Endlich bist du mein
Catherine Spencer
Julia 1391 7-2/00
gescannt von suzi_kay
1. KAPITEL
Weniger als zweiundsieb...
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Endlich bist du mein
Catherine Spencer
Julia 1391 7-2/00
gescannt von suzi_kay
1. KAPITEL
Weniger als zweiundsiebzig Stunden nachdem sie sich kennen gelernt hatten, schliefen sie zum ersten Mal miteinander. „Komm mit", drängte er. Ohne zu zögern, ergriff sie seine Hand. Und während die anderen die heißesten Stunden des Tages dösend oder im Pool verbrachten, ging er mit ihr einen der Pfade entlang, die zur Inselmitte führten. Sie wusste, was passieren würde. Es war Schicksal. Bereits bei ihrer ersten Begegnung am ersten Abend hatte sie ihm gehört, und daher war es nur verwunderlich, dass sie erst jetzt mit ihm schlafen würde. Hand in Hand folgten sie dem überwucherten Weg, der sie vor den Blicken neugieriger oder feindlich gesonnener Beobachter im Hotel schützte. Schließlich kamen sie an eine Stelle, an der eine Quelle aus einem Felsspalt austrat, der Boden mit Moos bedeckt war und dichtes Ränkenwerk mit süßlich duftenden Blüten eine Art Dach bildete. Er drehte sich zu ihr um. „Leila?" Er klang jedoch nicht wie ein Generaldirektor, der seine Mitarbeiterin ansprach, sondern wie ein leidenschaftlicher Liebhaber. „Ich bin hier", erwiderte sie. Daraufhin zog er sie an sich und presste die Lippen auf ihre. Unwillkürlich fragte sie sich, wie es möglich war, dass sie, eine erwachsene Frau, erst jetzt erfuhr, wie es war, von einem Mann geküsst zu werden. Sobald seine Lippen ihre berührten, hörte die Frau, die sie gewesen zu sein glaubte, auf zu existieren. Ihr Blickwinkel veränderte sich, ihre Wahrnehmung wurde intensiver, und ihr Herz ... Das hatte sie schon seit drei Tagen nicht mehr unter Kontrolle. Nach einer Weile löste er sich von ihr. „Bist du sicher?" Bereitwillig schmiegte sie sich an ihn. „Ich war mir noch nie so sicher, Dante. Ich werde dir überallhin folgen." Er schob die Hand in ihr Haar und zog sie noch enger an sich, um ihr zu beweisen, wie sehr er sie begehrte. „Du wirst es niemals bedauern", schwor er, bevor er sie wieder küsste, diesmal noch verlangender. Leidenschaftlich erwiderte sie das erotische Spiel seiner Zunge. Obwohl sie noch Jungfrau war, so war ihr bewusst, dass sie ihm dadurch ihre Bereitschaft signalisierte, mit ihm zu schlafen. Er streichelte sie überall, weil er es nicht abwarten konnte, ihre nackte Haut zu erkunden. Sie nahm kaum wahr, wie er mit ihr zu Boden sank, sie auszog und sich auch seiner Sachen entledigte. Nichts war mehr wie vorher, und für sie spielte auch das keine Rolle. Er betrachtete sie verlangend, bevor er mit der Zunge eine heiße Spur über ihren Hals bis zu ihren Brüsten zog. Dort verharrte er einen Moment und weckte eine schmerzliche Sehnsucht in ihr. Schließlich ließ er die Hand zu ihrem Bauch gleiten und tiefer, um ihre empfindsamste Stelle zu erkunden ... Als sie erschauerte, hielt er inne und blickte auf. „Das ist das erste Mal für dich, nicht?" erkundigte er sich mit einem verwunderten Unterton. Sie nickte, und daraufhin atmete er tief durch und rollte sich auf die Seite, um ihr beruhigend über den Rücken zu streichen. „Hab keine Angst, Leila", sagte er. „Ich werde dir niemals wehtun." Natürlich würde er das nicht. Er war der Mann, auf den sie ihr ganzes Leben gewartet hatte. Sie hatte nichts zu befürchten. Da sie ihm dasselbe Vergnügen bereiten wollte, das er ihr bereitet hatte, presste sie die Lippen auf seine Brust und spürte dabei, wie schnell sein Herz klopfte. Als er sie diesmal berührte, nahm sie kaum noch etwas um sich her wahr. Wie aus weiter Ferne hörte sie, wie sie ihn anflehte: „Dante ... bitte ... hilf mir ..." Er neigte wieder den Kopf. Sobald er ihre empfindsamste Stelle mit der Zunge zu liebkosen begann, verging sie vor Lust. Ihre Anspannung wuchs ins Unermessliche, bis sie sich in einem ekstatischen Höhepunkt
entlud. Sie krallte die Finger in seine Schultern und hoffte, dass sie nicht diese Welt verlassen und ihn für immer verlieren würde. Einen Moment lang presste er sie an sich, so dass sie in die Wirklichkeit zurückfand. Dann richtete er sich auf, die Augen halb geschlossen und schwer atmend, ga nz männliche Kraft, und schob ihre Beine mit dem Knie auseinander. Er hat mir meine Seele gestohlen. Mehr kann ich ihm nicht geben, dachte sie hilflos. Doch sie irrte sich. Denn sie hatte noch nicht einmal angefangen zu geben. Sie hatte nur etwas bekommen und irrtümlich geglaubt, es wäre das größte Vergnügen, das eine Frau erfahren konnte. Doch ihr Körper belehrte sie eines Besseren und nahm ihn bereitwillig auf. Zusammen verfielen sie in einen leidenschaftlichen Rhythmus, der vollständig von ihr Besitz ergriff und sie so überwältigte, dass es ihr Angst gemacht hätte, wenn er sie nicht so fest umschlungen hätte. Wieder rief sie seinen Namen, weinte an seiner Schulter, versuchte, gemeinsam mit ihm den Höhepunkt zu erreichen, und merkte plötzlich, wie sie in tausend Stücke zerbarst. Und die ganze Zeit bewegte er sich in ihr, bis sie sich wieder vollständig fühlte und er ebenfalls den Gipfel der Ekstase erreichte. Eine ganze Weile danach hörte sie nur das Plätschern der Wasserquelle. Spürte nur das weiche Moos unter und sein Gewicht auf sich. Sah durch die geschlossenen Lider nur das Sonnenlicht, das durch die Blätter fiel. „Du bist schön", sagte er genauso leidenschaftlich wie zuvor. „Durch und durch schön. Und du gehörst mir." „Ja", erwiderte sie und seufzte. „Ich liebe dich, Dante." Sie kam überhaupt nicht auf die Idee, an ihren Worten zu zweifeln, genauso wenig wie sie an seinen Worten zweifelte. Sie waren seelenverwandt. Er würde sie nie belügen und sie ihn auch nicht. „Ich erinnere mich noch daran, als ich immer eine Suite auf dieser Seite des Hauses bekommen habe. Das war früher, bevor die Firma den Bach runtergegangen ist." Wie in den Tropen üblich, wurde es schnell dunkel, und draußen waren die Fackeln im Hof die einzige Beleuchtung. Trotzdem 'wusste Leila auch so, dass es Carl Newbury war, der dort sprach. Sie war gerade aus dem Bad gekommen, und einen Moment lang hatte sie geglaubt, er wäre in ihrer Suite und würde mit ihr reden. Doch er stand auf der Veranda der Nachbarsuite am Geländer und sprach mit jemandem, der im Zimmer war. Da sie nicht lauschen wollte, ging sie zur Verandatür, um diese entweder zu schließen oder sich bemerkbar zu machen. Doch er fuhr bereits fort: „Dante Rossi ist der Letzte, von dem ich erwartet hätte, dass er auf eine so plumpe Anmache reinfallen würde. Ich dachte, er hätte mehr Grips, aber wenn es um Sex geht..." „Ist es denn dazu gekommen?" ließ sich eine andere Männerstimme vernehmen. „Du hast doch selbst gesehen, wie sie sich heute Nachmittag davongeschlichen haben", höhnte Newbury und schlürfte seinen Drink. „Und auch, wie sie zurückgekommen sind und sie zum Hintereingang gehuscht ist, während er ganz unverfroren über die Terrasse auf der Vorderseite gekommen ist." Entsetzt darüber, dass Dante und sie Gegenstand einer so geschmacklosen Unterhaltung waren, blieb Leila wie erstarrt auf der Schwelle zur Veranda stehen, versteckt hinter den duftigen weißen Gardinen, die sich im Luftzug des Deckenventilators bauschten. „Stimmt, sie haben Händchen gehalten", erwiderte der andere Mann. Obwohl sie ihn an seiner Stimme nicht erkennen konnte, war er im Gegensatz zu Carl Newbury offenbar kein leitender Angestellter, da er wie sie eine Suite auf der Rückseite des Hauses hatte. „Aber das muss nicht unbedingt heißen, dass er gleich mit ihr in die Kiste gesprungen ist, oder? Schließlich kennt er sie erst seit drei Tagen. Dante ist ein gut aussehender Mann, und die Frauen finden ihn offenbar attraktiv, aber er macht auf mich nicht den Eindruck, als wäre er ein Playboy." „Das ist er auch nicht - zumindest nicht im Umgang mit Ladies. Aber Leila Connors-Lee
ist keine Lady. Sie hat die Stelle hauptsächlich deswegen bekommen, weil sie Gavin Black schöne Augen gemacht hat. Und da Gavin verheiratet ist und glatt ihr Vater sein könnte, hat sie sich Dante geangelt." „Aber er trennt Berufs- und Privatleben strikt voneinander." „Das war einmal." Man hörte das leise Klirren von Eis und dass eingeschenkt wurde. „Er ist zu clever, um auf ein hübsches Gesicht reinzufallen." Newburys Lachen verursachte Leila eine Gänsehaut. „Wir wissen beide, dass ein Mann sich nicht von seinem Verstand leiten lässt, wenn es um Sex geht." Ihr wurde schlecht, und sie presste die Hand auf den Mund. Sie wusste, dass Carl Newbury nicht gut auf sie zu sprechen war, weil er ihre Stelle einem Freund hatte zuschanzen wollen. Dass er aber einen solchen Hass auf sie hatte, schockierte sie. „Na ja, wir können jedenfalls nicht viel tun." Dem anderen Mann schien der Gesprächsverlauf nicht zu behagen. „Wenn Dante es nicht will, muss er dem ein Ende machen." „Ich denke eher, dass wir ihn vor sich selbst schützen müssen, Johnny." „Wie denn das?" Johnny wirkte jetzt noch nervöser. „Ich möchte nicht, dass Dante es bedauert, mich eingestellt zu haben." „Schon gut. Ich will es mir auch nicht mit ihm verderben. Wir müssen nur rechtzeitig eingreifen, das ist alles. Und dann bist du da, wo du hingehörst." „Du scheinst dir deiner ziemlich sicher zu sein." „Das bin ich auch. Wir müssen uns nicht mehr lange mit Lady Connors-Lee herumschlagen. Eine derart stürmische Affäre ist genauso schnell wieder vorbei, wie sie angefangen hat. In der Zwischenzeit bedarf es nur einiger geschickt angebrachter Bemerkungen ..." Mehr war nicht zu verstehen, denn Newbury ging wieder ins Zimmer. Noch lange nachdem die Tür hinter den beiden Männern ins Schloss gefallen war, stand Leila wie erstarrt da. In Anbetracht ihrer Gefühle für Dante hätte es ihr eigentlich egal sein müssen, was andere Leute über sie dachten, doch das war es leider nicht. Es verletzte sie, dass man sich über Dante und sie das Maul zerriss. Aber eigentlich hätte sie sich denken können, dass es Gerede geben würde. Sie wich von der Tür zurück und sank in einen Korbsessel. Dann ließ sie ihre erste Begegnung mit ihm im Geiste Revue passieren. Sie war als eine der Letzten auf der Cocktailparty erschienen. Die meisten anderen Mitarbeiter samt ihren Ehepartnern standen bereits in kleinen Grüppchen auf der Terrasse beisammen, die Frauen in eleganten Abendkleidern, die Männer im Smoking. Dante hingegen hob sich deutlich von der Menge ab. Gegen ihn verblassten sogar die atemberaubenden Berge in der Ferne und das Meer, das die untergehende Sonne in rotes Licht tauchte. Leila wusste sofort, wer er war. Selbst in einer so großen Gruppe von sechzig Leuten fiel Dante Rossi auf. Er überragte alle anderen Männer und wirkte noch imposanter als sie. Er stand an der Balustrade zum Strand hin und unterhielt sich mit Carl Newbury, einem der Vorstandsmitglieder. Doch als sie die Treppe herunterkam, um sich unauffällig unter die Gäste zu mischen, sah er auf und blickte sie so durchdringend an, als hätte sie der Frau, die in ihrer Nähe stand, die Juwelen gestohlen. Mit einer Handbewegung unterbrach er Carl Newbury mitten im Satz, und sie beobachtete, wie seine Lippen die Worte „Wer ist sie?" formten. Der Vorstandsvorsitzende wandte sich zu ihr und setzte eine selbstgefällige Miene auf. „Das ist sie?" sagte er. Dante betrachtete sie weiterhin unverwandt, allerdings nicht feindselig, wie sie erwartet hatte. Es knisterte förmlich zwischen ihnen, und wie gebannt erwiderte sie seinen Blick. Das allgemeine Stimmengewirr drang plötzlich wie aus weiter Ferne an ihr Ohr, und es schien ihr, als wären Dante und sie ganz allein auf der Welt. Im Beruf waren sie potentielle Rivalen, doch auf sexueller Ebene herrschte eine unerklärliche Harmonie zwischen ihnen. Sie waren wie eine moderne Eva und ein moderner Adam, und das Verhältnis zwischen ihnen war
bereits vergiftet, weil sie als Nachfolgerin für den kranken Mark Hasborough nur auf Ablehnung stieß. Schließlich brach Dante den Bann, indem er, ohne den Blick von ihr abzuwenden, einen Kellner zu sich winkte. Dann bedeutete er Carl Newbury, zwei Drinks vom Tablett zu nehmen und ihm zu folgen, und kam auf sie zu. Carl Newbury konnte es offenbar kaum erwarten, sie in die Enge zu treiben. „Dante", verkündete er mit einem süffisanten Grinsen, „darf ich Ihnen Marks Nachfolgerin und neue Einkäuferin bei Classic Collections vorstellen. Das ist..." „Leila Connors-Lee." Dantes Stimme war genauso beeindruckend wie sein Äußeres. Er hatte wunderschöne von dichten Wimpern gesäumte blaugrüne Augen und musterte sie anerkennend von Kopf bis Fuß. „Ich wusste, dass Sie es sein müssen." Er nahm Newbury die Drinks ab und reichte ihr ein Glas. Er hatte also die Gerüchte gehört. Warum hätte er sie sonst so eingehend mustern sollen? Da die spannungsgeladene Atmosphäre sie nervös machte, bemühte Leila sich um eine geschäftsmäßige Distanz. „Guten Abend, Mr. Rossi. Es ist mir eine Ehre, hier sein zu dürfen. Poinciana Island ist wunderschön." Dante ging auf ihren kühlen Tonfall ein. „Sie können von Glück sagen, dass Sie hier sind", korrigierte er sie. Unmerklich hob sie das Kinn. „Sicher meinen Sie, dass es ungewöhnlich ist, wenn ein neuer Mitarbeiter in den Genuss der jährlichen Reise kommt." „Unter anderem." Er hakte sie unter und führte sie in eine ruhige Ecke. Die anderen hatten es natürlich bemerkt und beobachteten sie nun, einige mit boshafter Vorfreude, andere - zumeist Frauen, die sich mit ihr angefreundet hatten - verständnisvoll und aufmunternd. „Also", meinte Dante und prostete ihr zu, „wie haben Sie es geschafft?" „Was? Von Classic Collections Limited eingestellt zu werden?" „Wenn Sie wollen, können wir damit anfangen." Das klang, als wäre es ihm im Grunde egal, wie sie es geschafft hatte, in diesen elitären Kreis vorzudringen, und als würde er lediglich aus Höflichkeit fragen. Doch obwohl er lässig an der Balustrade lehnte und aufs Meer hinausblickte, war er genauso angespannt wie sie. Es war nur eine Frage der Zeit, wann die Spannung sich entladen würde. Leilas Herz klopfte schneller, und ihre Hände waren feucht. Dort, wo noch kein Mann sie angesehen, geschweige denn berührt hatte, begann ihre Haut zu prickeln. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich so stark zu jemandem hingezogen, dass ihr der Atem stockte. Dante war der aufregendste Mann, der ihr je begegnet war, das wusste sie, genauso wie sie ihren Namen wusste. Er verkörperte ihr Schicksal. „Ich habe Ihre Anzeige in einer Fachzeitschrift gesehen und beschlossen, mich um die Stelle zu bewerben." Ihr ruhiger Tonfall war genauso aufgesetzt wie ihr Lächeln. „Warum?" Geld und Schulden waren ein zu profanes Thema in einem derart magischen Moment. „Weil es sich interessant anhörte und ich mal etwas anderes machen wollte", erwiderte Leila lässig. Dante lächelte gewinnend. „Und außerdem lieben Sie offenbar die Herausforderung. Soweit ich weiß, hatten Sie kaum Erfahrung im kanadischen Importgeschäft." „Nein, aber ich bin sehr lernfähig. Ich spreche fließend Chinesisch und bin mit den geschäftlichen Gepflogenheiten in Fernost vertraut." „Soso." „Ich bin in Singapur geboren und aufgewachsen und habe viele Länder in Fernost bereist", erklärte sie ein wenig gestelzt. Er strich ihr über den Arm, als wollte er sie beruhigen. „Entscheidend ist, dass Sie nach Vancouver gezogen und jetzt hier sind. Warum haben Sie Singapur denn verlassen? Es ist doch eine sehr schöne Stadt." „Nach dem Tod meines Vaters wollte meine Mutter nach Kanada zurückkehren."
„Ist sie Kanadierin?" „Ja." „Und Ihr Vater?" „War halb Engländer, halb Srilanker." Früher einmal hatte es sie mit Stolz erfüllt, über ihren Vater zu sprechen, doch das war jetzt nicht mehr der Fall. Daher wechselte sie das Thema. „Was wollen Sie mit diesen persönlichen Fragen bezwecken?" „Ich möchte die Leute kennen lernen, die für mich arbeiten. Wenn ich bei dem letzten Gespräch dabei gewesen wäre, hätte ich sie Ihnen schon früher gestellt." „Ihr Partner hatte großes Vertrauen in meine Fähigkeiten, Mr. Rossi." „Er hatte offenbar ein gutes Gespür. Und bitte sagen Sie Dante zu mir." „Aber Sie sind sich trotzdem nicht sicher, ob er die richtige Entscheidung getroffen hat?" Wieder musterte Dante sie. „So weit würde ich nicht gehen. Sie faszinieren mich, Leila Connors-Lee. Normalerweise haben Frauen nicht so viel Erfolg bei Aufträgen im Ausland, besonders nicht bei ihrem ersten." „Ist denn etwas dabei, wenn jemand erfolgreich sein will?" Er zuckte die Schultern. „Das hängt davon ab, wie sehr man es will." „Warum sollte das ein Problem sein, solange die Firma davon profitiert?" „Theoretisch dürfte es kein Problem sein." Er ließ den Blick über ihr dunkelrosa Seidenkleid aus Thailand schweifen und betrachtete ihre Saphirohrringe, die aus Sri Lanka stammten. „Aber wenn andere Faktoren dazukommen ..." Fast hätte Leila die Fassung verloren. Wollte er ihr wirklich zu verstehen geben, dass er den Gerüchten, die Carl Newbury über sie in die Welt setzte, Glauben schenkte, oder dass er sich der gegenseitigen starken Anziehungskraft bewusst war und sich dagegen wehrte? „Sie meinen die Einwände, die einige Ihrer Vorstandsmitglieder gegen meine Einstellung erhoben haben?" Als Dante wieder die Schultern zuckte und sich abwandte, fuhr sie fort: „Nun, Mr. Rossi ... Dante, ich würde auch gern einige Einwände erheben, vor allem dagegen, dass Sie mich aufgrund irgendwelcher Gerüchte vorschnell verurteilen. Ich weiß, was man über mich sagt, und finde es auch nicht viel schlimmer als die Tatsache, dass Sie es glauben. Von einem vermeintlich intelligenten Mann wie Ihnen hätte ich etwas mehr Weitsicht erwartet." Plötzlich verspürte er nicht mehr den Drang, aufs Meer hinauszublicken. „Wenn es so weit kommt, dass ich einen Mitarbeiter nach den Gerüchten beurteile, die in der Firma über ihn kursieren, ist es höchste Zeit für mich aufzuhören", erklärte er scharf und wandte sich unvermittelt zu ihr um. „Ich weiß nicht genau, was man über Sie verbreitet, Leila, aber eines lassen Sie uns von Anfang an klarstellen. Ich denke, dass ich ausreichend Menschenkenntnis habe, um mir ein eigenes Urteil zu bilden." Er hatte sie in ihre Schranken verwiesen, doch bevor Leila antworten konnte, war einer der Hotelmitarbeiter oben auf der Treppe erschienen und schlug den Gong zum Abendessen. Sichtlich erbost darüber, dass sein Arbeitgeber ihn von der Unterhaltung mit der verhassten neuen Mitarbeiterin ausgeschlossen hatte, gesellte Carl Newbury sich jetzt wieder zu ihnen wie ein Rottweiler, der darauf abgerichtet war, sein Herrchen zu beschützen. „Wir sollten reingehen, Dante. Niemand wird sich an den Tisch setzen, bevor Sie es tun", verkündete er lauthals und mit falscher Liebenswürdigkeit. „Tut mir Leid, dass ich Ihren kleinen Plausch mit dem Boss unterbrechen muss, Leila." „Das braucht es nicht." Sie hatte nicht ihn, sondern Dante angesehen. „Mr. Rossi und ich haben bereits alles Wichtige besprochen, stimmts?" Dante hatte einen winzigen Fussel von seinem Smokingärmel gewischt und ihr einen Blick unter gesenkten Lidern zugeworfen. „Nicht ganz, Leila, aber vorerst muss es genügen." In diesem Moment hallte wieder der Gong durch das alte Plantagenhaus und rief die Nachzügler zu dem Festessen, das an diesem Abend stattfinden sollte. Erst jetzt wurde Leila bewusst, dass fast eine Stunde vergangen war, seit sie aus der Dusche gekommen war. Dante würde bereits auf sie warten und sich fragen, wo sie steckte. Doch wie sollte sie nach unten gehen und sich wie geplant mit ihm treffen, wenn ihr klar
war, dass sie den Gerüchten, die ohnehin schon über Dante und sie kursierten, dadurch noch mehr Nahrung geben würde? Das hatte er nicht verdient. Andererseits brauchten sie sich nicht zu verstecken, weil sie sich keiner Schuld bewusst waren. Schließlich waren sie beide erwachsen und ungebunden. Natürlich wäre alles einfacher, ja klüger gewesen, wenn sie nicht Arbeitgeber und Angestellte gewesen wären. Aber sie liebten sich nun einmal, und da waren solche Dinge nebensächlich. Trotzdem war es vielleicht besser, wenn sie noch bis zu ihrer Rückkehr nach Kanada warteten. Im Gegensatz zu Poinciana, der kleinen Karibikinsel, war Vancouver so groß, dass man sie dort nicht ständig beobachten würde. Das schrille Klingeln des Telefons riss Leila abrupt aus ihren Gedanken. „Wo bleibst du, Leila?" fragte Dante, als sie sich meldete. „Ich habe ... geträumt", erwiderte sie. „In den letzten Stunden habe ich auch ein bisschen geträumt." Selbst am Telefon weckte der sanfte Klang seiner Stimme in ihr den Wunsch, Dante wieder zu sehen und mit ihm zu schlafen. „Beeil dich, Schatz. Das Essen fängt gleich an." „Es dauert noch eine Weile", sagte sie, während sie in der Schublade nach frischer Unterwäsche suchte. „Warte nicht auf mich." „Ich reserviere dir einen Platz neben mir." „Damit die Leute sich über uns noch mehr das Maul zerreißen? Nein!" „Leila?" erkundigte er sich mit einem autoritären Unterton. „Stimmt etwas nicht?" „Nein", lenkte sie ein. „Aber wenn du mir besondere Aufmerksamkeit zuteil werden lässt, werden die Leute auf uns aufmerksam." „Damit kann ich umgehen." „Ich glaube, ich kann es nicht. Noch nicht." „Es schadet doch niemandem, wenn man uns zusammen sieht, Leila. Wir haben nichts Unrechtes getan." „Ich weiß. Aber ich bin neu in der Firma, und ..." Und es gibt einige Mitarbeiter, die ganz offensichtlich der Meinung sind, dass ich bereit bin, mich nach oben zu schlafen, fügte sie in Gedanken hinzu. Doch wenn sie ihm das sagte, würde sie ihm Namen nennen müssen, und er würde die Konsequenzen daraus ziehen. Und da sie ohnehin einen schlechten Start gehabt hatte, wollte sie es nicht noch schlimmer machen. Dante schwieg eine Weile. „Okay, wie du willst", meinte er schließlich. „Komm nach unten, wenn du fertig bist. Aber wenn ich schon nicht neben dir sitzen kann, möchte ich dich wenigstens ansehen." „Natürlich", erwiderte Leila erleichtert. Unwillkürlich fragte sie sich, auf wen sie letztendlich hören würde: auf den Mann, dem sie sich in Liebe und voller Vertrauen hingegeben hatte, oder auf Carl Newbury, den scheinheiligen Moralapostel.
2. KAPITEL
Beim Essen langte Newbury kräftig zu und hob ständig hervor, dass Leila nicht an seinem Tisch saß. „Freut mich, dass es Ihnen gelungen ist, sie abzuwimmeln, Dante", höhnte er und tauchte ein Stück Brot in den Rest seiner Fischsuppe. „Ich dachte schon, wir müssten militärische Verstärkung anfordern, um Sie vor ihr zu retten. Kein Wunder, dass die Männer empört über sie sind. Eine Frau wie sie kann die Stabilität der ganzen Firma gefährden." „Das ist noch milde ausgedrückt", erwiderte Dante und tat so, als hätte er die letzte Bemerkung anders verstanden. Zur Hölle mit der Firma! Leila hatte sein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Sie saß vier Tische weiter mit dem Rücken zu ihm. Immer wenn sie den Kopf wandte, um mit ihren Tischnachbarn zu sprechen, sah er ihr Profil im Kerzenlicht. Mit ihren exotischen Zügen und dem schwarzen Haar war sie die schönste Frau, die er je gesehen hatte. „... Anfängerglück, das ist alles. Dass sie eine Woche hier in der Karibik verbringt, während andere schon seit Jahren schuften und es nie geschafft haben ..." Sie wirkte wie eine Königin, fast ätherisch, wie eine Traumgestalt. Oder war es die Mischung aus vornehmer Zurückhaltung und Stolz, die ihr eine so geheimnisvolle Aura verlieh? Oder die Tatsache, dass sie sich ihrer Wirkung auf andere nicht bewusst war? Dante betrachtete Leila immer noch. „Die dreißig besten Mitarbeiter werden nach Poinciana eingeladen, die anderen halten an der Heimatfront die Stellung." Gierig machte Newbury sich über den zweiten Gang her. „Es ist die Art, wie sie es geschafft hat. Sie ist einfach aufgetaucht und hat einen Bombenjob an sich gerissen, der eigentlich mir zustand. Und statt dankbar zu sein, zeigt sie mir die kühle Schulter, als wäre ich nicht einmal gut genug, um ihr die Schuhe zu putzen." In Anbetracht der Tatsache, dass Carl manchmal den Charme einer Wanderratte an den Tag legte, trog sie ihr Instinkt nicht. Doch Carl war mit Gavins Patentochter verheiratet und gehörte somit quasi zur Familie. Daher behielt Dante seine Meinung für sich und hoffte, dass Carl des Themas irgendwann überdrüssig wurde. Das war allerdings nicht der Fall. „Dass sie eingestellt wurde, passt vielen Leuten nicht, Dante. Die Stimmung ist schlecht, seit sie in der Firma ist. Also hätten Sie ihrer Einstellung zugestimmt, wenn Sie da gewesen wären?" Nein, dachte Dante, ich hätte ihr einen Heiratsantrag gemacht, bevor mir ein anderer Mann zuvorgekommen wäre. „Wollen Sie damit etwa andeuten, der Vorstandsvorsitzende hätte keinen Geschäftssinn, Carl?" erkundigte Dante sich freundlich, aber sein warnender Unterton war Newbury offenbar nicht entgangen. „Überhaupt nicht! Gavin ist ein guter Mann. Aber ..." „Er neigt dazu, auf ein hübsches Gesicht reinzufallen?" Dante lächelte gespielt mitfühlend. „Tun wir das nicht alle, wenn eine Frau uns schöne Augen macht?" „Nein." Dantes Lächeln verschwand. „Schon gar nicht Gavin Black und vor allem nicht, wenn es ums Geschäft ge ht. Wir sprechen von einem Mann, der bereits mehr über die Leitung einer Importfirma vergessen hat, als wir beide je lernen werden, und der ein treusorgender Ehemann, Vater und Großvater ist. Aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, wollen Sie andeuten, dass er sich von etwas hat beeinflussen lassen, was man durchaus als Sexismus bezeichnen kann." „Nein!" Newbury hätte sich beinah verschluckt. „Auf keinen Fall." „Gut", erwiderte Dante. „Sonst hätte ich mir nämlich ernsthaft Gedanken darüber machen müssen, ob die Position als Vorstandsmitglied Ihnen wirklich zusteht." „Ich habe hart gearbeitet, um so weit zu kommen, und das wissen Sie, Dante." „Und ich weiß Ihr Engagement zu schätzen. Auf Loyalität lege ich allerdings noch mehr Wert." „Ich auch. Die Firma steht immer an erster Stelle." Newbury begann zu schwitzen.
Es war kein schöner Anblick, und daher sah Dante wieder zu Leila. Irgendetwas, was der Mann zu ihrer Linken gesagt hatte, amüsierte sie. Fasziniert beobachtete Dante, wie sie den Kopf zurückwarf und lachte. Sie war so zierlich und vornehm, dass er sich richtig unbeholfen und gewöhnlich vorkam. Und er begehrte sie so stark, dass es ihn gleichzeitig erschreckte und in Hochstimmung versetzte. Als hätte sie seine Gedanken gelesen, drehte sie sich plötzlich zu ihm um und blickte ihn erwartungsvoll an. Erst dann wurde ihm bewusst, dass alle sich zu ihm umgewandt hatten und verstummt waren, weil er seine Hede halten sollte. Jedes Jahr wurden die Mitarbeiter auf diese Weise von einem der Seniorpartner motiviert. Dante zwang sich, wieder ans Geschäft zu denken, und stand unter allgemeinem Applaus auf. „Danke", sagte er. „Ich heiße Sie nachträglich auf Poinciana willkommen. Wir haben bereits zwei Seminartage hinter uns, und bis zum Ende dieser Woche werden wir sicher alle Probleme gelöst haben. Aber wir fliegen unsere besten Mitarbeiter nicht in die Karibik, damit sie die ganze Zeit drinnen hocken." Ernst sah Leila ihn aus ihren mandelförmigen dunkelgrauen Augen an, und als er ihren Blick erwiderte, verlor er den Faden und dachte an ihre leidenschaftliche Begegnung am Nachmittag. Prompt reagierte sein Körper darauf. Um sich nicht in aller Öffentlichkeit zu blamieren, ließ Dante den Blick durch den Raum schweifen. „Classic Collections", fuhr er in geschäftsmäßigem Ton fort, „hat Poinciana vor fünf Jahren gekauft, aber im Grunde gehört die Insel Ihnen allen, denn mit Ihrem Engagement haben Sie es erst ermöglicht. Hier gibt es keine Hierarchie, nur Menschen mit gemeinsamen Interessen und einem gemeinsamen Ziel - sich den vor uns liegenden Herausforderungen zu stellen, damit Classic Collections seine Spitzenposition beibehält." Er deutete auf Gavin, seinen ehemaligen Mentor, der nunmehr seit fünf Jahren sein Partner war. „Wir hoffen ..." Unwillkürlich wandte er sich wieder an Leila und sprach sie direkt an. „... dass Sie diese Woche nutzen, um Ihre Batterien aufzuladen. Machen Sie das Beste daraus. Ich wünsche Ihnen viel Spaß." Wie aufs Stichwort begann anschließend wie jeden Abend die Steelband auf der Terrasse zu spielen, und der schnelle Rhythmus mischte sich in den Applaus im Speisesaal. „Sie finden immer die richtigen Worte, Dante", sagte Newbury ihm unterwürfig ins Ohr. „Ich gebe mir Mühe." Am liebsten hätte er ihm gesagt, er solle die Klappe halten. Stattdessen wandte Dante sich jedoch an Gavins Frau, die zu seiner Linken saß. „Wollen wir den Tanz eröffnen, Rita?" „Gern", erwiderte sie lächelnd. „Hier sind viele Ladies, die das ganze Jahr darauf gewartet haben, mit Ihnen zu tanzen, Dante, und ich möchte nicht von ihnen niedergetrampelt werden." Ihr Mann, der ihnen gegenübersaß, lachte laut und forderte Maureen Vickers auf, die fünfundsechzigjährige Personalleiterin. „Kommen Sie, Maureen, bieten wir den anderen etwas für ihr Geld." Da die kleine Tanzfläche sich schne ll füllte, wichen viele Paare auf die Terrasse aus. Über den Kokospalmen, die den Strand säumten, ging gerade der Mond auf, und die Wellen schlugen leise ans Ufer. Poinciana war paradiesisch schön und ließ einen vergessen, wie ungemütlich Vancouver im Februar sein konnte. Und Leila Connors-Lees wegen erschien die Insel Dante diesmal umso schöner. Er ließ den Blick über die Tanzenden schweifen und stellte fest, dass Leila gerade mit einem Mitarbeiter aus der Steuerabteilung tanzte, der ihm noch nie sonderlich sympathisch gewesen war. „Sie sind so still, Dante", bemerkte Rita Black. „Ist irgendetwas?" „Nein", log er, während er versuchte, den jungen Mann im Auge zu behalten, dessen Hände unablässig über Leilas Rücken glitten. „Es muss der Jetlag sein. Ich bin erst einige Tage vor dem Abflug aus Italien zurückgekommen." „Sie arbeiten zu viel, mein Lieber. Manchmal frage ich mich, wie Sie in der Firma auf. dem Laufenden bleiben, wo Sie so viel unterwegs sind."
