Du bist mein Sonnenschein Anne Charlton Julia 1393 8 2/2000
scanned by Suzi_Kay
1.KAPITEL Die Scheibenwischer bewegte...
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Du bist mein Sonnenschein Anne Charlton Julia 1393 8 2/2000
scanned by Suzi_Kay
1.KAPITEL Die Scheibenwischer bewegten sich so hektisch hin und her, dass Alexandra ihre Umgebung nur für Sekundenbruchteile klar erkennen konnte. Ein gelber Regenschirm auf dem Bürgersteig. Das bleiche Gesicht seines Besitzers, der gegen den strömenden Regen ankämpfte. Der weiße Briefkasten, der ihre Einfahrt markierte. Ein Paket unter der Treppe vor ihrer Haustür. Vielleicht war endlich die Büchersendung angekommen, auf die sie nun seit drei Wochen wartete. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Auktionator sie an Alexandras Privatadresse sandte. Die Luft roch nach nassem Gras, Eukalyptus und Sams Ziegen. Alexandra fuhr die Einfahrt im Schritttempo entlang und bemerkte die ungleichmäßige Form des Pakets. Also konnte es keine Bücherkiste sein. Sie schnitt ein Gesicht. Vielleicht handelte es sich wieder um einen von Sams Streichen. Ihr Nachbar war zwar alt genug, um es besser zu wissen, konnte aber nur selten widerstehen, alberne Scherze zu machen. Alexandra parkte hinter dem Haus, lief, so schnell sie konnte, zum Hintereingang und schloss auf. Sie hatte sich eine Plastiktüte auf den Kopf gestülpt, damit wenigstens ihr Haar trocken blieb. Ohne Erfolg. Oben im Badezimmer seufzte Alexandra, als sie ihr Spiegelbild betrachtete. Schon bei der geringsten subtropischen Feuchtigkeit kräuselte sich ihr Haar zu einer wilden rotbraunen Mähne, die
kaum zu bändigen war. In Brisbane geschah das praktisch täglich während des Januars. Alexandra duschte und versuchte dann, ihre Locken auszubürsten. Sie zog ein ärmelloses Top und einen wadenlangen Baumwollrock an und ging barfuß die Treppe hinunter, um nach dem Paket zu sehen. Es war in ein gemustertes Tuch gewickelt und wirkte eher wie ein Stoffbündel. Alexandra blickte angestrengt auf die Pflaumenbäume, die am Zaun zum Nachbargrundstück standen. "Sam? Komm her und entsorg deinen dummen Streich! Du kannst lange im Regen stehen und darauf warten, dass ich dieses Ding anfasse!" Keine Antwort. Alexandra schaltete die Außenbeleuchtung ein und rief: "Hast du mich gehört, Sam? Wenn das wieder einer deiner sprechenden Kürbisse ist..." Das Bündel zuckte. Alexandra sprang erschrocken zurück und warf dabei einen Tontopf mit Kräutern um. "Es lebt!" Alexandra versuchte, den Kräutertopf wieder aufzurichten, ohne das Stoffbündel aus den Augen zu lassen. "Sam!" schrie sie. "Wenn du mir eine verpackte Kröte unter die Treppe gelegt hast, schwöre ich dir ..." Das Bündel wimmerte. Alexandra überlief es kalt. Das Wimmern steigerte sich zu lautem Weinen. Sie kniete sich hin und hob vorsichtig das Tuch an. Eine winzige Faust streckte sich ihr entgegen. "Lieber Himmel!" Alexandra blickte starr in ein kleines, gerötetes Gesicht. "Ein Baby!" Sie zögerte, doch als die Schreie lauter wurden, nahm sie das Kind auf den Arm und ließ seinen Kopf an ihrer Schulter ruhen. Das weiche dunkle Haar des Babys kitzelte sie am Hals. "Ganz ruhig, mein Kleines", flüsterte sie und strich dem Kind zärtlich über den Rücken. Es beruhigte sich. "Hast du mich gerufen?" Sams Stimme kam aus dem Schatten der Pflaumenbäume. Seine Taschenlampe warf einen schwachen Lichtschein durch den Regen, und Alexandra konnte
Sams dünne Beine ausmachen, als er über den Zaun stieg. "Das wurde aber auch Zeit! Hast du endlich eingesehen, dass der Altersunterschied keine Rolle spielt? Dass eine Frau mit so viel Stil und Geschmack wie du einen reifen, weltgewandten Mann an ihrer Seite braucht?" Sam war fünfundsiebzig Jahre alt. Er kam in kurzer Regenhose zur Treppe hinüber und ging wie immer so, als Wäre er gerade von einem Pferd gestiegen. Sam blickte unter die Treppe und blieb unvermittelt stehen. "Das ist ein Baby!" "Ich habe es hier unter der Treppe gefunden. Zuerst dachte ich, es wäre eine Bücherkiste." "Nein, das ist zweifellos ein Baby." Sam lachte heiser und beugte sich hinunter, um das Kind genauer zu betrachten. "Woher kommt es, Sam?" "Wo alle Babys herkommen", antwortete Sam trocken. "Schließlich hat es nicht etwa der Storch vor deiner Tür verloren." Alexandra blickte die Straße entlang, verzweifelt bemüht, die Mutter zu entdecken. Doch es war niemand zu sehen, außer dem Fußgänger, der noch nicht besonders weit gekommen war. Sein Regenschirm verschwand zwischen den Bäumen, bevor Alexandra der entscheidende Gedanke kam. "Der gelbe Regenschirm!" Sie legte dem verblüfften Sam das Baby in den Arm und rannte die Einfahrt hinunter zur Straße, ohne sich um den Wolkenbruch zu kümmern. Sie war außer sich vor Wut und Panik. Wie konnte es diese Frau wagen, einfach ihr Kind vor ihrer, Alexandras, Tür auszusetzen? Der Weg war von abgerissenen Zweigen übersät, die Alexandra in die Fußsohlen stachen, und der Regen bespritzte ihr die Brille, so dass sie kaum noch etwas sehen konnte. Am Ende der Straße war kein gelber Regenschirm zu entdecken. Alexandra gab auf und kehrte zu Sam zurück.
Sam gab ihr das Baby eilig zurück. "Du solltest es endlich von den Tüchern befreien und ihm die Windeln wechseln, oder so etwas." "Müssen wir nicht die Polizei rufen?" "Ich glaube nicht, dass die Babys wickeln", sagte Sam schmunzelnd. Das Baby schrie lauter. "Vielleicht hat es Hunger. Wärm doch schon etwas Milch auf, dann hole ich eine Flasche von meinen Kleinen." "Er meint seine Ziegen", sagte Alexandra zu dem Baby, als Sam im strömenden Regen verschwand. "Er hält Ziegen. Deshalb stinkt es hier auch immer so." Das Baby hörte nicht auf zu schreien. "Schon gut, wir sterilisieren die Flasche ja, bevor du sie bekommst. Versprochen." Alexandra ging ins Haus, durchquerte ihr Büro, in dem sie auch Bücher sortierte und aufbewahrte, und ging nach oben ins Wohnzimmer. Sie sah sich nach einem sicheren Platz für das Baby um und legte es schließlich auf einen weichen Teppich. "Was mache ich bloß mit dir?" Das Baby strampelte sich von den Tüchern frei und begann, energisch am Daumen zu lutschen. Alexandra nutzte die Stille, um ihre Brille zu putzen, sich abzutrocknen und Socken und Schuhe anzuziehen. Sie legte ein kleines Handtuch bereit, das als Windel geeignet zu sein schien. Dann suchte sie die Nummer des nächsten Polizeireviers heraus und nahm den Telefonhörer ab. "Ich möchte ein ausgesetztes Baby melden ..." Nein. Sie warf einen Blick auf das Baby. "Ausgesetzt" war ein Wort, das kein Kind hören sollte. "Ich möchte ein vermisstes Baby melden" , probte sie leise und streckte die Hand aus, um die Nummer der Polizei zu wählen. "Oder eher vermisste Eltern." Das Baby begann wieder zu weinen und sah so winzig und verloren aus, dass Alexandra den Hörer auflegte und schnell hinüberging. Sie kniete sich hin, öffnete die Klebestreifen der Windel und setzte damit einen Geruch frei, dem gegenüber
Sanas Ziegen vergleichsweise nach Rosen dufteten. In der Windel steckte ein Zettel, auf den eine Botschaft gekritzelt war. Liebe Miss Page, Sie haben all die anderen Kinder gerettet, also helfen Sie mir bitte. Alexandra fühlte sich unwohl. Sie wollte nicht weiterlesen, sondern verspürte den egoistischen Wunsch, nicht in die Angelegenheit verwickelt zu werden. Doch sie war nicht einfach eine unbeteiligte Passantin. Der Hilferuf war direkt an sie, Alexandra Page, gerichtet. Ich bin so verzweifelt. Bitte verständigen Sie nicht die Polizei oder das Sozialamt! Kümmern Sie sich bitte um mein Baby, bis ich in einigen ... Der Brief endete unvermittelt und schien durchgerissen zu sein. In einigen ... Was? fragte sich Alexandra. Stunden, Tagen? Wochen? Sie drehte den Zettel um. Ich bin so verzweifelt. Alexandra schüttelte die Decke aus. Ein Papierfetzen flatterte heraus. ... finden ihn im Blue Parrot. Er ist ... wieder fehlte ein Stück Papier, doch die Nachricht ging in der nächsten Zeile weiter. ... und sein Name ist Riley ... Das war alles. Alexandra hielt die beiden Stücke aneinander und sah, dass ein dreieckiger Papierfetzen fehlte. "Riley", sagte sie leise. Sie war also nicht die Einzige, deren Name in dem Brief genannt wurde. Der Gedanke hatte etwas seltsam Beruhigendes. Offenbar gab es jemanden, mit dem sie die Verantwortung teilen konnte. Doch es tauchten keine weiteren Papierfetzen auf. Alexandra warf die unappetitliche Windel in einen Eimer und bemühte sich, die Behelfswindel mit Sicherheitsnadeln zu befestigen. Dann hörte sie Sams Schritte auf der Eingangstreppe. Die Fliegentür wurde geöffnet und wieder zugeschlagen, und schließlich betrat Sam das Wohnzimmer, bewaffnet mit zwei Flaschen und einer Auswahl von Gummisaugern.
"Es ist ein Mädchen", verkündete Alexandra. "Ich hätte daran denken sollen, Zigarren mitzubringen", sagte Sam lachend. Er hockte sich neben Alexandra, las den Brief aufmerksam und stieß einen leisen Pfiff aus. "Hast du schon die Polizei verständigt?" Alexandra hatte plötzlich eine düstere Vorahnung. "Ich rufe an, sobald wir das Baby gefüttert haben." Es würde besser sein, wenn sich die Behörden um dieses ausgesetzte Kind kümmerten und die Eltern ausfindig machten. "Warum ich?" fragte Alexandra verzweifelt. Sam füllte in der Küche bereits eine Flasche. ".Liebe Miss Page, Sie haben all die anderen Kinder gerettet ...' Sie scheint den Zeitungsartikel über dich gelesen oder den Fernsehbericht gesehen zu haben." Alexandra blickte Sam durchdringend an, doch er ließ das Thema nicht fallen. "Wenigstens wollte sie ihr Kind bei jemandem mit ein wenig Rückgrat lassen. Das spricht für sie", sagte Sam. ",Buchhändlerin trotzt dem Feuer'", zitierte er. "'Die furchtlose Alexandra Page bekommt Tapferkeitsmedaille'. Wahrscheinlich hat sie deine Adresse im Telefonbuch nachgeschlagen. Wenn sie tatsächlich die Person mit dem gelben Regenschirm war, hat sie bestimmt das Logo des Buchladens auf deinem Auto erkannt. Vielleicht wollte sie sichergehen, dass du ihr Kind vor den Nachbarshunden findest." Alexandra verkniff sich ein hysterisches Lachen bei dem Gedanken, jemand könnte sie für eine starke, rechtschaffene Frau halten, die nie vor einer Verantwortung zurückschrecken würde. "Kein vernünftiger Mensch würde davon ausgehen, dass eine Fremde eine solche Verantwortung übernimmt", sagte sie und blickte auf das gerötete Gesicht des kleinen Mädchens, dessen weiches dunkles Haar ihm wie elektrisiert vom Kopf abstand. Alexandra verspürte deutlich Zuneigung zu dem Kind.
"Sehr dumm", stimmte Sam ihr zu, als er die Milch brachte. Er tröpfelte sich etwas Flüssigkeit auf den Handrücken, um die Temperatur zu überprüfen, und gab Alexandra danach die Flasche. "Es wird das Beste sein, die Behörden zu benachrichtigen", sagte Alexandra. "Auch für die Mutter. Je eher man sie findet, desto besser. Sie braucht bestimmt Hilfe." Als es die Flasche bemerkte, hörte das Baby zu schreien auf und begann sofort zu trinken. Endlich kehrte Stille ein. Als die Flasche halb leer und der erste Hunger gestillt war, blickte das Kind Alexandra aus großen blauen Augen an, neugierig und vertrauensvoll zugleich. Liebe Miss Page, ich bin so verzweifelt. Natürlich war es für alle Beteiligten die beste Lösung, das Kind der Polizei zu übergeben. Die Kleine beobachtete Alexandra noch immer, und um ihre Mundwinkel zuckte es, bevor sie schließlich die Augen schloss und weitertrank. Vermutlich ist es nicht einmal ein Lächeln gewesen, sondern nur mangelhafte Kontrolle über die Gesichtsmuskeln, dachte Alexandra. Das Baby, dessen Gewicht Alexandra kaum spürte, gab einige schmatzende Laute von sich. "Sam?" "Ja?" "Was könnte Blue Parrot bedeuten?" Das Blue Parrot wirkte wie die Filmkulisse eines Jazzkellers. Unverputzte Ziegelwände, winzige Tische und Stammgäste, die Schulter an Schulter an der Bar saßen. Es gab nur wenig Beleuchtung, dafür um so mehr Zigarettenqualm. Alexandra spürte, wie die allergische Reaktion einsetzte und ihre Nase zu jucken begann. Großartig! "Entschuldigung", sagte sie und drängte sich vor, um mit dem Barkeeper zu reden, "ich hatte wegen eines Mannes namens Riley angerufen." "Er spielt. Da drüben."
Der Mann deutete auf eine kleine Bühne, auf der ein Jazzquartett spielte. "Riley sitzt am Klavier", erklärte der Barkeeper. Das Publikum applaudierte, als der Saxophonist sein Solo beendet hatte, und den Pianisten hörte Alexandra, bevor sie ihn sah. Er saß über die Tasten gebeugt und hatte eine Zigarette im Mundwinkel. Wunderbar, ein Raucher! Das hat mir noch gefehlt, dachte Alexandra. Sie nahm ihr Taschentuch, schob die Brille hoch und trocknete sich die tränenden Augen. "Mr. Riley, ich muss mit Ihnen über ein Baby reden" o, sprach sie leise vor sich hin, während sie sich an den Fans vorbeidrängte, um zum Klavier zu gelangen. Vielleicht war das zu direkt. Riley "... er ist ... Was? Der Vater des Kindes? Aber wenn sich die Mutter dazu gezwungen sah, ihr Baby auszusetzen, würde Riley vielleicht nicht gerade begeistert seine Vaterschaft anerkennen, "...über eine persönliche Angelegenheit", verbesserte sich Alexandra leise. Sie beugte sich vor und rief: "Mr. Riley?" Die Fans sahen Alexandra schockiert an, weil sie es gewagt hatte, den Künstler während seines Solos zu stören. Alexandra errötete, ließ sich aber nicht beirren. Ihre Nase juckte immer heftiger, und sie wollte die Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich bringen. "Mr. Riley!" Wieder warfen ihr Rileys Bewunderer missbilligende Blicke zu. Der Pianist schien dagegen nichts außer der Musik wahrzunehmen und saß, noch immer tief über das Klavier gebeugt, da. Alexandra konnte von ihm nicht mehr ausmachen als Kopf, Schultern und die Hände, die er beinahe liebkosend über die Tasten gleiten ließ. Er hat mehr Haar als alle anderen Musiker zusammen, dachte Alexandra, während sie in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch suchte. Rileys Haar war dunkelbraun, wellig und im Nacken ein wenig zu lang. Er beendete das Solo, und die anderen Musiker begannen wieder zu spielen, doch Riley wirkte noch immer sehr
konzentriert und schien den Applaus kaum zu bemerken. Als er die letzten Noten des Stückes spielte, fiel Asche von seiner Zigarette auf den Boden. Alexandra glaubte, in Rileys melancholischen Improvisationen Bruchstücke einer bestimmten Melodie zu erkennen. Wie hieß der Song? Sie wurde ungeduldig. Endlich hörte die Band zu spielen auf, und die Musiker legten eine Pause ein. Alexandra wartete den Applaus ab. "Mr. Riley?" wiederholte sie dann, als er sich aufrichtete und reckte und streckte. Ein Anblick, der mindestens so faszinierend wie sein Spiel war. Dabei drohte sein muskulöser Rücken die Nähte seines weißen Hemdes zu sprengen. Dann verschränkte er die Hände im Nacken. "Haben Sie den Aufruhr verursacht?" fragte er, die Zigarette noch immer im Mundwinkel. Riley hatte wegen des Rauchs die Augen zusammengekniffen. Seine Nase war kräftig und passte zu seinen markanten Zügen. Für einen Mann sieht er ganz passabel aus, dachte Alexandra. Würde seine Tochter ihm jedoch eines Tages ähnlich sehen, wäre sie zu bedauern. Falls er der Vater des Kindes war. Alexandra sah ihn starr an und versuchte, sich an den Satz zu erinnern, den sie vorhin eingeübt hatte. "Sind Sie schon alt genug, um Bars besuchen zu dürfen?" fragte Riley gleichgültig. "Wenn Sie einen Drink bestellen wollen, müssen Sie bestimmt Ihren Ausweis vorzeigen." "Ich will nichts trinken, sondern mit Ihnen reden." "Worüber?" "Es ist ... Könnten wir unter vier Augen miteinander sprechen?" Riley betrachtete sie mit typisch männlicher Neugier, als hätte sie ihn in ihr Schlafzimmer eingeladen. Alexandra wurde immer ungeduldiger. "Gib mir einen Tipp, Süße", erwiderte Riley gelassen und ließ die rechte Hand auf den Klaviertasten ruhen. Er hatte große,
kräftige Hände mit gepflegten Nägeln. Alexandra sah, dass seine Finger keine Nikotinflecke aufwiesen. Als sie aufblickte, bemerkte sie, dass Riley sie aufmerksam betrachtete, um ihre Reaktion zu beobachten. Er wirkte wie ein Zauberkünstler, der sein Publikum begeistert hatte und nun auf den Applaus wartete. Offenbar war er es gewöhnt, von anderen Menschen für sein Können bewundert zu werden. Doch Alexandra ließ sich davon nicht beeindrucken. Sie hatte schon immer mit hoch begabten Menschen zu tun gehabt. Kaum merklich zuckte sie die Schultern und sagte: "Ich komme wegen eines Babys." Riley neigte den Kopf, nahm die Zigarette aus dem Mund und betrachtete Alexandras randlose Brille und ihr rotbraunes Haar, das sie mit einem Tuch gebändigt hatte. Sie trug einen wadenlangen Rock und ein weites weißes Hemd über einem weißen Top. Auf Make-up hatte sie verzichtet, und ihr war klar, dass Augen und Nase mittlerweile sicher gerötet und geschwollen waren. "Ein Baby?" Riley zog die Augenbrauen hoch. "Haben oder wollen Sie eins?" Alexandra sah ihn verwirrt an. "Wie bitte?" "Lassen Sie mich raten: Sie möchten, dass Ihr Kind musikalisch wird, und als Sie mich spielen hörten ..." Riley wiederholte eine kurze Notenfolge, und Alexandra erschauerte. "Nun glauben Sie, dass aus Ihren und meinen Genen ein Wunderkind entstehen könnte." Der Bassist grinste über Rileys Sarkasmus. "Ich muss Sie ebenso enttäuschen wie die andere Dame letzten Monat. Ich kann Ihnen da nicht behilflich sein." Die andere? Offenbar war der bedauernswerte Mann umlagert von Frauen, die unbedingt von ihm schwanger werden wollten. "Ich habe schon ein Baby", erklärte Alexandra und gab den Versuch auf, es ihm schonend beizubringen. "Und Sie könnten der Vater sein, Riley."
