Mund hielt. - 34 -
„Und ich sage dir noch etwas“, fuhr Jason mit kaum weniger drohender Stimme fort. „Wenn am Freitag das Interview erscheint, hoffe ich für dich, daß es fair ist, oder du bekommst es mit mir zu tun.“ „Wieso bist du plötzlich sein Fürsprecher? Glaubst du, er kann sich nicht selber verteidigen?“ „Jetzt ist aber Schluß. Alle beide“, fuhr Mrs. Reid sie an. Nach dem Essen stellte Jason Laurie im Wohnzimmer zur Rede. „Ich will eine Kopie von dem Interview sehen. Ich traue dir nicht.“ „Vielen Dank.“ Es war sarkastisch gemeint, aber in ihrem Inneren war Laurie verletzt. „Hol's her, damit ich es lesen kann“, verlangte er. „Tut mir leid.“ Sie ging zur Tür. „Aber leider habe ich keine. Der Artikel wird bereits gesetzt. Du wirst ihn am Freitag in der Zeitung lesen können wie alle anderen auch.“ „Laurie, ich warne dich.“ „Pech gehabt.“ Sie drehte sich auf dem Absatz um und marschierte hinauf in ihr Zimmer. Dort ließ sie sich auf ihr Bett fallen, streckte sich der Länge nach aus und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Es war seltsam mit diesem Interview. Sie hatte vorgehabt, Simon auf ganz raffinierte Weise fertigzumachen. Nichts, woran sich irgend jemand hätte ernsthaft stoßen können, nur hier und da ein kleiner Seitenhieb durch die Art, wie sie ihre Fragen und seine Antworten formulierte. Eigenartigerweise war es dann jedoch ganz anders gekommen. Beim Durchlesen ihrer Notizen, stellte sie fest, daß seine Informationen ein abgerundetes Bild ergaben. Normalerweise schrieb Laurie ihre Artikel erst einmal auf Kladde. Sie änderte, korrigierte und formulierte die Sätze so lange um, bis sie mit dem Ergebnis zufrieden war. Aber das - 35 -
Gespräch mit Simon war so glatt verlaufen, daß sie es beinahe direkt in die Maschine tippen konnte. Das Resultat war ein lockerer Bericht, der ihr von Tom und Miß Alvarez ein dickes Lob einbrachte. Warum versuche ich dann absichtlich, Jason irrezuführen? grübelte Laurie. Ob er am nächsten Tag wohl etwas zu Simon sagen würde? Vielleicht würde ihr Bruder ihn vorwarnen. Würde Simon ihr böse sein? Aber das war doch lächerlich. Sobald er den Artikel gelesen hatte, würde er wissen, daß Jasons Befürchtungen unbegründet waren. Sie ging in den Flur und holte sich das Telefon in ihr Zimmer herein, die lange Schnur hinter sich her ziehend. Es war Zeit für die allabendlichen Anrufe bei Anne und Doris. Aber während sie die Nummer der O'Haras wählte, wurde Laurie plötzlich klar, wie wichtig es ihr war, was Simon von dem Interview hielt. Insgeheim war sie froh, daß sie ihre Reportage so positiv verfaßt hatte. Am Freitagnachmittag befürchtete Laurie bereits, daß ihr Artikel zu schmeichelhaft geraten war. Falls es noch irgend jemanden an der Schule nicht mitbekommen hatte, daß Simon Simpson auf die Monroe High School ging, so wußte er es nun mit Sicherheit. Der Bericht erregte großes Aufsehen, besonders bei den Mädchen. Die anderen Reporter gratulierten Laurie zu ihrem gelungenen Stil. Die meisten ihrer Freunde und Freundinnen beneideten sie um die Gelegenheit, Simon so schnell persönlich kennenzulernen. Es sprach sich auch allmählich herum, daß Simon und Jason eng miteinander befreundet waren. „Dieser Zirkus geht mir ziemlich auf den Geist“, beklagte sich Laurie auf dem Nachhauseweg bei Anne und Doris. „Wenn man den ganzen Wirbel sieht, könnte man glauben, ich hätte mit meinem Artikel den Purlitzer Preis gewonnenen“ „Wart erst mal ab bis morgen abend“, kicherte Doris. „Das - 36 -
wird der Sache erst noch den richtigen Schwung geben.“ Laurie erschrak. Sie hatte vollkommen vergessen, daß Jason am nächsten Tag Geburtstag hatte. Es würde eine große Party geben, zu der natürlich auch Simon eingeladen war. Anne und Doris standen ebenfalls auf der Gästeliste, allerdings erst auf Lauries Drängen hin. Sie hatten sich alle drei auf diesen Abend ganz besonders gefreut, denn sie fanden Jasons Freunde viel interessanter als die Jungen in ihrem Alter. „Zu dieser Fete werden bestimmt alle kommen“, stöhnte Laurie. „Das kannst du ruhig laut sagen“, Doris. „Simons Fans werden euch nur so das Haus einrennen.“ „Da macht mein Vater nicht mit“, winkte Laurie ab. „Dann muß er die Polizei holen“, sagte Doris. „Ich möchte wetten, daß die halbe Schule bei euch aufkreuzt.“ Es wurde zwar nicht ganz so schlimm, wie Doris prophezeit hatte, aber Mr. Reid mußte doch einige ungeladene Gäste an der Tür abweisen. Zum Glück war es so warm, daß sie draußen grillen und im Hof tanzen konnten. „Wenn es zu kalt wird, könnt ihr später immer noch hereinkommen“, erklärte Mrs. Reid. „Mir ist es lieber, wenn ihr euch erst mal draußen amüsiert.“ Nachdem alle gegessen hatten, begann Jason eine heiße Scheibe nach der anderen aufzulegen, und sie tanzten dazu. Die Nachtluft wurde doch noch recht frisch, und um zehn Uhr schlug Mrs. Reid vor, heißen Kakao zu machen. Laurie ging in die Küche, um ihrer Mutter zu helfen. Als sie mit einem Tablett voller Becher wieder herauskam, stand Simon plötzlich vor ihr und sagte: „Ich mach' das schon.“ - 37 -
Ehe sie noch protestieren konnte, hatte er ihr das Tablett aus der Hand genommen und verteilte die Becher an die Gäste. Laurie verzog sich in die Küche und stellte sich wieder an den Herd. Ein paar Minuten später brachte Simon das leere Tablett zurück. „Ich gehe mal eben nach Hause, um neue Platten zu holen“, verkündete er. „Hast du Lust mitzukommen?“ „Ich kann hier nicht weg.“ Laurie rührte eifrig in einem Topf herum, aber da kam auch schon ihre Mutter hinzugeeilt. „Sei nicht albern. Geh ruhig mit Simon.“ „Benötigst du wirklich meine Hilfe?“ fragte sie. Er lächelte. „Ich dachte, du könntest vielleicht mal eine Pause gebrauchen. Ein kleiner Spaziergang kann doch nicht schaden.“ Laurie zuckte die Achseln. „Okay. Wenn du meinst.“ Es dauerte nicht lange, bis sie bei Simon waren und die Platten herausgesucht hatten. Danach machten sie sich gleich wieder auf den Rückweg. Simon hatte die Platten unter seinen rechten Arm geklemmt. Während sie die dunkle Straße entlang gingen, nahm er Laurie mit der Linken bei der Hand. . „Ich bin wirklich froh, daß meine Eltern sich gerade in dieser Straße ein Haus gekauft haben“, bemerkte er. „Du meinst wegen Jason?“ fragte sie mit klopfendem Herzen. Sie fand es sehr aufregend, daß er mit ihr Händchen hielt. „Deswegen auch“, gab er zu. „Es war einfach toll, wie Jason und seine Freunde mich akzepiert haben.“ Dann wurde er ernst. „Viele Leute reagieren sehr ablehnend auf jemanden, der, wie soll ich sagen...“ „Berühmt ist“, ergänzte Laurie prompt. Er lachte unsicher. „Ja, das war's, was ich sagen wollte.“ Er schüttelte den Kopf, als ob er es nicht verstehen konnte. „Es ist fast so, als ob sie einen ohne jeden Grund hassen.“ Lauries Herz klopfte schneller. Hatte sie ihn womöglich mit - 38 -
irgendeinem Satz in ihrem Artikel gekränkt? Vielleicht hatte sie aus Versehen ein paar bissige Bemerkungen hineingebracht, die sie schon so oft hinter seinem Rücken gemacht hatte. Ob er sie zu diesem Spaziergang eingeladen hatte, um ihr die Meinung zu sagen? Nein, das war Unsinn. Wenn er sie nicht mochte, würde er doch nicht ihre Hand halten. Sie waren jetzt bei ihrem Haus angekommen und gingen über die Einfahrt auf den Hinterhof zu. Im Schatten der Garage drehte er sich plötzlich um, ließ ihre Hand los und legte ihr den Arm um die Schultern. Dann zog ,er sie an sich und überraschte sie mit einem zärtlichen Kuß, der sie atemlos machte. Als Simon schließlich den Kopf hob, starrte sie ihn einen Moment lang an. Sie war total von ihren Gefühlen überwältigt. Am liebsten hätte sie wieder die Augen geschlossen und ihn noch einmal geküßt. Langsam wurde sie sich wieder ihrer Umgebung bewußt. Sie machte einen Schritt zurück und spürte, wie eine unbändige Wut in ihr hochstieg. „Was fällt dir ein!“ schimpfte sie. „Wofür hältst du dich eigentlich? Für Robert Redfort? Sollte das eine romantische Liebesszene für deinen nächsten Film sein?“ „Moment mal, Laurie. Was hab ich dir denn getan?“ stammelte Simon verwirrt. Er sah aus, als hätte er eine Ohrfeige erhalten. „Was du mir getan hast? Du versuchst dich über mich lustig zu machen. Glaubst du, ich weiß nicht, was das für ein Spiel ist?“ „Aber Laurie, ich wollte doch nur...“ „Du hast bestimmt geglaubt, ich wäre so beeindruckt und hingerissen von dem großartigen Filmstar aus Hollywood, daß ich dir nur noch in die Arme fallen würde und...“ „Vergiß es“, unterbrach er sie eisig. Er ließ sie einfach - 39 -
stehen und ging auf den Hof, wo er Jason die Platten reichte. Laurie starrte ihm nach. Was zum Teufel war nur in sie gefahren? Schließlich hatte Simon ihr gerade einen wundervollen Kuß gegeben, um den sie sämtliche Mädchen an der Schule beneiden würden. Was war, wenn er es ernst meinte und sie echt mochte? Sie war unheimlich durcheinander. „Laßt uns drinnen weiterfeiern“, hörte sie Jason sagen. „Hier draußen wird es zu kalt.“ Daraufhin machten sie es sich im Wohnzimmer bequem. Maria Grant holte ihr Gitarre und zupfte leise eine Melodie. Bald sangen alle mit. Laurie beobachtete wie Simon zu Maria hinüberging und sich ihr zu Füßen setzte. Maria strahlte ihn verführerisch an, und er lächelte auf die gleiche Weise zurück. Maria ist garantiert sein Typ. Die beiden passen phantastisch zueinander, dachte Laurie bitter. Am anderen Ende des Raumes saßen Anne und Tom Cummings auf dem Sofa. Er hatte liebevoll den Arm um sie gelegt. Doris versuchte mit Jason zu flirten. Plötzlich kam sich Laurie schrecklich einsam vor. Sie fühlte sich ausgeschlossen und allein. Maria spielte das Lied „Greensleeves“. Nicht alle kannten den Text. Einige sangen mit, andere hatten sich gemütlich zurückgesetzt und hörten andächtig zu. Simons wunderschöne, ausgebildete Stimme war deutlich herauszuhören. Nach und nach verstummten die anderen und ließen Maria und Simon allein singen. Sobald sie geendet hatten, gab es heftigen Applaus und laute Rufe nach Zugaben. Einige riefen ihnen die Titel ihrer Lieblingslieder zu. Simon sang gutgelaunt weiter. So ein eingebildeter Affe, fluchte Laurie im stillen. Er genießt es so richtig. Was anderes war auch nicht von ihm zu erwarten. Leise ging sie zur Tür. Was hatte es denn für einen Sinn, - 40 -
dem Star hier noch weiter bei seinem Auftritt zuzusehen? Das würde ja noch stundenlang so weitergehen. Sie konnte sich genausogut schlafen legen. Niemand würde sie vermissen. Es war ja sowieso nicht ihre Party. Bevor sie hinausschlüpfte, sah sie sich noch einmal kurz um. Anne lächelte sie teilnahmsvoll an. Doch Simon warf Laurie nur einen kühlen, abweisenden Blick zu.
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4. KAPITEL Jeder schien zu wissen, daß Laurie und Simon Streit gehabt hatten. Am nächsten Morgen versuchte Jason gleich als erstes seine Schwester darüber auszufragen. „Was hast du zu ihm gesagt?“ wollte er wissen. „Nichts. Wieso?“ antwortete Laurie knapp. Sie konnte Jason unmöglich von ihrem Robert-Redford-Spruch erzählen. Wenn sie das täte, müßte sie ihm auch von dem Kuß erzählen, der vorangegangen war. Und das kam überhaupt nicht in Frage. „Du hast mir meine Geburtstagsparty verdorben“, beharrte Jason. Seine Stimme wurde mit jedem Wort lauter. „Schließlich ist Simon einer meiner besten Freunde.“ Laurie schrie ihren Bruder an, er solle sich erst einmal Klarheit darüber verschaffen, was wirklich vorgefallen war, bevor er sie beschuldigte. Daraufhin hielt ihre Mutter ihnen eine Gardinenpredigt über Streitereien unter Geschwistern. Laurie verließ das Haus und machte einen langen Spaziergang. Draußen herrschte friedliche Sonntagmorgenstimmung. Kaum war sie zurück, da erschien auch schon Simon. Jason ging auf sein Zimmer, um sein Turnzeug anzuziehen. Währenddessen unterhielt sich Simon mit Laurie und ihrer Mutter, das hieß, eigentlich redete er mehr mit Mrs. Reid als mit Laurie. Wenn sie ihn ansprach, antwortete er auf seine übliche höfliche Weise, jedoch in sehr unpersönlichem Ton. Eine gewisse unterschwellige Spannung war nicht zu überhören. Mrs. Reid bemerkte die Nervosität der beiden und warf ihrer - 42 -
Tochter einen vielsagenden Blick zu. Dann wandte sie sich an Simon und sagte betont freundlich: „ Ich habe Lauries Interview mit dir gelesen. Ich finde, es ist recht gut geworden.“ Ihre Stimme hatte einen fragenden Unterton. Laurie spürte, daß ihre Mutter etwas herausfinden wollte. Bitte nicht, fiehte Laurie innerlich. Jetzt denkt sie, Simon ist böse auf mich, weil ich in dem Artikel etwas Falsches geschrieben habe. „Warst du damit zufrieden, als es fertig war?“ erkundigte sich Mrs. Reid. Simon schüttelte den Kopf. „Das war nicht Teil der Abmachung.“ „Aber der Artikel hat dir doch gefallen?“ bohrte sie weiter. Sie klang ernsthaft besorgt. Simon sah zu Laurie hinüber. Sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos. „Ich finde, Laurie hat sich erstaunlich zurückgehalten.“ Laurie fiel es schwer, ihm in die Augen zu sehen. Sie war sich nicht ganz sicher, was er mit der letzten Bemerkung meinte. Manchmal kam er ihr viel reifer vor als die anderen Sechzehnjährigen, die sie kannte. Wahrscheinlich hing das damit zusammen, daß er die meiste Zeit seiner Kindheit unter Erwachsenen verbracht hatte. Genau in diesem Moment erschien Jason wieder in der Küche. „Komm, Simon, wir gehen.“ „Wie läuft es denn mit euch beiden?“ fragte Lauries Mutter. „Ihr verbringt ja sehr viel Zeit mit Üben.“ „Es klappt prima“, sagte Jason. „Simon ist ein Naturtalent. Wenn er dabei ist, komme ich selber auch auf Trab.“ Mrs. Reid nickte zustimmend. „Ein bißchen zusätzliches Training kann dir nicht schaden.“ „Bis September ist er so in Form, daß er in die Schulmannschaft kommt.“ - 43 -
Simon lachte verlegen. „Da bin ich mir nicht so sicher. Manchmal frage ich mich, ob ich wohl jemals solche Muskeln bekommen werde wie du.“ Jason schob ihn zur Tür. „Wart's ab, bis ich mit dir fertig bin. In ein paar Stunden kommen wir wieder, Mom. Plötzlich wandte er sich an seine Schwester: „Hey, Laurie, warum kommst du nicht mit und siehst zu? Publikum spornt mich immer an.“ Diese spontane Einladung kam völlig unerwartet für Laurie, denn Jason wollte sie sonst nie dabei haben, wenn er trainierte. Aber bevor sie noch etwas sagen konnte, mischte sich Simon ein. „Laurie hat bestimmt Wichtigeres zu tun“, sagte er. „Ich glaube kaum, daß sie sich für meine Fortschritte am Stufenbarren interessiert.“ „Das stimmt überhaupt nicht“, widersprach Laurie unwillkürlich. „Ich würde gerne zusehen.“ „Dann komm mit.“ Jason machte. eine einladende Geste und lief zur Garage. „Ich bin rechtzeitig wieder da, um dir beim Mittagessen zu helfen, Mom“, rief Laurie ihrer Mutter zu. Als Laurie im Trainingsraum ankam, war Jason schon dabei, sich auf der dicken Matte warm zu turnen. Simon rieb die Sohlen seiner Turnschuhe mit Kolophonium ein. Er trug jetzt Shorts und ein ärmelloses T-Shirt. Laurie blieb vor Bewunderung die Spucke weg. Sie war es gewöhnt, Jason im Turnzeug umherspazieren zu sehen. Aber Jasons Figur war leicht gedrungen, mit kräftigem Brustkorb und starken Oberarmmuskeln. Simon hingegen war groß und sehnig. Er hatte einen phantastischen Körper. Laurie machte es sich auf dem Fußboden bequem. Simon ging zu Jason auf die Matte und begann mit ein paar - 44 -
Streckübungen. Als nächstes kamen ein paar Handstandüberschläge. Danach gingen sie zum Barren. Laurie sah Simon voller Bewunderung zu, wie er ihrem Bruder eine komplizierte Folge von Spreizübungen nachturnte. Seine Fortschritte waren für die kurze Zeit erstaunlich. Einen Moment lang kam ihr der Gedanke, er könnte vielleicht gelogen haben, was seine Erfahrungen im Turnen betraf. Aber dann verwarf sie die Idee wieder. Simon mochte wohl eingebildet sein, aber für einen Lügner hielt sie ihn nicht. Sie sah zu, wie Jason seinen Freund durch eine Serie von Sprüngen und Überschlägen dirigierte. Simon hatte einige holprige Stellen in seinen Übungen, aber für einen Anfänger war er wirklich nicht schlecht. Jason ging die einzelnen Bewegungsabläufe mit ihm durch und erklärte ihm, was er falsch gemacht hatte. Der Unterschied zwischen den beiden war wie der zwischen einem Profi und einem Amateur. Es war offensichtlich, daß Simon gute Chancen hatte, in die Turnerriege zu kommen. Die Jungen konzentrierten sich so auf ihr Training, daß sie Lauries Anwesenheit vollkommen vergaßen. Es waren nur noch Jasons kritische Kommentare über Simons Bewegungen und das dumpfe Aufprallen ihrer Körper auf die Geräte zu hören. Schließlich gingen sie zur Matte zurück, wo sie mehrere schnelle Überschläge hintereinander machten. Als Simon ein Rad schlug, fiel er so ungeschickt auf den Rücken, daß Laurie laut lachen mußte. Jason und Simon sahen sie beide überrascht an. „Genau der richtige Moment, Publikum zu haben“, japste Simon. Dann setzte er sich auf. „Hat eure Zeitung eine Klatschspalte? Ich sehe es schon vor mir: Filmstar trainierte bis zur völligen Erschöpfung!“ Einen Moment lang dachte Laurie, er meine es ernst, dann - 45 -
bemerkte sie aber, das übermütige Funkeln in seinen Augen. „Das wird der Leitartikel der nächsten Freitagausgabe“, versprach sie feierlich, um den Gag weiter auszuspielen. Jason verstand Simons Ironie jdedoch nicht. „Der Kurier hat keine Klatschspalte“, sagte er. „Laß dich bloß nicht von Laurie auf den Arm nehmen.“ „Ich glaube, das hast du nicht richtig mitgekriegt, Jason“, erwiderte Simon, und zwinkerte Laurie zu. "Was?“ Jason starrte sie erstaunt an, und sie platzten los. Laurie fiel ein Stein vom Herzen. Während sie zum Haus zurückging, überlegte sie, woher das kam. Nicht, daß es ihr etwas ausmachte, ob Simon mit ihr böse war oder nicht. Aber wenn er sich nun sowieso die ganze Zeit bei ihnen zu Hause herumtrieb, erleichterte es doch vieles, wenn sie nicht miteinander auf Kriegsfuß standen. Was er persönlich von ihr hielt, interessierte sie nicht. Schließlich hielt sie ihn immer noch für den eingebildeten, versnobten Star. Nein, es ging ihr wirklich nur darum, mit dem Freund ihres Bruders gut auszukommen, redete Laurie sich ein. Damit konnte sie es auch begründen, daß sie Jasons Angebot angenommen hatte, sie und ihre Freundinnen am nächsten Samstag zu einem Basketballspiel mitzunehmen. Die ganze Woche über hatte Doris Laurie mit Fragen gelöchert, um herauszufinden, was auf der Party passiert war. Aber Laurie mochte nicht einmal mit ihren besten Freundinnen über die Szene mit Simon sprechen. Am meisten wurmte es sie, daß sie sich in den letzten Tagen mehrere Male dabei ertappt hatte, wie sie kurz vor dem Einschlafen wieder an jenen Kuß dachte. Sie spürte Simons Lippen auf den ihren und durchlebte noch einmal das wunderbare Gefühl. - 46 -
Im letzten Moment stellte sich heraus, daß Tom am folgenden Samstag ebenfalls Zeit hatte. Er lud Anne ein, mit ihm zu dem Basketballspiel zu gehen. Als Laurie hörte, daß sie zu viert mit dem Auto fahren würden, nahm sie sich fest vor, sich nach vorn neben ihren Bruder zu setzen.* Dann mußte Simon hinten neben Doris sitzen. Aber sie hatte nicht mit Doris gerechnet, die wie der Teufel hinter Jason her war. Anstatt zu warten, bis sie abgeholt wurde, kreuzte sie eine halbe Stunde vorher bei den Reids auf. „Ich habe gedacht, ich erspar euch die Mühe, mich abzuholen“, erklärte sie scheinheilig, da Jason sie erstaunt ansah. „Das war sehr aufmerksam von dir, Doris“, mischte Lauries Mutter sich ein. Laurie mußte sich das Lachen verkneifen. Erst als sie draußen in der Einfahrt neben dem Auto standen, wurde ihr klar, was Doris vorhatte. „Oh, guck mal“, rief Doris, „du hast deinen Pullover auf der Treppe fallen lassen.“ Laurie drehte sich um. Sie hatte vergessen, daß sie gar keinen Pullover mitgenommen hatte. Als es ihr wieder einfiel, saß Doris bereits mit der unschuldigsten Miene von der Welt auf dem Beifahrersitz. Jason schien sich über Doris' Annäherungsversuch köstlich zu amüsieren. Laurie biß vor Wut die Zähne zusammen. Sie riß die hintere Tür auf und ließ sich auf den Rücksitz fallen. Jason fuhr rückwärts aus der Einfahrt raus, und ein paar Häuser weiter zu Simons Haus. Dort hielt er und hupte kurz. Simon setzte sich nach hinten zu Laurie. Er lächelte sie freundlich an und machte ein paar beiläufige Bemerkungen über das bevorstehende Spiel. *In den USA kann man bereits mit 16 den Führerschelri machen - 47 -
Plötzlich fiel Laurie auf, daß sie ganz verkrampft dasaß. Was ist bloß mit mir los? wunderte sie sich. Seit dem Nachmittag in Jasons Trainingsraum waren sie sich mehrmals über den Weg gelaufen, und Simon hatte sie jedesmal freundlich begrüßt. Warum also war sie jetzt so aufgeregt? Auf einmal fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Wenn sie zusammen aus dem Auto stiegen, würde es so aussehen, als ob sie mit Simon verabredet wäre. Alle ihre Freunde würden das glauben. Das Ganze war ihr deshalb so peinlich, weil sie haargenau wußte, daß dies nie der Fall sein würde. Nicht, nachdem sie ihn auf der Fete so mies behandelt hatte. Laurie überkam wieder dieses Gefühl von Einsamkeit, das sie in der letzten Zeit öfter hatte. Aus irgendeinem Grund schien es mit Simon Simpson zusammenzuhängen. Als sie endlich im Stadion ihre Sitzplätze eingenommen hatten, versuchte Laurie, sich ganz auf das Spiel zu konzentrieren. Es war eigentlich nicht zu erwarten, daß die Monroe High-School noch in dieser Saison in die Endspiele kommen würde. Aber unter den jüngeren Jahrgängen gab es einige vielversprechende Talente. In der zweiten Halbzeit tauchten Anne und Tom auf. Sie setzten sich direkt vor Laurie. Um sie herum herrschte das übliche Geschrei und Gejohle, mit dem die Zuschauer ihre Spieler anfeuerten. Nur Jason schien sich überhaut nicht zu amüsieren. Erst dachte Laurie, er sei wegen Doris genervt, die ihm ständig am Arm hing und sich an ihn lehnte. Aber das machte sie schon seit Monaten. Bis jetzt hatte Jason immer nur darüber gelacht. Manchmal genoß er es regelrecht, daß sie ihn so anhimmelte. Wenn es nicht wegen Doris war, dann mußte es wohl wegen Laurie sein. Wahrscheinlich war er immer noch böse wegen der Art, wie sie Simon behandelt hatte. Irgendwie paßte das jedoch alles nicht zusammen. Seit dem Nachmittag im - 48 -
Trainingsraum war doch alles wieder in Ordnung und ein anderer Grund fiel ihr nicht ein. Ratlos wandte sie sich wieder dem Spielgeschehen zu. Es wurde überraschend ein spannendes Spiel. Die MonroeMannschaft siegte ganz knapp während der letzten Halbzeit, und ihre Fans triumphierten. Doris Stimme übertönte alle anderen. „Uff“, japste Doris und griff sich mit einer theatralischen Geste an die Kehle. „Mann, hab ich einen Durst.“ Simon sah Laurie an. „Hast du Lust, eine Cola zu trinken?“ Laurie schluckte. Es klang fast, als würde er sie um eine Verabredung bitten. Jason wollte erst nicht mit, änderte jedoch ganz plötzlich seine Meinung, als Anne und Tom sagten, sie wären ebenfalls durstig. Während sie in der Trinkhalle ihre Getränke schlurften, warf Jason ihnen grimmige Blicke zu, vor allem Doris. Laurie war jedoch so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß sie ihm keine Beachtung schenkte. Es war das erste Mal, daß sie sich mit Simon in der Öffentlichkeit sehen ließ. Übers Wochenende besserte sich Jasons Laune, aber in den darauffolgenden Tagen beobachtete Laurie wieder denselben mürrischen Gesichtsausdruck an ihm, wann immer er Doris und Anne in der Schule über den Weg lief. Jetzt war Laurie wirklich mit ihrem Latein am Ende. Sie versuchte ein paarmal, zu Hause mit ihm darüber zu reden, aber er schmetterte sie jedesmal ab. Er meinte, sie solle endlich mit ihren verrückten Spekulationen über sein Gefühisieben aufhören. Der folgende Freitag war der letzte Schultag vor den Sommerferien. Der Unterricht fiel teilweise aus, denn mittags - 49 -
fand in der Aula die Verabschiedungsfeier für die Abgangsklassen statt. Laurie saß oben in der letzten Reihe neben Anne und Doris und hörte den Reden des Direktors zu, der einer ganzen Reihe von Schülern Auszeichnungen für besondere Leistungen verlieh. „Freust du dich schon auf morgen abend?“ fragte Doris Anne im Flüsterton. Morgen war der große Abschiedsball, und Tom hatte Anne gebeten, mit ihm hinzugeben. Weder Laurie noch Doris würden dort sein. Nur wenige Mädchen ihres Jahrgangs waren eingeladen worden. Doch im nächsten Jahr würden Jason und seine Freunde ihren High-School-Abschluß machen, und dann rechnete Laurie fest mit einer Einladung. „Natürlich freue ich mich“, erwiderte Anne leise. „Sollen wir nicht vorbeikommen und dir beim Anziehen helfen?“ schlug Doris vor. Anne lachte.“Wenn du willst.“ „Du wirst bestimmt wunderhübsch aussehen“, sagte Doris und verdrehte die Augen. „Tom wird Augen machen, wenn er dich in deinem neuen Kleid sieht. Wie willst du eigentlich deine Haare tragen?“ Bevor Anne antworten konnte, kamen Simon und Jason dazu, denn der offizielle Teil der Veranstaltung war vorbei. „Wieso seid ihr nicht da vorne, um Autogramme von unseren Schulabgängern zu ergattern?“ flachste Jason. „Ist doch 'ne tolle Art, sich einen Typen zu angeln.“ „Hm, großartig“, brummte Laurie. „Wer hat denn schon daran Interesse, jemanden kennenzulernen, der nach den Ferien aufs College muß?“ „Was sitzt ihr denn dann hier rum?“ „Wir genießen den Trubel.“ „Und wo wir schon von dem Fest morgen sprechen“, - 50 -
schaltete sich Doris aufgeregt ein, „Wir werden Anne helfen, wenn sie sich für ihre Verabredung mit Tom zurechtmacht.“ Jasons Gesicht verfinsterte sich, und Laurie kapierte plötzlich, was los war. Es ist wegen Anne, dachte sie. Deshalb ist er so mürrisch. Jason ist in sie verliebt. Gerade wollte sie lachend ihre Entdeckung verkünden, als sie plötzlich Mitleid mit ihrem Bruder bekam. Anne ging schließlich mit Tom, und Laurie wußte, daß Jason niemals versuchen würde, einem anderen Jungen die Freundin auszuspannen. Jetzt verstand sie auch, warum Jason immer diesen merkwürdigen Gesichtsausdruck bekam, wenn Anne in der Nähe war. Sie konnte es ihrem Bruder nicht verdenken. Anne war wirklich in Ordnung und sah außerdem phantastisch aus. Ganz schön hart für Jason, daß sie ihn gar nicht beachtete. Anne stand auf. „Ich geh jetzt mal lieber Tom suchen“, sagte sie. „Er fängt am Montag an zu jobben, und dieses Wochenende wollen wir noch so viel Zeit wie möglich zusammen verbringen.“ Lauries Bruder sah ihr mit düsterer Miene nach, als sie die Treppen hinunterging und in der Menge verschwand. „Jason, kennst du Bob Chester?“ Doris zeigte auf einen Jungen, der in ihrer Nähe stand. Es war der Quarterback der Footballmannschaft*. „Klar“, sagte Jason, „warum?“ Doris hängte sich an seinen Arm. „Stellst du mich ihm vor?“ drängelte sie, „ich brauche ein Autogramm von ihm.“ „Aber was willst du denn von ihm?“ protestierte er. Doris sah ihn entgeistert an. „Manchmal denke ich, du bist der dümmste Typ, den ich kenne.“
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Der quarterback entspricht in etwa uriserem Stürmer
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„Danke für die Blumen.“ Jason packte sie am Arm und brachte sie zu ihrem Footballhelden. „Los komm, ich stell dich der ganzen Mannschaft vor, wenn es das ist, was du willst.“ „Was machst du eigentlich in den Sommerferien?“ fragte Simon und ließ sich neben Laurie auf der Bank nieder. Es war das erste, was er überhaupt sagte. „Nichts Besonderes“, erwiderte sie. „Ich habe keinen richtigen Job, aber Anne, Doris und ich werden im Krankenhaus als freiwillige Helferinnen arbeiten. Außerdem werde ich mit meiner Mutter wieder für einen Monat in die Berge fahren. Und du?“ „Ich werde mir einen Job suchen.“ Sie schaute ihn mitleidig an. „Dafür ist es jetzt sicher zu spät. Wenn du nichts findest, wirst du uns wohl den ganzen Sommer über das Haus einrennen.“ Kaum war es heraus, hätte sie sich am liebsten die Zunge abgebissen. Sie wollte sich entschuldigen, aber es war schon zu spät. „Keine Bange“, entgegnete er eisig. „Ich werde dir aus dem Weg gehen, wo ich kann. Oder glaubst du, ich hätte nicht kapiert, daß du mich nicht ausstehen kannst?“ Er stand auf. Laurie griff nach seiner Hand. „Bitte sei mir nicht böse, Simon“, stammelte sie. „Das war dumm von mir. Ich habe es nicht so gemeint.“ Sie war ziemlich entsetzt über sich selbst. “Manchmal rede ich schrecklichen Unsinn.“ „Das macht nichts, Laurie“, sagte er und lächelte verkrampft. „Ich muß jetzt los.“ Er drehte sich um und ging. Sie sprang auf und rief ihm nach: „Simon, bitte hör doch! Es tut mir leid, ehrlich.“ Aber er ging weiter, ohne sich noch einmal umzusehen. Laurie ließ sich auf die Bank zurückfallen. Jetzt habe ich ihn endgültig weggeekelt, dachte sie geknickt. Wenn er nie wieder - 52 -
mit mir spricht, kann ich's ihm nicht verdenken. Sie richtete sich auf und warf ihr Haar zurück. Na und? Ob Simon jetzt beleidigt war oder nicht, konnte ihr doch egal sein! Schließlich war er nichts weiter als ein Freund ihres Bruders, oder?