„Das gehö rt genauso zu meinem Job wie die Tatsache, dass ich heute Abend mit jeder Frau hier im Raum mindestens einmal tanzen muss." Er führte sie wieder zu ihrem Tisch zurück. „Sie verzeihen mir doch, wenn ich Sie jetzt Gavin übergebe?" „Natürlich", sagte sie lächelnd. „Tun Sie Ihre Pflicht, und dann schleichen Sie sich davon. Sie müssen ab und zu auch mal allein sein." Genau das hatte er vor - allerdings nicht allein. Pflichtbewusst tanzte er anschließend mit Meg, seiner tüchtigen Assistentin, und forderte nach und nach die anderen Frauen auf, bis er mit allen außer Leila getanzt hatte. Suchend ließ er den Blick durch den Raum schweifen. Genau wie sie beim Einsetzen der Musik gewusst hatte, dass Dante sie irgendwann auffordern würde, wusste Leila, wann der Zeitpunkt gekommen war. Schon kurz bevor Dante von hinten an sie herantrat und ihr die Hand auf den Rücken legte, verspürte sie ein erregendes Prickeln. „Möchten Sie tanzen, Mrs. Connors-Lee?" fragte er mit einem amüsierten Unterton. Sie neigte den Kopf. „Es ist mir ein Vergnügen, Mr. Rossi." Er führte sie zwischen den Tischen hindurch zum Rand der Tanzfläche, und während sie ihm folgte, war sie sich bewusst, dass Carl Newbury sie immer noch unablässig beobachtete. Nun würde sie ihm endlich etwas bieten! Ohne auf die warnende innere Stimme zu hören, glitt sie in seine Arme, als Dante sie an sich zog. „Ich möchte dich endlich wieder da haben, wo du hingehörst", sagte er leise. Doch kaum hatten sie einige Tanzschritte gemacht, hörte die Band zu spielen auf, und die anderen Paare kehrten entweder an ihre Tische zurück oder plauderten leise miteinander. Leila wusste, dass Dante und sie ebenfalls tunlichst die Tanzfläche verlassen sollten, denn Newbury war nicht der Einzige, der sie beobachtete. „Ich glaube, wir haben zu lange gewartet", erklärte sie und nahm widerstrebend die Hand von Dantes Schulter. „Die Band hat auf gehört." Dante hielt sie weiterhin fest und schüttelte den Kopf. „Nein. Wenn wir sie darum bitten, werden sie bis zum Morgengrauen weiterspielen." Dann bitte sie darum, flehte sie stumm, denn sie fürchtete, sich sonst in seinen Augen zu verlieren und sich nicht mehr aus seiner Umarmung lösen zu können. Und das durfte ihr vor den anderen auf keinen Fall passieren. Offenbar hatten die Götter sie erhört, denn im nächsten Moment erklangen die ersten Takte von „Begin the Beguine", und die ersten Paare begannen sich wieder auf der Tanzfläche zu drehen. Dante hingegen rührte sich nicht von der Stelle, und der Ausdruck in seinen Augen zog Leila noch tiefer in seinen Bann. „Willst du nicht mehr tanzen?" erkundigte sie sich stockend. Merkte er denn nicht, wie neugierig oder auch feindselig die anderen sie beobachteten? „Doch." Sie zuckte die Schultern, um sich zu vergewissern, dass sie sich körperlich noch in der Gewalt hatte. „Worauf warten wir dann?" „Auf gar nichts." Geschickt tanzte er mit ihr auf die Terrasse, weg von den Schaulustigen in die tropische Nacht. Als sie das linde der Terrasse erreichten, wo es fast dunkel war und niemand sie sehen konnte, legte Dante den Arm so weit um sie, dass sie seine Fingerspitzen an der Brust spürte. „Ich glaube, ich habe eine erstaunliche Geduld bewiesen, dass ich so lange gewartet habe", fügte er leise hinzu, den Mund an ihrem Haar. Leila wusste ganz genau, was er meinte, und wunderte sich einmal mehr darüber, dass sie überhaupt keine Zweifel hegte. Genauso hatte ihre Mutter damals empfunden, als sie ihren Vater kennen gelernt hatte. „Ich wusste es in dem Moment, als ich ihn zum ersten Mal sah", hatte sie erzählt. „Ich habe nie daran gezweifelt, dass er meine große Liebe ist. Die Leute waren natürlich schockiert. Schließlich war ich Hauslehrerin bei einer der angesehensten Familien Singapurs, eine ehrbare Frau von zweiundvierzig, die jenseits von Gut und Böse war. Dass ich mich in
einen acht Jahre jüngeren Mann verliebt habe, der zudem halb Engländer, halb Srilanker war, war damals ein Skandal. Allerdings war das noch eine verzeihliche Sünde in Anbetracht der Tatsache, dass ich bereits zwei Monate nach unserer ersten Begegnung schwanger war." „Das muss schrecklich für dich gewesen sein", hatte sie, Leila, erwidert. Damals war sie siebzehn gewesen. „Warst du sehr unglücklich?" Ihre Mutter hatte gelacht. „Du warst noch nie richtig verliebt, sonst würdest du das nicht fragen. Wenn eine Frau einen Mann liebt, wie ich deinen Vater geliebt habe, Leila, kann niemand ihnen etwas anhaben. Ihm zu begegnen war das Beste, was mir je passiert ist. Und ein Kind von ihm zu bekommen war ein großes Geschenk. Wenn ich mir etwas für dich wünsche, mein Schatz, dann, dass du eines Tages auch mit eine m Mann so glücklich wirst, wie ich es mit deinem Vater war." „Aber selbst wenn ich diesen Mann kennen lerne, woher soll ich so genau wissen, dass er es ist?" hatte sie, Leila, sich zweifelnd erkundigt. Ihre Mutter hatte die Hand aufs Herz gelegt. „Du wirst es hier spüren." Ja, dachte Leila, jetzt weiß ich genau, was sie damals gemeint hat. Sie war sich ganz sicher. Aber war Dante es auch? Plötzlich unsicher, schauderte sie. Sicher, er hatte sie zärtlich und leidenschaftlich geliebt, und es schien ihm egal zu sein, was die Leute von ihnen dachten. Doch als sie ihm ihre Liebe gestanden hatte, hatte er nichts erwidert. War es naiv von ihr, zu glauben, dass es eine Rolle spielte? Waren Taten wichtiger als Worte? Leila blickte zu ihm auf, um sich zu vergewissern, dass sie nicht träumte. Im Schein der Fackeln, die zwischen den Palmen steckten, sah sie den Ausdruck in seinen Augen, der bewies, dass es Dante genauso ging wie ihr. „Vielleicht hätte ich dich vorher fragen sollen, Leila, aber es gibt doch niemanden, der in Vancouver auf dich wartet, oder?" „Nein." Sie war froh darüber, einen Schlussstrich unter die Geschichte mit Anthony Fletcher gezogen zu haben, bevor er vor über zwei Monaten nach Kroatien ge gangen war. Aus dem ersten und letzten Brief, den er ihr einige Wochen nach seiner Ankunft in Europa geschickt hatte, ging hervor, dass es keine Narben bei ihm hinterlassen hatte. „Es gibt keinen Mann in deinem Leben?" Leila schüttelte den Kopf. „Nein." „Aber jetzt." Dante presste die Lippen auf ihre, um sein Versprechen zu besiegeln. Sie gab sich ganz seinem KUSS hin und genoss das Gefühl, ihn so nah zu spüren. Für eine Weile vergaß sie alles um sich her. Doch schon bald drangen die Laute wieder an ihr Ohr - die Musik, das allgemeine Stimmengewirr und das leise Rauschen der Wellen - und erinnerten sie daran, dass Dante und sie leider nicht allein auf dieser Insel waren. Unwillkürlich musste sie auch wieder an das Gespräch denken, das sie vor wenigen Stunden belauscht hatte. „Ist das klug, Dante?" Leila löste sich von ihm und brach damit den Bann. „Nein", erwiderte er rau. „Aber was spielt das für eine Rolle?" Es spielte sogar eine sehr große Rolle, denn nach Ablauf dieser Woche musste sie in die Firma zurückkehren und sich allein behaupten, wenn er geschäftlich unterwegs war. Sie war nicht nur nach Poinciana gekommen, um mehr über die Firma zu erfahren, sondern auch, um zu beweisen, dass sie eine Karrierefrau war und ihrer verantwortungsvollen Position gerecht wurde. Dass sie sich in den Boss verliebt hatte, ließ sie in den Augen derer, die sie am meisten beeindrucken wollte, nicht gerade glaubwürdiger erscheinen. Doch selbst wenn sie ihren Ruf in der Firma nicht retten konnte, so konnte sie wenigstens verhindern, dass sein Ansehen gefährdet wurde. Unter Aufbietung all ihrer Willenskraft sagte sie: „Jeder kann uns hier sehen, und das führt unweigerlich wieder zu Klatsch." „Lass sie doch reden." Dante streichelte ihren Hals, ihre Schulter und schließlich ihren Arm. Dann nahm er ihre Hand und führte sie die Stufen hinunter zu dem Weg, der zum Strand
führte. Er war von Poincianabäumen, nach denen die Insel benannt war, gesäumt, und diese spendeten tagsüber Schatten und boten abends Schutz vor neugierigen Blicken. „Warte, Dante", flüsterte Leila und hielt Dante zurück, denn ihre hohen Absätze versanken im Sand. „Ich kann in den Schuhen nicht laufen." Er kniete sich hin, um ihr, ganz Gentleman, die Sandaletten auszuziehen. Ganz Liebhaber, hob er anschließend abwechselnd ihre Füße und küsste ihren Spann. Und schließlich hob er ihr Kleid hoch und küsste ihre Knie, wobei er einen Schenkel umfasste. Leila erschauerte heftig und stellte erschrocken fest, wie stark es sie erregte. Leise seufzte sie auf, lustvoll und ängstlich zugleich. Daraufhin presste er das Gesicht an ihren Schoß, und sie schob die Finger in sein Haar und hielt seinen Kopf fest. Einen Moment lang verharrte er regungslos, vermutlich um die Fassung wiederzugewinnen, denn als er wieder aufstand, atmete er nicht mehr ganz so heftig. „Was mache ich bloß? Ich schleiche mich mit dir davon, als würden wir etwas Verwerfliches tun und als müssten wir uns schämen." Er wich einen Schritt zurück. Genau das wollte sie hören. „Ich schäme mich nicht", erklärte sie. „Warum auch? Ich war mir meiner noch nie so sicher." Aufstöhnend zog er sie an sich. „Ich bin nicht der Typ, der sich voreilig auf eine Beziehung einlässt." „Ich auch nicht", erwiderte sie, aber als er wieder ihre Lippen streifte, flammte das Verlangen erneut auf und strafte ihre Worte Lügen. Was kümmert mich die Meinung der anderen, dachte sie benommen, wenn nur das Hier und Jetzt zählt? Doch dann fiel Licht aus einem der Räume im oberen Stockwerk durch die Blätter, und Leila zuckte zusammen. Instinktiv stellte Dante sich vor sie, damit man sie nicht sehen konnte. Sein weißer Smoking leuchtete jetzt förmlich. Als sie über seine Schulter blickte, stellte sie fest, dass einige Gäste sich auf die Terrasse gesetzt hatten, um den lauen Abend zu genießen. Sie verstummten allerdings, als sie sie bemerkten. „Was ist?" erkundigte sich Dante auf ihren gequälten Ausruf hin. „Sie haben uns gesehen, und ich fürchte, sie haben dich erkannt." Er lächelte. „Das hoffe ich." „Aber sie werden reden, und ..." „Ja, das werden sie", bestätigte er ernst. „Stört es dich?" Leila zuckte die Schultern. „Ja. Du ... du musst auf deinen Ruf achten." „Ich bin der Boss. Ich kann tun und lassen, was ich will, und ich möchte mit dir zusammen sein." Ich denke eher, dass wir ihn vor sich selbst schützen müssen ... Carl Newburys Drohung verfolgte sie immer noch. „Es wird einigen deiner engsten Mitarbeiter nicht gefallen, Dante", warnte Leila ihn. „Das kann ich ihnen nicht verdenken. Mir würde es auch nicht gefallen, wenn einer vo n ihnen sich an dich herangemacht hätte." „Das meine ich nicht." Sie tastete mit dem Fuß nach ihren Schuhen. „Sie werden glauben ..." „Was sie glauben, ist mir egal, Leila", unterbrach Dante sie. „Mich interessiert nur, was du empfindest. Verderbe ich dir den Aufenthalt hier, wenn ich keinen Hehl daraus mache, dass du mich ..." Leila wartete angespannt, während er nach den richtigen Worten suchte. „... verzaubert hast?" Wie dumm von ihr, so enttäuscht zu sein! Hatte sie wirklich erwartet, dass er ihr seine Liebe gestand? Ja! Weil sie ihn liebte. Sie hatte ihr Herz an ihn verloren. „Und?" hakte er nach. „Würde es dir etwas ausmachen?" „Ich habe noch nie gern im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses gestanden." Sie war froh, dass er den enttäuschten Ausdruck in ihren Augen nicht sehen konnte. „Mir wäre es
lieber, wenn wir unsere ... Beziehung vorerst geheim halten würden." Dante schob die Hände in die Hosentaschen und betrachtete Leila zweifelnd, während sie in ihre Sandaletten schlüpfte. „Ich weiß nicht, ob meine schauspielerischen Fähigkeiten dazu reichen, aber ich werde es versuchen." Dann bot er ihr den Arm und führte sie die Stufen hoch über die Terrasse zur Tanzfläche. Sobald sie in Hörweite der übrigen Gäste waren, fragte er laut: „Wollen wir unseren Ta nz beenden, Miss Connors-Lee?" Mehrere Paare begannen sich bereits im Takt zu wiegen, als ein Farbiger in einem engen weißen Satinanzug „Scarlet Ribbons" von Harry Belafonte sang. Leila wollte sich unauffällig unter sie mischen, doch sobald Dante sie an sich zog - viel enger, als es die gesellschaftlichen Konventionen erlaubten -, schien es ihr, als würden alle es sehen. „Entspann dich, Schatz", sagte er. „Wir tanzen nur. Daran ist nichts Verwerfliches." „So wie alle uns anstarren, könntest du genauso gut mit mir schlafen", erwiderte sie unglücklich. Er ließ den Zeigefinger über ihr Kinn gleiten. Das Lächeln, das seine Lippen umspielte, strafte den verlangenden Ausdruck in seinen Augen Lügen. „In gewisser Weise tue ich das auch. Oder glaubst du, ich würde mit allen Frauen aus der Firma so tanzen?" „Ich hoffe nicht." Sie seufzte und beschloss, den Tanz zu genießen. Als es spät wurde und Dante sie zu ihrer Suite brachte, kehrte sie jedoch in die Wirklichkeit zurück. Das Gebäude, ein restauriertes Plantagenhaus aus dem späten achtzehnten Jahrhundert, war ein großartiges Beispiel neoklassizistischer Architektur. Die Säulen an der Vorderfront reichten bis zum Ziegeldach und trennten die Veranden der Suiten voneinander, die die leitenden Angestellten im ersten Stock bewohnten. In der großen Eingangshalle führte eine breite Treppe zu einer langen Galerie, an deren Enden jeweils ein Flügel abging. Leilas Suite lag auf der Rückseite eines dieser Flügel, und man hatte einen herrlichen Blick auf den rückwärtigen Garten mit den Innenhöfen und Springbrunnen. „Gut, dass wir nicht nebeneinander wohnen", bemerkte Dante trocken und ging einen Schritt zur Seite, als Leila die Tür öffnete. „Ich könnte sonst wohl nicht der Versuchung widerstehen, dich übers Verandageländer zu heben und in mein Bett zu tragen." Nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand im Flur war, küsste er sie flüchtig auf den Mund. „Frühstückst du morgen mit mir?" Ihr Gewissen zwang sie, ihn an etwas zu erinnern, das er verdrängte. „Das geht nicht gut, Dante. Du warst in letzter Zeit nicht in der Firma und weißt nicht, wie ..." Leila verstummte, da er sie wieder küsste. „Das ist ein Befehl, Mrs. Connors-Lee", sagte er schließlich leise. „Frühstücke morgen mit mir." „Vielleicht." Sie schloss die Augen, denn sie sehnte sich so nach ihm, wusste jedoch, dass es beruflicher Selbstmord gewesen wäre, dieser Sehnsucht nachzugeben. Wahrscheinlich war es ihm genauso klar, da er sich abwandte und zu seiner Suite ging und sie ungesehen in ihre Suite schlüpfen konnte. Zuerst dachte Dante, er hätte die ganze Nacht wach gelegen, weil er ständig an Leila hatte denken müssen. Irgendwann gegen eins musste er dann doch eingeschlafen sein, weil er so müde gewesen war. Als er um kurz nach sieben aufwachte, war er wie gerädert. Es passte nicht ganz in das Bild, das er von sich hatte, da er sonst immer alles im Griff hatte - sich selbst und auch seine Firma. Die Wahrheit war allerdings, dass er neben sich stand, seit sie an jenem Abend die Terrasse betreten hatte und ... Und was? Ihm sein Herz gestohlen oder den Verstand geraubt hatte? Seitdem verhielt er sich nämlich völlig untypisch. Das einzige Mal, das er etwas Ähnliches empfunden hatte, war im letzten Jahr auf der High School gewesen, als er mit Jane Perry zusammen war. „Ich liebe dich", hatte er ihr idiotischerweise gesagt, während sie in dem alten Chevy seines Vaters saßen und seine Hormone verrückt spielten.
Und einige Tage, vielleicht sogar eine Woche lang, hatte er es tatsächlich geglaubt. Jane war erstaunlich entgegenkommend gewesen, und er hatte genauso gern wie alle Jungen in seinem Alter mit Sex experimentiert. Doch die Ernüchterung kam ziemlich schnell, als er Jane in der Pause an ihrem Schließfach abfing und sagte: „He, ich kann am Freitag nicht mit dir ins Kino gehen." „Warum nicht?" Sie machte einen Schmollmund und stand so dicht vor ihm, dass ihre Knospen seine Brust berührten. „Ich habe Basketballtraining", brachte er hervor und ignorierte dabei beharrlich, dass er bereits auf ihre provokative Geste reagierte. „Basketball?" erwiderte sie empört. „Basketball?" „Ja. Wir haben bald ein wichtiges Spiel, und der Coach möchte, dass die Mannschaft in Topform ist." „Na klasse!" sagte sie scharf. „Falls du glaubst, ich würde die zweite Geige spielen, dann hast du dich geschnitten, Dante Rossi!" „Es ist doch nur ein Abend, verdammt! Das ist wichtig für mich, Jane." „Bin ich dir denn nicht wichtig?" „Das habe ich nicht behauptet." Ihre großen blauen Augen füllten sich mit Tränen. „Dann beweise es mir." „Was soll ich beweisen?" fragte er verwirrt. „Dass du mich wirklich liebst." Jane stemmte die Hände in die Hüften und funkelte ihn an. „Entscheide dich: entweder ich oder Basketball." „Also gut", meinte er. „Basketball. Machs gut, Jane. War nett mit dir." Für ihn war es das gewesen. Mädchen kamen und gingen, aber Basketball, so hatte er damals geglaubt, würde er immer spielen. Ende der Romanze - oder zumindest hatte er es angenommen, bis Mrs. Perry mit einer in Tränen aufgelösten Jane bei seinen Eltern erschienen war und ihm die Le viten gelesen hatte. „Du hast meiner Kleinen das Herz gebrochen, Dante Rossi", informierte sie ihn und die halbe Nachbarschaft an der Haustür. „Ganz zu schweigen davon, dass du ihren Ruf ruiniert hast." Da er sich seiner Schuld bewusst war, verschwieg er wohlweislich, dass er nicht der Erste war, der in den Genuss von Janes Zuneigungsbekundungen gekommen war, und bestimmt auch nicht der Letzte sein würde. Doch er hatte daraus gelernt und nie wieder den Fehler gemacht, Lust mit Liebe zu verwechseln oder spontan seine Liebe zu gestehen, wenn es nicht aufrichtig gemeint war. Stattdessen hielt er seine Gefühle unter Kontrolle, und wenn er seine Hormone ausnahmsweise mal nicht im Griff hatte, machte er einer Frau zumindest die Grundregeln klar, bevor er sich auf eine Beziehung mit ihr einließ. Nach der Geschichte mit Jane war in seinem Leben jedoch kein Platz für eine dauerhafte Beziehung gewesen. Sein Vater und sein Großvater hatten ihren Lebensunterhalt mit der Herstellung von Pasta verdient. Es war die beste Pasta in der ganzen Stadt gewesen, aber die beiden hatten für eine Firma gearbeitet, die anderen gehörte. Obwohl er wie die meisten Italiener immer bestrebt gewesen war, seinen Eltern ein guter Sohn zu sein, hatte er nie vorgehabt, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Stets war er von dem Ehrgeiz besessen gewesen, besser zu sein als andere erfolgreiche Geschäftsmänner, stärker, cleverer und reicher. Denn er hatte ziemlich früh die Erfahrung gemacht, dass ehrliche Arbeit, die einem auch Spaß machte, allein nicht den Erfolg garantierte, den er anstrebte. Man brauchte mehr, um sich Respekt bei seinesgleichen zu verschaffen. Man brauchte Macht. Und Einfluss. Und Geld. Ohne Geld brachte ein Mann es zu nichts. Bevor er, Dante, Leila begegnet war, hatte er nach diesem Motto gelebt. Bevor er Leila begegnet war, hatte er die Leute verspottet, die die große Liebe erlebten, in ein Haus in der Vorstadt zogen und eine Familie gründeten. Nicht, dass die Familie ihm nichts bedeutete. Im
Gegenteil, sie war für ihn das Wichtigste im Leben, das, was ihn anspornte. Er hatte nur nicht erwartet, dass er dafür genauso anfällig war wie andere. Schließlich war er Dante Rossi, König eines Imperiums, zu ehrgeizig und zu weltgewandt, um sich von der Liebe überrumpeln zu lassen. Er hatte den größten Teil der letzten drei Tage damit verbracht, sich das einzureden - drei Tage, an denen er Leila ständig verstohlene Blicke zugeworfen, sie scheinbar zufällig berührt und unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand in ein Gespräch verwickelt hatte. Und was war das Ergebnis? Die gegenseitige Anziehungskraft, die Faszination - ja die Gefühle - hatten nicht nachgelassen, sondern ihren Höhepunkt in der leidenschaftlichen Begegnung am gestrigen Nachmittag gefunden. In dem Moment hatte sich vieles für ihn verändert. Auf dem Rückweg zum Haus hatte er zu Leila gesagt: „Ich möchte, dass du meine Familie kennen lernst" und darauf gewartet, dass sich das gewohnte Misstrauen wieder einstellte. Er nahm nie eine Frau mit zu seinen Eltern, weil die Frauen dazu neigten, es als Auftakt zu einem Heiratsantrag zu deuten. Es kam auch selten vor, dass er eine Frau mit zu sich nach Hause nahm. „Gern", hatte Leila erwidert, und wieder hatte er gewartet. Er war jedoch nur wahnsinnig erleichtert gewesen, dass sie seinen Vorschlag nicht abgelehnt hatte. Dann hatte er sich dabei ertappt, wie er Zukunftspläne schmiedete, die über die nächsten Wochen hinausgingen. Es waren die klassischen Symptome für einen schweren Fall von Liebe auf den ersten Blick, an die er eigentlich nicht glaubte. In seiner derzeitigen Verfassung hätte er den Tag lieber am Strand verbracht, im Schatten einer Palme und mit Leila neben sich. Schwimmen wäre das Einzige gewesen, was ihn abgelenkt hätte/Falls einer seiner Mitarbeiter mit einer solchen Ausrede gekommen wäre, um nicht arbeiten zu müssen, hätte er ihm, ohne nachzudenken, in den Hintern getreten. Dante zog das Moskitonetz zurück, das über dem Bett hing, stand auf und öffnete die Lamellentüren, die zur Veranda führten. Vielleicht würde er in der frischen Morgenluft wieder einen klaren Kopf bekommen. Von hier aus konnte man das Riff, das Poinciana vor der Brandung schützte, gut sehen. Grünlich braun und von der Form eines Bumerangs, bildete es eine Grenze zwischen dem tiefen Blau des offenen Meers und dem hellen Aquamarin der Lagune. Aber das helle Sonnenlicht, das die Wellen reflektierten ... Der stechende Schmerz hinter den Augen ließ ihn zusammenzucken. Das letzte Mal hatte er vor zwei Jahren solche starken Kopfschmerzen gehabt, und zwar am Morgen nachdem sein Bruder Abschied von seinem Junggesellendasein gefeiert hatte. Damals hatte er schlichtweg einen Kater gehabt, doch diesmal lagen die Dinge nicht so einfach. Sie waren sogar verdammt kompliziert. Am liebsten hätte Dante es auf den Rumpunsch geschoben, den er am Vorabend getrunken hatte. Doch er hatte sich zurückgehalten und kaum etwas getrunken. Er wünschte nur, er hätte sich Leila gegenüber auch so zurückgehalten! Ihm war es egal, was andere vo n ihm dachten, aber ihm war nicht entgangen, dass seine Mitarbeiter sich ohnehin schon das Maul über sie zerrissen. Und er hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Allerdings konnte er diese Komplikationen auch nicht gebrauchen. Als er Leila zum ersten Mal begegnet war, hatte es ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Er hatte gehofft, dass sie sich beim näheren Kennenlernen entweder als viel zu stark geschminkt, als oberflächlich oder dumm entpuppen würde. Am besten wäre es gewesen, wenn sie verheiratet gewesen wäre. Stattdessen hatte sie sich als geradezu perfekt erwiesen. Und sie hatte sich genauso stark zu ihm hingezogen gefühlt wie er sich zu ihr und war außerdem ungebunden. Am liebsten hätte er seinem Schicksal auf Knien dafür gedankt, dass er ihr begegnet war. Und bevor er sie überhaupt berührt hatte, war ihm klar geworden, dass er sich auch seelisch tief mit ihr verbunden fühlte.
Dante fuhr sich über das unrasierte Kinn. Wahrscheinlich musste er dankbar dafür sein, dass Leila ihn am Vorabend zurückgewiesen hatte, sonst würde sie jetzt womöglich in seinem Bett liegen und er auf ihr. Kein kluger Schachzug für einen Mann, der sich rühmte, Beruf und Privatleben immer strikt voneinander zu trennen. Er musste sich auf das Wesentliche konzentrieren und seine Mitarbeiter mobilisieren, um gemeinsam herauszufinden, ob sie eine Operationsbasis in Argentinien errichten konnten. Eine heiße Dusche, eine Rasur und eine Tasse starker Kaffee würden seine Lebensgeister wieder wecken. Dante wollte gerade ins Zimmer zurückkehren, als er jemanden aus dem Haus kommen sah. Es war Leila. Er blieb stehen. Sie ging über die Terrasse und dann die Treppe hinunter zum Strand. Ihre zierlichen Füße hinterließen dabei Abdrücke in dem frisch geharkten Sand. Der schlichte schwarze Badeanzug, den sie trug, gewährte zwar keine tiefen Einblicke, betonte jedoch ihre schlanke, aber weibliche Figur. Das lange Haar, das ihr bis zur Taille reichte, hatte sie aus dem Gesicht frisiert. Ihre zart gebräunte Haut schimmerte golden in der Morge nsonne. Leila ließ das Handtuch in den Sand fallen und watete ins Wasser. Als es ihr bis zur Taille reichte, blieb sie stehen und tauchte schließlich unter einer Welle hindurch. Einige Meter weiter kam sie wieder an die Oberfläche und schwamm mit kräftigen Zügen zu einem Felsen, der an der östlichen Spitze aus dem Wasser ragte. Sein Mund wurde ganz trocken, während Dante sie beobachtete, und die Sehnsucht nach ihr übermannte ihn wieder. „Zur Hölle mit der Arbeit", sagte er, bevor er mit ungeahntem Elan ins Zimmer stürmte. „Argentinien kann warten."
3. KAPITEL
Ihr Vater hatte ihr das Schwimmen beigebracht, als sie drei gewesen war, und seitdem war Leila eine leidenschaftliche Schwimmerin. In den Buchten der Inseln vor der Südwestspitze Singapurs hatte sie so manche glückliche Stunde mit Schnorcheln verbracht. Obwohl Poinciana weiter oberhalb des Äquators lag, erinnerte das laue Wasser der Lagune sie an jene Zeiten. Selbst ohne Tauchermaske sah sie Schwärme von Fischen zwischen den Korallen unter sich: bunt gestreifte Große Segelflosser, farbenprächtige Angelfische und schillernd blaue Papageifische. Leila verlor sich völlig in dieser stillen und doch so lebendigen Welt. Als sich plötzlich etwas um ihren Knöchel legte und sie festhielt, zuckte sie zusammen und schrie vor Angst auf. Blitzschnell befreite sie sich, und als sie an die Oberfläche kam, stellte sie fest, dass es Dante gewesen war. Ihm konnte sie nicht böse sein, dass er sie so erschreckt hatte, zumal sie sich sofort wieder in seinen blaugrünen Augen verlor. „Ich wollte dich nicht erschrecken." Während sie beide Wasser traten, umfasste er ihren Kopf und zog Leila an sich. „Ich habe dich zum Strand gehen sehen und wollte bei dir sein." Es hatte beinah wütend geklungen. „Aber du hättest dich lieber von mir fern gehalten", sagte sie daher. Er nickte. Seine Hüften berührten ihre unter der Wasseroberfläche. Es war ausgesprochen erotisch. „Ja und nein. Ehrlich gesagt, verstehe ich das alles nicht. Ich weiß nur, dass ich ständig an dich denken muss, seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe." Leila ließ die Hände über seine Brust gleiten und legte sie ihm dann um den Nacken. „Mir geht es genauso. Ich konnte nicht einschlafen, und als ich endlich eingenickt bin ..." Weiter kam sie nicht, denn er presste die Lippen auf ihre, um ein erotisches Spiel mit der Zunge zu beginnen. Das Verlangen, das er in ihr weckte, verzehrte sie und ließ sie alles vergessen, selbst ihren beruflichen Ehrgeiz. Dante schmiegte sich noch enger an sie, legte ihr die Arme um die Taille und presste sie an sich. Eng umschlungen ließen sie sich auf den flachen Wellen treiben, und als Leila sein Bein zwischen ihren spürte, konnte sie ihre Leidenschaft kaum noch zügeln. Was war aus der zurückhaltenden, bescheidenen Frau geworden, die sie immer gewesen war? Bisher hatte sie noch keinem Mann erlaubt, sich derartige Freiheiten bei ihr herauszunehmen. Dante hingegen machte keinen Hehl daraus, dass er sehr erregt war, und drängte sich ihr so aufreizend entgegen, dass sie bereitwillig hier und jetzt mit ihm geschlafen hätte, wo jeder sie hätte sehen können. Bevor Leila diesem Impuls nachgeben konnte, löste er sich jedoch von ihr. Seine Augen funkelten wütend. „Verdammt, jemand beobachtet uns mit einem Fernglas von einer der vorderen Veranden." Sofort stieg ihr das Blut in die Wangen. „O wie peinlich!" „Ich würde es eher als erbärmlich bezeichnen." Aufgebracht strich er sich das Haar aus der Stirn. „Derjenige hat vielleicht Nerven!" Leila drehte sich um und blickte zum Strand. „Weißt du, welches Zimmer es ist?" „Nein. Jetzt ist niemand mehr zu sehen. Aber ich werde herausfinden , wer ..." Sie nahm an, dass es Carl Newbury gewesen war. Vermutlich würde er es damit rechtfertigen, dass er Dante „vor sich selbst schützen" musste. Sie begann, zum Strand zurückzuschwimmen. „Kein Spanner wird sein Verhalten zugeben." Dante kraulte kraftvoll neben ihr her, und seine grimmige Miene ließ ihn ziemlich furchteinflößend wirken. „Ich werde nicht zulassen, dass meine Mitarbeiter hinter mir herspionieren. Allerdings ist mir schleierhaft, warum sich einer von ihnen dafür interessieren könnte, wie oder mit wem ich meine Freizeit verbringe." Ihr war es alles andere als schleierhaft, und Leila überlegte, ob sie ihm erzählen sollte, wie
Newbury sich ihr gegenüber aufgeführt hatte, bevor sie zu ihrer Einkaufsreise in den Fernen Osten aufgebrochen war. Wären Dante und sie nicht bereits ein Liebespaar gewesen, hätte sie nicht gezögert. Doch was sie bei ihm gefunden hatte, war zu neu, als dass sie es aufs Spiel setzen wollte, denn falls es zu einer Konfrontation mit Newbury kommen sollte, würde dieser sicher im Dreck wühlen. Am vergangenen Abend hatte sie selbst gehört, was Newbury von ihr hielt. Aber was nützte ihr die Erkenntnis, dass er ihr deswegen so feindselig gesonnen war, weil sie ihn wenige Tage nach ihrer Einstellung scharf zurechtgewiesen hatte? Alle anderen waren bereits nach Hause gegangen, und er hatte sich in der Bibliothek an sie herangemacht. „Du machst einen großen Fehler, Puppe", sagte er. Zuerst hatte er ihr in einer scheinbar freundschaftlichen Geste den Arm um die Schultern gelegt, die Hand dann jedoch tiefer gleiten lassen und ihre Taille umfasst. „Ich habe hier großen Einfluss und könnte einer Frau einige Privilegien verschaffen, wenn sie ein bisschen freundlich zu mir wäre. Aber wenn du dich so zierst... Also mach es dir lieber nicht zu gemütlich an Hasboroughs Schreibtisch. Ich glaube nämlich nicht, dass du noch lange da sitzen wirst." „Ich halte nichts von derartigen Einschüchterungsversuchen, Mr. Newbury", erwiderte sie kühl, entschlossen, den Vorfall nicht zu vergessen. „Und wenn jemand sich Sorgen machen muss, dann sind Sie es. Soweit ich weiß, gibt es in Kanada nämlich Gesetze gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz." „Wer redet denn von sexueller Belästigung?" Gespielt verwirrt hob er die Hände. Erst in dem Moment fiel ihr auf, dass er richtige Wurstfinger hatte, und sie schauderte. „Ich versuche doch nur, einem Grünschnabel in unserem Einkaufsteam zu helfen." „Ich brauche Ihre Hilfe nicht", erklärte sie. „Und sollten Sie mich noch einmal, anfassen, werde ich dafür sorgen, dass Sie nicht mehr lange auf Ihrem Platz sitzen." Newbury hatte die Schultern gezuckt und gegrinst. „Dann würde dein Wort gegen meins stehen, Puppe", hatte er gehöhnt. „Es gibt auch Frauen, die ihre Kollegen belästigen. Viele Leute hier fragen sich bereits, wie Sie es geschafft haben, diesen Job zu bekommen. Sie wären nicht die Erste, die sich nach oben schläft, und wie ich bereits sagte, habe ich hier großen Einfluss. Also wem würde man wohl glauben, wenn es hart auf hart kommt?" Nein, wenn man Carl Newbury zur Rede stellte, würde er wohl das tun, was er am besten konnte, und versuchen, sie in den Augen des Mannes schlecht zu machen, der sowohl ihr Geliebter als auch ihr Arbeitgeber war. Und in Anbetracht der Tatsache, dass Dante und sie gegen sämtliche gesellschaftlichen Konventionen verstoßen hatten, würde man Newbury womöglich sogar glauben. „Ich gehe durch den Garten und benutze den Hintereingang", sagte Leila, als Dante und sie ans Ufer wateten. „Dann erregen wir nicht so viel Aufmerksamkeit." „Nein, das wirst du nicht." Er hob ihr Handtuch auf und frottierte ihre Haarspitzen. „Abgesehen davon, dass es für Schadensbegrenzung ein wenig zu spät ist, will ich mir von einem Spanner nicht vorschreiben lassen, wie wir uns verhalten sollen." „Ich bereue auch nichts", erwiderte sie leise. „Selbst wenn wir die Uhr zurückdrehen könnten, würde ich alles wieder genauso machen." Dante, der ihre Hand genommen hatte, während sie zum Haus gingen, verstärkte seinen Griff. „Bist du sicher?" „Ganz sicher." Daraufhin blieb er stehen und sah ihr tief in die Augen. In den Duft des Frangipani mischte sich der von Kaffee, denn auf der Terrasse hatte man bereits das Frühstücksbüfett aufgebaut. Die einzigen Laute kamen von den Wellen, die leise an den Strand schlugen, und den Palmwedeln, die sich in der sanften Brise bewegten. Doch all diese Sinneseindrücke verblassten angesichts der Empfindungen, die Dantes verlangender Blick in ihr weckte. „Ich glaube, ich werde dich heiraten müssen", sagte Dante schließlich. Ihr Herz begann schneller zu klopfen. „Heiraten?" wiederholte sie. Die Ehe war eine Verbindung, die ein Leben lang halten sollte. Wie konnten sie nach nur
vier Tagen eine solche Bindung eingehen? Andererseits wusste sie, Leila, genau, dass Dante und sie füreinander bestimmt waren. „Ich weiß keine andere Lösung", erwiderte er. „Ich leite eine Firma, habe eine Familie, um die ich mich kümmern muss, und gesellschaftliche Verpflichtungen, und ohne dich bedeutet mir das alles plötzlich nichts mehr. Wie erklärst du dir das, Leila Connors-Lee?" Leila schüttelte den Kopf. Wie sollte sie das Unerklärliche erklären? Sie war nicht auf der Suche gewesen und er vermutlich auch nicht. Aber ihre Mutter hatte Recht gehabt. Die Liebe traf einen aus heiterem Himmel und krempelte das ganze Leben um, ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Konventionen oder darauf, ob der Zeitpunkt günstig war. „Willst du mich heiraten, Leila?" fragte Dante leise. „Oder ist es idiotisch von mir, dir einen Antrag zu machen?" Leila senkte den Blick. Sie wusste, dass er ein Mann war, der sich das Leben nicht leicht machte, der sich nichts gefallen ließ und keine Ungerechtigkeiten hinnahm, ein Mann, den eine Frau vorbehaltlos lieben konnte. „Wir haben uns am Mittwoch kennen gelernt", wandte sie dennoch ein. „Und heute ist erst Sonntag." „Ich habe mein ganzes Leben auf dich gewartet" war alles, was Dante sagte, aber es war genug. „Ja." Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „So empfinde ich auch." „Dann heiratest du mich also?" „Ja." Daraufhin neigte er den Kopf und küsste sie, so dass alle, die sich bereits am Frühstücksbüfett angestellt hatten, sie sehen konnten. Einige würden sich über ihr Glück freuen, andere würden schockiert sein, und Carl Newbury würde außer sich vor Zorn sein. Doch das spielte keine Rolle, denn sie hatte ihre große Liebe gefunden, wie ihre Mutter es prophezeit hatte. Und was konnte eine Frau mehr verlangen? Außer Carl Newbury, der geschäftlich nach New York musste, flogen alle am darauf folgenden Mittwoch nach Vancouver zurück. Während ihrer einwöchigen Abwesenheit hatte sich in der Firma so viel Arbeit angehäuft, dass niemand Zeit zum Tratschen hatte. Natürlich hatte Dante seine Beziehung zu ihr, Leila, nicht geheim halten können. An einem Freitagabend, dem letzten Freitag im Februar, führte er sie in ein exklusives italienisches Restaurant, das für seine geschmackvo lle Einrichtung und seine hervorragende Küche gleichermaßen berühmt war. „Ich weiß, wir wollten noch warten, bevor wir unsere Hochzeitspläne bekannt geben", sagte Dante, während sie auf den Hauptgang warteten. „Aber da wir in der Firma immer noch das Gesprächsthema Nummer eins sind, sollten wir unseren Familien lieber Bescheid sagen, bevor sie es von anderer Seite erfahren." „Wahrscheinlich hast du Recht", erwiderte Leila zweifelnd, denn die Zweisamkeit, die sie seit ihrer Rückkehr genossen hatten, hatte ihre Beziehung gefestigt. Dante nahm ihre Hand. „Das klingt nicht sehr überzeugt. Hast du Angst vor der Reaktion deiner Mutter und ihrer Cousine?" Leila lächelte. „Nein. Cleo hat mir vor meiner Abreise prophezeit, dass ich einen großen, dunkelhaarigen, attraktiven Fremden kennen lernen würde, in den ich mich Hals über Kopf verlieren würde." „Ah ja. Du hast mir erzählt, dass Cleo ihr Leben nach ihren Tarotkarten ausrichtet. Aber was ist mit deiner Mutter? Ich weiß kaum mehr von ihr, als dass sie über ein Jahr Witwe ist. Meinst du, sie hält uns für verrückt, weil wir so schnell heiraten?" „Nein. Meine Mutter ist schon immer gegen den Strom geschwommen. Als ihre Freundinnen vor fünfzig Jahren geheiratet haben, dachten alle, sie würde keinen Mann abbekommen, weil sie nicht sanftmütig genug war. Und als sie dann gar nicht mehr damit gerechnet hat, ist sie einem Mann begegnet, der sie um ihrer selbst willen geliebt hat." „Und das war dein Vater?"