Dem Bassisten verging die Heiterkeit, und er zog sich schnell zurück. Bei der Vaterschaft hörte der Spaß offenbar auf. Riley stand auf und streckte sich wieder. "So, jetzt haben Sie mich neugierig gemacht", meinte er. "Ich weiß, dass ich nicht der Vater Ihres Kindes bin. Also, worum geht es?" Zu Alexandras Überraschung war Riley deutlich über ein Meter achtzig groß. Sie wandte den Blick von ihm ab und suchte nach einem frischen Taschentuch. Es war zu warm im Club. Alexandras Brille war beschlagen, und ihr standen Schweißperlen auf der Stirn. Ihre allergische Reaktion schien sich ihrem Höhepunkt zu nähern. Alexandra tupfte sich einige Tränen ab. "O nein, jetzt fängt sie an zu weinen", sagte Riley kaum hörbar. "Kommen Sie." Er führte Alexandra durch den verqualmten Raum in ein kleines Büro, in dem die Luft vergleichsweise gut war. "Ersparen Sie mir die Tränen", sagte er betont gelangweilt. "Ich weine nicht", protestierte Alexandra gereizt, "obwohl ich allen Grund dazu hätte. Als ich heute Abend nach Hause kam, lag ein Baby auf meiner Türschwelle." Riley lachte kurz, und Alexandra warf ihm einen finsteren Blick zu. "Ich weiß, wie klischeehaft das klingt, aber es ist wirklich passiert. Diesen Brief habe ich bei dem Kind gefunden." Sie gab Riley die beiden Papierstücke. "Müssen Sie hier unbedingt rauchen?" Er ignorierte die Frage, zündete die Zigarette an und setzte sich auf die Kante des Schreibtischs. Während Riley die Papierfetzen ins Licht hielt, um sie besser lesen zu können, betrachtete Alexandra ihn eingehend. Riley hatte dunkle Ringe unter den Augen und benötigte dringend eine Rasur. Er hatte das weiße Hemd am Kragen geöffnet und die Ärmel bis zum Ellenbogen aufgekrempelt. Darüber trug er eine offene Weste, die zur Hose passte. Seine Kleidung sah teuer aus, ebenso wie
die goldene Uhr, die er an einem breiten Lederarmband ums Handgelenk trug. Riley blickte von dem Brief auf. Rauch stieg von der Zigarette auf, die er sich in den Mundwinkel geklemmt hatte. "Sie sind demnach also Miss Page, stimmt's?" "Das ist richtig." "Wenn die Schreiberin schon weiß, wer Sie sind, müssen Sie die Frau doch auch kennen." Alexandra schüttelte den Kopf. "Was heißt denn: ,Sie haben all die anderen Kinder gerettet'?" "Das ist nicht so wichtig. Es geht darum, dass Sie und dieser Club erwähnt werden. Wenn die Frau wirklich so verzweifelt ist, wie sie schreibt, ist es doch sehr wahrscheinlich, dass sie den Vater ihres Kindes benennt. Sind Sie es?" "Hören Sie doch auf, Miss Page", sagte Riley ironisch und lächelte kaum merklich. "Ein Baby auf der Türschwelle, der zerrissene Brief einer verzweifelten Mutter ... Wirklich sehr originell!" Die Zigarette bewegte sich bei seinen Worten auf und ab. Alexandra seufzte, ging auf ihn zu und nahm Riley die Zigarette aus dem Mund. Er zog verblüfft die Augenbrauen hoch, so dass Alexandra endlich seine Augenfarbe deutlich erkennen konnte. Dunkelblau, vielleicht noch eine Schattierung dunkler als die Augen des Babys. Alexandra drückte die Zigarette in einem überquellenden Aschenbecher aus und leerte diesen in den Papierkorb. "Sind Sie Nichtraucherin oder nur putzsüchtig?" fragte Riley ironisch. Alexandra drehte sich zu ihm um. "Ich mag keine Unordnung und verabscheue es, wenn mein Leben auf den Kopf gestellt wird! Außerdem hätten mich normalerweise keine zehn Pferde an einen Ort wie diesen bringen können, aber ein Baby, das unter meiner Treppe ausgesetzt wurde, war ein gewichtiger Grund, Sie aufzusuchen. Also würden Sie bitte mit den dummen
Witzen aufhören und Ihre Aufmerksamkeit unserem Problem schenken?" Riley sah sie wachsam an und hob abwehrend die Hände. "O nein! Nicht wir haben ein Problem, Lady, sondern Sie. Schließlich wurde das Kind auf Ihrer Türschwelle oder unter Ihrer Treppe ausgesetzt. Übrigens sollten Sie in Zukunft darauf achten, nur eine Version einer Geschichte zu erzählen." "Aber Ihr Name steht auf dem Zettel!" rief Alexandra und deutete aufgebracht auf die Papierfetzen. Riley kniff die Augen zusammen. "Ich habe in der Vergangenheit keine Kinder gezeugt und werde es auch in Zukunft so halten. Mit Ihrem angeblichen Findelkind habe ich nichts zu tun." Angebliches Findelkind? Alexandra sah ihn fassungslos an. Es war ihr nie in den Sinn gekommen, dass Riley ihr nicht glauben würde. "Warum, zum Teufel, sollte ich Ihnen eine solche Geschichte auftischen, wenn sie nicht wahr wäre?" "Miss Page, wenn es um das Verhalten von Menschen geht, überrascht mich nichts mehr." In seinen Gesichtszügen lag tatsächlich der abgeklärte Ausdruck eines Mannes, der schon alles gesehen hatte. Riley gab Alexandra die Papierstücke zurück. "Wenn Ihre Geschichte stimmt, ist dieses Baby ganz allein Ihr Problem. Immerhin muss ich zugeben, dass ich sie sehr spannend fand", sagte er und nickte Alexandra spöttisch zu. "Aber ..." "Es mag altmodisch sein", fuhr Riley gelassen fort, "aber ich ziehe es vor, der Jäger und nicht der Gejagte zu sein. Abgesehen davon sind Sie einfach nicht mein Typ." Er blickte abfällig auf Alexandras Frisur und ihre bequeme, weite Kleidung. Alexandra traten wieder Tränen in die geröteten Augen. Riley glaubte offenbar, sie würde anfangen zu weinen, und gab ihr einen Klaps auf die Schulter, um sie zu trösten. Er glaubte
tatsächlich, sie würde in Tränen ausbrechen, weil er sie abgewiesen hatte! Eingebildeter Idiot! "Gehen Sie nach Hause", sagte Riley und wollte zur Tür gehen. Doch Alexandra hielt ihn am Arm fest. "Aber Sie können mir die Sache doch nicht allein überlassen!" Er blickte sie durchdringend an, als würde er seinen Entschluss überdenken. "Schließlich stand nicht nur mein Name auf dem Zettel!" Alexandra hielt ihm die Papierfetzen vors Gesicht und musste feststellen, dass sie sein Zögern wohl missverstanden hatte. "Verschwinden Sie", sagte Riley und verließ das Büro. Alexandra folgte ihm, doch plötzlich trat eine blonde Bewunderin von klassischer Schönheit auf ihn zu, und Riley legte ihr den Arm um die Taille. Er lächelte die blonde Frau an. Offenbar hatte er nichts dagegen, auf diese Weise gejagt zu werden. Er drehte sich nicht mehr zu Alexandra um und setzte sich wieder ans Klavier. Schon verlor er sich unerreichbar in der Welt der Musik. Alexandra betrachtete ihn neidisch. Schließlich hatte sie noch immer das Findelkind am Hals und keinerlei Anhaltspunkte über seine Herkunft. Sie tupfte sich die Tränen aus den Augen, suchte ein Telefon und rief Sam an. "Ich hatte kein Glück mit Riley", sagte sie. "Er scheint an Frauen gewöhnt zu sein, die alles tun würden, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, und glaubt nicht, dass überhaupt ein Baby existiert. Immerhin besteht die geringe Chance, dass er der falsche Riley war." Nach kurzem, resigniertem Schweigen fragte Alexandra: "Wie geht es dem Kind?" "Die Kleine schläft fest. Ich habe ihr aus Sofakissen ein Bett gebaut, und einige deiner Bücherkisten schützen sie vor dem Hinausrollen. Willst du die Polizei anrufen, oder soll ich es tun?"
"Lass mich erst noch einmal mit Riley reden. Vielleicht glaubt er mir dann. Kannst du noch bleiben Sam? Vielleicht muss ich warten, bis das Konzert zu Ende ist." Alexandra wartete zwei Stunden. In der Zwischenzeit erkundigte sie sich nach anderen Gästen mit dem Namen Riley, aber niemand kannte einen anderen als den Pianisten. Alexandra erfuhr, dass er immer spielte, wenn der Club einen Amateurabend veranstaltete. Außerdem war Riley nicht sein Nachname, sondern er hieß eigentlich Riley Templeton. Alexandra betrachtete den zerrissenen Brief. Das fehlende Wort hinter "Riley" schien eindeutig mit einem "T" zu beginnen. Schließlich flüchtete Alexandra vor dem Rauch und dem Lärm nach draußen in den strömenden Regen. Dort erholten sich Alexandras Augen und Nase schnell, aber ihre Kleidung wurde völlig durchnässt und klebte ihr auf der Haut. Von dem Schal, den sie im Haar trug, lief ihr Wasser in die Augen. Alexandra löste ihn zögernd, und ihre Locken entkamen nach allen Seiten. Riley verließ den Club allein. Er trug einen ledernen Aktenkoffer und hatte sich das Jackett über die Schulter geworfen. Er ging schnell die Straße entlang und blieb vor einem Schaufenster mit Neonschrift stehen. Alexandra folgte ihm. "Sie schon wieder!" Riley kniff plötzlich misstrauisch die Augen zusammen, sah sich dann um und schien sich danach ein wenig zu entspannen. Er stellte den Aktenkoffer ab, zog sich das Jackett an und knöpfte das Hemd zu. "Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Ein Baby auf der Türschwelle oder unter der Treppe? Welche Version stimmt?" "Beide", sagte Alexandra hoffnungsvoll. "Mein Haus ist im Queensland-Stil gebaut und hat im Souterrain ebenfalls einen Eingang. Dort lag das Baby, unter der Treppe, die zur Veranda und zum Haupteingang führt."
Riley sah sie ungeduldig an. "So genau wollte ich es eigentlich gar nicht wissen." Er klopfte seine Jackentaschen ab und förderte schließlich eine Seidenkrawatte zutage. Dabei beobachtete er kurz den Verkehr, schlug dann den Hemdkragen hoch, legte sich die Krawatte um und band sie, ohne hinzusehen. Alexandra beobachtete fasziniert seine Bewegungen. Um sich abzulenken, nahm sie die Brille ab und wischte mit einem Taschentuch Regentropfen von den Gläsern. Als sie Riley wieder ansah, schlug er gerade den Kragen wieder hinunter. ^ Für einen Moment trafen sich ihre Blicke, dann rückte Riley die Krawatte zurecht, strich sein Hemd glatt und knöpfte die Weste zu. Er war damit so sehr beschäftigt, dass Alexandra befürchtete, seine Aufmerksamkeit nur durch das Angebot auf sieh lenken zu können, ihm rasch die Schuhe zu putzen. "Also, was meinen Sie?" fragte er ironisch. Offenbar glaubte er, sie würde ihn bewundern. Alexandra erinnerte sich an seine Bemerkung bezüglich ihres Sex-Appeals und wurde wütend. "Ich fragte mich nur gerade, ob Sie an die Nase gedacht hat?" "Wie bitte?" Riley sah sie irritiert an. "Wer?" "Die Frau, die mit Ihnen offenbar ein musikalisches Wunderkind produzieren wollte." Alexandra musterte Rileys Nase abfällig, bis er die Hände hob, um sie ihrem kritischen Blick zu entziehen. Dann lachte er. Die meisten großen, attraktiven, selbstsicheren Männer nahmen sich viel zu ernst. Dieser hingegen konnte über sich lachen. Andererseits war er vielleicht so eingebildet, dass er es lächerlich fand, wenn eine Frau einen Fehler an ihm entdeckte. Alexandra setzte sich die Brille wieder auf und stellte fest, dass Riley ihr Haar und ihre durchnässte Kleidung genau betrachtete. Da sie nun endlich seine Aufmerksamkeit erregt hatte, hob Alexandra die Hand, in der sie den Brief hielt.
Riley wurde ärgerlich. "Würden Sie bitte aufhören, damit vor meinem Gesicht herumzuwedeln?" "Aber Dir Name ..." "Wird genannt. Das sagen Sie mir immer wieder!" "Bitte überlegen Sie doch einmal, wer diesen Brief geschrieben haben könnte!" Alexandra wedelte wieder mit dem Zettel, und Riley wich ärgerlich zurück. Dann zog er einen grünen Kamm aus der Tasche. "Ich brauche nicht darüber nachzudenken! Ich habe nichts mit der Sache zu tun und wünschte", er deutete anklagend mit dem Kamm auf Alexandra, "Sie würden damit aufhören, mich in die Angelegenheit zu verwickeln! Ich dachte, der Club wäre ein Ort, an dem ich nicht von neugierigen, penetranten und hinterlistigen Frauen belästigt werden würde. Frauen wie Sie stehen mir bis hier!" Er deutete auf sein Kinn. "Ich kann Ihnen nur den Rat geben, sich auch nicht in diese Sache verwickeln zu lassen", sagte er. "Das bin ich schon. Die Mutter hat die Kleine nicht einfach irgendwo ausgesetzt, sondern mir einen Brief geschrieben und mich gebeten, für das Kind zu sorgen. Offenbar war sie der Meinung, ich sei die Person, an die sie sich in ihrer Verzweiflung wenden könne. Auch wenn Sie es anders sehen, Mr. Riley, ich jedenfalls kann diese Bitte nicht einfach ignorieren!" Alexandra fiel ein, dass sein Nachname Templeton war, doch Riley verbesserte sie nicht, sondern blickte sie nur durchdringend an. Es regnete noch immer. Ein glänzender Wassertropfen hing in einer Haarsträhne, die Riley in die Stirn fiel. Alexandra beobachtete, wie der Tropfen langsam an der Strähne entlangglitt und an der Spitze hängen blieb. Was hatte sie gerade gesagt? Es schien wichtig zu sein, das Schweigen zu brechen, bevor der Wassertropfen herunterfiel.
"Denken Sie darüber nach", sagte Alexandra schnell, steckte den Brief in ihre Handtasche und suchte nach einer Visitenkarte. "Ich gebe Ihnen meine Telefonnummer, für den Fall, dass Ihnen etwas einfällt. Vielleicht kann ich das Baby der Mutter ohne großen Aufwand zurückgeben. Vielleicht fühlte sie sich nur vorübergehend ein wenig überfordert. Die Behörden haben Vorurteile gegenüber Müttern, die ihre Kinder verlassen, und sie würde vielleicht unter die Aufsicht..." Der Wassertropfen löste sich und blieb in Rileys dichter Augenbraue hängen. Lieber Himmel, er hatte so blaue Augen und so lange schwarze Wimpern! "... eines Sozialarbeiters gestellt. Das ist kein guter Anfang für eine Mutterschaft. Nach der Schrift zu urteilen, ist die Mutter noch sehr jung. Vermutlich hat sie Angst. Können Sie sich an eine schwangere Frau erinnern, die irgendwann letztes Jahr im Club aufgetaucht ist?" Alexandra schüttelte den Kopf, um zu verhindern, dass ihr mehr Regenwasser hinter die Brille lief. Einige Tropfen spritzten dabei Riley ins Gesicht. Er blinzelte und wischte sich das Wasser von der Wange. Dann leckte er sich unwillkürlich einen Tropfen von der Lippe. Alexandra fühlte sich ihm auf unerklärliche Weise verbunden, während sie zusammen im Regen auf der Straße standen. Ihr wurde bewusst, dass Riley ebenso starr auf ihren Mund sah wie sie auf seinen, bis sie beide den Blick unvermittelt abwandten. Riley zog ein gefaltetes Taschentuch hervor und fuhr sich damit übers Gesicht. "Mir fällt keine Schwangere ein", sagte er kurz angebunden. "Es tut mir Leid, dass Sie dieses Baby am Hals haben, weil irgendeine verantwortungslose Frau nicht in der Lage ist, es aufzuziehen. Ich würde Ihnen ja gern helfen, habe aber auch so schon genug Probleme. Sie sollten lieber die Polizei informieren, bevor man Sie noch der Kindesentführung bezichtigt."
"Entführung?" rief Alexandra entsetzt. "Aber ich habe doch..." "Sie haben ein fremdes Kind bei sich im Haus. Das könnte missverstanden werden, glauben Sie mir." Riley kämmte sich kurz, steckte den Kamm wieder ein und sah auf seine Uhr. "Viel Glück, Miss Page, und auf Wiedersehen." In diesem Moment hielt am Straßenrand ein bronzefarbener Wagen. "Hallo Riley!" rief eine Frau und winkte ihm aus dem offenen Fenster zu. Er stöhnte auf. "Lieber Himmel, Caroline", sagte er leise und fluchte. Als Alexandra gehen wollte, hielt Riley sie am Arm fest und sagte: "Halt!" Es klang wie ein Befehl, und Alexandra hätte sich am liebsten losgerissen. Doch als sie Riley ansah, bemerkte sie feine Schweißperlen auf seiner Oberlippe. Riley schien plötzlich in Panik geraten zu sein. Gespannt blieb Alexandra stehen. Caroline stieg aus dem Wagen. Sie trug das glatte blonde Haar in einem kinnlangen Bob, hatte schwarz umrandete Augen, die Alexandra an Königin Nofretete erinnerten, und war mit einem trägerlosen roten Top und einem schwarzen Minirock bekleidet. Außerdem hatte sie viel Goldschmuck angelegt. Offenbar wollte sie wie ein hochklassiges Callgirl wirken. Alexandra schätzte sie auf neunzehn oder zwanzig und fragte sich sogleich, warum diese Frau den so unerschütterlich selbstbewussten Riley derartig nervös machte. "Hier sind deine Autoschlüssel, Darling." Caroline warf Riley die Schlüssel zu, der sie mit einer Hand auffing. "Die Leute vom Bauunternehmen haben dich per Autotelefon zu erreichen versucht. Sie wollen dir morgen den Schadensbericht durchgeben. Du solltest zu uns ziehen, solange dein Apartment unbewohnbar ist. Daddy würde sich freuen, und wir haben viel Platz."
Caroline warf Riley einen Blick zu, der besagte, dass vor allem ihr Schlafzimmer besonders geräumig sei. Offenbar hatte sie einen toleranten Vater. Hatte sie Riley wirklich "Darling" genannt? "Hallo", wandte sich die junge Frau kühl an Alexandra. "Ich bin Caroline Warner. Sie sehen nicht wie eine Anwältin aus ... Daddy sagte, du seist mit einem Fall beschäftigt, Riley?" "Wir sind beinahe fertig", erwiderte Riley gelassen und warf Caroline die Autoschlüssel wieder zu. "Ich bin gleich bei dir." Caroline ging beleidigt zum Wagen und lehnte sich, die Arme verschränkt, dagegen. Alexandra wandte den Blick von Carolines beneidenswert glattem, weichem Haar ab und schüttelte Rileys Hand ab, der aber sofort ihre Taille umfasste. "Was tun Sie da?" fragte Alexandra nervös, als Riley sie an sich zog. Sie spürte die Wärme seiner Hände durch das nasse Hemd. "Ich verabschiede mich." Riley zögerte kurz, als würde er darauf warten, dass Alexandra zu fliehen versuchte. Da sie jedoch stehen blieb, beugte er sich zu ihr hinunter und küsste sie. Es war ein energischer Kuss, der zwar auf Zuschauer Eindruck machte, aber nicht als zärtliche Liebkosung gedacht war. Zumindest glaubte Alexandra das in den ersten fünf Sekunden. Dann öffnete Riley leicht den Mund und küsste Alexandra sanft und verführerisch. Sie spürte, wie seine Zungenspitze zärtlich ihren Mund erkundete, und nahm den Geschmack von Rauch und Pfefferminz wahr. Dann wurde der Kuss unvermittelt durch das Geräusch einer heftig zugeschlagenen Autotür beendet. Riley ließ Alexandra los und lächelte zufrieden. "Schade. Unter anderen Umständen hätte es sicher Spaß gemacht, das hier fortzusetzen. Aber wir werden uns ja wohl nicht wieder sehen. Leb wohl, Alexandra." Er nahm den Aktenkoffer und ging zum Wagen, Alexandra wartete nicht, bis er abfuhr, sondern warf nur noch einen kurzen
Blick auf Riley am Steuer mit der schmollenden Caroline neben sich und ging. Sie fuhr sich verwirrt über den Mund. "Es hätte Spaß gemacht, das hier fortzusetzen." Der Mann litt offenbar an Selbstüberschätzung und einem gestörten Hormonhaushalt! Immerhin scheint er sich geirrt zu haben, als er sagte, ich sei nicht sein Typ, dachte Alexandra mit grimmigem Stolz. Zu Hause fand sie Sam schlafend auf dem unbequemen Sofa und das Baby in seinem improvisierten Bett vor. Caroline hatte etwas von einem Fall gesagt, an dem Riley hatte arbeiten wollen. Alexandra schlug Templeton im Telefonbuch nach und wurde fündig. Riley Q. Templeton, Staatsanwalt. Er war also Anwalt! Kein Wunder, dass sie bei ihm nichts erreicht hatte. Der Mann misstraute Menschen von Berufs wegen. Sam wachte auf, ließ sich die neuesten Entwicklungen berichten und ging dann nach Hause. Alexandra hörte die Haustür zuschlagen und Sams Schritte auf der Treppe. Eine Ziege blökte. Der Frosch im Teich auf der anderen Straßenseite quakte exakt alle neun Sekunden, in einem Takt, den er bereits seit Dezember durchgehalten hatte. Draußen vor dem Fliegengitter summten einige Mücken. In weiter Ferne war das Geräusch von Reifen auf der regennassen Straße zu vernehmen. Alexandra legte sich schlafen und nahm außer dem Atmen des Babys keine Geräusche mehr wahr. Noch einen Tag, dachte sie. So lange würde sie das Kind noch behalten und darauf warten, dass seine Mutter zurückkam; Es war mehr als unwahrscheinlich, dass Riley ihr, Alexandra, helfen würde, selbst wenn er es sich anders überlegte. Sie hatte die Visitenkarte vermutlich fallen lassen, und Riley würde sich bestimmt nicht die Mühe machen, ihre Telefonnummer herauszufinden. Wahrscheinlich hatte er ihren Namen schon vergessen. Alexandra ließ eine Fingerspitze über ihre Lippen gleiten. "Wir werden uns ja wohl nicht wieder sehen." Natürlich
war er dieser Meinung. Schließlich glaubte er, sie würde Riley für seinen Nachnamen halten.