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5. KAPITEL Der nächste Montag war Lauries erster Tag im Krankenhaus. Zufällig hatte Anne mit ihr zusammen Dienst. Sonst arbeiteten sie jedoch alle drei zu verschiedenen Zeiten. Laurie stand im Umkleideraum und betrachtete sich in voller Größe im Spiegel. Sie lächelt ihrem Spiegelbild zu. In der rot-weiß-gestreiften Krankenpflegeruniform und den flachen weißen Schuhen sah sie frisch und adrett aus. Ihre Aufgabe für heute bestand darin, einen Wagen mit Büchern durch die Gänge zu schieben und den Patienten etwas zu lesen anzubieten. Anne mußte Botengänge für die Patienten und die Krankenhausangestellten erledigen. Als Laurie ihre Runde machte, waren einige Patienten gutgelaunt und freuten sich, sie zu sehen. Andere hingegen wollten einfach nur in Ruhe gelassen werden. An einigen Zimmern hing ein Schild „Keine Besucher!“. Mrs. Larsen hatte ihren Mädchen eingetrichtert, daß sie dort nicht hineingehen sollten. Die Zeit verflog nur so, und bevor Laurie es sich versah, stand sie wieder mit Anne im Umkleideraum. Mrs. Larsen kam herein, um sich zu erkundigen, wie der Tag verlaufen war. „Es hat Spaß gemacht“, berichtete Laurie. „Einige haben sich sehr gefreut, mich zu sehen und jemanden zum Klönen zu haben. Ich weiß jetzt, wie wichtig diese Arbeit ist.“ „Das stimmt“, sagte Mrs. Larsen. „Besonders die älteren Patienten haben gerne Besuch. Wenn ihr ein bißchen länger hier seid, könnt ihr vielleicht auch schon mal bei der Therapie - 54 -
aushelfen.“ Laurie und Anne sahen sich erstaunt an. „So richtig bei der Behandlung?“ fragte Anne zweifelnd. „Dafür sind wir doch gar nicht ausgebildet.“ „Nein, nein“, beruhigte Mrs. Larson sie. ;,Ich spreche doch nicht von der ärztlichen Behandlung. Wir führen hier im Krankenhaus eine Beschäftigungstherapie durch, um denPatienten bei der Wiedereingliederung in den Alltag zu helfen, obwohl wir für eine wirklich intensive psychologische Betreuung eigentlich nicht genügend ausgerüstet sind.“ „Ich verstehe nicht, was Sie meinen“, gestand Laurie. „Kommt mit, dann zeige ich es euch.“ Mrs. Larsen fuhr mit ihnen in den siebten Stock hinauf, wo sich das Solarium befand. Die Sonne schien durch die gläsernen Wände herein, der Raum wirkte hell und freundlich. Von der Decke hingen weiße Bastkörbe, mit üppigen Farnen herab. In der einen Ecke spielten drei ältere Herren an einem kleinen Tisch Skat. An einem anderen Tisch saß ein etwa fünfzehnjähriges Mädchen, das eifrig mit Schere, buntem Papier und Klebstoff beschäftigt war. „Das ist Andrea“, stellte Mrs. Larsen sie vor.“ Sie hilft uns bei den Dekorationen für den Nationalfeiertag.“ „Diese Girlanden sind für die Eingangshalle und die Kinderstation“, erklärte Andrea. „In den Ferien komme ich nach Hause, aber es wird bestimmt Spaß machen, das hier aufzuhängen, noch bevor ich entlassen werde.“ „Gute Idee“, sagten Laurie und Anne wie aus einem Munde. „Unser neuestes Projekt ist die Handarbeitsgruppe“, erzählte Mrs. Larsen. „Es gibt schon eine lange Warteliste von Patienten, aber wir haben nicht genug Anleiter.“ „Ich kann stricken“, bot Laurie an. Der Gedanke, einen bedeutsamen Arbeitsbeitrag zu leisten, begeisterte sie plötzlich. - 55 -
„Anne und Doris können auch stricken. Wir helfen gerne.“ Mrs. Larsen schien erleichtert. Dann sagte sie: „Aber ich muß euch warnen, es gehört nicht zu eurem normalen Arbeitsdienst. Die Handarbeitskurse finden jeden Morgen von elf bis zwölf Uhr statt. Wenn ihr sowieso gerade Dienst habt, freuen wir uns natürlich, aber es wäre auch nett, wenn ihr uns an euren freien Tagen helfen könntet. Natürlich nicht jeden Tag“, fügte sie schnell hinzu, als sie den zweifelnden Blick bemerkte, den Anne und Laurie austauschten. „Nur wenn ihr wie in den Ferien vormittags frei habt.“ Laurie war erleichtert. „Klar“, sagte sie. „Wir kommen gern mal.“ „Und bringt bitte Wollreste und Stricknadeln mit“, fuhr Mrs. Larsen fort, während sie zum Fahrstuhl zurückgingen. „Wir haben nie genug davon.“ „Eine Freundin meiner Mutter hat einen Wolladen in der Innenstadt. Ich werde sie mal fragen, ob sie wohl etwas stiften könnte“, schlug Anne vor. „Das wäre wunderbar. Vielen Dank.“ Mrs. Larsen winkte ihnen noch einmal freundlich zu und eilte dann zurück in ihr Büro. „Das macht bestimmt Laune“, bemerkte Laurie, während sie zur Bushaltestelle schlenderten. „Ich habe schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gestrickt. Weißt du noch, wie wir vor ein paar Jahren zu Weihnachten Schals gestrickt haben?“ „Und sie sind gar nicht mal so schlecht geworden“, erwiderte Anne lachend, „wenn man bedenkt, daß wir zu der Zeit erst elf Jahre alt waren.“ Der Bus kam, und sie stiegen ein. Nachdem sie sich in die letzte Reihe gesetzt hatten, fragte Laurie nachdenklich: „Glaubst du, daß andere Kinder auch so viele verrückte Sachen gemacht haben wie wir früher? Oder meinst du, daß wir immer - 56 -
soviel angestellt gehabt haben, weil wir zu dritt waren?“ Anne kicherte. „Einige von unseren Geistesblitzen waren wirklich ganz schön ausgeflippt.“ „Die kamen alle von Doris.“ Laurie verzog das Gesicht in komischer Verzweiflung. „Meine Einfälle fand ich eigentlich sehr realistisch.“ „Das waren sie auch“, seufzte Anne. „Ich glaube, ich habe nie irgendwelche Ideen gehabt. Ich habe mich euch immer nur angeschlossen.“ „Das stimmt nicht“, behauptete Laurie. „Ich sehe das anders.“ Anne runzelte leicht die Stirn. „Was meinst du denn damit?“ Laurie überlegte einen Moment. „Nun, Doris hat witzige Ideen, meine sind praktisch, aber deine haben meistens damit zu tun, jemand anders zu helfen. „Hör auf, Laurie“, widersprach Anne. „Du machst ja fast eine Heilige aus mir.“ „Nein“, sagte Laurie ernst. „Nur einen lieben Menschen.“ Anne spielte nervös mit ihrem Portemonnaie. „Bald wirst du deine Meinung bestimmt ändern.“ „Wovon sprichst du?“ Laurie sah sie fragend an. „Ich werde etwas tun, was euch beiden nicht gefallen wird.“ „Komm schon, Anne“, ermutigte Laurie sie. „Heraus damit! Was ist los?“ Anne hob den Kopf und blickte Laurie ins Gesicht. „Es hat mit Tom zu tun“, erklärte sie zaghaft. „Ich werde mit ihm Schluß machen.“ Laurie war so überrascht, daß es ihr für einen Moment die Sprache verschlug. „Anne, was ist denn passiert?“ flüsterte sie. „Bist du sicher, daß du weißt, was du tust?“ Anne nickte. Laurie lehnte sich in ihrem Sitz zurück. „Das kann ich nicht glauben“, sagte sie leise. „Du hast dich so gefreut, als du zum erstenmal mit Tom verabredet warst. Und ihr seid schon so - 57 -
lange zusammen.“ „Ich weiß.“ Anne wirkte bekümmert. „War irgend etwas auf der Abschlußfeier? Du hast nicht viel davon erzählt, außer, daß es schön war. Jedenfalls kann man kaum behaupten, daß du davon geschwärmt hast, wie Doris oder ich es getan hätten.“ „Es war wirklich dufte“, bestätigte Anne.“ Aber das war alles. Laurie, du bist die einzige, die mich verstehen kann“ Sie lachte ein wenig. „Jedenfalls würde ich es bestimmt nicht Doris erzählen. Weißt du, was ich glaube? Ich habe mir eingeredet, in Tom verliebt zu sein, weil er älter ist als ich und... Nun, du weißt schon, was ich meine.“ „Weil er so nett ist“, ergänzte Laurie. „Er ist echt in Ordnung, und deshalb sollte ich mit ihm Schluß machen. Er schmiedet lauter Pläne, was wir in diesem Sommer alles zusammen machen werden. Ich komme mir schon fast wie eine Betrügerin vor, weil ich nicht in ihn verknallt bin.“ „Aber er ist verrückt nach dir, Anne. Das weißt du doch.“ „Es ist nicht richtig.“ Anne blieb hartnäckig und machte ein entschlossenes Gesicht. Laurie sah, daß ihre Freundin nicht mehr über Tom sprechen wollte, und wechselte das Thema. Als sie aus dem Bus ausstiegen, lud Laurie Anne ein, bei ihr Mittag zu essen. „Und danach gehen wir an den Strand“, schlug sie vor und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Heute ist ein Superwetter zum Braunwerden.“ Anne stimmte zu. Nach einem kurzen Imbiß gingen sie zu Annes Haus, um ihren Badeanzug zu holen und radelten dann zum Strand hinunter. „Jobbt Jason diesen Sommer wieder im Sand Castle?“ - 58 -
erkundigte sich Anne, während sie eine Decke auf dem warmen Sand ausbreiteten und sich mit Sonnenschutzmittel eincremten. „Ja.“ Laurie verteilte die weiße Lotion gleichmäßig auf ihren Armen. „Es ist ein viel zu guter Job, um ihn sausen zu lassen. Er hat gerade heute morgen angefangen.“ Anne sah zu dem Restaurant an der Straße hinauf. „Arbeitet Jason da oben, oder steht er wieder hier unten am Strand im Imbiß wie letztes Jahr?“ „Im Imbiß.“ Jason arbeitete jetzt schon den vierten Sommer über für das Sand Castle. Mit dreizehn hatte er angefangen. Damals mußte er fegen und die Mülleimer leeren. Inzwischen hatte er sich zum Hilfskoch hochgearbeitet, und war unten am Strand für den Grill zuständig. „Jason nervt manchmal ganz schön“, sagte Laurie. „Aber eins muß man ihm lassen. Seine Hamburger sind Spitze.“ Eigentlich hatte er gehofft, sie würden ihn dieses Jahr kellnern lassen. Beim Bedienen verdient man viel mehr, allein schon wegen des Trinkgelds.“ „Willst du ihn nicht mal kurz besuchen?“ fragte Anne. „Nicht jetzt.“ Die Hitze machte Laurie müde, und sie streckte sich faul auf ihrer Decke aus. „Vielleicht später nach dem Schwimmen“, versprach sie. Anne legte sich neben sie. „Denk dran, wir müssen heute vorsichtig sein. Es ist unser erster Tag in der Sonne.“ „Mach dir keine Sorgen“, murmelte Laurie. Die Sonne und die Seeluft machten sie schläfrig. Sie träumte vor sich hin und mußte bald wieder an ihre Unterhaltung mit Anne im Bus denken. Sie überlegte sich, wann Anne wohl bemerkt hatte, wie ihre wirklichen Gefühle für Tom waren. Wie schade. Die beiden waren ihr immer wie ein perfektes Paar vorgekommen. Sie lächelte vor sich hin. Wenn sie nun Jason einen Wink gab? Ihr Bruder und ihre beste Freundin... Das wäre schön. Nein, entschied sie dann und drehte sich auf den Rücken, - 59 -
um sich auch dort zu bräunen. Das mußten Anne und Jason allein bewerkstelligen. Das letzte, was ihr noch fehlte, war, in die Liebesgeschichten von andern verwickelt zu werden. Sie hatte genug mit ihren eigenen Problemen zu tun. In diesem Moment hörte sie jemanden durch den Sand schlurfen. Als sie die Augen öffnete, sah sie zwei nackte Füße vor ihrem Gesicht. Sie setzte sich auf die Knie und erkannte Simon, der sie übermütig anlachte. „Was machst du denn hier“, fragte sie entgeistert. „Du hast mich zu Tode erschreckt.“ Er hockte sich im Schneidersitz vor sie hin. „Jason hat mir gesagt, daß du wahrscheinlich hier bist“, erklärte er. „Da wollte ich mal sehen, ob das stimmt.“ „Tag, Simon“, war nun Annes Stimme zu hören. „Arbeitet Jason?“ „Ja. Ich habe gerade Pause.“ „Was für eine Pause?“ hakte Laurie nach.“ Jobbst du etwa auch hier?“ „Ja. Jason hat mich heute morgen seinem Chef vorgestellt, und der hat mich sofort genommen.“ Laurie zog die Augenbrauen hoch. „Wahrscheinlich bist du jetzt seine Hauptattraktion hinter der Bar.“ Simon kniff beleidigt den Mund zusammen und wollte aufstehen, aber Laurie hielt ihn zurück. „Tut mir leid, Simon. Das war wieder mal meine große Klappe. Ich hoffe, du kannst mir noch einmal verzeihen.“ Er schüttelte den Kopf und mußte grinsen. „Eigentlich hast du sogar recht“, gestand er. „Der Chef hat mich sofort erkannt. Er konnte gar nicht glauben, daß ich tatsächlich in seinem Imbiß arbeiten wollte.“ „Was hast du ihm erzählt?“ fragte Anne. „Die Wahrheit“, sagte Simon. „Daß ich nicht mehr beim Film bin und mein Taschengeld aufbessern möchte.“ - 60 -
„Kann doch nicht schaden, wenn alle Mädchen an diesem Stand herumhängen, nicht wahr?“ neckte Laurie ihn. Aber diesmal war es offensichtlich, daß sie nur Spaß machte. Simon blieb bei ihnen, bis seine Pause um war. Danach gingen Anne und Laurie ins Wasser, schwammen ein bißchen und beschlossen dann nach Hause zu fahren. Für den ersten Tag am Strand hatten sie genug Sonne abgekriegt. Sie schlenderten kurz zum Imbiß hinüber, um sich von Jason und Simon zu verabschieden, und schwangen sich auf ihre Fahrräder. Sobald Jason wieder zu Hause war, fragte Laurie ihn, warum er denn nichts davon erwähnt hatte, daß er Simon den Job besorgt hatte. „Ich dachte, es würde dich nicht interessieren“, sagte Jason. „Schließlich erzählst du ständig allen Leuten, wie sehr er dir zuwider ist. Warum solltest du wohl plötzlich wissen wollen, wo er im Sommer arbeitet?“ „Ach Quatsch“, entgegnete Laurie. „Ich finde nur...“ „Du weißt überhaut nicht, was du findest.“ Jason machte ein verächtliches Gesicht. „Du hast eine große Sache daraus gemacht, wie eingebildet er angeblich ist, bevor du ihn überhaut kanntest. Jetzt hast du gemerkt, daß du dich geirrt hast und kannst nicht mehr zurück. Und deshalb läßt du ständig diese blöden Sprüche über ihn vom Stapel.“ „Ich mache keine Sprüche“, widersprach Laurie eingeschnappt. „Und Simon versteht mich schon richtig.“ „O nein, wirklich?“ spottete Jason. „Da bin ich aber froh. Sonst kapiert es nämlich niemand.“ „Es geht ja auch niemanden etwas an“, versetzte Laurie. „Halt du dich da gefälligst raus.“ „Ich misch mich doch gar nicht ein.“ „Warum streitest du dann mit mir?“ „Nun mach aber mal einen Punkt“, protestierte Jason. „Du - 61 -
hast mir eine Frage gestellt, und ich habe dir geantwortet. Von dem Job habe ich dir nichts erzählt, weil ich dachte, es würde dich sowieso nicht interessieren. Können wir das Thema hiermit beenden?“ „Mit dem größten Vergnügen.“ Laurie kochte. Sie war sich nicht ganz sicher, ob wegen Jason oder Simon. Als Simon an dem Abend vorbeikam, war sie nervöser denn je. Wie war es möglich, daß sie sich so freute, ihn zu sehen, und gleichzeitig so wütend auf ihn war? „Geht ihr heute irgendwohin?“ erkundigte sie sich. „Warum?“ Jason klang mißtrauisch. „Weil ich mit Anne bei Doris verabredet bin“, erklärte sie geduldig. „Wenn ihr sowieso wegfahrt, könntet ihr mich doch dort absetzen, dann braucht Dad es nicht zu tun.“ Jason dachte einen Moment lang nach. „Okay. Wir haben wohl gerade noch genug Zeit dafür.“ Er sah Simon fragend an. „Was meinst du?“ „Ist mir recht“, erwiderte Simon. „Okay. Sag Mom, daß ich dich mitnehme, und komm dann zum Auto.“ Er ging hinaus, und Simon folgte ihm. Laurie schnappte sich ihre Tasche und sagte ihren Eltern rasch gute Nacht. Da Simon vorne neben Jason saß, setzte Laurie sich nach hinten. „Wenn du nach Hause willst, mußt du Dad anrufen“, kündigte Jason an. „Wieso? Habt ihr irgend etwas Besonderes vor?“ Jason sah kurz in den Rückspiegel. „Wir sind zu einer Party eingeladen, und ich habe keine Lust, früher zu gehen, bloß weil ich meine kleine Schwester heimbringen muß.“ „Du tust gerade so, als wäre ich erst sechs.“ Bestimmt lachte - 62 -
Simon insgeheim über sie. „Ich bin schließlich nur ein Jahr jünger als du.“ „Gib nicht so an, Laurie“, sagte Jason. Auf einmal hielten sie. Bevor sie noch etwas sagen konnte, hatte Simon schon die vordere Tür geöffnet.“ Bin gleich wieder da.“ „Wer wohnt denn hier?“ wunderte sich Laurie. Sie war noch nie in dieser Straße gewesen. „Maria Grant“, antwortete Jason. „Sie geht mit uns zur Fete.“ „Oh.“ Plötzlich kam sich Laurie furchtbar überflüssig vor. Das Gefühl wurde noch stärker, als Simon mit Maria Grant herauskam, die sich sofort zwischen die beiden Jungen setzte. „Hallo, Laurie“, grüßte Maria flüchtig. „Du kommst doch nicht mit uns zur Party, oder?“ „Auf keinen Fall“, beruhigte Jason sie. „Auf dieser Fete haben Mittelstufler nichts zu suchen. Ich setze sie nur bei einer Freundin ab.“ „Ach so.“ Maria klang erleichtert. Sie lächelte Simon an und rutschte ein Stück näher an ihn heran. „Wie schön, daß du mal meine Eltern kennengelernt hast.“ Ach, du meine Güte, stöhnte Laurie innerlich. Hoffentlich sind wir bald bei Doris, damit ich mir dieses Geturtel nicht noch länger anhören muß! Ein paar Minuten später hielt Jason vor Doris Haus, und Laurie sprang hinaus. „Macht's gut, Leute. Viel Spaß.“ Sie warf die Tür hinter sich zu. Als sie den Rasen überquert hatte, war der Wagen schon wieder davongeprescht. „Die scheinen es ja eilig zu haben, mich loszuwerden“, murmelte sie vor sich hin. Doris öffnete ihr die Tür, bevor Laurie klingelte. „Mit wem sprichst du?“ fragte sie verdutzt. „Mit mir selbst.“ Laurie ging hinein. „Das tun alle Genies, - 63 -
Wußtest du das noch nicht?“ Doris kicherte und führte Laurie ins Wohnzimmer, wo Anne schon auf einer Couch hockte. „Wie bist du hergekommen? Hat dein Vater dich hergebracht?“ „Jason hat mich abgesetzt“, erwiderte Laurie kurz. „Genauer gesagt, Jason, Simon und Maria Grant.“ „Welch ein Trio!“ rief Doris theatralisch aus. „Die drei sind heute nicht gerade mein Lieblingsthema. Können wir nicht endlich mal von etwas anderem reden?“ „Du hast immer noch etwas gegen Simon, nicht wahr?“ bemerkte Anne und musterte Laurie. „Er ist ein eingebildeter Affe“, entgegnete Laurie kühl. „ich hab's euch ja gleich gesagt. Eines Tages werde ich noch einmal allen vorfuhren, wie er wirklich ist.“ „Wenn er tatsächlich so arrogant ist, wie du behauptest, werden es die anderen schon von ganz allein bemerken“, sagte Anne. „Laß es mich so formulieren: ich würde ihnen gern dabei auf die Sprünge helfen“, meinte Laurie bissig. Und jetzt laßt uns endlich mal über was Interessantes sprechen.“ Die beiden ließen bereitwillig das Thema fallen. Dennoch fand Laurie es unheimlich schwer, nicht an Simon zu denken.
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6. KAPITEL Am Samstag ging Laurie allein zum Strand. Jason hatte sie mit dem Auto hingefahren, aber es war ihr nicht einmal eingefallen, Anne und Doris zu fragen, ob sie mitkommen wollten. Sie fühlte sich deprimiert, wußte aber nicht, warum. Am Morgen war sie zur Handarbeitsgruppe gegangen, obwohl sie eigentlich frei hatte. Zu ihrem Erstaunen warteten zwölf Patienten auf sie, darunter drei Männer. Die Jüngste war ein fünfzehnjähriges Mädchen. Die anderen waren jedoch bereits älter. Von den Frauen konnten bis auf eine bereits alle stricken. Inzwischen war Laurie klar geworden, was Mrs. Larsen gemeint hatte, als sie sagte, es handele sich mehr um emotionale Betreuung. Während sie nun in dem warmen Sand lag, mußte sie immerzu an die Gruppe denken. Bei den meisten Leuten wußte sie nicht, an was für einer Krankheit sie litten. Das junge Mädchen sagte, es sei zur Beobachtung da. Laurie hatte vorsichtshalber auf weitere Fragen verzichtet. Einige Patienten waren schon eine ganze Zeit im Krankenhaus und rechneten mit ihrer baldigen Entlassung. Zwei der Frauen erzählten, daß sie danach in ein Altersheim gehen würden. Laurie mußte an das letzte Weihnachtsfest denken. Damals hatte sie mit ihrer Pfadfindergruppe in einem Altersheim gesungen. Die Alten waren so glücklich und dankbar für das kleine bißchen Unterhaltung gewesen. Denselben Eindruck hatte sie von ihrer Handarbeitsgruppe. Die Kranken kamen nicht, um etwas zu lernen, sie wollten nur ein - 65 -
wenig Abwechslung und Gesellschaft haben. Den älteren Leuten schien es mehr Spaß zu machen, wenn es auch ein paar junge Gesichter in der Runde gab. Laurie nahm sich fest vor, diesen Sommer so oft wie möglich in die Gruppe zu gehen und dafür zu sorgen, daß Anne und Doris mitkamen. Sie war immer noch ganz in Gedanken -versunken, als sie merkte, wie sich jemand neben ihr auf einem Handtuch niederließ und sie absichtlich mit Sand berieselte. Da sie annahm, es wäre Jason, öffnete sie gar nicht erst die Augen. „Laß mich in Ruhe“, sagte sie mürrisch. „ich bin heute nicht in der Stimmung für deine blöden Späße.“ „Das war kein Spaß. Ich hab's ernstgemeint.“ Laurie erkannte die Stimme sofort und setzte sich mit einem Ruck auf. „Hallo, Simon. Ich wußte nicht, daß du es bist.“ „Ja“, lachte er „Das habe ich mir gedacht. Was machst du denn hier so ganz alleine?“ Sie ließ sich zurückfallen und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Ich hatte das Bedürfnis, mal ungestört zu sein“, gab sie zu, „ich bin in einer komischen Stimmung.“ Simon wollte aufstehen. „Tut mir leid. Ich wollte nicht...“ „Nein.“ Ohne nachzudenken, griff sie nach seiner Hand und hielt ihn zurück. „Bitte bleib. Du störst mich nicht.“ Für einen Moment schwiegen sie. Nachdenklich betrachteten sie die Wellen, die in beruhigendem Rhythmus an den Strand rollten. Trotz des herrlichen Sommerwetters war der Strand heute fast leer. Von dem Geschrei einiger Kinder abgesehen, war es ruhig. Laurie blickte zum Horizont. „Du bist so nachdenklich heute“, stellte Simon schließlich fest. „Ist etwas nicht in Ordnung? Warum erzählst du es mir nicht? Vielleicht kann ich dir helfen.“ Laurie schüttelte den Kopf. „Es ist eigentlich kein Problem“, - 66 -
winkte sie ab. Aber dann raffte sie sich doch auf und berichtete ihm von ihrer Arbeit im Krankenhaus. Zu ihrer eigenen Überraschung versagte ihr die Stimme. „Es ist so traurig“, sagte sie mit Tränen in den Augen. „Ich weiß, daß dieses Mädchen ernsthaft krank ist. Man braucht sie nur anzusehen, um das zu wissen, so blaß und dünn ist sie.“ Sie sah Simon betroffen an. „Sie ist erst fünfzehn. So etwas sollte in unserem Alter nicht passieren.“ „Leider geschieht das nun einmal“, sagte Simon leise. „Wir sind uns dessen nur nicht bewußt, weil wir zu den Glücklichen gehören, die gesund sind.“ „Aber es ist nicht fair“, wandte Laurie ein. „Und dann diese beiden alten Frauen, die ins Altersheim müssen. Ich weiß, daß sie es nicht wollen, aber sie haben keine andere Wahl.“ „Nun komm schon, beruhige dich.“ Simon lehnte sich zu ihr hinüber und legte den Arm um sie. „Wenn du in einem Krankenhaus arbeitest, kannst du dich nicht wegen jedem Patienten so aufregen.“ Laurie lehnte sich an seine Brust. „Ich weiß“, gab sie zu. „Wenn ich dort bin, bin ich auch ganz anders. Ehrlich, ich würde nie etwas tun, was die Kranken beunruhigen könnte.“ Als sie sich umdrehte, war sie erstaunt über seinen Gesichtsausdruck. Er sah sie an, als wäre sie für ihn der wichtigste Mensch auf der Welt. Ihr Herz begann wie wild zu klopfen. Sie rückte von ihm weg und setzte sich aufrecht hin. „Okay“, scherzte sie. „Jetzt weißt du alles über Laurie Reid, die alte Heulsuse.“ „Ich finde es wunderbar, daß du so am Schicksal anderer Leute teilnimmst“, erwiderte Simon. „Es gibt viele Mädchen in deinem Alter, die sich für nichts anderes interessieren als für ihr Aussehen oder ihre Verabredungen.“ „Jetzt klingst du wie ein weiser alter Mann“, witzelte sie. - 67 -
„Na, na“, wehrte er ab. „Aber ich mag nun mal keine oberflächlichen Typen.“ Da kommt gerade eine, schoß es Laurie durch den Kopf, als sie Maria Grant die Treppe zum Strand hinuntergehen sah. Anscheinend hatte Simon sie noch nicht entdeckt. Er stubste Laurie leicht am Arm. „Es gibt etwas, worüber wir beide miteinander reden müssen“, sagte er. „An dem Abend, auf Jasons Party, als wir zu meinem Haus gegangen sind, um die Platten zu holen...“ Laurie ahnte sofort, was jetzt kommen würde und stellte sich dumm. „Ich weiß immer noch nicht, warum du wolltest, daß ich mit dir gehe, Simon. Die beiden Platten hättest du doch gut alleine tragen können.“ Sie lachte ein wenig zu laut. „Das heißt, du hast sie dir ja auch unter den Arm geklemmt.“ „Laurie, das meine ich nicht. Ich möchte wissen, warum du so wütend geworden bist, als ich dich geküßt habe.“ „Ich weiß nicht.“ Sie senkte verlegen den Kopf und sah auf ihre Hände. Dann schaute sie ihm trotzig ins Gesicht. „Ich war sauer auf dich, weil ich dachte, küssen ist für dich so ne Art Sport. Der große Star...“ Simon sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren. „Du hast ja eine wahnsinnig gute Meinung von mir!“ „Warum hast du es dann getan? Ich bin doch nicht deine Freundin. Du kennst mich kaum.“ Simon lachte lauthals. „Glaubst du wirklich all den Quatsch, den du da erzählst?“ Jetzt war Laurie beleidigt. „Wenn ich dir so etwas sage, dann deshalb, weil es wahr ist, und du tätest gut daran, mich ernst zu nehmen“, entgegnete sie laut. „Meine Güte, warum schreit ihr denn so?“ Maria Grant stand vor ihnen, schön und sexy, in einem hautengen dunkelblauen Badeanzug. - 68 -
Simon sprang auf die Füße, ganz Gentleman. Laurie beobachtete die beiden mit spöttischem Gesicht. Maria war zwar ein Biest, aber an ihrer Figur gab es nichts zu meckern. Sie hatte ihre Kurven an den richtigen Stellen. Laurie kam sich plötzlich wie ein dürres kleines Mädchen vor. „Darf ich mich zu euch setzen?“ fragte Maria, während sie bereits ihr Handtuch neben Lauries ausbreitete. „Scheint ja niemand sonst von der Clique hier zu sein.“ Laurie lächelte sie süßlich an. „Ich wußte gar nicht, daß wir in denselben Kreisen verkehren.“ Maria zog eine Augenbraue hoch. „Das tun wir auch nicht, Laurie. Ich sprach gerade mit Simon.“ „Oh.“ Laurie ließ sich auf ihr Handtuch zurückfallen. „Habt ihr ihn in euren exklusiven Club aufgenommen? Da ist er ja sicher begeistert.“ Simon machte ein unbeteiligtes Gesicht. Entweder war ihm die eisige Atmosphäre zwischen den beiden Mädchen gar nicht aufgefallen, oder er wollte nicht in einen Streit hineingezogen werden. Als er dieses Mal aufstand, sah Laurie, daß er wirklich gehen wollte. „Ich muß wieder zurück an meinen Stand“, erklärte er. „Ich habe lange genug Pause gemacht. Macht's gut, ihr beiden. Bis später.“ „Okay, Maria“, sagte Laurie gelangweilt. „Simon ist weg, und du kannst wieder abziehen.“ „Wie meinst du das denn?“ fragte Maria in gespielter Ahnungslosigkeit. „Ich weiß, daß du dich nicht meinetwegen hierhergesetzt hast“, erwiderte Laurie. „Ich hab nun mal einfach nicht euer Niveau.“ „Laurie Reid, manchmal benimmst du dich wie eine Zweijährige.“ Maria schloß die Augen und hielt ihr Gesicht in - 69 -
die Sonne. „Deshalb hast du es so schwer mit Simon. Du bist viel zu unreif für ihn.“ Laurie war sprachlos vor Erstaunen. Maria kam jetzt richtig in Fahrt. „Er interessiert sich sehr für mich. Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir fest miteinander gehen. Da bin ich mir ganz sicher.“ Ihre Stimme klang sehr selbstbewußt. „Wahrscheinlich noch bevor im September die Schule wieder anfängt.“ Laurie hatte sich von ihrem ersten Schock wieder erholt. „Weiß Simon schon von seinem Glück?“ fragte sie unschuldig. Maria setzte sich auf und starrte sie entgeistert an. „Werd bloß nicht frech zu mir, Laurie. Ich kenne deine spitzen kleinen Bemerkungen. Glaub bloß nicht, nur weil Jason dein Bruder ist, könntest du dir die Typen aus der Oberstufe angeln.“ Laurie fiel keine passende Antwort ein, und sie beschloß, Maria einfach nicht mehr zu beachten. Sie legte sich hin und schloß die Augen. Laurie hatte erwartet, daß Maria gehen würde, aber die streckte sich statt dessen wieder in der Sonne aus. Für einen Moment herrschte Schweigen. Plötzlich sagte Maria ganz beiläufig, so als hätten sie sich überhaut nicht gestritten: „Simon muß ja ein aufregendes Leben in Kalifornien geführt haben.“ „Nicht nach dem, was er mir erzählt hat“, erwiderte Laurie. „Er wohnte zwar in Kalifornien, aber er war nur zu Dreharbeiten in Los Angeles, sonst nicht. Viele seiner Filme sind in Studios irgendwo in der Walachei entstanden.“ Maria rutschte unruhig hin und her. „Glaubst du, daß er dir in dem Interview die Wahrheit erzählt hat?“ Ihrem Ton nach zu urteilen, zweifelte sie daran. Laurie öffnete die Augen. „Klar. Warum sollte er nicht?“ „Ich weiß nicht. Mir scheint, daß all diese wilden Geschichten über Hollywoodstars ein Fünkchen Wahrheit - 70 -
enthalten müssen.“ „Aber doch nicht, wenn jemand minderjährig ist“, widersprach Laurie. „Es gibt so viele Gesetze gegen Kinderarbeit. Und außerdem habe ich Simons Mutter kennengelernt. Sie ist eine imponierende Frau, und ich glaube kaum, daß sie zulassen würde, daß Simon in so etwas verwickelt wird.“ „Wahrscheinlich hast du recht. Nur...“ Maria machte eine kurze Pause. „Hat er dir irgend etwas erzählt, was nicht in dem Artikel steht?“ „Aber nicht“, erwiderte Laurie ohne langes Nachdenken. „Ich hätte gar nicht genug Platz gehabt, um all seine Stories zu drucken.“ Maria setzte sich ruckartig auf. „Kann ich deine Notizen lesen?“ fragte sie begierig. „Schließlich bin ich Reporterin, und ich würde...“ Laurie mußte sich unheimlich zusammennehmen, um nicht laut loszulachen. Maria war ihr voll auf den Leim gegangen. Laurie hatte schon geahnt, daß es einen Grund geben mußte, warum Maria nicht sofort gegangen war, nachdem Simon zu seinem Imbißstand zurück mußte. Jetzt war ihr alles klar. Simon hatte Maria offenbar zu verstehen gegeben, daß er nicht mehr über seine frühere Karriere sprechen wollte. Somit war Laurie die einzige Informationsquelle, und deshalb versuchte Maria natürlich, soviel wie möglich aus ihr herauszubekommen. „Es waren ein paar ganz schön verrückte Geschichten darunter“, meinte Laurie betont geheimnisvoll. „Aber ich mußte ihm hoch und heilig versprechen, niemandem ein Wort zu verraten.“ Als sie Marias enttäuschtes Gesicht sah, konnte sie ein Kichern nicht unterdrücken. Jetzt merkte auch Maria, daß Laurie sie nur an der Nase - 71 -