„Ja. Von da an hat sie ein reges gesellschaftliches Leben geführt, aber sie hat immer nach ihren eigenen Regeln gelebt." Dante lachte. „Ich freue mich schon darauf, sie kennen zu lernen. Aber du bist viel konservativer. Kommst du mehr nach deinem Vater?" Das hoffte sie nicht. „Manche Leute glauben, ich hätte meine Sprachbegabung und meinen Geschäftssinn von ihm geerbt, aber ich möchte lieber als Individuum gesehen werden." „Du redest nicht gern über ihn, stimmts?" „Nein. Erzähl lieber von deiner Familie." Sie wusste bereits, dass seine Eltern Kanadier waren, die Familie seines Vaters aus Italien stammte und die seiner Mutter aus Russland, dass Dante fünf jüngere Schwestern hatte und sein Vater ebenfalls verstorben war. „Wie lange ist deine Mutter schon Witwe?" „Seit sechzehn Jahren. Ich war damals einundzwanzig." „Und sie hat nie wieder, geheiratet?" „Nein. Nach dem Tod meines Vaters war ich sozusagen das Familienoberhaupt." Unwillkürlich fragte sich Leila, wie seine Mutter und seine Schwestern reagieren würden, wenn sie nun den wichtigsten Platz in seinem Leben einnehmen würde, eine Fremde, der sowohl die russische als auch die kanadische Kultur fremd waren. „Meinst du, sie werden sich freuen?" erkundigte sie sich nervös. „Meine Schwestern werden überglücklich sein, und meine Mutter wird wahrscheinlich sofort in die Kirche gehen und eine Kerze für den Schutzheiligen der Ehe anzünden." Er drehte ihre Hand um und küsste die Innenfläche. „Sie wünscht sich schon seit Jahren mehr Enkel - als wären die elf noch nicht genug." Über das Thema Kinder hatten sie auch schon ausführlich gesprochen. „Sicher", hatte Dante erwidert, als sie ihn gefragt hatte, ob er sich welche wünschte. „Aber ich möchte mindestens zwei haben", hatte sie gesagt. „Als Einzelkind ist man oft sehr einsam." „Meine Schwestern werden Heiratspläne mit dir schmieden, bevor du überhaupt Gelegenheit hast, ihre Namen zu lernen", versprach Dante, der offenbar merkte, dass sie immer noch Zweifel hegte. „Julia wird den Schleier hervorholen, den bisher jede Braut in der Familie getragen hat, seit meine Großmutter meinen Großvater geheiratet hat. Annie wird die Torte übernehmen, und Christine wird darauf bestehen, dass alle meine Nichten Blumen streuen. Und dass wir erst im Sommer heiraten wollen, wird sie nicht davon abhalten, sich sofort in die Vorbereitungen zu stürzen." Leila war überwältigt. Als Kind hatte sie viele Privilegien genossen. Zuerst hatte sie ein Kindermädchen gehabt und anschließend bis zu ihrem zehnten Lebensjahr eine Hauslehrerin. Danach war sie auf eine exklusive Privatschule gegange n. Ein so turbulentes Familienleben, wie er es beschrieben hatte, hatte sie nie kennen gelernt. Daher fragte sie sich, ob sie in seine Familie passen würde. „Warum besuchen wir sie nicht nächstes Wochenende?" schlug Dante vor. „Danach wird es dir bestimmt besser gehen." Trotz seiner Versicherungen, dass es ihr besser gehen würde, war Leila ziemlich nervös, als Dante am Sonntagnachmittag der darauf folgenden Woche um vier vor dem dreistöckigen alten Haus parkte, in dem er und seine Schwestern aufgewachsen waren. Es war keine besonders vornehme Wohngegend, doch der Garten war groß und sehr .gepflegt, und nebenan war ein kleiner Park. Dante wandte sich zu Leila um, die starr nach vorn blickte. „Bist du bereit, Schatz?" „Ich glaube schon." Er hatte seiner Familie bereits von ihren Hochzeitsplänen erzählt, und alle hatten genauso reagiert, wie er es vorhergesagt hatte. Trotzdem waren ihre Nerven zum Zerreißen gespannt. „Ich weiß, es klingt lächerlich, aber mir ist schlecht." In dem Moment wurde die Haustür geöffnet, und einige Kinder kamen heraus und liefen auf den Wagen zu. Sie drückten sich die Nase am Fenster platt und betrachteten sie ungeniert. „Sie ist hübsch", erklärte ein Mädchen mit Zöpfen. „Sie ist alt", meinte ein Junge, der etwas größer als sie und vermutlich ihr Bruder war.
„Bestimmt spielt sie nicht mit uns Fußball." „Sie ist da!" rief ein anderes Kind und lief zum Haus zurück. „Komm raus, Mommy!" Kurz darauf stand Leila mit Dante in der Auffahrt, und alle umringten sie unter großem Gejohle. Er hatte einen etwa vierjährigen Jungen auf die Schultern genommen, zwei Mädchen umfassten seine Beine, und ein Kind von etwa einem Jahr klammerte sich an ihn. Im Foyer wurden sie von den Erwachsenen in Empfang genommen. Leila überstand die wohlwollende Musterung und schaffte es sogar, zu lächeln und „Hallo" zu sagen. Aber die vielen Namen ... „Irgendwann werden Sie sich die Namen merken", verkündete einer von Dantes Schwägern, der wie ein Filmstar aussah und ein Baby auf dem Arm hatte, das offenbar gerade ein Bäuerchen machen sollte. „Ich habe einen Monat gebraucht, um alle auseinander zu halten, und manchmal verwechsle ich sie immer noch." „Weil du schwer von Begriff bist, Charles", neckte eine von Dantes Schwestern ihn liebevoll. „Ich habe Stephanie gewarnt, dass sie nicht auf ein hübsches Gesicht reinfallen soll, aber sie wollte ja nicht auf mich hören." „Er ist Physiklehrer", informierte ein anderer Mann Leila, während sie gemeinsam in den hinteren Teil des Hauses gingen. Im Vorbeigehen bemerkte sie ein kleines Wohnzimmer, das ein wenig unpersönlich wirkte und offenbar selten benutzt wurde, sowie ein Esszimmer, das ähnlich aussah. Doch am Ende der Eingangshalle befand sich ein neuer Anbau mit einer offenen Wohnküche und einem großen, anheimelnden Wohnzimmer. Im Kamin brannte ein Feuer, und davor standen mehrere Sessel und mit Chintz bezogene Sofas. Es gab einen großen Korb mit Spielsachen, und neben der Verandatür befand sich ein offenbar viel bespieltes altes Klavier, auf dem zahlreiche gerahmte Fotos standen. Ein langer Esstisch aus Pinienholz, der bereits zum Abendessen gedeckt war, trennte die Küche vom Wohnbereich. „Die Jungs haben Dante zum Fußballspielen nach draußen geschleift, aber er wird Sie bestimmt nicht lange allein lassen", sagte die Schwester, bei der es sich um Elaine handeln musste. „Außerdem können wir uns in Ruhe unterhalten. Wir haben uns so gefreut, als Mom uns die Neuigkeit erzählt hat, Leila!" „Aber er hat uns verschwiegen, wie schlank Sie sind", beschwerte sich eine andere scherzhaft. War es Annie oder Christine? „Selbst vor der Geburt meiner Kinder hatte ich nicht so eine Taille wie Sie!" „Sie werden eine wunderschöne Braut sein", ließ sich Irene Rossi, Dantes Mutter, vernehmen. Leila hatte sie sofort ins Herz geschlossen. „Ich bin stolz darauf, Sie in unserer Familie willkommen heißen zu dürfen, Leila." Alle waren so nett und gastfreundlich, dass Leila ihre Nervosität schon bald ablegte. Als Dante wieder hereinkam, stand sie am Herd und plauderte mit ihren zukünftigen Schwägerinnen darüber, wie sie sich die Hochzeitsfeier vorstellte. „Das war gar nicht so schlimm, oder?" erkundigte er sich auf dem Rückweg. „Nein", erwiderte sie und seufzte, weil sie viel zu viel gegessen hatte. „Du hast eine wundervolle Familie, Dante." „Stimmt." Er bog von der Cambie Street in die Forty-First Avenue. „Früher habe ich meine Schwestern manchmal verwünscht, aber nun, da Mom allein ist, bin ich froh, dass wir so viele sind. Die Leute, die früher in der Straße gewohnt haben, sind entweder weggezogen oder gestorben, und jetzt wohnen vor allem berufstätige, kinderlose Paare dort. Ich wüsste nicht, was Mom ohne ihre Familie mit sich anfangen würde, besonders im Winter, wenn sie nicht im Garten arbeiten kann." „Ich weiß, was du meinst. Cleo ist ein Schatz, aber ziemlich eigenbrötlerisch, weil sie immer allein gelebt hat. Und ich glaube, meine Mutter hat sich hier noch nicht richtig eingelebt." „Darauf wäre ich nie gekommen. Allerdings ist Vancouver im Vergleich zu Singapur wohl ein rückständiges Nest."
Doch als sie ihn am Vortag mit ihr bekannt gemacht und er sie zum Mittagessen im Stanley Park eingeladen hatte, war Maeve Connors-Lee wie umgewandelt gewesen. Dante hatte charmant mit ihr geplaudert und sich interessiert nach ihrer Lebensgeschichte erkundigt, und sie war wieder die Alte gewesen - lebhaft und amüsant. Wenn sie, Leila, von der Arbeit nach Hause kam, traf sie sie zumeist traurig und in sich gekehrt an. „Sie hat es gestern gut überspielt", sagte sie, „aber sie hat den Tod meines Vaters nie verwunden. Sie konnte nicht in Singapur bleiben, weil damit zu viele Erinnerungen verbunden waren." „Es ist schön, wenn ein Paar sich nach fast dreißig Jahren Ehe noch so liebt." „Ja, das ist es wohl." Leila blickte angelegentlich aus dem Fenster, als er in die Point Grey Road einbog. Dante und sie wussten mittlerweile so viel voneinander, aber sie wusste nicht, ob sie je in der Lage sein würde, ihm vom Selbstmord ihres Vaters und dem bösen Erwachen danach zu erzählen. Ihr Vater war so hoch verschuldet gewesen, dass noch immer nicht alle Gläubiger ausgezahlt waren, obwohl ihre Mutter und sie ihren gesamten Besitz verkauft hatten. Vielleicht wäre es ihr leichter gefallen, über ihn zu reden, wenn sie ihn nicht stets so bewundert hätte, denn er war anständig, charakterstark und verlässlich gewesen. Nur leider hatte er sich den falschen Geschäftspartner ausgesucht, und das hatte ihn nicht nur finanziell in den Ruin getrieben, sondern ihn auch seinen guten Ruf und seine Selbstachtung gekostet. Und so hatte er seinem Leben ein Ende gesetzt, ohne an seine Frau und seine Tochter zu denken. Mit zweiundvierzig hätte ihre Mutter einen solchen Schicksalsschlag verkraftet, doch jetzt, mit einundsiebzig, war sie zu alt, als dass sie in Singapur noch einmal von vorn hätte anfangen können. Dort war sie lange die Nummer eins in der Gesellschaft und die Frau eines angesehenen Geschäftsmannes gewesen. Stattdessen war sie geflüchtet und in das Land zurückgekehrt, in dem - abgesehen von ihrer Tochter - ihre einzigen Verwandten lebten. Sie, Leila, hatte sich entschieden, ihre Mutter zu begleiten, weil sie sich schließlich für ihren Vater geschämt hatte. Außerdem war sie wütend und enttäuscht, weil er es ihnen überlassen hatte, den Scherbenhaufen zu beseitigen, und ihre Mutter beinah daran zerbrochen wäre. Kurz darauf parkte Dante vor Cleos bescheidenem Haus, das in einer kleinen Straße auf einer Anhöhe mit Blick auf die Georgia Strait lag. Dann zog er sie an sich und küsste sie, als wäre es das erste Mal. Wie immer, wenn er sie berührte, begann das Blut in ihren Adern zu pulsieren, und es zählte nur noch der Moment und das Morgen. So gut es ging, rückte Leila näher zu ihm, um ihn richtig zu spüren. Daraufhin verstärkte er den Druck seiner Lippen, schob die Hand unter das Revers ihres Mantels und streiche lte erst ihren Hals, dann ihre Brust. Erregt seufzte sie auf und presste seine Hand gegen die feste Knospe, doch die schmerzliche Sehnsucht, die sie verspürte, wurde nur noch stärker. „Wenn ich einen großen Wagen mit getönten Scheiben hätte", sagte Dante leise an ihrem Mund, „hätte ich dich längst ausgezogen." Er fuhr aber einen zweisitzigen Jaguar, und außerdem waren sie keine Teenager, die in ihrer Erregung vergaßen, dass sie auf einer öffentlichen Straße standen. Widerstrebend löste Dante sich von ihr. „Wirst du mich vermissen?" Leila hatte versucht, nicht daran zu denken, dass er am nächsten Morgen für vier Wochen auf Geschäftsreise gehen würde. Erst würde er nach London fliegen, dann in den Mittleren Osten und nach Indien und schließlich nach Belgien und in die Niederlande. „Schrecklich", erwiderte sie, den Tränen nahe. Doch was waren schon vier Wochen, wenn noch das ganze Leben vor ihnen lag? Außerdem hatte sie Dante vor fünf Wochen noch nicht einmal gekannt. „Meine Schwestern wollen sich bei dir melden und etwas mit dir unternehmen." Er
umfasste ihr Kinn und strich ihr mit dem Daumen über die Lippen. „Nimm Maeve und Cleo mit zu meiner Mutter. Kauf dir ein Hochzeitskleid, und mach dir Gedanken darüber, wo du wohnen möchtest. Wenn du viel um die Ohren hast, vergeht die Zeit viel schneller." Sicher, es gab viel zu tun, auch wenn sie erst im Juli heiraten, würden. Doch als Leila wenige Minuten später seinem Wagen nachblickte, hatte sie das Gefühl, als hätte Dante sich für immer von ihr verabschiedet.
4. KAPITEL
Auch wenn Dante sie regelmäßig anrief, so waren die nächsten beiden Wochen die Hölle für Leila, denn Carl Newbury schikanierte sie, wo er konnte. Da er Leiter des Einkaufs war, konnte sie ihm auch nicht aus dem Weg gehen. Nachdem sie eine Aufstellung der Ware gemacht hatte, die bereits in Hongkong verschifft worden war, und wichtige Fotos sowie eine Liste mit Mustern für die Handelsvertreter in Nordamerika beigefügt hatte, legte sie ihm die Akte vor. Leider machte er es ihr nicht möglich, sich kurz zu fassen. „Was, Sie mischen sich immer noch unters gemeine Volk, nachdem Sie eine Goldgrube aufgetan haben?" fragte er spöttisch und betrachtete sie gespielt erstaunt. Da sie nicht die Absicht hatte, auf diese Beleidigung einzugehen, knallte sie die Akte auf seinen Schreibtisch und wandte sich zum Gehen. Doch er sprang auf und kam erstaunlich schnell um den Schreibtisch herum, so dass er sie noch vor der Tür abfing. „Sie glauben vielleicht, Sie hätten den Boss um den Finger gewickelt", flüsterte er, „aber an Ihrer Stelle würde ich mich nicht zu früh freuen. Dante wird früher oder später wieder zur Vernunft kommen, und dann ..." Sein hämisches Lachen verursachte ihr eine Gänsehaut. „Dann heißt es ,Sayonara, Puppe', das garantiere ich Ihnen." Am liebsten hätte sie ihm eine gelangt und ihm erzählt, dass Dante und sie bereits den Hochzeitstermin festgesetzt hatten, doch sie schluckte ihren Zorn hinunter und ging. Zum Glück waren ihre zukünftigen Schwägerinnen umso liebenswürdiger. Da sie der Meinung waren, dass die Zeit knapp war, bestürmten sie sie mit unzähligen Fragen nach ihren Vorstellungen. „Ich wusste nicht, dass Hochzeitsvorbereitungen so anstrengend sein können", sagte Leila nach einem dieser Treffen zu ihrer Mutter und Cleo. „Ich dachte, wir würden in aller Stille heiraten, aber Dante hat ,so viele Freunde und Geschäftspartner, dass uns wohl nichts anderes übrig bleibt, als alle einzuladen." „Wie sollen wir das bezahlen?" erkundigte sich ihre Mutter besorgt. „Ich würde dir gern eine Hochzeit im großen Stil ausrichten, aber ich weiß nicht, wie wir das Geld zusammenbekommen sollen." „Heutzutage teilt sich das Brautpaar die Kosten für eine Hochzeit", informierte Leila sie. „Und zur Not kann ich immer noch meinen Schmuck verkaufen." Wie so oft seit ihrer Begegnung mit Dante erwachte wieder der alte Kampfgeist in ihr. „Kommt überhaupt nicht in Frage", erklärte sie. „Dein Schmuck ist das Einzige, was dein Vater dir hinterlassen hat. Wir werden eine andere Lösung finden." Cleo warf sich ihren langen grauen Zopf über die Schulter, rieb ihre Kristallkugel und blickte angestrengt hinein. „Alles wird sich finden", verkündete sie dann. „Vertraut mir." Und so vergingen die ersten drei Wochen, bis nur noch fünf Arbeitstage und ein Wochenende vor ihr lagen, an dem Leila sic h für Dante schönmachen wollte. Am Montag danach sollte er um zwei Uhr nachmittags in Vancouver landen. „Seit unserer Trennung stehe ich völlig neben mir", gestand sie ihrer Mutter am Dienstag vor seiner Rückkehr beim Frühstück. „Ich sitze hier mit dir, bin aber in Gedanken Tausende von Meilen entfernt." Ihre Mutter lachte. „Deswegen hast du in letzter Zeit also keinen Appetit. Ich dachte, es würde vielleicht an Cleos Kochkünsten liegen." „Nein, es liegt einzig und allein an mir. Sind eigentlich alle Bräute so mit sich selbst beschäftigt?" „Du hast momentan den Kopf voll, Schatz. Das ist auch kein Wunder, denn dein Leben hat sich grundlegend verändert - erst der neue Job, und nun hast du Dante kennen gelernt. Du bist nicht mehr dieselbe." Doch kurz nachdem Leila an diesem Abend von der Arbeit nach Hause gekommen war, erhielt sie einen Anruf von Gloria Fletcher, der Mutter ihres Exfreunds, der sie schmerzlich daran erinnerte, dass nicht jeder so glücklich war wie sie. „Leila ..." begann Mrs. Fletcher stockend. „Wir haben gerade erfahren, dass es eine
Explosion gegeben hat... in Kroatien. Und Anthony ..." Ihr versagte die Stimme, ein Beweis dafür, dass etwas Schlimmes passiert sein musste, denn Gloria Fletcher war eine zähe Frau. Ihr Herz krampfte sich zusammen, und Leila sah Anthony vor sich, so wie sie ihn in Erinnerung hatte - groß, stolz und sehr attraktiv. Trotz der Trennung mochte sie ihn immer noch sehr gern und betrachtete ihn als guten Freund - einen der wenigen, die sie in Kanada hatte. Die Vorstellung, dass er schwer verletzt oder womöglich sogar tot war, schockierte sie zutiefst. „O Mrs. Fletcher", erwiderte sie leise. „Ist er ...?" „Er hat eine schwere Kopfverletzung, offenbar einen Schädelbruch, aber er schwebt nicht mehr in Lebensgefahr." Nun hatte Gloria Fletcher die Fassung wiedergewonnen. „Er liegt seit zwei Wochen in einem Krankenhaus in Deutschland und konnte uns jetzt erst benachrichtigen. Inzwischen ist er so weit wiederhergestellt, dass er übermorgen nach Vancouver geflogen werden kann." „Das tut mir sehr Leid", sagte Leila. „Es muss ein großer Schock für Sie und Ihren Mann gewesen sein." „Und auch für Sie, meine Liebe. Sicher hatten Sie überhaupt keine Ahnung, stimmts?" Die Frage mutete Leila seltsam an. Wussten seine Eltern denn nicht, dass Anthony und sie sich getrennt hatten? „Überhaupt nicht", bestätigte sie. „Sicher möchten Sie für ihn da sein, wenn er kommt. Seine Maschine landet am Donnerstagmorgen um elf. Bestimmt wird Ihr Chef Ihnen unter diesen Umständen einen Tag frei geben." „Das ist sehr nett von Ihnen, Mrs. Fletcher, aber in seinem Zustand wäre Anthony sicher lieber mit seiner Familie allein." „Sie gehören doch praktisch zur Familie, meine Liebe." Das klang auch so, als wären Anthony und sie noch ein Paar. Bemüht, auf taktvolle Weise klare Verhältnisse zu schaffen, sagte Leila: „Aber ein so langer Flug ist sogar für einen gesunden Menschen anstrengend. Warum rufen Sie mich nicht an, sobald Sie wissen, wie es ihm geht? Vielleicht möchte er erst mal niemanden sehen." „Er möchte Sie sehen", erklärte Mrs. Fletcher ungeduldig. „Das hat er selbst gesagt. Ich weiß, dass Sie ihn nicht enttäuschen werden, Leila." Das war zwar viel mehr ein Befehl als eine Bitte, doch Leila wollte nicht unhöflich oder unsensibel erscheinen. Außerdem konnte sie es sich leisten, einen Vormittag freizunehmen, und sie wollte unbedingt klarstellen, dass sie nicht mehr mit Anthony zusammen war, zumal sie jetzt offiziell mit einem anderen Mann verlobt war. Allerdings hätte sie es Mrs. Fletcher schlecht am Telefon sagen können, schon gar nicht in diesem Moment. „Sind Sie noch dran, Leila?" hakte Mrs. Fletcher nach. „Ja, Mrs. Fletcher." „Dann sehen wir uns also am Donnerstag. Abgemacht?" „Ich werde da sein", erwiderte Leila. „Ich wusste, dass wir uns auf Sie verlassen können, meine Liebe. Anthony braucht Sie jetzt mehr denn je." Leila fühlte sich noch unbehaglicher. Gut, dass Dante erst nächste Woche zurückkommt, dachte sie. Je eher wir unsere Verlobung offiziell bekannt geben, desto besser. Es ist gut, wenn man einflussreiche Freunde hat, überlegte Dante, als er am Donnerstagabend im Flughafen Schiphol durch die Eingangshalle eilte. Sonst hätte er nämlich noch eine Nacht in Amsterdam verbringen müssen. Doch mit einem Anruf und einem großzügigen Trinkgeld hatte er noch den letzten freien Platz in der nächsten Maschine nach Toronto bekommen. Die Maschine würde in weniger als zehn Minuten starten. Natürlich würde man auf ihn warten, dafür hatte er gesorgt, doch er wollte sich nicht unbeliebt machen. Vielleicht hätten seine Mitreisenden ja mehr Verständnis für ihn aufgebracht, wenn sie gewusst hätten, dass eine Frau wie Leila ihn erwartete. Nachdem er die Sicherheitskontrolle passiert hatte, erreichte er fünf Minuten später den
Flugsteig. Der Warteraum war bereits leer. „Tut mir Leid", sagte er etwas außer Atem zu der wartenden Flugbegleiterin und setzte sein gewinnendstes Lächeln auf, als er ihr sein Ticket überreichte. „Ich weiß, dass ich spät dran bin." Sie murmelte etwas wenig Schmeichelhaftes, und er zuckte noch einmal bedauernd die Schultern, bevor er an Bord der Maschine eilte. Sollten sie ihm doch Wasser und Brot servieren, während die anderen Passagiere in der Business class schlemmten. Er konnte fast alles ertragen, wenn er nur Leila bald wieder sehen würde. Deswegen hatte er das, wofür er ursprünglich sechs Tage eingeplant hatte, auch in zwei Tagen erledigt, um vier Tage früher nach Vancouver zurückfliegen zu können. Allerdings hatte er erst an diesem Morgen erfahren, ob es klappen würde. Dante verstaute seine Aktentasche im Gepäckfach und sank in seinen Sitz. Dabei fasste er sich noch einmal an die Brusttasche seines Jacketts, in der sich das Kästchen mit dem Diamantring befand, den er an diesem Morgen gekauft hatte. Kurz darauf setzte die Maschine sich in Bewegung. Wegen der Zeitverschiebung und der Zwischenlandung in Toronto würde er kurz nach Mitternacht in Vancouver landen, doch selbst wenn sie keine Verspätung hatten, würde er Leila nicht mehr anrufen können. Umso überraschter würde sie sein, wenn er am nächsten Morgen ins Büro kam. Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl durchströmte ihn, als er daran dachte, wie sehr sie sein Leben verändert hatte. Wie sollte er bloß die vier Monate bis zu ihrer Hochzeit überstehen? Endlich war dieser furchtbare Tag vorbei. Als Leila am Donnerstagabend um kurz nach acht das Haus betrat, fühlte sie sich hundeelend und fragte sich verzweifelt, was sie tun sollte. Die Situation war wirklich völlig verfahren. Ihre Mutter erschien auf der Türschwelle zur Küche. „Leila? Wir haben dir das Essen warm gestellt, und ... Du meine Güte! Du siehst ja schrecklich aus, Schatz! Bist du krank?" Tatsächlich hatte sie, Leila, sich in den letzten Tagen nicht gut gefühlt, konnte sich jedoch nicht erklären, warum. Wahrscheinlich lag es am Stress. Und der heutige Tag war aufreibend genug gewesen. „Nicht direkt. Ich bin nur müde und ziemlich mitgenommen." Sie hängte ihren Mantel in den Garderobenschrank und lehnte sich gegen die Tür. Ihre Mutter "wischte sich die Hände an der Schürze ab und führte sie ins Esszimmer, wo ein Feuer im Kamin brannte. „Ist es wegen Anthony, Schatz? Sind seine Verletzungen schlimmer als erwartet? Du siehst ..." Sichtlich perplex, zuckte Maeve die Schultern und wandte sich an ihre Cousine. „Ja, du siehst richtig verstört aus. Findest du nicht auch, Cleo?" Leila seufzte. „Das trifft leider den Nagel auf den Kopf." „Du brauchst einen starken Drink, Schatz." Ihre Mutter verfrachtete sie kurzerhand auf einen Sessel und nahm die Sherry-flasche von der Anrichte. Ein Glas Sherry reichte jedoch nicht, um die Erinnerung an Anthonys Anblick auszulöschen, der sie gänzlich unvorbereitet getroffen hatte. Sie hatte den Mann, der in Oxford studiert hatte und während der Zeit ein Starathlet gewesen war, überhaupt nicht wieder erkannt, denn er war abgemagert und in sich zusammengesunken gewesen und hatte teilnahmslos gewirkt. Sie stand neben seinen Eltern, und erst als er sie sah, hellte seine Miene sich auf. „Ich wusste, dass du kommen würdest, mein Schatz", flüsterte er und ergriff ihre Hand. „Ich wusste es." Die Tränen liefen Leila über die Wangen. Es war schlimm genug, ihn in diesem Zustand zu sehen, aber das Blitzlichtgewitter der Pressevertreter, die sich eingefunden hatten, um über dieses Ereignis zu berichten, machte alles noch schlimmer. Eigentlich hätte sie damit rechnen müssen, denn die Fletchers gehörten zu den wohlhabendsten und bekanntesten Familien in der Provinz und wurden ständig von der Presse verfolgt. Als man Mr. Fletcher um eine Stellungnahme bat, rückte er das Revers seines Burberry
Mantels zurecht und erklärte gefasst: „Unser Sohn ist als Held zurückgekehrt. Seine Mutter und ich sind sehr stolz auf ihn und unendlich dankbar, dass er noch lebt." Dann hatte er sich Anthony und ihr zugewandt und gelächelt. „Wie Sie alle wissen, beschleunigt nichts besser die Genesung eines Mannes als die Liebe einer Frau." „Ich war so verblüfft, dass ich nichts sagen konnte", erklärte Leila ihrer Mutter. „Du hast doch schon Woche n vor seiner Abreise mit Anthony Schluss gemacht!" rief ihre Mutter, während Cleo besorgt mit der Zunge schnalzte und sich ebenfalls einen Sherry einschenkte. „Aber er erinnert sich nicht mehr daran", erwiderte Leila. „Er hat ein Schädel-HirnTrauma, das Erinnerungslücken zur Folge hat, und scheint zu glauben, dass wir immer noch ein Paar sind." „Du bist doch mit Dante verlobt, Schatz. Ihr habt sogar schon den Hochzeitstermin festgesetzt." „Stimmt." Als Leila einen Schluck Sherry trank, drehte sich ihr der Magen um. „Aber mach das mal seinen Eltern klar. Er sieht schlimm aus, Mutter. Er hat abgenommen, seine Augen sind eingefallen, sein Kopf ist fast kahl geschoren, und er kann nicht einmal allein gehen, weil sein Gleichgewichtssinn gestört ist." „Du siehst auch nicht gerade blendend aus", bemerkte ihre Mutter. „Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?" „Keine Ahnung. Eine der Hausangestellten der Fletchers hatte ein Büfett im Esszimmer aufgebaut, aber ich hatte keinen Hunger. Eigentlich hatte niemand Hunger, wir haben nur literweise Kaffee getrunken." Wieder hob Leila das Glas an die Lippen, doch der sonst so angenehme Geruch verursachte ihr diesmal Übelkeit. „Vielleicht ist mir deswegen nicht gut", fügte sie hinzu und stellte das Glas weg. „Aber heute Morgen hast du auch kaum etwas gegessen, Schatz. Und gestern auch." „Ich vermisse Dante. Wenn er wieder da ist, habe ich bestimmt wieder mehr Appetit." „Da wäre ich mir an deiner Stelle nicht so sicher", murmelte Cleo, die ihre Tarotkarten auf dem Tisch ausgebreitet hatte. „Was sollte es sonst sein?" meinte Leila. „Ich brauche bestimmt nur etwas Schlaf." Doch kaum war Leila am nächsten Morgen aufgestanden, wurde ihr wieder übel, und diesmal war es so schlimm, dass sie es gerade noch rechtzeitig bis ins Bad schaffte. „Wahrscheinlich habe ich Grippe", sagte sie matt, als ihre Mutter ihr einen nassen Waschlappen reichte. „So, glaubst du", ließ Cleo sich von der Tür her vernehmen. „Wie lange kennst du Dante jetzt?" „Etwas über acht Wochen." „Und ist es unverschämt von mir, anzunehmen, dass ihr auch miteinander geschlafen habt?" „In den letzten vier Wochen nicht." „Und davor?" In diesem Moment stellte Leila fest, dass man selbst im reifen Alter von neunundzwanzig noch erröten konnte. „Wir sind schließlich beide erwachsen, Cleo." „Soso." Cleo zog den Gürtel ihres Morgenmantels fester und hockte sich auf den Rand der Badewanne. „Und ihr habt natürlich ein Kondom benutzt, oder?" „Cleo!" rief Maeve entsetzt, sah Leila jedoch fragend an. „Habt ihr das, Leila? Vorsichtsmaßnahmen getroffen, meine ich." „Nach unserer Rückkehr, ja." „Und vorher?" „Die ersten Male nicht. Dass wir uns ineinander verliebt haben, war nicht geplant, und die Insel ist nicht gerade mit Drogerien übersät, in denen man Verhütungsmittel kaufen kann. Aber falls ihr damit andeuten wollt, dass ich schwanger sein könnte..." Leila verstummte, da ihr wieder übel wurde. „Ich bin nicht schwanger", beharrte sie, sobald es vorbei war.