2. KAPITEL Er hatte den Prozess gewonnen, doch Riley hatte trotzdem schlechte Laune. Die Einzelheiten des Falls, den er für die Staatsanwaltschaft vorgetragen hatte, waren unerfreulich, verblassten aber gegenüber den vielen anderen, die ein wahres Gruselkabinett in seinem Gedächtnis bildeten. Rileys gedrückte Stimmung wurde hin und wieder durch die Erinnerung an den gestrigen Abend aufgeheitert. Er sprach mit Kollegen über das Wetter, während er mit dem Fahrstuhl zu seinem Büro hinauffuhr. Ein Abend im Club wie der gestrige verlieh ihm jedes Mal neue Energie. Die benötigte er besonders, seit seine Mutter wieder angefangen hatte, sich um sein Berufsund Privatleben zu kümmern. Doch es waren nur wenige Momente, an die, sich Riley jetzt erinnerte: Alexandra Page, die ihn küsste und einen bestimmten Duft an sich hatte, den er kannte, aber nicht benennen konnte. Alexandra Page, die ihm den Brief vor die Nase hielt und für sein Klavierspiel nur ein Schulterzucken übrig hatte. Riley lächelte bitter. Er musste wirklich nicht ganz bei Verstand sein, wenn er sich schon fragte, ob er eine sommersprossige Frau in Wanderstiefeln beeindruckt habe. Inzwischen hatte sie das Kind sicher schon der Polizei übergeben, denn das war die einzig vernünftige Handlungsweise. Dennoch hatte Riley ein schlechtes Gewissen. Was wäre, wenn die Briefschreiberin wirklich ihn gemeint
hatte? Er öffnete den Aktenkoffer und holte die Visitenkarte heraus, die er am Abend zuvor vom nassen Bürgersteig aufgelesen hatte. Volumes - Secondhandbuchhandlung und Antiquariat. Elizabeth Arcade. Riley beschloss, am Nachmittag in Alexandras Buchladen vorbeizuschauen und sich nach dem Baby zu erkundigen, falls er die Zeit dazu fand. Vielleicht würde er sie sogar zum Abendessen einladen. Er steckte die Karte in seine Jackentasche. Vielleicht war es aber auch keine so gute Idee. Sie schien eine recht hartnäckige Person zu sein. Eine weitere Frau, die in seinem Leben Unruhe stiftete, war das Letzte, was er zur Zeit gebrauchen konnte. Seine "Aushilfssekretärin" und Caroline machten ihm bereits genug Ärger. Riley verlangsamte seine Schritte, als er durch die Blätter einer großen Topfpflanze seine Sekretärin erkennen konnte, die mit einem Wachmann und einer Besucherin im Vorzimmer stand. Die Besucherin trug eine große Patchworktasche über der Schulter und hatte ein Baby im Arm. Alexandra Page. Sie hatte die rotbraunen Locken zu einem Pferdeschwanz gebunden und trug schon wieder viel zu weite Kleidung. Das Baby hatte sie in eine karierte Decke gewickelt und in irgendeinen durchscheinenden Stoff, von dem ein Zipfel über den chinesischen Teppich schleifte und den Alexandra jetzt geistesabwesend zusammenraffte. In der Hand hielt sie eine Plastikhülle mit einem zerrissenen Stück Papier. Riley fühlte Ärger in sich aufsteigen. Er verspürte gleichzeitig Abscheu und Interesse und hatte den Eindruck, plötzlich die Kontrolle verloren zu haben. Das Gerichtsgebäude, die Inns of Court, stieß Besucher durch vornehme Stille, exklusives Ambiente und hochnäsige Sekretärinnen ab. Anwälte, die ihr Büro in diesem Gebäude hatten, demonstrierten damit, wie erfolgreich sie waren. Die Vorzimmer waren mit teuren Möbeln und diskret beleuchteten
Bildern und Skulpturen eingerichtet. Hier war alles echt - Leder Marmor, Seide, Gemälde. Die Inns of Court waren einer jener vornehmen, einschüchternden Orte, an denen man sich danach sehnte, ein bekanntes Gesicht zu entdecken. Wenigstens glaubte Alexandra das, bis sie tatsächlich ein ihr bekanntes Gesicht sah. Riley Templeton blieb kurz stehen, als er sie erblickte, stürzte dann aber wie ein düsterer Racheengel auf sie zu. Dabei wehte seine dunkle Robe, die er über einer schwarzen Seidenweste und einer Hose mit Nadelstreifen trug. Die silbergraue Perücke und der steife weiße Kragen unterstrichen die Farbe seiner Augen und Brauen. Die altertümliche Kleidung sollte Leute wohl einschüchtern, und an Riley wirkte sie besonders bedrohlich. Er kam ins Vorzimmer und nahm die Perücke ab, während seine besorgte Sekretärin schnell Alexandras Vergehen aufzählte. "Sie hat keinen Termin, hat sich geweigert zu gehen, als das Baby zu schreien anfing, und alle anderen gestört. Und sie hat versucht, in dein Büro einzudringen!" Der Wachmann befürchtete angesichts von Rileys finsterem Gesichtsausdruck, bisher zu nachgiebig gewesen zu sein, und versuchte, Alexandra aus dem Büro zu entfernen. Ihr war bewusst, dass ihr nur wenig Zeit blieb, also hielt sie Riley Templeton das Baby entgegen. "Erinnert die Kleine Sie an jemanden?" rief sie laut. Riley blickte sie wütend an, und Alexandra fragte sich, ob ihr als Einziger nur auffiel, dass Rileys dunkles, von der Perücke zerzaustes Haar große Ähnlichkeit mit dem Haar des Babys hatte. Ebenso wie die dunkelblauen Augen. Die Kleine erschrak, als sie dem großen Mann mit dem finsteren Gesichtsausdruck nahe kam. "Riley?" fragte die Sekretärin in einem für eine Angestellte sehr unüblichen herausfordernden Tonfall, "was hat das alles zu bedeuten? Wer ist diese Frau? Sie behauptet, dich gestern
Abend kennen gelernt zu haben. Dabei weiß ich doch, dass du dich gestern mit Rob Cousins getroffen hast, Um über den Janowski-Fall zu sprechen." Riley fluchte leise. "Schon gut, Mum. Ich kenne Miss Page und werde mich um sie kümmern." Mum? Das erklärte natürlich die besitzergreifende Art der Frau. Alexandra hatte ihn nicht für einen Mann gehalten, der sich noch immer von seiner Mutter bevormunden ließ. "Ist das schon wieder einer dieser pro bono-Fälle, von dem du mir nichts erzählt hast?" fragte Rileys Mutter seufzend. "Nein, es ist..." "Persönlich!" mischte sich Alexandra verärgert ein. Mrs. Templeton hatte die Worte pro bono so abfällig ausgesprochen, als hätten Menschen, die sich Rileys Dienste eigentlich nicht leisten konnten, keinen Anspruch auf Respekt und Taktgefühl. "Persönlich?" Mrs. Templeton hob die wohlgeformte, gepflegte Hand und umklammerte ihre goldene Halskette. Sie musterte Alexandra und das Baby von neuem. Was sie sah, schien ihr noch weniger als zuvor zu gefallen, falls das überhaupt möglich war. Sie senkte die Stimme, peinlich darauf bedacht, dass Alexandra sie trotzdem verstehen konnte. "Riley, du hast jetzt keine Zeit für diese ... Person. Du musst in Kürze wieder bei Gericht sein. Und wenn du schon Zeit für persönliche Dinge erübrigen kannst, solltest du dringend Davina zurückrufen. Ich habe ihr gesagt, du würdest dich heute Vormittag wegen der Karten für die Wohltätigkeitsveranstaltung bei ihr melden." "Du hast was?" fragte Riley aufgebracht. "Es geht mir nur um dein Wohl, Riley", antwortete Mrs. Templeton vorwurfsvoll. "Mum, ich hatte dich gebeten, dich nicht in mein Privatleben einzumischen!" Es war unglaublich, aber Mrs. Templetons stahlblaue Augen schimmerten plötzlich feucht. Riley sah sich gehetzt um, zerrte
Alexandra in sein Büro und schloss die Tür. Alexandra hatte den Eindruck, dass er nicht nur sie aus dem Weg schaffen, sondern vor allem selbst die Flucht ergreifen wollte. Zwei Wände in Rileys Büro waren mit bis zur Decke reichenden Bücherregalen ausgestattet. Außerdem gab es mehrere wuchtige, aber bequeme Sessel und einen eindrucksvollen antiken Schreibtisch. Vom Fenster aus könnte man die Stadt und den Brisbane River überblicken. Alexandra blieb erstaunt vor dem Porträt eines Mannes in Robe und Perücke stehen, der dieselbe Augenfarbe hatte wie Riley. "Mein Vater", erklärte er. Alexandra lächelte, als sie die Signatur unten auf dem Bild entdeckte. "Sie sehen ihm ähnlich." Riley gab einen Laut von sich, der offenbar bedeutete, dass die Feststellung nicht neu für ihn sei. Alexandra schnupperte und sah sich im Büro um. "Keine Aschenbecher", sagte sie erleichtert. "Rauchen Sie hier nicht?" "Ich rauche ohnehin kaum", erklärte Riley angespannt, "nur hin und wieder im Club." "Weil es dort alle tun?" "Warum interessieren Sie sich so sehr dafür?" "Ich bin allergisch gegen Zigarettenrauch." "Aha. Also waren die Tränen gestern Abend ..." "Eine allergische Reaktion." Riley warf die silberfarbene Perücke auf das antike Ledersofa und stellte den Aktenkoffer auf den Schreibtisch. "Ein schönes Stück", sagte Alexandra. "Er gehörte meinem Vater. Sie haben also versucht, in mein Büro einzudringen?" "Nein, ich habe nur vorgeschlagen, hier auf Sie zu warten, als das Baby anfing zu weinen. Aber ihre Sekretärin ... Ihre Mutter
tat so, als hätte ich die Absicht, ein Picknick im Petersdom zu veranstalten." "Sie ist nicht meine Sekretärin, sondern hilft nur für drei Wochen aus, bis meine eigentliche Sekretärin sich von einem Unfall erholt hat." Riley blickte Alexandra resigniert an. "Ich vermute, Sie haben alles über unser Treffen im Club ausgeplaudert?" "Nein, den Club habe ich gar nicht erwähnt", erwiderte Alexandra und bemerkte interessiert, wie erleichtert Riley wirkte. "Halten Sie es vor allen Leuten geheim oder nur vor Ihrer Mutter und Caroline?" Riley antwortete nicht, sondern befreite sich von dem steifen Kragen, der mit einem Klettverschluss an der Robe befestigt war und jetzt neben der Perücke auf der Couch landete. "Na ja, schließlich geht es mich auch nichts an, wenn Sie sich hin und wieder vom gnadenlosen Anwalt in einen sensiblen Jazzpianisten verwandeln, während die Frauen in Ihrem Leben Sie bei der Arbeit vermuten." Riley warf Alexandra einen finsteren Blick zu. Er zog die Robe aus und hängte sie an einen antiken Garderobenständer, dann öffnete er die obersten beiden Knöpfe der hochgeschlossenen Seidenweste, und Alexandra fragte sich, wie viele Kleidungsstücke er noch ablegen wollte. "Also", sagte Riley mit einem Blick auf das Baby, "dies ist offenbar das ausgesetzte ..." Alexandra presste den Kopf des Kindes an ihre Schulter und hielt dem Baby das noch freie Ohr zu. "Nein", flüsterte sie, "sagen Sie das nicht!" Riley sah sie verwirrt an. "Was denn?" "Dieses Wort sollte kein Kind hören müssen", erklärte sie und formte mit den Lippen lautlos das Wort "ausgesetzt". Riley lachte spöttisch auf. Er beugte sich zu Alexandra und war ihr einen Moment lang so nahe, dass sie ihn atmen hören konnte. Sie fragte sich, ob sie nach saurer Milch roch. Es schien
so, denn Riley wandte sich sofort wieder ab und ging an den Bücherregalen auf und ab. "Woher wussten Sie, wo ich zu finden bin? Und warum mussten Sie unbedingt herkommen und mir in meinem Büro eine Szene machen? Vor meiner..." Er schob ein vorstehendes Nachschlagewerk zurück in die Reihe und drehte sich ärgerlich zu Alexandra um. "Mir einfach dieses Kind entgegenzuhalten, als wäre es meins. Sie haben so getan, als wäre ich der zügellose Sohn eines Lords, der das Hausmädchen geschwängert hat und sich dann weigert, die Verantwortung für das Kind zu übernehmen!" Alexandra konnte sich nicht entscheiden, was sie am meisten ärgerte: Rileys Rollenverteilung mit ihm als Adligem und ihr als Hausmädchen oder die Tatsache, dass er anklagend mit dem Finger auf sie zeigte. ",Das Kind' ist ein Mädchen!" erwiderte sie aufgebracht. "Und es könnte sehr wohl Ihre Tochter sein. Man sieht auf den ersten Blick, wie sehr sie Ihnen ähnelt." Alexandra stellte befriedigt fest, dass ihre letzte Bemerkung Riley ärgerte. Das Baby hatte aufgehört zu schreien und betrachtete Riley offen und unschuldig. "Ich sagte Ihnen bereits", erklärte Riley mit leiser, rauer Stimme, die er im Gerichtssaal sicher sehr erfolgreich einsetzte, "dass ich keine Kinder gezeugt habe." "Wie können Sie so sicher sein?" "Soll ich Ihnen Auskunft über meine Verhütungsgepflogenheiten geben, Miss Page?" Alexandra errötete, und Riley lächelte sie spöttisch an. "Ich achte beim Sex sehr genau auf Verhütung", sagte er. Alexandra sah plötzlich einige sehr beunruhigende Bilder vor ihrem geistige Auge: zerwühlte Laken und Rileys Hände, mit denen er Musik machte und ständig irgendetwas auf- oder zuzuknöpfen schien.
"Außerdem bin ich in dieser Hinsicht sehr wählerisch. Die Frauen, an denen ich interessiert bin, würden ihr Kind nicht einfach fremden Leuten überlassen." "Ach?" fragte Alexandra ironisch. "Glauben Sie etwa, dass es nur gute und schlechte Frauen gibt? Und dass die Mutter dieses Kindes automatisch eine der schlechten sei?" Vielleicht lag es an der beruhigenden Umgebung seines Büros oder am Thema, jedenfalls fühlte sich Riley wieder als Herr der Lage. "Nein, so denke ich überhaupt nicht. Gute Frauen sind viel zu unbequem, und schlechte wollen irgendwann unweigerlich kostenlos von mir vertreten werden. Glücklicherweise gibt es noch viele andere Varianten." Das leise wimmernde Baby schien in Alexandras Armen immer schwerer zu werden. Sie verlagerte das Kind leicht und hob die Plastikhülle mit dem Zettel hoch. Rileys Blick fiel auf das Papier, und sein Blutdruck schien sich drastisch zu erhöhen. "Haben Sie etwa diesen verdammten Brief in der Hülle?" fragte er aufgebracht. "Es sah nach Regen aus", erklärte Alexandra. Riley sah sie fassungslos an und begann zu lachen. Alexandra bemerkte seine makellos weißen Zähne und die Lachfältchen um seine Augen und fühlte sich in diesem Moment sehr zu ihm hingezogen. "Ich wünschte, Sie würden mir helfen, Riley. Ich glaube nicht, dass ich es allein schaffe." "Was schlagen Sie vor? Soll ich beim Babysitten helfen? Oder die Windeln wechseln?" Allein der Gedanke erschien ihm lächerlich. An so etwas hatte Alexandra zwar nicht gedacht, sondern nur daran, dass sie sich vielleicht gemeinsam auf die Suche nach der Mutter machen würden, aber Rileys arrogante Haltung ärgerte sie. "Warum nicht?" fragte sie mit funkelnden Augen. Riley seufzte. "Ich bin Anwalt, Miss Page, und habe viele Verpflichtungen. Einen Gerichtstermin, der gleich beginnt,
Vorbereitungen für einen wichtigen Fall. Selbst wenn ich Ihnen helfen wollte, und das will ich nicht, wäre es mir nicht möglich." Alexandra musterte ihn kühl. "Ich bin auch sehr beschäftigt, Mr. Templeton. Schließlich muss ich mich um mein Geschäft kümmern. Wenn ich es schaffe, diese zusätzliche Verantwortung für einige Tage zu übernehmen, frage ich mich, warum Sie das nicht können sollten!" "Das will ich Ihnen verraten", sagte Riley. "Weil es Ihre Entscheidung war, die Behörden nicht einzuschalten," Er deutete auf das Baby, das zu weinen begann. Riley zögerte, als würde es ihm Leid tun, machte dann aber eine abwehrende Handbewegung. "Ich habe nichts damit zu tun." Alexandra hob die Hand und hielt ihm die Plastikhülle entgegen. Riley fluchte leise und umklammerte Alexandras Handgelenk. "Wenn Sie mir noch einmal sagen, dass mein Name in dem Brief steht ..." begann er drohend. "Aber so ist es doch!" Alexandra spürte, wie sich Rileys Griff um ihr Gelenk verkrampfte und wieder lockerte. Seine plötzliche Nähe machte sie nervös, und sie wich zurück. "Sie wollen mich doch nicht schon wieder küssen, oder?" Rileys Augen funkelten, als er sich daran erinnerte. "Das klingt so, als wäre es eine einseitige Angelegenheit gewesen." Alexandra versicherte sich im Stillen, dass sie eigentlich gar nichts getan hatte. Möglicherweise hatte sie ein wenig die Lippen bewegt und Rileys Zungenspitze flüchtig mit ihrer berührt. Sicher, sie hatte sich am Revers seines Jacketts fest gehalten, und ihr war, als hätte sie ihm übers Haar gestrichen. Betont umständlich verlagerte Alexandra das Baby auf ihre andere Schulter. "Ich würde nie freiwillig einen Raucher küssen", sagte sie gespielt gelassen. "Ich hasse den Geschmack."