herumführte. „Ich habe genug von dir, Laurie Reid! Nimm dich in acht, oder ich sorge dafür, daß du nächstes Jahr aus der Redaktion fliegst. Und wenn ich das nicht schaffe“, fauchte sie, „mache ich dir das Leben so zur Hölle, daß du dir noch wünschen wirst, man hätte dich rausgeschmissen.“ Sie sprang auf, riß ihr Handtuch hoch, wobei sie Laurie mit einer Fuhre Sand bedachte, und marschierte wütend auf den Imbißstand zu. Laurie beobachtete, wie Simon hinter dem Tresen hervorkam und Maria mit einer Cola heranwinkte. Maria strahlte ihn an und rannte ihm entgegen. Wie rührend, ärgerte sich Laurie. Der perfekte Kavalier, wie immer. Dabei sitze ich hier seit einer Stunde, und er ist noch nicht auf die Idee gekommen, mir etwas zu trinken anzubieten. Sie wandte sich ab und starrte wieder aufs Meer hinaus. Tausend Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Einerseits wollte sie natürlich Simons Aufmerksamkeit erregen. Wenn er sich ihr jedoch direkt zuwandte, war sie meistens durch irgend etwas verärgert und wies ihn ab. Sie verstand immer noch nicht, warum er sie an jenem Abend geküßt hatte. Schließlich hatte er seitdem keinen Annäherungsversuch mehr gemacht. Andererseits hatte sie ihm aber auch kaum Gelegenheit dazu gegeben. Es schien nur eine Erklärung für sein Verhalten zu geben. Da er seit seiner Geburt ein Star war, brauchte er es eben, daß die Fans ihn bewunderten. Besonders die Mädchen. Selbst wenn es sich bloß um die kleine Schwester seines besten Freundes handelte. Simon und Maria standen am Tresen und unterhielten sich lachend. Das Traumpaar des Jahres, grollte Laurie innerlich. Der Anblick machte sie ganz krank. Alle in der Schule wußten, wie flatterhaft und zickig Maria war. Das hieß, eigentlich nur - 72 -
die Mädchen. Die Jungen hielten sie alle für etwas Besonderes. Laurie dachte daran zurück, wie Simon und Maria auf der Party zusammen gesungen hatten. An dem Abend hatte sie geglaubt, es sei spontan dazu gekommen. Inzwischen fragte sie sich jedoch, ob die beiden das vielleicht geplant hatten, um sich besser darzustellen. Doch Laurie fand es selbst für Maria eine etwas gewagte Unterstellung. Immer wieder spähte Laurie über die Schulter zu Simon und Maria hinüber, um zu sehen, was die beiden gerade machten. Anscheinend waren sie in ein fesselndes Gespräch verwickelt. Maria stand da, als wollte sie den Rest ihrer Tage vor dem Imbißstand verbringen. Wenn ein Kunde kam, trat sie einen Schritt zur Seite und nahm dann den Gesprächsfaden wieder auf. Laurie hatte gerade beschlossen, mit dem nächsten Bus nach Hause zu fahren, als Anne und Doris auf sie zukamen. „Warum hast du uns nicht gesagt, daß du an den Strand gehst?“ beschwerte sich Doris. „Anne und ich haben den ganzen Vormittag versucht dich zu erreichen.“ „Ich war im Krankenhaus“, erklärte Laurie. „Als ich nach Hause kam, hat Jason mir angeboten, mich mit dem Auto mitzunehmen. Also habe ich ja gesagt.“ Es war wohl besser, nicht zu erwähnen, daß sie einfach allein sein wollte. „Wir brauchten dich“, meinte Doris vorwurfsvoll. „Es war ein schrecklicher Tag.“ „Warum? Was ist denn passiert?“ „Anne hat Kummer“, fuhr Doris fort, bevor Anne noch etwas erwidern konnte. „Und du warst nicht da.“ „Wovon sprecht ihr denn eigentlich?“ fragte Laurie. „Tom war heute morgen bei mir“, berichtete Anne leise, „und ich habe ihm seinen Ring zurückgegeben.“ Sie sah Laurie traurig an. „Er hat es nicht sehr gut aufgenommen. Vielleicht - 73 -
habe ich es ihm nicht schonend genug beigebracht.“ „Anne, das tut mir leid.“ Laurie nahm Annes Hand. „Aber nach dem, was du mir neulich erzählt hast, war es das einzig Richtige.“ Anne nickte. „Ich weiß. Aber es ist mir sehr schwer gefallen. Tom war ziemlich geknickt.“ „Das kann ich gut verstehen“, sagte Laurie. „Aber er wird es überwinden. Schließlich geht er im September aufs College. Das wird ihm helfen, darüber hinwegzukommen.“ Anne stieß einen Seufzer aus, „Hoffentlich habe ich keinen Fehler gemacht.“ „Natürlich nicht“, entgegnete Doris bestimmt. „Es ist nicht fair, mit einem Jungen zu gehen, wenn man nicht wirklich in ihn verknallt ist. Besonders, wo es noch so viele andere Mädchen gibt, die ihn vielleicht gut finden.“ Laurie mußte kichern. Typisch Doris, so zu denken! „Hey, guckt mal“, sagte Doris. „Da drüben sind Maria Grant und Simon. Sieht aus, als ob sie sich verdammt gut amüsieren.“ „Sie turtelt schon seit einer Stunde mit ihm“, bemerkte Laurie trocken. „Er saß hier neben mir, als sie kam, und dann... Ach, vergessen wir's.“ Plötzlich hatte sie keine Lust mehr, den anderen beiden zu erzählen, was passiert war. Sie stützte sich auf ihren Ellenbogen. „Er ist genauso, wie ich euch von Anfang an gesagt habe, eingebildet und geltungssüchtig. Er braucht es einfach für sein Ego, daß ihn jedes Mädchen anhimmelt.“ Anne wollte etwas sagen, aber Laurie unterbrach sie. „Ich weiß, daß du anderer Meinung bist, aber nur, weil du niemals über jemanden etwas Schlechtes denken oder sagen würdest.“ „Nein“, meinte Anne, während sie die beiden am Imbißstand beobachtete. „Diesmal glaube ich, daß du vielleicht recht hast. Auf Jasons Party haben sie eine ziemliche Show - 74 -
abgezogen.“ „Stimmt.“ Laurie setzte sich auf und erzählte ihnen von ihrer Vermutung. „Da könntest du recht haben“, sagte Doris mit einem nachdenklichen Blick zum Imbißstand hinüber. „Dafür, daß sie sich überhaut nicht kannten, war ihr Auftritt eigentlich fast zu gut.“ „Genau“, bekräftigte Laurie. „Ich habe eine Idee.“ Doris Augen funkelten, wie immer wenn sie einen ihrer unmöglichen Einfälle hatte. „O Doris. Bitte nicht“, stöhnte Anne. „Nicht schon wieder einen von deinen verrückten Plänen!“ „Dieser hier ist nicht verrückt“, beharrte Doris. „Ich finde, es ist höchste Zeit, daß wir unserem großen Hollywoodstar eine Lektion erteilen.“ „Was denn für eine Lektion?“ wiederholte Laurie. Sie hatte so ihre geheimen Befürchtungen. Doris wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihren Freundinnen zu und grinste. „Etwas, was unseren heißen Typen ein bißchen abkühlen wird“, verkündete sie. „Doris, was meinst du?“ Anne klang mißtrauisch. „Nur ein kleiner Gag“, beruhigte Doris sie. „Nichts Schlimmes.“ „Denkst du an etwas Bestimmtes?“ hakte Laurie nach. „Oder sollen wir uns jetzt etwas überlegen?“ „Ich weiß nicht recht“, antwortete Doris. „Aber ich glaube, wenn wir uns ein bißchen anstrengen, fällt uns schon noch etwas Witziges ein.“ Laurie war einverstanden. „Ich bin dabei.“ Anne sah nicht allzu begeistert aus, aber sie erklärte sich bereit mitzumachen. „Warum warst du denn heute morgen im Krankenhaus?“ erkundigte sich Doris, um das Thema zu wechseln. „Du hattest - 75 -
doch heute gar keinen Dienst.“ „Ich habe in der Handarbeitsgruppe mitgeholfen“, sagte Laurie. „Deshalb war ich in so einer komischen Laune, als ich nach Hause kam.“ „Ich weiß, was du meinst“, stimmte Anne ein. „Ich bin mir auch nicht so sicher, ob ich für die Arbeit die Richtige bin.“ „Du wirst es schon schaffen“, ermutigte Laurie sie. „Wenn du erst einmal merkst, wie sehr sie uns brauchen und, daß wir etwas Sinnvolles tun, wird dir die Arbeit leichter fallen.“ „Hoffentlich“, sagte Anne, aber sie schien noch nicht ganz überzeugt zu sein. „Was wird denn in der Gruppe gemacht?.“ fragte Doris. „Alles mögliche“, berichtete Laurie. „Nichts Schwieriges. Die meisten stricken sich Pullis. Die eine Frau arbeitet an einem Schal für ihren Enkel, und danach will sie noch eine passende Mütze dazu machen.“ „Kannst du dich noch an die Mütze erinnern, die du vor ein paar Jahren für Jason gestrickt hast?“ fragte Anne. „Sie war so groß, daß drei Köpfe reingepaßt hätten.“ Bei dem Gedanken an Lauries Mißgeschick mußten sie alle schallend lachen. „Wo ist dein Meisterwerk eigentlich geblieben?“ wollte Doris wissen. Laurie verzog das Gesicht in gespieltem Entsetzen. „Ich habe sie so schnell wie möglich wieder aufgetrennt. Ich wollte das häßliche Ding nicht noch wer weiß wie lange herumliegen sehen.“ Plötzlich kam ihr eine Idee und sie sprang auf.“ Das machen wir!“ Die anderen beiden schauten sie erstaunt an. „Nun klär uns mal auf“, sagte Doris. „Wir haben keine Ahnung, wovon du sprichst.“ „Die Mütze!“ Laurie kniete sich hin. Sie war auf einmal ganz aufgeregt. „Wir stricken ihm eine Mütze. Nein, noch - 76 -
besser, wir häkeln ihm einen Hut. Aber wir machen ihn viel zu groß und legen einen Zettel hinein, auf dem steht, daß sei genau die richtige Größe für seinen Holzkopf.“ „Und den schenken wir ihm zu Weihnachten!“ fügte Doris mit einem kleinen Begeisterungsschrei hinzu. „Nein“, winkte Laurie ab. „Bis dahin sind es noch Monate... Ich weiß was.“ Sie schnappte mit den Fingern. “An unserem Geburtstag?“ „Was?“ Doris konnte Laurie nicht mehr folgen. „Erinnert ihr euch nicht mehr? Ich habe euch doch erzählt, daß Simon und ich beide am 12. Oktober Geburtstag haben.“ Sie packte Doris am Arm. „Von jetzt an sind wir ganz nett zu ihm. Dann schöpft er keinen Verdacht. Ich werde mir meine gehässigen Bemerkungen verkneifen und ihn in dem Glauben lassen, daß ich ihn wirklich mag. Und dann geben wir eine große Party, zu der wir seine Freunde einladen und überreichen ihm den Hut als Geburtstagsgeschenk. Wie findet ihr das?“ Es war so eine tolle Idee. Sie konnte kaum glauben, daß sie ganz allein darauf gekommen war. „Großartig!“ Doris klatschte in die Hände und freute sich diebisch. „Das ist perfekt!“ „Laurie, findest du wirklich?“ Anne war nicht so sehr überzeugt. Zum erstenmal wurde Laurie sauer auf ihre beste Freundin. „Aber Anne, wir tun doch niemandem weh. Alle werden sich köstlich amüsieren.“ „Da bin ich mir nicht so sicher. Wenn jemand so etwas mit mir machte, wäre ich bestimmt sehr verletzt.“ „Aber du bist doch kein Hollywoodstar.“ Laurie wurde ungeduldig. „Du weißt doch, wie die sind. Denen ist jeder Skandal willkommen.“ „Aber Laurie, das weißt du doch gar nicht“, wandte Anne ein. - 77 -
„Also ich finde die Idee toll“, warf Doris ein. „Ich bin dafür, und ich helfe dir auch dabei.“ „Wunderbar.“ Laurie packte rasch ihre Sachen ein. „Du brauchst doch bestimmt nicht von Juni bis Oktober, um einen Hut zu häkeln“, sagte Anne. „Natürlich nicht“, kicherte Laurie. „Aber ich bin so aufgeregt, ich will jetzt sofort damit anfangen.“ Als sie zur Straße gingen, winkte Laurie Maria und Simon übermütig zu. „Macht's gut, Leute“, rief sie. „Bis bald.“ Anne und Doris bogen sich vor Lachen über Marias und Simons verblüffte Gesichter. Laurie wußte, daß der Gag mit dem Hut der größte Spaß werden würde, den sie sich je erlaubt hatte.
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7. KAPITEL Am nächsten Tag klopfte Simon überraschend bei den Reids an die Küchentür. „Guten Morgen, Mrs. Reid.“ Er warf Laurie, die gerade am Tisch saß, einen kurzen Blick zu, ohne jedoch etwas zu sagen. „Ich habe heute frei. Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gerne ein bißchen trainieren.“ Simon und Jason hatten zwei Wochentage frei, da sie in der Hochsaison auch samstags und sonntags arbeiteten. „Selbstverständlich, Simon“, meinte Lauries Mutter. „Geh nur. Aber Jason ist nicht da, wie du weißt. Er muß heute arbeiten.“ „Ich weiß. Er hat nichts dagegen, wenn ich allein trainiere.“ Lauries Mutter reichte ihm den Schlüssel. „Fühl dich wie zu Hause. Wenn du fertig bist, schließt du ab und bringst den Schlüssel zurück. Falls ich gerade nicht da bin, kannst du ihn einfach auf den Küchentisch legen.“ „Vielen Dank.“ Simon wandte sich zur Tür, drehte sich dann jedoch noch einmal zu Laurie um. „Mußt du heute ins Krankenhaus?“ „Nein. Ich habe erst am Samstagmorgen wieder Dienst.“ „Hast du Lust mitzukommen?“ Er klang beinahe schüchtern. „Es hilft mir, wenn jemand zuguckt.“ Laurie wollte gerade ablehnen, da fiel ihr wieder ein, daß sie sich doch vorgenommen hatte, nett zu ihm zu sein, damit der Streich um so überraschender für ihn käme. „Klar, warum nicht. Ich habe heute nachmittag nichts vor.“ - 79 -
Sie folgte ihm in die Garage und nahm auf dem Pferd Platz, während Simon sich auf der dicken Bodenmatte warmturnte. Er begann mit einigen Streckübungen, machte dann ein paar Flugrollen und schlug dann Rad. Laurie fiel auf, daß er sich seit dem letzten Mal unwahrscheinlich verbessert hatte. „Das hast du wirklich toll kapiert“, bemerkte sie. Simon strahlte sie an. „Ich hab schon immer schnell gelernt. Deshalb haben sie mich wahrscheinlich auch für so viele Filme genommen.“ Laurie sah ihn fragend an. „Ich kannte meine Texte unwahrscheinlich rasch auswendig, über Nacht sozusagen. Für einige Kinder war das ein Problem. Auch für manche Erwachsene“, fügte er hinzu. „Du solltest mal sehen, wie viele von den großen Stars eine ‚Idiotentafel' brauchen.“ Laurie kicherte. „Das kenne ich. In manchen Fernsehsendungen machen sie Witze darüber und richten dann die Kamera darauf.“ „Im Film ist es genauso“, sagte Simon. „Man denkt, der Schauspieler sieht seinen Partner an, aber in Wirklichkeit liest er den Text von einer Tafel ab.“ „Regt sich denn der Regisseur nicht darüber auf?“ wollte Laurie wissen. „Nicht, wenn es ein guter Schauspieler ist“, erklärte Simon. „Manche Stars haben beim Publikum einfach einen Stein im Brett, die könnten aus dem Telefonbuch vorlesen und die Leute würden immer noch angerannt kommen.“ Er stand auf und ging zum Barren hinüber. „Und warum kamen die Leute, um dich zu sehen?“ flachste Laurie. „Bestimmt nicht, weil du deine Texte so fabelhaft aufsagen konntest.“ Simon runzelte die Stirn. „Sie kamen, weil sie mich so süß fanden.“ Er ahmte geschickt den begeisterten Tonfall seiner - 80 -
Fans nach. Laurie rutschte vom Pferd herunter und lachte. „Aber das bist du doch auch. Wenn man rote Haare und Sommersprossen hat, muß man sich damit abfinden, daß die Leute so etwas sagen.“ „Wahrscheinlich hast du recht“, gab Simon zu. Er machte eine Stützübung auf dem Barren, und Laurie beobachtete, wie sich seine Muskeln anspannten. Er holte Schwung und hielt seinen gestreckten Körper einen Augenblick lang parallel zum Barren. Er schien für diese Art von Übung wie geschaffen. Laurie sprang vom Pferd herunter und setzte sich im Schneidersitz auf die Matte, während Simon weiterturnte. Sie hatte den Eindruck, daß er ein bißchen angeben wollte. Doch nach einer Weile hatte er Lauries Anwesenheit offensichtlich vergessen. Sein Gesicht war gerötet, und er schwitzte. Als er fertig war, ließ er sich neben sie auf die Matte fallen. Keuchend wischte er sich Gesicht, Hals und Arme mit einem Handtuch ab. „Das war harte Arbeit“, stöhnte er. „Aber du bist gut“, meinte Laurie anerkennend. Sie war ehrlich beeindruckt. Seine Bewegungen waren zwar nicht so leicht und elegant wie Jasons, aber der turnte auch schon seit seinem zehnten Lebensjahr. Simon machte das erst seit ein paar Wochen. Seine Fortschritte waren beachtlich. „Du schaffst es bestimmt, im nächsten Schuljahr in die Turnerriege zu kommen“, sagte Laurie voraus. „Keine Frage.“ Simon zuckte die Achseln. „Ich würde gern in Jasons Mannschaft gehen, aber für einen Profi werde ich nie gut genug sein.“ „Wahrscheinlich nicht“, stimmte Laurie zu. „Aber nur, weil du so spät angefangen hast. Doch das muß ja nicht heißen, daß du keinen Spaß daran haben kannst.“ - 81 -
Simon grinste. „Hm, Turnen ist echt Klasse.“ Dann wurde er ernst. „Schön, daß du heute mitgekommen bist, um mir zuzusehen.“ Er fuhr mit dem Finger auf ihrem nackten Arm entlang. „Dadurch, daß ich eure Familie kennengelernt habe, fällt es mir viel leichter, mich hier einzuleben.“ Zu ihrem eigenen Erstaunen stellte Laurie fest, daß seine Worte sie verlegen machten. „Wir freuen uns auch, daß du hergezogen bist.“ Sie dachte an ihre gestrige Unterhaltung am Strand zurück. Vielleicht war es ein bißchen voreilig gewesen, ihn so schnell dafür zu verdammen, daß er so freundlich zu Maria war. Immerhin war er neu in der Stadt. Es war doch verständlich, daß er Leute kennenlernen wollte, selbst wenn es sich um so jemanden wie Maria Grant handelte. Plötzlich hörte Laurie Schritte. Sofort sprang sie auf, um die Tür zu öffnen. Es waren Doris und Anne. „Hallo“, sagte Doris. „Wie wir hörten, findet hier eine Vorführung statt. Darf man gucken?“ „Klar, kommt rein“, rief Simon. „Okay.“ Doris setzte sich neben Laurie. „Jetzt wollen wir mal sehen, was unser großer Turner alles kann.“ Laurie warf ihr einen tadelnden Blick zu, aber Simon schien von Doris' Bemerkung unbeeindruckt. Er schwang sich wieder auf den Barren und führte noch einmal eine seiner Übungen vor. „Nicht schlecht.“ Doris stieß einen bewundernden Pfiff aus, als Simon auf dem Barren einen Handstand machte. Sie rannte zu ihm hin und schwang sich ebenfalls auf das Gerät. „Das kann ich auch“, verkündete sie und lieferte gleich den Beweis. „Und wie findet ihr das?“ Anne schlug ein elegantes Rad auf der Matte. Diesmal stieß Simon einen Pfiff aus. „Wer hat dir das denn - 82 -
beigebracht?“ „Das haben wir als Kinder in der Schule gelernt“, erklärte Laurie. „Da kannst du mal sehen, was du alles verpaßt hast, weil du früher nicht auf einer normalen Schule warst. Wir gehen zwar nicht mit Jason in eine Klasse, aber wir kennen die Grundbegriffe.“ Sie kletterte wieder auf das Pferd, auf dem sie vorher gesessen hatte und machte ein paar Spreizübungen. Bald waren sie alle drei eifrig damit beschäftigt, Simon ihre Künste vorzuführen. Während der nächsten halben Stunde turnten und alberten sie auf den Geräten herum. Schließlich waren sie so außer Atem, daß sie beschlossen, ins Haus zu gehen und dort etwas zu trinken. Sie ließen sich im Wohnzimmer nieder, Anne und Laurie auf der Ledercouch, Simon auf dem Fußboden und Doris auf einem Sessel. „Die Limonade schmeckt wirklich toll“, sagte Simon, nachdem er sein Glas bis auf den letzten Tropfen geleert hätte. „Genau das, was ich nach einem harten Training brauche.“ Er stellte das Glas wieder hin und lehnte sich zurück. „Wieso seid ihr heute gar nicht an den Strand gegangen?“ „Anne und ich haben heute vormittag im Krankenhaus gearbeitet“, berichtete Doris. „Wir sind hier, um Laurie zu fragen, ob sie mit uns schwimmen kommt. Aber das können wir ja jeden Tag machen. Das Turnen hat viel mehr Spaß gebracht.“ „Im Trainingsraum gibt es aber nicht so viele Typen zu besichtigen“, witzelte Simon. „Wir gehen doch nicht an den Strand, um uns Jungs anzugucken“, protestierte Laurie. „Manche von uns haben den Männern für immer ade gesagt“, wart Anne ein. Simon sah sie überrascht an. „Ich dachte, du wärst mit Tom - 83 -
Cummings befreundet.“ „Ich war es.“ Anne zupfte nervös an einem Faden, der sich aus ihrem Rocksaum gelöst hafte. „Wir haben uns gestern getrennt.“ „Ach so, das wußte ich nicht“, bemerkte Simon. Wenn ein Junge aufs College geht, ist es wohl nicht sehr sinnvoll, so eine Freundschaft beizubehalten.“ „Einen Moment mal“, mischte sich Doris empört ein. „Anne hat mit Tom Schluß gemacht, nicht anders herum.“ „Doris“, sagte Anne tadelnd, „Simon interessiert sich doch nicht für meine Probleme.“ „Dann gehst du also allein zum Picknick am 4. Juli“, meinte Simon nachdenklich. „Hat Jason dir davon erzählt?“ fragte Laurie. „Er hat es erwähnt. Aber Maria hat es mir genau beschrieben. Ich meine das Feuerwerk und daß ihr am Nationalfeiertag immer am Strand schlaft.“ Laurie schluckte und zwang sich zu einem Lächeln. „Dann gehst du sicher mit Maria dorthin“, sagte sie betont freundlich. „Wo ihr beiden euch doch gestern so lange unterhalten habt, würde mich das gar nicht überraschen.“ Simon lachte, und Laurie wurde knallrot. „Ich gehe weder mit Maria noch sonst jemanden außer Jason. Wir müssen arbeiten.“ „Tatsächlich?“ wunderte sich Doris. „Ich dachte, das Restaurant und der Imbiß machen zu, wenn es dunkel wird.“ „Das Restaurant hat geöffnet“, erzählte Simon, „aber Jason und ich jobben nur bis sechs. Wir können dann runter an den Strand und uns später das Feuerwerk ansehen.“ „Kommen deine Eltern auch?“ erkundigte sich Laurie. „Ich weiß noch nicht. Ich habe noch nicht mit ihnen darüber geredet“, erwiderte Simon. „Ich sage meiner Mutter, sie soll deine anrufen. Dann - 84 -
können unsere Eltern zusammen hingehen.“ „Das ist nett“, sagte Simon erleichtert. „Mom hat in den letzten Wochen so viel Arbeit im Haus gehabt, daß sie sich noch mit niemandem anfreunden konnte.“ „Dann wird es aber höchste Zeit“, erwiderte Laurie. „Die Ferien sind dafür genau richtig.“ Die große Standuhr schlug drei, und Simon sprang auf. „Ich muß jetzt los. Ich bin verabredet.“ Er warf Laurie einen eigenartigen Blick zu. „Maria hat mich gebeten, mit ihr heute zu Rod Gorens Party zu gehen“, gestand er. „Sie sagte, es gäbe sonst niemanden, den sie fragen könnte.“ Laurie war wie vor den Kopf geschlagen. Maria hatte wirklich ihre erstbeste Chance genutzt, um sich Simon zu angeln. Laurie riß sich energisch zusammen. „Das wird sicher Spaß machen“, brachte sie hervor. „Wie ich gehört habe, findet die Fete in der Roller-Disco statt.“ „Ja, das stimmt.“ „Sicher bist du ein großartiger Rollschuhläufer“, fügte Laurie hinzu. „Wie du auch sonst in allem Spitze bist.“ Sie lächelte eisig. Simon stand auf und erwiderte nichts mehr. Laurie spürte, daß er sie durchschaute. Nachdem Simon gegangen war, herrschte einen Moment lang Schweigen im Raum. „Glaubst du, er hat deinen letzten Spruch kapiert?“ fragte Doris zweifelnd. Laurie zuckte die Achseln. „Möglich. Ich hab's ihm ja nicht gerade durch die Blume gesagt.“ „Laurie, du ruinierst unseren Plan, wenn du so etwas machst“, jammerte Doris. „Du wolltest doch bis Oktober ganz - 85 -
nett zu ihm sein.“ „Manchmal ist das eben nicht so einfach“, brummte Laurie. Sie sah Anne an und erkannte auf ihrem Gesicht denselben Ausdruck wie an dem Abend, als sie auf Jasons Party den Streit mit Simon gehabt hatte. „Hör auf, mich anzustarren“, fuhr Laurie sie wütend an. „Warum sagst du nicht gleich, was du denkst?“ „Ich denke überhaut nichts. Ich bin mir nur über dein Motiv nicht im klaren.“ „Was für Motive?“ wiederholte Laurie. „Warum du Simon den Streich spielen willst.“ „Wir werden allen zeigen, daß Laurie von Anfang an recht hatte mit ihrer Meinung über ihn“, mischte sich Doris ungeduldig ein. „Wir tun nichts Böses. Es wird ein Lustiges Gag.“ Laurie hörte ein Geräusch an der hinteren Eingangstür und sprang auf. „Laßt uns in mein Zimmer gehen“, flüsterte sie. „Ich will nicht, daß meine Mutter etwas davon erfährt.“ Sie stürmten die Treppe hoch und ließen sich auf Lauries breites Bett fallen. „Wir müssen alles genauestens planen“, erklärte Laurie. „Ich will nicht, daß irgend etwas schiefgeht.“ „Aber muß das ausgerechnet heute sein?“ fragte Anne. „Sein Geburtstag ist doch erst in drei Monaten.“ „Egal. Je früher wir anfangen, desto besser.“ Laurie holte sich Block und Bleistift. „So“, sagte sie, und setzte sich wieder aufs Bett. „Wir haben uns alle geeinigt, daß wir ihm diesen Streich an meinem Geburtstag spielen wollen, nicht wahr?“ Sie sah ihre Freundinnen an. „Einverstanden.“ „Und ich werde nett zu Simon sein, koste es, was es wolle“, versprach Laurie grimmig. „Drei Monate lang. Auf die Art wird er keinen Verdacht schöpfen, wenn ich ihm vorschlage, - 86 -
unsere Geburtstage zusammen zu feiern.“ „Wahrscheinlich wird er glauben, daß du ihn darum bittest, weil er Jasons bester Freund ist“, meinte Doris. „Genau. Dann laßt uns jetzt die Party planen.“ „Aber Laurie, es ist doch noch viel zu früh.“ Anne wollte unbedingt das Thema wechseln, doch Laurie war nicht zu bremsen. „Ich möchte, daß eine Menge Leute kommen“, fuhr sie fort. „Wir werden sie alle einladen.“ „Vielleicht möchte deine Mutter da auch noch ein Wörtchen mitreden“, wandte Anne ein. „Das ist kein Problem“, erwiderte Laurie unbekümmert. „Wir lassen die Fete am Samstagabend steigen. Dann können wir tanzen. Es wird nur Häppchen geben und kein richtiges Essen wie zu Jasons Geburtstag. Meine Mutter braucht nur zwei Geburtstagstorten zu backen und für Eis zu sorgen. Dagegen hat sie bestimmt nichts einzuwenden.“ „Okay“, stimmte Doris zu. „Jetzt laß uns die große Überraschung besprechen.“ „Richtig“, sagte Laurie. „Wir müssen es so machen, daß es alle im Raum sehen können.“ Sie machte sich eifrig Notizen. „Ich hab's! Einen Trommelwirbel brauchen wir. Wir müssen uns entweder eine Aufnahme besorgen oder jemanden einladen, der einen spielen kann. Und dann geben wir Simon den als Geschenk eingepackten Hut.“ „Und du liest das Gedicht vor“, fügte Doris hinzu. Laurie sah sie überrascht an. „Was denn für ein Gedicht?“ „Das werden wir jetzt schreiben.“ Doris grinste von einem Ohr zum andern. Laurie strahlte ihre Freundin an. „Das ist ja eine phantastische Idee! Und wir haben drei ganze Monate Zeit, um daran zu arbeiten, damit es wirklich perfekt wird.“ „Hey, Moment mal.“ Anne hob abwehrend die Hand.“ Wir - 87 -
wollen Simon doch nicht verletzten. Schließlich sollte es ein harmloser Gag sein.“ Laurie zog eine Grimasse. „Sei nicht albern. Wir werden in dem Gedicht nichts Gehässiges sagen.“ „Nein, aber wir werden dafür sorgen, daß jeder kapiert, was wir meinen“, kicherte Doris. „Sie werden es schon mitkriegen, wenn sie den Hut sehen“, bemerkte Anne trocken. „Ich kann's kaum erwarten“, sagte Laurie aufgeregt. „Das wird die Sensation des Jahres.“ Die Vorfreude spiegelte sich auf ihrem Gesicht wieder. „Wenn es doch bloß schon Oktober wäre.“ „Du wirst die Zeit schon irgendwie herumkriegen“, tröstete Anne sie. „Das wichtigste ist, wie du dich Simon gegenüber verhältst. Du mußt aufhören, all diese bissigen Bemerkungen zu machen, sonst kommt er überhaupt nicht mehr hierher, wenn es endlich soweit ist.“ „Abgemacht. Ich verspreche es“, versicherte Laurie. „Ich werde mir alle Mühe geben. Er wird überhaut nicht wissen, wie ihm geschieht.“ „,Okay“, fuhr Doris in geschäftsmäßigem Ton fort. „Morgen gehen wir los und kaufen das Material für den Hut.“ Sie nahm Laurie den Block aus der Hand und riß einen Zettel ab. „Also, wir brauchen eine Häkelnadel, Wolle und...“ „Eine Anleitung“, ergänzte Anne. „Welche Farbe wollen wir nehmen?“ fragte Laurie „Meinst du, das ist wichtig?“ Anne war verwundert. „Aber klar ist es das“, erklärte Doris. „Es muß eine ganz verrückte Farbe sein. Wir wollen ihm doch nicht so einen braven Hut in Marineblau verpassen, oder?“ .Die beiden anderen stimmten ihr lachend zu. Wenn es ein Gag werden sollte, dann aber auch ein richtiger. „Orange“, schlug Laurie vor. „Es wird schrecklich aussehen, - 88 -
bei seinen roten Haaren.“ „Oder grellrosa.“ Doris klatschte in die Hände. „Und wir machen einen großen, dicken Bommel obendrauf.“ „Das ist toll!“ Laurie war begeistert. Die Sache würde noch besser und witziger werden, als sie gedacht hatte. „Und wenn die Party vorbei ist“, verkündete sie, „schreibe ich darüber einen Artikel für den Kurier. Keine Angst, nichts Schlimmes“, fügte sie schnell hinzu, als sie Annes Gesicht sah. „ich werde ihn so schreiben, als sei es wirklich nur komisch gewesen, damit die ganze Schule darüber lachen kann.“ „Auf Simons Kosten“, bemerkte Anne skeptisch. „Er wird schon darüber hinwegkommen“, meinte Laurie unbeteiligt. „Außerdem machen sich Schauspieler sowieso nichts aus dem, was über sie geschrieben wird.“ Anne seufzte. „Okay. Ich hoffe nur, ihr wißt, was ihr tut.“ Doris machte ein enttäuschtes Gesicht. „Heißt das, du willst uns im Stich lassen?“ Anne zögerte einen Moment. Dann sagte sie: „Klar helfe ich euch. Ich kann ja nicht einfach dabei zusehen, wie ihr euch in Schwierigkeiten bringt. Wenn es eine Katastrophe gibt, möchte ich wenigstens dabeisein.“ Laurie lächelte sie dankbar an. Sie hatte gewußt, daß Anne sie nicht im Stich lassen würde. Außerdem war sie überzeugt, daß sie sich keine Sorgen zu machen brauchten. Die Idee mit dem Hut konnte kein Reinfall werden. Es würde der komischste Streich sein, der einem Typen gespielt worden war.