„Das behaupten sie alle", bemerkte Cleo. „Sie hat Recht", sagte Maeve. „Als ich damals an morgendlicher Übelkeit litt, habe ich es monatelang verdrängt, aber du bist trotzdem zur Welt gekommen. Vielleicht solltest du dir heute freinehmen und zum Art gehen. Denn wenn du tatsächlich schwanger bist ..." „Das ist sie", verkündete Cleo selbstgefällig. „... dann kannst du nicht noch vier Monate bis zur Hochzeit warten. Sonst brauchst du einen riesigen Blumenstrauß, um deinen dicken Bauch zu kaschieren." „Ich hole den Wagen aus der Garage", erklärte Cleo und meinte damit den altersschwachen Chevrolet, den sie im Durchschnitt zwei Mal im Jahr bewegte. „Wenn ein so genannter Fachmann bestätigt, was ich bereits weiß, denkt ihr vielleicht anders über meine übersinnlichen Fähigkeiten." Er war schon vor sieben Uhr in der Firma gewesen, noch vor den Lagerarbeitern, weil er sie überraschen wollte. Er hatte ihr eine Orchidee auf den Schreibtisch gelegt. Er hatte seine Geschäftsreise um vier Tage verkürzt, um bei Leila zu sein, weil sie ohne ihn angeblich so einsam gewesen war. Stattdessen hatte er eine Überraschung erlebt, oder besser gesagt, sein blaues Wunder. Es war ein Schock für ihn, als er ihr Foto auf der Titelseite der Tageszeitung sah, die Carl Newbury ihm auf den Schreibtisch legte. „Ich habe versucht, Sie zu warnen." Das schadenfrohe Funkeln in Newburys Augen strafte seinen mitleidigen Tonfall Lügen. „Am Galaabend auf Poinciana habe ich versucht, Ihnen klarzumachen, was für eine Frau sie ist, aber Sie wollten ja nicht auf mich hören." „Das will ich jetzt auch nicht." Er, Dante, hegte immer noch die Hoffnung, dass Leila jeden Moment auf der Schwelle erscheinen und ihm erklären würde, warum sie eng umschlungen mit dem Erben des Fletcher-Imperiums abgebildet war. „Ich habe die ganze Zeit geahnt, dass sie nur auf Geld aus ist, Dante, und es sieht so aus, als hätte ich Recht behalten. Tut mir Leid, dass ausgerechnet ich es Ihnen sagen muss, aber im Vergleich zu Anthony Fletcher können Sie ihr nicht viel bieten." Das stimmte leider. Er, Dante, verdiente genug, um seine Familie finanziell zu unterstütze n und ein flottes Leben zu führen, denn er besaß ein Penthouse, einen Importwagen und konnte Urlaub machen, wo er wollte. Doch im Vergleich zu den Fletchers besaß er nicht viel. Er hatte Newbury mit der Bemerkung entlassen, er würde ihn nicht dafür bezahle n, dass er ungefragt seine Meinung über Angelegenheiten kundtat, von denen er keine Ahnung hatte, und hatte gewartet. Als Leila um halb elf immer noch nicht erschienen war, kochte Dante vor Wut. Er war es nicht gewohnt, einfach dazusitzen und abzuwarten, sondern nahm die Dinge stets selbst in die Hand, und das wollte er auch jetzt tun. Verdammt, sie schuldete ihm zumindest eine Erklärung! Dante nahm den Hörer ab und wählte ihre Privatnummer. Er ließ es fünfzehnmal klingeln, denn selbst wenn Leila nicht da war, wo steckten dann ihre Mutter und deren Cousine? Es sei denn ... Für einen Moment legte sich seine Wut. Ob sich ein Unfall ereignet hatte? Dann fiel sein Blick wieder auf das Foto und den Artikel, in dem stand: „... nachdem er bei der Explosion einer Brücke schwer verletzt wurde, kehrt der Sohn des Industriemagnaten als Held nach Hause zurück ... umringt von seiner Familie und seiner langjährigen Freundin Leila Connors-Lee. Auf die Frage, ob bald die Hochzeitsglocken läuten würden, erwiderte ein lächelnder Samuel Fletcher: ,Dass mein Sohn wieder gesund wird, ist natürlich der wichtigste Punkt auf der Tagesordnung, aber wer weiß? Ich möchte es so ausdrücken: Wir blicken voller Zuversicht in die Zukunft.'" O ja, es hatte sich tatsächlich ein Unfall ereignet, doch das Opfer war Dante Rossi. Er hatte sich genauso leichtsinnig verhalten wie ein Teenager am Steuer seines ersten Wagens. Er hatte gegen seinen Grundsatz, Beruf und Privatleben immer voneinander zu trennen, verstoßen und sich zum Gespött seiner Mitarbeiter gemacht. „Dieser verdammte Mistkerl!" Mit einer weit ausholenden Geste fegte Dante seinen
Eingangskorb vom Schreibtisch und verstreute die Post der letzten vier Wochen auf dem Teppich. Dass er eine Fremde gebeten hatte, ihn zu heiraten, und dafür weniger Zeit gebraucht hatte als für einen Geschäftsabschluss, konnte er sich nur damit erklären, dass er an einem schweren Tropenfieber gelitten hatte. Das Schlimmste daran war, dass er sich nicht eher davon erholt hatte, und zwar bevor er seine Familie mit hineingezogen hatte. Natürlich erwartete seine Familie, dass er alles ins Reine brachte, und das würde er auch tun. Aber noch nicht. Nicht bevor er sicher war, dass er sich wieder in der Gewalt hatte. Lieber würde er sterben, als jemanden wissen zu lassen, dass er zutiefst in seinem Stolz verletzt war. Mehr war es nämlich nicht. Das Ganze war ihm furchtbar peinlich. Die innere Leere, die er verspürte, hatte nichts mit Liebe zu tun. Schließlich kannte er Leila erst seit acht oder neun Wochen, und davon hatten sie nicht einmal die Hälfte zusammen verbracht. Für die Fletchers dieser Welt würde sie eine nette Abwechslung sein, doch er war der Sohn einfacher Arbeiter, Immigranten, die ein einfaches Leben führten und eine einfache Sprache sprachen. Und daher würde er Leila als das bezeichnen, was sie war: gut im Bett. Dass er seine Gefühle für Liebe gehalten hatte, bewies lediglich, dass er ein Narr war. Er brauchte einige Tage, um sich damit abzufinden. Aber zuerst musste er sich ums Geschäft kümmern. Schließlich hatte er nicht acht Jahre geschuftet, um Classic Collections wegen einer flüchtigen Affäre den Bach runtergehen zu lassen. Dante drückte auf den Knopf der Sprechanlage, um sich mit seiner Assistentin kurzzuschließen. „Ich bin nicht da, falls jemand nach mir fragt, Meg. Wenn jemand anruft, sagen Sie ihm, dass ich Ihnen vor zwei Tagen ein Fax aus Brüssel geschickt habe und Sie nicht genau wissen, wann ich wieder in der Firma bin." Anschließend vertiefte er sich bis zum späten Nachmittag in seine Arbeit und erledigte alles Wichtige. Dennoch musste er ständig an Leila denken. Was war, wenn sie krank war? Oder ihre Mutter? Oder deren Cousine? Gab es vielleicht doch eine Erklärung für den Zeitungsartikel? Müde rieb er sich die Augen und schaltete den Fernseher ein. Der Börsenbericht war gerade zu Ende. „Und nun das Neuste von Anthony Fletcher", verkündete der Nachrichtensprecher, und die Szene vorm Vortag am Flughafen wurde eingeblendet. „Heute", fuhr er fort, „ist Fletcher zu Hause und hat sich so weit erholt, dass er Besuch empfangen kann." Nun zeigte man das Anwesen der Fletchers, das von einer hohen Mauer umringt und von Sicherheitsbeamten bewacht war. Eine Frau stieg zusammen mit Mrs. Fletcher aus dem Wagen und wurde von dieser ins Haus geführt. Es war Leila. Sie war also nicht krank, und sie hatte auch keinen Unfall gehabt. Allerdings war sie genau das, als was Newbury sie beschrieben hatte: eine Frau, die nur auf Geld aus war und ihn, Dante, zugunsten eines Mannes hatte fallen lassen, der ihr ein luxuriöseres Leben bieten konnte. Zur Hölle mit ihr! Dante sprang auf und verließ den Raum. Eineinviertel Stunden später befand er sich auf dem Weg nach Whistler-Black-comb, wo er das Wochenende verbringen wollte. Er würde sich den größten Herausforderungen stellen, die die Pisten dort zu bieten hatten, denn Dante Rossi ließ sich von niemandem bezwingen - von einem Berg nicht, von einem Millionär nicht und schon gar nicht von einer Frau!
5. KAPITEL
Da Leila immer noch an morgendlicher Übelkeit litt, kam sie am Montag erst kurz nach neun in die Firma, eine halbe Stunde später als üblich. Gail Watts, die Sekretärin, die für sie und zwei andere Einkäufer arbeitete, fing Leila ab, als sie hereinkam, und reichte ihr zwei Zettel. „Wir haben Sie am Freitag vermisst, Leila." „Tut mir Leid, dass ich nicht Bescheid gesagt habe", erwiderte Leila. „Gibt es irgendetwas Wichtiges?" Sie hoffte es nicht, denn ihr war schon wieder übel. „Nichts, das so wichtig ist, dass Sie unbedingt kommen mussten." Gail betrachtete sie mitfühlend. „Ich glaube, Sie gehören ins Bett." Leila rang sich ein Lächeln ab. „Geben Sie mir ein paar Minuten, dann geht es mir bestimmt besser." „Klar. Soll ich Ihnen einen Kaffee machen?" Dr. Margaret Dearborn, die Gynäkologin, bei der Leila am Freitagnachmittag gewesen war, hatte ihr versichert, dass morgendliche Übelkeit auf einen normalen Schwangerschaftsverlauf hindeutete und im Allgemeinen nur im ersten Drittel auftrat. Allerdings hatte sie nicht erwähnt, wie sie über das Leben einer Frau bestimmte. Allein beim Gedanken an Kaffee drehte sich Leila der Magen um. „Nein danke." Schnell setzte sie sich an ihren Schreibtisch und nahm dabei nebenbei wahr, dass eine verwelkte Orchidee darauf lag. Gail nickte. „Wenn Sie es sich anders überlegen, sagen Sie Bescheid. Ach übrigens, der Boss ist wieder da." „Sind Sie sicher? Ich hatte ihn erst heute Nachmittag erwartet." „Ich habe ihn vor einer Viertelstunde selbst gesehen." Sofort fühlte Leila sich besser. „Das ist ja wundervoll!" „Erstaunlich, was eine gute Neuigkeit bewirken kann!" bemerkte Gail trocken. „Nicht wahr? Für die nächste halbe Stunde bin ich in einer wichtigen Besprechung!" Leila sprang auf und eilte zur Tür, blieb jedoch auf halbem Weg noch einmal stehen und drehte sich um. „Sehe ich wirklich so schlimm aus, Gail?" „Jetzt nicht mehr. Aber ein wenig Rouge könnte nicht schaden." Leila befolgte Gaus Rat und ging in die Damentoilette, um ihr Make-up aufzufrischen. Als sie wieder herauskam, traf sie Carl Newbury. Seine selbstgefällige Miene verursachte ihr sofort wieder Übelkeit. Er musterte sie von oben bis unten, doch sie versuchte, es zu ignorieren, und ging den Flur entlang zum Flügel, in dem sich Dantes Büro befand. Seine Assistentin war nicht im Vorzimmer, aber Gavin Black suc hte gerade etwas in einem Aktenschrank. „Er ist da, und er ist allein", verkündete er strahlend und deutete mit einem Nicken auf die geschlossene Tür. Als Leila eintrat, saß Dante am Schreibtisch und telefonierte gerade. Bei ihrem Anblick zog er lediglich die Augenbrauen hoch und drehte sich mit seinem Stuhl zum Fenster. So hatte sie sich das Wiedersehen nicht vorgestellt. Aber vermutlich hatte er viel zu tun. Sie setzte sich auf einen der Stühle vor dem Schreibtisch und betrachtete ihn. Er musste zum Friseur, denn sein Haar war im Nacken ziemlich lang. Offenbar ärgerte er sich über etwas, das sein Gesprächspartner gesagt hatte, denn er drehte sich herum und klopfte mit einem Stift auf den Schreibtisch. „Die Exportbeschränkungen für Antiquitäten werden immer mehr verschärft", sagte er scharf. „Also erzählen Sie mir nicht, dass es nur eine geringfügige Beeinträchtigung ist. Wir haben ein immer kleineres Angebot bei zunehmend steigender Nachfrage, und wenn wir keine Kunden verlieren wollen, müssen wir neue Märkte erschließen." Seine Augen wirkten müde, und er hatte einen frustrierten Zug um den Mund. Unwillkürlich beugte Leila sich vor, um ihm das Haar aus der Stirn zu streichen, doch als Dante sich wieder wegdrehte, ohne sie anzusehen, wich das ungute Gefühl, das sie beschlichen hatte, echter Besorgnis.
Sie stand auf und ging zum anderen Fenster, vor dem sich die Sitzecke befand. Es war ein herrlicher Aprilmorgen. Die Pflaumenbäume und die Tulpen blühten, im Norden sah man schneebedeckte Berggipfel, und das Wasser der Georgia Strait im Westen glitzerte in der Morge nsonne. Dazwischen ragten die Bürohochhäuser in der City auf. Es war eine außergewöhnliche Umgebung, und der Tag konnte eigentlich nur noch schöner werden, da sie, Leila, ihren Geliebten wieder sah. Und trotzdem ging ihre Fantasie mit ihr durch. Doch Schwangere unterlagen nun einmal starken Stimmungsschwankungen, und sicher war Dante nur überarbeitet. Oder nicht? Schließlich knallte er den Hörer auf und erkundigte sich scharf: „Du wolltest mich sehen?" Zuerst dachte Leila, es hätte noch jemand den Raum betreten, aber dann stellte sie fest, dass Dante und sie immer noch allein waren. Er war nicht einmal aufgestanden, und nichts deutete darauf hin, dass er sich darüber freute, sie zu sehen. Vielmehr vermittelte er ihr den Eindruck, dass sie störte. Sie wusste, dass ihr Instinkt sie nicht getrogen hatte. Irgendetwas stimmte nicht. Die Leidenschaft, die stets zwischen ihnen aufgeflammt war, war einer Eiseskälte gewichen. „Natürlich wollte ich dich sehen, Dante", erklärte Leila etwas atemlos. „Ich habe dich vermisst. Die letzten vier Wochen sind mir wie eine Ewigkeit vorgekommen." „Du überraschst mich", erwiderte Dante. „Ich hätte nicht gedacht, dass du noch genug Zeit für deine zahlreichen ... Affären findest." Natürlich war ihr sofort klar, was er meinte. „Wann willst du es Dante sagen?" hatte ihre Mutter sie an diesem Morgen gefragt und dabei Anthony gemeint. „Bei der ersten Gelegenheit", hatte sie, Leila, fröhlich erwidert. „Selbst wenn ich wollte, könnte ich es nicht geheim halten, und ich möchte auf keinen Fall, dass er es von jemand anders erfährt." Doch er war früher als geplant zurückgekehrt, und ihr war klar, dass er es bereits wusste. Es bestand auch kein Zweifel, von wem er es erfahren hatte. Sie streckte die Hände aus und sagte leise: „Falls du von Anthony Fletcher sprichst..." Gespielt überrascht zog er die Augenbrauen hoch. „Falls?" wiederholte er spöttisch. „Heißt das, es gibt noch andere Männer?" „Tu das nicht, Dante", bat sie ihn verzweifelt. „Lass es mich dir wenigstens erklären, bevor du mich verurteilst." „Was gibt es da zu erklären?" konterte er. „Es stand doch alles in der Zeitung, und die Fotos waren äußerst aufschlussreich." „Ich hatte gehofft, wir könnten miteinander reden, bevor du so etwas sagst." „Und ich wollte dir die Gelegenheit dazu geben. Ich habe hier am Freitag den ganzen Tag auf dich gewartet. In Anbetracht der Tatsache, dass du für einen Vollzeitjob bezahlt wirst, bin ich davon ausgegangen, dass du irgendwann auftauchst. Aber du hast dich nicht blicken lassen." Er lächelte humorlos. „Vielleicht hast du es schlichtweg vergessen. Das könnte wohl jeder Frau passieren, wenn ein verschwundener Verlobter plötzlich wieder auftaucht und ihr vor Augen führt, bei wem sie die besten Zukunftsaussichten hat." „Moment mal!" fiel Leila ihm ins Wort. „Du warst Freitag hier? Das wusste ich nicht." „Offenbar nicht." „Warum hast du mich nicht zu Hause angerufen?" „Das habe ich, ein paar Mal sogar. Es hat niemand abgenommen." „Nein, natürlich nicht. Wir ... Meine Mutter und Cleo und ich waren ..." Sie hätte ihm sogar beweisen können, dass sie beim Arzt gewesen war, doch in dieser Situation wollte sie Dante nicht erzählen, dass sie ein Kind von ihm erwartete. Seine Gefühle für sie waren offenbar genauso schnell erloschen, wie sie entflammt waren. Der verächtliche Ausdruck, mit dem er sie ansah, bewies, dass Dante in jeder Hinsicht von ihr enttäuscht war. „Wir waren essen", erklärte sie, da die halbe Wahrheit ihrer Meinung nach immer noch besser war als eine Lüge. „Ich musste es ihnen erklären - das mit Anthony." „Und meine Mutter?" fuhr er sie an. „Hast du dir auch die Mühe gemacht, es ihr zu
erklären? Oder fandest du es in Ordnung, dass sie ihre eigenen Schlüsse gezogen hat, als sie die ganze schmutzige Geschichte in diesem Käseblatt gelesen hat?" Feine Schweißperlen traten ihr auf die Stirn, als Leila bewusst wurde, dass sie sich noch gar keine Gedanken darüber gemacht hatte, wie seine Familie auf diese Neuigkeiten reagieren würde. Es war wirklich unverzeihlich. „Es tut mir so Leid, Dante", sagte sie. „Ich habe nicht daran gedacht..." „O doch, das hast du", tobte er. „Du hast dir alles ganz genau überlegt. Was ich für liebenswerte Zurückhaltung gehalten habe, war alles nur Show." Er warf sic h in Positur und äffte sie nach: „ ,O Dante, lass uns diskreter sein. Lass uns unsere Beziehung geheim halten.' Kein Wunder! Ich war nur eine nette Abwechslung, stimmts? Jemand, der dich unterhalten hat, bevor dein Traummann wieder aufgetaucht ist. Wie praktisch, dass unsere kleine Romanze auf einer privaten Insel stattgefunden hat, die Tausende von Meilen entfernt ist! Jetzt ist mir klar, wie alles zusammenhängt." „Hör auf!" rief sie. „Du weißt genau, dass es nicht so war." „Quatsch!" höhnte er. „Es war ge nau so. Und ich schätze, ich bin der Dumme, weil ich auf eine Frau reingefallen bin, die offenbar einen Haufen Männer in Reserve hat, für den Fall, dass der Auserwählte doch nicht ihren Erwartungen entspricht. Trotzdem verachte ich dich." Sein Zorn nahm ihr die Luft zum Atmen, und ihr wurde wieder übel. „Du täuschst dich gewaltig", erwiderte sie matt und zupfte am Kragen ihrer Bluse, um sich etwas Kühlung zu verschaffen. „Ich liebe nur dich, Dante. Anthony und ich waren eine Zeitlang zusammen, bevor ich dic h kennen gelernt habe, aber nicht so, wie es in den Zeitungen steht." „Dann tut Anthony mir Leid. Ich weiß genau, wie ihm zumute sein muss." Es wurde immer dunkler im Raum, und Leila nahm seine Stimme nur bruchstückhaft wahr, während ihr seine Gestalt vor den Augen verschwamm. „Nein, das weißt du nicht", brachte sie hervor. „Wenn du es mich nur ... erklären lassen würdest, dann würdest du ... es mit anderen Augen sehen." Wie aus weiter Entfernung sagte Dante: „Das bezweifle ich, Schatz. Ich bezweifle alles, was du ..." Sein plötzliches Schweigen und sein durchdringender Blick erfüllten sie mit großer Erleichterung. Dann hörte sie seine Stimme wieder, und diesmal klang sie ganz anders. „Was ist mit dir?" Sie wagte es nicht, zu antworten, aus Angst, sich übergeben zu müssen. Nur die Dunkelheit verhieß Erleichterung, und sie wollte sich ganz darin verlieren. Dante ließ es jedoch nicht zu. Er umfasste ihre Arme, zog sie auf eines der Sofas und drückte ihren Kopf zwischen die Knie. „Meg, kommen Sie sofort", rief er. Leila hörte, wie die Tür geöffnet wurde und jemand den Raum betrat. Sah die unförmigen Fesseln seiner Assistentin, deren Liebenswürdigkeit ihr durchschnittliches Äußeres mehr als wettmachte. „Atmen Sie tief durch, Leila", sagte Meg sanft, während sie ihr die Hand in den Nacken legte. „So ist gut. Und jetzt noch mal." Nach einer Weile konnte Leila das Muster des Teppichs unter ihren Füßen wieder so deutlich erkennen, dass sie es wagte, sich wieder aufzurichten. Dante nahm sie nur aus den Augenwinkeln wahr. „Sehen Sie denn nicht, dass sie gleich ohnmächtig wird, Dante?" fragte Meg scharf. „Nun stehen Sie nicht da rum, sondern holen Sie ein Glas Wasser." „Nein." Die Hände auf die Couch gestützt, versuchte Leila aufzustehen. „Ich brauche nichts." Das stimmte nicht ganz. Sie brauchte Dante, aber nicht so. Nicht wenn er sie so misstrauisch ansah und seine Haltung nur Wut und Ablehnung verriet. „Sie sehen wirklich nicht gut aus", bemerkte Meg. „Was ist los? Haben Sie vergessen zu frühstücken?" Leila schauderte. Wenn die Leute bloß aufhören würden, ständig von Essen zu reden! „Trink das verdammte Wasser", fuhr Dante sie an und drückte ihr das Glas so in die Hand,
dass sie einige Tropfen abbekam. „Kein Wunder, dass Sie beschlossen haben, die Geschäftswelt im Sturm zu erobern", sagte Meg. „Wenn das Ihre Art ist, mit Kranken umzugehen, hätten Sie einen lausigen Arzt abgegeben." Er machte ein finsteres Gesicht. „Gehen Sie wieder an Ihren Schreibtisch, Meg. Die Krise ist offenbar überstanden." „Ja, Sir, Mr. Boss!" Sie salutierte und ging zur Tür, wo sie noch einmal stehen blieb und an Leila gewandt hinzufügte: „Lassen Sie sich dadurch nicht täuschen, Leila. Er überspielt damit nur seine Angst, dass die Dame seines Herzens krank sein könnte. Diese starken, ruhigen Typen sind doch alle gleich - bereit, einen Tiger mit bloßen Händen zu erwürgen, aber in einer kleinen Krise völlig hilflos. Wahrscheinlich hat er auch Angst vorm Zahnarzt." Dante ging darauf nicht ein und warf ihr nur einen wütenden Blick zu. Nachdem Meg die Tür hinter sich geschlossen hatte, wandte er sich wieder an Leila. „Falls du damit Mitleid erregen wolltest, lass dir gesagt sein, dass es nicht funktioniert hat." Starr blickte sie ihn an, körperlich und seelisch zu erschöpft, um sich zu verteidigen. „Ich bin keine so gute Schauspielerin, Dante. Und selbst wenn ich es wäre, musste ich nicht zu billigen Tricks greifen, um mich vor dir zu rechtfertigen. Denk doch, was du willst. Du hast mich ja bereits für schuldig befunden." Sie stellte das Glas auf seinen Schreibtisch und verließ hoch erhobenen Hauptes sein Büro, wobei sie im Stillen ihrem Schicksal und ihrer Erzieherin Miss Carstairs dankte, die die Ansicht vertreten hatte, dass eine gute Haltung, genau wie Reinlichkeit, wichtiger war als Gottesfürchtigkeit. Dabei ließ sie sich nicht anmerken, dass sie ganz weiche Knie hatte. Sobald sie in ihrem Büro war, klappte sie allerdings buchstäblich zusammen, nicht nur, weil all ihre Träume und Hoffnungen sich zerschlagen hatten, sondern weil sie so blind gewesen war. Ihr Fehler war nicht gewesen, dass sie sich in Dante verliebt hatte, denn selbst in ihrem derzeitigen Zustand war ihr klar, dass sie seinen Verführungskünsten nur schlecht hätte widerstehen können. Aber woher hätte sie auch wissen sollen, dass das, was ihr noch vor zwei Monaten als die große Liebe erschienen war, von einem Moment auf den anderen vergehen könnte? Dante hatte sie förmlich abserviert, und es war unglaublich dumm von ihr gewesen, ihm ihr Herz zu schenken. Und ihren Körper. Sie erwartete ein Kind von einem Mann, der sie verachtete! Wenn ich es doch nur rückgängig machen könnte, dachte Leila verzweifelt. Sie barg das Gesicht in den Händen und ließ den Tränen, die sie in Dantes Gegenwart unterdrückt hatte, freien Lauf. Der Selbstmord ihres Vaters, die daraus resultierende Armut und Einsamkeit ihrer Mutter und sogar Anthonys Zustand hatten sie sehr mitgenommen. Aber es war nichts im Vergleich zu dem, was sie jetzt empfand. Irgendwann versiegten ihre Tränen, denn ihr war klar, dass es ihr nicht half, wenn sie weinte. Irgendwie musste sie die Kraft finden, weiterzumachen und ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Arbeit half angeblich dabei, und sie hatte wirklich genug zu tun. Die Muster waren inzwischen eingetroffen und mussten ausgepackt und im Ausstellungsraum aufgebaut werden. Also stürzte Leila sich in die Arbeit und machte nicht einmal Mittagspause. Den Tee, den Gail ihr gegen eins brachte, rührte sie nicht einmal an. Am Nachmittag machte sie die Büroarbeit, und als um fünf alle Feierabend machten, hatte sie alles erledigt, was liegen geblieben war, und war dabei, koreanische Celadon-Tonwaren zu katalogisieren. Erst als es still im Gebäude wurde, schaltete sie ihren Computer aus. Als sie sicher war, dass niemand sie sehen konnte, lehnte sie den Kopf zurück, schloss die Augen und versuchte sich ihre Zukunft vorzustellen. Sie würde ein Baby zur Welt bringen, das seinen Vater nicht kannte. Da sie nur an sich gedacht hatte und viel zu leichtsinnig gewesen war, würde ihr Sohn oder ihre Tochter nicht in eine normale Familie hineingeboren werden.
Vorausgesetzt, dass Dante die Vaterschaft anerkannte, würden sie die Vater- und Mutterfreuden nicht teilen, sondern getrennt erleben. Sie würde so manche Ferien .und auch viele Feste ohne ihr Kind verbringen. Diese Vorstellung fand sie unerträglich. Ihr Vater hatte zwar Fehler gehabt, aber er hatte sie nie im Stich gelassen, als sie klein gewesen war, so wie sie ihr Kind im Stich gelassen hatte. „Ich könnte dich hassen lernen, Dante", brachte sie hervor und unterdrückte die aufsteigenden Tränen. „Das beruht auf Gegenseitigkeit." Erschrocken richtete sie sich auf und stellte fest, dass Dante an der Tür lehnte und sie beobachtete. „Was machst du noch hier?" erkundigte sie sich, während sie in der obersten Schublade nach dem Karton mit den Papiertüchern tastete. „Dasselbe könnte ich dich fragen." Er stieß sich vom Türrahmen ab und kam herein, eine Hand in die Tasche seiner grauen Flanellhose geschoben. „Bist du deswegen hier? Haben wir uns heute nicht schon genug im Kreis gedreht?" „Das kann man wohl sagen." „Was willst du dann?" „Das weiß ich, ehrlich gesagt, nicht." Obwohl sie sich dagegen wehrte, schöpfte Leila wieder Hoffnung. „Bist du möglicherweise bereit, mir zuzuhö ren, bevor du mich - uns - auf den Abfallhaufen wirfst?" Dante seufzte resigniert. „Also gut, ich höre dir zu." Daraufhin erzählte sie ihm alles, was sich in den letzten Tagen ereignet hatte. Nur dass sie schwanger war, verschwieg sie ihm, denn es sollte ihn nicht beeinflussen. „Seit Anthony zurück ist, habe ich die Fletchers ein paar Mal besucht", erklärte sie abschließend. „Und mittlerweile habe ich alle Missverständnisse aufgeklärt." „Und wie haben sie es aufgenommen?" „Es war für keinen von uns besonders angenehm." Angenehm? Es war nicht viel besser gewesen als die Begegnung mit ihm an diesem Morgen. Gloria Fletcher hatte kein Verständnis dafür gehabt, dass eine Frau - besonders eine, die ihrer Meinung nach aus einer niedrigeren Gesellschaftsschicht kam nicht in ihre Familie einheiraten wollte. Und der arme Anthony war am Boden zerstört gewesen. „Aber ich hätte es unmoralisch und unmenschlich gefunden, ihnen etwas anderes zu sagen als die Wahrheit", fügte Leila hinzu. „Das klingt alles sehr plausibel und lobenswert", erwiderte Dante, „aber soweit ich weiß, ist Amnesie nicht ansteckend. Also wie konnten seine Eltern vergessen, dass ihr beide kein Paar mehr seid?" „Weil Anthony es ihnen nie gesagt hat. Vielleicht weil er einen Tag nach unserer Trennung abgereist ist und zu viele andere Dinge im Kopf hatte oder ..." Sie zögerte, denn sie war sich nicht sicher, wie viel sie ihm von ihrer letzten Begegnung mit Anthony an jenem Abend, bevor er nach Kroatien geflogen war, erzählen sollte. Er war mit ihr auf einen Berg gefahren, von dem aus man die Stadt überblicken konnte, und hatte sie gebeten, ihn gleich nach seiner Rückkehr zu heiraten. „Aber ich kann dir alles geben", hatte er verblüfft eingewandt, nachdem sie seinen Antrag abgelehnt hatte. „Geld, Ansehen, Zutritt zu den besten Kreisen." Er hatte auf die Millionen funkelnder Lichter unter ihnen gedeutet. „Heirate mich, Leila, und das alles wird dir gehören." Er hatte nicht begriffen, dass sie ihm das, was am wichtigsten war, nicht geben konnte: ihr Herz. „Oder was?" hakte Dante nach. Als Leila seinen Blick erwiderte, sah sie, dass in seinen Augen ein skeptischer Ausdruck lag. .„Weil sein Stolz es nicht zuließ, dass Anthony mir glaubte, als ich ihm sagte, dass ich all
das nicht wollte. Genau wie dein Stolz es nicht zulässt, dass du mir glaubst, wenn ich dir sage, dass ich nur dich liebe." Dante wandte den Blick ab und sagte eine ganze Weile gar nichts Er trommelte mit den Fingern auf ihren Schreibtisch. Ging zum Fenster und sah hinaus. Räusperte sich und spielte mit der Schnur an der Jalousie. Und schließlich - endlich - drehte er sich unvermittelt zu ihr um und sagte: „Der arme Kerl! Kein Wunder, dass er nach Kroatien geflogen ist. Es muss ihm wie das Paradies erschienen sein, nachdem er dich verloren hatte." Danach konnte sie nicht mehr sagen, wer von ihnen den ersten Schritt gemacht hatte, doch es spielte auch keine Rolle. Sie ging auf Dante zu, und er nahm sie in die Arme und hielt sie fest, als wollte er sie nie wieder loslassen. Er streichelte ihr Gesicht und sagte ihr, dass er sie liebe und es ihm Leid tue, und zwischendurch küsste er sie immer wieder verlangend. Doch sie brauchte mehr - einen Beweis dafür, dass ihr Instinkt sie nicht getrogen hatte, als sie Dante kennen gelernt hatte, und dass das Schicksal immer auf ihrer Seite gewesen war. Ängstlich klammerte sie sich an ihn und betete insgeheim, dass sie in ihm dasselbe Verlangen wecken konnte, das er in ihr weckte. Denn öffneten eine Frau und ein Mann einander nicht ihr Herz, wenn sie sich miteinander vereinigten? Oder war es schlichtweg der Missbrauch weiblicher Macht, wenn ein Mann am verletzlichsten war? Nein! Leila ignorierte die Stimme des Gewissens und zog Dante das Hemd aus der Hose, um es aufzuknöpfen. So kühn wie nie zuvor presste sie die Lippen auf seine warme Haut, dort, wo sein Herz schlug, und liebkoste mit der Zunge seine Brustwarze. Er reagierte sofort darauf. Sein Herz begann schneller zu klopfen, und sein Atem ging stoßweise. Es übertraf ihre kühnsten Erwartungen. Dante begehrte sie. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass die Putzfrauen jeden Moment hereinkommen und sie entdecken konnten, sank Leila mit Dante auf ihren Schreibtisch, während die Unterlagen, die sie am Nachmittag sortiert hatte, zu Boden flatterten. Sie nahm nichts mehr wahr, außer dass sie den Reißverschluss seiner Hose herunterzog und er ihren Rock hoch- und die Hand in ihren Slip schob, um sie zu quälen. Gleichzeitig spürte sie seine heißen Lippen auf dem Hals und dann auf den Brüsten. Es war unerträglich. Sie rief seinen Namen. Daraufhin drehte er sich mit ihr um, so dass sie rittlings auf ihm saß, und drang in sie ein. Dies war kein gefühlvoller, sondern ein verzweifelter und würdeloser Akt, doch in diesem Moment wollte Leila es sich nicht eingestehen. Sie dachte, dass es genügte, um ihre Beziehung wieder zu kitten und alle Zweifel ein für allemal auszuräumen. „Ich bin nicht hergekommen, um mit dir zu schlafen", sagte Dante anschließend. „Tut es dir denn Leid?" Liebevoll zog er ihre Sachen wieder zurecht. „Das sollte es. Zu einer guten Beziehung gehört mehr als nur Sex, aber in deiner Nähe kann ich überhaupt nicht mehr klar denken. Du machst mich verrückt, Leila. Anders kann ich es nicht erklären, dass ich mich heute Morgen wie ein Idiot benommen habe." Verächtlich verzog er den Mund. „Ich bin eigentlich nicht gewalttätig, aber die Vorstellung, dass du mit einem anderen ..." „Bitte nicht wieder", unterbrach sie ihm und legte ihm die Finger auf die Lippen. „Nein, du hast Recht." Er nahm einen kleinen Samtbeutel aus der Tasche. Dank ihres Vaters verstand Leila eine ganze Menge von Edelsteinen, jedenfalls genug, um zu wissen, dass der Diamantring, den Dante in ihre Hand gleiten ließ, von vorzüglicher Qualität war. Der Diamant war lupenrein, der Ring schlicht, aber sehr elegant. „Wenn du den trägst", erklärte Dante, während er ihn ihr ansteckte, „wird jeder wissen, dass du zu mir gehörst." Noch von einer Stunde hatte sie um alles, was sie verloren hatte, geweint. Nun war sie wieder den Tränen nahe, allerdings vor Glück. Oder war das alles zu einfach gewesen und zu schnell gegangen? War es ein weiteres Beispiel dafür, dass sie egoistisch und naiv war? „Jetzt, da ich weiß, dass Fletcher aus deinem Leben verschwunden ist", fuhr er fort, als er ihr Zögern bemerkte, „spricht nichts dagegen, dass wir unsere Verlobung offiziell bekannt
geben, oder?" Diese Frage brachte all die Dämonen zurück, die Leila vorher gequält hatten. Es bedurfte mehr als eines Diamantrings, um ihre Beziehung wieder zu kitten. „Anthony ist nicht aus meinem Leben verschwunden", erwiderte sie leise. „Und warum nicht, wenn du angeblich einen Schlussstrich gezogen hast?" „Ich habe nie behauptet, dass ich einen Schlussstrich gezogen habe. Ich habe lediglich gesagt, dass ich alle Missverständnisse auf geklärt habe." „Das ist doch wohl dasselbe." Seine Augen sprühten Funken. „Halt dich von ihm fern." „Nein. Er ist mein Freund, und er braucht mich jetzt." Wütend fuhr Dante sich durchs Haar. „Er ist der Grund für unsere Probleme, verdammt noch mal!" „Nein, das ist er nicht", entgegnete sie traurig. „Wir sind der Grund dafür. Und falls du glaubst, es gibt dir das Recht, darüber zu bestimmen, wer meine Freunde sind, wenn ich deinen Ring trage, dann werden wir weiterhin Probleme haben." „Das akzeptiere ich nicht, Leila." „Dann vergiss es." Sie nahm den Ring ab und reichte ihn ihm. „Ich will nämlich keinen Ehemann, der über mich bestimmt." „Und ich will keine Frau, die ein anderer abgelegt hat!" fuhr er sie an. „Carl hatte doch Recht. Du bist nichts weiter als ein billiges..." Er verstummte, als hätte er gemerkt, dass er zu weit gegangen war, doch es war zu spät. Newbury war von Anfang an ihr erklärter Feind gewesen, aber dass er Dante so beeinflusst hatte, schockierte sie zutiefst. Langsam stand sie auf und musste sich gleich wieder an den Schreibtisch lehnen, weil ihr schwindelig wurde. „Wenn du dich von Carl Newbury beeinflussen lässt, ziehst du alles in den Schmutz, was wir gemeinsam erlebt haben", sagte sie leise. „Und ich weiß nicht, ob ich es dir je verzeihen kann." Dante wirkte beschämt, war aber offenbar zu stolz, um seine Worte rückgängig zu machen. Er hätte sich lediglich bei ihr entschuldigen müssen, dann hätte sie ihm sofort verziehen. Als sie den sturen Zug um seinen Mund und den zornigen Ausdruck in seinen Augen sah, war ihr allerdings klar, dass es keinen Sinn hatte, sich noch länger zu quälen. Innerhalb weniger Minuten hatte er die schönste Zeit ihres Lebens zerstört. Er war doch nicht der Mann ihrer Träume.