"Wie schon gesagt, rauche ich eigentlich nur im Club", erklärte Riley, als wäre er wirklich bemüht, diese Angelegenheit richtig zu stellen. "Sonst schmecke ich wie ein Nichtraucher." Dieser Mann war wirklich aalglatt. Sie, Alexandra, hatte ganz allgemein gesprochen, aber er hatte ihre Worte sofort auf sich persönlich bezogen, Alexandra verdrängte energisch den Gedanken daran, Rileys Behauptung durch einen Kuss zu überprüfen. Riley beugte sich vor und schnupperte an ihr. "Was für ein Parfüm benutzen Sie da?" "Ich trage gar keins. Dagegen bin ich allergisch." "Sie scheinen gegen viele Dinge allergisch zu sein." Riley hielt noch immer Alexandras Handgelenk umklammert, und sie befreite sich sanft aus seinem Griff, damit er ihren schnellen Pulsschlag nicht bemerkte. "Rauch, Parfüm, Staub, Meeresfrüchte und Dauerwellenlösung", erklärte Alexandra. Und Männer; die mir Herzklopfen verursachen, fügte sie insgeheim hinzu. Die Allergie war schon vor einigen Jahren aufgetreten, als Alexandra erfahren hatte, wie viel Kummer solche Männer ihr bereiten konnten. "Dauerwellenlösung?" hakte Riley nach und betrachtete die Locken, die Alexandra in die Stirn fielen. "Wieso benutzen Sie denn dann so etwas?" "Die Locken sind echt", erwiderte Alexandra seufzend. "Aber wie haben Sie dann festgestellt, dass Sie gegen die Chemikalien allergisch sind?" "Ich habe einmal versucht, mir die Haare glätten zu lassen, und bekam einen Ausschlag, der monatelang anhielt." Riley sah sie irritiert an. "Das ergibt keinen Sinn." Alexandra glaubte, den Grund seiner Verwirrung zu kennen. "Man benutzt Dauerwellenlösung auch dazu, Haare zu glätten", erklärte sie. "Das meine ich nicht. Warum sollten Sie Ihre Locken loswerden wollen?"
Alexandra war sprachlos vor Verblüffung, während Riley sie nachdenklich betrachtete und sich dann kopfschüttelnd abwandte. Er holte sein Portemonnaie aus der Hosentasche und zog einige große Scheine heraus, nahm Alexandra die Plastikhülle aus der Hand und gab ihr stattdessen das Geld. "Mein Beitrag", sagte er. "Besorgen Sie sich einen Babysitter, wenn Sie das Kind schon unbedingt behalten müssen. Ehrlich gesagt, ich glaube, das ist mehr als die meisten vernünftigen Männer tun würden." "Nun, man kann eben nur geben, was man hat", sagte Alexandra trocken und betrachtete die Scheine. "Ich werde das Geld annehmen, weil Sie es sich offensichtlich leisten können, ich dagegen nur über ein kleines Budget verfüge. Aber ich werde genau Buch führen und Ihnen alles zurückgeben, was ich nicht für das Baby ausgebe." Riley sah auf die Uhr, ging zum Schreibtisch und legte die Hülle mit dem Brief achtlos hin. "Ich verlange keine Abrechnung von Ihnen, Miss Page." Aus dem ledernen Aktenkoffer förderte er einen Stoß Papiere zutage und stopfte stattdessen andere Unterlagen hinein, während Alexandra das Geld in ihrer Tasche verstaute und dann den Raum verließ. Mrs. Templeton wartete draußen auf sie. Eigentlich schien sie eher auf der Lauer gelegen zu haben. "Miss Page", sagte sie lächelnd, "ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, weil ich so misstrauisch war. Aber man kann eben nicht vorsichtig genug sein, gerade jetzt, da ... Wo haben Sie meinen Sohn eigentlich kennen gelernt?" Riley tauchte plötzlich wie aus dem Nichts auf. Er hatte die Robe angezogen und hielt Perücke, Kragen und Aktenkoffer in der Hand. Er sah Alexandra warnend an. "In meinem Buchladen", antwortete Alexandra und fragte sich, warum sie eigentlich log. "Riley ist dort Stammkunde. Er
interessiert sich vor allem für Comics. Das Phantom, Superman ..." "Gonaics?" fragte Mrs. Templeton ungläubig. "Aber die hat Riley noch nie gemocht! In unserem Haus gab es keine Comics." "Da haben Sie vermutlich die Erklärung", sagte Alexandra. "Viele meiner Kunden mussten in der Kindheit ihre Liebe zu Comics unterdrücken und sind jetzt ..." "Schon gut, wir sind im Bild", unterbrach Riley sie und warf ihr einen finsteren Blick zu, als sie über sein unbeabsichtigtes Wortspiel lachen musste. Riley gab seiner Mutter einige Anweisungen, woraufhin Mrs. Templeton ihm die Hand auf den Arm legte und leise etwas Vertrauliches mitteilte, das ihn offenbar nervös machte. Riley griff nach Alexandras Arm und führte sie zum Fahrstuhl. "Irgendwann innerhalb der nächsten drei Wochen werde ich sicher überschnappen", sagte er leise. "Und dann auch noch Sie. Comics, dass ich nicht lache!" Im Fahrstuhl drückte Riley auf einen Knopf und setzte sich dann die Perücke auf. Er knöpfte die Weste zu und befestigte den weißen Kragen. Der Mann schien sich ständig an- oder auszuziehen. "Ich muss mich noch bei Ihnen bedanken", sagte Riley unvermittelt. Alexandra sah ihn fragend an. "Dafür, dass Sie den Jazzclub nicht erwähnt haben." Alexandra zuckte die Schultern. "Eigentlich wollte ich nicht lügen, aber es machte mir Freude, Ihrer Mutter die Informationen vorzuenthalten." Mit Riley ging plötzlich eine Veränderung vor, die das Sprichwort "Blut ist dicker als Wasser" anschaulich darstellte. "Meine Mutter ist auf ihre Weise eine wunderbare Frau. Sie erledigt meinen Papierkram tadellos und versteht beinahe mehr von der Rechtsprechung als ich", sagte er steif. "Sie hätte sich auch mit Champagner-Frühstücken und Wohltätigkeitsbällen
beschäftigen können, zog es aber vor, die Sekretärin meines Vaters zu werden. Seit seinem Tod kommt sie sich nun sehr verloren vor." Riley warf einen Blick in den Spiegel, zog den Kragen zurecht und sprach weiter. Er klang geistesabwesend, als würde er mit sich selbst reden. "Mein Vater war froh darüber, dass meine Mutter sein Leben regelte. Jetzt vermisst sie ihn und weiß nicht, was sie mit all der überschüssigen Energie anfangen soll..." Ihren Sohn kontrollieren, zum Beispiel. Es fiel Alexandra schwer, sich Mrs. Templeton als "verloren" vorzustellen. Dafür fand sie aber Rileys Bereitschaft sehr sympathisch, seine Mutter sofort zu verteidigen. Sie kannte Männer, die ihre Mütter ohne große Gewissensbisse als "alte Schachtel" bezeichnet hätten. "Wann haben Sie Ihren Vater verloren?" "Vor sieben Monaten." Riley blickte auf den leicht ramponierten Aktenkoffer. Offenbar hatte er außer dem Schreibtisch seines Vaters auch dessen Aktenkoffer übernommen. Ob er wohl auch sonst in die Fußstapfen seines Vaters getreten war? "Verzeihung, ich hätte Ihre Mutter nicht angreifen dürfen", sagte Alexandra. Als Zeichen, dass er die Entschuldigung akzeptierte, nickte Riley nur ein wenig herablassend. Schon konnte Alexandra ihn wieder weniger gut leiden. "Kommen Sie sich in dieser Verkleidung aus dem 18. Jahrhundert nicht ein wenig albern vor?" fragte sie, als sie das Gebäude verließen. "Oder gefällt es Ihnen, damit Eindruck auf uns gewöhnliche Sterbliche zu machen?" "Beeindrucke ich Sie?" "Nein, das würden Sie nur tun, wenn Sie mir helfen würden, die Mutter des Babys zu finden." "Übrigens stammt die Kleidung aus dem 17. Jahrhundert. Als Oliver Cromwell König Charles I. vor Gericht stellte, bedeckten
viele der Anwälte ihre Häupter aus Protest gegen ein solches ..." Er zögerte und suchte nach dem passenden Ausdruck. "Husarenstück?" Riley lachte. "Genau. Einige Richter bestehen nicht darauf, andere lassen Anwälte ohne Robe und Perücke in ihrem Gerichtssaal nicht zu. Deshalb bin ich heute wieder in Verkleidung unterwegs." Einige Männer kamen aus dem Pub auf der anderen Straßenseite, und Alexandra sah, dass einer auf Riley zeigte. Daraufhin starrten ihn alle böse an. Alexandra glaubte, die Wut der Leute beinahe körperlich zu spüren. Einige Männer hoben drohend die Fäuste, andere riefen Riley Schimpfwörter zu. Alexandra rückte etwas näher an Riley heran und beeilte sich, um mit ihm Schritt zu halten. Er schien die wütenden Männer überhaupt nicht zu bemerken, die sich glücklicherweise auf der anderen Seite der stark befahrenen Straße befanden. "Warum beschimpfen diese Leute Sie?" fragte Alexandra. Sie bemerkte, dass Rileys kühle Gelassenheit nur gespielt war. "Vielleicht beeindrucke ich sie", sagte er sarkastisch. Die Männer beobachteten, wie Riley, Alexandra und das Baby die George Street entlanggingen, folgten ihnen aber nicht. "Sie waren heute Morgen im Gericht", erklärte Riley. "Es ist die Familie des Angeklagten, eines neunzehnjährigen Jungen. Ich habe die Anklage vertreten und den Prozess gewonnen. Der Junge wurde für schuldig befunden, eine achtzigjährige Frau überfallen und schwer verletzt zu haben." "Und deshalb hassen diese Leute Sie?" "Das bringt der Beruf mit sich. Eine Partei verliert immer und lässt ihre Wut an der anderen aus. Es gehört eben dazu. Außerdem haben Sie ja bereits bemerkt, dass ich für meine Bemühungen immerhin gut bezahlt werde", fügte er bitter hinzu. Nach der Reaktion seiner Mutter zu urteilen, gab es aber offenbar auch viele Mandanten, von denen Riley nicht bezahlt wurde.
Offenbar täuschte der erste Eindruck, den man von Riley Templeton bekam. Alexandra warf ihm einen kurzen Blick zu und stolperte über die lange Stoffbahn, die über den Boden schleifte. "Was ist denn jetzt schon wieder los?" fragte Riley äußerst ungeduldig. "Das alles ist gar nicht so einfach", rechtfertigte sich Alexandra. Riley schloss kurz die Augen, packte Alexandra dann am Arm und zog sie hinter sich her. Sie gingen an den verschiedenen Gerichtsgebäuden vorbei, an Philodendronbüschen, Palmen und Springbrunnen, bis sie eine ruhige Ecke gefunden hatten. Riley ließ Aktenkoffer und Regenschirm fallen. "Geben sie es mir." "Vermutlich meinen Sie mit ,es' das Baby", sagte Alexandra atemlos und legte ihm das Kind in den Arm, bevor er seine Meinung ändern konnte. Er hielt die Kleine auf Armeslänge von sich, während Alexandra den Stoff aufwickelte und mit einer Sicherheitsnadel an der improvisierten Windel befestigte. "Das Kind wird weinen, wenn Sie es so halten", prophezeite Alexandra. "Es fühlt sich bestimmt nicht sicher, wenn Sie es so in der Luft baumeln lassen." Doch die Kleine gab nur einige gurgelnde Laute von sich, strampelte ein wenig mit den Beinen und schlug mit den winzigen Händen auf Rileys große. Sie betrachtete Riley aufmerksam und spuckte ihm dann Milch auf die Hand. Er seufzte. "Sind Sie bald fertig? Warum wickeln Sie das Baby überhaupt in dieses schreckliche Zeug ein?" "Hören Sie, ich bin eine allein stehende Buchhändlerin. Glauben Sie, ich würde Babysachen horten für den Fall, dass ich irgendwann einen Säugling vor meiner Tür finde? Ich hatte
nichts anderes. Meine Mutter hat mir den Stoff gegeben, damit ich damit die Weinranken festbinden kann." "Weinranken?" wiederholte Riley. Er zögerte, schüttelte dann aber den Kopf und beschloss, nicht weiter nachzufragen. "Hat denn Ihre Mutter nicht wenigstens aus Sentimentalität einige Strampelanzüge aufgehoben?" Alexandra lachte. "Meine Mutter ist kein sentimentaler Mensch. Und für Babys hat sie auch nicht viel übrig. Sie zieht es vor, zu malen." "Heißt das, sie wird nicht babysitten?" "Ab und zu vielleicht. Ich werde sie anrufen, wenn ich wieder im Laden bin." Das Baby fing an zu wimmern, als wollte es dagegen protestieren, einfach einer gefühllosen Malerin übergeben zu werden. "Nicht weinen", bat Alexandra, nahm die Kleine auf den Arm und sah sich suchend um. "Sieh mal, was ist denn das?" fragte sie betont fröhlich und ging zu einer Bronzestatue, die eine Waagschale hochhielt. "Das ist eine Statue von Themis, der griechischen Göttin der Gerechtigkeit", las Alexandra laut von dem Schild darunter ab. Riley seufzte und blickte auf die Uhr. "Dann also auf Wiedersehen." "Verdammt", sagte Alexandra und sah vielsagend auf Rileys Regenschirm, "es fängt an zu regnen!" "Dann sollten Sie sich beeilen", meinte er ungerührt. "Aber das Baby muss doch trocken bleiben!" Riley atmete tief durch, öffnete den Schirm und gab ihn Alexandra. Sein Gesichtsausdruck schien zu sagen, dass er, Riley, nun garantiert nichts mehr für sie tun würde. Er hob gerade den Aktenkoffer auf, als zwei Polizisten vorbeigingen. Sie nickten Riley zu und verlangsamten ihre Schritte. "Übergeben Sie das Kind den Behörden", sagte er. Dann musterte er Alexandra und fügte hinzu: "Behalten Sie das Geld trotzdem."
Alexandra war außer sich vor Zorn. Mit lauter, klarer Stimme rief sie ihm hinterher: "Sag Daddy auf Wiedersehen, Kleines." Riley schien einen Augenblick zu zögern, und einer der Polizisten sah sich neugierig um. Alexandra ging schnell zur Ampel und drückte auf den Knopf. Vielleicht würde Riley den Fall jetzt ja selbst der Polizei melden. Es regnete immer stärker. Alexandra stand mit dem Baby unter dem Schirm und beobachtete, wie Riley schutzsuchend zum Gerichtsgebäude rannte. Das war immerhin ausgleichende Gerechtigkeit.
3. KAPITEL Die Buchhandlung Volumes befand sich in einem kleinen Einkaufszentrum, in dem es ständig nach Räucherstäbchen duftete und das von New-Age-Musik berieselt wurde. Es lag nicht weit entfernt von Brisbanes größtem Einkaufszentrum, bildete aber trotzdem eine eigene Welt mit den vielen Batiktüchern und Drachen, einer Eheberatung und Reizwäsche, Kristallen und Vollwertkost, Kerzen und Kupferschmuck. Die meisten Kunden waren Touristen, die viel Zeit hatten, durch Brisbane zu bummeln. Die Einheimischen nutzten das Zentrum zwar als Abkürzung auf dem Weg zur Arbeit, blieben aber außer an der Sushi-Bar nirgends stehen. Daher überraschte es Alexandra, als sie am späten Nachmittag die Türklingel hörte und durch die Stufen der Wendeltreppe einen Mann in einem dunkelgrauen Anzug ausmachen konnte. Der Nadelstreifenstoff sah teuer aus, und Alexandra hätte den Träger des Anzugs eher in einem der großen Buchhandlungen mit Klimaanlage und eigenem Cafe vermutet. "Guten Abend, was kann ich ..." Sie verstummte unvermittelt und blieb am Fuß der Treppe stehen. Diese breiten Schultern und den dunklen Anzug, auf dessen Schultern einige Regentropfen glitzerten, kannte sie doch! "Riley?" Alexandra fragte sich, wie sie vorgehen sollte. Vielleicht hatte Riley doch beschlossen, ihr zu helfen. Was hätte er sonst in
ihrem Laden zu suchen, nachdem er sich am Vormittag so endgültig von ihr verabschiedet hatte? Ihr Herzschlag beschleunigte sich plötzlich, als ihr ein Grund einfiel. Nein, sagte sie sich streng, du bist keine Frau, der die Männer nachlaufen. Schon gar nicht ein Mann wie Riley. "Sie möchten sicher Ihren Schirm abholen", sagte sie. Riley lächelte und ging zum Regal mit den Comics. "Oh, das Phantom", sagte er und nahm ein Heft in die Hand. "Als ich so etwas zuletzt gelesen habe, war ich sechzehn." "Aber Ihre Mutter hat doch behauptet, sie habe keine Comics im Haus geduldet." "Das kommt ganz darauf an, was man darunter versteht. Ich beschloss, dass meine Mutter nicht den Weinkeller meines Vaters gemeint haben könnte. Nur mein Vater ging gelegentlich hinunter, um Flaschen einzulagern oder zu holen. Mit einer Taschenlampe und meinen Comics habe ich dort viele schöne Stunden verbracht." "Und warum haben Sie es mit sechzehn aufgegeben?" fragte Alexandra. "Ich wuchs zehn Zentimeter, wurde kräftiger und ließ den Stimmbruch hinter mir. Außerdem wurde ich endlich die Zahnspange los und konnte den Buchstaben ,S' wieder aussprechen. Das war wirklich ein Segen, denn die Mädchen, in die ich verliebt war, hießen Cassandra, Suzanne oder Vanessa." Riley lächelte wehmütig, als er daran zurückdachte. Er legte das Comic-Heft zurück und betrachtete die Regale mit den antiquarischen Büchern. "Falls Sie Bücher sammeln", sagte Alexandra hoffnungsvoll, "hätte ich da eine sehr schöne Ausgabe von 1882, Goldschnitt, in erstklassigem Zustand. Das Buch würde sich in Ihrem Büro sicher sehr gut machen." Sie zog den Band aus dem Regal und hielt ihn Riley hin.
"Die Predigten des Reverend W. Morley Punshon", las er und lächelte amüsiert. "Versuchen Sie, mir einen Ihrer Fehlkäufe anzudrehen?" Alexandra zuckte die Schultern. "Das Buch werde ich vermutlich nie verkaufen", sagte sie seufzend und stellte es zurück. "Haben Sie Bücher über Jazz?" "Bei den Biografien gibt es ein Buch über Stephan Grappelli und Django Reinhardt", sagte Alexandra, ging schnell an Riley vorbei und zog die Biografie aus dem Regal. Riley stand hinter ihr und blickte ihr über die Schulter. "Außerdem habe ich noch ein gut erhaltenes Jazzmagazin aus dem Jahr 1937." Riley lehnte sich an ein Regal und betrachtete das Buch. Alexandra spürte seinen Atem auf der Wange, und ihr wurde plötzlich bewusst, wie schmal die Gänge zwischen den Regalen eigentlich waren. Der Deckenventilator drehte sich leise, und es war sehr still im Laden. "Wo ist eigentlich das Baby?" Alexandra hatte die Kleine einen Augenblick lang glatt vergessen. Der schwache Zitrusduft, der von Riley ausging, hatte sie abgelenkt. "Der Fall hat sich bereits aufgeklärt", sagte sie, weil sie Riley unbedingt loswerden wollte. "Eine Stunde, nachdem ich bei Ihnen war, tauchte plötzlich die Mutter auf." Alexandra klappte das Buch zu und lächelte Riley strahlend an. "Ist das nicht großartig?" Seine blauen Augen verrieten keine Reaktion. "Tatsächlich? Wie heißt sie?" Alexandra schluckte. Dann fiel ihr Blick auf ein Buch über den Wallfahrtsort Lourdes. "Bernadette", antwortete sie und hoffte, dass Riley ihr Zögern nicht bemerkt hatte. "Und weiter?"
"Bernadette Samt John." Alexandra versuchte, an Riley vorbeizugehen, aber er versperrte ihr den Weg, beugte sich vor und nahm ihr das Jazzbuch aus der Hand. "Hat sie Ihnen erklärt, warum sie ihr Kind vor Ihrer Tür ausgesetzt hat?" fragte Riley und blätterte in dem Buch. "Sie ... sie ..." Da Alexandra keine gute Erklärung einfiel, ging sie zum Angriff über. "Warum fragen Sie eigentlich danach? Vorhin haben Sie noch sehr deutlich gemacht, dass Sie nicht in die Angelegenheit verwickelt werden möchten. Also hören Sie schon auf, mich ins Kreuzverhör zu nehmen! Es ist alles in Ordnung. Ich werde Ihnen keine Schwierigkeiten mehr machen. Es tut mir Leid, falls es Ihnen peinlich war, dass ich mit dem Baby in Ihrem Büro aufgetaucht bin, aber das wird nicht wieder vorkommen. Ich brauche Ihre Hilfe nicht mehr und ... gebe Ihnen auch Ihr Geld zurück." Alexandra verstummte und atmete tief durch. "Möchten Sie noch das Jazzmagazin sehen, bevor Sie gehen?" Riley machte ihr noch immer nicht Platz. Er blickte sie prüfend an und streckte plötzlich die Hand aus, um ihr übers Haar zu streichen. Alexandra hatte es aufgesteckt und mit reichlich Haarspray versehen. "Was haben Sie denn mit Ihrem Haar gemacht?" fragte er. "Gestern Abend fühlte es sich noch so weich an ..." Alexandra erinnerte sich noch lebhaft daran, wie Riley die Finger durch ihr Haar hatte gleiten lassen, während er sie, Alexandra, geküsst hatte. "Würden Sie mich jetzt bitte durchlassen, Riley? Falls Sie an einer kleinen Liaison interessiert sind, um sich von der Arbeit abzulenken, sind Sie bei mir an der falschen Adresse. Schon gestern Abend hat es mir missfallen, von Ihnen benutzt zu werden. Ich weiß zwar nicht, ob Sie mich geküsst haben, um Nofretete zu entmutigen oder eifersüchtig zu machen ..."