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8. KAPITEL Als Laurie am 4. Juli aufwachte, war der Himmel bedeckt, und die Luft war schwül. Sie hatte Mrs. Larsen versprochen, für eine Stunde in die Handarbeitsgruppe zu kommen, da die meisten freiwilligen Helfer an diesem Tag ausfielen. Anne mußte am Vormittag zusammen mit ihren Eltern Verwandte besuchen, und Doris hatte einfach keine Lust, ihren freien Tag zu opfern. Gerade als Laurie das Haus verlassen wollte, begann es zu tröpfeln. Ihr Vater fuhr sie deshalb ins Krankenhaus. „Ruf mich an, wenn du fertig bist“, sagte er. „Wenn es nachher immer noch regnet, hole ich dich wieder ab.“ „Ich hoffe, es hört vorher auf. Sonst fällt unser Picknick und das Feuerwerk ins Wasser.“ Ihr Vater hielt den Kopf zum Wagenfenster hinaus und betrachtete den Himmel. „Ich glaube nicht, daß du dir Sorgen zu machen brauchst“, meinte er. „Es ist nur ein Gewitter. Es wird ganz schnell wieder vorbei sein.“ Er lächelte ihr ermutigend zu. „Hoffentlich.“ Laurie gab ihm schnell einen Kuß auf die Wange und sprang aus dem Wagen. Drinnen angekommen, zog sie schnell ihre Uniform an und ging sofort ins Solarium, wo die Handarbeitsgruppe auf sie wartete. Heute taten ihr die Patienten besonders leid. Von Mrs. Larsen wußte sie, daß an Feiertagen nur sehr wenige Freunde und Verwandte zu Besuch kamen. Noch nie waren Laurie die - 90 -
Korridore so endlos und verlassen erschienen wie an diesem Morgen. Die bedruckende Atmosphäre wurde. nur von den bunten Basteleien ein wenig aufgelockert, mit denen die Gruppe das Solarium dekoriert hatten. Laurie setzte sich ans Ende des Tisches und bereitete alles vor, um den Neulingen mit ihren Arbeiten zu helfen. Die beiden älteren Frauen waren inzwischen schon im Altersheim. Andere waren jedoch an ihrer Stelle hinzugekommen, und so saßen insgesamt zehn Leute um ihren Tisch herum. Ein Mann, dem sie geholfen hatte, hatte sehr schnell gelernt und zeigte nun stolz den anderen sein Werk. „Es war ganz leicht, nachdem mir unser junges Fräulein hier gezeigt hat, was ich falsch mache. Sie ist eine sehr gute Lehrerin.“ Eine andere Frau nickte. „Wissen Sie, warum? Weil sie so geduldig mit uns ist.“ „Das stimmt. Meine Geduld ist grenzenlos, wie die ewige Weite des Meeres“, flachste Laurie und freute sich, als alle über ihren schwülstigen Satz lachten, Während sie arbeiteten, unterhielten sie sich. Die Patienten zogen ein bißchen über die Schwestern her, klagten über das Essen und sprachen über die endlosen Unterhaltungsserien, die sie sich im Fernsehen ansahen, um die Zeit totzuschlagen. Kurz vor Ende der Stunde fiel Laurie auf, daß es viel heller geworden war. Sie lief zu der großen Glaswand hin und sah, daß das Gewitter abgezogen war, wie ihr Vater es vorausgesagt hatte. Es würde noch ein wundervoller sonniger Tag werden. Sie war richtig erleichtert. Das Picknick und das Feuerwerk würden also doch wie geplant stattfinden. Laurie packte eilig ihre Sachen zusammen. „Du machst ja so ein zufriedenes Gesicht“, bemerkte einer der Männer. „Hast du draußen etwas erfreuliches entdeckt?“ „Ich freue mich über das Wetter“, erwiderte Laurie fröhlich. - 91 -
Sie wollte gerade erzählen, was sie für den Rest des Tages vorhatte, unterbrach sich dann jedoch, als ihr klar wurde wie das auf Leute wirken mußte, die kaum ihr Krankenzimmer verlassen konnten. Die Frau, die für ihren Enkel einen Schal strickte, bemerkte Lauries Unbehagen und tätschelte ihr die Hand. „Keine Bange“, sagte sie. „Das macht uns nichts aus. Wir freuen uns, daß du hinausgehen und machen kannst, was du willst. Wir werden demnächst auch wieder draußen herumspazieren.“ „Bestimmt werden Sie das“, antwortete Laurie leise. „Und zwar schon bald.“ Einige Schwestern kamen herein, um die Patienten in ihren Rollstühlen zurück in die Zimmer zu fahren, wo sie ihr Mittagessen serviert bekamen. Im Umkleideraum schlüpfte Laurie rasch in ihre Shorts und die Bluse, die sie auf dem Weg ins Krankenhaus getragen hatte. Dann rannte sie hinaus, um noch den Bus zum Strand zu erwischen. Ohne langes Suchen fand Laurie den grüngestreiften Sonnenschirm ihrer Eltern. Mrs. Reid hatte eine Kühltasche mitgebracht, in der das Abendessen verstaut war. Mittags würden sie jedoch alle zum Imbiß gehen. Laurie ließ ihre Tasche auf die Decke ihrer Eltern fallen, nahm den Badeanzug, den ihre Mutter für sie mitgebracht hatte, und zog sich in einer Umkleidekabine um. Anschließend ging sie zum Imbiß, wo Simon am Grill stand. „Hallo.“ Sie begrüßte ihn mit einem strahlenden Lächeln. „Wie wirst du mit den Massen hier fertig?“ Um sie herum standen die Leute Schlange. Es herrschte großes Gedränge und Geschiebe. Im Umkreis von mehreren - 92 -
Meilen schien jeder an den Strand gekommen zu sein. „Ich möchte so sagen: Ich wäre lieber auf deiner Seite des Tresen“, meinte Simon grinsend. “Aber ich werde es schon überleben.“ „Bestimmt wirst du das.“ Sie lehnte sich zu ihm hinüber. „Machst du mir einen großen Burger?“ „Klar.“ Als er ihr den Burger in einer Serviette reichte, bestellte sie noch etwas zu trinken und ging dann wieder zu ihren Eltern zurück. Es hatte keinen Sinn, sich mit Simon zu unterhalten, solange ein derartiger Andrang herrschte. Jason und Simon mußten beide bis sechs Uhr arbeiten. Aber danach konnten sie mit ihren Familien picknicken und dem Feuerwerk zusehen, das um neun Uhr am Landesteg gezündet würde. Dann hatte sie immer noch Gelegenheit zum Reden. Es würde Laurie ein wahres Vergnügen bereiten, Simon nach allen Regeln der Kunst einzuwickeln, damit der Gag für ihn völlig unerwartet käme. Seine Eltern hatten ihren Sonnenschirm direkt neben dem der Reids aufgebaut. Seit dem Tag, an dem Laurie Simon interviewt hatte, war ihr seine Mutter sympathisch gewesen. Mr. Simpson machte ebenfalls einen sehr netten Eindruck. Er war sehr ruhig. Mrs. Simpson hingegen hatte mehr Simons Temperament. Sie war freundlich und herzlich, jemand, mit dem man schnell warm werden konnte. Selbstverständlich war sie nicht so eingebildet wie ihr Sohn, aber dafür war sie ja auch kein Kinderstar. Laurie erinnerte sich vage an eine Bemerkung von Simon, daß seine Mutter früher mal als Fotomodell gearbeitet habe, doch davon spürte man nichts. Im Laufe des Nachmittags kamen auch Doris und Anne. Als es kühler zu werden begann, hatte sich um die Decke der Reids ein Kreis von weiteren Decken gebildet. Dieses Picknick am 4. Juli war bei ihnen Tradition, solange Laurie zurückdenken - 93 -
konnte. Sie freute sich jedes. Jahr wieder ganz besonders darauf. Es war der Höhepunkt ihrer Sommerferien. Gegen Abend gingen etliche Leute nach Hause, vor allem die mit kleinen Kindern. Es wurde erheblich ruhiger und man hatte mehr Platz am Strand. Simon und Jason wollten sich nach der Arbeit erst einmal in die Wellen stürzen. „Kommt doch mit“, rief Jason den Mädchen zu. Simon nahm Laurie bei der Hand und zog sie mit. Doris stieß einen Freudenschrei aus und rannte hinter Jason her. Sie sprang ins Wasser und schwamm mit ihm um die Wette zum Anlegesteg. Laurie rief Anne zu, sie sollte doch auch kommen, und bald tobten sie zu fünft im Meer herum. Sie versuchten sich gegen seitig unterzutauchen. Schließlich warfen sie sich erschöpft auf den Anlegesteg. Das leichte Schaukeln des hölzernen Pontons wirkte beruhigend. Laurie, die neben Simon lag, sah zu ihm hinüber. Er hatte die Augen geschlossen. „Bist du müde?“ fragte sie leise. „Es war sicher ein anstrengender Tag für dich.“ Er öffnete die Augen und blickte ihr ins Gesicht. „Vorhin war ich ziemlich geschlaucht, aber jetzt bin ich wieder voll da.“ Plötzlich wurde er ernst. „Seit ich Jason und deine Familie kenne, fühle ich mich so wohl wie noch nie in meinem Leben.“ Laurie war vollkommen überrascht, aber bevor sie noch etwas dazu sagen konnte, standen die anderen auf und rannten zurück zum Strand. Lauries Mutter und Mrs. Simpson waren gerade, dabei, die Picknickkörbe und Kühltaschen auszupacken. Es gab kaltes Grillhähnchen, verschiedene Salate und eine große Schüssel Obst. Jeder lud sich immense Mengen auf seinen Pappteller. „Hm. Schmeckt einfach klasse“, lobte Laurie mit vollem - 94 -
Mund. "Ich war schon halb am verhungern.“ „Ihr habt ja auch einen langen Tag hinter euch“, bemerkte ihre Mutter. „Da dürft ihr auch hungrig sein.“ „Ach wirklich? Was hat denn das höllische Trio heute vollbracht, außer seine Luxuskörper in der Sonne zu braten?“ fragte Jason, während er den Kartoffelsalat verschlang. „Also, Jason. Du solltest die Mädchen nicht so nennen“, meinte Mrs. Reid tadelnd. „Ich finde das nicht komisch.“ „Aber ich.“ Jason stieß Simon mit dem Arm an. „Du nicht, Simon?“ Simon sah Laurie nachdenklich an. „Nicht mehr so witzig wie früher?“ Laurie beobachtete, wie Jason einen heimlichen Blick in die Richtung warf, wo Anne mit ihrer Familie saß. „Ja, vielleicht hast du recht“, gab er zu. „Hat sich einiges verändert.“ „Das will ich auch hoffen“, sagte Lauries Mutter kurz. „Es wird wirklich Zeit, daß du aufhörst, dich so kindisch zu benehmen.“ Jason runzelte die Stirn, verzichtete jedoch auf eine Antwort. „Laß doch die Kinder in Ruhe“, brummte Jasons Vater. „Es ist vollkommen normal, daß Geschwister sich necken.“ Lauries Mutter seufzte. „Mag sein. So“, fügte sie hinzu und wühlte im Picknickkorb herum, „hier habe ich etwas, um euch das Leben zu versüßen.“ Sie holte eine Dose selbstgebackene Kekse hervor und hielt sie Jason unter die Nase. „Ah, meine Lieblingskekse!“ rief er aus. „Und meine.“ Simon griff in die Dose. „Wie wär's denn mit 'Damen haben Vortritt'?“ fragte Laurie und langte nach den Keksen. „Damen? Was für Damen?“ Jason sprang auf die Füße und hielt die Dose so hoch, daß Laurie sie nicht erreichen konnte. „Hey, Jason“, kam ihm Simon zu Hilfe. „Wir gehen - 95 -
dahinten zu den Felsen. Dann brauchen wir unsere Beute nicht mit gewissen Leuten zu teilen.“ Er grinste Laurie spitzbübisch an. „Das ist richtig. Macht das nur“, erwiderte Mrs. Simpson gelassen. Laurie wandte sich empört zu Simons Mutter um, die gerade aus ihrer Kühltasche eine phantastische Schokoladentorte hervorholte. Jason fielen fast die Augen aus dem Kopf. „Wenn ich mir das so anschaue, bleiben wir doch lieber hier.“ Er ließ sich wieder auf der Decke nieder und warf Laurie die Keksdose zu. „Da. Bedien dich.“ „Mrs. Simpson“, erklärte Laurie beinahe feierlich, „Das ist die wunderbarste Schokoladentorte, die ich je in meinem Leben gesehen habe.“ Lauries Mutter hielt sich den Bauch vor Lachen. „Ihr seid mir vielleicht ein paar..." „Während ihr da hysterisch herumgackert, schmilzt die Torte in der Sonne“, sagte Lauries Vater vorwurfsvoll. „Wie wär's, wenn ihr uns mal davon probieren laßt?“ Sie aßen jeder ein riesiges Stück. Die cremige Schokolade zerging ihnen nur so auf der Zunge. „Es schmeckt einfach himmlisch“, sagte Lauries Mutter. „Haben Sie die selbst gemacht?“ Mrs. Simpson nickte. „Als wir noch in Kalifornien wohnten, habe ich oft selbstgebackenen Kuchen verkauft. Es war für mich so eine Art Nebenbeschäftigung und hat mir großes Vergnügen bereitet.“ „Falls Sie wieder ins Geschäft einsteigen wollen, können Sie ja im Oktober die Torte für Lauries sechzehnten Geburtstag backen.“ „O ja“, platzte Laurie hervor, bevor ihr wieder eingefallen war, was sie an jenem Geburtstag sonst noch plante. „Simon hat mir erzählt, daß ihr beide am Zwölften - 96 -
Geburtstag habt“, sagte Mrs. Simpson. „Warum feiern wir nicht zusammen?“ schlug Lauries Mutter vor. „Wie findet ihr das?“ Sie wandte sich zu Laurie, Simon und Jason. Laurie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoß. Alles lief bestens. Nie hätte sie sich träumen lassen, daß ihre Eltern von sich aus darauf kommen würden, eine gemeinsame Party zu veranstalten. Simon schien ihr Unbehagen bemerkt zu haben. „Es ist Lauries sechzehnter Geburtstag. Vielleicht möchte sie lieber mit ihren eigenen Freunden feiern.“ „O nein", warf sie hastig ein. „Ich finde die Idee großartig. Es sei denn, du möchtest lieber alleine feiern.“ Er lächelte erfreut. “lch denke, es wird ein großer Spaß werden.“ „Das glaube ich auch“, bemerkte Jason trocken. „Lauries Freundinnen werden sich gar nicht wieder einkriegen, wenn all die Jungs aus der Abgangsklasse aufkreuzen.“ Er verstellte seine Stimme zu einem mädchenhaften Piepsen und stieß einen Begeisterungsruf aus. „Ich warne dich, Jason“, drohte Laurie. „Wenn du nicht aufhörst, wirst du gar nicht eingeladen.“ Simon lachte. „Er kommt zu meiner Hälfte der Party.“ „Also abgemacht“, beschloß Lauries Mutter. „Wir haben noch genügend Zeit, um alles vorzubereiten.“ Laurie schluckte. Sie mußte daran denken, wie sie mit Anne und Doris in ihrem Zimmer gegessen und ebenfalls die Party “vorbereitet“ hatten, allerdings klammheimlich. Nachdem sich Anne und Doris gestärkt hatten, gingen sie hinüber zu den Reids, um Laurie abzuholen. - 97 -
„Laßt uns spazieren gehen“, schlug Doris vor. „Ich habe für eine ganze Armee Kartoffelsalat gefuttert.“ „Dürfen wir mit?“ fragte Jason. Laurie sah ihn erstaunt an. Normalerweise war er nie besonders scharf darauf, mit ihr oder ihren Freundinnen etwas zu unternehmen. Aber dann dämmerte es ihr, daß er eine Gelegenheit suchte, mit Anne zusammen zu sein. Sie bummelten zu fünft am Wasser entlang. Schon nach kurzer Zeit hatten sich Simon und Laurie abgesondert. Sie ließen die anderen vorgehen und liefen zu den Felsen ganz am Ende des Strandes. Als Doris, Anne und Jason sich auf den Rückweg machten, legte Simon Laurie den Arm um die Taille. „Wir kommen in ein paar Minuten nach“, rief er Jason zu. „Ich möchte etwas mit Laurie besprechen.“ Jason sah neugierig zu ihnen hinüber. „Okay. Wir gehen langsam.“ „Ihr braucht nicht auf uns zu warten. Es kann etwas dauern.“ Jason zuckte die Achseln. „Wie du meinst.“ Er schlenderte mit den beiden Mädchen zurück zu dem belebten Teil des Strandes. "Komm.“ Simon zeigte auf einen Felsvorsprung hinter ihnen. „Wir klettern da hoch.“ Laurie hatte keine Ahnung, was er vorhatte, und folgte ihm neugierig, bis sie oben auf einer unebenen Fläche ankamen, in deren Mitte sich eine leichte Vertiefung befand. Die Abenddämmerung hatte eingesetzt. Dieser Teil des Strandes war völlig menschenleer. Man konnte auch den Anlegesteg von hier aus nicht sehen. Alle waren auf der anderen Seite des Strandes, um das Feuerwerk nicht zu verpassen. Laurie brach als erste das Schweigen. „Worüber willst du - 98 -
mit mir reden?“ Simon lehnte sich an den Felsen. „Nichts Bestimmtes. Ich wollte nur die anderen loswerden und mit dir für ein paar Minuten allein sein.“ Er schaute sie nachdenklich an, „Ist dir eigentlich klar, daß dies das erste Mal ist, daß wir mehrere Stunden zusammen verbracht haben, ohne daß du irgendeine fiese Bemerkung über mich gemacht hast?“ Sie schluckte. „Vielleicht, weil ich dich jetzt besser kenne.“ „Heißt das, du kannst mich jetzt auch besser leiden?“ Laurie war sich nicht ganz klar, wie sie in dieser Situation reagieren sollte. Sie wußte, daß sie während der nächsten drei Monate nett zu ihm sein mußte. Doch gehörte Flirten mit zur Abmachung? Sie fühlte, wie er den Arm um sie legte und sie an seine Brust zog. Er zögerte, aber als sie nicht protestierte, beugte er sich über sie und küßte sie zärtlich auf den Mund. Es war nur ein kurzer Kuß. Kein Vergleich mit dem auf Jasons Party. „Wirst du mir jetzt wieder eine Gardinenpredigt halten?“ fragte er. „Nein, nein“, erwiderte sie mit vor Spannung unsicherer Stimme. „Gut. Er klang zufrieden und beugte sich wieder über sie. Diesmal küßte er Laurie so leidenschaftlich, daß sie alles andere um sich herum vergaß. Als er sie wieder losließ, lehnte sie sich in seinen Arm zurück. „Wir müssen jetzt zu den anderen gehen“, flüsterte sie verlegen. „Das Feuerwerk fängt an, und die wundern sich bestimmt schon, wo wir sind.“ Simon stand langsam auf und streckte die Hand aus, um ihr hochzuhelfen. „Sei vorsichtig, wenn du hinunterkletterst“, sagte er in besorgtem Ton. Sie wanderten Arm in Arm zu den anderen zurück. Ohne ein Wort ließen sie sich wieder auf den Decken ihrer Eltern nieder - 99 -
und warteten auf den Beginn des Feuerwerks. Um neun war es endlich ganz dunkel, und die ersten Raketen wurden abgeschossen. Das ganze Schauspiel dauerte ungefähr eine Viertelstunde. Es war großartig. Der Himmel wurde von blauem, grünem und rotem Sprühregen erhellt, und Laurie kam sich wieder wie ein kleines Mädchen vor. Sie klatschte jedesmal begeistert, wenn die bunten Kracher ein besonders schönes Bild an den Himmel zauberten. Zum Schluß applaudierten alle, obwohl die Techniker am Anlegesteg außer Hörweite waren. Es war immer noch recht warm, und viele Leute gingen noch einmal schwimmen. „Nun, das war's bis zum nächsten Jahr“, seufzte Lauries Mutter. „Es tut mir jedesmal aufs neue leid, wenn dieser Tag vorbei ist. Nach Weihnachten ist es mein Lieblingsfeiertag.“ „Zeit zum Einpacken“, meinte Lauries Vater.“Komm, Jason, hilf mir.“ „Schlafen wir denn diesmal gar nicht draußen?“ Laurie klang richtig vorwurfsvoll. Sonst pflegten sie nach dem Feuerwerk immer die Nacht am Strand zu verbringen. Am nächsten Morgen, sprangen sie dann schnell bei Sonnenaufgang noch einmal ins Wasser, bevor sie wieder nach Hause gingen. Simons Eltern waren erstaunt. „Ihr schlaft hier am Strand?“ fragte Mrs. Simpson. „Wir haben damit angefangen, als die Kinder noch klein waren“, erklärte Mrs. Reid. „Aber dieses Jahr hatten wir es eigentlich nicht vor“, fügte sie hinzu und sah Laurie an. „Warum gehen wir nicht heim und schlafen in unseren schönen, bequemen Betten?“ „Aber wir haben uns doch so darauf gefreut. Stimmt's Jason? Und du, Anne?“ „Ich muß dich leider enttäuschen, Laurie“, bedauerte Anne. - 100 -
„Mom und Dad wollen, daß ich heute abend nach Hause komme.“ In diesem Moment kam Doris angestürmt. „Übernachtet ihr wieder hier draußen?“ fragte sie. „Ich glaube nicht“, antwortete Lauries Mutter an ihrer Stelle. „Mein Mann und ich möchten nach Hause.“ „Kann Laurie uns denn nicht Gesellschaft leisten?“ bettelte Doris. „Meine Eltern bleiben auch hier.“ „Darf ich, Mom? Bitte.“ „Simon und ich bleiben auch hier, Mom“, warf Jason ein. "Es wird schon nichts passieren.“ „Ich weiß nicht.“ Lauries Mutter zögerte. Dann gab sie nach. „Na gut, wenn Doris' Eltern mit dabei sind, ist es in Ordnung. Aber Jason...“ Sie drohte ihm scherzhaft mit dem Finger, „ich erwarte vor dir und Simon, daß ihr die jungen Damen ritterlich beschützt.“ „Das verspreche ich dir. Mach dir keine Sorgen, Mom. Wir bleiben alle zusammen.“ „Ist jetzt alles geregelt? Können wir jetzt gehen?“ Lauries Vater wurde ungeduldig. „Anne, sollen wir dich mit nach Hause nehmen? Es ist noch genug Platz im Wagen.“ „Danke, Mr. Reid. Das ist sehr nett von Ihnen“, sagte Anne. Mr. Reid und Mr. Simpson packten die Schirme zusammen. Laurie und die Jungen halfen ihnen, die Sachen zu den Autos zu tragen. Dann gingen sie zurück und legten ihre Decken neben die von Doris' Eltern. Noch war es warm, aber Laurie zog vorsichtshalber ein TShirt über, falls es in der Nacht kühler wurde. Es waren fast keine Leute mehr am Strand. Doris Vater machte ein Lagerleuer. Ihre Mutter packte Äpfel aus, die sie mitgebracht hatte, und Spieße, um sie darauf zu rösten. So feierten sie den 4. Juli jedes Jahr. Laurie freute sich, daß Simon diesmal dabei war. - 101 -
Sie saßen nebeneinander vor dem Feuer. Obwohl Simon hauptsächlich mit Jason sprach, streifte er Laurie bei jeder Bewegung mit dem Arm. Als alle Äpfel aufgegessen waren, nahm er Ihre Hand, und ließ sie den ganzen Abend nicht mehr los. Es war so selbstverständlich, als wäre er sich dessen gar nicht bewußt. Um Mitternacht schließlich bestand Doris' Mutter darauf, daß sie sich alle schlafen legten. Laurie und Doris lagen auf der einen Decke, Simon und Jason auf der anderen daneben. Doris war in übermütiger Stimmung. Immer wieder piekste sie Jason mit dem Finger in die Seite und streute ihm Sand über die Füße. Laurie spürte, daß ihr Bruder allmählich die Geduld verlor. Sie war nicht überrascht, als er sich schließlich zu Doris umdrehte und sie in barschem Ton anfuhr: „Hör auf damit, oder ich stehe auf und pack' mich woanders hin.“ Es bestand kein Zweifel, daß es ihm Ernst war. Doris drehte sich auf die Seite und beachtete ihn nicht mehr. Laurie wußte, daß sie verletzt war. „Es ist deine eigene Schuld“, flüsterte sie. „ich hab' dir schon mal gesagt, daß du sowas mit Jason nicht machen darfst.“ Doris gab keine Antwort. Am Strand war es jetzt vollkommen still. Laurie betrachtete die Sterne über sich. Sie ließ den ganzen Tag noch einmal in Gedanken vorüberziehen. Es war ein traumhafter 4. Juli gewesen. Alles hatte geklappt, wie sie es sich gewünscht hatte. Morgens ihre Handarbeitsgruppe, das Wetter war rechtzeitig wieder schön geworden, das Schwimmen am Nachmittag... Das beste waren das Picknick und das Feuerwerk gewesen, und vor allem der Spaziergang mit Simon. Sie ahnte, daß es ein wunderbarer Sommer werden würde.