6. KAPITEL
Dante saß über den Tisch gebeugt und blickte schlecht gelaunt in sein Whiskyglas. Er war nicht in der Stimmung, die Kunden zu unterhalten, die an diesem Morgen kurzfristig aus Buenos Aires angereist waren. Carl Newbury, der ihm gegenübersaß, blickte abwechselnd zwischen ihm und den Kunden hin und her, die mit Rita und Gavin auf den Balkon des Restaurants gegangen waren, um die Aussicht zu bewundern. Schließlich räusperte er sich und sagte: „Sie sehen deprimiert aus, Boss." Kein Wunder! Er, Dante, hatte immer geglaubt, ein Frauenkenner zu sein, da er fünf Schwestern hatte, aber offenbar hatte er sich getäuscht. War es denn so abwegig, wenn ein Mann von seiner Verlobten erwartete, den Kontakt zu ihrem Exfreund abzubrechen? Natürlich hätte er niemals Carl erwähnen sollen. Er hatte noch nie Wert auf dessen Meinung gelegt und hatte seine Bemerkung nur deshalb wiedergegeben, um es Leila mit gleicher Münze zurückzuzahlen. „Dante? Stimmt etwas nicht?" bohrte Carl. „Ich bin müde", erwiderte Dante kurz angebunden. „Ich habe zur Zeit sehr viel um die Ohren." „Ah!" Newbury trank seinen Martini und verzog die Lippen. „Hat es vielleicht mit Leila Connors-Lee zu tun?" Noch vor drei Monaten hätte niemand in der Firma es gewagt, eine solche Frage zu stellen. „Wie kommen Sie darauf, mich so etwas zu fragen?" erkundigte er sich wütend. Newbury hob abwehrend die Hände. „He, tut mir Leid. Es ist nur ... na ja ..." Dante ließ sich dadurch nicht täuschen. „Na was? Nun rücken Sie schon raus mit der Sprache, Carl." Sein Gegenüber zog die Augenbrauen hoch und fischte die Olive aus seinem Martini, bevor er antwortete. „Man munkelt, dass Sie und Miss Connors-Lee sich zerstritten haben. Soweit ich weiß, hat sie Ihr Büro gestern Morgen in Tränen aufgelöst ve rlassen und ist seitdem für niemanden zu sprechen. Natürlich bin ich davon ausgegangen, dass diese Geschichte mit dem Fletcher-Erben den Ausschlag gegeben hat und Sie sie endlich durchschaut haben." Dante widerstand dem Drang, ihm einen Kinnhaken zu verpassen. Er wusste, dass einige seiner Mitarbeiter dachten, er hätte den Verstand verloren, und konnte es ihnen auch nicht verübeln. Seit dem Moment, als Leila in sein Leben getreten war, hatte er sich völlig untypisch verhalten und ständig aus irgendeinem Imp uls heraus gehandelt, und nun zahlte er den Preis dafür. Doch er wollte verdammt sein, wenn er es sich von Newbury unter die Nase reiben ließ. Nur so konnte er sich erklären, was er als Nächstes sagte: „Ich fürchte, Sie haben da etwas falsch verstanden, Carl. Leila und ich sind so gut wie verlobt." Die Lüge lohnte sich allein wegen Newburys Reaktion. „Du meine Güte!" rief er und leerte sein Glas. „Wann ist der große Tag?" „Das dauert noch", wich Dante aus, da er sich wieder in eine unhaltbare Position hatte drängen lassen. Newbury ließ sich allerdings nicht beirren. „Eins muss ich Ihnen lassen, Dante. Sie haben Mumm. Sie nach allem, was vorgefallen ist, zu heiraten ..." Er schüttelte den Kopf, mitleidig und verächtlich zugleich. „An Ihrer Stelle hätte ich nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen." Dante gab sich keinen Illusionen hin, was Carls Meinung über ihn betraf. Im Gegensatz zu ihm, der mit dem sprichwörtlichen silbernen Löffel im Mund geboren worden war, hatte er sich den Weg an die Spitze hart erkämpft. Sein Studium hatte er mit Stipendien und zahlreichen Aushilfsjobs finanziert. Im Winter- und Frühjahrssemester hatte er abends und an den Wochenenden Pizza ausgeliefert, und im Sommer hatte er sich immer in Holzfällercamps verdingt.
Was er nicht hatte, war ein ellenlanger Stammbaum, und er hatte bisher weder Zeit noch Lust gehabt, einer Verbindung beizutreten. Nach dem Tod seines Vaters hatte er sein Studium abgebrochen und als Vorarbeiter in einem Lager angefangen. Er hatte sechs Tage in der Woche zwei Schichten gearbeitet, um dafür zu sorgen, dass seine Mutter und seine fünf Schwestern ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen hatten. Doch er hatte nie seinen Traum aufgegeben, mehr aus seinem Leben zu machen als sein Vater und sein Großvater, die immer nur für andere gearbeitet hatten. Als sich ihm also die Gelegenheit geboten hatte, von Gavin Black das Importgeschäft zu erlernen und Classic Collections vor dem Bankrott zu retten, hatte er sie wahrgenommen und sich zum Gesellschafter und Generaldirektor hochgearbeitet. Er hatte seine Position durch Integrität und umsichtige Entscheidungen gesichert. Also warum erzählte er ausgerechnet Newbury, dass Leila und er so gut wie verlobt waren? Dante unterdrückte einen Seufzer und zwang sich, sich mit einer anderen unerfreulichen Tatsache auseinander zu setzen. Dass er keinen Titel besaß, hatte er durch Entschlusskraft und Stolz wettgemacht. Er konnte viel ertragen, solange niemand versuchte, seine Familie auszunutzen oder ihn zum Narren zu halten. Dass er sich vo n Newbury dazu hatte bewegen lassen, sich selbst zum Narren zu machen, konnte er sich nicht verzeihen. Doch statt sich zurückzuhalten, ritt er sich nur noch tiefer hinein. „Ich schätze, das ist der Unterschied zwischen uns, Carl", erwiderte er. „Ich weiß, was gut ist." „Die Frage ist, ob Sie genug wissen." Dein Stolz lässt es nicht zu, dass du mir glaubst, wenn ich dir sage, dass ich nur dich liebe hatte Leila ihm während ihrer Auseinandersetzung vorgeworfen, und in seinem tiefsten Inneren wusste Dante, dass sie Recht hatte. Würde er denselben Fehler immer wieder machen, bis er sie ein für allemal verloren hatte? „Falls Sie Leila meinen, weiß ich alles, was wichtig ist." „Wissen Sie auch alles über ihren Vater?" Du redest nicht gern über ihn, stimmts? Nein. Bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr diese Frage ihn aus der Fassung gebracht hatte, sagte Dante: „Ihr Vater ist tot." „Ich weiß. Mich interessiert, wie er gestorben ist - oder besser gesagt, warum." „Das sollte es aber nicht." Dante bedeutete dem Kellner, noch eine Runde Getränke zu bringen. „Schließlich heiraten nicht Sie Leila, sondern ich. Und offen gestanden, zeigen Sie für meinen Geschmack zu viel Interesse an Leilas Angelegenheiten." „Vielleicht zeigen Sie ja zu wenig. Ich habe einige Nachforschungen über sie angestellt, und das Ergebnis dürfte Sie interessieren. " „Ich bin nicht sicher, ob ich es hören will, Carl." „Oh, ich habe nichts Ungesetzliches getan, falls Sie das meinen. Aber wir haben langjährige Kontakte nach Fernost. Ein Anruf genügte, um alles über einen Mann in Erfahrung zu bringen, der so bekannt war wie der verstorbene Mr. Henry J. Lee aus Singapur. Er hat sich umgebracht und einen Haufen Schulden hinterlassen, die seine Tochter immer noch begleicht." Newburys Lachen klang beinah höhnisch. „Was die Frau im Schilde führt, ist klar. Sie ist auf der Suche nach einem Geldgeber, und wenn Sie mich fragen, wären Sie ein Narr, wenn Sie sich mit ihr zusammentun würden." Obwohl Dante gern in Erfahrung gebracht hätte, wie weit Newbury gehen würde, riet ihm sein Verstand, dem Ganzen ein Ende zu bereiten. Daher beugte er sich vor und erklärte eisig: „Ich frage Sie aber nicht, Carl. Ich habe Sie nie gefragt und werde es auch in Zukunft nicht tun. Ehrlich gesagt, finde ich es bewundernswert, dass Leila die Schulden ihres Vaters begleicht. Deswegen verstehe ich nicht ganz, was Sie eigentlich gegen sie haben, abgesehen davon, dass sie Ihrer Meinung nach einem Ihrer Kumpel einen Job weggenommen hat, den er sowieso nie bekommen hätte. Aber wenn Sie diese Hetzkampagne gegen sie fortsetzen, werde ich Sie rauswerfen, auch wenn Sie mit
Gavins Lieblingspatentochter verheiratet sind. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?" Newburys Unbehagen war beinah komisch. „Sie haben mich missverstanden, Dante! Es geht mir nur um Sie. Ich möchte nicht, dass man Sie übers Ohr haut." „Ich kann auf mich selbst aufpassen, und ich rate Ihnen, das nicht zu vergessen." Dante lehnte sich zurück und lächelte wohlwollend. „Unsere Besucher kommen zurück. Lächeln Sie, Carl, und machen Sie nicht so ein dämliches Gesicht." Er hatte das letzte Wort gehabt und Newbury zu verstehen gegeben, wer hier das Sagen hatte. Hätte er Leila doch auch so leicht abblitzen lassen können! Er hätte alles darum gegeben, wenn er sie einfach hätte vergessen können. Doch die traurige Wahrheit war, dass er sie immer noch begehrte, auch wenn sie völlig gegensätzliche Ansichten hatten, und fast alles getan hätte, um sie zu halten. Denn die Vorstellung, dass ein anderer Mann seinen Platz einnehmen könnte, brachte ihn fast um den Verstand. Leila schaffte es, Dante in den nächsten Tagen aus dem Weg zu gehen. Zum Teil lag es daran, dass er mit seinen argentinischen Kunden beschäftigt war. Der eigentliche Grund war jedoch, dass sie nicht richtig arbeiten konnte. Am Mittwoch war ihr so übel, dass sie sich kaum nach Hause schleppen konnte. „Du bist viel zu dünn, Leila", bemerkte ihre Mutter an dem Abend beim Essen. „Deine Sachen schlabbern ja richtig." „Kein Wunder", pflichtete Cleo ihr bei. „Sie hat ihr Essen kaum angerührt. Wann hast du das letzte Mal richtig gegessen, Schätzchen?" „Ich weiß nicht", erwiderte Leila gereizt. „Selbst wenn ich nicht schwanger wäre, hätte ich zur Zeit keinen Appetit." „Wenn du ihm doch bloß von dem Baby erzählen würdest!" meinte ihre Mutter missbilligend. „Sicher würdet ihr euch wieder vertragen. Wahrscheinlich war nur der Zeitpunkt ungünstig, als du ihm das mit Anthony erzählt hast." „Es kommt schon wieder ins Reine, also mach dir keine Sorgen" , sagte Leila gespielt lässig. „Und was das Essen betrifft..." Sie sah auf ihren Teller und schob ihn weg, weil ihr Magen schon wieder revoltierte. „Das ist wohl normal, wenn man schwanger ist." „Nein, ist es nicht", entgegnete ihre Mutter. „Du solltest wieder zu deiner Ärztin gehen." Sie, Leila, hatte am nächsten Morgen einen Termin, denn als sie am vergangenen Freitag in der Praxis gewesen war, hatte Dr. Dearborn nur einen Schwangerschaftstest gemacht, weil sie erkältet war, und die Untersuchung verschoben. „Das gefällt mir nicht", erklärte Margaret Dearborn, nachdem Leila ihr am nächsten Morgen die Symptome beschrieben hatte. Dass sie sich bei der nachfolgenden Untersuchung sehr viel Zeit nahm, machte Leila noch nervöser. „Wirklich schade, dass. ich Sie letzte Woche nicht gründlich untersuche n konnte", sagte die Ärztin anschließend, während sie sich eifrig Notizen machte. Erst in diesem Moment wurde Leila bewusst, wie sehr sie sich dieses Kind wünschte. „Irgendetwas stimmt nicht, oder? Sagen Sie es mir!" Sie konnte sich nicht entsinnen, je eine solche Angst gehabt zu haben. „Ihre Gebärmutter ist sehr groß, wenn man bedenkt, dass Sie in der zehnten Woche sind und es Ihre erste Schwangerschaft ist. Das und die anderen Symptome deuten darauf hin, dass Sie Zwillinge erwarten." „Zwillinge?" wiederho lte Leila verständnislos. „Ja, zwei Babys", erwiderte die Ärztin mit einem amüsierten Unterton. „Aber das wissen wir erst nach der Ultraschalluntersuchung. Vielleicht können Sie heute Nachmittag noch einen Termin bekommen." „Ich muss gleich von hier aus zur Arbeit. In letzter Zeit habe ich schon zu oft gefehlt." „Falls ich mit meiner Diagnose richtig liege - und ich bin mir zu neunzig Prozent sicher -, wird das Ihre geringste Sorge sein. Das Risiko einer Fehlgeburt ist bei Zwillingen wesentlich höher, und da Sie ohnehin schon sehr erschöpft sind, werden Sie aufhören müssen zu arbeiten." „Das geht nicht!" rief Leila, denn sie brauchte noch mindestens sechs Monatsgehälter, um
die Schulden ihres Vaters begleichen zu können. „Ich brauche das Geld." „Was ist mit dem Vater dieser Babys, Leila? Warum bekommen Sie von ihm keine finanzielle Unterstützung?" „Sicher würde er mich unterstützen, wenn er wüsste, dass ich schwanger bin", erwiderte Leila bedrückt. „Heißt das, Sie haben es ihm nicht erzählt?" Dr. Dearborn war sichtlich schockiert. „Warum nicht? Ist er verheiratet?" „Nein. Wir ... Es hat sich einfach noch nicht ergeben ..." „Haben Sie Angst davor, es ihm zu sagen? Soll ich mit ihm reden?" „Nein!" rief Leila entsetzt. Bloß das nicht! Nachdem Dante so wütend auf sie gewesen war, weil er aus der Zeitung von der Geschichte mit Anthony erfahren hatte, wie würde er dann reagieren, wenn er von einem Dritten erfuhr, dass sie ein Kind - Zwillinge - von ihm erwartete? „Genau das meine ich ja", erklärte Margaret Dearborn, während sie ihr eine Manschette zum Blutdruckmessen anlegte. „Entweder hören Sie auf zu arbeiten, oder Sie landen bald im Krankenhaus. Es sei denn, Sie möchten die Kinder nicht bekommen." „Natürlich möchte ich sie bekommen!" „Gut. Dann erzählen Sie es dem Vater, bevor er es selbst herausfindet, und bitten Sie ihn um Unterstützung. Sie können Ihren Zustand nämlich nicht mehr lange geheim halten. Und wir machen erst einmal eine Ultraschalluntersuchung. Wenn Sie heute Nachmittag noch einen Termin bekommen, möchte ich anschließend das Ergebnis mit Ihnen besprechen." Es war eine furchtbare Woche gewesen. Die Kunden aus Argentinien waren an diesem Nachmittag um zwei abgereist, und er, Dante, hatte mit dem Gedanken gespielt, sie zum Abendessen einzuladen und mit ihr zu reden. Als er jedoch in ihr Büro gegangen war, hatte er erfahren, dass sie sich am Morgen wegen einer ominösen Magenverstimmung krankgemeldet hatte. Als er sie anschließend zu Hause angerufen hatte, hatte ihre Mutter ihm mitgeteilt, Leila wäre nicht da. „Seit wann ist die Vier-Tage-Woche hier zur Regel geworden?" hatte er gekontert und den Hörer aufgeknallt. Wahrscheinlich hielt sie wieder mit Fletcher Händchen. Er hatte genug Zeit damit verschwendet, hinter ihr herzurennen, und tat besser daran, sich um seine Arbeit zu kümmern. „Stellen Sie keine Anrufe durch, Meg", wies er seine Assistentin durch die Sprechanlage an und vertiefte sich dann in die Unterlagen, die sich auf seinem Schreibtisch türmten. Dante blickte erst wieder auf, als Meg am Spätnachmittag in sein Zimmer kam. „Kann ich noch irgendetwas für Sie tun, bevor ich gehe, Dante?" Überrascht stellte er fest, dass es bereits nach sechs war. „Nein, Meg. Gehen Sie nur. Und nehmen Sie morgen frei, als Ausgleich für die Überstunden, die Sie diese Woche gemacht haben. Sicher sind Sie völlig erledigt." „Sie sehen auch ziemlich erschöpft aus", bemerkte sie, während sie die Briefe aufeinander legte, die er unterzeichnen sollte. „Die letzten Tage waren für uns alle sehr anstrengend." „Allerdings", bestätigte er sarkastisch. „Entweder das, oder hier ist etwas im Busch. Offenbar ging es Leila so schlecht, dass sie heute nicht kommen konnte." „Das überrascht mich nicht." „Eine Magenverstimmung, soweit ich weiß." „So könnte man es auch ausdrücken." Ihr Tonfall machte ihn stutzig. „Ihnen ist also aufgefallen, dass sie nicht ganz auf dem Posten war?" erkundigte Dante sich unbehaglich und wünschte, er hätte Leila nicht so schnell verdächtigt. „Das ließ sich nicht vermeiden. Abgesehen von dem Vorfall am Montag habe ich sie einige Male gesehen, als ich in der Damentoilette war und sie reingestürzt kam. Ich kenne die Symptome." „Heißt das, Sie haben denselben Virus?" „Du meine Güte, hoffentlich nicht! Zwei reichen mir völlig." Meg wich vor ihm zurück,
als hätte er ihr eröffnet, dass er Typhus hatte. „Zwei was?" fragte er und unterdrückte ein Gähnen. „Kinder", erwiderte sie. „Was denn sonst?" „Wie bitte?" „Nachwuchs. Gesetzliche Erben. Gö ren. Sie wissen schon, Dante. Ihre Schwestern haben genug, um ein eigenes Basketballteam aufstellen zu können." Offenbar sah er ziemlich verwirrt aus, denn sie fügte hinzu: „Ich spreche von Babys - der menschlichen Spezies." „Heißt das, Sie glauben, Leila sei schwanger?" Dante erkannte seine eigene Stimme kaum wieder, so heiser war sie. „O verdammt!" Meg errötete, und allein das machte ihn nervös, denn so leicht wurde Megan Norris nicht rot. Und noch seltener kam es vor, dass sie drauflosplapperte, so wie sie es jetzt tat: „Ich hätte die Klappe halten sollen. Ich dachte, Sie wüssten es ... Aber vielleicht hat sie ja auch nur die Grippe oder so etwas." „Oder so etwas", wiederholte er langsam und fragte sich, warum er es nicht gemerkt hatte, denn sie hatte Recht. In den vergangenen zehn Jahren hatte er elf Schwangerschaften miterlebt und kannte die Symptome. Also warum hatte er sie bei Leila nicht richtig gedeutet, verdammt? Oder vielmehr, warum hatte sie es ihm nicht erzählt? Weil das Baby nicht von ihm war? „Dante?" erkundigte Meg sich besorgt. „Ist alles in Ordnung?" „Klar." Er zog die Briefe, die er unterzeichnen sollte, zu sich heran. Das Baby musste von ihm sein. Wenn Leila die Wahrheit gesagt hatte, dann hatte sie Anthony vor ihrer Begegnung am Flughafen monatelang nicht gesehen. „Wollen Sie nicht für heute Schluss machen?" Falls sie die Wahrheit gesagt hatte. „Sobald ich diese Briefe unterzeichnet habe. Aber Sie können gehen, Meg." Das Baby war von ihm! Leila war noch Jungfrau gewesen, als er das erste Mal mit ihr geschlafen hatte. Aber warum hatte sie ihm dann nicht erzählt, dass sie schwanger war? Am Montagmorgen war der Zeitpunkt wirklich ungünstig gewesen, doch was war am Nachmittag gewesen, als sie sich auf ihrem Schreibtisch geliebt hatten? Oder danach, als er ihr den Ring gegeben hatte? Warum hatte sie es ihm verschwiegen? Sie musste es doch wissen. „Falls ich etwas Falsches gesagt habe, Dante", sagte Meg, „tut es mir ..." „Das haben Sie nicht", fiel Dante ihr ins Wort. „Einen schönen Abend, Megan." Er redete sie nur selten so förmlich an. Sie verstand den Wink und eilte hinaus. Sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, nahm er den gerahmten Schnappschuss von Leila heraus, den er vor fast einer Woche in der obersten Schreibtischschublade hatte verschwinden lassen. „So", sagte er leise, während er ihr makelloses Gesicht betrachtete, „du willst also weder den Ring noch mich. Aber wenn du schwanger bist, wirst du keine andere Wahl haben. Ich mache dir ein Angebot, das du nicht ablehnen kannst, um es mit einem bekannten Filmzitat zu sagen. Denn ein Kind von mir wird nicht unehelich geboren werden." Dante legte das Foto wieder in die Schublade, nahm den Hörer ab und wählte wieder ihre Nummer. Diesmal nahm ihre Mutter ab. „Sie ist leider nicht da", erwiderte sie auf seine Frage, ob er Leila sprechen könne. „Tatsächlich? Ich dachte, sie wäre krank, aber offenbar geht es ihr schon besser." „Hm ... ja." Die Arme wirkte ziemlich unbehaglich. „Sie musste jeden Moment zurückkommen. Soll ich ihr etwas ausric hten, Dante?" „Ja. Sagen Sie ihr, dass ich gern beim Abendessen etwas mit ihr besprechen möchte und sie in ungefähr einer Stunde abhole. Und falls Sie vorher noch einmal mit ihr sprechen und sie beschließt, noch andere Dinge zu erledigen, bevor sie nach Hause kommt, richten Sie ihr bitte aus, dass ich auf sie warten werde -wenn es sein muss, den ganzen Abend."
7. KAPITEL Ein Abendessen mit Dante? Das kam überhaupt nicht in Frage! „Nein, Mutter", sagte Leila. „Ich will ihn nicht sehen, nicht heute Abend." „Ich glaube, du hast keine andere Wahl, Leila. Er klang sehr entschlossen. Und du kannst ihm nicht ewig aus dem Weg gehen." „Ich kann ihn anrufen und absagen." „Spar dir die Mühe, Schätzchen", ließ sich Cleo vernehmen, die durch die Spitzengardine nach draußen spähte. „Er kommt gerade." Leila fragte sich, warum es sie überraschte. Schließlich hatte sie ihr,. Leben schon seit Wochen nicht mehr im Griff. Das Problem war nur, dass es ihr erst heute bewusst geworden war. Alles fiel ihr schwer, und sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Wie sollte sie die restlichen Schulden ihres Vaters abzahlen, wenn sie nicht arbeiten konnte? Wo sollte sie wohnen? Cleos Haus bot kaum genug Platz für drei Personen. Und wie sollte sie Dante klarmachen, dass sie Zwillinge von ihm erwartete? „Haltet ihn auf", wies sie ihre Mutter und Cleo an. „Ich brauche etwas Zeit, um mich darauf vorzubereiten." Als sie nach Hause gekommen war, hatte draußen ein Fremder auf sie gewartet. Obwohl sie ihm noch nie zuvor begegnet war, hatte sie ihn sofort erkannt, denn Inkassobeauftragte sahen überall gleich aus. Inzwischen hatte sie jedoch gelernt, mit ihnen umzugehen. „Verschwinden Sie", hatte sie zu ihm gesagt und sich an ihm vorbeigedrängt. „Ich komme den Forderungen der Gläubiger nach, so schnell ich kann. Also verlassen Sie bitte unser Grundstück, und belästigen Sie uns nicht wieder." Der Mann war gegangen, weil er gesetzlich dazu verpflichtet war. Doch man würde bald wieder jemanden schicken. Sie werden immer wieder jemanden schicken, bis ich den letzten Cent zurückgezahlt habe, dachte Leila, als sie fünf Minuten später aus der Dusche kam und zum Kleiderschrank ging, um etwas Bequemes herauszusuchen. Und bis zu diesem Morgen war es ihr auch gar nicht so aussichtslos erschienen. Doch ihre Schwangerschaft hatte alles verändert. Sie, Leila, hatte bereits vor der Besprechung mit Margaret Dearborn gewusst, dass deren Diagnose stimmte, denn selbst ihr ungeschultes Auge hatte bei der Ultraschalluntersuchung erkannt, dass dort zwei kleine Herzen schlugen. Nichts von alldem hatte allerdings etwas an der Tatsache geändert, dass ihr Traum von einer glücklichen Zukunft mit Dante wie eine Seifenblase zerplatzt war. Während ihrer Auseinandersetzung mit ihm am vergangenen Montag war ihr klar geworden, dass ihre Beziehung keine solide Basis hatte. Sicher, das Verlangen war genauso stark wie eh und je. Und sie liebte ihn noch immer. Sie fürchtete sogar, dass sie nie aufhören würde, ihn zu lieben. In der Hinsicht ähnelte sie ihrer Mutter sehr: Ihr genügte ein Mann fürs Leben, und sie konnte sich nicht vorstellen, je bei einem anderen diese körperliche, geistige und seelische Übereinstimmung zu finden wie bei Dante. Doch sie glaubte nicht länger daran, dass das Schicksal auf ihrer Seite war. Die Wirklichkeit hatte ihre Vorstellungen vom Paradies verdrängt. „Leila", rief ihre Mutter und klopfte an die Tür, „Dante wird langsam ungeduldig." „Ich komme sofort." Leila nahm ein Outfit nach dem anderen aus dem Schrank, verwarf jedoch alles wieder, weil ihr kaum noch etwas davon passte. Das Einzige, in dem sie nicht wie eine Wurst in der Pelle aussah, war ein gerade geschnittenes dunkelgelbes Shiftkleid aus Seide mit einer dazu passenden Jacke. Eigentlich war es viel zu schick für den Anlass, doch es saß hervorragend, weil es keine Falten warf, und die Jacke kaschierte ihren runden Bauch. Nachdem Leila eine Perlenkette angelegt und in ihre hellen Wildlederpumps geschlüpft war, atmete sie einmal tief durch, um sich gegen ihre Begegnung mit Dante zu wappnen. Ihre Mutter hatte Recht: Sie musste es ihm endlich sagen.
Plötzlich wurde ihr wieder übel, und sie eilte ins Bad. Sie hasste diese Begleiterscheinung ihrer Schwangerschaft, denn es war so peinlich, sich ständig übergeben zu müssen. Das Haus war klein, und das Bad befand sich neben der Treppe. Das Wohnzimmer lag direkt darunter. Ob Dante sie hören konnte? Als es vorbei war, richtete sie sich auf und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, womit sie sich natürlich prompt das dezente Make- up ruinierte. Doch was spielte es schon für eine Rolle, wo sie so viele dringlichere Probleme hatte? Als sie das Wohnzimmer betrat, saß Dante auf dem Sofa und plauderte mit ihrer Mutter und Cleo, stand aber sofort auf. „Du siehst sehr gut aus", sagte er, doch sein Lächeln wirkte nicht ganz echt, und sein Blick war abschätzend. „Ich hatte nicht damit gerechnet, dich heute Abend zu sehen", erklärte Leila nervös, sobald sie im Wagen saßen. „Warum willst du mit mir essen gehen?" „Weil wir unbedingt miteinander reden müssen. Wir können die Dinge wohl kaum auf sich beruhen lassen oder so tun, als wäre nichts passiert. Schließlich arbeiten wir in derselben Firma und laufen uns zwangsläufig ständig über den Weg. Ich finde, wir sollten ganz offen über alles sprechen und uns darauf einigen, wie es weitergehen soll." „Was meinst du mit ,alles'?" „Das wollte ich gern von dir hören." Dante umklammerte das Lenkrad so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Leila wurde noch nervöser. Sie hatte sich nicht getäuscht. Er war wütend auf sie. „Bist du sauer auf mich - ich meine, abgesehen davon, dass wir uns gestritten haben?" „Sollte ich denn sauer sein?" „Nein." Nun wurde sie auch ärgerlich. „Und falls du vorhast, alle Fragen mit einer Gegenfrage zu beantworten, kannst du mich gleich wieder nach Hause fahren. Für solche Spielchen fehlt mir nämlich die Energie." Nach einer Weile erwiderte er lässig: „In letzter Zeit wirkst du sowieso ziemlich ausgepowert. Soweit ich weiß, warst du auch heute nicht in der Firma. Willst du mir sagen, warum?" „Ich hatte mehrere Termine", erwiderte sie kurz angebunden, denn im Auto wollte sie es ihm nicht erzählen. „Ach so." Da sie nicht weiter darauf einging, fügte er schließlich hinzu: „Und was macht dein guter Freund Mr. Fletcher? Oder hattest du keine Zeit für ihn, weil du so beschäftigt warst?" „Zufälligerweise geht es ihm schon wesentlich besser", sagte sie in demselben ironischen Tonfall. „Ich habe gestern kurz mit ihm gesprochen, und er hat mir erzählt, dass sein Erinnerungsvermögen allmählich wieder einsetzt. Er erinnert sich zwar nicht mehr an die Tage vor dem Unglück, aber daran, was vor seiner Abreise passiert ist. Er weiß, dass wir nie verlobt waren und ich seinen Heiratsantrag abgelehnt habe." Dante hielt an einer roten Ampel und trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad. „In der Hinsicht bekommst du langsam Übung, stimmts? Erst Fletcher, dann ich." „Ich habe seinen Antrag abgelehnt, weil ich Anthony nie geliebt habe!" rief sie, empört darüber, dass er immer nur das Schlechteste von ihr dachte. „Das war bei dir nicht der Fall." „Was dann?" „Wir beide haben Probleme, die es uns unmöglich machen, miteinander glücklich zu sein." „Was für Probleme, Leila?" „Zum Beispiel dass du mir nicht vertraust. Ich liebe dich, Dante, aber du glaubst Carl Newbury offenbar eher als mir." Er wirkte beinah betreten. „Newbury ist ein Idiot, und seine Meinung interessiert mich nicht. Es war nicht richtig von mir, ihn in unserer Auseinandersetzung zu erwähnen und anzudeuten, dass ich mich in irgendeiner Weise von ihm beeinflussen lasse." „Das freut mich zu hören", erwiderte Leila leise und wünschte, er würde seinen Worten Taten folgen lassen und ihr mit irgendeiner zärtlichen Geste beweisen, dass sie einander doch nicht fremd geworden waren.