"Liaison?" wiederholte Riley. "Offenbar haben Sie eine große Auswahl an Romanen von Jane Austen." "Ich schließe bald und habe noch viel zu tun. Auf Wiedersehen, Riley. Wir brauchen uns nicht wieder zu sehen, da Mutter und Kind jetzt wieder zusammen sind." "Da bin ich mir nicht so sicher." Alexandra schluckte schuldbewusst. "Wie meinen Sie das?" "Ich meine, ich bin mir nicht sicher, dass wir keinen Grund haben, einander wieder zu sehen", erklärte er. "Es wäre sicher interessant. Wollen Sie mit mir essen gehen?" Alexandra glaubte, das Herz würde ihr stehen bleiben. Interessant? Wohl eher lebensgefährlich. Sie schüttelte den Kopf. "Nein, vielen Dank." Seine Augen funkelten. "Irgendwie hat es zwischen uns gefunkt." "Deshalb will ich ja auch nicht mit Ihnen ausgehen", erklärte Alexandra. Verdammt! Riley lächelte triumphierend, und Alexandra bemerkte, dass er sie soeben dazu gebracht hatte, einzugestehen, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte. "Wir haben nichts gemeinsam", sagte sie schnell, "nicht einmal ein ausgesetztes Baby." "Ja", sagte Riley und nahm das Buch über Lourdes aus dem Regal, um das Titelbild zu betrachten, "das Kind und Bernadette Saint John sind wieder glücklich vereint. Ob wohl ein Wunder geschehen ist? Was meinen Sie?" Alexandra seufzte. Sie hätte sich denken können, dass Riley viel zu scharfsinnig war, um sich täuschen zu lassen. "Menschenkenntnis gehört zu meinem Beruf", sagte er. "Außerdem gibt es auch Beweise." Er nahm ein Buch von dem Stapel, den Alexandra noch immer unter dem Arm trug. "Säuglingspflege ", las er laut. " Offenbar haben Sie als Buchhändlerin einen Leitfaden für jede Lebenslage griffbereit." Er nahm ihr ein Buch nach dem anderen weg. "Vom Baby zum
Kleinkind." Riley schlug die Seite auf, die Alexandra mit einem Lesezeichen markiert hatte. Es handelte sich um ein Diagramm, das zeigte, wie man Babys richtig badete. Riley klappte das Buch zu und legte es zur Seite. "Dreitausend Babynamen, Dein Baby und du. Von dem Buch habe ich gehört. Meine Schwester sagt, es sei schon lange nicht mehr aktuell." Die Ladentür öffnete sich. Ein dünner, alter Mann betrat den Laden und begrüßte Alexandra. "Mr. Hawkins", sagte sie lächelnd, "ich habe schon eine Auswahl meiner neuesten Bücher für Sie bereitgelegt. Hoffentlich können Sie auch einige Eier gebrauchen. Meine Hennen legen sie schneller, als ich sie essen kann." "Das sagen Sie immer, meine Liebe", antwortete Mr. Hawkins und lächelte traurig. "Über einige Eier würde ich mich sehr freuen." "Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten?" fragte Alexandra. Mr. Hawkins antwortete wie üblich. "Wenn es Ihnen keine Umstände macht." Der alte Mann ging langsam zu einem Stuhl unter der Treppe und begann, in einer Bücherkiste zu kramen. Alexandra schaltete den Wasserkocher ein, öffnete eine Packung Kekse und holte Milch und einen Eierkarton aus dem Kühlschrank. Sie wusste, dass Riley sie beobachtete. Als sie sich umdrehte, stellte sie fest, dass er wieder dieses nachdenkliche Gesicht machte, das ihr inzwischen schon so vertraut war. "Also, wo ist es?" fragte Riley, als Mr. Hawkins seinen Tee bekommen hatte. "Das Baby?" "Bei meiner Mutter", gestand Alexandra seufzend. "Ich hole die Kleine nach Ladenschluss ab." "Ich fahre Sie hin", sagte Riley, "und hole Sie in fünfundzwanzig Minuten an der Ecke ab." "Warum wollen Sie das tun?"
"Ich habe in meinen Akten nachgesehen. Eine meiner ehemaligen Mandantinnen könnte die Mutter sein. Wir werden das Baby holen und direkt zu ihr fahren." Alexandra legte ihm eine Hand auf den Arm. "Aber Riley, das ist ja großartig! Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?" Sie lächelte ihn strahlend an. "Lassen Sie mich nicht warten", erwiderte er bloß und gab Alexandra die Babybücher zurück. "Ich werde mitten im Berufsverkehr nicht lange halten können." Bevor Alexandra ihm weitere Fragen über seine Mandantin stellen konnte, ging er. Zwanzig Minuten später versorgte Alexandra Mr. Hawkins mit zwei Western und einem halben Dutzend Eiern und schloss das Geschäft. Der bronzefarbene Wagen wies die klassischen Merkmale eines teuren Autos auf: einen leisen Motor und bequeme Sitze. Riley war daran gewöhnt, sich beeilen zu müssen. Er fuhr sehr selbstbewusst und fand auch die kleinste Lücke im dichten Verkehr. Alexandra ging sein ständiger Spurwechsel allerdings auf die Nerven. "Wie kommen Sie darauf, dass Ihre Mandantin die Mutter des Kindes sein könnte?" "Das darf ich Ihnen nicht verraten. Die Informationen sind vertraulich." "In Ordnung", sagte Alexandra. "Wie heißt sie denn?" "Das brauchen Sie auch nicht zu wissen." "Soll ich mir die Augen verbinden, wenn wir zu ihr fahren?" fragte Alexandra gereizt. Riley lachte. "Warum haben Sie so getan, als wäre die Mutter des Kindes schon aufgetaucht?" Alexandra konnte ihm unmöglich die Wahrheit sagen. Sie hatte ihn auf Abstand halten wollen, weil er sie durcheinander brachte. Noch immer musste sie an die Melodie denken, die er im Club gespielt hatte.
"Ehrlich gesagt, hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich Sie in die Angelegenheit hineingezogen habe. Deshalb wollte ich Ihnen die Möglichkeit geben, sich mit Anstand zurückzuziehen." Riley lachte leise. "Ist Ihnen schon aufgefallen, dass die Leute die Redewendung ,ehrlich gesagt' immer dann verwenden, wenn sie lügen, dass sich die Balken biegen?" Er warf ihr einen flüchtigen Blick zu. "Sie sind eine Frau, die jeder Aufregung lieber aus dem Weg geht. Bei Ihnen muss alles sicher und vorhersehbar sein. Deshalb wollten Sie mich auch loswerden." "Sind Sie nicht reichlich eingebildet? Sie halten sich wohl für unwiderstehlich, oder?" Alexandra lachte sarkastisch. Aber Rileys Einschätzung verletzte sie. Sie, Alexandra, stammte aus einer Familie, deren Mitglieder außergewöhnlich spontane Menschen waren, die kein Risiko scheuten, war sich ihrer Durchschnittlichkeit aber schmerzlich bewusst. "Falls sich herausstellt, dass Ihre Mandantin nicht die Mutter ist, haben Sie dann noch eine andere Idee? Ich meine, sind Sie sicher, dass Sie mit der Schreiberin des Briefes nicht... intim gewesen sind?" "Völlig sicher." Wieder klangen Rileys Worte so bitter und endgültig, dass Alexandra ihn fragend ansah. Nur ein Mönch könnte so überzeugt sein. Und Riley Templeton hatte mit Sicherheit nicht wie ein Mönch gelebt, seit er seine Zahnspange losgeworden war. Alexandra lachte sarkastisch auf: Riley warf ihr einen flüchtigen Blick zu. "Dann müssen Sie ja über eine hundertprozentig sichere Verhütungsmethode verfügen", sagte sie trocken. "Denn sonst bleibt ja nur noch Abstinenz. Oder Impotenz. Oder Zeugungsunfähigkeit." "Verdammt noch mal!" sagte er verblüfft. "Sind Sie immer so direkt?"
"Nein, wenn man aber ein Baby vor der Haustür findet, kann man sich nicht mit langen Vorreden aufhalten. Sie müssen aber zugeben, dass es ungewöhnlich ist, so zweifelsfrei sicher zu sein, was diese Dinge angeht. Die meisten Männer würden wenigstens kurz überlegen, ob sie vielleicht unwissentlich ein Kind gezeugt haben." "Das könnte Ihnen so passen", sagte Riley. "Wenn ich der Vater des Kindes wäre, meinen Sie, könnten Sie es einfach bei mir abladen." "Wenn Sie der Vater wären, müssten Sie sich selbstverständlich um die Kleine kümmern!" erwiderte Alexandra gereizt. "Aber ich bin es nicht!" Seine knappe Antwort ärgerte Alexandra. "Also, da es keine absolut sichere Verhütungsmethode gibt und Sie nicht den Eindruck machen, als würden Sie enthaltsam leben, bleibt nur noch ein Grund für ihre unerschütterliche Gewissheit..." Alexandra verstummte, als ihr klar wurde, was sie gerade gesagt hatte. Riley konnte offenbar keine Kinder zeugen. Deshalb war er so überzeugt davon, nicht der Vater des Kindes zu sein. "Entschuldigung", sagte Alexandra, "das war sehr taktlos von mir. Ich hätte es eher merken müssen. Sie sagten, sie hätten keine Kinder und würden auch nie welche haben ... Verdammt, ich hätte den Mund halten sollen! Riley, es tut mir wirklich Leid." Riley musste an einer Ampel halten und blickte Alexandra verwundert an. "So viel Mitgefühl", bemerkte er. "Ich versichere Ihnen, es ist völlig unnötig." "Aber ... nie eigene Kinder haben zu können ..." "Wäre das so schlimm für Sie?" "Darüber habe ich nie nachgedacht. Ich bin immer davon ausgegangen, eines Tages drei oder vier Kinder zu haben." "Und was wäre, wenn Sie keine bekommen könnten?"
Alexandra blickte ihn starr an. Sie wurde zum ersten Mal mit dieser Möglichkeit konfrontiert. Ein leichter Schauder überlief sie. "Ich wäre todunglücklich", sagte sie leise, von Mitgefühl für Riley erfüllt. "Verschwenden Sie Ihr Mitleid nicht an mich. Meine Zeugungsfähigkeit hat nichts mit der Entscheidung zu tun, mich nicht fortzupflanzen." Lieber Himmel, dachte Alexandra. Wie schaffte er es nur, so sachlich über ein solches Thema zu reden? "Es würden sich bestimmt weniger Tragödien abspielen, wenn andere Menschen auch diese Entscheidung treffen würden", fuhr Riley ausdruckslos fort. "Paare, die einander versprochen haben, sich zu lieben und zu ehren, hassen sich am Ende. Ich habe früher als Scheidungsanwalt gearbeitet und zu viele verwirrte kleine Kinder gesehen, die Nägel kauend mit ansehen müssten, wie ihre liebenden Eltern einander beschimpften und darum stritten, wem Fernseher und Couch zustehen." Riley wechselte wieder die Spur. "Es gibt genug unglückliche Kinder auf der Welt. Ob ich welche zeugen kann oder nicht, ist egal. Ich würde auf keine Fall dazu beitragen, die Zahl zu vergrößern." Alexandras Mitgefühl für ihn wuchs. Er mochte vielleicht kühl und gelassen wirken, aber sie hatte seinen bitteren Unterton bemerkt. Offenbar hatte er sich eingeredet, seine Unfruchtbarkeit wäre so etwas wie ein Segen für die Gesellschaft in dieser überfüllten und unvollkommenen Welt. "Da Sie planen, eine große Familie zu gründen, ist denn auch ein Vater in Sicht?" fragte Riley spöttisch. "Vielleicht", antwortete Alexandra. Sie wusste, dass er mit einem Nein gerechnet hatte. "Ich bin mir noch nicht sicher." Riley schwieg kurz. "Wie heißt er?" fragte er dann.
Alexandra zögerte. Es gab keinen Kandidaten, und sie hatte auch nicht damit gerechnet, dass Riley dieses Thema weiterverfolgen würde. "Graham Foster", sagte sie schließlich. Sie hatte aus ihren Fehlern gelernt. Auch beim Lügen sollte man immer so dicht wie möglich bei der Wahrheit bleiben. Anders als Bernadette Saint John existierte Graham Foster wenigstens. "Wir kennen uns noch nicht lange." Das stimmte. "Aber er könnte meinen Vorstellungen entsprechen." Das war gelogen. Alexandra hatte bereits beschlossen, dass sie nie mehr mit Graham ausgehen würde, doch er kam immer wieder in den Buchladen, um sie einzuladen und ihr seine verrückten Theorien zu erklären. Riley lächelte spöttisch. "Er entspricht Ihren Vorstellungen?" "Ich habe mir schon vor langer Zeit vorgenommen, meinen Lebenspartner mit Vernunft auszuwählen und nicht aus einem Gefühl heraus." "Vernünftig? Sie?" Riley lachte auf. "Ich habe noch nie einen unvernünftigeren Menschen getroffen. Sie kümmern sich um alles und bringen sich damit in die größten Schwierigkeiten. Zum Beispiel mit diesem Baby. Die meisten normalen Menschen würden sich nicht verpflichtet fühlen, das Kind bei sich aufzunehmen, nur weil ihr Name in einem Brief erwähnt wird." "Das ist eine Ausnahme." "Sie verschenken Eier an bedürftige Kunden." Alexandra winkte ab. "Ach, was sind schon ein paar Eier?" "Außerdem habe ich noch nicht herausgefunden, welche .anderen Kinder' Sie gerettet haben", sagte Riley triumphierend. Er hatte seine Argumente überzeugend vorgetragen. "Sie lassen sich immer von Ihren Gefühlen leiten. Es ist völlig ausgeschlossen, dass Sie bei der Wahl Ihres Ehemannes eine vernünftige Entscheidung treffen. Wenn ich wollte, könnte ich
Ihnen sofort beweisen, wie leicht Sie sich von Ihren Gefühlen beeinflussen lassen." Alexandra war so verärgert, dass sie beschloss, ihre Geschichte ein wenig auszuschmücken. Auch wenn sie Riley nie wieder sehen würde, wollte sie vermeiden, dass er sie für langweilig und unvernünftig hielt. "Gerade deshalb sollte jemand wie ich einen Plan haben." "Na, hoffentlich ist Graham kein Romantiker", bemerkte Riley sarkastisch. "Nein, glücklicherweise nicht", sagte Alexandra gelassen. "Er findet, dass wir gut zueinander passen, und glaubt, dass aus der Kombination unserer Gene hochintelligente, begabte Nachkommen entstehen." Das entsprach der Wahrheit. Genau so hatte sich Graham ausgedrückt. Allerdings war es Alexandra schwer gefallen, sich für einen Mann zu erwärmen, der seine zukünftigen Kinder als "Nachkommen" bezeichnete.
4. KAPITEL Als sie nicht mehr weit vom Haus ihrer Mutter entfernt waren, entdeckte Alexandra plötzlich entsetzt eine riesige Werbefläche mit dem Porträt einer Frau. "Das ist Gina Esposito, die Nachrichtensprecherin von Kanal Drei! Lieber Himmel, wie lange war die schon hier? Hoffentlich hat sie das Foto nicht gesehen!" Riley blickte Alexandra irritiert an. "Wer?" "Meine Mutter", sagte Alexandra zögernd. "Sie mag Gina Esposito nicht besonders." "Das überrascht mich nicht", bemerkte Riley. "Sie ist jung, schön und verdient viel Geld. Das gefällt wohl keiner Frau mittleren Alters." "Wohl wahr, aber Gina Esposito ist mit dem Ehemann dieser Frau mittleren Alters durchgebrannt", antwortete Alexandra gereizt. "Entschuldigung, das wusste ich nicht", sagte Riley. "Ich habe zwar in der Zeitung davon gelesen, aber ..." Das Autotelefon klingelte, und Riley führte kurz ein rätselhaftes Gespräch über jemanden, "dessen Zorn jetzt mit Sicherheit verraucht ist". Nach einer Weile legte er auf und warf Alexandra einen Seitenblick zu. Sie tat, als hätte sie nicht zugehört, und wies Riley an, bei der nächsten Gelegenheit links abzubiegen. Das Haus, in dem Alexandras Mutter wohnte, war ein weitläufiges Gebäude aus der Zeit um die Jahrhundertwende. Im
Garten wuchsen Passionsfruchtbüsche, Palmen und ein Mangobaum, der noch späte Früchte trug. Alexandra öffnete die Hintertür und führte Riley ins Haus. "Rhona?" Sie gingen zum Atelier von Alexandras Mutter. Es war ein großer, heller Raum, der in besserem Zustand war als der Rest des Hauses. Aktzeichnungen in Kohle und Kreide bedeckten die Wände und den Boden. Einige Schüler rollten Skizzen zusammen und räumten Kohlestifte, Pinsel und Farben weg. Das männliche Aktmodell zog sich gerade wieder an. Rhona trat hinter einer Staffelei hervor. Sie war eine große, schlanke Frau, die das kastanienbraune Haar zu einem Zopf geflochten trug. Sie blickte Alexandra und Riley zwar an, schien sie aber nicht wirklich wahrzunehmen. "Rhona?" fragte Alexandra vorsichtig, als würde sie mit einer Schlafwandlerin reden. Die Frau lächelte. "Hallo, Lexi. Wie schön, dich zu sehen!" "Ich war vorhin schon hier", sagte Alexandra besorgt. "Ich hoffe, du erinnerst dich?" "Natürlich, du hast ein Baby mitgebracht", erwiderte Rhona. "Wir wollen die Kleine jetzt abholen. Das ist übrigens Riley." Rhona streckte ihm die Hand entgegen. Riley wirkte verblüfft. "Sie sind Rhona Thompson, die Porträtmalerin? Alexandra erzählte zwar, dass Sie malen, aber ich hatte ja keine Ahnung ... In meinem Büro hängt eins Ihrer frühen Bilder." Rhona lächelte und erweckte damit den Anschein, jedes Wort gehört zu haben. Alexandra kannte die Zerstreutheit ihrer Mutter, die offenbar an einem neuen Bild arbeitete. Nervös sah Alexandra sich nach dem Baby um. "Ein Porträt meines Vaters Gerald Templeton", fuhr Riley fort. "O ja", Rhona nickte freundlich, "Templeton." "Rhona, du sagtest, du würdest heute kein neues Bild anfangen, weil du unterrichtest", beschwerte sich Alexandra.
"Ich hätte Brenna nie bei dir gelassen, wenn ich das gewusst hätte, Wo ist sie?" Rhona blickte auf die Palette in ihrer Hand und drehte sie ein wenig, um ein dunkles Violett genau zu betrachten. "Etwas wärmer", sagte sie leise, "mit einem Hauch von Gelb ..." Alexandra stöhnte auf und suchte nach dem Baby. "Die arme Kleine ist bestimmt unter einem Stapel Kohleskizzen begraben." Aber "Brenna" lag friedlich auf einer Decke zwischen einigen unbenutzten Staffeleien und spielte fröhlich gurgelnd mit ihren Zehen. "Ach, das Baby ..." Alexandras Mutter beugte sich über Brenna und wackelte mit den Fingern. Das Kind strampelte und kreischte erfreut. "Ich habe deine alte Wiege aufgehoben, konnte sie aber nicht finden. Nach dem Füttern hat die Kleine ziemlich gequengelt. Ich frage mich deshalb, ob sie Kuhmilch verträgt." Rhona wandte sich zu Riley um. "Sie müssen der Vater sein. Das Kind sieht Ihnen sehr ähnlich." "Nein", sagte Riley resigniert und fuhr sich erschöpft durchs Haar. "Sie ist nicht meine Tochter. Ich habe keine Kinder." Er blickte zur Decke. "Warum muss ich das in letzter Zeit eigentlich immer wieder betonen?" Rhona zuckte die Schultern. "Es war nur wegen der Haarund Augenfarbe ..." Als sie Rileys ärgerlichen Blick bemerkte, fuhr sie begütigend fort: "Aber es geht mich ja auch nichts an." Sie musterte ihn. "Ich erinnere mich an Ihren Vater", fuhr sie dann fort und verriet damit, dass sie vorhin nur so getan hatte, als würde der Name ihr etwas sagen. "Es ist etwas in Ihren Augen ..." Sie umfasste sein Kinn und drehte seinen Kopf, um seine Züge zu studieren. "Haben Sie je Modell gesessen?" "Rhona, wo sind die Windeln, die ich mitgebracht hatte? Brenna muss gewickelt werden."