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9. KAPITEL Im Laufe des nächsten Monats wurde Laurie öfter von Simon und Jason zum Rollschuhlaufen oder zum Minigolfspielen eingeladen. Manchmal beschlossen sie auch spontan, am Strand Würstchen zu grillen. Anfangs dachte Laurie, es sei Jasons Idee, sie immer mitzunehmen, aber nach einigen Wochen ahnte sie, daß es Simon war, der sie immer dabei haben wollte. Am ersten August fuhr Laurie mit ihrer Mutter in die Berge, wo ihre Familie jeden Sommer für einen Monat eine Berghütte zu mieten pflegte. Ihr Vater brachte sie mit dem Auto hin, mußte jedoch am selben Abend wieder nach Hause. Während der ersten beiden Wochen kam er nur übers Wochenende vorbei, da er noch keinen Urlaub hatte. Mrs. Larsen hatte sehr verständnisvoll reagiert, als Laurie ihr erklärte, daß sie während der nächsten Zeit keinen Dienst machen konnte. Sie versprach Laurie, ihr die Stelle freizuhalten. Von der Hütte aus hatte man eine wunderschöne Aussicht auf den daruntergelegenen See. Dort befand sich ein kleiner Hafen, in dem ein Motorboot lag, das die Reids zusammen mit der Hütte gemietet hatten. Die ersten Tage verbrachte Laurie mit Schwimmen und Wasserskifahren. Außerdem traf sie Bekannte, die wie sie jedes Jahr wieder hierherkamen. Nach kurzer Zeit begann sie jedoch sich zu langweilen und sonderte sich immer mehr ab. „Hast du denn heute gar nichts Besonderes vor?“ fragte Mrs. - 103 -
Reid eines Morgens, als sie sich an Deck sonnten. „Wo sind denn all deine Freunde?“ Sie waren jetzt eine Woche da. Laurie hatte ihre alten Gewohnheiten wieder aufgenommen. Sie verbrachte die meiste Zeit am Wasser oder in den wenigen Läden des Dorfes, die das Zentrum des kleinen Ortes darstellten. „Ach, ich weiß nicht, Mom. Ich glaube, ich werde langsam zu alt, um meine Sommerferien auf diese Weise zu verbringen.“ „Wie meinst du das?“ Laurie stützte sich auf eines Ellenbogen. „Ich hab das Gefühl, meine Zeit zu verschwenden“, erklärte sie. „Alle haben etwas Interessantes oder Wichtiges vor, und ich sitz' hier wie ein kleines Mädchen, lasse meine Füße im Wasser baumeln und denke darüber nach, ob ich wohl einen Sonnenbrand kriegen werde.“ „Jeder hat das Recht auf einen Urlaub“, meinte ihre Mutter. „Du hast in diesem Jahr sehr hart für die Schule gearbeitet und warst viel im Krankenhaus. Es ist schon ganz richtig, daß du jetzt eine kleine Erholungspause einlegst.“ „Ich hab gestern abend über das Krankenhaus nachgedacht“, gab Laurie zu. „Wenn ich zurückkomme, werden alle Leute aus meiner Handarbeitsgruppe schon entlassen sein.“ „Springen denn Anne und Doris nicht für dich ein?“ wollte ihre Mutter wissen. „Ja, aber sie opfern nicht so viel Zeit wie ich“, berichtete Laurie. „Anne nimmt das alles viel zu sehr mit. Ehrlich gesagt glaube ich, daß sie diese Arbeit nur macht, weil Doris und ich es wollten. Und was Doris betrifft“, fuhr sie fort, „du weißt ja, sie hat noch tausend andere Sachen zu tun. Sie macht ihren normalen Dienst, aber keine Minute darüber hinaus.“ „Wir sollten es uns wirklich überlegen, ob wir nächstes Jahr einen ganzen Monat hier verbringen“, bemerkte ihre Mutter. - 104 -
„Doch wo wir nun einmal hier sind, wollen wir das Beste daraus machen. Es hat dir früher immer sehr viel Spaß gemacht.“ „Die Umgebung gefällt mir immer noch“, sagte Laurie. „Bitte halte mich nicht für undankbar. Es ist nur...“ Sie setzte sich auf und rutschte an den Rand des Schiffes, um ihre Beine ins Wasser zu halten. „Ich weiß nicht, was mit mir los ist.“ Sie lehnte sich zurück und blickte zu dem strahlend blauen Himmel hinauf. „Ich dürfte mich hier eigentlich nicht langweilen, aber es ist so.“ „Nimm doch das Boot und bitte einen unserer Bekannten, mit dir Wasserski zu fahren“, schlug ihre Mutter vor. Laurie rümpfte die Nase. „Keine Lust.“ „Ich weiß nicht, wozu du Lust hast, Laurie. Ich für meinen Teil möchte mich jedenfalls nur entspannen und die Sonne genießen.“ „Klar, Mom. Tut mir leid“, entschuldigte sich Laurie. „Ich wollte dir nicht die Laune verderben.“ "Das hast du nicht“, entgegnete ihre Mutter mit einem Anflug von Gereiztheit in ihrer Stimme. „Ich wünschte nur, du wüßtest, was dir eigentlich fehlt.“ Laurie streckte sich wieder der Länge nach aus und genoß das leichte Schaukeln des Bootes. Wenn Doris kommt,- ist es bestimmt nicht mehr so öde, grübeite sie. Doris wollte ungefähr eine Woche bei ihnen in der Hütte verbringen. Laurie hatte auch Anne eingeladen, aber die hatte abgelehnt, weil ihre Familie Besuch von einem Geschäftsfreund ihres Vaters erwarteten. Laurie durchschaute die Ausrede sofort. Anne wollte nicht zur Hütte kommen, weil Jason nicht da sein würde. Obwohl Anne und Jason sich sehr gern mochten, verhielten sie sich zueinander wie Fremde, seit Anne mit Tom Schluß gemacht hatte. Das war eine Sache, die Laurie nicht verstand. Sie wälzte sich auf den Bauch und seufzte. Ihre Mutter zog - 105 -
fragend die Augenbrauen hoch. „Stimmt was nicht?“ „Nein. Ich habe mich nur gerade gefragt, ob die Liebe wohl immer so kompliziert ist.“ Ihre Mutter lachte. „Spielst du auf jemand Bestimmtes an? Erzähl mir nicht, daß du dich schon wieder mit Simon gestritten hast.“ Laurie fuhr hoch. „Ich rede nicht von mir. Und auch nicht von Simon. Wir sind auch nicht ineinander verliebt. Wir sind nur Freunde, das ist alles.“ „Mir könnt ihr ja alles weismachen“, amüsierte sich Mrs. Reid. Sie warf Laurie einen wissenden Blick zu, entschloß sich jedoch, dieses heikle Thema nicht weiter zu verfolgen. „Wen meinst du denn dann?“ Laurie zögerte. Sie war sich nicht ganz sicher, was ihre Mutter von einer Romanze zwischen Anne und Jason halten würde, aber sie erzählte ihr trotzdem davon. „So“, bemerkte Mrs. Reid leise, als Laurie geendet hatte. „Ich habe mich also nicht geirrt.“ Laurie mußte grinsen. „Dir ist es auch aufgefallen?“ Ihre Mutter nickte. „Natürlich. Jedesmal, wenn Anne Tom erwähnt hat, war Jason verdächtig gereizt. Es wundert mich, daß dir das nicht viel früher aufgefallen ist.“ „Was meinst du, was wir tun sollen?“ fragte Laurie. „Dasselbe wie jetzt“, erwiderte ihre Mutter. „Nichts. Mach dir deswegen keine Gedanken.“ Sie tätscheite Lauries Hand. „Die beiden werden schon allein damit fertig.“ „Aber Jason weiß, daß Anne nicht mehr mit Tom zusammen ist“, sagte Laurie. „Das stimmt. Aber er ist sich noch nicht sicher, ob sie ihn auch mag,“ Mrs. Reid setzte sich auf und lachte. „Glaub mir, es wird schon klappen. Du wirst sehen.“ - 106 -
Laurie hoffte, daß ihre Mutter recht hatte. Am nächsten Montag kamen Jason und Simon für zwei Tage zu Besuch. Sie hatten ihre freien Tage extra so gelegt, daß Jason Simon die Berghütte zeigen konnte. Kaum waren die beiden da, schien Lauries Langeweile wie weggeblasen. Mit einem Male fand sie Schwimmen, Sonnennund Wasserskifahren wieder richtig spannend. Sie verbrachten die meiste Zeit im Freien und kamen nur zum Schlafen in die Hütte. Am Dienstagabend lud Simon Laurie zu einem Spaziergang ein. „Bleibt nicht so lange“, ermahnte Lauries Mutter sie. „Du kannst ja morgen den ganzen Tag schlafen, wenn du willst, Laurie, aber die beiden Jungs müssen schon um fünf aus den Federn, wenn sie rechtzeitig zur Arbeit kommen wollen.“, „Welchen Weg geht ihr?“ fragte Jason. „Ich will ins 'Old Dutch'. Wenn ihr da lang geht, komm' ich mit.“ Das 'Old Dutch' war der einzige Teenager-Treff in der kleinen Stadt. Es nannte sich Café, aber eigentlich war es nur eine einfache, kleine Kneipe mit Holztischen und einer alten Musikbox in der Ecke. Laurie und die Jungen marschierten los. Sie blieben ungefähr eine Stunde im 'Old Dutch', unterhielten sich mit Freunden und tranken Cola. Allmählich füllte sich das Lokal, und es wurde ziemlich laut. Schließlich zupfte Simon Laurie am Ärmel. „Komm“, sagte er. „Wir wollten doch spazierengehen.“ Jason wollte noch länger bleiben, und so gingen Laurie und Simon ohne ihn in die laue Sommernacht hinaus. Sie nahmen den Weg, der zum See hinunterführte. Unten am Wasser befand sich eine kurze Promenade, mit - 107 -
Holzbänken und Blumenkästen. Es war inzwischen ganz dunkel geworden. Nur der Mond spiegelte sich silbern auf der glatten Wasseroberfläche. „Komm, wir setzen uns ein bißchen.“ Simon zog Laurie neben sich auf eine Bank. „Was macht dein Training?“ fragte Laurie, und Simon erzählte ihr, was er inzwischen für Fortschritte gemacht hatte. Er hatte seinen Arm hinter ihr auf die Rückenlehne gelegt und spielte gedankenverloren mit den kurzen schwarzen Locken in ihrem Nacken. Sie unterhielten sich über dies und jenes, als ob sie sich schon eine Ewigkeit kannten. Laurie blickte nachdenklich in den Sternenhimmel. Der Mond stand jetzt tiefer als vorhin. „Es ist besser, wenn wir gehen, Simon“, meinte sie. „Meine Mutter hat recht. Du mußt unbedingt vor der langen Rückfahrt genug Schlaf bekommen.“ „Eine Minute noch.“ Er beugte sich über sie und nahm sie in die Arme. „Morgen früh schläfst du sicher noch, wenn wir losfahren. Deshalb müssen wir uns jetzt verabschieden.“ Er lächelte und küßte sie. Seine Lippen waren warm und weich. Diesmal genoß Laurie seine Umarmung ohne jede Zurückhaltung. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und fühlte, wie seine Hände ihre Schultern fester umspannten. „Du hast mir in den letzten Wochen richtig gefehlt“, gestand Simon. Sein warmer Atem streift ihre Wange. „Besuchst du uns wieder mit Jason?“ flüsterte sie, als er sie losließ. „Ich bin noch nicht eingeladen worden.“ Simons Stimme klang rauh in der Dunkelheit. „Ich lade dich ein", sagte Laurie leise. „Heißt das, du möchtest, daß ich wiederkommen Sie sah sein verschmitztes Grinsen im Mondlicht. „Du willst wohl Komplimente hören, Mr. Simpson“, erwiderte sie mit gespielter Strenge. „Wie du sicher schon weißt, wird sich - 108 -
unsere ganze Familie freuen, dich zu sehen." „Au!“ Simon griff sich an die Brust, als sei er von einem Pfeil getroffen worden. „Schon wieder versuchst du meine sensible Seele zu verletzen.“ Laurie grinste und stand auf. „Komm, du Star“, flachste sie. „Laß uns ins ‚Old Dutch’ gehen und mal gucken, ob Jason noch da ist. Ich möchte nicht, daß meine Mutter wütend wird, weil ich euch davon abgehalten habe, rechtzeitig ins Bett zu kommen.“ „Ach“ lachte Simon. „Das ist ja ein raffiniertes Argument.“ Aber er erhob sich und nahm ihre Hand. Zufrieden und beschwingt bummelten sie zum ‚Old Dutch’ zurück. Erst als Laurie am nächsten Morgen mit ihrer Mutter über die Geburtstagsfete sprach, fiel ihr der Gag wieder ein, den sie mit ihren Freundinnen geplant hatte. Mit einem Schlag war ihre gute Laune verschwunden. Ihre Mutter sah sie erstaunt an. „Stimmt etwas nicht, Laurie? Möchtest du doch keine Party geben?“ „Nein, nein“, versicherte Laurie hastig. Wenn sie Simon den Streich wirklich spielen wollten, mußten sie die Fete machen. Aber jedesmal, wenn ihre Mutter einen Vorschlag machte, reagierte Laurie so gereizt, daß Mrs. Reid es schließlich aufgab, mit ihr darüber zu reden. Am darauffolgenden Wochenende kam Lauries Vater. Er brachte Doris mit. „Ich finde es toll hier“, schwärmte sie, als sie sich am ersten Morgen auf dem Anlegesteg in die Sonne legten. „Ich wünschte, meine Eltern würden hier oben ein Haus mieten anstatt eines am Strand. Wir leben doch sowieso praktisch schon am Meer“, beklagte sie sich. „Ich verstehe nicht, warum - 109 -
sie nicht auch mal woanders hin wollen.“ „Was war denn zu Hause inzwischen so los?“ erkundigte sich Laurie. „Hast du irgend jemanden getroffen?“ „Nur Anne“, berichtete Doris, und ich habe Jason und Simon sehr oft am Strand gesehen. Sie müssen zur Zeit sehr viel arbeiten, wo doch das Wetter so schön ist.“ „Sie waren für zwei Tage hier“, meinte Laurie beiläufig. Doris nickte. „Jason hat es mir erzählt.“ „Wir hatten viel Spaß.“ Laurie pulte gedankenverloren an einem Holzsplitter herum, der aus einem der Bretter des Stegs hervorragte. „Haben die hier alle verrückt gespielt, als sie Simon Simpson gesehen haben?“ „Nicht besonders“, sagte Laurie. „Die meisten haben ihn, glaube ich, gar nicht erkannt. Er hat sich ja auch wirklich sehr verändert seit seinem letzten Film.“ „Und du meinst, er hat sich keine Mühe gegeben, alle wissen zu lassen, wer er ist?“ Doris sah Laurie ungläubig an. Laurie dachte noch einmal genauer nach. „Er hat es nicht einmal erwähnt.“ „Hört sich nicht nach dem Simon an, den ich kenne.“ Doris lehnte sich zurück und schloß die Augen. „Was willst du damit sagen?“ fragte Laurie sauer. „Ich glaube nicht, daß du ihn gut genug kennst, um so über ihn zu reden.“ Doris setzte sich abrupt auf und starrte Laurie an. „Moment mal. Du willst doch nicht etwa unseren Gag ins Wasser fallen lassen, oder? Da fällt mir überhaupt ein, wo ist eigentlich unser Hut? Du müßst doch jetzt damit fertig sein.“ „Der Hut ist zu Hause“, erwiderte Laurie ungeduldig. „Ich habe meine Meinung nicht geändert. Aber ich finde trotzdem, daß du kein Recht hast, so über Simon zu reden, wo du ihn doch gar nicht kannst.,“ - 110 -
„Ich kenne ihn genausogut wie du“, gab Doris zurück. „Das stimmt nicht“, protestierte Laurie und wurde sich sogleich bewußt, wie kindisch das klingen mußte. „Er ist dauernd bei uns zu Hause wegen Jason. Ich sehe ihn viel öfter als du.“ „Laurie Reid!“ rief Doris aus. „Bist du etwa verknallt in diesen versnobten Star?“ „Doris, manchmal machst du mich verrückt“, stöhnte Laurie. „Natürlich bin ich nicht in ihn verliebt. Du siehst mal wieder Gespenster.“ „Dann bleibt es also bei unserer Abmachung?“ bohrte Doris. „Selbstverständlich. Ich hab wie eine Blöde an dem Hut gehäkelt. Mach dir keine Sorgen. Der wird auf jeden Fall rechtzeitig fertig.“ „Gut.“ Doris stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und streckte sich wieder aus. „Ich dachte schon, du hättest es dir anders überlegt. Wäre doch schade gewesen, auf so einen tollen Spaß zu verzichten.“ Sie kicherte. „Wenn wir das Ding drehen, Laurie, kriegt Jason bestimmt einen Anfall. Vielleicht spricht er nie wieder mit dir.“ Wahrscheinlich hat sie recht, schoß es Laurie durch den Kopf. Andererseits hatte diese Sache nichts mit ihm persönlich zu tun. Wenn sie so darüber nachdachte, konnte es eigentlich nur ein Erfolg werden. Alle würden sich köstlich amüsieren, Simon bekäme eine Lektion erteilt, und sie selber könnte einen witzigen Artikel für den Kurier darüber schreiben. Aber als sie mit Doris in der darauffolgenden Woche über dem kurzen Gedicht brüteten, das sie ihm mit dem Hut überreichen wollten, beschlich Laurie ein unangenehmes Gefühl. Irgend etwas an diesem Plan gefiel ihr nicht. Sie wußte nur nicht genau, was. Immer wieder fragte sie sich, ob es wirklich eine so gute Idee war. Warum zögerte sie, ihre Mutter um Rat zu fragen? Normalerweise amüsierte sich ihre Mutter - 111 -
köstlich über die verrückten Streiche, die sie andern Leuten manchmal spielten. Diesmal hatte Laurie jedoch keine Lust, den Humor ihrer Mutter auf die Probe zu stellen. Bei Doris' Abreise war Laurie beinahe erleichtert. Doris erinnerte sie ständig an etwas, was sie lieber verdrängt hätte.
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10. KAPITEL Am Morgen des ersten Schultages zog Laurie sich besonders sorgfältig an. An diesem Tag war sie immer ein bißchen aufgeregt und voller Vorfreude. Das bevorstehende Jahr versprach für sie sehr interessant zu werden. Da sie nun auch in der Oberstufe war, hatte sie beim Kurier den Status einer vollwertigen Reporterin. Elyce Gordon war die neue Herausgeberin. Laurie hatte sich ganz fest vorgenommen, im nächsten Schuljahr selber diesen begehrten Posten zu übernehmen. Doch dafür würde sie hart arbeiten müssen. Während sie in die Küche ging, dachte sie an ihre Handarbeitsgruppe. Nach ihrem Aufenthalt in den Bergen war sie jeden Tag ins Krankenhaus gegangen. Aber jetzt, wo die Schule wieder anfing, konnte sie leider nur noch samstags aushelfen. Der Gedanke daran stimmte sie traurig. Sie hatte eine Menge Patienten kennengelernt. Und was noch viel wichtiger war, die Arbeit in der Handarbeitsgruppe hatte ihr ein Gefühl von Befriedigung und Selbstvertrauen gegeben, das sie noch nie zuvor erlebt hatte. „Beeil dich“, drängte Jason, als Laurie ihrer Mutter guten Morgen sagte und sich an den Frühstückstisch setzte. „Ich will gleich los.“ Laurie trank hastig ihren Orangensaft. „Warum hetzt du so?“ „Ich muß zu unserm Trainer, und ich will Simon mitnehmen.“ - 113 -
„Jason, glaubst du wirklich, er schafft es, in die Mannschaft zu kommen?“ Laurie verschlang in Windeseile ihre Cornflakes. „Damit rechne ich ganz fest“, erklärte Jason bestimmt. „In der Mannschaft fehlen noch vier Leute, und so wie er diesen Sommer über trainiert hat, dürfte er der Erste auf der Liste sein.“ „Hoffentlich. Ich habe so ein Gefühl, daß er Rückschläge schwer verkraften kann.“ Jason sah sie böse an. „Warum mußt du immer über Simon herziehen? Ich hab dir schon mal gesagt, wenn du ihn nicht leiden kannst, dann laß doch die Finger von ihm.“ „So habe ich es doch gar nicht gemeint.“ „Guten Morgen.“ Ihr Vater kam mit einer Zeitung unter dem Arm herein und setzte sich ebenfalls an den Frühstückstisch. Er sah erst auf die Uhr, dann auf Jasons und Lauries Teller. „Meine Güte!“ rief er aus. „Was für ein Glück, daß, meine beiden intelligenten Kinder es kaum erwarten können, in die Schule zu kommen.“ Seine Augen funkelten spitzbübisch. „Freu dich lieber nicht zu früh“, warnte Lauries Mutter ihn. „Das wirst du wahrscheinlich so schnell nicht wieder erleben.“ „Vergiß nicht unsere Abmachung, Jason“, sagte Mr. Reid und schlug die Zeitung auf. „Nicht, daß du mir so viele Leute in das Auto lädst.“ „Ehrenwort, Dad. Ich halt mich dran.“ Jetzt, wo Jason in der Abgangsklasse war, durfte er jeden Tag mit dem Auto in die Schule fahren. Das war viel bequemer als mit dem Bus. Laurie nahm ihre Schultasche und steckte rasch einige Papiere hinein, die sie noch im Büro der Schülerzeitung abgeben mußte. Sie gab ihren Eltern einen flüchtigen Kuß auf die Wange und rannte mit Jason zum Wagen. Nach einer kurzen Fahrt hielt Jason hupend vor Simons - 114 -
Haus. Er kam sofort herausgerannt. Zu Lauries Überraschung öffnete er die Vordertür und setzte sich nach vorn neben sie. Das Wetter war noch ziemlich warm, und Simon trug ein hellblaues Baumwollhemd und Jeans. Beides paßte sehr gut zu seinen Augen und zu seinem Haar. Laurie fand, er sei der bestaussehende Junge, der ihr je über den Weg gelaufen war. Das Wort „Starqualitäten“ kam ihr in den Sinn. Sie hatte es im Zusammenhang mit anderen Schauspielern gehört. Was immer dieser hochtrabende Ausdruck bedeuten mochte, man konnte ihn bestimmt auf Simon anwenden. Laurie hatte keine Zweifel, daß er sofort wieder im Filmgeschäft Karriere machen würde, wenn er es wollte. „Wohin fährst du?“ fragte Laurie, als Jason plötzlich in eine Straße einbog, die in entgegengesetzter Richtung zur Schule lag. „Maria hat mich gebeten, sie abzuholen“, erklärte Jason. Wie reizend! dachte Laurie aufgebracht. Maria wartete schon vor dem Haus auf Jason. Simon stieg aus und hielt ihr die hintere Wagentür auf. Anstatt sich jedoch neben sie zu setzen, schloß er die Tür und setzte sich wieder nach vorn neben Laurie. Laurie mußte sich ziemlich zusammenreißen, um nicht laut loszulachen. Sie konnte sich Marias Gesicht gut vorstellen. Voller Schadenfreude dachte sie an jenen Abend zurück, als sie selbst hinten gesessen hatte und Maria vorn. Damals hatte Maria gleich versucht, die Gelegenheit auszunutzen und sich an Simon ranzumachen. Dies war nun Lauries Chance. Sie rutschte ein Stückchen näher an Simon heran, schob ihren Arm unter seinen und schmiegte sich an seine Schulter. „O Simon“, flötete sie und zwinkerte ihm zu, damit er ihre Absicht e kannte. „Ist das nicht aufregend? Der erste Schultag, und du bist jetzt in der Abgangsklasse. Ich bin auch kein kleines Mädchen mehr. Von nun an wird Jason uns jeden Tag - 115 -
zur Schule fahren, nur uns beide.“ Als Maria einen Ton der Entrüstung von sich gab, drehte Laurie sich um und sah sie mit unschuldiger Miene an. „Hast du etwas gesagt, Maria?“ Sie wußte, daß Maria Jason nicht so einfach bitten konnte, sie jeden Tag abzuholen. Das mußte er ihr schon selbst anbieten, aber darauf würde sie wohl ewig warten können. Laurie erinnerte sich mit heimlicher Schadenfreude an das Gespräch, das sie zu Beginn des Sommers mit Maria am Strand gehabt hatte. So eine Angeberin! Sie war noch immer nicht fest mit Simon befreundet. Sie unternahmen nicht einmal ab und zu etwas zusammen. Oder etwa doch? Auf einmal fiel Laurie ein, daß sie ja einen Monat lang weg gewesen war. Sie hatte keine Ahnung, was Jason und Simon in dieser Zeit getrieben hatten, außer, daß sie in dem Imbiß arbeiteten. Vielleicht hatte sich Simon den ganzen Sommer über mit Maria getroffen. Womöglich war das der Grund, warum Jason ihr angeboten hatte, sie heute morgen im Auto mitzunehmen. Aber wenn es wirklich so war, warum hatte sich Simon dann nicht nach hinten neben sie gesetzt? Und der Abend in den Bergen? Bestimmt bedeutete er etwas. Zwar hatten sie sich bisher noch nicht richtig miteinander verabredet, aber sie waren immerhin zusammen spazierengegangen, und Simon hatte sie geküßt. Plötzlich bemerkte Laurie, daß ihr Arm immer noch unter seinem lag. Sie wollte ihn zurückziehen, aber Simon drückte ihn fest an sich und lächelte ihr zu. Sie strahlte. Er schien wirklich gern mit ihr zusammen zu sein. Das hätte sie sich nicht träumen lassen. Sofort dachte sie bei sich, daß es genau das war, was sie sich für ihren Streich auf der Party vorgestellt hatten. Manchmal fragte sie sich jedoch, ob der Gag wirklich so komisch war. Aber sie verfolgte den Gedankengang nicht - 116 -
weiter. Sie hatten eine Abmachung getroffen, und die Abmachung galt, komme, was wolle. Ihre Schuldgefühle würden bestimmt verschwinden, sobald sie sah, wie sehr sich alle über ihren Einfall amüsierten. Bis zum Unterrichtsbeginn waren es nur noch ein paar Minuten. Laurie, Anne und Doris sahen sich kurz bei den Schließfächern, konnten sich jedoch erst in der Pause vor der Turnstunde in Ruhe miteinander unterhalten. Laurie berichtete ihnen ausführlich von dem Zwischenfall im Auto an jenem Morgen. „Maria hat gekocht vor Wut“, triumphierte sie. „Ich dachte, sie fällt in Ohnmacht, als Simon sich wieder neben mich setzte, anstatt nach hinten zu ihr.“ „Schade, daß ich nicht dabei war“, sagte Doris. „Da habe ich wirklich was verpaßt.“ „Kommt Maria auch zur Party?“ erkundigte sich Anne. „Ja, das wird sich wohl nicht vermeiden lassen“, gestand Laurie. „Vom Kurier sind alle eingeladen, es wäre nicht die feine Art, Maria auszuschließen. Ich bin mal gespannt, was sie sagt, wenn wir Simon mein Kunstwerk überreichen.“ „Wann kriegen wir den Hut endlich zu sehen?“ fragte Doris. „Ist er noch nicht fertig?“ „Ich bin noch dabei.“ Laurie konnte ihr schlecht sagen, daß sie ihn nicht einmal halb fertig hatte. Jedesmal, wenn sie daran weiterhäkeln wollte, kam etwas dazwischen. Sie wußte, daß sie es nicht mehr auf die lange Bank schieben durfte. Bis zur Fete waren es nur noch wenige Wochen. „Ich helfe dir“, bot Doris an. „Wenn wir alle ein bißchen mithäkeln, geht es schneller.“ „Danke, aber das möchte ich nicht.“ Laurie gefiel die Idee überhaupt nicht. „Mach dir keine Sorgen, ich werde es schon - 117 -
noch rechtzeitig schaffen.“ „Das mußt du aber auch, sonst fällt der Gag flach, und der ganze Abend ist ruiniert“, sagte Doris. „Wieso das denn?“ widersprach Laurie genervt. „Vielleicht erinnerst du dich, daß dies eine Geburtstagsparty ist. Wir feiern doch nicht nur, um Simon einen Denkzettel zu verpassen. Schließlich ist es mein sechzehnter Geburtstag! Und Simons siebzehnter“, fügte sie mit Nachdruck hinzu. „Warum regst du dich denn so auf?“ wunderte sich Doris. „Ich hab doch nur gesagt..." „Vergiß es“, schnitt Laurie ihr das Wort ab. „Laßt uns von etwas anderem reden.“ „Gehst du heute nach der Schule gleich nach Hause?“ fragte Anne. Laurie schüttelte den Kopf. „Wir haben eine Redaktionssitzung im Kurier-Büro, und da muß ich hin.“ „Wie lange wird das dauern?“ hakte Anne nach. „Wenn es nicht zu spät wird, warten wir auf dich.“ „Okay“, erwiderte Laurie. „Kommt doch vorbei, wenn ihr Lust habt. Miß Alvarez hat bestimmt nichts dagegen. Es ist nur ein kurzes Treffen, um die nächste Konferenz vorzubereiten, wenn du weißt, was ich meine.“ „Was haltet ihr denn davon“ wenn wir anschließend an den Strand gehen?“ schlug Doris vor. „Laurie, meinst du, daß Jason uns hinfährt?“ „Bestimmt nicht“, erwiderte Laurie. „So wie ich ihn kenne, verbringt er garantiert den ganzen Nachmittag in der Turnhalle. Die Mannschaft trainiert heute zum erstenmal.“ Sie verabredeten, daß sie sich nach der letzten Stunde vor dem Büro des Kuriers treffen würden. Als es soweit war, winkte Laurie die beiden herein und fragte Miß Alvarez, ob sie mit hineinkommen dürften. „Aber natürlich“, sagte die Lehrerin. „Ich bin sicher, es wird - 118 -
nur noch ein paar Minuten dauern.“ , Ein paar Minuten später bereute Laurie es jedoch, Anne und Doris hereingebeten zu haben, denn ausgerechnet Tom Cummings kam zur Tür hereinspaziert. „Was will der denn hier?“ flüsterte Laurie Rod Goren zu. „Er ist doch mit der Schule fertig.“ „Ja, aber er geht erst nächste Woche aufs College“, klärte Rod sie auf. „Miß Alvarez hat ihn gebeten, heute mal hereinzuschauen und Elyce ein paar Tips für die Arbeit zu geben.“ „Na, das ist ja großartig“, stöhnte Laurie. Sie drehte sich zu Anne um, die ziemlich betroffen dreinblickte. Tom sah aus, als hätte ihm jemand einen Schlag in die Magengrube verpaßt. Man merkte ihm deutlich an, daß seine Gefühle für Anne unverändert waren, obwohl sie sich den ganzen Sommer über nicht gesehen hatten. Sofort nach der Sitzung ging Laurie zu ihrer Freundin hinüber, um sich bei ihr zu entschuldigen. „Ich hatte keine Ahnung, daß er hier sein würde, Anne, ehrlich.“ Aber Anne hatte sich schon wieder gefaßt. Es ist nicht deine Schuld, Laurie.“ Sie machte ein nachdenkliches Gesicht. „Weißt du, ich habe langsam den Eindruck, daß Tom es regelrecht genießt zu leiden. Wir haben uns seit Juni nicht mehr getroffen. Ich denke, allmählich müßte er darüber hinweggekommen sein, meinst du nicht?“ Laurie fand, daß Anne recht hatte. Schließlich waren die beiden doch nicht Romeo und Julia. Es war nur eine Schülerfreundschaft gewesen. „Achtung, Leute“, flüsterte Doris. „Tom kommt zu uns rüber.“ Und da war er auch schon. „Hallo, Anne“, sagte er ein bißchen steif, ohne die anderen beiden zu beachten. „Wie geht's dir?“ - 119 -
„Mir geht's gut, Tom“, erwiderte sie freundlich. „Freust du dich schon, daß du bald wegfährst?“ Er zuckte die Achseln. „Eigentlich nicht. Aber es ist auch egal. Ich habe sowieso keinen Grund, noch länger hierzubleiben.“ Doris warf Laurie einen vielsagenden Blick zu und runzelte die Stirn. „Kann ich dich heute abend anrufen?“ fragte Tom. „Lieber nicht, ich...“ „Okay, okay. Hab' schon verstanden.“ Er drehte sich auf dem Absatz um und ging zur Tür hinaus. Voller Mitgefühl legte Laurie den Arm um Anne. „Vielleicht hat er es diesmal wirklich verstanden. Ich wünschte, du könntest es ein bißchen leichter nehmen.“ „Ich auch“, sagte Anne. Dann holte sie tief Luft und fuhr fort: „Trotzdem bin ich davon überzeugt, daß es richtig war, mich von Tom zu trennen. Ich möchte nicht aus Mitleid wieder nachgeben.“ „Weißt du was?“ neckte Laurie sie. „Hinter deiner sanften Fassade versteckst du eine Menge Rückgrat. Komm, laß uns an den Strand gehen, bevor all die anderen Leute auch kommen.“ Am Ausgang liefen ihnen Jason und Simon über den Weg. „Wo wollt ihr drei denn hin?“ erkundigte sich Jason neugierig. Laurie fiel auf, daß er sie in der letzten Zeit nicht mehr das „höllische Trio“ nannte. Sie vermutete, daß sein Interesse für Anne der Grund dafür war. Er sah Anne auf seltsame Weise an. „Ist alles in Ordnung?“ fragte er. Anscheinend war ihm aufgefallen, daß sie ein bißchen durcheinander war. „Sie hat Tom Cummings getroffen“, platzte Doris heraus, bevor sie jemand davon abhalten konnte. „Er hängt immer noch an Anne, und sie kann ihn kaum loswerden.“ „Doris“, zischte Anne "halt den Mund!“ - 120 -
Doris war total überrascht. „Es stimmt doch, oder?“ Anne war knallrot geworden. „Was hat er zu dir gesagt?“ Jason war wütend. „Soll ich ihm..." „O nein, bitte.“ Anne hob abwehrend die Hand. „Es war nichts. Ich bin selber schuld. Er war gekränkt und..." „Du kannst doch nichts dafür“, beruhigte Jason sie. „Gut, du hast mit ihm Schluß gemacht, aber so etwas passiert jeden Tag. Das ist keine große Sache. Vor allem solltest du dich nicht deswegen schuldig fühlen.“ „Das sage ich ihr schon die ganze Zeit“, bekräftigte Laurie in bestimmtem Ton. „Hör auf Jason, Anne. Er hat recht.“ „Ich weiß nicht.“ Anne schüttelte den Kopf. „Jedesmal, wenn ich Tom sehe, komme ich mir so mies vor.“ „Ich finde, du solltest dich einmal mit jemandem aussprechen“, sagte Jason mit ernstem Gesicht. „Aber ich meine nicht mit diesen beiden“, fügte er hinzu, bevor Laurie und Doris protestieren konnten. „Ich glaube, ich sollte heute abend einmal bei dir vorbeikommen und dich auf andere Gedanken bringen.“ Laurie hätte am liebsten applaudiert. Endlich! Ihr Bruder hatte den ersten Schritt gewagt. „Danke, Jason“, erwiderte Anne leise. „Das ist sehr nett von dir.“ „Ich komme so gegen sieben, wenn's dir recht ist“, schlug er vor. „Einverstanden.“ Laurie hoffte einen Moment lang, Simon würde die Gelegenheit nutzen und sich bei ihr für den Abend einladen, aber er tat nichts dergleichen. - 121 -
Am nächsten Morgen fragte Simon Laurie jedoch, wann sie Mittagspause machen würde. „Nach der vierten Stunde“, erwiderte sie. „Und du?“ „Ich auch.“ Er grinste. „Holst du dir etwas aus der Cafeteria oder bringst du dir immer etwas mit?“ Laurie klopfte auf ihre Schultasche. „Ich habe eine Stulle mit. Ich muß mir nur noch Milch dazu kaufen.“ „Dann treffen wir uns in der Cafeteria“, meinte Simon. „Wir können ja rausgehen und uns auf den Rasen setzen.“ „Okay, abgemacht.“ Sie sah Jason an. „lßt du mit Anne?“ Jason nickte, aber er machte nicht den Vorschlag, zusammen zu essen. Er hatte nichts über den vorhergehenden Abend mit Anne gesagt, und Laurie verzichtete darauf, neugierige Fragen zu stellen. In der Mittagspause eilte Laurie sofort in die Cafeteria, wo Simon bereits mit zwei Tüten Milch auf sie wartete. Sie gingen hinaus und machten es sich auf dem Rasen unter einem roten Ahornbaum bequem. „Wie war's denn beim Trainer?“ fragte Laurie und biß in ihr Pausenbrot. „ihr habt gar nichts davon erzählt.“ „Es gab auch nichts Besonderes zu berichten“, antwortete Simon. „Ich habe ihm die Übungskombination vorgeführt, die Jason für mich zusammengestellt hatte. Er fand mich ganz gut, aber...“ Er nahm einen Schluck Milch aus seiner Tüte. „Es wird noch ein paar Wochen dauern, bis er sich endgültig entscheidet.“ Für eine Weile kauten sie schweigend. Plötzlich sagte Simon: „Dieses Jahr werde ich genießen.“ „Ach, wirklich?“ Laurie warf ihm einen fragenden Blick zu. „Wieso kommst du gerade jetzt darauf?“ „Mir ist etwas aufgefallen“, sagte Simon. „Die anderen haben aufgehört mich anzustarren, als käme ich von einem - 122 -
fremden Planeten.“ Laurie lachte. „Du hast deine Aura als Star verloren?“ Er grinste. „Scheint so. Seit drei Tagen hat mich niemand mehr um ein Autogramm gebeten.“ Laurie schaute ihn verblüfft an. Machte er etwa Witze? „Sieht aus, als ob du recht hättest“, fuhr er fort. „ich bin wirklich ein Altstar.“ Laurie hätte sich beinahe verschluckt. „Dafür habe ich mich bereits entschuldigt, Simon. Wie lange willst du es mir noch unter die Nase reiben?“ „Aber Laurie, das war doch nur Spaß. Ich hab gedacht, wir sind seit langem quitt, was das angeht.“ Laurie atmete auf. „In Ordnung. Ich werde in Zukunft meine große Klappe nicht mehr aufreißen, und du wirst nicht mehr beleidigt sein, wenn ich's doch tue.“ Sie mußten beide lachen. „Was haben denn nun eigentlich Jason und Anne miteinander?“ fragte Simon. „Keine Ahnung. Ich dachte, du wüßtest darüber Bescheid“, antwortete Laurie. „Schließlich bist du sein bester Freund.“ Simon schüttelte den Kopf. „Er hat nicht mit mir darüber geredet. Ich weiß bloß das, was ich selbst beobachten konnte.“ „Mir ist es zuerst auch einfach nur so aufgefallen“, gab Laurie zu. „Aber dann hat Anne mir ein bißchen erzählt, und dann... Na ja, schließlich bin ich seine Schwester und merke ziemlich schnell, was mit ihm los ist.“ „Aber er hat dir nichts gesagt?“ „Das ist nicht Jasons Art. Was Mädchen angeht, ist er sehr verschlossen. Irgendwann erzählt er mir schon davon“, versicherte sie sogleich, „aber erst, wenn alles klar ist und er weiß, daß es eine gute Beziehung wird.“ Simon holte einen großen roten Apfel aus seiner Tasche und biß hinein. „Was ist mit dir? Redest du mit Jason über alles?“ - 123 -
fragte er mit vollem Mund. „Ich meine, über deinen Freund und solche Dinge?“ „Normalerweise nicht“, erwiderte Laurie. „Warum?“ Er überlegte einen Moment. „Ich habe mich gefragt, ob du ihm wohl von dem Abend oben in den Bergen erzählt hast.“ Laurie war verunsichert. Worauf wollte er hinaus? Tat es ihm leid, daß er sie geküßt hatte? „Ich habe nichts zu Jason gesagt, und du?“ Simon schüttelte den Kopf und rückte ein Stück näher an sie heran. Er sah ihr tief in die Augen. „Ich möchte, daß es ein Geheimnis zwischen dir und mir bleibt.“ „Warum?“ „Weil ich denke, es geht niemanden etwas an außer uns. Findest du nicht?“ Er machte eine kurze Pause. „Das war einer der schönsten Augenblicke in meinem Leben.“ Laurie fiel ein Stein vom Herzen. Er wollte mit niemandem über jenen Abend sprechen, weil er etwas Besonderes für ihn war. Sie wußte genau, was er meinte. Sie selbst hatte noch nicht einmal Anne oder Doris etwas von ihrem Spaziergang mit Simon verraten. "Da ist etwas, was ich dich eigentlich schon lange fragen wollte“, sagte Simon plötzlich. „Hast du Lust, am Samstagabend mit mir ins Kino zu gehen?“ Laurie schaute ihn überrascht an. „Mit dir und Jason?“ Simon räusperte sich verlegen. „Nein, nur du und ich. Eine Art Rendezvous.“ Laurie holte tief Luft. Endlich! Sie hatten eine richtige Verabredung miteinander. Sie willigte mit Freuden ein und vergaß darüber total, daß sie sich ursprünglich ja nur mit ihm anfreunden wollte, um ihm hinterher eins auszuwischen.