Dante schwieg allerdings, und mit jeder Minute, die verging, schienen sie sich noch mehr voneinander zu entfernen. Als er schließlich etwas sagte, machte es die Situation auch nicht besser. „Leider ändert das nichts an der Tatsache, dass wir einen toten Punkt erreicht haben. Entscheidend ist, dass wir eine Urlaubsromanze hatten, die an sich ganz harmlos war. Unser Fehler war, zu glauben, dass wir eine Ehe darauf gründen können, und das war hauptsächlich meine Schuld. Ich habe genug Geschäfte abgeschlossen, um zu wissen, dass kein Vertrag Bestand hat, wenn er nicht auf Logik und nüchternen Fakten basiert." „Und was ist mit Gefühlen oder Vertrauen? Basiert eine Vereinbarung aus Treue und Glauben nicht genau darauf?" „Dafür ist kein Platz, wenn es um bindende Verträge geht. Gefühle sind zu vergänglich, und Vertrauen muss erst einmal bewiesen werden." Am Nachmittag hatte es geregnet, aber nun war es trocken, und die untergehende Sonne färbte den Himmel im Westen zartrosa. Die Weiden schlugen aus, und der Flieder stand bereits kurz vor der Blüte. Es war ein Abend für Liebende. Doch Dante und sie, die einander noch vor einer Woche über alles geliebt hatten, saßen wie Fremde nebeneinander. Es war so traurig, dass Leila hätte weinen mögen, und sie musste sich beherrschen, um ihn nicht anzuflehen, dass er nicht so schnell aufgeben, sondern mit ihr kämpfen sollte statt gegen sie. Sie hatte allerdings auch ihren Stolz, und lieber wäre sie gestorben, als sich anmerken zu lassen, wie tief er sie verletzt hatte. „Wahrscheinlich hast du Recht", sagte sie daher mühsam beherrscht. „Aber du kannst unsere Affäre nicht einfach wie ein geplatztes Geschäft abschreiben, denn sie ist noch nicht zu Ende." Dante fuhr vor dem Restaurant vor und hielt an. „Tatsächlich? Und warum nicht?" „Es gibt da etwas, das du nicht weißt. Ich hätte es dir längst sagen müssen." Er stieg aus, warf dem Hausdiener die Schlüssel zu und kam um den Wagen herum, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein. „Brauche ich einen Drink, bevor du dein Herz erleichterst?" „Dein Feingefühl überwältigt mich", erwiderte Leila ärgerlich. „Wenn du meine Gesellschaft so unerträglich findest, warum hast du mich dann überhaupt eingeladen? Wir sind wohl beide nicht in der Stimmung für ein romantisches Essen zu zweit." „Du hast Recht, aber jetzt sind wir hier, und ich würde gern etwas essen." „Es kann gut sein, dass dir der Appetit vergeht, wenn ich es dir sage. Bei mir war es zumindest der Fall." Dante hakte sie unter und führte sie die Treppe hoch ins Restaurant. „Dann bestelle ich mir zuerst einen Drink." Sobald sie am Tisch saßen, vertiefte er sich in die Speisekarte und blickte nur kurz auf, um zu fragen: „Möchtest du einen Cocktail, oder soll ich eine Flasche Wein bestellen?" Cocktails hatte Leila noch nie gemocht. Doch in diesem Moment hätte sie, ohne mit der Wimper zu zucken, einen doppelten Scotch trinken können, denn unter seinem gleichgültigen Blick wurde sie immer mutloser. Daher war es umso besser, dass sie schwanger war und Alkohol sowieso nicht in Frage kam. „Weder noch, danke", erwiderte sie. „Ich nehme ein Mineralwasser." Er nickte dem Kellner zu, der neben ihm stand. „Ein Mineralwasser für meine Kollegin und einen Scotch mit Eis für mich." Dass er sie als Kollegin bezeichnete, verletzte sie zutiefst. „Wie konnte das passieren, Dante? Vor weniger als einer Woche waren wir noch ein Paar, und jetzt sind wir nur noch Kollegen." „Na ja, wir haben uns darauf geeinigt, dass du nicht mehr meine Zukünftige bist. Dich als Sexualpartner zu bezeichnen finde ich geschmacklos, und aus dem Alter, in dem ich Frauen als Freundinnen bezeichnet habe, bin ich raus. Also wie soll ich dich nennen?" „Ich weiß nicht", sagte sie traurig. „Ich weiß nur, dass du es mir nicht leicht machst." „Falls du darauf wartest, dass ich dich anflehe, dich mir anzuvertrauen, verschwendest du
deine Zeit, Schätzchen. Ich habe mich diese Woche schon einmal vor dir auf die Knie geworfen und habe keine Lust, es wieder zu tun. Also spuck es aus, oder lass es." „Oh, ich werde es dir sagen." Es gefiel ihr nicht, wie er sie Schätzchen nannte - als hätte er sie in irgendeiner Bar aufgegabelt. „Ich höre zu", sagte Dante. Leila trank einen Schluck Wasser. „Erstens werde ich bei Classic Collections aufhören. Am Montagmorgen werde ich meine Kündigung einreichen." „Wir werden schon einen Ersatz für dich finden, keine Angst. Mich interessiert vielmehr, warum du beschlossen hast zu kündigen." Sie blickte auf ihre Hände, die sie krampfhaft im Schoß gefaltet hatte. „Weil ich schwanger bin, Dante." Halleluja, sie hatte es endlich ausgespuckt! „Ja", erwiderte Dante ruhig. „Ich weiß." Wie er nicht anders erwartet hatte, war Leila schockiert. „Du weißt es?" brachte sie hervor. „Das ist unmöglich! Ich habe es niemandem erzählt... Hat meine Mutter etwa ...?" „Ich bin kein Idiot, Leila. Ich habe es selbst herausgefunden, und Megan Norris hat mir ein bisschen auf die Sprünge geholfen." Er musste ihr ja nicht sagen, wie sehr Meg ihm auf die Sprünge geholfen hatte. Leila funkelte ihn an. „Und warum hast du dann nichts gesagt?" „Weil ich sehen wollte, wie lange du brauchst, um es mir zu sagen. Und ich glaube, ich habe es herausgefunden." „Es gibt nichts herauszufinden, Dante." Die Röte wich aus ihrem Gesicht, und nun wurde Leila blass. „Es sei denn, du willst damit andeuten, dass das Kind nicht von dir ist." „Oh, es ist vo n mir, aber du wünschst offenbar, es wäre nicht der Fall. Wahrscheinlich wäre es dir lieber, wenn es von Anthony Fletcher wäre." „Das ist absurd!" rief sie, und für einen Moment hätte er ihr fast geglaubt. Doch dann fuhr sie fort: „Erstens interessiert Ant hony sich nicht mehr für mich. Er hat in Kroatien jemanden kennen gelernt, eine englische Krankenschwester, die dort fürs Rote Kreuz arbeitet. Er will so bald wie möglich dorthin zurückkehren und sie suchen." Dante war zutiefst enttäuscht. „Wie rücksichtslos von ihm! Gerade wenn du ihn am meisten brauchst, verliebt er sich plötzlich in eine andere." Einen Moment lang fragte er sich, ob er zu weit gegangen war, denn sie war aschfahl geworden, und er hatte Angst, dass sie wieder ohnmächtig wurde. Beinah hätte er die Hand ausgestreckt und ihr versichert, sie solle sich keine Sorgen machen, er würde sich um sie kümmern. Doch sie sprang auf und nahm ihre Handtasche vom Tisch. „Offenbar habe ich mich in dir getäuscht, denn du bist überhaupt nicht in der Lage, über deinen maßlosen Stolz und deine unbegründete Eifersucht auf Anthony hinauszublicken. Danke für die Einladung zum Essen, aber mir ist nicht danach. Du brauchst mich auch nicht nach Hause zu bringen. Ich rufe mir ein Taxi." „Setz dich!" befahl er scharf. Aber Leila zuckte nicht einmal mit der Wimper. Sie wandte ihm den Rücken zu und verließ hoch erhobenen Hauptes das Restaurant. Wutentbrannt sprang er ebenfalls auf und lief ihr hinterher. Er holte sie rechtzeitig ein, um zu sehen, wie sie durch eine Tür in der Nähe des Eingangs verschwand. Er riss die Tür auf und folgte Leila in den Raum. „Lauf nicht vor mir weg!" fuhr er sie an. „Das ist mein Kind, ob es dir gefällt oder nicht, und ich lasse mich nicht abschieben, nur weil ich dir nicht ritterlich genug bin." „Verschwinde!" zischte sie. „Du bist in der Damentoilette." Als Dante sich umsah, stellte er fest, dass sie Recht hatte. „Das kümmert mich einen Dreck!" In dem Moment kam eine Frau mittleren Alters mit einer neuen Dauerwelle aus einer der Toiletten. „Vielleicht", sagte sie und musterte ihn abschätzig, „erwartet sie zu Recht mehr. Ich weiß nicht, auf welche Benimmschule Sie gegangen sind, junger Mann, aber ich hoffe, sie hat
inzwischen geschlossen." Wütend funkelte er sie an. „Warum kümmern Sie sich nicht um Ihre Angelegenheiten?" Leila seufzte leise und eilte in eine Toilette. Ohne auf den entsetzten Aufschrei der anderen Frau zu achten, folgte er ihr hinein und hielt sie fest, bis sie sich nicht mehr erbrach. „Bitte geh", sagte sie matt. „Ich möchte nicht, dass du mich so siehst." „Glaubst du, ich sehe zum ersten Mal, wie eine Frau sich übergibt?" Er führte sie zu den Waschbecken und füllte einen Pappbecher mit Wasser. „Ich habe fünf Schwestern, und alle haben dieselbe Vorstellung geliefert, als sie schwanger waren. Hier, spül dir den Mund aus." „Das sollten Sie auch tun", erklärte die neue Dauerwelle scharf. Offenbar war sie so fasziniert von dem Drama, das sich hier abspielte, dass es sie nicht kümmerte, ob ihr Essen kalt wurde. „Ich werde den Geschäftsführer rufen und Sie hinauswerfen lassen." „Das erspare ich Ihnen", erwiderte er und führte Leila zur Tür, wobei er sie stützte. „Bitte fahr mich nach Hause", bat sie, nachdem er sie in seinen Wagen verfrachtet hatte. „Nein. Erstens musst du etwas essen, und zweitens haben wir noch etwas zu besprechen." „Ich kann nicht essen", entgegnete sie. „Allein der Gedanke daran ..." „Dann wirst du etwas trinken", verkündete er und fuhr mit ihr zu einem Schnellrestaurant, das er aus seiner Studienzeit kannte und wo es die besten Milchshakes der Welt gab. „Vanille für die Lady und Schokolade für mich", sagte er zur Kellnerin, nachdem Leila und sie in einer Nische in der Nähe der Toiletten Platz genommen hatten. Erst als die Kellnerin ihnen die Getränke brachte, bemerkte Leila: „Dass du Milchshakes trinkst, passt nicht zu dir." „Damit wären wir wieder beim Thema", erwiderte Dante. „Wir kennen einander nicht annähernd so gut, wie wir dachten, stimmts? Warum hast du mir beispielsweise nicht schon am Montag erzählt, dass du schwanger bist?" „Weil ich dich damit nicht unter Druck setzen wollte. Aber mir ist klar, dass es dein gutes Recht war, von der Schwangerschaft zu erfahren." „Schade, dass du nicht zu dem Schluss gekommen bist, bevor die halbe Firma Bescheid wusste." Sie seufzte und stützte den Kopf in die Hand. „Eigentlich ist es kein Wunder, dass es durchgesickert ist, so wie ich meine Arbeit in letzter Zeit vernachlässigt habe." „Und was ist nun mit mir?" Leila schob ihren Milchshake weg. „Ich erwarte nicht, dass du mich heiratest, falls du das meinst. Du hast mir bereits deutlich zu verstehen gegeben, dass du nichts für mich empfindest, und ich..." Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und er wünschte, sie würde ihn nicht ansehen. „Was?" erkundigte er sich schroff. „Ich habe Angst vor der Zukunft", gestand sie und verlor jetzt vollends die Fassung. „Ich könnte sagen, dass ich meine Meinung geändert habe und wir trotzdem heiraten sollen, aber ich würde es aus den falschen Gründen tun." Eigentlich hätte er froh sein müssen, weil sie nicht versuchte, ihn hereinzulegen. Stattdessen war er furchtbar niedergeschlagen. „Also was willst du, Leila?" Sie zögerte einen Moment. „Ich brauche ein Darlehen", brachte sie schließlich hervor. „Ich bitte dich nur ungern darum, weil es so berechnend klingt... Aber ich muss aufhören zu arbeiten, weil..." Nun liefen ihr die Tränen über die Wangen und fielen auf den Tisch. „Sprich weiter", forderte Dante sie auf. „Weil ich Zwillinge erwarte und das Risiko einer Fehlgeburt sehr hoch ist, wenn ich weiterarbeite." „Wie bitte?" fragte er entsetzt. „Ich bekomme Zwillinge." „Und alles, was du von mir verlangst, ist Geld?" „Es wäre ja nur ein Darlehen", bekräftigte sie. „Ich zahle dir das Geld zurück, sobald die Babys da sind und ich wieder arbeiten kann. Meine Mutter und Cleo werden sich dann um sie
kümmern. Ich würde dich nicht fragen, aber ich weiß nicht, an wen ich mich sonst wenden soll, Dante. Ich bin nicht kreditwürdig, und..." In dieser Woche war einiges zwischen ihnen vorgefallen. Sein Stolz war ihm manchmal im Weg, und vielleicht war er ein bisschen zu hart gewesen. Doch angesichts ihres Kummers hatten sich seine Zweifel immer mehr zerstreut. Leila wirkte so zerbrechlich und war trotz allem immer noch so schön, dass er fast geglaubt hatte, sie könnten dort weitermachen, wo sie aufgehört hatten. Bis Leila ihm zu verstehen gegeben hatte, dass sie in ihm nur einen Kreditgeber sah. „Ich leihe dir das Geld", erklärte Dante mühsam beherrscht. Entweder merkte sie nicht, wie wütend er war, oder es kümmerte sie nicht. „Danke, Dante", erwiderte sie erleichtert. „Ich weiß, wie hoch die Zinsen sind, und ich bin gern bereit ..." „Zu meinen Bedingungen, Leila. Ich werde für unsere Kinder zahlen und die Schulden begleichen, die dein Vater hinterlassen hat. Und als Gegenleistung ..." „Was weißt du über meinen Vater?" flüsterte sie und sah ihn entsetzt an. „Genug, um froh zu sein, dass ich anders bin als er. Ich würde mir niemals ein Gewehr an den Kopf setzen und es einer Frau überlassen, den Schlamassel zu beseitigen, den ich angerichtet habe. Also, um auf unsere Vereinbarung zurückzukommen ... Ich werde mich ums Finanzielle kümmern, und du wirst die perfekte Gattin. Kurzum, wir werden noch in diesem Monat heiraten, und niemand braucht zu erfahren, dass wir beide nicht besonders versessen darauf sind." „Das kann ich nicht!" protestierte Leila. „Ich werde es nicht tun. Heutzutage muss kein Mann eine Frau heiraten, weil sie schwanger ist." „Und ein Rossi lässt nicht zu, dass sein Kind unehelich geboren oder in Pflege gegeben wird, während seine Mutter putzen geht." Sie schauderte und legte sich die Hände auf den Bauch, als müsste sie die Kinder vor ihm schützen. „Nein!" „Ich verstehe dich nicht, meine Liebe", bemerkte Dante bitter. „Du behauptest, du würdest immer noch etwas für mich empfinden. Du erwartest Zwillinge von mir. Und alles, was ich als Gegenleistung für meine Investition von dir verlange, ist, dass du Mrs. Dante Rossi wirst. Was ist daran so schlimm?"
8. KAPITEL
Leila wusste keinen Grund, warum sie Dante zurückweisen sollte, denn sie musste ihm Recht geben. Der wichtigste Grund war jedoch, dass sie ihn liebte - vielleicht ungerechtfertigterweise in Anbetracht der Tatsache, wie er ihre Beziehung einschätzte, und auf jeden Fall unvernünftigerweise. Das Entscheidende war, dass sie Dante wollte und brauchte. Sie hatte keine Lust mehr, gegen den Strom zu schwimmen und allein mit ihren und den Problemen anderer fertig zu werden. Und wenn er ihre Gefühle nicht in gleichem Maße erwiderte? Konnte sie mit einem Ehemann zusammenleben, der sie nur als Investition und Mutter seiner Kinder betrachtete? Als sie aufblickte, stellte sie fest, dass Dante sie kühl musterte - ganz der harte Geschäftsmann, der im Begriff war, einen Abschluss zu tätigen, und keinen Deut nachgeben wollte. Doch die unwiderstehliche Anziehungskraft, die er bereits bei ihrer ersten Begegnung auf sie ausgeübt hatte, war immer noch da, und es knisterte förmlich zwischen ihnen. War es dann nicht vernünftig, sein Angebot anzunehmen? War es nicht das Beste für die Babys, in eine richtige Familie hineingeboren zu werden? Vielleicht verliebte Dante sich ja irgendwann wieder in sie, wenn ihre Liebe stark genug für sie beide war. „Einverstanden, Dante", sagte Leila daher schnell, bevor sie es sich wieder anders überlegte. „Wir werden heiraten." Sie zwang sich, auch einen sachlichen Ton anzuschlagen, denn im Gegensatz zu seinem ersten, leidenschaftlichen Heiratsantrag lief dieser lediglich auf eine Geschä ftsverbindung hinaus. Dante musterte sie weiterhin kühl, und als sie glaubte, sein Schweigen nicht länger zu ertragen, erwiderte er: „Du bist also zu haben, wenn der Preis stimmt." Seine Worte brachen ihr das Herz, zumal sie von seinem Standpunkt aus gerechtfertigt waren. Sie hatte ihn nicht belogen, als er sie damals gefragt hatte, ob es einen anderen Mann in ihrem Leben gäbe, aber sie war auch nicht ganz ehrlich gewesen. Als sie ihm begegnet war und sich Hals über Kopf in ihn verliebt hatte, war alles andere in den Hintergrund getreten Anthony, der Selbstmord ihres Vaters und die Lebenssituation ihrer Mutter. Wäre sie von Anfang an ehrlich zu ihm gewesen, hätten sich die Dinge vielleicht nicht so kompliziert. Ohne es zu wollen, hatte sie das Vertrauen zerstört, das sich zwischen ihnen aufgebaut hatte. Daher war es an ihr, etwas daran zu ändern. Falls Dante noch etwas für sie empfand, würde sie darauf aufbauen und versuchen, ihn zurückzugewinnen, denn sie wollte ihn auf keinen Fall verlieren. „Ich tue es nicht des Geldes wegen", erklärte Leila. „Ich tue es für uns, weil ich trotz allem glaube, dass wir eine gute Ehe führen können, wenn wir uns Mühe geben." „Es wird dir nicht leicht fallen, mich davon zu überzeugen, Schätzchen", erwiderte er, „aber du solltest tunlichst alle anderen davon überzeugen. Du hast mich nämlich zum letzten Mal zum Narren gehalten, und ich möchte nicht, dass die Leute über mich lachen oder mich bemitleiden, weil ich das auslöffeln muss, was der andere Typ dir eingebrockt hat." Seine Worte verletzten sie sehr. Vergiss nicht, warum du um ihn kämpfst, sagte sie sich. Vergiss nicht, dass du in deinem tiefsten Inneren glaubst, dass er dich auch noch liebt. In diesem Moment war ihr noch nicht klar, wie schwer es sein würde, an diesem Glauben festzuhalten, denn was folgte, war der reinste Albtraum. Gleich am nächsten Morgen fing es an. Leila war in ihrem Büro und räumte gerade ihren Schreibtisch aus, als die Tür aufging und Gail hereinstürmte. „Leila!" rief sie. „Ich freue mich so für Sie!" Leila blinzelte verwirrt. „Warum?" „Nun tun Sie doch nicht so. Glauben Sie, ich hätte es nicht längst gewusst? Aber jetzt ist es offiziell, und ich möchte Ihnen als Erste gratulieren. Ein Mann wie Dante hätte unter hundert Frauen wählen können, aber er hat sich für Sie entschieden. Es ist schön, zu wissen, dass er
auch ein Herz und Köpfchen hat." „Sie haben also gehört, dass wir ...?" begann Leila matt. „Dass Dante und Sie verlobt sind? Ja! Alle haben es heute Morgen gelesen ..." Plötzlich verstummte Gail und schlug die Hand vor den Mund. „Außer Ihnen offenbar. Haben Sie das interne E-Mail- Rundschreiben noch nicht gelesen?" „Nein", erwiderte Leila, denn sie wollte einfach nicht glauben, dass Dante diesen Weg gewählt hatte, um ihre Verlobung bekannt zu geben. Doch als sie ihren Computer einschaltete und die Nachrichten las, stellte sie fest, dass er es tatsächlich getan hatte. Zwischen zwei Memos stand dort die Nachricht: „Ich freue mich, Ihnen bekannt zu geben, dass Leila Connors-Lee und ich in Kürze heiraten werden. Dante Rossi". Verblüfft blickte Leila auf den Monitor. Falls er die Absicht gehabt hatte, ihre Verlobung herabzusetzen, so war es ihm gelungen. Während sie seine Anweisung befolgen musste, allen den Eindruck zu vermitteln, dass es die Liebesheirat des Jahrhunderts sein würde, hatte er überhaupt keine Skrupel, es als triviales Ereignis darzustellen. „Sie strahlen nicht gerade vor Freude." Gail betrachtete sie mitfühlend. „Sie sind immer noch angeschlagen, stimmts?" „Ja", bestätigte Leila. „Und den Grund dafür kennen Sie ja: Ich bin schwanger. Alle anderen Einzelheiten aus meinem Privatleben scheinen in der Firma auch allgemein bekannt zu sein." Gail wirkte unbehaglich. „Tut mir Leid, ich wollte nicht aufdringlich sein." „Das waren Sie auch nicht." Sofort verspürte Leila Gewissensbisse. Bisher hatte sie in Vancouver kaum Freunde gefunden, doch Gail war von ihrem ersten Arbeitstag an ihre Verbündete gewesen und hatte es daher nicht verdient, so behandelt zu werden. „Tut mir Leid, ich bin nun mal hypersensibel. Meine Ärztin meinte, das wäre bei Schwangeren ganz normal, aber es ist keine Entschuldigung dafür, dass ich meinen Frust an Ihnen auslasse." „He, wozu sind Freunde denn da?" Gail drückte ihr den Arm. „Jedenfalls sind Sie das Beste, was dieser Abteilung je widerfahren ist. Dass eine Frau Nachfolgerin eines leitenden Einkäufers geworden ist und bei ihrem ersten Auftrag so viel Erfolg hatte, hat die weiblichen Mitarbeiter hier enorm motiviert." „Danke." Leila rang sich ein Lächeln ab. „Freut mich, dass ich wenigstens zu etwas nutze bin." „Sie sind klasse, und Dante ist offenbar auch der Meinung. Ich arbeite seit fast vier Jahren hier, und in der Zeit habe ich viele Frauen gesehen, die ganz vernarrt in ihn waren. Aber er hat es nie registriert, sondern war immer ganz der Geschäftsmann. Und als Sie dann kamen ... Peng! Sie haben ihn mit einem Schuss erledigt." Gail seufzte glücklich. „Ich gehe jetzt lieber wieder an meinen Schreibtisch, denn das Telefon klingelt in einer Tour. Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie irgendetwas brauchen, Leila. Milch, ein Mittel gegen Magenbeschwerden - ich habe alles da." Ja, sie, Leila, brauchte tatsächlich etwas, doch es war nichts dergleichen. Gestern hatte Dante seine Bedingungen dargelegt, heute war sie an der Reihe. Falls er glaubte, dass sie aufgrund ihrer Herkunft dazu neigte, sich von einem Mann als Fußabtreter benutzen zu lassen, hatte er sich getäuscht. „Hatten wir einen Termin?" fragte Dante, als sie wenige Minuten später unangemeldet sein Büro betrat. „Nein, Dante", erwiderte sie. „Ich glaube auch nicht, dass ich einen Termin brauche, wenn ich zu meinem zukünftigen Ehemann will. Und genauso wenig erwarte ich, dass er unsere Verlobung ohne meine Einwilligung in der ganzen Firma bekannt gibt. Oder fandest du es nicht so wichtig, dass ich unsere Privatangelegenheiten vielleicht nicht an die Öffentlichkeit tragen möchte?" „Ich hatte jedenfalls keine Ahnung, dass du es geheim halten wolltest", erklärte er ungerührt. „Aber wenn man bedenkt, wie bedeckt du dich in der Hinsicht gehalten hast, hätte ich es mir vielleicht denken können."
„Mir ist es egal, ob die ganze Welt von unseren Hochzeitsplänen erfährt. Mich stört nur die Art, wie du es getan hast." „Tatsächlich?" Er klopfte mit dem Stift auf den Schreibtisch. „Es war kurz und sachbezogen, und ich habe dich in keinster Weise beleidigt." „Das würde auch auf ein Beileidsschreiben zutreffen", konterte sie. „Allerdings wäre es ziemlich taktlos." „Sollte ich einen Piloten engagieren und es in den Himmel schreiben lassen?" meinte er spöttisch. „Tut mir Leid, aber unsere vermeintlich heiße Affäre ist hier nicht mehr das Gesprächsthema Nummer eins. Allerdings bin ich Generaldirektor und Gesellschafter dieser Firma, und daher gebietet es die Höflichkeit, dass ich meine Mitarbeiter darüber informiere. Und so habe ich einen Weg gewählt, auf dem ich alle erreiche." „Es war nicht gerade romantisch." „Was ist romantisch an einer Ehe wie unserer?" Dante zuckte die Schultern. „Du hättest mich doch nie um Hilfe gebeten, wenn du sie woanders gefunden hättest. Von deiner Schwangerschaft hast du mir erst erzählt, nachdem ich dich in die Enge getrieben hatte. Ich habe es zuerst von einer Mitarbeiterin erfahren, verdammt! Wenn ich es recht bedenke, habe ich fast alles, was dein wahres Ich betrifft, von anderen erfahren. Das würden viele Männer als schlechtes Zeichen interpretieren und sich entsprechend absichern." „Warum willst du mich dann überhaupt noch heiraten? Warum willst du dir eine Frau aufhalsen, der du nicht vertraust?" „Du hast deine Frage gerade selbst beantwortet, Schätzchen. Ich schütze meine Investition." „Dafür brauchst du mich nicht zu heiraten", sagte Leila. „Wie ich bereits sagte, würde ich dir vertraglich zusichern, dass ich das Geld mit Zinsen zurückzahle." „Ich rede nicht von Geld, verdammt!" Er legte die Hände auf den Schreibtisch und funkelte sie an. „Ich rede von meinen Kindern. Du bist singapurische Staatsbürgerin, und das Einzige, was dich hier hält, sind deine Mutter und ihre Schulden. Glaubst du wirklich, ich weiß nicht, was passieren kann, sobald du die Gläubiger ausgezahlt hast? Du könntest das Land noch vor der Geburt verlassen, und ich könnte dich nicht davon abhalten." „So etwas würde ich nie tun", entgegnete sie entsetzt. „Abgesehen davon, dass ich jetzt in Vancouver zu Hause bin, sind unsere Kinder einer der Hauptgründe, warum ich mich bereit erklärt habe, dich zu heiraten." „Es sind deine anderen Beweggründe, die mir zu schaffen machen, Leila. Was ist zum Beispiel, wenn du gestern Abend gelogen hast und gär nichts mehr für mich empfindest?" „Ich habe nicht gelogen." „Dann bekommen wir doch beide, was wir wollen. Einverstanden?" Leila presste die Lippen zusammen. „Einverstanden", erwiderte sie schließlich. „Gut." Dante nickte und reichte ihr ein Blatt. „Vielleicht möchtest du einen Blick darauf werfen. Ich habe alles aufgeschrieben, was noch erledigt werden muss, wenn wir in den nächsten Wochen heiraten wollen. Du kannst die Liste nach Belieben ergänzen. Ich überlasse alles dir und deiner Mutter, aber meine Familie würde dir natürlich gern helfen. Ich habe auch den Namen unserer Kirche aufgeschrieben, falls du keine Kirche in deiner Nähe weißt." Sie überflog die Seite. „In Anbetracht der Umstände hätte ich gedacht, dass du nur standesamtlich heiraten willst." „Betrachte es als Zugeständnis an dein besseres Ich", bemerkte er trocken. „Wünschen sich nicht die meisten Bräute eine Hochzeit in Weiß?" „Ich nicht. Wenn man bedenkt, dass ich im dritten Monat schwanger bin, wäre es geradezu lächerlich." „Wie du willst." Erneut zuckte er die Schultern. Dann nahm er den Samtbeutel aus der obersten Schreibtischschublade und warf ihn ihr zu. „Trotzdem möchte ich, dass du ihn trägst, zumindest in der Öffentlichkeit." Leila versuchte gar nicht erst, den Beutel zu fangen, und er fiel auf den Teppich. Sofort begannen Dantes Augen angriffslustig zu funkeln. „Heb den verdammten Ring auf,
und steck ihn an! Er wird deinen zarten Finger nicht verschandeln. Immerhin hat er zweieinhalb Karat und ist in Platin und Gold gefasst." „Es könnte genauso gut billiger Modeschmuck sein." Nur mühsam hielt sie die aufsteigenden Tränen zurück. „Unsere ganze Beziehung ist doch eine Farce." „Nicht alles, Leila." Dante stand auf, kam um den Schreibtisch herum und hob den Ring auf. Dann steckte er ihn ihr an, und einen Moment lang schien es ihr, als wären seine Züge weicher geworden. Als er ihr kurz die Hand auf den Bauch legte, klopfte ihr Herz sofort schneller. „Die Kinder, die du erwartest, sind real genug. Sie sind von mir, und ich werde dafür sorgen, dass du das nie vergisst. Also trag den Ring, denn er wird dich daran erinnern." „Gibt es noch etwas?" fragte sie, da sie sein Büro verlassen wollte, bevor sie in Tränen ausbrach. „Ich habe meiner Mutter erklärt, wie du zu Fletcher stehst und dass das, was in der Zeitung stand, einen falschen Eindruck vermittelt hat. Außerdem habe ich ihr gesagt, dass wir bald heiraten und warum." „Sie weiß, dass ich schwanger bin?" „Meine Mutter ist nicht dumm, Leila, auch wenn sie zuerst von deiner scheinbaren Arglosigkeit überwältigt war. Irgendwann hätte sie es gemerkt, aber ich wollte kein Risiko eingehen. Ja, sie weiß es, und inzwischen wissen meine Schwestern es vermutlich auch. " „Und warst du auch so ehrlich, ihr zu sagen, dass unsere Ehe...?" „Nein", fiel er ihr ins Wort. „Das geht niemanden etwas an. Was ich gestern gesagt habe, war mein voller Ernst, Leila. Für den Rest der Welt sind wir ein glückliches Paar. Und du wirst niemandem Anlass dazu geben, daran zu zweifeln." „Verstehe." Das tat sie auch. Sein Stolz stand auf dem Spiel, und dass er sie dabei in ihrem Stolz verletzte, kümmerte Dante nicht. „Sonst noch etwas?" „Ja. Ich habe für heute Abend einen Raum im Waterfront Hotel reserviert - für eine kleine Familienfeier, denn sicher möchtest du es deiner Mutter und Cleo sagen. Außerdem brauchen wir ein Haus. Ich kenne einen Makler, der dir nächste Woche einige Häuser zeigen kann, wenn du Lust hast." „Willst du nicht in deinem Penthouse bleiben?" „Es ist zu klein. Es hat nur ein Schlafzimmer." Vorher hatte ein Schlafzimmer ihm gereicht, und das Bett war mehr als groß genug für sie beide gewesen. Es hatte keinen Ort auf der Welt gegeben, der Dante zu klein gewesen war, um mit ihr zu schlafen. Eine Lichtung an einer Quelle, ein mondbeschienenes Fleckchen am Strand, das warme Wasser der Karibik ... Wie hatte er es nur vergessen können? „Shaughnessy oder die West Side wären mir am liebsten", fuhr er ungerührt fort. „Der Feierabendverkehr ist schlimm genug, wenn man nicht in der Vorstadt wohnt, und außerdem soll der Flughafen in der Nähe sein." „Möchtest du nicht mit mir zusammen ein Haus aussuchen?" „Ich habe keine Zeit. Mach eine Aufstellung der Häuser, die dir gefallen, und ich sehe sie mir später an. Ach, noch etwas. In den nächsten beiden Wochen habe ich zwar sehr viel zu tun, aber danach kann ich einige Tage freinehmen. Ich schlage also vor, dass wir am Samstag, dem neunundzwanzigsten, heiraten." „Noch etwas?" erkundigte Leila sich matt. „Das wäre vorerst alles", meinte er. „Wir sehen uns dann heute Abend." Es ereignete sich jedoch noch etwas. Ihre Kolleginnen organisierten eine kleine Feier für Dante und sie im Sitzungssaal. Als sie ahnungslos den Raum betrat, um an einer angeblich schnell anberaumten Besprechung teilzunehmen, wurde sie dort von ihren Mitarbeitern empfangen. Sogar Carl Newbury war anwesend, ein wissendes Lächeln auf den Lippen. „Ich weiß, dass es sich nicht gehört, der Braut zu gratulieren", sagte er abfällig, „aber in Ihrem Fall ist es wohl angebracht. Sie sind wirklich sehr clever, Leila." Prompt wurde ihr wieder übel, doch diesmal hatte es nichts mit ihrer Schwangerschaft zu tun.
Kurz darauf erschien Dante, und falls er ihr Unbehagen teilte, gelang es ihm wesentlich besser, es zu überspielen. Er legte ihr den Arm um die Taille, nahm die Glückwünsche strahlend entgegen und küsste sie auf den Mund, als Gavin den ersten Toast aussprach. Dass sein Blick dabei gleichgültig war und er einen harten Zug um den Mund hatte, merkte offenbar niemand außer ihr. Sie und Dante verkörperten das ideale Paar. „Wann findet das große Ereignis statt?" fragte jemand. „Etwas früher als ursprünglich geplant", erwiderte Dante und tätschelte ihr stolz den Bauch. „Leila ist schwanger, und wir sind beide überglücklich, stimmts, Schatz?" „Ja", bestätigte Leila matt und wäre vor Scham am liebsten im Erdboden versunken. So unangenehm es ihr auch gewesen war, vor ihren Mitarbeitern die Rolle der glücklichen Braut zu spielen, so war es im Kreise seiner Familie die reinste Tortur. Alle freuten sich für sie und nahmen sie vorbehaltlos in den Kreis der Familie auf. Eigentlich hätte sie erleichtert sein müssen, denn seine Mutter und seine Schwestern kannten Dante besser als sie und hätten es sicher gespürt, wenn er überhaupt nichts für sie empfunden hätte. Stattdessen hatte sie das Gefühl, sich immer mehr in dem Lügengespinst zu verstricken. „Du musst uns sagen, was wir tun können, damit es ein unvergesslicher Tag für euch wird", erklärte eine von Dantes Schwestern, die sie nun alle duzten. „Und Sie auch, Mrs. Connors-Lee. Wir möchten uns nicht einmischen, aber Sie haben nicht mehr viel Zeit für die Vorbereitungen. Also wenn Sie uns brauchen, sagen Sie uns Bescheid." „Und wir nehmen Ihr Angebot gern an", erwiderte Maeve. „Nicht, Leila?" „Sehr gern. Ich brauche euch alle", bestätigte Leila, sah dabei jedoch Dante an. „Stimmt", meinte er, ganz der besorgte Verlobte. „Die Schwangerschaft ist sehr anstrengend für sie, und ich möchte, dass Leila in den Flitterwochen nicht zu erschöpft ist." „Sie haben bereits fünf Hochzeiten ausgerichtet", wandte Maeve sich an Mrs. Rossi. „Also was schlagen Sie vor ...?" Mehr brauchte sie nicht zu sagen. Als das Dessert serviert wurde, tauschten die Frauen angeregt ihre Ideen aus. Die beiden Mütter steckten die Köpfe zusammen, um die Gästeliste aufzustellen, und Stephanie und Christine stritten sich darüber, wo man den Empfang abhalten solle. Annie versprach, sich um den Blumenschmuck zu kümmern, und Julias Ehemann Ben erklärte sich bereit, die Braut zum Altar zu führen. Stop! flehte Leila stumm. Es spielt keine Rolle, wo der Empfang stattfindet und ob er überhaupt stattfindet. Wen interessiert es schon, welche Blumen ich aussuche und wie viele Etagen die Hochzeitstorte hat? Hier geht es nicht um eine Hochzeit, sondern um eine Ehe, die nur auf Misstrauen und Kummer gründet. Doch niemand hörte sie, und obwohl sie kaum etwas gegessen hatte, revoltierte ihr Magen wieder. Also besann sie sich auf den Rat ihrer Ärztin, Stress zu vermeiden, und unter Dantes eindringlichem Blick trank sie einen Schluck Wasser, damit die Übelkeit sich legte. „Wir sind manchmal etwas penetrant, wenn wir uns etwas in den Kopf gesetzt haben", erklärte Elaine, die ruhigste von Dantes Schwestern, und berührte mitfühlend ihren Arm. „Möchtest du dich doch lieber allein um alles kümmern?" „Nein, ich bin euch wirklich dankbar für eure Hilfe." Leila trank noch einen Schluck Wasser. „Hast du dir schon Gedanken darüber gemacht, was du tragen willst?" Unter den gegebenen Umständen wäre Schwarz wohl am passendsten gewesen, doch das behielt Leila lieber für sich. „Mein Umfang nimmt so schnell zu, dass ich etwas Weites, Schlichtes kaufen muss." „Ich würde gern mit dir einkaufen gehen, Leila. Wir könnten es mit einem Mittagessen verbinden, wenn es dir nicht zu anstrengend ist." „Gern, wenn du auch samstags Zeit hast. Offiziell arbeite ich nämlich noch, obwohl ich eigentlich nur alles für meinen Nachfolger vorbereite." „Glaubst du wirklich, ich lasse dich bis zu deinem Hochzeitstag arbeiten?" erkundigte sich Dante besorgt. „Gavin hat bereits einige Bewerber für ein Vorstellungsgespräch vorgemerkt,
und bis wir uns entschieden haben, kommen wir auch ohne dich klar. Ich möchte nicht, dass du dich überanstrengst, Schatz." Du willst mich nur nicht in deiner Nähe haben, dachte Leila unglücklich. Je weniger du mich siehst, desto besser. Leila hatte angenommen, niemand würde ihr anmerken, wie unglücklich sie war, doch als sie einige Tage später mit Elaine den geplanten Einkaufsbummel machte, überraschte diese sie. „Mein Bruder ist manchmal etwas herrisch", sagte sie. „Das kommt wohl daher, dass er seit seinem sechzehnten Lebensjahr das Familienoberhaupt und geschäftlich so erfolgreich ist." Sie saßen an einem Ecktisch im Atrium des Teahouse im Stanley Park. Kurz zuvor hatte es in Strömen gegossen, was Ende April eher ungewöhnlich war, und daher war es im Restaurant nicht so voll wie üblich. Leila betrachtete die Frachter, die in der English Bay vor Anker lagen, unschlüssig, was sie erwidern sollte. „Wenn man vorankommen will, muss man wohl so sein", sagte sie schließlich. „Dante hat immer mehr gewollt, als einfach nur voranzukommen." Elaine aß ein wenig von ihrem Salat und tupfte sich anschließend den Mund mit der Serviette ab. „Er muss überall der Beste sein. Das war schon auf der Grundschule so. Er muss damals ungefähr zehn gewesen sein, denn ich ging in die erste Klasse. Er war nicht nur ein sehr guter Schüler, sondern auch größer als die meisten Jungen in seinem Alter, und es reichte ihm nicht, wenn er im Sport besser war als seine Mitschüler. Nein, er musste sich sogar mit Kindern messen, die zwei oder noch mehr Klassen über ihm waren - und sie schlagen. Er musste schneller laufen, besser Fußball spielen und den Ball weiter schlagen als sie. Die Regale in seinem Zimmer waren voller Medaillen, Pokale und anderen Auszeichnungen." „Warum erzählst du mir das, Elaine?" Elaine sah sie ruhig an. „Weil ich, wenn ich euch zusammen sehe, den Eindruck habe, dass er dich auch als Trophäe betrachtet, die er unbedingt haben muss." „Willst du damit sagen, dass du gegen unsere Hochzeit bist?" „Überhaupt nicht! Du bist die Richtige für ihn. Was ich damit sagen will, ist, dass du dich nicht entmutigen lassen sollst, wenn er manchmal andere Ziele verfolgt als du. Er liebt dich, Leila, davon bin ich überzeugt. Schließlich kenne ich ihn seit dreiunddreißig Jahren, vielleicht sogar besser als er sich selbst." „Und trotzdem hast du den Eindruck, dass in unserer Beziehung etwas nicht stimmt - und das zu Recht." Leila blinzelte und betrachtete wieder die Frachter. „Ihr habt also Probleme." Elaine schob ihren Teller zurück. „Möchtest du darüber reden?" „Nein." Leila atmete tief durch. Dante würde es ihr niemals verzeihen, wenn sie sich jemandem aus seiner Familie anvertraute. „Danke, Elaine, aber ich kann nicht." „Dann will ich dich auch nicht drängen. Aber eins möchte ich dir noch sagen. Ich glaube, es ist ihm peinlich, dass du vor eurer Hochzeit schwanger geworden bist." Verblüfft über Elaines Offenheit, atmete Leila scharf ein. Nun nahm Elaine ihre Hand. „Weil er sich die Schuld daran gibt. Und er gesteht sich keine Fehler zu, weil er alles unter Kontrolle haben will, besonders sein eigenes Leben. Als er erfahren hat, dass du ein Baby - zwei Babys - erwartest, ist ihm klar geworden, dass es Dinge gibt, die er nicht in der Hand hat. Er hat gegen seine eigenen Regeln verstoßen, und das kann er sich nicht verzeihen." „Er ist nie peinlich berührt", entgegnete Leila, die daran denken musste, wie stolz er gegenüber seinen Mitarbeitern verkündet hatte, dass sie schwanger wäre. „Natürlich ist er das, Leila. Er lässt es sich nur nicht anmerken. Aber er wird darüber hinwegkommen. Du musst nur Geduld mit ihm haben." „Ich hoffe, du hast Recht." Leilas Augen füllten sich mit Tränen. Elaine tätschelte ihr wieder die Hand. „Und ob ich das habe. Sieh zu, dass er seinen Frust
nicht an dir auslässt. Kämpfe für das, was du willst. Er wird dich dafür respektieren." „Der Mann, den ich auf Poinciana Island kennen gelernt habe, hätte es vielleicht getan, aber er scheint nicht mehr zu existieren." „Trau dich, ihm zu zeigen, dass du ihn liebst", riet Elaine, „dann wirst du feststellen, dass er sich nur versteckt. Und nun iss. Wir müssen noch ein Hochzeitskleid für dich kaufen. Welches hat dir bis jetzt am besten gefallen?" In den nächsten Tagen, die sehr hektisch verliefen, beherzigte Leila Elaines Rat. Nicht, dass Dante schwierig oder unfreundlich war. Wenn sie mit ihm zusammen war, so war er überaus charmant. Das Problem war nur, dass sie nie mit ihm allein sein konnte, denn er hatte immer zu tun. Am Dienstag vor der Hochzeit fing sie ihn jedoch in der Mittagspause vor seinem Büro ab. „Wir müssen uns entscheiden, wo wir wohnen wollen", erklärte sie, „und es gibt da ein Haus, das du dir ansehen solltest." „Der Zeitpunkt ist ungünstig, Schatz", erwiderte er. Das „Schatz" hatte er zweifellos nur hinzugefügt, weil Meg an ihrem Schreibtisch saß und das Gespräch mitverfolgte. „Wir heiraten in vier Tagen", erinnerte Leila ihn ungeduldig, da sie genug hatte. „Also wann ist der Zeitpunkt günstig?" Dante seufzte und wandte sich an Meg, wobei er die Augen verdrehte. „Ich stehe noch nicht einmal vor dem Altar, und schon hat sie mich unter dem Pantoffel. Was raten Sie mir?" „Dass Sie sich das Haus ansehen. Leila hat Recht. Sie müssen irgendwo wohnen." „Okay, okay." Er schenkte Leila sein gewinnendstes Lächeln. „Wir gehen einkaufen. Wann ist mein letzter Termin, Meg?" „Um half fünf mit Gary Jefferson von ARGO." „Verschieben Sie ihn auf morgen. So." An Leila gewandt, hob er ergeben die Hände. „Zufrieden?" „Ja", erwiderte sie. „Ich vereinbare einen Termin mit dem Grundstücksmakler." „Gib Meg die Adresse, dann treffen wir uns da." Dante neigte den Kopf und küsste sie auf den Mund, nicht zu lang und auch nicht zu kurz. „Jetzt muss ich los. Versuch, vorher noch ein Nickerchen zu machen." „Sie Glückliche", sagte Megan leise, nachdem er seine Bürotür hinter sich geschlossen hatte. „Ehrlich, Leila, ich habe noch keinen Mann gesehen, der so vernarrt war wie Dante in Sie." Der Schein trügt, hätte Leila am liebsten geantwortet. Wie lange wollte Dant e diese Farce noch weiterspielen? Da sie bereits in vier Tagen Mrs. Dante Rossi sein würde, wurde es höchste Zeit für sie, es herauszufinden.