Rhona deutete auf eine Ecke des Ateliers. "Ich habe eine Wanne dazugestellt und Waschlappen danebengelegt, falls du die Mutter nicht findest. Ach ja, und Mangos." Rhona und Riley unterhielten sich, während Alexandra das Baby wickelte und dabei vergeblich etwas von dem Gespräch mitzubekommen versuchte. Als sie das Baby gerade wieder anzog, kam Riley zu ihr. "Aus einem Buch mit dreitausend Namen mussten Sie ausgerechnet Brenna auswählen?" "Es bedeutet ,die Schwarzhaarige' und passt doch zu ihr." "Hätten Sie sie nicht Sarah oder Suzanne nennen können?" Alexandra nahm die schmutzige Windel zwischen Daumen und Zeigefinger und stand auf. "Hören Sie, ich bin diejenige, die nachts aufsteht, wenn sie schreit. Ich füttere sie und wechsle ihr die Windeln. Warum sollten ausgerechnet Sie ihr da einen Namen geben?" Alexandra stellte sich ganz dicht vor Riley hin und sagte ärgerlich: "Brenna!" Sie ging hinaus, um die Windel wegzuwerfen. Als sie zurückkam, waren die Schüler gegangen, und Rhona stand an der Staffelei. Brenna lag noch immer auf der Decke, und Riley stand zwar neben ihr, beachtete sie aber nicht. "Danke für deine Hilfe, Rhona", sagte Alexandra. Rhona wirkte zwar wieder zerstreut, wurde dann aber auf Riley aufmerksam, der gedankenverloren ein Gemälde betrachtete. Brenna beobachtete ihn fasziniert. "Ich habe dich schon lange nicht mehr mit einem Mann gesehen", bemerkte Rhona. "Er hilft mir nur, Brennas Mutter zu finden", sagte Alexandra. "Er verfügt über eine beeindruckende Ausstrahlung. Guter Körperbau, exzellente Nase!" "Klingt, als würdest du einen Jagdhund beschreiben", erwiderte Alexandra lachend. Doch Rhona hörte ihr schon nicht
mehr zu. Sie betrachtete Rileys Profil, der sich nun doch dem Baby zuwandte. Brenna strampelte mit den Beinen und gab gurgelnde Laute von sich. Riley beugte sich zu ihr hinunter und streckte die Hand aus. Brenna blickte ihn mit großen Augen an und umklammerte dann seinen Finger. Er kniete sich neben sie und sagte etwas zu ihr. Brenna trat nach seinem Arm, und Riley hielt spielerisch ihren Fuß fest. Zwischen den beiden schien eine Verbindung zu bestehen, und Alexandra beobachtete die beiden wehmütig. "Wahrscheinlich nennt er sie gerade Suzanne", sagte sie betont finster. Als Riley mit Brenna auf dem Arm herüberkam, wandte sich Rhona wieder ihrer Staffelei zu. "Seid ihr über die Milton Road gekommen?" fragte sie und führte einige energische Pinselstriche aus. "Hast du das Poster deiner Stiefmutter gesehen, Lexi? Ist sie nicht schön? Nicht eine Falte! Obwohl ich glaube, dass man das Foto retuschiert hat schließlich ist sie inzwischen dreißig." "Rhona ...! Rhona, fahr bitte nicht durch die Milton Road." "Ich habe nicht die Absicht, wegen dieser geschmacklosen Werbefläche Umwege zu machen. Außerdem bin ich schon seit langem darüber hinweg, Lexi", sagte Rhona und lächelte betont fröhlich. Alexandra war besorgt. Rhona würde keine Umwege machen, sondern absichtlich jeden Tag an dem Poster vorbeifahren. Sie schien sich geradezu dafür bestrafen zu wollen, dass sie die Liebe ihres Mannes verloren hatte. Rhona legte den Pinsel hin und warf ein Tuch über die Staffelei. "Ich hoffe, ihr findet die Mutter des Kindes. Oder den Vater", sagte sie. "Obwohl Väter natürlich schwerer ausfindig zu machen sind."
"Sie haben das Porträt in meinem Büro gesehen", sagte Riley, als er Alexandra die Wagentür aufhielt. "Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Ihre Mutter die Künstlerin ist?" "Es schien mir nicht wichtig zu sein." Alexandra lehnte sich zurück und drückte Brenna an sich. Riley blickte auf den Stadtplan. "Also ist die berühmte Gina Esposito Ihre Stiefmutter?" "Eigentlich nicht. Mein Vater - er war Bildhauer - starb, als ich noch klein war. Rhona hat dann wieder geheiratet. Mein Stiefvater ist jetzt mit Gina zusammen." Um zu Rileys Mandantin zu kommen, brauchten sie dreißig Minuten, und nach einer weiteren Minute hatten Riley und Alexandra herausgefunden, dass sie sich auf einer falschen Spur befanden, "Es tut mir Leid, Süße", sagte Alexandra und drückte die Wange an Brennas Kopf, "ich dachte, wir würden deine Mutter finden." "Verdammt! Ich war mir so sicher", meinte Riley. "Dann fahre ich Sie jetzt zur Polizei." "Ist das alles, was Sie zu tun gedenken?" fragte Alexandra. "Ein Versuch - und schon geben Sie auf? Wenn ich mich noch einen Tag länger um Brenna bemühen kann, verstehe ich nicht, warum Sie es nicht auch schaffen sollten!" Alexandra zögerte. "Nein, das ist nicht fair von mir. Sie haben schon sehr viel für Brenna getan, und ich bin die Letzte, die Ihnen einen Vortrag darüber halten sollte ..." Riley wollte gerade darauf antworten, als Alexandra etwas einfiel. "Heute Abend muss ich diese Wanne benutzen und habe noch nie im Leben ein Baby gebadet! Gestern habe ich Brenna einfach gewaschen." Riley atmete tief durch. "Ich bringe Sie jetzt zu Ihrem Auto. Danach müssen Sie allein mit der Situation fertig werden. Haben wir uns verstanden?"
Alexandra blickte ängstlich auf das Baby. "Und wenn ich sie fallen lasse?" "Haben Sie verstanden, was ich gesagt habe?" "Was ist, wenn sie Shampoo in die Augen bekommt?" "Wo steht Ihr Auto?" "Ich verstehe nicht, wie man ein Baby in der Wanne über Wasser halten und ihm gleichzeitig die Füße waschen soll?" Alexandra bemerkte, dass Riley immer ungeduldiger wurde. "Mein Wagen steht beim Einkaufszentrum." Obwohl Riley Alexandra und das Baby so schnell wie möglich loswerden wollte, fuhr er langsam und vorsichtig. Er wechselte nicht mehr plötzlich die Spur und fuhr auch nicht mehr bei Gelb über die Straße. Als der Wagen vor ihnen plötzlich hielt und Riley scharf bremsen musste, hielt er schützend den Arm vor Alexandra und Brenna. "Sie fahren wie ein Vater", bemerkte Alexandra lächelnd und bereute ihre Worte sofort. Trotz Rileys Protest war sie sicher, dass ihm seine Zeugungsunfähigkeit Kummer bereitete. Doch eine Entschuldigung hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Alexandra schloss erschöpft die Augen. Brenna war in ihren Armen eingeschlafen, und die tiefen Atemzüge des Babys beruhigten sie. Schließlich schlief auch sie ein. Sie wachte erst auf, als der Wagen hielt, und stellte fest, dass sie sich vor ihrem Haus befand. Sie lächelte Riley verschlafen an. Er stieg aus und nahm mehrere Einkaufstüten vom Rücksitz. Auch Alexandra stieg vorsichtig aus. Sie hatte die Hand schützend um Brennas Kopf gelegt. "Warum haben Sie mich nach Hause gefahren? Was soll denn aus meinem Wagen werden? Und was ist in den Tüten?" "Immer der Reihe nach", sagte Riley und ging zur Haustür. "Erstens sind Sie eingeschlafen, zweitens kann Ihr Auto bis morgen auf dem Parkplatz stehen bleiben. Und drittens habe ich
im Supermarkt Flaschen, Babynahrung, Windeln, Kindershampoo und ... eine Rassel gekauft." "Warum tun Sie das alles?" fragte Alexandra. Eine Rassel. Er hatte eine Rassel gekauft, während sie und Brenna in seinem Auto geschlafen hatten. "Mir fallen da mehrere Gründe ein", antwortete Riley trocken. "Und alle haben etwas mit vorübergehender Unzurechnungsfähigkeit zu tun. Geben Sie mir den Schlüssel." Alexandra sah ihn nur verwirrt an. Riley griff in ihre Handtasche und zog ein Schlüsselbund heraus. Die Schlüssel glitten ihm aus der Hand und fielen in einen Tontopf mit Kräutern. Riley bückte sich, um sie aufzuheben, streifte sich einige Blätter von der Hand und roch dann an seinen Fingern. "Basilika!" rief er erfreut aus, als hätte er die Lösung für ein schwieriges Problem gefunden.
5. KAPITEL "Ich beschäftige mich noch nicht lange mit Kräutern, aber das Basilikum gedeiht einfach großartig", sagte Alexandra. Es schien Riley, als würde sie viel schneller sprechen als gewöhnlich. "Der Rosmarin wächst auch gut. Dazu gibt es eine Legende ... Es heißt, keine Rosmarinpflanze würde höher werden als einen Meter fünfundsiebzig. Das soll Jesus Christus' Größe gewesen sein. Wenn die Büsche diese Höhe erreicht haben, wachsen sie nur noch seitwärts." "Tatsächlich?" fragte Riley, erfreut, dass Alexandra ein wenig atemlos klang. "Außerdem soll der Duft von Rosmarin das Gedächtnis verbessern. Im Mittelalter haben sich Schüler Rosmarinzweige zwischen die Buchseiten gelegt, so dass beim Lesen ..." Riley hörte ihren Ausführungen nur halb zu. Er schloss die Tür, folgte Alexandra ins Haus und sah sich um. Die Einrichtung wirkte einladend. Auf dem Holzfußboden lagen handgearbeitete Läufer, mehrere kleine Metallskulpturen waren in den Räumen verteilt, und Rhonas Bilder hingen an den getäfelten Wänden. Überall waren Bücher zu sehen - in Regalen, auf Tischen und den niedrigen Fensterbänken. Ein Stapel lag sogar im Kamin. Auf dem Esstisch entdeckte Riley ein dickes, altes Buch mit Zeichnungen von verschiedenen Pflanzen.
Regen prasselte aufs Dach, und durch die geöffneten Fenster drang der Duft von feuchter Erde, gemischt mit dem des Basilikums auf der Veranda. Basilikum! Es war nicht der Duft eines exquisiten französischen Parfüms gewesen, der ihn die ganze Zeit so gereizt hatte, sondern nur ein Küchenkraut, das er sich gern über Rühreier streute. Riley fühlte sich ein wenig unbehaglich. Er stellte die Einkaufstüten auf dem Tisch ab und ging zur Tür. "... Thymian war im 19. Jahrhundert sehr beliebt, um die Ränder der Beete einzufassen. Die Pflanzen sind klein und widerstandsfähig, und es machte ihnen nichts aus, wenn die Reifröcke der Damen über sie hinwegstrichen." Alexandra blickte sich um, als sie hörte, dass Riley die Tür öffnete. "O Riley, bitte geh nicht!" Sie sah ein wenig mitgenommen aus und bemühte sich, nicht ängstlich zu wirken. Riley merkte, dass sie ihre Worte sofort bereute. Wahrscheinlich bat sie nicht oft um Hilfe. Riley fühlte sich plötzlich sehr zu ihr hingezogen. "Ich hole nur die Badewanne", sagte er. Wieder wurde er das Gefühl nicht los, die Kontrolle verloren zu haben. Seit kurzem traf er ständig Entscheidungen, die unvernünftig waren; Alexandra brauchte ihn nur anzulächeln oder seinen Arm zu berühren. Sie fahren wie ein Vater. Bevor Alexandra das gesagt hatte, war er fest entschlossen gewesen, sie und das Baby bei ihrem Auto abzuliefern und das Weite zu suchen. Als er die Badewanne voller Mangos aus dem. Kofferraum geholt hatte und durch den Regen zum Haus zurückging, war er in eine Pfütze getreten und hatte ausgiebig geflucht. Eine halbe Stunde. Er hatte noch eine halbe Stunde bleiben und sich dann für immer verabschieden wollen. Die Badewanne stand auf dem mit Handtüchern abgedeckten Esstisch. Seife, Shampoo und anderes Zubehör lagen griffbereit daneben. Das Baby war nackt und bereit zum Baden. Alexandra
hatte anstelle des Kräuterbuchs ein Babypflegebuch auf den Ständer gelegt und die Seite mit der Anleitung zum Baden aufgeschlagen. "Ich dachte, man würde einfach irgendwie wissen, was zu tun ist", sagte sie verzweifelt. "Meine Mutter hat es geschafft, während sie die meiste Zeit in Gedanken bei ihren Bildern war. Daher nahm ich an, es wäre eine Frage des Instinkts ... Glaubst du, das Wasser ist zu heiß?" fragte Alexandra besorgt. Seufzend zog Riley Jackett und Weste aus, krempelte einen Hemdsärmel hoch und tauchte den Ellenbogen ins Wasser. "Ich schreie nicht vor Schmerz, also muss es wohl in Ordnung sein." Brenna schrie allerdings, als Alexandra sie vorsichtig ins Wasser setzte. "Ich halte sie fest, und du wäschst sie", sagte Riley und umfasste Brennas Oberkörper. Alexandra nahm die Seife und wusch Brenna schnell die Beine und den Bauch. Dann schöpfte sie mit der Hand Wasser über den Körper des Babys, um den Schaum abzuspülen, und wie durch ein Wunder hörte Brenna auf zu weinen. Dafür strampelte sie jetzt vergnügt mit den Beinen. Alexandra wischte sich Wassertropfen von der Brille. "Es gefällt ihr, Riley!" "Schön, dass es wenigstens einer von uns genießt", meinte er gespielt grimmig, lächelte aber, als er sich über das nasse Gesicht fuhr. "Jetzt müssen wir ihr noch die Haare waschen." Alexandra trocknete sich die Hände ab und blätterte um zur Anleitung fürs Haare waschen. Sie drehte den Buchständer in Rileys Richtung. "Kannst du sie so halten?" Riley hielt Brenna in einem Arm und beugte sich über die Badewanne. Alexandra trat zu ihm, um Brennas Haar einzuschäumen, und stand schließlich an Rileys Brust gepresst da.
"Dein Hemd ist nass", stellte sie fest und blickte zu Riley auf. Wassertropfen glitzerten auf seinem Gesicht, und seine Schultern zeichneten sich deutlich unter dem durchnässten Hemd ab. Auch sein dunkles Haar, das schon vom Regen feucht war, hatte einige Tropfen Badewasser abbekommen. Und im Arm hielt Riley die winzige Brenna, die ihn aus weit geöffneten Augen ansah und fröhlich gluckste. Alexandra wandte den Blick ab. Der Mann war eindeutig zu sexy, ob als unrasierter Jazzpianist oder Ehrfurcht gebietender Anwalt. Doch Alexandra wünschte, dass ihr gerade dieser Eindruck vom durchnässten Riley erspart geblieben wäre. Sanft, aber zügig wusch sie Brenna die Haare, während diese vor Vergnügen quietschte. "Es scheint ihr viel Spaß zu machen", meinte Riley lachend. "So sollte es allen Kindern gehen, findest du nicht?" "Allerdings." "Ich finde es schrecklich, dass es viele Kinder auf der Welt gibt, die niemals lachen oder spielen", sagte Riley leise und blickte auf Brenna hinunter. Alexandra sah ihn verständnisvoll an. Er mochte zwar hart und zynisch wirken, aber Riley Templeton hatte das Herz am rechten Fleck. "Meine Mutter arbeitet für eine Wohltätigkeitsorganisation, die sich um Kinder in Kriegsgebieten kümmert. Die Leute liefern dorthin Spielsachen und sorgen für sichere Unterkünfte, wenn die Kinder kein Zuhause mehr haben. Einige der armen Geschöpfe besitzen nichts als einige Steine zum Spielen." "Ich würde gern etwas spenden", sagte Alexandra sofort. "Nichts leichter als das", erwiderte Riley gelassen. "Ich habe zwei Karten für einen Wohltätigkeitsball im März reservieren lassen. Komm einfach mit." Alexandra rückte ihre Brille zurecht. "Nein, lieber nicht." "Findest du nicht, dass es für einen guten Zweck ist?" "Doch ... aber ich würde lieber etwas Geld spenden."
"Wie viel?" fragte Riley "Ich weiß nicht, zwanzig Dollar vielleicht." Alexandra ärgerte sich über ihren entschuldigenden Tonfall. "Die Eintrittskarten kosten dreihundert Dollar. Wenn ich keine Begleitung finde, werde ich sie nicht kaufen. Findest du nicht, dass die Organisation mehr vom Verkauf der Eintrittskarten profitieren würde als von deiner Spende?" "Ja ... schon ..." "Und du willst doch helfen, oder?" "Ja ..." antwortete Alexandra. "Dann kommst du also mit?" "Ja." Alexandra blickte zu Riley auf und fragte sich, womit sie sich eigentlich gerade einverstanden erklärt hatte. Rileys Kreuzverhör-Methode war überaus gefährlich. "Hör mal, ich wollte nicht mit dir ausgehen", sagte sie ärgerlich. Riley lächelte triumphierend. "Aber du hast trotzdem Ja gesagt. Ich wollte dir nur beweisen, wie leicht du umzustimmen bist. Man muss nur von armen Waisenkindern erzählen und dein Mitgefühl wecken. Also, erklär mir doch noch einmal, wie du die richtigen Entscheidungen bezüglich deines Lebens treffen willst?" Alexandra wurde wütend. "Du musst unbedingt beweisen, dass du Recht hast, stimmt's?" Er lachte. "Meistens ist es auch so." "Jedenfalls hast du nur bewiesen, dass ich ein soziales Gewissen habe, sonst nichts. Und jetzt halt Brenna still, damit ich das Shampoo auswaschen kann." Als sie Brenna schließlich abgetrocknet, frisch gewickelt und angezogen hatten, waren Riley und Alexandra klatschnass. Alexandra legte Brenna auf eine Decke, warf Riley ein Handtuch zu und ging ins Schlafzimmer, um sich einen Wickelrock und ein Top anzuziehen. Das Bad schien Brenna
Appetit gemacht zu haben, denn sie begann kurze Zeit später zu schreien. Alexandra eilte in die Küche, um Milch aufzuwärmen. Riley folgte ihr in die Küche. Er trocknetete sich dabei die Haare und war barfuß. "Ich habe mein Hemd in den Wäschetrockner getan. Zusammen mit meinen Socken. Ich bin nämlich draußen in eine Pfütze getreten." Alexandra bemühte sich, Rileys nackten Oberkörper zu ignorieren. Warum hatte sie ihn nur gebeten zu bleiben? Jetzt konnte sie es kaum noch erwarten, ihn loszuwerden. Wie lange würde es dauern, bis sein Hemd trocken war? Sie hätte wirklich etwas Dickeres anziehen können, dachte Riley. Der dünne Rock war praktisch durchsichtig, und das Oberteil ... Er blickte auf das Baumwolltop, dessen Träger Alexandra ständig von den Schultern rutschten. Sie beförderte die Träger mit demselben Schulterzucken nach oben, mit dem sie ihn, Riley, hin und wieder bedachte. Er wurde aus Alexandra nicht klug. Eigentlich war er sich sicher, dass sie ihn attraktiv fand - das hatte sie ja sogar zugegeben. Aber manchmal hatte Riley auch das Gefühl, dass sie sich nur dafür interessierte, was er zur Lösung des Babyproblems beitragen konnte. Vielleicht schaffte sie es wirklich, ihre Gefühle zu verdrängen, wenn es um ihn ging. Riley war normalerweise ein Anhänger vernünftiger Entscheidungen, fühlte sich momentan aber außer Stande, welche zu treffen. Alexandra suchte in einer der Tüten nach dem Babybrei. "Bist du sicher, dass Brenna alt genug dafür ist?" fragte sie und studierte die Packungsaufschrift. "Die Verkäuferin sagte, es sei in Ordnung." "Aber wir wissen doch gar nicht, wie alt Brenna ist!" protestierte Alexandra. "Hier steht, dass man erst ab vier Monaten mit dem Brei anfangen darf." "Hör zu", sagte Riley, "ich habe der Frau erzählt, Brenna sei etwa so groß ..." Er machte ein weit ausholende Geste.