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11. KAPITEL „Ob es Jason und Simon wohl etwas ausmacht, daß wir hier sitzen und ihnen zusehen?“ fragte Anne. Es war Montagnachmittag. Die drei Mädchen waren nach dem Unterricht noch in die Turnhalle gegangen, um der Schulmannschaft beim Training zuzusehen. „Sei nicht albern“, meinte Doris, bevor Laurie etwas erwidern konnte. „Die finden es doch toll, wenn wir hier sind. Da kommen sie erst so richtig in Schwung.“ „Jason ist nicht eitel“, widersprach Anne. „Er ist ein ernsthafter Sportler.“ „Kann schon sein“, räumte- Doris ein. „Aber das heißt noch lange nicht, daß er es nicht gern hat, wenn die Mädchen kommen, um seine Muskeln zu bewundern. Und wir alle wissen, warum unser Liebling Simon hier ist.“ „Was willst du damit sagen?“ Laurie fühlte sich durch Doris' Ton provoziert. In der letzten Zeit kam das öfter vor, besonders, wenn Doris eine ihrer spitzen Bemerkungen über Simon vom Stapel ließ. „Der will doch nur in die Mannschaft, um sich zu produzieren“, behauptete Doris. „Schließlich weiß doch jeder, daß er nicht gerade Olympiareif ist.“ „Er macht es, weil er echt Spaß dran hat“, gab Laurie zurück. „Und er ist wirklich gut.“ Simon turnte gerade an den Ringen. Doris kauerte sich mit den Füßen auf die Bank und stützte ihr Kinn auf die Knie. „Findet ihr es nicht langweilig?“ - 125 -
„Ich finde es sehr elegant“, erklärte Anne. „Das sagst du nur, weil du Jason zusiehst“, antwortete Doris. Anne erwidert nichts, aber Laurie bemerkte, wie ein kleines Lächeln um ihre Lippen spielte. „Hast du schon neue Ideen für die Party?“ fragte Anne, um das Thema zu wechseln. „Ihr macht euch keine Vorstellung, was Mom und Mrs. Simpson für einen Aufwand treiben“, stöhnte Laurie. „Ich glaube, sie haben im Umkreis von hundert Kilometern jedes Papierwarengeschäft abgeklappert. Ihr werdet noch staunen, wenn ihr die Tischdekoration seht.“ „Ist sie schön?“ „Einfach phantastisch! Nicht zu überladen, nicht so kitschig wie für ein kleines Mädchen, aber auch nicht wie für einen Fußballspieler, wenn ihr wißt, was ich meine.“ „Welche Farben?“ wollte Doris wissen. Laurie lachte. „Sie haben eine tolle Idee gehabt. Weil es doch auch Kolumbus' Geburtstag ist, soll alles in den Farben der italienischen Fahne geschmückt werden. Die Tischdecken sind grün, die Pappteller und Becher rot und weiß. Es wird einfach sensationell aussehen.“ Sie lehnte sich vor und sprach etwas leiser. „Mrs. Simpson wollte für den Abend eine Band engagieren. Könnt ihr euch das vorstellen? Aber meine Mutter hat gesagt, dafür wäre unser Haus zu klein, und nun mietet Simons Vater eine ganz große Stereoanlage. Sie wird so aufgebaut, daß wir drinnen oder draußen tanzen können, wie wir wollen...“ „Draußen tanzen im Oktober?“ rief Doris. „Du spinnst ja.“ „Warte doch. Jetzt kommt noch etwas. Sie haben Heizröhren für draußen gemietet. Man muß sich natürlich trotzdem eine Jacke oder etwas anderes Überziehen, aber zum - 126 -
Tanzen wird es warm genug sein.“ „Mrs. Simpson scheint in Hollywood gelernt zu haben, wie man Partys organisiert“, stichelte Doris. „Ich habe dir schon hundertmal gesagt, daß sie nicht in Hollywood gewohnt haben“, konterte Laurie sauer. „Sie haben in Nordkalifornien gewohnt.“ „In Palo Alto“, half Anne nach.“ Wo die Stanford Universität ist.“ „Woher weißt du das denn?“ erkundigte sich Doris. „Tom hat sich dort an einem College beworben. Er wollte so gern an der Westküste studieren.“ „Wie schade für ihn, daß er es nicht geschafft hat“, bemerkte Doris spöttisch. Anne tat, als hätte sie es nicht gehört. „Erzähl weiter“, bat sie. „Gibt es eine dieser riesigen Geburtstagstorten?“ „Sogar zwei“, berichtete Laurie. „Mom und Mrs. Simpson haben etwas Besonderes damit vor. Als ich neulich ins Wohnzimmer gekommen bin, kicherten sie wie zwei kleine Mädchen. Es ging um irgend so eine Glasur. Ich glaube, die beiden Torten sollen der Hit des Abends werden.“ Doris hielt sich den Bauch vor Lachen. „Wenn die wüßten, was wir vorhaben! Ich überlege schon die ganze Zeit, ob wir Simon den Hut geben sollen, nachdem ihr alle anderen Geschenke ausgepackt habt, oder bevor ihr damit anfangt.“ „Willst du meinen Rat?“ fragte Anne. „Klar“, sagte Doris. „Ich finde, wir sollten das Ganze lassen“, erklärte Anne. „Ich habe sehr lange darüber nachgedacht, und ich finde, was ihr vorhabt, ist gemein.“ „Wieso kneifst du plötzlich?“ empörte sich Doris. „Was ist los? Hast du Angst, Jason könnte sauer werden? Hey, hast du ihm etwa von unserer Idee erzählt?“ „So etwas würde Anne bestimmt nicht tun“, warf Laurie mit - 127 -
einem prüfenden Seitenblick zu Anne ein. „Nein, ich habe nichts zu Jason gesagt. Trotzdem glaube ich ...“ „Aber Anne, als wir uns dafür entschieden haben, fandest du es doch auch lustig.“ „Ich weiß, aber damals waren wir noch nicht mit Simon befreundet.“ „Wenn man einem Freund keinen Streich spielen kann, wem dann?“ wandte Doris ein. „Außerdem bin ich mir gar nicht so sicher, ob Laurie nicht von Anfang an recht gehabt hat. Sie zeigte in die Halle hinunter, wo Simon gerade eine komplizierte Übung auf dem Pferd machte. Er hat etwas von einem Showstar an sich, daß müßt ihr doch zugeben.“ „Aber er ist nicht eingebildet“, beharrte Anne. „Und damit ist unser Gag eigentlich total sinnlos.“ „Hört mal, ich habe mit dem Gedicht angefangen, das wir ihm dazulegen wollen, und mir ist da was Gutes eingefallen. Hier.“ Doris durchstöberte ihr Notizbuch und nahm schließlich ein loses Blatt heraus. Das Gedicht hieß „Wie wir diesen Hut gemacht haben! Gewidmet unserem Lieblingskinderstar.“ In diesem Moment kam Jason die Stufen heraufgerannt. Er wischte sich sein schweißüberströmtes Gesicht mit einem Handtuch ab und sah die drei Mädchen erstaunt an. „Worüber lacht ihr denn so?“ fragte er irritiert. „Etwas Lustiges“, erwiderte Doris schlagfertig. „Darf ich mitlachen?“ Er blickte auf das Papier in ihrer Hand. „O nein“, kicherte Doris und steckte den Zettel schleunigst wieder in ihr Notizbuch. „Kennst du den Spruch: Die letzten werden die ersten sein.'?.“ Sie knuffte ihn spielerisch in die Seite. „Du wirst der letzte sein, der es erfährt!“ Jason runzelte die Stirn. „Was wird hier eigentlich - 128 -
gespielt?“ „Nichts“, sagte Laurie schnell. „Doris ist nur albern.“ Jason zuckte die Achseln. „Okay. Wen soll ich jetzt nach Hause bringen? Ich muß nur noch duschen, wenn ihr solange warten wollt.“ Er sprach mit ihnen allen dreien, aber er sah nur Anne an. „Aber natürlich“, meinte Laurie. „Geh nur.“ Sobald er im Umkleideraum verschwunden war, wandte Laurie sich Doris zu. „Was hast du dir dabei gedacht? Wir wollten es doch geheimhalten.“ „Und wenn Jason etwas erfährt, Anne, spricht er nie wieder mit mir. Das habe ich fest im Gefühl.“ „Okay, okay.“ Doris spielte die Zerknirschte. „Tut mir leid, daß mir etwas herausgerutscht ist. Ich werde in Zukunft schweigen wie ein Grab. Ehrenwort. Nachdem sie Doris abgesetzt hatten, drehte Jason sich zu Anne um und fragte: „Mußt du sofort nach Hause?“ „Hm“, meinte Anne und sah auf ihre Armbanduhr, „es ist schon halb fünf.“ „Komm doch mit mir und Laurie noch auf eine Cola zu Saunders.“ Anne drehte sich zu Laurie um, die hinten auf dem Rücksitz saß. „Bist du einverstanden?“ „Warum nicht? Ich habe heute zum Glück nicht so viele Hausaufgaben.“ Laurie war überzeugt, daß Jason viel lieber mit Anne allein gewesen wäre. Aber da sie nun mal seine Schwester war und gerade mit ihm im Auto saß, mußte er sich wohl oder übel mit ihrer Anwesenheit abfinden. Er konnte sie ja nicht auffordern, auszusteigen und den Rest des Weges zu Fuß zu laufen. „Wo ist Simon abgeblieben?“ fragte sie scheinbar beiläufig, - 129 -
als ob sie sich nicht seit ihrer Abfahrt von der Schule Gedanken machte, warum er nicht wie sonst mit ihnen nach Hause fuhr. „Seine Mutter hat ihn nach dem Training abgeholt“, sagte Jason. „Sie wollten noch etwas einkaufen.“ „Ach so.“ Laurie war erleichtert zu hören, daß er nicht mit Maria Grant verschwunden war. Als Jason, Anne und Laurie im Café ankamen, waren schon einige von ihren Freunden da. Die drei setzten sich an einen Tisch am Ende des Raumes und bestellten bei einem jungen Kellner, der in Jasons Klasse ging. Laurie starrte nachdenklich auf ihr Glas. Jason und Anne schienen alles um sich herum vergessen zu haben und unterhielten sich. Insgeheim beneidete Laurie die beiden. Anne und Jason kannten sich seit ihrer frühesten Kindheit, aber bis vor ein paar Monaten hatte Jason Anne überhaupt nicht beachtet. Sie war nichts weiter gewesen als die Freundin seiner kleinen Schwester. Jetzt jedoch konnten sie offenbar stundenlang miteinander klönen, ohne daß ihnen der Gesprächsstoff ausging. Mit Simon war das anders. So wohl Laurie sich an jenem Abend am See auch gefühlt hatte, so schwer fiel es ihr nun, sich in seiner Gegenwart locker zu geben. Selbst wenn sie sich ganz nah waren, z. B. im Kino oder wenn er sie zum Abschied küßte, hatte sie immer so ein seltsames Gefühl, daß etwas nicht stimmte. Simon war, nicht ihr erster Freund. Sie war früher mal längere Zeit mit Alfie Garver zusammen gewesen. Aber das hier war etwas anderes. Sie und Simon gingen fast jeden Samstagabend aus, und während der Woche kam er auch ein paarmal zum Fernsehen oder um ihr bei den Hausaufgaben zu helfen. Dennoch war sich Laurie immer bewußt, daß er sich von - 130 -
den anderen Jungen unterschied, die sie sonst kannte. Am liebsten hätte sie mit ihrem Bruder darüber geredet, aber Jason verbrachte jetzt jede freie Minute mit Anne und hatte für nichts anderes mehr Zeit. Sie schlurfte den Rest ihrer Cola aus und schüttelte spielerisch das Eis im Glas hin und her. „Es tut mir leid, wenn ich euch störe“, sagte sie schließlich, „aber ich glaube, wir sollten lieber nach Hause fahren, Jason. Mom wird sich schon wundern, wo wir sind.“ „Für mich wird es auch höchste Zeit“, stimmte Anne zu. Zu Lauries Überraschung lud Jason sie beide ein. Dann fuhren sie heim. Jason schwieg und machte die ganze Zeit ein ziemlich nachdenkliches Gesicht. Als Laurie nach dem Abendessen in ihrem Zimmer saß, um für die Schule zu lernen, klopfte Jason an ihre Tür und fragte, ob er hereinkommen dürfe. „Klar.“ Laurie schob ihre Bücher beiseite. Dann setzte sie sich im Schneidersitz auf ihr Bett. „Ich möchte wetten, daß ich schon weiß, was du willst“, flachste sie. „Ach ja?“ Jason runzelte die Stirn. „Du willst mir sagen, was Anne für ein tolles Mädchen ist und wie froh du bist, daß ich so nette Freundinnen habe.“ „Da muß ich dich leider enttäuschen“, meinte Jason. „Ich will mit dir über Doris reden.“ „Wieso?“ wunderte sich Laurie. „Ist irgend etwas?“ „Weißt du, Laurie“, begann Jason und ging unruhig im Zimmer auf und ab, „Ich verstehe nicht, was du an ihr findest. Sie ist strohdumm. Ich habe nie verstehen können, warum ihr beide miteinander befreundet seid. Anne ist ganz anders. Sie ist intelligent, sensibel und...“ - 131 -
„Ich dachte, du wolltest nicht über Anne sprechen“, unterbrach ihn Laurie. Es tat ihr weh, daß Jason Doris so hart kritisierte. Doris gehörte seit ihrer frühesten Kindheit zu ihren besten Freundinnen. Zugegeben, sie hatte eine Menge verrückte Ideen, und war manchmal etwas rücksichtslos. Jason war auch nicht perfekt. Selbst Anne war nicht immer der sanfte, liebe Mensch, für den Jason sie hielt. Laurie hatte sie bei manchen Gelegenheiten schon richtig wütend werden sehen. Jason steckte die Hände in die Hosentaschen und kam zu ihr ans Bett. „Heraus mit der Sprache. Was hat Doris vor?“ Laurie hielt den Atem an. „Wovon sprichst du eigentlich, Jason?“ „Komm schon, mir kannst du nichts vormachen. Ich möchte wetten, daß sie etwas ausheckt. Seit Tagen kichert sie herum und macht ständig irgendwelche Anspielungen.“ „Ich habe wirklich nicht die leiseste Ahnung, was du meinst“, schwindelte Laurie. „Hör auf, Theater zu spielen. Doris läßt dauernd kleine Bemerkungen fallen und rollt mit den Augen. Sie benimmt sich ganz eigenartig, wie zum Beispiel heute, als sie diesen Zettel versteckt hat. Was hat das alles zu bedeuten?“ Jason wurde langsam wütend. „Nur etwas Komisches, was sie geschrieben hatte“, stotterte Laurie. „Worüber?“ „Über ein Geschenk, das sie jemanden geben will.“. Laurie schluckte. Sie wollte nicht direkt lügen und es war ja auch fast die Wahrheit. Jason lehnte sich gegen ihr Bett. „Hat es irgend etwas mit Simon zu tun?“ „Mit Simon?“ rief Laurie aus. „Wie kommst du denn auf die - 132 -
Idee?“ „Ach, nur so“, erwiderte Jason. „Aber hier geht irgend etwas vor, da bin ich mir ganz sicher.“ Er sah Laurie drohend an. „Würdest du es mir verraten, wenn du es wüßtest?“ „Dann müßte Anne es doch auch wissen?“ bemerkte Laurie in nüchternem Ton. „Hat sie dir etwas erzählt?“ „Nein“, gestand Jason. „Aber ich hab' sie auch noch nicht besonders unter Druck gesetzt.“ „Aha, ich verstehe.“ Laurie verschränkte die Arme. „Du findest es wohl völlig in Ordnung, der Schwester die Hölle heiß zu machen, aber bitte nicht der Freundin.“ „Hör auf, Laurie“, meinte Jason. „Du weißt, daß ich mich nicht mit Anne streiten möchte.“ „Glaub mir, es ist nichts, worüber du dir Sorgen machen müßtest. Und laß bitte Anne damit in Ruhe.“ Jason war noch nicht ganz überzeugt, doch er stand auf und sagte: „Okay, reden wir nicht mehr davon. Aber laß dich nicht in etwas hineinziehen, was du später bereust.“ „Bestimmt nicht, Jason. Ich verspreche es.“ Er ging hinaus und schloß die Tür hinter sich. Laurie setzte sich wieder an ihren Schreibtisch, Sie schlug ihr Englischbuch auf und stellte fest, daß sie sich nicht auf ihre Hausaufgaben konzentrieren konnte. Jasons Worte gingen ihr die ganze Zeit im Kopf herum. Die Geschichte mit dem Hut erschien ihr plötzlich sehr zweifelhaft. Sie stand auf und ging zum Schrank, um die Tasche herauszuholen, in der sich ihr Häkelzeug befand. Der Hut war fast fertig. Noch ein paar Reihen und die Bummel obendrauf, das war's. Gedankenverloren zupfte sie an der orangefarbenen Wolle herum. Ohne nachzudenken, zog sie die Nadel heraus und begann das Gehäkelte wieder aufzuräufeln. Nach ungefähr zehn Zentimeter nahm sie die Schlaufe wieder auf und häkelte weiter. - 133 -
Wenn Doris erfuhr, was sie getan hatte, würde sie fuchsteufelswild werden. Laurie versuchte krampfhaft, nicht darüber nachzudenken, warum sie einen Teil ihrer Arbeit wieder zerstört hatte. Schade. Es war ein lustiger Streich. Aber wenn der Hut nicht rechtzeitig fertig wurde, dann... Sie unterbrach ihren Gedankengang und betrachtete sich selbst im Spiegel. Wenn der Hut nicht fertig war, mußte der Gag eben flachfallen. Aber Doris freute sich so darauf. Laurie beschloß Anne anzurufen, weil ihr die Sache allmählich zu kompliziert wurde. Hastig rollte sie den Hut zusammen und stellte die Tasche wieder in den Schrank. Sie holte das Telefon aus dem Flur in ihr Zimmer und schloß sorgfältig die Tür hinter sich. Als Anne sich meldete, erzählte Laurie ihr gleich von dem Gespräch mit Jason. „O Laurie, was soll ich bloß machen?“ stöhnte Anne. „Er wird es mir nie verzeihen, wenn er herausfindet, daß ich in diese Geschichte verwickelt bin.“ „Ich weiß auch nicht, was wir tun sollen“, gestand Laurie kleinlaut. „Es ist zu spät, um das Ganze abzublasen.“ „Das ist nicht wahr“, widersprach Anne. „Wir brauchen es doch bloß bleiben zu lassen.“ „Aber Doris freut sich so darauf“, wandte Laurie ein. „Und es ist ja auch eine witzige Idee. Du wirst uns doch jetzt nicht im Stich lassen?“ fragte Laurie ängstlich. „Nein“, gab Anne nach. „Wir stecken da alle drin. Wenn ihr es unbedingt machen wollt, bin ich mit dabei.“ „Wir haben ja noch ein paar Wochen Zeit“, sagte Laurie mit einem Seufzer. „Mal sehen, was passiert.“ Kurz bevor sie einhängte, sagte Anne jedoch: „Laurie, laß - 134 -
uns versuchen, Doris von diesem Blödsinn abzubringen.“ „Ich glaube, da haben wir keine Chance“, seufzte Laurie. Nachdem sie aufgelegt hatte, legte sie sich aufs Bett und dachte nach. In ihrem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander. Sie hatte mit Anne und Doris schon viele verrückte Sachen angestellt und sich dabei niemals gefragt, warum sie das eigentlich taten. Die Idee mit dem Hut war als witziger Streich geplant, den sie jemandem spielen wollten, der es verdient hatte. Aber jetzt, wo sie Simon besser kannte, mußte sie zugeben, daß er überhaupt nicht der eingebildete Snob war, den sie anfangs so gehaßt hatte. Er war ein toller Typ, und sie mochte ihn sehr. Wenn diese Geburtstagsparty vorbei war, würde er wahrscheinlich nie wieder mit ihr reden.