9. KAPITEL
Dante kam um kurz nach vier zu dem Haus. Leila war im Wohnzimmer, als sie seinen Wagen vorfahren und kurz darauf seine Schritte auf der Veranda hörte. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, aber jetzt konnte sie nicht mehr zurück, denn er war bereits im Haus und rief: „Ist jemand da?" „Ich bin hier, Dante", erwiderte sie mit bebender Stimme und hoffte, sie hätte etwas weniger Aufreizendes angezogen als das neue hellgelbe Sonnenkleid, das tief ausgeschnitten und ziemlich kurz war. Wie hatte sie nur glauben können, mit weiblicher List erreichen zu können, was sie mit vernünftigen Argumenten nicht geschafft hatte? „Die erste Tür rechts." Auf der Schwelle blieb er stehen. „Wo ist der Makler?" fragte er und blickte sich misstrauisch um. „Ich habe draußen keinen anderen Wagen gesehen." Als der Makler ihr angeboten hatte, Dante und sie zu dem Haus zu bringen, hatte sie erwidert, dass sie es sich gern in Ruhe ansehen und ihm anschließend Bescheid sagen würde. „Er hatte leider keine Zeit", log Leila daher. „Deswegen habe ich die Schlüssel abgeholt und bin mit dem Taxi hergekommen." Dante wich zurück. „Und warum hast du mich dann nicht angerufen, verdammt? Wir können doch kein Angebot machen oder einen Vertrag abschließen, wenn er nicht dabei ist." Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen, ergriff seine Hand und zog ihn weiter in den Raum. „Das ist doch unwichtig. Komm, sieh dir die Aussicht an. Ist sie nicht schön?" Widerstrebend ließ er sich von ihr um den Esstisch herum zu den hohen Fenstern führen, die nach Norden gingen und einen herrlichen Ausblick auf den Meeresarm und die Berge dahinter boten. „Sehr hübsch", meinte er kurz angebunden, „aber wenn die Bewohner nicht bereit sind, über Nacht auszuziehen, können wir auch nicht vor der Hochzeit einziehen." „Doch, das können wir." Sie hakte ihn unter, so dass sie mit der bloßen Schulter seinen Arm berührte. So nah war sie ihm schon seit Wochen nicht mehr gewesen. „Die Vorbesitzer sind nach Australien gezogen, und die Möbel, die sie hier gelassen haben, sind im Preis inbegriffen. Wenn wir wollen, können wir morgen einziehen. Komm, ich zeige dir die anderen Räume." „Wie viele sind es denn?" „Vier Schlafzimmer mit eigenen Bädern oben, ein Arbeitszimmer, ein zweites Wohnzimmer und die Küche hier unten und ein Spielzimmer im Keller. Ach, und von der Essecke geht noch ein Wintergarten ab, und über der Garage befindet sich eine Einliegerwohnung für das Kindermädchen." Dante befreite sich demonstrativ aus ihrem Griff und schlenderte in die Küche. „Würdest du gern hier einziehen?" Ich wäre auch in einem Schuhkarton glücklich, wenn du bei mir wärst, hätte Leila am liebsten gesagt, aber es war noch zu früh für solche Bekenntnisse. Vielleicht konnte sie es später tun, wenn alles nach Plan verlief. „Ja, es ist auf jeden Fall groß genug für uns", erwiderte sie daher in demselben sachlichen Tonfall, „und die Lage ist ideal für dich." „Okay." Er zuckte gleichgültig die Schultern, wie er es in letzter Zeit so oft tat. „Dann können wir es ja kaufen." „Willst du es dir vorher nicht wenigstens ansehen?" erkundigte sie sich bestürzt. „Warum? Du wirst doch die meiste Zeit hier verbringen. Wenn du dich hier wohl fühlst, bin ich damit einverstanden." „Das Haus gefällt mir, aber was ist, wenn das Dach kaputt oder die Heizung defekt ist?" Sichtlich ungeduldig warf Dante einen Blick auf seine Armbanduhr. „Wahrscheinlich hast du Recht. Zum Arbeiten komme ich heute sowieso nicht mehr. Also gut, fangen wir draußen an." Das Haus war sechzig Jahre alt und lag etwas zurück in einem großen Garten, in dem es nach Flieder und Lilien duftete. Eine Pergola war von Clematis berankt, und eine Weide neigte sich über einen kleinen Teich. Dichte Stechpalmenhecken und eine hohe Ziegelmauer schützten das ganze Grundstück vor neugierigen Blicken.
Die Außenwände des Hauses waren verputzt und cremefarben gestrichen, und die Scheiben in den hohen Fenstern hatten geschliffene Kanten, so dass das Sonnenlicht sich darin brach. Zu dem Eingang mit dem Portikus führte eine Treppe. Nachdem Dante sowohl das Grundstück als auch das Haus eingehend begutachtet hatte, wischte er sich den Schmutz von den Händen und nickte zustimmend. „Dieses Haus wird uns überleben, weil es so solide ist. Aber ich hatte gedacht, dass du etwas Moderneres aussuchen würdest." „Ich habe einige Häuser besichtigt", meinte Leila, „aber sie hatten nicht so viel Charakter oder Charme wie dieses, und die Grundstücke waren sehr klein. Ich weiß nicht, wie es dir geht, Dante, aber ich möchte nicht ständig von den Nachbarn beobachtet werden." „Ich auch nicht. Und hier ist es auch für Kinder völlig ungefährlich, obwohl das Grundstück so groß ist." Er deutete auf das schmiedeeiserne Tor, das sich per Fernsteuerung öffnen ließ und mit der Alarmanlage verbunden war. „Niemand kann unbefugt das Grundstück betreten. Sagtest du, die Schlafzimmer seien oben?" „Ja." „Komm, sehen wir sie uns an." Als ihr klar wurde, dass die Stunde der Wahrhe it gekommen war, wurde Leila ganz nervös. „Hm ... ja, gut", erwiderte sie. Ihm war offenbar nicht entgangen, dass sie sich unbehaglich fühlte. „Ist dir wieder schlecht?" „Ein bisschen", sagte sie und ging schnell voran ins Haus, bevor der Mut sie verließ. „Bestimmt kommt es von der Sonne. Es ist so warm hier draußen." Zuerst zeigte sie Dante die Gästesuite, die genau wie die anderen Räume hell und großzügig geschnitten war und eine hohe Stuckdecke hatte. Von den gepolsterten Fensterbänken aus hatte man eine n herrlichen Blick auf den Rasen auf der Vorderseite und den Rosengarten. „Nicht schlecht", meinte er sichtlich beeindruckt. „Und das hier", erklärte sie, während sie ihn in einen der beiden Räume auf der hinteren Seite des Hauses führte, „wäre ideal als Kinderzimmer. Es liegt direkt neben dem Schlafzimmer und ist groß genug für zwei, zumindest für die ersten Jahre." Dante schob die Hände in die Hosentaschen und blickte sich um. „Stimmt. In den Schränken ist viel Platz. Darauf haben meine Schwestern immer sehr viel Wert gelegt." „Dann haben wir noch einen Raum übrig, der ein bisschen kleiner ist als das Gästezimmer ..." „Ja." „Und ..." Sie schluckte, weil ihr so übel war. Die Flügeltür zum elterlichen Schlafzimmer, die sich am anderen Ende des Flurs befand, wirkte plötzlich bedrohlicher als das Tor zur Hölle. Bevor sie es sich anders überlegte, riss Leila sie schnell auf. „... das große Schlafzimmer." Dante blieb auf der Schwelle stehen. Seine Miene war undurchdringlich . Leila hatte sich große Mühe gegeben. Auf dem Nachttisch standen eine Kristallvase mit Rosen und Champagner im Kühler, und die duftigen weißen Vorhänge vor den geöffneten Fenstern bauschten sich leicht in der Brise. Die Mahagonimöbel schimmerten rötlich im Licht der Nachmittagssonne, und die Pfosten des frisch bezogenen Himmelbetts warfen zarte Schatten an die Wand. „Was, zum Teufel, ist das?" fragte Dante leise. Da ihr die Kehle wie zugeschnürt war, konnte Leila nicht antworten. Sie hatte vorgehabt, ihn hier zu verführen und wieder aufleben zu lassen, was sie auf Poinciana erlebt hatten, doch nun stand sie wie erstarrt da und wusste nicht, was sie tun sollte. Sollte sie mit einem koketten Blick in die Kissen sinken? Einen aufreizenden Striptease hinlegen? Sich ihm nackt in all ihrer Pracht darbieten und hoffen, dass ihn der Anblick ihres dicken Bauchs und ihrer vergrößerten Brüste nicht abschreckte? Das Blut stieg ihr vor Scham in die Wangen. Selbst wenn ihr Leben davon abgehangen hätte, sie konnte es nicht tun. Wie war sie bloß auf die Idee gekommen, sie könnte es?
„Leila?" Trau dich, ihm zu zeigen, dass du ihn liebst hatte Elaine ihr geraten, und sie, Leila, hatte ihren Rat befolgt, in dem Glauben, dass sie nichts mehr zu verlieren hatte. Zu spät wurde ihr klar, dass ihr außer den Babys nichts mehr bedeutete, wenn Dante sie zurückwies. Konnte sie das riskieren? Da sie jetzt nicht mehr zurückkonnte, ging sie schließlich zu ihm und legte ihm die Arme um den Nacken. „Das ist für uns, Dante. Es ist unser Zimmer." Sie spürte, wie er scharf einatmete, also hatte sie ihn offenbar überrascht. „Hör zu." Er umfasste ihre Schultern und hielt sie auf Armeslänge von sich. „Ich weiß nicht, was du hier abziehen willst, aber es bringt nichts, so zu tun, als glaubten wir daran, dass eine Ehe auf Rosen gebettet is t." „Was sollen wir dann tun?" Sie beugte sich vor und küsste ihn auf den Hals. „Uns mit jedem Tag mehr voneinander entfernen? Wie konnte das passieren, Dante? Wie konnte unsere Liebe sterben?" Dante schluckte. „Wir haben ein Geschäft abgeschlossen, das nichts mit Liebe zu tun hat, sondern einem bestimmten Zweck dient." Leila verteilte zärtliche Küsse auf seiner Wange. „Warum können wir nicht beides haben, Dante?" „Weil ich mich mit einem Geschäftspartner niemals privat einlasse", erwiderte er schroff. „Dafür ist es zu spät, Dante." Nun liebkoste sie sein Ohrläppchen mit der Zungenspitze. „Unsere Beziehung war von Anfang an nicht rein geschäftlich." Er ließ die Hände über ihren Rücken gleiten und umfasste ihre Taille. „Verdammt!" brachte er hervor. Daraufhin presste sie sich an ihn und flüsterte: „Ich habe das Bett mit der Bettwäsche bezogen, die deine Schwestern mir zur Verlobung geschenkt haben. Findest du nicht, dass es Verschwendung wäre, sie nicht zu benutzen?" „Hör auf damit!" ermahnte er sie, doch sein Körper sprach eine andere Sprache. Ungerührt zog sie seinen Kopf zu sich herunter, so dass seine Lippen ihre fast berührten. „Es ist lange her, dass du mich so geküsst hast, als würdest du es gern tun, Dante." „Ich habe dich geküsst." „Aber nicht so." Verführerisch ließ sie die Zunge über seine Lippe gleiten. „Verdammt, Leila, lass das!" Dante löste sich von ihr und wich vom Bett zurück. Dabei lockerte er seine Krawatte und öffnete den obersten Hemdknopf. Doch sie konnte nicht aufhören. Sie konnte das Verlangen, das er in ihr weckte, nicht ignorieren. Sie war erregt und sehnte sich nach ihm. Und er empfand genauso, das war deutlich zu sehen. „Es ist noch nicht so lange her, dass du mich bei jeder Gelegenheit berührt hast", sagte sie leise und ging auf ihn zu. „Und genau deswegen stecken wir jetzt auch in diesem Schlamassel. Was, zum Teufel, ist in dich gefahren, Leila?" Leila war so verzweifelt, dass sie es nicht mit Worten auszudrücken vermochte. Daher schmiegte sie sich wieder an ihn. Es war berauschend, ihn wieder so nah zu spüren. Sie sehnte sich so nach seiner Berührung, dass sie einen Träger herunterzog, seine Hand nahm und sie an ihre Brust führte. „Dante", flehte sie. Aber er kapitulierte immer noch nicht. Von Panik und Leidenschaft überwältigt, presste sie verzweifelt die Lippen auf seine. Zuerst leistete er weiterhin Widerstand, doch gerade als sie aufgeben wollte, geschah ein Wunder. Der Funke, den alles Misstrauen und alle Entfremdung nicht hatten löschen können, sprang wieder über. Dante presste sie an sich und erwiderte ihren KUSS. Küsste sie, wie er sie schon lange nicht mehr geküsst hatte, mit einer Verzweiflung, die sie seelisch erschöpfte. Eine Hand auf ihrem Po, hielt er sie an sich gepresst, die andere hatte er ihr ins Haar geschoben. Selbst wenn sie gewollt hätte, hätte sie sich gegen das erotische Spiel seiner Zunge nicht wehren können.
Doch eine Flamme, die so hell aufloderte, konnte sowohl verletzen als auch heilen. Als er merkte, dass der Schutzwall, den er um sich errichtet hatte, einzustürzen drohte, löste Dante sich von ihr. „Tu das nicht, Leila", sagte er schroff. „Die Hochzeit findet am Samstag statt, und ich werde da sein, wie vereinbart. Du brauchst nicht das Flittchen zu spielen, um mich vor den Altar zu bekommen." Leila war so schockiert, dass sie beinah schwankte. „Meinst du, es geht mir nur darum, Dante?" Er deutete auf die Rosen, den Champagner und das Bett -stumme Zeugen einer, wie sie gehofft hatte, Versöhnung und eines Neuanfangs. „Was denn sonst? Oder willst du etwa behaupten, die Sachen stammen auch von den Vorbesitzern?" „Nein", flüsterte sie und unterdrückte ein Schluchzen. „Ich habe das alles getan. Für uns, Dante. Ich dachte, wenn wir wieder miteinander schlafen und ich dir zeige, wie sehr ich dich brauche und wie sehr ich dich vermisse, würden wir wieder zueinander finden. Was hat es sonst für einen Sinn weiterzumachen?" In diesem Moment hörte man, wie draußen eine Wagentür zugeschlagen wurde. „Wir kennen beide die Antwort darauf, Leila." Dante zog sein Jackett zurecht und ging ins Gästezimmer, dessen Fenster nach vorn lag. „Ich bin der Vater der Zwillinge, die du erwartest, und du brauchst Geld. Ich bin bereit, die Schulden deiner Mutter zu begleichen und dir das Ansehen zu verschaffen, das du als Mrs. Dante Rossi hast, und außerdem die Verantwortung für meine Kinder zu übernehmen." „Und was erwartest du als Gegenleistung, Dante?" „Aufgrund meiner gesellschaftlichen Stellung ist es für mich Zeit, zu heiraten, und ich gebe zu, dass du dich ungeachtet deiner Fehler hervorragend für diese Rolle eignest. Alles, was ich von dir verlange, ist, dass du diese Rolle gut spielst. Kurzum, unser Arrangement ist für uns beide von Vorteil. Ich glaube, früher nannte man so etwas eine Vernunftehe - also eine Ehe, die nicht auf Liebe gründete. Und frag mich nicht, was das ist, denn ich bin nicht sicher, ob ich es dir sagen könnte." „Es bedeutet, jemandem nahe zu sein." Leila war ihm ins Gästezimmer gefolgt und zupfte ihn am Ärmel, um ihn zurückzuhalten. „Es bedeutet, abends in den Armen dieses Menschen einzuschlafen und sich zu fühlen, als würde einem die ganze Welt gehören. Es bedeutet, miteinander zu schlafen, weil man es seelisch und körperlich nicht aushalten würde, darauf zu verzichten. All das habe ich auf Poinciana gelernt, und ich kann es nicht vergessen, sosehr ich es auch versuche. Ich glaube, du kannst es auch nicht, Dante. Oder irre ich mich?" „Seitdem ist viel passiert, Süße." „Zu viel, um dort weiterzumachen, wo wir aufgehört haben?" „Hör zu." Er fuhr sich über die Stirn. „Falls du mich fragst, ob ich dich noch begehre, lautet die Antwort ja. Im Büro kann ich mich auf nichts konzentrieren. Ich habe es satt, ständig kalt zu duschen und bis zum Umfallen zu arbeiten, nur um in der Nacht gut schlafen zu können und nicht davon zu träumen, wie es ist, wenn ich auf dir liege und du den Höhepunkt erreichst." Plötzlich drehte er sich zu ihr um und zog sie an sich. „Der Wagen, den wir eben gehört haben, gehört dem Makler. Offenbar hat er es doch geschafft. Aber falls ich glauben würde, dass ich unsere Beziehung mit Sex kitten könnte, würde ich ihn warten lassen und dich gleich hier nehmen, bis du mich anflehst aufzuhören." „Dante!" „Aber es würde nichts nützen, stimmts, Leila?" fuhr er ungerührt fort. „Es würde nichts an der Tatsache ändern, dass du mich sonst nicht an dich herangelassen hast." „Wie lange willst du mich eigentlich noch dafür bestrafen, dass ich dich in die Irre geführt habe?" rief Leila, zutiefst schockiert über seine Reaktion. „Oder willst du mir damit zu verstehen geben, dass du mir sowieso nie wieder vertrauen wirst?" „In die Irre geführt? Verdammt, Leila, du hast mir einige Male die Wahrheit vorenthalten, zuerst über Fletcher, dann über deinen Vater und vor allem über deine Schwangerschaft. Aber was mir am meisten gegen den Strich geht, ist, dass du oft genug die Gelegenheit hattest, es
mir zu sagen. Also frag mich nicht, ob ich dir je wieder vertrauen werde, denn so wie ich es sehe, ist das Problem, dass du mir nie vertraut hast." „Wie kannst du so etwas sagen? Am Samstag werde ich dich heiraten." „Na ja, ich habe immer geglaubt, dass man mit Geld alles kaufen kann, und zumindest darin hast du mich bestätigt." Seine Worte trafen sie so tief, dass sie ihn nur starr anblicken konnte. Dante verstand es offenbar falsch. „Anscheinend sind wir uns endlich einig", bemerkte er, während er seine Krawatte gerade rückte und sein Jackett zuknöpfte. „Daher schlage ich vor, dass wir jetzt nach unten gehen und den Vertrag mit dem Makler abschließen - es sei denn, dein Interesse an diesem Haus hat sich darauf beschränkt, mich ins Bett zu bekommen." „Nein." Sie war wütend auf sich selbst, weil sie sich aus Verzweiflung dazu hatte hinreißen lassen, solche Spielchen mit ihm zu spielen. Was war mit ihrer Selbstachtung und ihrer Würde? „Ich mag das Haus sehr. Aber allmählich glaube ich, dass es keine Rolle mehr spielt, was ich sage oder tue, weil du mir sowieso immer irgendwelche Hintergedanken unterstellst." „Du hast dein ganzes Leben Zeit, mich eines Besseren zu belehren, Schätzchen." Er umfasste ihren Ellbogen und führte sie zur Treppe. „Oh, hallo!" begrüßte der Makler sie jovial. „Ich war gerade auf dem Nachhauseweg und dachte, ich sehe mal nach, ob Sie noch da sind. Und, haben Sie beschlossen, dieses tolle Anwesen zu kaufen, bevor jemand anders Ihnen zuvorkommt?" Sofort war Dante wieder ganz der Geschäftsmann. „Wir sind bereit, Ihnen ein Angebot zu machen." Während Leila ihn beobachtete, fragte sie sich, ob er sie tatsächlich noch vor wenigen Minuten so verlangend geküsst hatte, dass sie ganz weiche Knie bekommen hatte. Hatte er sie tatsächlich noch vor nicht allzu langer Zeit so angesehen, als wäre sie die einzige Frau auf der Welt, die ihn alles vergessen ließ? Und, was noch wichtiger war, würde er sie je wieder so ansehen? Am Freitagabend um kurz nach acht klingelte es an der Tür. Da Maeve und Cleo um halb acht zu ihrem üblichen Spaziergang aufgebrochen waren, nahm Leila an, die beiden hätten ihren Schlüssel vergessen, und eilte hin, um zu öffnen. Vor ihr stand jedoch Anthony. Sie hatte zwar mit ihm telefoniert und ihn auch zur Hochzeit eingeladen, ihn jedoch schon seit Wochen nicht mehr gesehen. Daher bemerkte sie sofort, wie sehr er sich verändert hatte. Er war wieder ganz der Alte, denn er war gebräunt und sah gesund aus. „Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen", sagte er. Dann folgte er ihr ins Wohnzimmer und stellte ein wunderschön eingewickeltes Paket auf den Couchtisch. „Du hast sicher eine Menge um die Ohren, aber ich wollte es dir schon vorher geben. Es ist mein Hochzeitsgeschenk." „Oh, vielen Dank! Aber du hättest es mir doch morgen geben können." „Ich komme morgen nicht", erwiderte er, während er neben ihr auf dem Sofa Platz nahm. „Warum nicht? Ich hatte mit dir gerechnet. Schließlich habe ich hier kaum Freunde." „Ich fliege morgen früh nach Europa, um meine Krankenschwester zu sehen. Sie hat eine Woche Urlaub, und ich treffe sie in Wien. Und es sollte dir egal sein, wie viele Freunde zu deiner Hochzeit kommen, solange der Mann, den du liebst, da ist." Als Leila den Blick abwandte, umfasste Anthony ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. „Ist alles in Ordnung, Le ila?" „Ja. Es war wohl alles ein bisschen zu viel für mich. Wir mussten die Hochzeit in so kurzer Zeit vorbereiten, und nun haben wir heute Nachmittag auch noch ein Haus gekauft." „Und du bist darüber nicht besonders glücklich?" „Doch. Es ist sehr schön, und wir können sofort einziehen." Er stützte die Hände auf die Knie und beugte sich vor. „Aber etwas stimmt nicht." Zu ihrem Entsetzen brach sie daraufhin in Tränen aus. „Was ist los?" fragte er. „Sags mir." „Nichts, wirklich. Ich bin nervös und erschöpft, das ist alles." Anthony strich ihr über den Rücken, als würde er ein Kind beruhigen. „Ich werde niemals
den Abend vergessen, als du mir erzählt hast, dass du Dante kennen gelernt hast. Du warst so glücklich, Leila. Warum bist du es jetzt nicht mehr?" „Ich bin schwanger, falls du es noch nicht gemerkt hast", platzte sie heraus, da es ihrer Meinung nach ihr einziges Problem war, das sie ihm anvertrauen konnte. „Ich bekomme Zwillinge." „Oh! Das war sicher ein ganz schöner Schreck. Aber du bereust es nicht, oder?" „Nein. Ich wollte schon immer irgendwann einmal Kinder haben." „Und Dante? Ist er glücklich?" Ihre Lippen bebten verräterisch. „In letzter Zeit werde ich nicht mehr aus ihm schlau. Wir sind beide so sehr damit beschäftigt, Zukunftspläne zu schmieden, dass wir die Gegenwart ganz außer Acht lassen. Manchmal scheint es mir, als würde ich einen Fremden heiraten." Anthony zückte ein sauberes Taschentuch und reichte es ihr. Schließlich sagte er: „Heutzutage muss man nicht mehr heiraten, Leila. Also lass dich nicht zu etwas drängen, wozu du noch nicht bereit bist." „Ich habe keine andere Wahl, Anthony." „Man hat immer eine Wahl." Er betrachtete sie nachdenklich und räusperte sich, bevor er fortfuhr. „Ich möchte nicht taktlos sein, aber wenn Geld das Problem ist, würde ich dir gern ..." „Nein, Anthony. Es ist nett gemeint, aber das könnte ich nie annehmen." „Warum denn nicht?" „Du bist wirklich sehr lieb, Anthony." „Außerdem bin ich dein Freund", erinnerte er sie. „Und daran wird sich auch nichts ändern, wenn du Dante heiratest." „Ich weiß." Leila rang sich ein Lächeln ab. „Und nun erzähl mir, wie du deine Krankenschwester gefunden hast." „Durch meine Kontakte zum diplomatischen Korps. Wir haben uns einige Male geschrieben und letzte Woche sogar miteinander telefoniert." Während Anthony von seiner Liebsten erzählte, packte sie das Geschenk aus. Es handelte sich um wunderschöne Gläser. Erst als er aufbrechen wollte, kam er wieder auf Dante und sie zu sprechen, allerdings nur indirekt. „Wir haben ein Haus auf Hernando Island, falls du mal etwas Abstand brauchst. Meine Eltern sind oft übers Wochenende dort, aber es gibt ein Gästehaus, das leer steht und ein wenig abseits liegt. Du müsstest nur den Schlüssel beim Hausmeister abholen." Leila küsste ihn auf die Wange. „Bitte mach dir keine Sorgen um mich, Anthony. Ich würde Dante nicht heiraten, wenn ich ihn nicht lieben würde und nicht davon überzeugt wäre, dass ich ihn glücklich machen kann. Aber trotzdem vielen Dank." „Vielleicht solltest du mal darüber nachdenken, wie glücklich er dich machen kann, Leila. Zu einer guten Ehe gehören immer zwei, wie du mir vor nicht allzu langer Zeit selbst gesagt hast." Leila lag im Bett und blickte starr zur Decke. In dem Raum nebenan hörte man Cleo schnarchen, doch aus dem Zimmer ihrer Mutter, das auf der anderen Seite des Flurs lag, drang kein Laut. Die Uhr auf dem Kaminsims schlug elf. In zwölf Stunden würde sie, Leila, Mrs. Dante Rossi sein. Sie ließ den Blick zu ihrem Hochzeitskleid schweifen, das an der Tür hing und im Halbdunkel nur undeutlich zu erkennen war. Es war aus blaugrünem Seidencrepe, einen Ton heller als Dantes Augen, und im Empirestil geschnitten. Der dazu passende Hut und die Handschuhe lagen auf dem Frisiertisch, und die gleichfarbigen Wildlederpumps standen in dem Karton neben dem Stuhl. „Du siehst bezaubernd aus", hatte Elaine gesagt, als sie es gekauft hatten. „Dante wird den Blick nicht von dir lassen können." Von wegen, dachte Leila, als sie aufstand, um zum Fenster zu gehen, das offen stand. Ich könnte einen Sack tragen, und Dante würde es nicht einmal merken. Ihr Nachthemd bauschte sich leicht in der sanften Brise, und es erinnerte sie an die Zeiten,
als Dante ihren Körper faszinierend genug gefunden hatte, um ihn ausgiebig zu erkunden. Bedurfte es eines Eherings, damit er sich ihr wieder zuwandte? Würde sie damit zurechtkommen, in der Öffentlichkeit die Rolle der Frau des Generaldirektors zu spielen, während er ihr privat aus dem Weg ging? Sie wusste keine Antwort auf diese Fragen, die sie unablässig quälten. Wenn eine Frau heiratete, sollte es ein freudiges Ereignis sein, dem sie erwartungsvoll entgegensah. Eine Braut durfte sich nicht wenige Stunden vor der Hochzeit den Kopf darüber zerbrechen, ob sie das Zusammenleben mit ihrem zukünftigen Ehemann ertragen würde. „Ich kann nicht", flüsterte Leila, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. „Ich kann Dante nicht heiraten."
10. KAPITEL
Neun Stunden nach dem Abschied von ihrer Mutter und Cleo saß Leila an Bord des Wassertaxis, das sie nach Hernando Island brachte. Es war fast dunkel, und man sah vereinzelt Lichter auf der Insel, die sich gegen die dunklen Berge auf dem Festland abzeichneten. Abgesehen von dem leisen Brummen des Motors war es still, und die See war spiegelglatt. „Wir sind gleich da, Miss." Der Skipper drosselte den Motor und deutete nach links. „Der Anleger der Fletchers ist ungefähr hundert Meter vom Hafen entfernt. Man kann das Licht am Ende sehen." Leila schien es, als wäre seit dem Morgen eine Ewigkeit vergangen. Sie hatte das Haus früh verlassen und war um kurz nach halb neun bei Dante gewesen. Anschließend war sie zur Bank und danach zu einem Juwelier gefahren. Als sie schließlich nach Hause kam, erwarteten ihre Mutter und Cleo sie bereits aufgeregt an der Tür. „Leila, Schatz!" rief ihre Mutter und eilte ihr auf dem Weg entgegen. „Wo warst du denn? Du hast uns einen ganz schönen Schreck eingejagt." „Ich habe dir doch gesagt, dass es Probleme gibt, Maeve", erklärte Cleo. „Sieh sie dir an, und mach dich ja nicht noch mal über mich lustig, weil ich an die Karten glaube." „Was ist los, Leila?" fragte ihre Mutter besorgt und rang die Hände. „Ich war bei Dante." „Weißt du denn nicht, dass es Unglück bringt, wenn der Bräutigam die Braut vor der Hochzeit sieht?" „Es wird keine Hochzeit geben." Leila bedauerte es, ihnen die Nachricht nicht schonender beibringen zu können. „Ich habe mit Dante Schluss gemacht." „Natürlich wird die Hochzeit stattfinden", entgegnete ihre Mutter, während sie ihnen voran ins Haus ging. „Es ist zwanzig nach zehn, und du musst in einer Stunde in der Kirche sein. Also mach dich jetzt fertig. Sobald du dein Kleid angezogen hast, wird es dir besser gehen." „Ich werde heute nicht heiraten, Mutter." „Aber du musst, Schatz! Die ersten Gäste sind sicher schon in der Kirche." „Dann muss ich sie leider enttäuschen." Entsetzt hob Maeve die Hände. „Hast du den Verstand verloren?" „Nein, ich bin zur Vernunft gekommen." Leila setzte sich an den Tisch, bestrich eine Scheibe kalten Toast mit Butter und begann zu essen. Zum ersten Mal seit Wochen schmeckte es ihr wieder. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Dante das zulässt." „Ihm bleibt wohl nichts anderes übrig, Mutter - es sei denn, er schleift mich mit Gewalt vor den Altar." Benommen war ihre Mutter auf einen Stuhl gesunken. „Warum hast du plötzlich deine Meinung geändert? Ich dachte, er wäre deine große Liebe." „Das war er auch und wird es wohl auch immer sein. Aber mir ist klar geworden, dass Liebe allein für eine gute Ehe nicht unbedingt genug ist." „Bei deinem Vater und mir war es so. Wir haben damit alle Klippen umschifft." „Aber nicht, wenn es darauf ankam. Oder hast du dich nie gefragt, warum et sich mit seinen Problemen nicht auseinander gesetzt hat, statt sich einfach davonzumachen?" „Er hat sich zu sehr geschämt, weil er dachte, er hätte mich im Stich gelassen. Er ist als gebrochener Mann gestorben." „Er war ein Feigling, Mutter." „Schäm dich, Leila! Wie kannst du so etwas sagen?" „Und Dante ist ein Tyrann", fuhr Leila ungerührt fort. „Wenn ich gelobe, einen Mann bis an mein Lebensende zu lieben und zu ehren, dann sollte er sich irgendwo zwischen diesen beiden Extremen bewegen." „Du hast den Verstand verloren!" Ihre Mutter war den Tränen nahe. „Für mich klingt es ganz vernünftig", bemerkte Cleo.