Alexandra lachte und warf Riley einen abfälligen Blick zu. Offenbar schien sie vergessen zu haben, dass sie ebenso unerfahren war wie er, wenn es um Babys ging. "Dann kam die Verkäuferin mit zum Auto", fuhr er fort, "und sah sich Brenna an. Sie hat selbst vier Kinder und hat allen Brei gegeben, als sie ungefähr so groß waren. Alle haben es überlebt und sind gesund aufgewachsen." Alexandra zuckte verächtlich die Schultern. Riley ärgerte sich, vor allem deshalb, weil die Träger ihres Tops jetzt wieder richtig saßen und er Alexandras hübsche Schultern nicht mehr betrachten konnte. Er hatte jetzt wirklich alles getan und würde sich auf keinen Fall wieder von einem ihrer hilflosen Blicke umstimmen lassen. Sobald sein Hemd trocken war, würde er nach Hause fahren. Auf dem schnellsten Wege. In spätestens zwanzig Minuten! Riley saß ohne Hemd im Wohnzimmer und fütterte Brenna, als sich die Haustür öffnete und Sam hereinkam. "Jetzt bin ich aber platt", sagte Sam und musterte Riley eingehend. Er warf Alexandra einen verschmitzten Blick zu und wandte sich dann wieder an Riley. "Sie sind also der Vater der Kiemen, stimmt's? Sie ist Ihnen ja wie aus dem Gesicht geschnitten." Riley atmete tief durch, und Alexandra stellte die beiden Männer einander schnell vor. "Riley ist so nett, Brenna die Flasche zu geben, während sein Hemd trocknet, damit ich den Brei fertig machen kann." Sie blätterte im Babybuch. "Verdammt! Riley, wir hätten ihr den Brei zuerst geben sollen!" "Ich glaube, das weiß sie nicht", antwortete Riley mit einem Blick auf Brenna, die in seinem Arm lag und zufrieden ihre Milch trank. Riley und Sam verstanden sich auf Anhieb. Alexandra ließ sie allein, um draußen ein wenig Oregano zu pflücken und
Tomaten für eine Nudelsoße zu schneiden. Sie kam sich inzwischen halb verhungert vor. Das Baby hatte die Flasche ausgetrunken. Riley warf einen flüchtigen Blick auf das Kapitel Bäuerchen im Babybuch und klopfte Brenna sanft auf den Rücken, bis sie das gewünschte Bäuerchen machte. Er stand auf und gab Alexandra das Baby. "Dein Hemd müsste inzwischen trocken sein", sagte sie schnell. "Du hättest nur zu erwähnen zu brauchen, dass es dich stört", meinte Riley mit einem Blitzen in den Augen, "dann hätte ich mir das Hemd ausgeliehen, das du heute Morgen anhattest." Er ging in die Küche zum Wäschetrockner, nachdem er den doppelten Treffer gelandet hatte. Erstens hatte er Alexandra zu verstehen gegeben, dass er wusste, wie nervös sie in seiner Gegenwart war. Und zweitens hatte er angedeutet, dass sie Kleidung trug, die so weit war, dass sie sogar ihm gepasst hätte. Alexandra bezweifelte das zwar, aber die Kritik verletzte sie. Riley kritisierte sie ohnehin ständig - für ihren Kaffee, ihre Kleidung, ihren Namen für das Baby. Während Brenna den ersten Löffel Brei probierte, unterhielten sich Sam und Riley angeregt. Riley zog sich das Hemd wieder an und schloss die untersten Knöpfe. "Deine Socken müssten auch schon trocken sein", sagte Alexandra. Riley hielt eine einzelne Socke hoch. "Eine fehlt?" "Wie konnte das passieren?" "Das ist bei mir immer so. Ich werfe zwei in die Maschine und bekomme nur eine zurück." Riley zog sich die Schuhe ohne Socken an. Sam schmunzelte und sagte: "Ich habe zu Hause noch ein Kinderbett gefunden, das meiner Nichte gehörte. Es sieht noch ganz gut aus. Dabei bin ich auch auf einige alte Schallplatten gestoßen. Und auf eine elektrische Eisenbahn, die schon fünfzig Jahre alt sein muss." Riley sah ihn interessiert an. "Alte Platten? Von wem denn?"
"Duke Ellington und einige von Errol Garner", antwortete Sam. "Als Jazzmusiker gefallen sie Ihnen bestimmt. Außerdem habe ich bei mir einen alten Steinway-Flügel stehen. Er müsste mal gestimmt werden, aber das ist so teuer ..." "Ich könnte ihn mir ja einmal ansehen", sagte Riley. Alexandra seufzte. "Was ist mit dem Kinderbett?" fragte sie eindringlich. "Riley und ich holen es herüber", sagte Sam und ging hinaus. Riley folgte ihm. Zehn Minuten später drang Klaviermusik aus Sams Haus. Es war ein schwieriges Jazzstück. Als es zu Ende war, hörte Alexandra weitere zehn Minuten überhaupt nichts mehr von drüben. Wahrscheinlich spielen sie mit der Eisenbahn, dachte sie grimmig, entfernte Babybrei von ihrem Rock, dem Sessel und Brennas Gesicht. Schließlich kamen Sam und Riley mit dem Kinderbett zurück. Sam erzählte gerade vom Treffen mit seiner alten Armeeeinheit, das nächsten Monat in Melbourne stattfinden sollte. Er unterhielt sich mit Riley, als würde er ihn schon seit Jahren kennen. Sie stellten das Kinderbett im Wohnzimmer ab und betrachteten es so stolz wie Jäger ihre Beute. Alexandra fragte sich, ob die beiden Männer wohl Applaus erwarteten. Brenna hustete und spuckte Milch aus. "Ich hätte nie gedacht, dass man Babys so oft sauber machen muss!" sagte Alexandra und suchte nach ihrer Handtasche, in der sich Rhonas Waschlappen befanden. Riley fand die Tasche schließlich und reichte Alexandra einen Lappen. Sam lächelte ein wenig hinterhältig. "Als würde man einen herzerweichenden Werbespot für Babypuder sehen." Als Brenna ernsthaft zu schreien begann, nahm Sam die Rassel, die sich noch immer in ihrer Verpackung befand. Nach einer Weile gab er den Versuch auf, die Plastikhülle aufzureißen, und schüttelte die Rassel in der Verpackung. "Du solltest es bei ihr mit
Ziegenmilch versuchen", riet er Alexandra. Schließlich kapitulierte Sam vor Brennas Gebrüll und ergriff die Flucht. Riley würde ihm sicher gleich folgen. Die Ratten verlassen das sinkende Schiff, dachte Alexandra. Sie fürchtete sich vor einer weiteren Nacht allein mit dem unruhigen Baby. Doch Riley blieb. "Musik", sagte er energisch und ging zur Stereoanlage. Er zog einige CDs aus dem Regal, betrachtete die Titel und legte sie weg. Schließlich hatte er seine Wahl getroffen. "Es gibt die Theorie", sagte Riley und setzte sich zu Alexandra auf die Couch, "dass Musik als eine Möglichkeit entstand, schreiende Kinder zu beruhigen." Die ersten Takte der Ouvertüre von Mozarts Zauberflöte erklangen. Brennas Geschrei wurde ohrenbetäubend. Alexandra zog eine Augenbraue hoch. "Tatsächlich?" fragte sie trocken. Riley begann, Brenna übers Haar zu streicheln. Ihre Schreie wurden leiser und hörten schließlich ganz auf. "Denk mal darüber nach", sagte Riley leise und betont ausdruckslos. "Unsere Vorfahren zogen von Höhle zu Höhle auf der Suche nach Nahrung und nahmen dabei die Babys mit." Riley zog die Hand weg, aber das schläfrige Baby gab einige Warntöne von sich. Also streichelte Riley Brenna weiter und legte Alexandra schließlich den anderen Arm um die Schultern, um Brennas Kopf besser erreichen zu können. Alexandra hätte am liebsten protestiert, aber immerhin beruhigte sich das Kind wieder. "Stell dir vor, du läufst tagelang durch die Gegend und hast ein schreiendes Baby dabei", fuhr Riley in seinem leisen, beinahe hypnotischen Tonfall fort. "Das möchte ich lieber nicht", sagte Alexandra ebenso leise. Brenna schlief ein und schien immer schwerer zu werden. Alexandras Arm begann zu schmerzen. "Also versuchten unsere Ahnen, die Kinder mit Lauten zu beruhigen, mit einem Singsang in verschiedenen Tonlagen. Das
menschliche Gehirn reagiert auf bestimmte Klangkombinationen. Deshalb lassen dich bestimmte Tonfolgen auch erschauern." Riley machte eine Kunstpause. Alexandra versuchte, ihren verspannten Nacken zu entlasten, und sagte leise: "Offenbar möchtest du, dass ich dich frage, wie es zu diesem Schauer kommt. Also?" Riley lächelte und zog Alexandra sanft an sich, bis ihr Kopf an seiner Schulter ruhte. Schon zum zweiten Mal an diesem Abend schien Riley genau zu wissen, was sie brauchte. "Bei bestimmten Harmoniewechseln bekommt man eine Gänsehaut, weil die Musik unsere Gefühle anspricht." Er muss es ja wissen, dachte Alexandra. "Also glaubst du, es hat alles mit dem Cro-MagnonMenschen angefangen?" fragte sie. "Ja, wegen der Kinder. Stell dir vor, die Welt ist voll von Musik, die wir vielleicht nie gehabt hätten, wenn es keine schreienden Babys gegeben hätte." "Aha." Alexandra warf Riley einen Seitenblick zu. Er hatte die Augen geschlossen. "Das bedeutet aber auch, dass Frauen die Musik erfunden haben müssen." Riley lächelte und öffnete ein Auge. "Es ist ja nur eine Theorie." Er beugte sich mit Alexandra und dem Baby zur Seite. Beide hielten erschrocken inne, als Brenna leise wimmerte. Das Baby drehte sich ein wenig, bis es schließlich halb auf Alexandra und halb auf Riley lag. Riley hatte einen Arm um Alexandra gelegt und ließ die Hand auf ihrer Taille ruhen. Alexandras Hand lag auf Brennas Rücken, damit sie das Kind beim geringsten Laut beruhigend streicheln konnte. "Das ist doch lächerlich", flüsterte Alexandra. "Zwei Erwachsene, die von einem Baby in Schach gehalten werden. Ich stehe jetzt auf."
Doch kaum hatte sie sich aufgesetzt, schrie Brenna wieder auf altbekannte Weise Unheil verkündend. Riley zog Alexandra zurück und klopfte Brenna gleichzeitig beruhigend den Rücken. "Ganz ruhig, meine Kleine ... Wag es ja nicht, sie zum Weinen zu bringen! Ganz ruhig ..." sagte er, ohne den Tonfall zu verändern. Er streckte sich aus, nahm Alexandra wieder in den Arm, streifte die Schuhe ab, die mit einem dumpfen Knall auf den Boden fielen. Ich liege praktisch mit ihm im Bett, dachte Alexandra. Sie schloss die Augen, verhielt sich ganz still und dachte verärgert über Menschen nach, die ihre Kinder anderen Leuten vor die Haustür legten. AI s sie die Augen wieder öffnete, hatten Musik und Regen aufgehört. Doch in einem Haus mit Blechdach War es nie ganz still. Regen tropfte von den Ästen der Bäume aufs Dach, und der Frosch im Teich auf der anderen Straßenseite quakte wieder in regelmäßigen Abständen. Alexandra wandte sich langsam um. Der Mann neben ihr schlief. Sein Haar war zerzaust, und seine markanten Gesichtszüge wirkten entspannt. Brenna lag auf Rileys Brust, und ihr kleiner Körper hob und senkte sich mit jedem seiner Atemzüge. Alexandra war, als hätte sie einen Sprung in die Zukunft gemacht, von der sie immer geträumt und in der sie eine eigene Familie hatte. Sie warf noch einen Blick auf Riley und Brenna und machte sich dann vorsichtig von ihrer "Familie" los. Riley hatte die oberen Hemdknöpfe nicht geschlossen, und Brenna hatte die winzige Hand auf seine nackte Brust gelegt. Alexandra betrachtete die beiden fasziniert. Der Gegensatz zwischen dem starken, athletischen Mann und dem zarten, hilflosen Kind rührte sie. Selbst im Schlaf hatte Riley deinen Arm schützend um das Kind gelegt. Die Packung mit der Rassel war zu Boden gefallen.
Alexandra hob sie auf. Riley würde niemals Kinder haben. Wie musste er sich bei dem Gedanken fühlen? Alexandra spürte, dass ihr Tränen in die Augen traten. Im Schlaf offenbarte er, wie viel Zärtlichkeit und Beschützerinstinkt in ihm steckten. Er sorgte sich um Brenna, und das Baby vertraute ihm. Beinahe hätte sie Riley für den Mann halten können, den sie sich immer gewünscht hatte. Aber natürlich war er das nicht. Zwischen Riley und ihr herrschte zwar eine gewisse Anziehungskraft, aber keine Liebe, auf der man ein gemeinsames Leben aufbauen konnte. Alexandra riss sich von Rileys und Brennas Anblick los und ging in die Küche, um das Abendessen zu kochen. Sie überlegte kurz und schüttete dann zwei Portionen Nudeln ins Wasser. Danach schnitt sie einige Mangos von ihrer Mutter auf. Nachdem Riley so viel für sie getan hatte, würde sie ihm wenigstens etwas zu essen anbieten. Alexandra deckte den Tisch, holte die letzte Flasche Wein heraus und ging ins Wohnzimmer, um Brenna ins Bett zu bringen. "Komm, meine Süße", flüsterte sie. Riley stöhnte leise, und Brenna hielt sich an ihm fest. "Lass los, Kleines ..." sagte Alexandra leise, Während sie Brennas Hand zu lösen versuchte. Riley stöhnte wieder und öffnete dann unvermittelt die Augen. "Habe ich etwas verpasst?" "Nein", sagte sie so gelassen, wie es einer Frau möglich war, die sich ertappt fühlte. "Du bist nur zu früh aufgewacht." Riley lächelte genießerisch. "Dann tu doch so, als würde ich noch schlafen." "Das geht leider nicht", erklärte Alexandra bedauernd. "Außerdem verführe ich nie einen Mann, während ich ein Baby im Arm halte."
Brenna war inzwischen aufgewacht und begann, leise zu wimmern. Braves Mädchen, dachte Alexandra, die bereits bereute, das Wort "verführen" benutzt zu haben. Das kommt davon, wenn man redet, ohne nachzudenken, wies sie sich im Stillen zurecht. Sie stand hastig auf. Brenna hatte Rileys Brusthaar nicht losgelassen und riss nun einige Haare aus, so dass Riley leise aufschrie. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Er sah verschlafen und leicht mitgenommen aus, und trotzdem fühlte sie sich wie magisch von ihm angezogen. Sie musste unbedingt jeden weiteren Kontakt mit Riley vermeiden. Am besten sollte sie sich von ihm für immer verabschieden! Stattdessen hörte sie sich fragen: "Möchtest du mit mir zu Abend essen?" Riley wollte es, denn aus der Küche drang ein verführerischer Duft. "Setz dich, das Essen ist gleich fertig." Riley folgte der Aufforderung und blätterte in dem Kräuterbuch auf dem Esstisch. "Das ist die letzte Flasche meines Holunderbeerweins", sagte Alexandra, als sie mit einem Brotkorb und einem Tontopf mit Butter in den Händen zurückkam. "Ich habe leider keinen anderen." "Du machst deinen Wein selbst?" fragte Riley misstrauisch, während er die dunkelrote Flüssigkeit in zwei Gläser goss. Verdammt, ich hätte einen anständigen Rotwein gebrauchen können, dachte er. Immerhin hatte das Zeug hier eine schöne Farbe. Hoffentlich schmeckte es besser als Alexandras Kaffee. "Früher einmal", antwortete sie. "Ich habe ein Buch über das Weinkeltern bei einer Auktion gefunden und musste die Rezepte unbedingt ausprobieren. Ich kannte jeden Marktstand, an dem Holunderbeeren verkauft wurden. Ein Jahr lang war ich wirklich begeistert davon ..." Sie zuckte die Schultern. Riley trank langsam einen Schluck. "Gar nicht schlecht."
Alexandra lächelte. "Ein großes Lob von einem Mann, der seine Jugend in einem Weinkeller verbracht hat." Alexandra verschwand in die Küche, und Riley nahm sein Weinglas und hockte sich vor den Kamin, um sich den davor liegenden Bücherstapel anzusehen. Er entdeckte das Buch Weinkeltern für Anfänger und fragte sich, ob Alexandra Bücher, an denen sie das Interesse verloren hatte, wohl als Brennmaterial benutzte. Riley stand auf und betrachtete Alexandras Wohnzimmer. Er suchte nach Hinweisen auf etwas, das er nicht einmal genau beschreiben konnte. Alexandra kam mit einer dampfenden, feuerfesten Form in den Händen zurück, die sie vorsichtig auf den Tisch stellte. Dabei glitten ihr die Träger ihres Tops von den Schultern, und ihre Locken schienen im Gegenlicht zu glühen. Riley stürzte den Wein hinunter und schenkte sich sogleich nach. "Also", begann Alexandra, um das Schweigen zu brechen, "warum ist deine Wohnung in einem so schlimmen Zustand, dass Caroline dir ihr Bett angeboten hat?" Riley leerte gerade seinen Teller und hielt verblüfft inne. "Das hat sie nicht gesagt." Alexandra lächelte schalkhaft. "Vielleicht nicht wörtlich." Riley nahm sich eine zweite Portion Pasta, tat Butter auf eine Scheibe Brot und biss hinein. Kauend bedachte er Alexandra mit einem abfälligen Blick. "Caroline ist die Tochter eines alten Freundes meiner Familie und scheint seit kurzem ..." "In dich verliebt zu sein? Armer Riley. Offenbar laufen dir überall die Frauen nach!" Riley schnitt ein Gesicht. "Sie ist erst achtzehn und eigentlich ein nettes Mädchen. Aber sie ist ein Einzelkind und wird sehr verwöhnt. Ich versuche, sie taktvoll loszuwerden." "Also hast du mich geküsst, um Caroline abzuschrecken?" fragte Alexandra.
"Mehr oder weniger. Es scheint jedenfalls gewirkt zu haben. Sie hat mich heute noch nicht angerufen." Riley betrachtete Alexandras Mund. "Warum hast du mich denn geküsst?" Alexandra errötete. Es hatte keinen vernünftigen Grund dafür gegeben. Aber die ganze Angelegenheit hatte ja ohnehin nichts mit Vernunft zu tun. Sie bemühte sich, Rileys schalkhaftes Lächeln zu ignorieren. "Wenn du Caroline entmutigen willst, solltest du ihr vielleicht nicht unbedingt dein Auto leihen", meinte sie trocken. "Ihr Vater hatte es sich geliehen und wollte mich abends abholen. Stattdessen aber schickte er Caroline." Riley verzog wieder das Gesicht. "Ihre Eltern haben eigentlich nichts gegen ihre Bemühungen, sondern ..." "... wären froh, wenn ihr Töchterchen einen reichen Ersatzvater aus gutem Hause heiraten würde", beendete Alexandra den Satz. Riley sah sie erstaunt an. "Ersatzvater?" Alexandra lachte. "Hast du noch nie darüber nachgedacht. Sie ist jung und verrückt nach dir. Kann sie kochen? Du hast heute Abend so viel gegessen, dass ich mich frage, wann du zuletzt eine ordentliche Mahlzeit gehabt hast. Außerdem bist du schon längst im heiratsfähigen Alter." "Caroline weiß noch nicht, was sie will. Mit einer solchen Frau war ich schon einmal verheiratet. Die Ehe dauerte zwei Jahre, und Davina und ich sind schon lange geschieden." "Davina? Deine Mutter erwähnte sie heute Morgen." "Meine Mutter", erklärte Riley finster, "hofft, dass wir Wieder zusammenkommen. Davina ist jetzt zum zweiten Mal geschieden, hat aber inzwischen zwei Kinder." Er zögerte. "Zwei kleine Jungen, die immer ein wenig verloren wirken." Riley blickte starr vor sich hin. "Unter anderen Umständen hätten sie meine Kinder sein können." Hatte sich Davina Kinder gewünscht und Riley deshalb verlassen? Jetzt war sie wieder frei, hatte Kinder, und Mrs.