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12. KAPITEL Eine Woche vor der Party fand das erste Footballspiel der Monroe High School In dieser Saison statt. Die letzten Wochen waren ohne Zwischenfälle verlaufen. Laurie hatte Jasons Warnung erfolgreich verdrängt. Sie wollte nicht daran denken, daß ihr glorreicher Gag ein Bumerang werden könnte. Es war ein warmer Nachmittag im Oktober. Die frische Herbstluft roch nach trockenen Blättern, feuchter Erde und verbranntem Holz. Als Laurie, Anne, Simon und Jason die Stufen des Stadions hinaufgehen wollten, um sich Plätze zu suchen, kam Doris ihnen schon entgegen. „Kommt, ich habe da drüben Plätze für euch besetzt.“ Sie zeigte in den nächsten Gang. „Von da aus können wir Bob besser sehen.“ Bob Chester, der Quarterback der Footballmannschaft, war nämlich ihre neueste Eroberung. Im Sommer war sie ein paarmal am Strand zu ihm hingegangen und hatte versucht, mit ihm ein Gespräch anzufangen. Gleich zu Beginn des neuen Schuljahrs hatte sie geschickt seinen Stundenplan ausspioniert und war ihm so lange „rein zufällig“ über den Weg gelaufen, bis er sich schließlich mit ihr verabredet hatte. Laurie bezweifelte jedoch, daß sich diese Romanze zu einer ernsthaften Freundschaft entwickeln würde. Bob kriegte jedes Mädchen, das er wollte, und Doris blieb nie lange mit demselben Typen zusammen. Für die Dauer der Fußballsaison jedoch würde die Beziehung vielleicht gerade halten, vermutete Laurie. - 136 -
Jason war nicht besonders scharf darauf, mit Doris zusammen zu sitzen, aber Anne warf ihm einen bittenden Blick zu. Laurie wußte sofort, was sie dachte. Auch wenn Jason und Simon Doris nicht mochten, so blieb sie doch immer noch Lauries und Annes beste Freundin. Sie setzten sich schnell hin und bekamen noch den Anstoß mit. Die Mannschaft der Monroe High School spielte gegen ihren stärksten Gegner, die Madison High School. Die erste Halbzeit lief etwas zähflüssig dahin. Aber in der zweiten Halbzeit kam allmählich Leben in das Spiel, und es wurde doch noch sehr spannend. Fünf Minuten vor Spielschluß führte Monroe drei zu eins. „Ich wußte, daß wir gewinnen“, jubelte Laurie. „Das wird eine Supersaison!“ „Noch haben wir nicht gewonnen“, warnte Jason. „Madison hat noch genügend Zeit nachzuziehen.“ Die Madison-Mannschaft hatte gerade den Ball und spielte langsam, aber gleichmäßig in Richtung auf das andere Tor zu. „Nur noch vier Minuten.“ Laurie zeigte auf die elektronische Anzeigetafel. „Vier Minuten sind beim Football eine lange Zeit“, meinte Jason. „Da ist noch alles drin.“ Er saß vorne auf der Kante der Bank und umklammerte mit den Fingern das Holz. Für Jason war Sport immer eine ernste Sache, egal, ob er selber mitspielte oder nur Zuschauer war. Plötzlich sprang Simon auf. Alle Monroe-Fans standen jetzt und schrien sich die Kehle aus dem Leib. Ihre Mannschaft hatte der anderen den Ball wieder abgejagt. Als sie sich alle wieder hingesetzt und ein wenig beruhigt hatten, brummte Jason: „Okay, Chester, nun zeig mal, was du kannst.“ „Er schafft es“, prophezeite Doris stolz, die neben Laurie saß. „Bob kann alles.“ Sie sah sich um, ob auch jeder - 137 -
mitbekommen hatte, daß sie ihn bei seinem Vornamen nannte. Laurie mußte lachen. „Du genießt es so richtig, die Freundin unseres Footballhelden zu sein, nicht wahr?“ „Aber klar doch“, gestand Doris. „Jedes Mädchen freut sich, wenn es mit einem berühmten Jungen ausgehen kann.“ Sie warf Laurie einen vielsagenden Seitenblick zu. „Du nicht?“ Im ersten Moment verstand Laurie gar nicht, was diese Anspielung sollte. Dann dämmerte es ihr. Doris meinte Simon. Laurie fiel auf, daß es schon lange her war, seit sie das letzte Mal daran gedacht hatte, wie berühmt er war. Er war einfach ein Freund von Jason geworden, ein Junge, der in ihrer Straße wohnte, und das Wichtigste: Er war ihr Freund, mit dem sie jeden Samstagabend ausging. Einen Augenblick später wurde sie jedoch wieder daran erinnert, wie bekannt er war. Kurz vor dem Schlußpfiff hatte Bob Chester tatsächlich noch in grandiosem Stil ein letztes Tor geschossen. Während die Sportfans zu den Ausgängen drängten, kam ein kleines Mädchen auf Simon zu. „Entschuldige“, sagte sie und zog ihn am Ärmel. „Bist du wirklich Simon Simpson?“ Verblüfft registrierte Laurie die Verwandlung, die mit Simon vor sich ging. Aus dem Schüler, der sich über den Sieg seiner Mannschaft freute, wurde plötzlich ein routinierter Star mit Selbstbewußtsein und unverbindlichem Charme. „Ja, ich bin Simon Simpson“, erklärte er mit einer Stimme, die Laurie im stillen immer seine „Erwachsenenstimme“ nannte. „Wie heißt du?“ „Jenny“, erwiderte sie und sah ihm mit großen, runden Augen bewundernd an. Simon streckte ihr feierlich die Hand hin. „Nett, dich kennenzulernen, Jenny.“ Ihre kleine Hand verschwand vollkommen in seiner. - 138 -
„Meine Mutter meint, ich könnte dich ruhig um ein Autogramm bitten.“ Dann holte sie aus ihrer Jackentasche einen zerknüllten Papierfetzen und einen angekauten Bleistiftstummel hervor. „Das tue ich gern“, sagte Simon in ernsthaftem Ton. Er setzte sich auf die nächste Bank und schrieb etwas auf den Zettel. „Danke“, antwortete das Mädchen schüchtern, und schaute sich dann auf dem Papier an, was er geschrieben hatte. „Es war mir ein Vergnügen.“ Simon nahm wieder Lauries Arm, und sie gingen zusammen die Treppe hinunter. Der kleine Zwischenfall hatte die Aufmerksamkeit einiger anderer Zuschauer erregt. Laurie bemerkte, daß sie auf dem Weg zum Parkplatz von neugierigen Augen beobachtet wurden. Natürlich war dies nicht das erste Mal, daß Simon so etwas passierte, aber Laurie hatte es noch nie selbst miterlebt. Ihre Freunde und die anderen Schüler hatten sich ziemlich schnell daran gewöhnt, daß Simon nun auf ihre Schule ging. Laurie war überzeugt, daß inzwischen kaum noch jemand daran dachte, wer er eigentlich war. Als sie im Wagen saßen und nach Hause fuhren, ergriff Laurie spontan Simons Hand. „Das war nett“, meinte sie und lächelte ihn herzlich an. „Was? Daß wir das Spiel gewonnen haben?“ Simon war erstaunt. Laurie schüttelte den Kopf. „Wie du reagiert hast, als dich das Mädchen vorhin um ein Autogramm gebeten hat.“ „Ach das.“ Er wurde verlegen. Doch dann zog er Laurie näher zu sich heran. Am selben Abend fand in der Aula der Schule eine Disco statt. Laurie hatte Doris und Anne eingeladen, vorher bei ihr - 139 -
Abendbrot zu essen. Zu Hause angekommen, beschlossen Jason und Simon, noch eine Stunde zu trainieren. Die Mädchen gingen hinauf in Lauries Zimmer. „Kommt Bob dich heute abholen?“ fragte Anne Doris, nachdem sie es sich auf Lauries breitem Bett bequem gemacht hatten. Doris schüttelte den Kopf. „Wir treffen uns in der Schule“, erklärte sie. „Ich fahre mit euch.“ „Aber dann kannst du die Aula nicht an seinem Arm betreten“, neckte Laurie sie. „Klar werde ich das.“ Doris lachte. „Er wartet an der Tür auf mich. Ich möchte wetten, daß die Leute heute bestimmt mich und Bob anstarren statt dich und Simon.“ Laurie war überrascht. „Aber wir werden doch gar nicht angestarrt.“ „Nicht von denen, die euch jeden Tag sehen“, erwiderte Doris. „Aber du hast selbst mitbekommen, was heute nachmittag passiert ist.“ „Ach so. Das war doch nur eine kleine Verehrerin, die ihn gerade in einem Film bewundert hat.“ „Laurie, stell dich nicht dumm“, stichelte Doris weiter. „Ist dir noch nicht aufgefallen, wie sich Simon jedesmal umguckt, wenn er einen Raum betritt? Er weiß, daß er beobachtet wird.“ „Wahrscheinlich hat er Angst, daß ihn jemand um ein Autogramm bittet“, warf Anne ein. „Ich finde, er hat sehr gut darauf reagiert“, verteidigte Laurie ihn. „Das finde ich auch“, stimmte Anne zu. „Ich habe nicht den Eindruck, daß er es genießt.“ „Er kostet es so richtig aus“, behauptete Doris hartnäckig. „Jeder Mensch steht gerne im Mittelpunkt, besonders Schauspieler.“ - 140 -
„Doris, ich bin wirklich beeindruckt von deiner Lebensweisheit“, zog Anne sie auf. „Wo hast du nur dieses erhabene Wissen her?“ „Lacht nur“, wehrte sich Doris. „Ich bin ein guter Menschenkenner, und ich sage euch, Simon genießt Situationen wie heute nachmittags Hey“, wechselte sie plötzlich das Thema, „wo ist der Hut?“ Laurie zuckte zusammen. Dann rutschte sie widerwillig vom Bett, ging zum Schrank und kramte die Plastiktüte mit ihrem Häkelzeug hervor. „Ach du Schande!“ rief Doris aus, als sie den halbfertigen Hut begutachtete. „Der ist ja noch lange nicht fertig, und die Party ist schon nächste Woche.“ „Ich hatte Probleme damit“, flunkerte Laurie rasch. „Ich mußte ihn ein paar mal wieder auftrennen, weil Fehler drin waren.“ Doris schüttelte den Kopf. „Du hast zu viel zu tun, Laurie Reid. Du mußt Schularbeiten machen, für den Kurier schreiben und im Krankenhaus arbeiten. Das kannst du ja gar nicht alles schaffen.“ Sie steckte den Hut in die Tüte zurück. „ich nehme ihn mit nach Hause und mach ihn fertig.“ „Nein!“ Laurie geriet in Panik. „Doris, ich finde...“ „Laurie, ich habe viel Zeit“, unterbrach Doris sie. „Ich kann ihn in einer Nacht fertig häkeln.“ „Aber ich bin mir nicht sicher, ob...“, begann Laurie. Doris wollte nichts mehr davon hören: „Abgemacht.“ Sie steckte die Tüte in ihre Tasche. „ich kümmere mich darum.“ Nun blieb Laurie nichts anderes mehr übrig, als Doris alles zu beichten. Sie wußte, daß Anne sie beobachtete. Wahrscheinlich ahnte sie, was mit dem Hut war. Laurie überlegte fieberhaft. Doris würde bestimmt ausflippen, wenn Laurie darauf bestand, ihr gemeinsames Vorhaben abzublasen. Andererseits hatte Laurie noch größere Angst davor, was - 141 -
passieren würde, wenn sie Simon tatsächlich diesen Streich spielten. Jetzt, wo sie fest miteinander befreundet waren, schien ihr der Gag gar nicht mehr so komisch, sondern ziemlich link. Sie hatte die ganze Sache angezettelt, als sie Simon noch für einen arroganten Star hielt. Aber inzwischen war ihr längst klargeworden, wie sehr sie sich geirrt hatte. Während sie noch nach Worten suchte, um ihren Gesinnungsumschwung zu erklären, rief Mrs. Reid zum Abendbrot. Sie gingen hinunter in die Küche. Doris hatte immer noch den Hut in ihrer Tasche. Als Laurie und Simon sich abends bei der Disco am Getränkestand eine Cola holten, kam plötzlich Jason auf sie zu, streckte Laurie die Hand hin und führte sie zur Tanzfläche. Laurie verschlug es die Sprache. Jason hatte sie nicht mehr zum Tanzen aufgefordert, seit ihre Mutter sie damals gezwungen hatte, zusammen Tanzstunden zu nehmen. Was hatte das zu bedeuten? Die Antwort erfuhr sie, sobald sie zu tanzen begannen. „Was war das für ein seltsames Palaver vorhin in deinem Zimmer?“ wollte er wissen. „Das war kein Palaver“, protestierte sie. „Wir haben nur gewartet, daß das Abendessen bald fertig ist.“ „Komm schon, Laurie. Als ich nach oben gegangen bin um zu duschen, klang es, als ob ihr Streit hättet.“ „Weißt du was, Jason? Du leidest langsam an Verfolgungswahn“, entgegnete Laurie. „Du hörst aus jeder normalen Unterhaltung finstere Intrigen heraus.“ „Finstere Intrigen. Aha.“ Er machte ein grimmiges Gesicht., „Was für eine interessante Wortwahl. Ich kann mich nicht erinnern, dergleichen behauptet zu haben.“ - 142 -
„Was wirfst du uns eigentlich vor? Komm schon, heraus damit.“ Laurie hatte einmal gehört, Angriff sei die beste Verteidigung. Vielleicht konnte sie Jason auf diese Tour von dem unangenehmen Thema abbringen.“ Er antwortete nicht, sondern zeigte nur auf die Mitte der Tanzfläche, wo Doris und Bob Chester eng miteinander tanzten. „Deine kleine Freundin ist ganz in ihrem Element“, bemerkte er sarkastisch. „Ein Footballheld ist beinahe so gut wie ein Filmstar. Nicht ganz, aber fast. Sie hätte garantiert alles dafür gegeben, wenn sich Simon für sie anstatt für dich interessierte.“ Dieser Gedanke war Laurie noch gar nicht gekommen, und er beschäftigte sie eine ganze Weile. War es möglich, daß Doris sie insgeheim beneidete? Vielleicht bestand sie deshalb darauf, Simon den Streich zu spielen. Aber das war doch lächerlich. Der Hut war doch Lauries Idee gewesen. Zugegeben, Doris war mit Begeisterung darauf angesprungen, aber selbst Anne hatte es am Anfang für einen witzigen Gag gehalten. Laurie guckte wieder zu den beiden auf der Tanzfläche hinüber. Doris genoß Bobs Aufmerksamkeit, das war nicht zu übersehen. Aber sie mußte sich doch darüber im klaren sein, daß diese Beziehung die Footballsaison kaum überdauern würde. „Bist du jetzt fertig?“ fragte Laurie kühl. „Ich möchte wieder zu Simon zurück.“ Jason schaute zum Tisch hinüber und grinste: „Ja, wenn ich du wäre, würde ich mich beeilen.“ Laurie drehte sich um und sah Maria Grant neben Simon stehen. Sie hing ihm am Arm, wie sie es immer tat. „Es ist kaum zu glauben“, sagte Laurie. „Die gibt ja wohl nie auf.“ Ausnahmsweise zeigte Jason einmal Anteilnahme. „Wegen - 143 -
Maria brauchst du dir nicht den Kopf zu zerbrechen. Simon hat nur Augen für dich.“ Er sprach in ernsthaftem Ton. „Deshalb hoffe ich auch, daß ihr nichts plant, was dir vielleicht später leid tut.“ Laurie ließ ihren Bruder mitten auf der Tanzfläche stehen und ging zu Simon rüber. Bei Maria konnte man nie wissen! Sie fragte sich, weshalb Jason so sicher war, daß sie etwas planten. Anne schwor Stein und Bein, daß sie nichts gesagt hatte, und Laurie glaubte ihr. Er kennt mich einfach zu gut, überlegte Laurie. Er hat ziemlich schnell spitz gekriegt, daß wir etwas vorhaben. Aber da wir den Plan sowieso nicht ausführen werden, kann es mir ja auch schnuppe sein, was er denkt. Für den Rest des Abends war sie besonders nett zu Simon, was sie vor sich selbst damit begründete, daß er keinen Verdacht schöpfen sollte. Am nächsten Tag wartete Simon vor dem Umkleideraum der Turnhalle auf Laurie, und sie begrüßte ihn mit einem strahlenden Lächeln. „Mußt du heute nachmittag trainieren?“ fragte sie. Simon schüttelte den Kopf. „Ich habe Mr. Shelley erzählt, ich hätte einen wichtigen Termin, und da hat er mir frei gegeben.“ „Wo mußt du denn hin?“ „Nach draußen“, sagte er, „aber du mußt mitkommen.“ Simons Geheimnistuerei spannte sie ziemlich auf die Folter. Er führte sie hinaus auf den Rasen, zu einer einsamen, versteckten Stelle hinter der Cafeteria. Laurie hatte nicht die leiseste Ahnung, was er wohl vorhatte. „Setz dich hierhin“, bat er sie und zog sie neben sich ins - 144 -
Gras. „Da ist etwas, was ich dich fragen will.“ Laurie hielt die Luft an. Jetzt kommt es, dachte sie. Jason hat ihn gewarnt. Aber wovor? Jason wußte doch nichts von dem blöden Hut. Simon griff in seine Brusttasche und holte einen Briefumschlag heraus. „Das ist heute angekommen“, sagte er. „Ich wollte es dir zeigen.“ Er nahm ihre rechte Hand und hielt sie mit der Innenfläche nach oben. Dann öffnete er darüber den Umschlag. Ein schwerer Goldring fiel heraus. Er hatte einen schwarzen Onyxstein mit einer Inschrift darin. Lauries Herz klopfte wie rasend vor Aufregung. Sie wußte, was als nächstes kam. Simon brauchte gar nichts mehr zu sagen. Als sie aufsah, las sie die Frage bereits in seinen Augen. „Wirst du ihn tragen?“ flüsterte er leise. „Aber Simon“, erwiderte sie. „Du hast ihn ja noch nicht einmal deinen Eltern gezeigt.“ „Ich habe ihnen schon erzählt, daß ich dich bitten werde, ihn zutragen.“ „Und sie haben nichts dagegen?“ „Laurie, du weißt doch, daß sie dich unheimlich gern mögen. Sie finden eure ganze Familie nett.“ Er umfaßte ihre Hand mit seinen Händen und schloß ihre Finger behutsam um den Ring. „Meine Eltern wollten immer, daß ich ein normales Leben führe.“ Er lachte. „So normal, wie es sich eben bei meiner Tätigkeit als Filmschauspieler einrichten ließ. Als wir noch in Kalifornien wohnten, konnte ich mich dem Studiorummel nur schwer entziehen. Aber seit wir hierhergezogen sind, hat sich mein ganzes Leben ziemlich verändert.“ „Das ... das hat aber nichts mit mir zu tun, Simon.“ Er zog seine Hand zurück. „Willst du mir damit etwa schonend beibringen, daß du den Ring nicht tragen möchtest?“ - 145 -
Sie sah ihn einen Moment lang schweigend an. Dann schob sie den Ring über ihren Daumen, den einzigen Finger, auf den er paßte, und lachte leise. „Ich werde wohl eine goldene Kette kaufen müssen“, sagte sie. Simon wirkte unheimlich erleichtert. Dann beugte er sich über sie und küßte sie kurz auf den Mund. „Ich leih mir morgen von meinem Vater den Wagen. Dann fahren wir in die Stadt und kaufen eine.“ „Vielleicht fährt Jason uns ja hin“, meinte Laurie, während sie aufstand, und ihren Rock glattstrich. „Ich habe noch eine Überraschung.“ Simon hakte sie unter, und sie gingen beide zur Straße. „Ab nächste Woche gibt es keine Transportprobleme mehr.“ „Wie meinst du das?“ „Ich habe herausgefunden, was ich zum Geburtstag bekomme. Meine Eltern schenken mir ein Auto.“ „O Simon!“ Sie blieb stehen und strahlte ihn an. „Das ist ja phantastisch! Jetzt brauchen wir nicht mehr Jason zu fragen, wenn wir irgendwohin wollen.“ „Jason und Anne brauchen uns nicht mehr mitzuschleppen, wenn sie Samstag abends ausgehen wollen“, fügte er hinzu. „Ja“, stimmte Laurie ein. „Die sind bestimmt froh, endlich mal allein zu sein.“ Für den Rest des Nachhauseweges schwebte Laurie wie auf Wolken. Aber als Simon nach Hause gegangen war und sie wieder allein in ihrem Zimmer war, änderte sich ihre Stimmung. Sie kramte in ihrem Schmuckkasten herum und suchte nach einer Kette, die sie vorläufig für den Ring nehmen könnte. Plötzlich wurde ihr klar, daß sie Simon unmöglich diesen elenden Streich spielen konnte. Nicht jetzt, wo er auch offiziell ihr fester Freund war. Sie mußte die Sache ein für allemal abblasen. - 146 -
Sie rannte zum Telefon, rief Doris an und erzählte ihr, was geschehen war. Doris jubelte, als sie die Neuigkeiten hörte. Nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, kam Laurie zu ihrem eigentlichen Anliegen. „Wir können es nicht mehr machen, Doris“, erklärte sie. „Jetzt ist alles anders. Unser Gag ist gestrichen.“ „Sei nicht albern“, entgegnete Doris. „Dadurch wird es doch noch viel komischer. Verstehst du nicht? Alle werden wissen, daß wir es nicht wirklich meinen, daß es nur Spaß ist“ Doris legte beharrlich und geduldig ihren Standpunkt dar. „Wenn du ihn nicht mögen würdest, dann hättest du doch nicht seinen Ring genommen. Komm schon, sei kein Spielverderber.“ „Ich weiß nicht...“ Laurie zögerte. Doris hatte nicht ganz unrecht. „Der Hut ist fertig. Ich habe ihn auch schön ein gepackt“, fuhr Doris fort. „Und ein Gedicht habe ich auch geschrieben. Du wirst es toll finden, wenn du es hörst. Es ist richtig niedlich.“ „Das sollte ich mir wohl lieber vorher ansehen“, meinte Laurie. Aber Doris wischte ihren Einwand beiseite. „Das brauchst du nicht. Es steht nichts Schlimmes drin-. Es ist einfach nur witzig.“ „Lies es mir vor“, beharrte Laurie. „Das kann ich jetzt nicht“, sagte Doris. „Bob kommt gleich vorbei, um mit mir zu lernen, und ich muß mich noch fertig machen. Keine Bange, Laurie. Ich würde nie im Leben etwas unternehmen, was dich und Simon auseinanderbringen könnte.“ Laurie wußte, daß das stimmte. Zumindest würde Doris so etwas nicht absichtlich tun. Aber was war, wenn sie doch irgend etwas Gemeines über Simon gedichtet hatte? Sozusagen unbewußt? - 147 -
13. KAPITEL Am Samstagmorgen hatten Lauries Mutter und Mrs. Simpson bereits die Tische aufgestellt und die grünen Tischdecken darauf ausgebreitet. Außer den roten und weißen Papptellern und den Servietten befand sich auf jedem Tisch in der Mitte die Nachbildung eines alten Segelschiffs. Sie trugen Namen wie “Nina“ „Pinta“ und „Santa Maria“. Am Nachmittag kamen Männer, um die Stereoanlage aufzubauen. Als Laurie die Gästeliste sah, konnte sie kaum glauben, wie viele Leute eingeladen waren. Die gesamte Turnerriege, alle Mitarbeiter des Kuriers, Klassenkameraden und Freunde würden kommen, außerdem ein paar Jungen, die mit Jason und Simon zusammen in dem Imbiß gearbeitet hatten, sowie einige der Mädchen, die Laurie von ihrer Arbeit im Krankenhaus her kannte. Alles in allem waren es über hundert Personen. „Ich bin froh, daß Mrs. Simpson auf die Idee mit den Heizröhren für draußen gekommen ist“, seufzte Lauries Mutter. „So viele Leute passen gar nicht in unser Haus.“ „O Mom!“ Laurie fiel ihrer Mutter um den Hals und drückte sie. „Das wird bestimmt der schönste Geburtstag, den ich je hatte.“ Ihre Eltern hatten ihr schon das Geburtstagsgeschenk gegeben, ein Paar echte goldene Ohrringe, die Laurie ausgezeichnet standen. Tagelang hatte sie gegrübelt, was sie Simon schenken sollte. Da Jason keine große Hilfe war, fragte sie schließlich ihre - 148 -
Mutter um Rat. „Mach ihm ein persönliches Geschenk, aber nicht zu kostbar“, schlug Mrs. Reid vor. Aber dann fand Laurie genau das Passende: Sie ging zu einem guten Fotografen, ließ ein Foto von sich machen und steckte es in einen wunderschönen Bilderrahmen aus Leder. Erst hatte sie befürchtet, Simon könnte das Geschenk zu aufdringlich finden, aber jetzt, wo sie seinen Ring trug, wußte sie, daß es genau richtig war. Dann war da natürlich noch jenes andere Geschenk. Sie hatte beschlossen, auf jeden Fall das Gedicht noch einmal zu überprüfen, bevor sie sich damit einverstanden erklärte. Außerdem wollte sie darauf bestehen, daß Doris es überreichte. Auf die Weise würde Simon vielleicht nie erfahren, von wem diese Idee war. Am späten Nachmittag ging sie hinauf in ihr Zimmer, um sich umzuziehen. Die Gäste waren für sechs Uhr eingeladen, und sie wollte rechtzeitig fertig sein. Sie entschloß sich für eine schwarze Seidenhose und eine weiße Spitzenbluse, und sie trug Simons Ring an der Kette, die er ihr dafür gekauft hatte. Daß Anne und Doris vor allen anderen da sein würden, hätte sie sich denken können. Sie stürzten sofort hinauf in Lauries Zimmer, um zu sehen, was sie anhatte. „Du siehst phantastisch aus!“ rief Doris. „Ist es nicht wahnsinnig, sechzehn zu sein?“ Sie und Anne hatten bereits im Sommer ihre Geburtstage gefeiert. „Ich hab' schon ins Wohnzimmer und ins Eßzimmer geguckt“, sagte Anne. „Es sieht alles wunderschön aus.“ „Mrs. Simpson hat ein paar tolle Ideen gehabt“, erzählte Laurie. „Sie und meine Mutter haben ganz schön hart gearbeitet.“ „Es wird ein herrlicher Abend werden.“ Doris senkte die Stimme. „Seht mal, was ich hier habe.“ Sie zeigte Laurie ein in - 149 -
Geschenkpapier eingewickeltes Paket. „Es ist der Hut“, sagte Doris, als sie Lauries erstauntes Gesicht sah. „Darüber wollte ich mit dir reden“, begann Laurie. „Und hier ist das Gedicht“, fuhr Doris hastig fort. „Hört zu! Wie wir den Hut gemacht haben. Gewidmet unserem Lieblingskinderstar.“ „Was geht hier vor?“ Die drei drehten sich erschrocken um. Jason stand im Türeingang. Doris versteckte das Paket schnell hinter ihrem Rücken. „Nichts. Warum?“ Laurie fragte sich innerlich, ob sie wohl so schuldbewußt aussah, wie sie sich fühlte. Jason sah von Laurie zu Doris, dann bemerkte er Anne. Seine Miene hellte sich auf und er sagte lächelnd „Hallo, Anne“. „Hallo.“ „Ich bin gerade dabei, ein paar Stühle aufzustellen. Willst du herunterkommen und mir helfen?“ „Klar.“ Anne sah die anderen beiden an. „Bis gleich.“ „Meine Güte“, stöhnte Doris, nachdem sie gegangen waren. „Das war knapp.“ „Doris, ich weiß nicht“, jammerte Laurie. „Es ist einfach nicht richtig. Wir sollten es lieber lassen.“ „Aber ich hab dir doch gesagt, Laurie, jetzt wo du mit Simon gehst, ist es überhaupt kein Problem mehr. Alle werden es unheimlich süß finden.“ „Hoffentlich hast du recht.“ Laurie erkannte, daß Doris fest entschlossen war, den Plan durchzufahren. Offenbar gab es nichts, was sie davon abbringen konnte. Eigentlich mußte Simon inzwischen ja auch wissen, was Laurie für ihn empfand. Doris legte den eingewickelten Hut in Lauries Schrank und sagte, sie würde später kommen, um ihn zu holen, wenn Laurie und Simon ihre Geschenke auswickelten. Dann liefen die beiden Mädchen hinunter, denn die ersten Gäste klingelten - 150 -
bereits an der Tür. Lauries Mutter und Mrs. Simpson hatten ein schmackhaftes Spaghettigericht zubereitet. Dazu gab es grünen Salat und Knoblauchbrot, die perfekte Zusammenstellung, um Kolumbus' Geburtstag zu feiern. Die Gäste stürzten sich mit einem wahren Heißhunger aufs Essen. Nach kurzer Zeit hatten sie das meiste bis auf wenige Reste verzehrt. Nach der Mahlzeit brachten die beiden Mütter die Geburtstagstorten herein. Laurie traute ihren Augen kaum, als sie sah, was sie bewerkstelligt hatten. Simons Torte war mit kleinen Turngeräten aus Marzipan verziert, und auf Lauries Torte war eine Titelseite des Kuriers zu sehen, mit ihrem Namen aus Schokoladenguß darauf. „Das ist ein gutes Omen“, meinte Laurie. „Jetzt weiß ich, daß ich nächstes Jahr Herausgeberin werde.“ „Und ich lasse mich für die Olympischen Spiele aufstellen“, flachste Simon, während er mithalf, die Tortenstücke zu verteilen. Kurze Zeit später legte Mr. Reid die erste Platte auf. „Alle mal herhören“, verkündete er. „Die Geburtstagskinder eröffnen die Runde.“ Die Terrassentüren standen weit offen. So konnten die Gäste sowohl im Wohnzimmer als auch auf der Terrasse tanzen. Simon nahm Laurie in die Arme und wirbelte sie schwungvoll herum. Die anderen Gäste applaudierten und kamen dann auch auf die Tanzfläche. Nun konnte Simon enger mit Laurie tanzen, ohne daß es besonders auffiel. „Unsere Mütter haben sich ja ordentlich ins Zeug gelegt“, meinte er anerkennend. „Ich glaube, sie haben genausoviel Spaß daran wie wir.“ „Ich finde es großartig, was sie vollbracht haben“, erwiderte - 151 -
Laurie begeistert. „Das ist der tollste Geburtstag meines Lebens. Ich bin so froh, daß wir zusammen feiern. Weißt du, ich mag dich unheimlich gern, Simon.“ „Ich dich auch, Laurie“, sagte Simon. Er drückte sie fest an sich und küßte sie zärtlich. Nach dem ersten Stück wurde die Musik schneller und die Party kam so richtig in Schwung. Laurie und Simon tanzten auch mit anderen Partnern, die meiste Zeit verbrachten sie jedoch zusammen. Anne und Jason wichen einander nicht von der Seite. Doris machte einen ziemlich aufgeregten Eindruck. Laurie hatte den Verdacht, daß die Vorfreude auf den „großen Augenblick“ des Abends der Grund dafür war. Allmählich wurde es Laurie immer unbehaglicher zumute. Als sie Doris die Treppe hinaufgehen sah, wußte sie, was die Stunde geschlagen hatte. „Laurie.“ Ihre Mutter legte ihr die Hand auf die Schulter. „Wird es nicht langsam Zeit, daß du und Simon eure Geschenke auspackt?“ Da die Gästeliste so lang war, hatte ihre Mutter auf der Einladung darum gebeten, nur ein kleines Gaggeschenk mitzubringen. Laurie hoffte, dies würde die Sache erleichtern, denn so war der Hut bloß ein Witz unter vielen. Doris kam wieder herunter und stellte sich neben Laurie. „Was meinst du?“ flüsterte sie. „Geben wir es ihm als erstes oder als letztes?“ Laurie zögerte einen Moment. „Nein“, erklärte sie dann mit Bestimmtheit. „Wir geben es ihm überhaupt nicht.“ In dem Augenblick rief ihre Mutter: „Komm, Laurie, wir wollen anfangen.“ „Ach, du liebe Güte!“ Laurie bestaunte den Stapel Geschenke, der sich vor ihnen auftürmte. „Da brauchen wir ja die ganze Nacht zum Auspacken.“ - 152 -
Sie wollte gerade das erste Geschenk öffnen, als Doris sie am Arm packte, ihr das Paket in die Hand drückte und lauthals verkündete: „Alle mal herhören! Laurie hat eine Überraschung für Simon.“ Bevor Laurie noch etwas erwidern konnte, verschwand sie in der Menge und ließ Laurie mit dem bunt eingewickelten Hut in der Hand stehen. Lauries Mutter sah sie erstaunt an. „Was ist das?“ „Es ist etwas, das...“ stotterte Laurie total verwirrt. Ihr wurde auf einmal heiß und kalt zugleich. „Verflixt noch mal“, ertönte Doris ungeduldige Stimme hinter ihr. „Dann mach ich es eben selbst!“ Doris riß Laurie das Paket aus der Hand, wandte sich zu Simon um und verkündete mit einem strahlenden Lächeln: „Dies ist ein besonderes Geschenk von Anne, Laurie und mir.“ Laurie stand wie versteinert, als Doris das Gedicht zu lesen begann. „Warum wir diesen Hut gemacht haben! Gewidmet unserem Lieblingskinderstar. Rot wie Feuer ist das Haar, das dein hohes Haupt verschont. Sommersprossen, viele gar haben deinen Teint getönt. Doch beides steht dem Kinderstar nur halb so gut zum Ruhmesstotz wie dieser maßgerechte Hut auf seinem Kopf aus Holz!“ Wie durch einen Schleier beobachtete Laurie, wie Simon das Papier aufriß und den Hut aus greller Orange und Knallrosa auspackte. Er stand da und starrte ihn einen Moment lang ratlos an. Da stürzte Doris hinzu, riß ihm den Hut aus der Hand und stülpte ihn Simon über den Kopf. Sofort war allen klar, was mit dem Gedicht gemeint war. Der Hut war riesig. Er hing Simon so tief ins Gesicht, daß er nichts mehr sehen konnte. Es gab dröhnendes Gelächter im - 153 -
ganzen Raum. Selbst Simons Mutter lachte. Allerdings hatte Laurie den Eindruck, daß ihr Gesicht unnatürlich rot war. Laurie traute sich kaum, Simon anzusehen, und vor Jasons Reaktion hatte sie ausgesprochene Angst. Aber es mußte sein. Mit klopfendem Herzen schaute sie Simon an. Zu ihrer Erleichterung lachte er wie alle anderen auch. Sie hörte ihn einen Spruch machen über Hüte für die harten Winter in Maryland und atmete auf. Es würde schon alles gut werden. Aber wenn wirklich alles in Ordnung war, warum wich er dann ihrem Blick aus? Als Laurie sich umdrehte, um ihre eigenen Geschenke auszupacken, sah sie Jason und Anne etwas abseits der Menge stehen. Man merkte Jason deutlich an, daß er wütend war. Und nicht nur das. Er machte ein unheimlich enttäuschtes Gesicht. Er schämt sich für mich, schoß es Laurie durch den Kopf, während sie das erste Geschenk auswickelte. Schrecklich! Warum nur hatte sie Doris denn nicht daran gehindert? Nach dem Auspacken fühlte Laurie sich wieder ein bißchen besser. Dank der Tatsache, daß auch all die anderen Geschenke Scherzartikel waren, hatte der Hut ein wenig an Bedeutung verloren. Offensichtlich hatten die meisten Gäste diesen dummen Zwischenfall schon wieder vergessen. Laurie und Simon bedankten sich bei allen Gästen. Dann trug Laurie ihre Geschenke nach oben in ihr Zimmer. Es klopfte leise an die Tür. „Herein“, rief Laurie. Anne trat ein. Sie war allein. Wortlos setzte sie sich aufs Bett. Laurie drehte sich um und sah ihr ins Gesicht. „Was ist los?“ Anne kaute auf ihrer Lippe. „Jason ist sehr böse mit uns, Laurie. Simon tut ihm so leid.“ - 154 -
„Ich weiß.“ Laurie zupfte nervös an einer bunten Schleife herum. „Sein Gesicht sprach Bände.“ „Du hättest sie davon abhalten sollen“, meinte Anne ernst. „Ich hab dir schon vor Monaten gesagt, du sollst das Ganze abblasen.“ „Ach, was soll's“, sagte Laurie abwehrend. „Sie haben doch alle gelacht.“ Anne guckte sie nur groß an. „Okay“, Laurie ließ den Kopf hängen. „Du hast recht. Ich hätte früher auf dich hören sollen. Aber ich habe versucht, Doris daran zu hindern. Ich hab ihr gesagt, daß ich es nicht mehr machen will. Jetzt ist es sowieso zu spät, darüber zu jammern.“ Sie berührte den Ring, der an der goldenen Kette auf ihrer Bluse hing, „Simon weiß, was ich für ihn empfinde. Ich werde mich entschuldigen und ihm sagen, daß es eine dumme Idee war. Er wird mir verzeihen.“ Anne seufzte. „Hoffentlich, Laurie. Das Gedicht war ziemlich häßlich.“ „Stimmt“, gab Laurie kleinlaut zu. „Ich hätte Doris zwingen sollen, es mir vorher zu zeigen.“ Anne zuckte die Achseln. „Warum? Es stand genau das drin, was du wolltest.“ Laurie seufzte. „Ich muß jetzt wohl wieder nach unten gehen. Schließlich bin ich die Gastgeberin.“ Unten wurde wieder Musik gespielt und die Party war in vollem Gange. Das gesamte Wohnzimmer und die Terrasse waren zur Tanzfläche geworden, und es herrschte dichtes Gedrängel. Laurie schob sich durch das Gewimmel und nahm im Vorbeigehen von allen Seiten Glückwünsche zu ihrem Geburtstag und zu der phantastischen Party entgegen. Seltsamerweise erwähnte niemand den Gag mit dem Hut. Ich habe recht gehabt, dachte sie erleichtert. Es war witzig für den Moment, aber morgen wird sich niemand mehr daran - 155 -
erinnern. Sie bemerkte, daß ihr Bruder sie von der anderen Seite des Raumes beobachtete. Niemand außer Jason, dachte sie bei sich. Er wird mir das noch vorwerfen, wenn ich neunzig bin. Plötzlich fiel ihr auf, daß sie Simon nicht mehr gesehen hatte, seit sie in ihr Zimmer hinaufgegangen war. Sie drängelte sich an den Leuten vorbei, bis sie bei Doris und Bob Chester ankam. „Habt ihr Simon gesehen?“ fragte sie. „Ich kann ihn nirgendwo entdecken.“ Doris lehnte an Bobs Schulter und sah Laurie ausdruckslos an. „Tut mir leid“, sagte sie. „Aber ich kann doch nicht ständig für dich auf deinen Freund aufpassen.“ Laurie warf ihr einen angewiderten Blick zu und bahnte sich einen Weg zur Küche. Doch dort war niemand. Auf der Terrasse fand sie Anne und Jason. „Habt ihr Simon gesehen?“ „Warum?“ Jasons Stimme war eisig. „Willst du ihm noch so einen netten Streich spielen?“ „Jason, bitte laß das“, sagte Anne vorwurfsvoll. „Es war genauso Doris' und meine Schuld.“ „Das ist nicht wahr. Laurie wollte nicht zulassen, daß Anne einen Teil der Schuld auf sich nahm. Du bist zwar am Anfang dafür gewesen, aber du hast seit Wochen versucht, uns diesen Quatsch auszureden.“ Jason sah Anne an. „Stimmt das?“ „Ja“, gab Anne zu. „Aber ich war dabei, als es geplant wurde, und heute abend hat Laurie versucht, Doris davon abzuhalten.“ „Ich kann mir nicht denken, wo Simon hin ist. Und wo stecken Mom und Mrs. Simpson?“ fragte Laurie. „Vorhin waren sie noch im Wohnzimmer“, antwortete - 156 -
Jason. „ich glaube, sie sind vor dem Krach geflüchtet.“ Auf dem Flur entdeckte Laurie ihre Mutter mit Mrs, Simpson und Simon an der Haustür. „Gute Nacht, Mrs. Reid“, verabschiedete sich Simon. „Vielen Dank für die schöne Party. Es war sehr nett von Ihnen, uns zusammen feiern zu lassen.“ „Gute Nacht, Simon“, erwiderte Mrs. Reid. „Schade, daß du schon so früh los mußt.“ Die beiden Mütter umarmten sich. „Warum gehen sie denn schon so früh?“ wollte Laurie wissen, nachdem Simon und Mrs. Simpson aus der Tür waren. Ihre Mutter zog die Brauen hoch und entgegnete in scharfem Ton: „Ich glaube, du weißt die Antwort selbst am besten. Aber ich möchte nicht darüber reden, solange noch Gäste da sind.“ Dann marschierte sie an Laurie vorbei ins Wohnzimmer zurück. Laurie hatte das Gefühl, um sie herum stürze die Welt ein. Alle, die sie liebte, waren böse mit ihr. Ihr Vater wußte es noch nicht, aber sie war sich sicher, daß er genauso reagieren würde wie ihre Mutter und Jason. Und erst Mrs. Simpson! Laurie war noch nicht einmal dazu gekommen, sich bei ihr für die Vorbereitung dieser wundervollen Party zu bedanken. Wundervolle Party? Langsam ging Laurie ins Wohnzimmer zurück. Der ganze Abend war verdorben! Zum Glück schien den anderen Gästen wenigstens nicht aufgefallen zu sein, daß etwas nicht stimmte. Der Abend zog sich unerträglich lang dahin, obwohl die meisten sich bereits um Mitternacht verabschiedeten. Jason brachte Anne nach Hause, während Mrs. Reid noch in der Küche aufräumte. Laurie graute vor der bevorstehenden Szene mit ihrem Bruder. Dennoch war sie fest entschlossen, sich jetzt nicht feige in - 157 -
ihrem Zimmer zu verkriechen, Als Jason zurückkam, bemerkte er jedoch nur: „Ich hoffe, du bist nun zufrieden“ und verzog sich sofort nach oben. Laurie ging zu ihrer Mutter in die Küche. „Es war eine wunderschöne Party, Mom“, sagte sie leise. „Vielen Dank für alles.“ „Ja“, erwiderte Mrs. Reid kühl. „Ich glaube, sie haben sich alle gut amüsiert. Alle außer Simon, versteht sich.“ Dann drehte sie sich um und ging die Treppe hoch. Diesmal habe ich es wohl wirklich geschafft, dachte Laurie voller Reue. Sie erkannte jetzt, daß es von Anfang an eine kindische Idee gewesen war. Heute würde sie gar nicht mehr auf so etwas Taktloses kommen. Es gab nur eine Lösung: Sie mußte Simon anrufen und sich entschuldigen. Sie würde es gleich morgen früh als erstes tun. Krampfhaft umklammerte sie den Ring. Wenn Simon ihn nun zurückverlangte? Das würde sie nicht überstehen. Sie knipste auf dem Flur das Licht aus und flüchtete in ihr Zimmer. Rasch zog sie sich aus und schlüpfte ins Bett. Vor dem Einschlafen dachte sie noch einmal über die Fete nach. Ihr sechzehnter Geburtstag! Alles hätte so schön sein können. Statt dessen war durch ihre eigene Dummheit ein Alptraum daraus geworden. Ob Simon ihr jemals verzeihen würde?