„Du hast doch keine Ahnung, Cleo. Schließlich warst du noch nie verliebt." „Ich war einmal verliebt, aber wie sich herausstellte, war der betreffende Gentleman meiner Zuneigung nicht würdig. Wenn Leila bei ihrem Zukünftigen zu demselben Schluss gekommen ist, darfst du auch nicht versuchen, sie umzustimmen." „Unsinn! Leila, Schatz, ich flehe dich an. Überleg es dir noch mal. Noch ist es nicht zu spät - es kostet dich nur einen Anruf." „Nein, Mutter." „Dante ist ein stolzer Mann. Wenn du ihn vor seiner Familie und seinen Freunden so demütigst, wird er es dir nie verzeihen." „Und ich werde es mir nie verzeihen, wenn ich jetzt nicht meinen Standpunkt klarmache." „Wenn du schon nicht an dich denkst, dann denk wenigstens an die Babys. Willst du, dass sie ohne Vater aufwachsen?" Inzwischen hatte Leila eine zweite Scheibe Toast gegessen. „Genauso wenig wie ich möchte, dass sie in einer frostigen Atmosphäre aufwachsen. Dante ist noch nicht reif für die Ehe." „Aber er liebt dich." „Ja", hatte sie traurig eingeräumt. „Auf seine Art vielleicht. Das Problem ist, dass er mich nicht besonders mag. Und ich glaube nicht, dass die Liebe in einer solchen Atmosphäre eine Chance hat." Ich habe mich richtig entschieden, sagte sich Leila, als sie auf den Anlegesteg kletterte. Sie hatte ohnehin keine andere Wahl gehabt. Doch das war auch kein Trost für ein gebrochenes Herz. Als sie sein Apartment verlassen hatte und in das wartende Taxi gestiegen war, hatte sie gehofft, dass Dante ihr folgen würde. Er hätte sie nur in die Arme zu nehmen und ihr zu sagen brauchen, dass er sie nur deswegen heiraten wollte, weil er sie liebte und brauchte. Sie hätte ihm geglaubt. Aber er hatte es nicht getan. Zuerst war er ungläubig und wütend gewesen, dann hatte er nur noch mürrisch geschwiegen. Seine Augen, die sie einmal an eine sonnenbeschienene Lagune erinnert hatten, hatten sie an einen zugefrorenen See erinnert - finster, eisig und tot. Sie wünschte auch, sie wäre tot. Ich muss seiner Mutter schreiben, dachte Leila, während sie den Kiesweg entlangging, der an einem großen Blockhaus vorbei zu einem Cottage in der Nähe der Straße führte, in dessen Fenstern Licht brannte. Sie musste sich bei Mrs. Rossi zumindest entschuldigen, wenn sie es ihr schon nicht erklären konnte. Und seine Schwestern ... Sie hatte sie mittlerweile so ins Herz geschlossen. Ob sie ihr je verzeihen würden? Ein Mann von etwa fünfzig Jahren kam um das Cottage herum. Es musste Dale sein, der Hausmeister. „Sie hätten mir Bescheid sagen sollen", schalt er sie, nachdem sie ihm den Grund für ihr Kommen erklärt hatte. „Dann hätte ich wenigstens lüften können. Seit dem letzten Sommer is t das Blockhaus nicht mehr benutzt worden. Geben Sie mir Ihre Tasche, ich bringe Sie hin. Verhungern werden Sie nicht, denn in den Schränken sind immer genug Vorräte. Aber ich muss das Wasser anstellen." Zu einem anderen Zeitpunkt hätte sie das Gästehaus als sehr einladend empfunden. Von drei Holzterrassen aus hatte man einen herrlichen Blick auf den Desolation Sound, und im Wohnzimmer gab es einen großen gemauerten Kamin, der fast eine ganze Wand einnahm. Die Wände waren holzvertäfelt, die Böden ebenfalls aus Holz, und vor dem Kamin standen drei Chintz-sofas. „Wenn Sie Ruhe und Abgeschiedenheit suchen, sind Sie hier genau richtig", erklärte Dale, während er das bereits aufgeschichtete Holz im Kamin anzündete. „Meine Frau und ich werden Sie nicht behelligen, aber wenn Sie etwas brauchen, sagen Sie uns Bescheid. In ungefähr einer Stunde haben Sie warmes Wasser, falls Sie baden wollen. Ansonsten ist alles fertig." Nachdem er sich verabschiedet hatte, war Leila zum ersten Mal an diesem Tag allein. Prompt musste sie wieder an ihre Begegnung mit Dante an diesem Morgen denken, und der
Kummer, den sie sich mit ihrer Entscheidung zugefügt hatte, kam wieder hoch. Sie hatte den Vater ihrer Kinder verlassen, den Mann, der selbst in seinem Zorn auf sie immer noch mit einem Blick, einer Berührung ihr Herz zu erobern vermochte. „Versuch nicht, irgendwelche Spielchen mit mir zu spielen, Leila", hatte er ausdruckslos gesagt, nachdem sie ihm eröffnet hatte, dass sie ihn nicht heiraten würde. „Du wirst wie geplant in der Kirche erscheinen." Da er vorher im Park gejoggt hatte, trug er noch seine Sportsachen und war unrasiert. In diesem Aufzug erinnerte er nicht im Entferntesten an einen Generaldirektor - wenn man von seinem autoritären Tonfall und dem Funkeln in seinen Augen absah. „Das glaube ich nicht", erwiderte sie, da ihr klar war, dass er ihr ein Ultimatum nach dem anderen stellen würde, wenn sie jetzt nicht hart blieb. Dante lachte. „Natürlich wirst du da sein, Schätzchen", meinte er spöttisch. „Du hast keine andere Wahl, falls du es vergessen haben solltest." „Ich werde mich für niemanden prostituieren, nicht einmal für dich, Dante", hatte sie wütend erklärt und ihren Verlobungsring auf den Couchtisch geworfen. Als sie das Zimmer verlassen hatte, hatte er mit dem Rücken zu ihr am Fenster gestanden und hinausgeblickt. Wo mochte er jetzt sein? War er auch allein und fragte sich, wie es dazu hatte kommen können? Ertränkte er seine Sorgen im Alkohol und verfluchte sie insgeheim, weil sie ihn vor allen Leuten blamiert hatte? War er selbst zur Kirche gefahren, um es den Gästen zu sagen, oder hatte er jemand anders damit beauftragt? Nervös ging Leila nach draußen auf die Terrasse. Der Mond war im Südwesten aufgegangen und tauchte die Bucht in silbriges Licht. Etwas weiter den Strand entlang schaukelte eine an einem Steg vertäute Yacht auf dem Wasser, und irgendwo hinter dem Gästehaus erklang ein Froschkonzert. Wenn sie, Leila, Dante geheiratet hätte, wäre sie jetzt mit ihm in den Flitterwochen. Ob er sie in jeder Hinsicht wie seine Ehefrau behandelt hätte, wenn sie seinen Ring getragen und seinen Namen angenommen hätte? Würde sie nun in seinen Armen liegen, nachdem sie mit ihm geschlafen hatte? Oder hätten sie lediglich Sex gehabt, ohne jede Zärtlichkeit? Zutiefst deprimiert blickte Le ila auf die mondbeschienene Bucht hinaus und wünschte, die Uhr zurückdrehen und diesmal alles richtig machen zu könnten. Ungeduldig wischte sie die Tränen fort, die ihr über die Wangen liefen. Dante hatte Recht. Im Bett hatte es immer zwischen ihnen gestimmt, doch die Kluft zwischen ihnen war so tief, dass sie sich auch mit Sex nicht überbrücken ließ. Trotzdem fühlte sie sich nach wie vor sehr eng mit ihm verbunden, zumal sie aufgrund ihrer Schwangerschaft außer Stande war, den Kontakt zu ihm abzubrechen. Sobald sie es einigermaßen ertragen konnte, würde sie sich wieder mit ihm treffen und der Kinder wegen sogar etwas Zeit mit ihm zusammen verbringen. Doch sie würde ihn nie wieder um Hilfe bitten. „Ich wünsche mir, dass wir eines Tages alles klären können", hatte sie ihm gesagt. „Aber ich weigere mich, die Rolle des Opfers zu spielen, Dante, und ich lasse mich nicht von dir erpressen. Deswegen musst du zu mir kommen." „Eher friert die Hölle zu, als dass ich irgendeiner Frau hinterherrenne", hatte er gehöhnt. Ohne mit der Wimper zu zucken, hatte sie erwidert: „Ich bin aber nicht irgendeine Frau, sondern die Mutter deiner Kinder. Ich liebe dich, und ich habe es nicht verdient, so behandelt zu werden, als wäre ich ein geldgieriges Flittchen, das du in irgendeiner Bar aufgegabelt hast. Und wenn du auch nur annähernd der wärst, für den du dich hältst, hättest du es längst gemerkt, und es wäre nie zu dieser Auseinandersetzung gekommen." „Mal sehen, wie lange deine Entrüstung anhält, wenn die Gläubiger wieder bei dir vor der Tür stehen", hatte er gesagt. Doch in der Hinsicht hatte sie ebenfalls vorgesorgt. Sie hatte sich von den Saphiren und anderen Edelsteinen getrennt, die ihr Vater ihr im Laufe der Jahre geschenkt hatte, und von dem Schmuck, den sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Sie hatte einen guten Preis erzielt und
genug Geld gehabt, um die restlichen Schulden abzahlen zu können und eine kleine Reserve zurückzubehalten. „Wie konntest du dich nur von diesen Schätzen trennen?" hatte ihre Mutter sich unter Tränen beschwert, nachdem sie es ihr erzählt hatte. „Es war alles, was du von deinem Vater hattest." Für sie, Leila, war es allerdings weniger schmerzlich gewesen, ihren Schmuck zu verkaufen als ihre Selbstachtung. Er, Dante, hätte es nicht für möglich gehalten, dass sie es tatsächlich fertig bringen würde. Er konnte es immer noch nicht fassen. Selbst als Leila den verdammten Ring auf den Tisch geworfen hatte, war er sicher gewesen, dass es sich lediglich um eine theatralische Geste handelte. Er hatte das Klingeln des Aufzugs gehört und darauf gewartet, dass sie wieder an die Tür klopfte, doch fünf Minuten später war er sich nicht mehr so sicher gewesen. Jetzt, dreizehn Stunden später, konnte er es immer noch nicht begreifen. Natürlich war es kein Traum gewesen. So schnell würde er nicht vergessen, wie peinlich es ihm gewesen war, vor den Gästen in der Kirche zu stehen und zu verkünden, dass die Hochzeit ausfiel. Ihr mitfühlendes Gemurmel, als sie die Kirche verließen, entging ihm nicht. Aus Stolz blieb er vor dem Altar stehen, bis auch die letzte Reihe sich geleert hatte, froh darüber, dass er die größte Blamage seines Lebens zumindest seiner Mutter und seinen Schwestern erspart hatte, weil er ihnen noch rechtzeitig Bescheid gesagt hatte. Anschließend fuhr er zu seiner Familie. Sie hatten sich alle in seine m Elternhaus versammelt, seine Nichten mit verweinten Augen, weil sie doch nicht Blumen streuen durften, und seine Mutter immer noch in Tränen aufgelöst. „Wie konnte das nur passieren, Dante?" fragte sie und schluchzte. „Was ist schief gegangen?" Sie umringten ihn alle, sprachen ihm ihr Mitgefühl aus und versicherten ihm, es würde doch noch alles in Ordnung kommen, da Schwangere oft Dinge taten oder sagten, die nicht nachzuvollziehen waren. Nur Elaine schloss sich ihnen nicht an. „Du Idiot!" flüsterte sie und zog ihn mit sich auf die hintere Veranda. „Wie hast du es bloß geschafft, das zu vermasseln? Leila war das Beste, was dir je passiert ist!" „Halt den Mund", erwiderte er leise, denn er konnte nicht fassen, dass ausgerechnet Elaine, die ruhigste seiner Schwestern, ihm solche Vorhaltungen machte. „Das werde ich nicht! Es war schon lange abzusehen, dass du in dein Verderben rennst, denn dein Erfolg bei Classic Collections ist dir offenbar zu Kopf gestiegen. Der Bruder, den ich mal gekannt habe, ist jetzt ein gefühlloser, überheblicher Kerl." „Ich finde es weder gefühllos noch überheblich, wenn ich zu der Mutter meiner Kinder halte." „Ging es in dieser so genannten Ehe nur darum?" brauste sie auf. „Was war denn mit deinen hehren Moralvorstellungen, als du ... als du es mit ihr getrieben hast?" „Pass auf, was du sagst, Elaine", sagte Dante. „Deine Herkunft schlägt durch." Daraufhin verpasste Elaine ihm eine schallende Ohrfeige. „Du unverbesserlicher Snob! Leila hat mehr Klasse im kleinen Finger, als du je haben wirst. Sie hat die richtige Entscheidung getroffen. Wenn du so denkst, ist sie allein besser dran." „Und meine Kinder?" Es kostete ihn große Mühe, sich nicht anmerken zu lassen, wie entsetzt er war. Bisher hatte er immer geglaubt, seine ganze Familie würde unter allen Umständen zu ihm halten. „Oh, sie werden nicht allein aufwachsen, Dante. Sie werden eine sehr gute Mutter haben, die für sie sorgt, und mindestens eine Tante, die für sie da sein wird." „Ich bin nicht derjenige, der in letzter Minute einen Rückzieher gemacht hat, falls es dir noch nicht aufgefallen ist. Ich wollte die Hochzeit und die Ehe durchziehen." „Und falls es dir noch nicht aufgefallen ist, diese Frau hat dich geliebt - der Himmel weiß, warum", erklärte Elaine scharf. „Sie wäre für dich durchs Feuer gegangen, Dante."
„Offenbar nicht, Elaine. Als es wirklich darauf ankam, hat sie gekniffen." „Und du bist vor lauter Selbstmitleid noch nicht auf die Idee gekommen, dich nach dem Grund dafür zu fragen, stimmts? Oder glaubst du, dass eine Frau ihre Hochzeit einfach so in letzter Minute absagt?" „Ich behaupte ja nicht, dass ich die Frauen verstehe." „Dann wird es höchste Zeit, dass du es lernst." Wütend funkelte sie ihn an, doch in ihren Augen standen Tränen. „Du bist mein Bruder, und ich liebe dich." Weinend sank sie ihm in die Arme. „Ich möchte dich nicht leiden sehen, aber du hast es verdient!" „Wein nicht", tröstete Dante sie. „Vielleicht schaffen Leila und ich es ja noch, unsere Probleme zu lösen." Mit seiner Krawatte wischte sie sich die Tränen ab. „Fährst du zu ihr, Dante?" Niemals, dachte er. Leila hatte ihn verlassen, und deswegen musste sie auch zu ihm zurückkehren. „Ich werde darüber nachdenken", versprach er. Bevor sie, Leila, Dante verlassen hatte, hatte sie ihm gesagt, dass Anthony wüsste, wo er sie erreichen konnte, falls er es noch einmal versuchen wollte. Dabei war ihr natürlich bewusst gewesen, dass sie es riskierte, ihn für immer zu verlieren. Doch Anthony hatte sich als guter Freund erwiesen, und sie wollte seine Hilfsbereitschaft nicht abwerten, nur um Dante nicht noch eifersüchtiger zu machen. Sie hatte sich nicht nur wegen seines Äußeren, sondern auch wegen seiner Charakterstärke und seiner Integrität in Dante verliebt. Jetzt konnte sie nur noch hoffen, dass diese Eigenschaften sich irgendwann durchsetzten und er seinen Stolz überwand. In den ersten Wochen klammerte sie sich so sehr daran, dass sie jeden Morgen in dem Glauben aufwachte, der Tag wäre gekommen. Als der Mai sich allerdings dem Ende zuneigte und es Sommer wurde, schwanden ihre Hoffnungen. Die frische Luft und die herrliche Umgebung wirkten jedoch Wunder, und ihr Gesundhe itszustand verbesserte sich enorm. Die morgendliche Übelkeit und die damit verbundene ständige Müdigkeit, die ihr das erste Schwangerschaftsdrittel so erschwert hatten, legten sich. Leila verbrachte Stunden damit, am Strand spazieren zu gehen und Muscheln zu suchen oder zu lesen, denn es gab eine umfangreiche Taschenbuchsammlung im Gästehaus. Und sie aß mit zunehmendem Appetit. Als sie Dale erzählte, dass sie gern Meeresfrüchte aß, legte er ihr in regelmäßigen Abständen frischen Fisch oder Muscheln vor die Tür. Und nachdem seine Frau June ihr das Stricken beigebracht hatte, begann Leila, ein Stück nach dem anderen für die Babys anzufertigen. Abends nahm sie zur Entspannung meistens ein heißes Bad. Sie fühlte sich immer besser. Ihr Haar glänzte, und ihre Haut war zart gebräunt. In dem großen Bett mit der dicken, weichen Matratze schlief sie sehr gut. Manchmal träumte sie allerdings so lebhaft von Dante, dass sie davon aufwachte und es ihr das Herz brach, weil er nicht bei ihr war. In diesen Momenten war sie versucht, das Versprechen, das sie sich selbst gegeben hatte, zu brechen und zu ihm zurückzukehren. Dann ging sie nach draußen auf die Terrasse und beobachtete, wie ein neuer Tag anbrach. Doch während draußen die Sonne aufging, war ihr ganz schwer ums Herz. Einmal war sie sogar so weit, dass sie seine Nummer wählte. Allerdings legte sie noch vor dem ersten Klingeln auf, weil ihr klar war, dass sie ihre Probleme damit nicht lösen konnte. Diesmal musste Dante sich so schmerzlich nach ihr sehnen, dass er zu ihr kam. In der sechzehnten Woche spürte sie zum ersten Mal, wie die Babys sich bewegten. Was hätte sie darum gegeben, diesen Moment gemeinsam mit Dante erleben zu können! Zweimal fuhr sie aufs Festland, zur Vorsorgeuntersuchung in einer Klinik in Powell River, und jeden Samstag rief sie ihre Mutter an. Cleo teilte ihr in einem Brief mit, dass sie den Tarot-karten zufolge drei Wochen vor dem Geburtstermin zwei Jungen zur Welt bringen würde. Nach seiner Rückkehr aus Wien kam Anthony für einen Tag nach Hernando Island und stellte sie ihren unmittelbaren Nachbarn vor, Lew und Claire Drummond, einem Ehepaar
Anfang sechzig, das den Sommer immer auf der Insel verbrachte. Irgendwann wurde es jedoch des Guten zu viel, und sie begann sich zu langweilen. Als Claire sie dann öfter zum Frühstück oder nachmittags zum Tee und gelegentlich auch zum Barbecue am Strand einlud, stellte Leila fest, dass sie wieder bereit war, unter Menschen zu gehen. An einem Freitag Mitte Juni, als sie die Hoffnung auf ein Happy End mit Dante scho n fast aufgegeben hatte, war sie zu einem Cocktailempfang bei den Drummonds eingeladen. Bei den Drummonds war es mittlerweile Tradition, den Beginn der Sommersaison an einem gemeinsamen Wochenende mit Freunden zu feiern, und der Empfang bildete den Auftakt dazu. Die ersten Boote waren bereits am Morgen eingetroffen, und am Spätnachmittag waren zahlreiche Motorboote am Anlegesteg vertäut, während die Segelyachten in der Bucht vor Anker lagen. Als Leila um kurz vor sieben den Käsen hinter dem Haus der Drummonds betrat, war die Party bereits in vollem Gange. „Kommen Sie, ich möchte Sie den anderen Gästen vorstellen", begrüßte Claire sie und zog sie mit sich. „Das sind Chad und Adrienne Martin. Sie wohnen auf der anderen Seite der Insel. Und das ist mein Neffe Max, der so nett ist und Ihnen einen Drink holt. Sie ist schwanger, Max, also bitte keinen Alkohol. Und ich muss Sie auf jeden Fall mit..." Leila konnte sich die vielen Namen beim besten Willen nicht merken. Max drückte ihr ein Glas mit kühlem Traubensaft in die Hand. Eine Frau fragte sie, wann es denn so weit sei, und wich entsetzt zurück, als Leila erwiderte, sie erwarte Zwillinge. Im Haus spielte jemand alte Ragtime-Melodien auf einem leicht verstimmten Klavier, und in die Musik mischten sich das Lachen und Stimmengewirr im Garten. Sie unterhielt sich gerade mit einem älteren Ehepaar, als das Wasserflugzeug im Süden auftauchte und über der Bucht kreiste. Als das Motorengeräusch immer lauter wurde, wandten sich alle um und blickten neugierig nach oben. Schließlich landete es ungefähr hundert Meter vom Ufer entfernt und glitt zum Anlegesteg. Leila hielt die Hand vor die Augen und beobachtete ebenso wie die übrigen Gäste, wie jemand aus dem Cockpit stieg und auf den Steg sprang. Obwohl die Sonne sehr niedrig stand und man nur seine Silhouette ausmachen konnte, wusste Leila sofort, dass es Dante war, denn seine stolze Haltung und seine geschmeidigen Bewegungen waren unverkennbar. Wie magisch angezogen, ging sie auf ihn zu und merkte es erst, als sie den Steg betrat. Nur nebenbei nahm sie wahr, dass alle Gäste verstummt waren und nur noch das Geräusch der Wellen zu hören war, die gegen die Pfähle schlugen. Als Dante sie sah, blieb er stehen und betrachtete sie. Schließlich ließ er die Segeltuchtasche, die er sich um die Schulter gehängt hatte, fallen, wischte sich die Hände an seinen Jeans ab und straffte sich. Plötzlich hatte sie Angst. Sie hatte nur auf diesen Moment hingelebt, doch nun fühlte sie sich hilflos und war völlig verunsichert. Am liebsten wäre sie weggelaufen und hätte sich irgendwo verkrochen. Das Wasserflugzeug war inzwischen wieder gestartet, und ihr Kleid flatterte in dem starken Luftzug, so dass ihr runder Bauch sich darunter abzeichnete. Nervös zog sie daran. Obwohl sie ungefähr fünfzig Meter von Dante entfernt war, wusste sie, dass er sah, wie sehr sie sich seit ihrer letzten Begegnung verändert hatte. Von Panik ergriffen, fragte sie sich, wie er sie immer noch attraktiv finden konnte. Dann hob er die Tasche hoch und kam mit großen Schritten auf sie zu, bis er so dicht vor ihr stand, dass er sie berühren konnte. Er war geradezu überwältigend attraktiv, unglaublich sexy und sehr furchteinflößend. Er musterte sie von Kopf bis Fuß, und schließlich ruhte sein Blick auf ihrem Bauch. „Was machst du hier, Dante?" fragte Leila, da sie sein Schweigen nicht länger ertrug, und war entsetzt über ihren kühlen Tonfall. Es klang, als wäre sie wütend auf ihn, weil er sie vor den anderen Gästen blamiert hatte.
Ein gequälter Ausdruck huschte über sein Gesicht, aber vielleicht hatte sie es sich auch nur eingebildet. „Ich bin gekommen, um dich freizugeben." Seine Stimme war samtweich. „Können wir irgendwo ungestört reden?"
11. KAPITEL
Leila nickte nur und wandte sich um, so dass ihm, Dante, nichts anderes übrig blieb, als ihr wie ein geprügelter Hund zu folgen. So hatte er sich das Wiedersehen mit ihr nicht vorgestellt. Er hatte sie in dem Cottage überraschen wollen, das Fletcher ihm beschrieben hatte, und seine Worte sorgfältig zurechtgelegt. Jedenfalls hatte er nicht damit gerechnet, sie auf einer Party auf dem Nachbargrundstück anzutreffen. „Leila!" rief jemand und winkte wie wild. „Kommen Sie, und bringen Sie Ihren Freund doch mit." „Auf keinen Fall", sagte Dante. „Ich habe nicht den weiten Weg gemacht, um mich mit fremden Leuten zu unterhalten." Daraufhin ging Leila zu dem Schreihals, zu dem sich mittlerweile eine Horde anderer Seglertypen gesellt hatte. Er konnte nicht verstehen, was sie sagte, aber es passte ihm nicht, dass sie diese Fremden freundlich anlächelte, während sie ihm gegenüber so reserviert war. Ihm war klar, dass er es nicht anders verdient hatte. Trotzdem wollte er, dass sie ihn anlächelte und ihm mit ihrem Blick zu verstehen gab, dass sie es gar nicht erwarten konnte, mit ihm allein zu sein. Er wollte ihr sagen, was er zu sagen hatte, und dann noch einmal von vorn anfangen. Er wollte mit ihr schlafen. Er wollte ihr die Hand auf den Bauch legen und spüren, wie ihre Kinder sich bewegten. Er sehnte sich so verzweifelt nach ihr, dass es ihn fast um den Verstand brachte. Dante stellte seine Tasche auf das Geländer des Stegs und musterte Leila. In den letzten vier Wochen hatte sie sich sehr verändert. Abgesehen von ihrem runden Bauch war sie immer noch gertenschlank. Wie konnte eine so zierliche Frau wie sie ein Kind zur Welt bringen? Was war, wenn die Zwillinge so kräftig waren wie er? Dante wandte den Blick ab, denn in diesem Moment wurde ihm schlagartig klar, dass er Angst hatte. Seit seiner Kindheit hatte er sich nicht mehr gefürchtet - bis er Leila begegnet war. Und seitdem hatte er ständig Angst gehabt. „Wir können jetzt gehen." Er hatte gar nicht gemerkt, dass sie zurückgekommen war. Sie stand vor ihm und blickte ihn kühl an. „Gern", erwiderte er. Das Cottage erwies sich als sehr komfortabel, aber nicht protzig. Allerdings konnte er nicht sagen, warum es ihn überraschte, denn bisher hatte er Anthony Fletcher in jeder Hinsicht falsch eingeschätzt. Leila hatte der Einricht ung eine feminine Note verliehen. Auf dem Kaminsims stand ein Krug mit wilden Blumen und auf dem Tresen, der die Küche vom Wohnzimmer trennte, eine Schale mit Muscheln. „Hast du die gesammelt?" Dante strich über eine Austernschale. „Ja. Ich gehe gern bei Ebbe am Strand spazieren." „Und bist du hier glücklich?" „Im Moment schon." Er wartete darauf, dass Leila es näher ausführte, damit er ihr sagen konnte, was er zu sagen hatte. Stattdessen setzte sie sich jedoch an den Tisch, faltete die Hände im Schoß und überließ ihm die Initiative. „Na ja ..." Er räusperte sich. „Wahrscheinlich fragst du dich, woher ich wusste, dass du hier bist." „Ich nehme an, dass du Anthony angerufen hast." „Nicht direkt. Ich war bei ihm." Erstaunt sah sie ihn an. „Du warst bei ihm?" „Ja. Es war nicht der Rede wert." „Wirklich?"
„Nein", gestand er. „Mir ist selten etwas so schwer gefallen, wie zu ihm zu gehen und ihn um Hilfe zu bitten." „Das kann ich mir vorstellen", erwiderte sie ruhig. Insgeheim war er der Meinung, dass ihm dafür eine Medaille gebührte, doch er ließ sich nicht anmerken, dass ihre Reaktion ihn nicht gerade umhaute. Die Zeiten, in denen er nur an sich denken konnte, waren vorbei, und außerdem war Fletcher sehr anständig gewesen. „Ich hatte damit gerechnet, dass er seine Überlegenheit rauskehren würde, denn an seiner Stelle hätte ich es wohl getan. Aber er hat mich nur höflich gefragt, warum ich zu dir will." „Und was hast du gesagt, Dante?" Dante zwang sich, ihren Blick zu erwidern. „Ich habe ihm gesagt, dass wir einige Dinge klären müssen." Leila sah auf ihren Bauch und strich mit der Hand darüber. Er fand diese Geste rührend und erotisch zugleich. „War das alles, worüber ihr gesprochen habt?" „Nicht ganz. Als ich gehen wollte, sagte er, sich in eine Frau zu verlieben und eine Affäre mit ihr zu haben wäre einfach, ihr Freund zu sein dagegen schwer." Nun lächelte sie. „Typisch Anthony. Er ist ein wunderbarer Mann." Dante musste einen Anflug von Eifersucht unterdrücken. „Na ja, jedenfalls tut es mir Leid, dass ich mich seinetwegen wie ein Idiot aufgeführt habe. Du bist schließlich kein Knochen, um den zwei Hunde kämpfen." „Du bist von Natur aus sehr ehrgeizig, Dante." „Das ist ja schön und gut, aber wenn man nur noch den Sieg im Auge hat, nützen einem alle Errungenschaften nichts. Ich wollte dich besitzen und der Welt zeigen, dass ich die Frau erobert habe, die kein anderer Mann bekommen konnte. Und dann hatte ich gar nichts mehr." Sie blickte ihn durchdringend an. „Wir haben alles vermasselt, stimmts?" „Ich schon. Ich habe ja sogar auf einen Trottel wie Newbury gehört." Er konnte kaum sprechen, denn die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er angenommen, dass er im Begriff war, die Fassung zu verlieren und loszuheulen. Doch er konnte sich überhaupt nicht mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal geweint hatte. Schließlich riss er sich zusammen und fuhr fort: „Übrigens habe ich ihn gefeuert, weil er eine junge Frau in der Buchhaltung sexuell belästigt hat. Seine Frau hat ihn auch rausgeworfen. Offenbar hat sie beschlossen, lieber allein zu leben als mit so einem Kerl - und damit wäre ich beim Thema. Du musst mich nicht heiraten, Leila. Ich bin hierher gekommen, um dich freizugeben. Ich werde dich nicht mehr erpressen und dir auch keine Ultimaten mehr stellen." „Und was willst du dann?" „Dir helfen, und das nicht, weil ich eine Gegenleistung erwarte, sondern weil ich dich liebe. Wenn ich nicht dein Mann sein kann, dann lass mich wenigstens dein Freund sein. Ich werde die Babys lieben, weil wir sie zusammen gezeugt haben und weil sie alles verkörpern, was an dir so wunderbar ist, und hoffentlich auch das Beste in mir." Als Leila nicht antwortete, hob Dante in einer hilflosen Geste die Hände. „Ich weiß, dass es nicht genug ist, wenn ich dir sage, dass ich dich liebe, sondern dass ich es dir beweisen muss. Ich weiß auch, dass ich alles vermasselt habe, aber wenn es nicht zu spät ist, würde ich es gern wieder gutmachen." „Es war nicht allein deine Schuld", brachte sie unter Tränen hervor. „Ich habe auch dazu beigetragen." Er hatte sich vorgenommen, zumindest so lange auf Abstand zu bleiben, bis er alles gesagt hatte. Doch zum ersten Mal seit Wochen war Leila ihm so nahe, dass er sie berühren konnte, und er ertrug es nicht, sie weinen zu sehen. „O verdammt, Leila?" sagte er rau und streckte die Hand nach ihr aus. „Ich möchte dir nicht noch mehr Kummer machen." Daraufhin stand sie auf, kam zu ihm und schmiegte sich an ihn. „Wein nicht", bat er und strich ihr durchs Haar. „Ich kann nicht anders." Leila wurde von heftigen Schluchzern geschüttelt. „Wenn ich mehr Vertrauen in dich gehabt hätte, hätte ich uns viel Kummer ersparen können. Aber ich
wollte dir eine Lektion erteilen, und dafür haben wir beide bezahlt. Ich habe dich vor allen Menschen, die dir wichtig sind, gedemütigt..." „Und ich hatte diese Lektion verdient, Schatz. Wenn ich die Uhr zurückstellen könnte, würde ich alles ganz anders machen. Jetzt kann ich mich nur bei dir entschuldigen, weil du für meine ... Unsicherheit bezahlen musstest." Widerstrebend löste er sich von ihr und nahm den Karton aus seiner Tasche. Dann leerte er den Inhalt auf den Tisch. „Diese Erbstücke gehören nicht in eine Pfandleihe." „Aber ich habe sie nicht in die Pfandleihe gebracht, sondern zu einem Juwelier." „Das ist doch dasselbe. Wichtig ist nur, dass sie jetzt wieder dort sind, wo sie hingehören." „Woher wusstest du, dass ich den Schmuck verkauft hatte?" flüsterte sie, während ihr wieder Tränen über die Wangen liefen. „Ich bin zu deiner Mutter gefahren, weil ich die Gläubiger auszahlen wollte. Als sie mir sagte, du hättest es bereits getan, habe ich sie gedrängt, mir alles zu erzählen." „Ich kann das nicht zulassen. Du bist nicht für die Schulden meines Vaters verantwortlich." „Du auch nic ht." Dante lachte gezwungen. „Betrachte es einfach als Vermächtnis für unsere Kinder." „Danke." Über die Geräuschkulisse der Party hinweg hörte er das Brummen des Wasserflugzeugs, das zurückkehrte. „Gern geschehen. Und nun lasse ich dich wieder allein." „Aber du kannst jetzt nicht weg!" rief Leila. „Das Wassertaxi fährt erst morgen wieder." „Der Pilot, der mich hergebracht hat, musste noch etwas nach Cortes Island liefern. Ich habe mit ihm verabredet, dass er mich hier wieder abholt." Er schwang sich die leere Tasche über die Schulter und betrachtete Leila, um sich ihre Züge für immer einzuprägen. „Pass auf dich auf, Leila, und auf unsere Babys. Wenn du mich brauchst, ruf mich an. Außerdem habe ich eine Überweisung auf dein Konto veranlasst." „Du brauchst mir kein Geld zu geben", protestierte sie. „O doch. Selbst wenn wir kein Paar mehr sind, so sind die Kinder von mir." Obwohl er sich schmerzlich danach sehnte, sie noch einmal zu küssen, traute er sich nicht. Daher hob er nur die Hand und verließ fluchtartig das Haus, damit sie nicht sah, dass ihm nun auch die Tränen in den Augen standen. Das Flugzeug legte gerade an, als er den Steg erreichte. Vancouver war nur eine Flugstunde entfernt, doch selbst wenn es auf der anderen Seite der Erde gelegen hätte, hätte der Schmerz, den er verspürte, nicht schlimmer sein können. Diesmal war Dante derjenige, der ging. Fassungslos blickte Leila ihm nach. Was war nur aus ihrer leidenschaftlichen Liebe geworden? Sie durfte es nicht zulassen. Er war zu ihr gekommen und hatte ihr seine Gefühle offenbart, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Er hatte es ihnen ermöglicht, um der Kinder willen eine neue Beziehung aufzubauen. Doch wenn sie ihn jetzt gehen ließ, war ihre Liebe unwiederbringlich dahin. „Warte!" rief sie und stürzte aus dem Haus, um hinter ihm herzulaufen. „Komm zurück, Dante!" Ihre Worte gingen allerdings in dem Lärm von nebenan und dem Motorengeräusch des Wasserflugzeugs unter. Als sie den Steg erreichte, war Dante gerade im Begriff einzusteigen. Mit tränenüberströmtem Gesicht lief sie den Steg entlang, doch es war zu spät, denn das Flugzeug hatte bereits abgelegt. Hilflos blickte sie ihm nach. Als es nur noch ein kleiner Punkt am Himmel war, sank sie, an das Geländer gelehnt, zu Boden und barg das Gesicht in den Händen. Dante wieder zu verlieren, nachdem sie ihn fast zurückgewonnen hatte, war mehr, als sie ertragen konnte, und die Erinnerung an ihn war so lebhaft, dass sie nun seine Hand im Nacken zu spüren und seine Stimme zu hören glaubte. Verzweifelt schluchzte Leila auf, aber dann hörte sie die Stimme wieder: „Leila ... Schatz." Und es war tatsächlich Dante, der sie nun hochzog und in die Arme nahm.
Benommen riskierte sie einen Blick in sein Gesicht. „Was machst du hier, Dante?" flüsterte sie unter Tränen. „Du bist doch gerade weggeflogen." „Ich konnte dich nicht verlassen", erwiderte er leise, die Lippen an ihren. „Obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, mich dir nicht aufzudrängen." „Aber ich habe selbst gesehen, wie du ins Flugzeug gestiegen bist." „Ich bin zurückgekommen, Leila, denn ohne dich bin ich nichts." „Ich bin so froh." Zärtlich berührte sie sein Kinn. „Sonst wäre ich wohl vor Kummer gestorben." Mühelos hob er sie hoch und kehrte mit ihr zum Haus zurück. Bevor sie zu den Drummonds gegangen war, hatte sie Mückenkerzen auf der Terrasse angezündet, so dass es dort trotz der einsetzenden Dämmerung noch hell war. Mit ihr auf dem Schoß setzte er sich auf den Liegestuhl. Lange saß er einfach nur mit ihr da, hielt sie fest, küsste sie aufs Haar und flüsterte ihr zärtliche Worte ins Ohr. Schließlich wurde es dunkel, und die Drummonds gingen mit ihren Gästen ins Haus, so dass man nur noch das Quaken der Frösche und das Zirpen der Grillen hörte. Irgendwann wurde es allerdings so kühl, dass Le ila zu frösteln begann. „Wir sollten lieber reingehen", erklärte sie. „Ich mag mich gar nicht von der Stelle rühren, weil ich Angst davor habe, bloß zu träumen." „Du träumst nicht." Sie nahm seine Hand und legte sie sich auf den Bauch. „Das sind deine Babys, die hier herumtoben." Beinah ehrfürchtig sah Dante sie an. „Verdammt! Die kleinen Teufel spielen tatsächlich Fußball." „Es ist lange her, dass ihr Vater ihre Mutter geküsst hat." Langsam neigte er den Kopf. „Du meinst, so?" Dann presste er die Lippen auf ihre und küsste sie, löste sich jedoch gleich darauf wieder von ihr. „Nicht ganz", brachte Leila hervor. Daraufhin umfasste er ihr Kinn. „Und wie ist es damit?" Als er dann wieder die Lippen auf ihre presste und ein erotisches Spiel mit der Zunge begann, war Leila verloren. Sie stöhnte auf und krallte die Finger in sein Hemd. Selbst wenn er sie jetzt hier, auf dem rauen Fußboden, genommen hätte, wäre es ihr recht gewesen, denn alles war besser als die schreckliche Leere der letzten zwei Monate. Stattdessen verführte er sie jedoch nach allen Regeln der Kunst, indem er sie küsste, streichelte und ihr immer wieder sagte, dass er sie bis in alle Ewigkeit lieben würde. Als Leila schließlich vor Lust fast verging und laut aufstöhnte, stand er auf und trug sie ins Schlafzimmer. „Ich möchte, dass es die ganze Nacht dauert", erklärte er, während er sie langsam auszog und dabei ihre nackte Haut küsste, „und ich will jede Sekunde auskosten." Als sie ihn aber auch zu streicheln begann, fluchte er, zog sich in Windeseile ebenfalls aus und drang mit einem einzigen Stoß in sie ein. „Sag mir, dass ich dich nie wieder verlieren werde", bat er, während er sich hin- und herbewegte. „Niemals", brachte sie hervor und versuchte vergeblich, den Wellen der Lust standzuhalten, die sie durchfluteten. Kurz darauf erreichte sie einen intensiven Höhepunkt. Es war der schönste Moment ihres Lebens. „Weißt du", sagte Dante danach und küsste ihre Handfläche, „im September werde ich achtunddreißig, und ich habe fast mein ganzes Leben darauf ausgerichtet, meine Herkunft wettzumachen. Aber erst seit ich dich kenne, ist mir klar, dass Reichtum nichts mit Geld zu tun hat. Allein aus dem Grund bedeutest du mir so viel, Leila." Leila drehte sich auf die Seite und schmiegte sich an ihn. „Tatsächlich? Und wirst du mich nun zu deinem angetrauten Weibe nehmen?" „O ja", brachte er hervor und zog sie auf sich. „Sag mir, wann, und ich werde da sein." Daraufhin liebten sie sich noch einmal mit sinnlichem Vergnügen und entdeckten dabei
wieder all die Dinge, die sie auf einer kleinen Insel in der Karibik so aneinander fasziniert hatten. Der Unterschied lag allerdings nicht in den Meilen, die dieses Paradies von dem anderen trennte. Sie, Leila, hatte endlich die Gewissheit, dass sie zu Dante gehörte, denn nur bei ihm fühlte sie sich vollständig. Dante und sie konnten sich nicht nur auf ihre Hochzeit freuen. Sie würden für immer zusammenbleiben. -ENDE