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14. KAPITEL Am nächsten Morgen wurde Laurie vom Klingeln des Telefons geweckt. Sie hörte, daß Jason im Flur den Hörer aufnahm, aber für nichts in der Welt wäre sie jetzt aus ihrem Bett gestiegen, um zu erfahren, ob der Anruf für sie sei. Es war ihr egal. Sie wollte niemanden sprechen. In ihrem Zimmer war es immer noch dunkel, obwohl der Wecker nach zehn Uhr zeigte. Sie schlüpfte aus dem Bett und zog die Vorhänge zurück. Es war ein grauer, verregneter Tag, der genau zu ihrer Stimmung paßte. Schnell schlüpfte sie wieder unter die warme Decke. Obwohl sie wie ein Murmeltier geschlafen hatte, fühlte sie sich matt und zerschlagen. Sie war noch ganz von der Erinnerung an die Party erfüllt: die Spannung und Vorfreude, das Glückgefühl, als Simon hereingekommen war, der in seinem beigen Hemd unwiderstehlich aussah, das phantastische Essen, das ihre und Simons Mutter zubereitet hatten... Und sie hatte alles verdorben. Sie hatte zugelassen, daß Doris Simon diesen blöden Hut gab. Wieso hatte sie nur geglaubt, er würde das Ganze als Witz auffassen? Es war einfach unverzeihlich gemein, ihn so vor allen Leuten bloßzustellen. Wahrscheinlich dachte er, sie hätte sich nur mit ihm verabredet und sich von ihm küssen lassen, damit sie ihn später um so besser reinlegen konnte. Bestimmt hielt er das Ganze für ein abgekartetes Spiel, denn sonst wäre er nicht gegangen, ohne sich von ihr zu verabschieden. Laurie stöhnte und schlug mit den Fäusten auf ihr - 159 -
Kopfkissen ein. Es hätte nicht so weit kommen dürfen. Das war er nun, der Tag nach ihrer tollen Party. Eigentlich müßte sie jetzt mit Simon zusammensitzen und davon schwärmen, wie schön alles war. Sie mußte sich gleich heute morgen bei ihm entschuldigen und ihm den Ring zurückgeben, auch wenn ihr das unheimlich schwerfiel. Sie stieg aus dem Bett und zog sich ein Paar Jeans und ein schlichtes weißes Sweatshirt über. Unten waren ihre Eltern dabei, die letzten Spuren der Party zu beseitigen. „Geht's dir besser?“ erkundigte sich Ihre Mutter besorgt, als sie ins Wohnzimmer kam. Ihr Vater sagte nichts. Er kam nur zu ihr herüber und umarmte sie kurz. „Mir geht's schon einigermaßen“, murmelte sie. „Nun frühstückst du erst mal“, meinte ihre Mutter. „Es wird schon alles wieder gut, du wirst sehen.“ In der Küche saß Jason und aß Rührei. Laurie goß sich ein Glas Milch ein, das sie wie üblich in einem Zug leerte. „Du kannst stolz auf dich sein.“ Jason klang bitter. „Mit diesem dämlichen Hut hast du allen den Abend ruiniert.“ „Die meisten haben gar nicht gemerkt, was los war. Sie haben sich prächtig amüsiert.“ „Hast du dich gut amüsiert?“ fragte Jason sauer. „Und Simon?“ „Mußt du jetzt auch schon darauf herumreiten?“ erwiderte Laurie zerknirscht. „Ich weiß, daß es falsch war. Wir hätten es nicht tun sollen.“ „Allerdings hättet ihr das nicht“, schimpfte Jason. „Aber du konntest die Finger nicht davon lassen, nicht wahr, Laurie? Du warst ja gleich davon überzeugt, daß Simon ein aufgeblasener Snob sein mußte, als er hier ankam. Und selbst als du merktest, - 160 -
daß es nicht stimmte, mochtest du deinen Fehler nicht zugeben. Stimmt's?“ „Jason, versteh doch, die Sache ist mir irgendwie aus den Händen geglitten“, entschuldigte sich Laurie. „ich hab' es gestern einfach nicht geschafft, Doris zurückzuhalten.“ „Wie kommt es, daß diese gedankenlose Schnepfe solche Macht über dich hat?“ empörte sich Jason. „Anne hat mir erzählt, was los war. Warum hast du den verdammten Hut nicht einfach aus dem Fenster geschmissen?“ „Ich weiß nicht. Ich hab's versucht“, stammelte Laurie und brach in Tränen aus. „Hör auf damit.“ Jason wurde es unbehaglich zumute. „Weinen nützt da auch nicht.“ „Da hilft gar nichts mehr.“ Laurie schnaubte in ihr Taschentuch und wischte sich die Tränen ab. „Ich gehe gleich rüber zu Simon und entschuldige mich.“ Nervös tastete sie nach dem Ring, der an der goldenen Kette um ihren Hals baumelte. „Soll ich mitkommen?“ fragte Jason. Laurie traute ihren Ohren nicht. „Danke, Jason, aber ich glaube, es ist besser, wenn ich allein gehe.“ Sein Ton wurde plötzlich freundlicher. „Richtig. Dann hast du es hinter dir.“ „Ja.“ Sie schniefte in ihr Taschentuch. „Nachher werde ich mich für den Rest des Tages verkriechen.“ Jason seufzte. „Ich wünschte, du würdest mehr nachdenken, bevor du dich von Doris in solche Eskapaden verwickeln läßt.“ „Es ist nicht allein ihre Schuld.“ Laurie fühlte sich verpflichtet, ihre Freundin zu verteidigen. „ich weiß, daß du sie nicht magst. Sie war auch diejenige, die den Gag vorangetrieben hat, aber es war meine Idee. Ich wollte Simon kleinkriegen. Deshalb ist es auch meine Sache, das wieder in Ordnung zu bringen.“ - 161 -
Sie stand auf und machte sich schweren Herzens auf den Weg. Mrs. Simpson öffnete Laurie die Tür. „Was möchtest du?“ Sie klang nicht gerade ärgerlich, aber auch nicht besonders freundlich. „Ich wollte mich bei Ihnen für die schöne Party bedanken“, begann Laurie verlegen. „Ich hatte gestern keine Gelegenheit mehr dazu, weil Sie so früh gegangen sind.“ „Simon wollte nach Hause, und ich hielt es für das Beste mitzugehen.“ Mrs. Simpsons Stimme klang ausdruckslos. „Ist Simon da? Ich würde gern mit ihm sprechen.“ Laurie schluckte und holte tief Luft.“ Ich wollte mich entschuldigen“, fügte sie leise hinzu. „Tut mir leid, aber er ist für den ganzen Tag mit seinem Vater weggefahren. Sie werden vor dem Abendessen nicht zurück sein.“ „Ach so.“ Laurie machte einen Schritt zurück. „Es wäre nett von Ihnen, wenn Sie ihm sagen könnten, daß ich heute morgen hier war.“ „Ich werd's ausrichten“, versprach Mrs. Simpson. „Und danke, daß du gekommen bist.“ Zu Hause ging Laurie sofort zu Jason aufs Zimmer. „Was soll ich bloß machen“, seufzte sie und ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen. „Du wirst wohl bis morgen warten müssen, wenn ihr euch in der Schule seht.“ „Ich meine doch nicht die Entschuldigung“, sagte Laurie. „Ich spreche von unserem Verhältnis überhaupt.“ Sie sah ihren Bruder mit Tränen in den Augen an. “Ich mag ihn wirklich, Jason. Ich bin echt verliebt in ihn.“ Jasons Blick wanderte zu dem Ring an ihrem Hals. „Er hat für dich genauso empfunden. Und alle wußten das.“ - 162 -
Laurie fiel auf daß er in der Vergangenheitsform sprach. „Du glaubst nicht, daß er jemals wieder mit mir ausgehen wird, nicht wahr?“ Jason sah sie an, als ob sie verrückt geworden wäre. „Spinnst du? Nach dem, was du ihm angetan hast?“ Laurie spürte, wie sich ihre Augen wieder mit Tränen füllten. „Jason, könntest du nicht bei ihm ein gutes Wort für mich einlegen?“ „Nein“, lehnte Jason kurzerhand ab. „Hör mal, Laurie, wenn Anne so etwas mit mir gemacht hätte, würde ich sie nie wieder im Leben auch nur, eines Blickes würdigen. Du hast es zugelassen, daß Doris sich vor allen Leuten hinstellt und erklärt, Simon hätte einen Holzkopf und wäre eingebildet. Dabei weißt du doch selber am besten, wie sehr sich Simon bemüht hat, sein Image als Star loszuwerden. Aber seit er hierhergezogen ist, hast du dich ständig über ihn lustig gemacht. Erst hast du gesagt, er sei ein Altstar. Dann, als er anfing zu trainieren, hast du behauptet, er hätte nichts auf dem Kasten.“ „Das habe ich nicht gesagt“, protestierte Laurie. „Ich habe nur gemeint, es sei zu spät für ihn.“ „Auch darin hast du dich geirrt. Du hast dich überhaupt von Anfang an in allem getäuscht. Jetzt hat der arme Typ ja wohl mal 'ne Pause verdient. Laß ihn in Ruhe, Laurie.“ Laurie machte Anstalten, das Zimmer zu verlassen, drehte sich jedoch noch einmal um. „Jason, wenn er etwas über mich sagt, egal, ob gut oder schlecht, wirst du es mir erzählen?“ „Es wird dir vielleicht nicht gefallen“, warnte er. „Ich muß es aber unbedingt wissen.“ Jason zuckte die Achseln. „Okay, wie du willst.“ Aber während der folgenden Tage erwähnte Jason noch nicht einmal Simons Nummer. Wenn Simon zum Turnen kam, - 163 -
ging er nicht zu ihnen ins Haus, sondern direkt in den Trainingsraum. Laurie bekam ihn gar nicht erst zu Gesicht. Selbst in der Schule sahen sie sich nur flüchtig. Es schien, als müsse er zufällig immer gerade in die entgegengesetzte Richtung. Zum erstenmal in ihrem Leben merkte Laurie wie leicht es war, jemandem absichtlich aus dem Weg zu gehen. Anne fühlte mit ihr. „Ich habe Jason gebeten, mit Simon zu sprechen, aber er ist fest entschlossen, sich da rauszuhalten. Er will seine Freundschaft mit Simon nicht gefährden.“ „Ich weiß“, sagte Laurie. „Er hat es mir selbst schon gesagt, und ich kann es ihm nicht einmal verdenken.“ „Ich könnte vielleicht auch mal mit Simon reden“, bot Anne an. „Jason ist zwar dagegen...“ „Danke, Anne, aber ich möchte nicht auch noch die Beziehung zwischen dir und Jason kaputtmachen. Mit Simon läuft nichts mehr. Ich werde mich entschuldigen und ihm seinen Ring zurückgeben. Das wird dann das Ende sein.“ Laurie trug den Ring immer noch, aber sie versteckte ihn unter ihrer Bluse. Sie redete sich ein, sie trüge ihn nur, um ihn Simon bei der nächsten passenden Gelegenheit zurückzugeben. Im stillen wußte sie, jedoch, daß dies nicht der wahre Grund war. Sie liebte das vertraute Gefühl auf ihrer Haut und würde Simons Geschenk sehr vermissen. Ironischerweise war es ausgerechnet Doris, die sie auf eine Idee brachte, wie sich wieder alles zum Guten wenden könnte. „Was machst du denn am Donnerstag?“ fragte Doris sie Dienstag mittag in der Cafeteria. „Wieso? Ist irgend etwas Besonderes?“ „Weißt du das nicht mehr? Da findet doch der große Turnerwettbewerb in der Lincoln High School statt.“ Das hatte Laurie in all dem Wirbel vollkommen vergessen. Simon würde zum erstenmal als Mitglied der Schulmannschaft daran teilnehmen. Vor der Party hatten sie sich beide - 164 -
unwahrscheinlich darauf gefreut. Sie hatte ihm versprochen, ganz vorne zu sitzen und ihm zuzujubeln. Inzwischen wollte er sie wahrscheinlich gar nicht dabei haben. Wenn sie nun aber trotzdem hinging? Vielleicht würde er dann wenigstens wieder mit ihr reden. Einen Versuch war es in jedem Fall wert. „Bloß wie komme ich da hin?“ meinte Laurie. „Ich glaube nicht, daß für die Fans extra ein Bus hinfährt.“ „Frag doch Jason, ob er dich mitnimmt.“ Doris stopfte unentwegt Potato Chips in sich hinein. „Ach so. Das hätte ich ja beinahe vergessen, Simon sitzt ja sicher bei ihm im Wagen.“ „Das glaube ich nicht“, sagte Laurie. „Sie müssen nämlich mit dem Mannschaftsbus fahren.“ „Nun, vielleicht weiß Jason jemanden, der dich mitnehmen könnte.“ „Ich werd' ihn mal fragen.“ Laurie leerte ihren Teller über einem Mülleimer aus und machte sich auf die Suche nach ihrem Bruder. Er stand bei einer Gruppe von Jungen vor seinem Schließfach. Simon war nicht in Sicht. Laurie zog Jason von seinen Freunden weg zu einem Türeingang am anderen Ende des Flurs. „Was ist los?“ fragte er ungeduldig. „Die nächste Stunde fängt gleich an. „Kennst du jemanden, der mich am Donnerstag zu eurem Turnerwettbewerb mitnehmen könnte?“ Jason runzelte die Stirn. „Das halte ich für keine gute Idee.“ „Jason, bitte“, bettelte sie. „Ich möchte Simon unterstützen. Und dich natürlich auch“, fügte sie schnell hinzu. „Laurie, warum läßt du ihn nicht in Ruhe? Er will nichts mehr mit dir zu tun haben.“ „Hat er das zu dir gesagt?“ bohrte sie. „Nicht so direkt“, gab Jason zu. „Aber er will weder über dich reden noch über die Fete.“ - 165 -
Laurie verlor langsam die Geduld. „Meine Güte, so schrecklich war es nun auch wieder nicht. Deswegen muß er mich doch nicht für alle Zeiten hassen. Warum erlaubt er mir nicht, mich bei ihm zu entschuldigen? Jedesmal, wenn er mich auch nur vom weiten sieht, verzieht er sich.“ „Laurie, kapier doch. Es ist aus. Laß die Fingern von ihm.“ Er wandte sich zum Gehen. Plötzlich kam Laurie eine Idee. Anne!“ Aber natürlich. Die würde garantiert zu dem Turnerwettbewerb fahren, um Jason zu bewundern. Sie machte sich sofort auf die Suche nach Anne. „Aber klar werde ich dort sein“, erwiderte Anne. „Bob Chester fährt ein paar von uns mit dem Auto hin.“ „Glaubst du, er hat noch Platz für mich?“ „Frag ihn doch selbst“, schlug Anne vor. „Er nimmt dich bestimmt gerne mit, wenn er noch Platz hat.“ Noch am selben Nachmittag sprach Laurie mit Bob, der ihr versicherte, es sei noch genügend Platz im Auto. Sie würden sich alle am Donnerstagmittag nach der Schule auf dem Parkplatz treffen. Laurie beschloß, Jason nichts davon zu verraten, um weitere Diskussionen zu vermeiden. Außerdem wollte sie Simon überraschen. Am Donnerstagmorgen, bevor Jason die Treppe herunterkam, teilte Laurie ihrer Mutter mit, daß sie zu dem Turnerwettbewerb gehen wollte. Sie zog sich besonders sorgfältig an, ihren neuen, grauen Rock und den weißen Angorapullover. Eigentlich war das ein bißchen zu schick für die Schule, aber man konnte ja nie wissen. Der Vormittag zog sich endlos dahin. Laurie konnte es - 166 -
kaum erwarten, bis der Unterricht endlich vorbei war. Sofort nach der letzten Stunde eilte sie zum Parkplatz, wo Anne, Bob und die anderen bereits auf sie warteten. Dann ging's ab zur Lincoln High School., Nach einigem Suchen fanden sie die Turnhalle. Die Geräte waren bereits alle aufgebaut. Von den Teilnehmern war jedoch noch niemand zu sehen. Bob und die anderen wollten oben in der letzten Reihe sitzen, aber Anne und Laurie beschlossen, sich unten auf die zweite Bank direkt hinter ihr Team zu setzen. Laurie war sich des Risikos bewußt. Aber so wußte Simon wenigstens sofort, daß sie da war. Als die Mannschaft hereinmarschierte, sah sie ihn auf den ersten Blick. Ohne zu überlegen stand sie auf. Die Turner kamen auf die Bank zu. Laurie wollte etwas zu ihm sagen. Bevor sie jedoch Gelegenheit dazu hatte, rannte jemand an ihr vorbei die Treppen herunter und flog Simon um den Hals: Maria Grant! Laurie verstand jedes Wort, das sie zu ihm sagte. „Du wirst dich selbst übertreffen“, ermutigte sie ihn, während sie seinen Arm umklammert hielt. „Denk dran, ich sitze da oben und drücke dir beide Daumen.“ Simon lächelte sie erfreut an. „Danke, das kann ich gebrauchen.“ Maria klopfte ihm auf die Schulter und ging wieder hinauf. Er wollte sich gerade umdrehen, als er plötzlich Laurie entdeckte. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich drastisch. Er sah aus, als traue er seinen Augen nicht. Er runzelte verärgert die Stirn und ging mit schnellen Schritten zur Matte, wo er mit ein paar Übungen zum Warmwerden begann. Laurie schluckte nur und setzte sich wieder hin. Anne legte ihr mitfühlend die Hand auf den Arm. „Laß ihm ein bißchen Zeit.“ „Jason hatte recht“, meinte Laurie entmutigt. „Ich hätte - 167 -
nicht kommen sollen. Jetzt regt sich Simon auf, und verpatzt vielleicht seine Übungen.“ „Simon ist ein Profi“, sagte Anne. „Nur weil du da bist, wird er nicht gleich schlechter sein.“ „Hoffentlich.“ Laurie beobachtete, wie Simon sich warmturnte. Er würdigte sie jedoch keines Blickes. Statt dessen starrte Jason ununterbrochen grimmig zu ihr herüber. Laurie tat ihr Bestes, ihn nicht zu beachten. Sie hatte natürlich nicht erwartet, daß dieser Nachmittag leicht für sie werden würde. „Willst du nach Hause gehen?“ flüsterte Anne. „Ich komme mit und rede später mit Jason. Wir können den Bus nehmen.“ Einen Moment lang wäre Laurie tatsächlich am liebsten verschwunden. Aber damit hätte sie womöglich ihre letzte Chance verspielt. „Nein, ich werde es bis zu Ende durchstehen“, erklärte sie. „Weißt du“, sagte sie langsam, „wenn es so einfach für mich ist, ihn wütend zu machen, sollte ich es doch auch genauso leicht schaffen, ihn wieder zurückzugewinnen.“ Annes Miene hellte sich auf. „Bravo. Jetzt bist du wieder ganz die alte.“ Sie sah hinauf zu Maria, die mit einer Gruppe von Leuten aus ihrer Schule zusammen saß. „Und mach dir mal keine Sorgen wegen der, Ich weiß zufälligerweise, daß Simon sie für eine absolute Null hält.“ Laurie war erleichtert, das zu hören. Sie wußte, daß Simon sich früher nicht besonders zu Maria hingezogen gefühlt hatte, aber sie war dennoch in Zweifel geraten, ob er nicht in der Zwischenzeit... Der Wettbewerb begann. Mit Staunen beobachtete Laurie Jasons außergewöhnliche Leistungen. Er erhielt neun von zehn Punkten in allen Pflichtdisziplinen und noch höhere Bewertungen in seiner Kür. Simon war nicht annähernd so gut, - 168 -
aber für einen Neuling in dieser Sportart brachte er doch verblüffende Leistungen. Es war nicht zu übersehen, daß er bis zum Ende des Jahres zu den besten Turnern der Mannschaft zählen würde. Als das Bodenturnen an der Reihe war, saß Laurie erwartungsvoll ganz vorn auf der Kante der Bank. Dies war Simons stärkste Disziplin, wegen seiner Vorbildung im Tanzen und Fechten. Im Bodenturnen hatte er am schnellsten Fortschritte gemacht. Abgesehen von den Pflichtelementen war die Übung noch mit vielen besonderen Schwierigkeiten gespickt, die Simon fehlerfrei und elegant ausführte. Das Publikum belohnte Ihn mit dröhnendem Applaus, als er sich von der Matte erhob. Er erhielt 9,2 Punkte. Laurie sprang auf und jubelte begeistert. Nachdem sie sich wieder hingesetzt hatte, um dem nächsten Turner zuzusehen, wandte Laurie sich Anne zu und sagte stolz: „Ich wußte, daß er gut sein würde. Er kann einfach alles.“ Und das war wirklich gar nicht mal so übertrieben. Simon gelang wirklich vieles, was er anpackte, sei es nun die Schauspielerei, sich in einer fremden Stadt einzuleben oder eine völlig neue Herausforderung wie Turnen. „Ich hatte unrecht, Anne“, fuhr Laurie leise fort. „Nicht er war der Snob, sondern ich, weil ich mir einbildete, alles über Schauspieler zu wissen.“ Sie lachte bitter. „All das Geschwätz über Starallüren ist doch maßlos übertrieben. Zumindest auf Simon trifft es nicht zu.“ „Wie hat es denn eigentlich angefangen?“ fragte Anne. „Kannst du dich noch erinnern?“ Laurie überlegte. „Ich glaube, es begann in dem Moment, als Tom mir den Auftrag für das Interview gab. Ich war begeistert. Ich wollte etwas ganz Besonderes daraus machen. Dann fing Maria plötzlich an, von Simon zu schwärmen. Und du und Doris. Selbst meine Mutter. Irgendwie hat mich dieser - 169 -
Wirbel im voraus gegen ihn aufgebracht.“ Sie dachte an jenen Tag zurück, als sie zum ersten Mal an der Tür der Simpsons geklingelt hatte. „Ich konnte es einfach nicht fassen, als er die Tür aufmachte. Er war so anders. Ich meine, wir hatten ihn doch gerade erst in dem Science-fictionFilm gesehen, erinnerst du dich?“ Anne nickte. „Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Wir fanden den Film einfach toll.“ „Die Tür ging auf“, fuhr Laurie fort, „und da stand dieser blendend aussehende Typ. Ich habe eine ganze Weile gebraucht, um zu kapieren, daß es sich um ein und dieselbe Person handelte. Und wahrscheinlich... ich weiß nicht.“ Jetzt sah sie, wohin ihre Verwirrung sie geführt hatte. „Und dann hast du alles, war er tat oder sagte so ausgelegt, daß es deinem Vorurteil von ihm entsprach“, meinte Anne. „Genau. Doch das ist noch nicht alles“, gestand sie. „Als ich sah, wie ihr ihn alle angehimmelt habt, wurde es noch schlimmer. Vom ersten Tag ihres Kennenlernens an wurde er Jasons bester Freund. Selbst du hast mir immer gesagt, ich hätte ein falsches Bild von ihm.“ „Aber das stimmte ja auch“, erinnerte Anne sie vorsichtig. Der Turner, der nach Simon dran gekommen war, hatte seine Übung beendet. Er war der letzte Teilnehmer. Als der Applaus verklungen war, bewegten sich die Zuschauer langsam auf die Ausgänge zu. Bob Chester lief herbei. „Seid ihr soweit?“ Laurie schaute sich kurz in der Halle um, aber die Turner waren schon in den Umkleideräumen verschwunden. „Meinetwegen“, seufzte sie. „Hat wohl keinen Zweck mehr, hier noch länger rumzuhängen.“ „Ihr könnt mich bei der Schule absetzen“, sagte Anne. „Ich warte auf den Mannschaftsbus und fahr' mit Jason nach Hause. Laurie, willst du mit mir zusammen warten?“ - 170 -
„Warum nicht?“ Laurie war es egal, was sie jetzt tat. Bob setzte sie auf dem Parkplatz der Schule ab, und sie hockten sich auf die Stoßstange von Jasons Wagen. Nach einer Stunde kam der Mannschaftsbus endlich. Laurie und Anne froren erbärmlich, weil es gegen Abend erheblich frischer wurde. „Na endlich“, brummte Laurie, als die Turner aus dem Bus stiegen. „Ich werde bestimmt die ganze Nacht brauchen, um mich wieder aufzuwärmen.“ Jason kam mit langen Schritten über den Parkplatz auf sie zu. Laurie hatte plötzlich ein unheimlich flaues Gefühl im Magen, denn Simon ging direkt hinter Jason her. „Tut mir leid, daß wir so spät kommen“, erklärte Jason. „Ein paar von den Jungs haben noch im Umkleideraum herumgetobt. Es hat eine Ewigkeit gedauert, sie in den Bus zu befördern.“ Laurie hörte kaum hin, was ihr Bruder sagte. Sie erkannte, daß dies ihre Gelegenheit war. Sie würde sich bei Simon entschuldigen und ihm den Ring zurückgeben. Jason schloß die Wagentür auf. „Ich muß einen Moment allein mit dir sprechen“, sagte Laurie schnell zu Simon, während Jason und Anne ins Auto stiegen. „Sicher hat deine Mutter dir schon erzählt, daß ich am Sonntagmorgen bei euch war, um mich zu entschuldigen. Es war meine Schuld. Ich möchte nicht, daß du den anderen deswegen böse bist. Es tut mir wirklich leid, daß ich die ganze Sache angezettelt habe. Es war echt gemein von mir.“ Sie langte in ihren Ausschnitt und holte die goldene Kette mit dem Ring hervor. Dann zog sie. ,sich die Kette über den Kopf und - 171 -
hielt sie ihm hin. „Hier. Ich weiß, daß du den Ring wiederhaben willst.“ Sie machte eine Pause und wartete auf Simons Antwort. Als er jedoch schwieg, drückte sie ihm den Ring in die Hand und wollte sich in den Wagen setzen. „Warte noch einen Moment“, erwiderte Simon und hielt sie am Arm fest. „Du hast recht. Wir müssen darüber reden.“ Er zog Laurie vom Auto weg und schlug die Tür, die sie gerade geöffnet hatte, wieder zu. Dann lehnte er sich zu Jasons Fenster hinein und sagte: „Ich bringe Laurie nach Hause. Fahrt ihr ruhig schon.“ Jason warf Laurie einen fragenden Blick zu. „Okay?“ Laurie nickte benommen. Jason ließ den Wagen an und fuhr dann mit quietschenden Reifen zum Schultor hinaus. „Komm.“ Simon hakte sie unter und führte sie über den Parkplatz. „Aber das Tor ist doch dahinten“, sagte Laurie. „Wenn wir nach Hause laufen wollen...“ Simon machte ein verdutztes Gesicht. Dann lachte er. „Das hatte ich ja ganz vergessen. Du hast ja mein Geburtstagsgeschenk noch nicht gesehen.“ Am anderen Ende des Parkplatzes stand ein schnittiger roter Sportwagen. „Den haben mir meine Eltern geschenkt“, erklärte Simon. „Am Sonntag haben mein Vater und ich ihn abgeholt.“ Deshalb war er also nicht zu Hause, schoß es Laurie plötzlich durch den Kopf. „Klingt, als ob du einen besseren Sonntag hattest als ich“, meinte sie. „Komm, steig ein.“ Simon hielt ihr die Tür auf. Sobald sie im Wagen saßen, steckte Simon den Schlüssel ins Zündschloß. Aber er startete nicht. „Ich weiß, daß du verletzt warst“, begann Laurie, aber Simon hob abwehrend die Hand. - 172 -
„Du hast dich schon entschuldigt, Laurie. Jetzt bin ich dran.“ Er wandte sich ihr zu. „Weißt du, so ganz unrecht hattest du nun auch wieder nicht. Ein Junge, der so aufgewachsen ist wie ich, muß ja den Eindruck bekommen, daß er etwas Besonderes ist.“ Er senkte die Augen, um ihrem Blick auszuweichen. „Meine Eltern haben alles getan, damit aus mir kein eingebildeter Typ wird. Aber das ist in dem Geschäft gar nicht so einfach.“ Er machte ein nachdenkliches Gesicht. Laurie wollte etwas sagen, aber erfuhr hastig fort. „Dein Verhalten war nicht gerade untypisch. Die Leute reagieren seltsam auf Schauspieler. Entweder sie überhäufen einen mit Lobliedern, weil sie hoffen, man könnte etwas für sie tun, oder sie geben sich alle Mühe zu zeigen, daß sie überhaupt nicht beeindruckt sind.“ „Aber das ist es doch gerade“, rief Laurie aus. „Ich war beeindruckt, aber ich wehrte mich dagegen. Also war ich wütend auf mich selber. Und sauer auf dich.“ „Das ist normal.“ Simon rutschte ein Stückchen näher an sie heran. „Aber jetzt muß ich dir noch was sehr Wichtiges sagen. Ich mochte dich gleich vom ersten Augenblick an, als du bei uns an der Tür geklingelt hast. Doch ich wollte, daß du mich um meiner selbst willen magst, und nicht, weil ich einmal ein Filmstar war.“ Diesmal senkte Laurie den Blick. Dann lächelte sie ihn an. „Ich mag Cameron Simpson.“ Simon legte einen Arm um sie, und mit der anderen Hand hängte er ihr die Kette mit dem Ring wieder um den Hals. Da war es wieder, das vertraute Gefühl des Ringes auf ihrer Haut, das sie so liebte. „Ich werde dich nie wieder damit aufziehen, daß du ein Altstar bist oder ein Snob“, versprach sie. Simon sah Ihr in die Augen. „Und ich werde dich nie wegen deiner schlampigen Häkelei necken“, erklärte er feierlich. - 173 -
Für einen Moment war Laurie sprachlos. Dann jedoch mußte sie so lachen, daß ihr die Tränen übers Gesicht rannen. Sie rückte ganz nah an ihn heran. Wenn Simon über den Hut Witze machen konnte, würde alles gut werden. Das wußte sie.
- ENDE -
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