Templeton bemühte sich offenbar um eine Familienzusammenführung. Offenbar dachte Riley auch darüber nach. Vielleicht hatte er nie aufgehört, seine Exfrau zu lieben. Alexandra empfand starke Abneigung gegenüber dieser Frau, die Riley so schlecht behandelt hatte und nun vielleicht eine zweite Chance bekommen würde. Es herrschte wieder Schweigen. Der Frosch im Teich quakte unermüdlich. Riley aß noch ein Stück Brot. "Mein Apartment ist unbewohnbar", sagte er, als wäre nichts gewesen, "weil dort eingebrochen wurde. Die Täter haben überall Farbe verschmiert, die Türen mit einem Hammer bearbeitet und die meisten Möbel zerstört. Herd und Kühlschrank eingeschlossen. In den letzten Wochen habe ich mich vor allem von Mikrowellengerichten ernährt." "Lieber Himmel, Riley! Das ist ja furchtbar!" "Es ist nicht so schlimm. Einige Gerichte schmecken ganz gut/' Alexandra lachte. "Ich meine, dass du hättest verletzt werden können, wenn du zu Hause gewesen wärst! Hat es etwas mit den Leuten zu tun, die dich vor dem Gerichtsgebäude beschimpft haben?" Riley betrachtete sie nachdenklich. "Nein, die waren es nicht, aber vermutlich irgendwelche anderen Leute, die glauben, eine Rechnung mit mir begleichen zu müssen. Es könnte allerdings auch Zufall gewesen sein. Das Haus, in dem ich wohne, ist alt und nicht besonders gut gesichert." Alexandra brachte die Teller in die Küche. Riley folgte ihr und trug Dessertteller ins Wohnzimmer, während Alexandra eine Schüssel mit Obst hereinbrachte. Sie erinnerte sich daran, dass Riley sich vor dem Jazzclub mehrmals aufmerksam umgesehen hatte. "War deine Mutter deshalb so misstrauisch, als ich versuchte, in dein Büro zu kommen?"
Riley seufzte. "Es war Pech, dass meine Mutter die ganze Geschichte miterleben musste. Jetzt beobachtet sie mich auf Schritt und Tritt und ruft mich ständig an, um sich davon zu überzeugen, dass es mir gut geht. Sie macht sich Sorgen um mich, aber ... sie und Caroline ... Deshalb will ich nicht, dass sie vom Blue Parrot erfahren. Ich brauche einen Ort, an dem ..." Er beugte sich über die Obstschüssel, atmete tief ein und rief: "Mango! Natürlich!" Alexandra erschien seine Reaktion auf den Nachtisch ein wenig seltsam. Beim Dessert unterhielten sie sich über ihre Familien. Rileys Vater war bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Er hatte noch eine Schwester, die mit ihrem südafrikanischen Ehemann und zwei Kindern in Simbabwe wohnte. Alexandra erzählte von ihrem Vater und zeigte Riley die Skulpturen, die er ihr hinterlassen hatte. Danach unterhielten sie sich über Kunst, die aktuelle Rechtsprechung und Bücher. Es schien beinahe so, als würden sie zusammen beim Essen sitzen, weil sie es so wollten, und nicht, weil die Situation sie dazu gezwungen hatte. Es war, als wären sie einander sympathisch. Brenna wachte auf und erinnerte Alexandra und Riley daran, dass sie der Grund für ihr Zusammensein war. Plötzlich herrschte wieder angespannte Stimmung. Alexandra sagte, sie hoffe, dass Brenna in dieser Nacht nicht wieder so oft aufwachen würde, und Riley bemerkte zynisch: "Das kommt davon, wenn man ein gutes Werk tut." Doch sie gingen beide zu Brenna und hielten sie abwechselnd auf dem Arm. Brenna ließ sich nicht beruhigen. Alexandra legte sie wieder ins Bett und hockte sich neben sie, um sie in den Schlaf zu singen und ihr über den Kopf zu streicheln. Doch das Baby hörte nicht auf zu schreien, bis auch Riley sich hinunterbeugte. Nach zwanzig Minuten schlief Brenna endlich wieder ein. Alexandra und Riley schlichen sich aus dem Zimmer. Im Flur lehnten sie sich erschöpft an ein Bücherregal und lauschten. Ein
Dachbalken knarrte, und der Frosch von gegenüber war noch gut bei Stimme. Riley und Alexandra warteten noch einige Augenblicke angespannt, doch Brenna meldete sich nicht mehr. Riley lächelte und hob die Hand. Alexandra schlug mit ihrer leicht dagegen, als kleine Siegesgeste. Es hätte nur eine flüchtige Berührung sein sollen, doch seltsamerweise ließ Alexandra ihre Handfläche an seiner ruhen. Jetzt herrschte eine andere Spannung, und Alexandra erschauerte leicht. Es lag nur daran, dass Riley dicht vor ihr stand und ihre Hand berührte. "Dieser Frosch quakt seit November unablässig", erklärte Alexandra. "Er lebt im Teich meines Nachbarn." Riley lauschte und nickte, als er das weit entfernte Geräusch wahrnahm. "Warum tut er das?" fragte er und verschränkte seine Finger mit Alexandras. Mit dem Daumen streichelte er sanft ihren Handrücken. "Vermutlich sucht er nach einem Weibchen." "Seit November? Er ist aber ziemlich hartnäckig." Es war, als wurden sich Riley und Alexandra an der Schwelle zu etwas Neuem befinden und sich nicht sicher sein, ob sie den nächsten Schritt wagen sollten. Schließlich kannten sie sich kaum und hatten eigentlich nichts gemeinsam. Außer dieser Anziehungskraft. Es begann wieder zu regnen, und die Tropfen prasselten auf das Blechdach. "Ich sollte besser gehen", sagte Riley, ließ aber Alexandras Hand nicht los. "Ja", stimmte sie ihm zu. "Du ... bist an jemand anders interessiert, und ich will eigentlich keine Beziehung." "Ich auch nicht", erwiderte Alexandra. Im Augenblick fielen ihr allerdings keine vernünftigen Gründe ein, die gegen eine
Beziehung mit Riley sprachen. "Das würde alles nur komplizierter machen." "Genau." Sie lösten sich zögernd voneinander, und Riley knöpfte sein Hemd zu. Dann ging er ins Wohnzimmer, setzte sich und zog sich die Schuhe an. Alexandra hielt ihm Krawatte und Jackett hin. Doch plötzlich umfasste Riley ihre Handgelenke und zog Alexandra an sich. Sie hatte geglaubt, der Kuss am Vorabend wäre ein einmaliges Ereignis gewesen, ein Zusammentreffen verschiedener unglücklicher Umstände. Doch dann berührte Riley ihre Lippen mit seinen. Diesmal ging es ihm nicht darum, Caroline abzuschrecken, dieser Kuss war ein Ausdruck purer Leidenschaft. Riley barg die Finger in ihrem Haar und neigte ihren Kopf ein wenig zurück. Sein Kuss hatte etwas seltsam Endgültiges an sich, als müsste er ihn ein für alle Mal hinter sich bringen. Alexandra war das egal. Sie legte ihm die Arme um den Nacken und öffnete einladend die Lippen. Riley stöhnte auf, umfasste Alexandras Taille und zog sie so an sich, dass sie spüren konnte, wie sehr er sie begehrte. Schließlich beendete Riley den Kuss und lächelte Alexandra zärtlich an. Er ließ die Lippen über ihre Wange und ihren Hals gleiten und küsste sie dann auf die Schulter. Der Träger von Alexandras Top war wieder hinuntergerutscht. Erneut stöhnte Riley leise und liebkoste Alexandras warme Haut mit der Zunge. Sie genoss seine Berührungen, seinen Duft und das Gefühl seines kräftigen Körpers an ihrem. Mit zittrigen Fingern öffnete sie seine Hemdknöpfe und lachte leise, als sie feststellte, dass er vorhin einen Knopf vergessen hatte zu schließen. Offenbar war der selbstsichere Riley Templeton nervös gewesen.
Alexandra ließ die Hände über seine Brust und dann weiter nach unten gleiten ... Riley stöhnte leise auf und sank mit Alexandra auf die Couch. Der Wickelrock gab den Blick auf ihre Schenkel frei, die Riley zärtlich streichelte. Er ließ die Hand immer höher gleiten, und Alexandra stieß einen leisen Schrei aus. Ihr ganzer Körper schien zu vibrieren, besonders aber eine Stelle an ihrer Wade. Ihrer Wade? Riley hörte plötzlich auf, Alexandra zu streicheln. Das schrille Klingeln seines Handys war zu hören, doch es wurde dadurch gedämpft, dass Alexandra auf dem Telefon lag. Sie rutschte ein wenig zur Seite, und das Geräusch wurde lauter. Riley fluchte leise und nahm das Gespräch an, ließ aber Alexandra nicht aus den Augen und eine Hand auf ihrem Oberschenkel ruhen. "Hallo?" sagte er kurz angebunden. Kurz darauf seufzte er und schloss die Augen. "Mum, es geht mir gut." Riley fuhr sich durchs Haar und zog sein Hemd glatt, als müsste er sich für das Gespräch mit seiner Mutter erst präsentabel machen. "Beruhige dich, Mum, ich bin ... bei einem Freund." Er lächelte leicht, wirkte aber erstaunt, als Alexandra aufstand. Riley streckte die Hand nach ihr aus. "Mum, mach dir keine Sorgen, ich bin nicht in Gefahr." Er ließ die Hand sinken, als er sah, wie Alexandra die Träger ihres Tops hochzog und sein Jackett und die Krawatte aufhob, die er achtlos auf den Boden geworfen hatte. Sie glättete das Jackett und wartete auf ihn. "Leider bin ich überhaupt nicht in Gefahr", sagte Riley sarkastisch und beendete das Gespräch. Er knöpfte sich das Hemd zu und nahm Alexandra die Krawatte aus der Hand. "Nächstes Mal schalte ich das Ding aus und werfe es in den Froschteich."
Alexandra schüttelte den Kopf. "Riley, ich fürchte ... wir sollten nicht... wir passen einfach nicht zueinander ..." Er kniff die Augen zusammen. "Wie gut müssen wir denn zueinander passen. Ich habe eben keine unvereinbaren Gegensätze bemerkt. Du?" "Ich dachte, du willst dich nicht auf eine Beziehung einlassen?" fragte Alexandra. "Aber vielleicht möchte ich sehen, wohin uns das hier führt." "Das ist es ja!" rief Alexandra verzweifelt. "Es kann zu nichts führen, denn ..." Es ging alles zu schnell. Außerdem wollte sie sich nicht mit einem Mann einlassen, der nicht ... in der Lage war ... ihr die Zukunft zu bieten, die sie sich wünschte. "Es geht..." begann sie. "Liegt es an diesem Gerard, mit dem du dich triffst?" Alexandra blickte ihn verwirrt an, bis ihr einfiel, das sie ja angeblich einen Freund hatte. "Graham", korrigierte sie ihn dann rasch. Riley nickte nachdenklich und ging zur Tür. Alexandra folgte ihm. Sie wollte, dass er verschwand, fürchtete sich aber auch gleichzeitig davor. Sie hätte ihm gleich deutlich sagen sollen, dass es kein nächstes Mal geben würde. "Was ich dir jetzt sage, ist zu deinem Besten, Alexandra", sagte Riley energisch. "Du wirst, das ist mir klar, die Suche nach der Mutter nicht beenden, also muss ich es tun. Sieben Uhr morgen Abend. Wenn du bis dahin nicht ein Elternteil gefunden hast, werde ich das Jugendamt benachrichtigen und Brenna den Behörden übergeben." "Den Behörden übergeben?" Was bildete sich dieser Mann eigentlich ein? "Das klingt ja, als wäre sie eine gesuchte Verbrecherin!" "Sieben Uhr." "Das ist sehr überheblich von dir, Riley. Woher nimmst du das Recht, mir ein Ultimatum zu stellen?" "Mein Name steht schließlich auch in dem Brief."
Alexandra war sprachlos. Sie wollte gerade etwas erwidern, als Riley sie an sich zog und zärtlich auf den Hals küsste. "Ich würde gern bleiben", sagte er leise, "aber ich weiß, dass du zu anständig bist, um etwas mit zwei Männern gleichzeitig anzufangen." Er lächelte verführerisch, und Alexandra wurde es plötzlich ganz heiß. "Ich werde warten, bis du ihm die traurige Nachricht mitgeteilt hast." "Wie bitte? Wem?" Alexandra war davon überzeugt, sich verhört zu haben. "Na, diesem Gerard oder Greg." Riley klang, als wäre Graham bereits Vergangenheit. Er küsste Alexandra auf den Mund. "Und beeil dich damit, Alexandra Page." Er war der arroganteste, wichtigtuerischste Mann, den sie je kennen gelernt hatte! Alexandra stürmte in die Küche und begann, die Essensreste in eine Schüssel für die Hühner zu füllen. Er ging einfach davon aus, dass sie Graham den Laufpass geben würde, nur weil sie einige Minuten in seinen, Riley Templetons, Armen verbracht hatte! "Warten Sie's ab, Mr. Templeton", sagte Alexandra leise und knallte die Schüssel auf den Tisch. Natürlich war sie nicht in Graham verliebt, aber das wusste Riley nicht. Glaubte er wirklich, sie würde Graham einfach fallen lassen? Alexandra war heilfroh, dass seine Arroganz es ihr so leicht machte, an ihrem Entschluss festzuhalten, Riley so schnell wie möglich loszuwerden. Sie ging ins Wohnzimmer und strich die Couchkissen glatt. Neugierige Mütter hatten eben doch große Vorteile. Und die Erfindung des Handys war ein echter Segen für die Menschheit.
6. KAPITEL Es war kein Mitarbeiter des Jugendamts, der am nächsten Abend um sechs an Alexandras Tür klingelte, es waren zwei Polizisten. Alexandra sah das Polizeiauto in ihrer Einfahrt und war wie erstarrt vor Schreck. Sie blickte auf Brenna, die auf dem Teppich lag und energisch die Rassel schüttelte. "Riley, du Ratte!" Alexandra fühlte sich hintergangen und lief zum Telefon. Er nahm selbst ab. "Ich wollte dir nur sagen, was für ein Mistkerl du bist, Riley", sagte Alexandra wütend. "Du sagtest sieben Uhr! Ich dachte, du wärst wenigstens ein Mann, der sein Wort hält. Dann hätte ich noch eine Stunde Zeit gehabt, um ... mich an den Gedanken zu gewöhnen!" Sie hörte Schritte auf der Treppe und Riley ihren Namen sagen, fuhr aber unbeirrt fort: "Jetzt kannst du dich entspannen, Riley! Ich werde dich nicht wieder in Schwierigkeiten oder peinliche Situationen bringen. Wahrscheinlich kannst du es gar nicht mehr erwarten, den Brief zu vernichten! Aber wahrscheinlich hast du das schon getan! Hoffentlich kannst du nachts ruhig schlafen!" Alexandra atmete tief durch. Es klopfte an der Tür. "Alexandra, du redest wirres Zeug. Beruhige dich, und sprich in zusammenhängenden Sätzen mit mir. Sonst lege ich auf." "Du sagtest sieben Uhr!" rief Alexandra und legte auf. Sie nahm Brenna auf den Arm und ging zur Tür. Auf dem Weg dorthin übte sie ihren Text. "Guten Abend. Ich weiß natürlich,
warum Sie hier sind. Ist ein Sozialarbeiter bei Ihnen?" flüsterte sie. Nicht darauf vorbereitet war sie allerdings, dass der Polizist sie misstrauisch anblickte und sich dann zu seiner Begleiterin umdrehte, die hinter ihm stand. "Das Kind befindet sich im Haus. Es ist unverletzt." Unverletzt? Eine halbe Stunde später befand sich Alexandra auf einer Polizeiwache. Oder in einem Albtraum. Aber aus einem Albtraum konnte man aufwachen. Also musste es wohl doch die Polizeiwache sein. Die Beamten hatten ihr nicht erlaubt, Brenna während der Fahrt im Arm zu halten, obwohl die Kleine auf dem Schoß der Polizistin geschrien hatte. Sie hatten Alexandra aufs Revier geführt, wo eine weinende junge Frau bei Brennas Anblick einen Schrei ausgestoßen und die Arme nach ihr ausgestreckt hatte. Ein junger langhaariger Mann legte den Arm um sie und beugte sich mit ihr über das Baby. Alexandra hatte Tränen in den Augen. Sie wollte gerade auf die junge Familie zugehen, um zu sagen, wie froh sie sei, als sich ihr die Polizistin in den Weg stellte. "Ist das die Frau, die meine Tochter gekidnappt hat?" fragte der junge Mann aufgebracht. Eine wütende ältere Frau trat vor. "Hat diese Frau Savannah entführt?" fragte sie die junge Mutter. "Savannah?" wiederholte Alexandra. "Das ist also ihr Na... entführt? Was soll das heißen?" "Was sind Sie nur für ein Mensch?" fragte der junge Mann. "Anderer Leute Kinder aus Supermärkten zu entführen! Man sollte Sie sofort einsperren!" "Wenn Pam besser aufgepasst hätte, wäre das überhaupt nicht passiert", mischte sich die ältere Frau ein. Die junge Mutter umarmte ihr Baby und blickte Alexandra schuldbewusst an.
"Ich habe nie von Entführung ..." begann sie, wurde aber vom allgemeinen Stimmengewirr übertönt. Die Polizisten versuchten, den Mann, der Jeff Brown hieß, und seine Mutter Anna zu beruhigen. Aber der junge Mr. Brown war noch nicht fertig. Er hatte sich gerade erst in Fahrt geredet. "Da komme ich von einem Angelausflug zurück und muss von meiner Mutter erfahren, dass sie Pam besucht habe und das Baby nicht da gewesen sei. Pam wollte ihr auch nicht verraten, wo es ist. Erst als ich sie gefragt habe, sagte Pam, Sie hätten unsere Tochter und seien mit ihr verschwunden. Sie hat sich den ganzen Nachmittag darüber aufgeregt und war zu blöd, die Polizei zu rufen." "Jeff, ich habe nie ..." begann Pam wieder. "Andere Leute haben vielleicht Mitleid mit Frauen wie Ihnen, ich aber nicht! Dass Sie keine eigenen Kinder haben, heißt noch lange nicht, dass Sie die anderer Eltern entführen können. Ich werde Anzeige erstatten." Alexandra warf Pam einen Blick zu, den diese aber nicht erwiderte, und sagte dann fest: "Hören Sie, all das ist ein Missverständnis. Lassen Sie mich erklären, wie ich zu Ihrem Kind kam." Aber in diesem Augenblick sah Pam sie so flehend an, dass sie verstummte. Pam blickte auf Jeff, schaute dann wieder zu Alexandra und schüttelte kaum merklich den Kopf, als wollte sie sagen: "Er weiß es nicht." Alexandra betrachtete den wütenden jungen Vater, der allein durch seine Lautstärke einschüchternd wirkte. Dann fiel ihr Blick auf die Großmutter, die ihre Enkelin sehnsüchtig ansah. Die Stimme der Frau klang beinahe hysterisch. "Die Kleine ist ständig krank, weil du ja nicht einmal versuchen wolltest, sie zu stillen! Und sie ist noch nicht getauft, obwohl es eigentlich eine Sünde ist, ein Kind ,Savannah' zu nennen! Wie bist du nur auf diesen lächerlichen Namen gekommen?" ' Alexandra verzog das Gesicht. In dieser Familie gab es zu viele aufbrausende Leute. Sie stellte sich vor, wie Pam sich vor
ihrer Schwiegermutter rechtfertigen musste, die sie ohnehin für verantwortungslos hielt. Pam hatte sich bestimmt gezwungen gesehen, eine Geschichte zu erfinden, weil sie unmöglich hatte zugeben können, ihr Kind ausgesetzt zu haben. Alexandra fiel etwas auf. Was hatte Jeff gesagt? Pam habe sich den ganzen Nachmittag aufgeregt. Was würde geschehen, wenn er das ganze Ausmaß der Katastrophe erfuhr? Aber das ist nicht mein Problem, dachte Alexandra. Pam hatte ihr Baby im Stich gelassen, also war sie es eigentlich nicht wert, dass man ihr half. Trotzdem wusste Alexandra, dass sie alle vernünftigen Überlegungen in den Wind schlagen würde. "Hören Sie", begann sie und ging im Stillen alle Möglichkeiten durch, eine Geschichte zu erfinden, die weder ihr noch Pam schaden würde, "das alles ist ein Missverständnis. Ich sage nichts mehr, bevor ich mit meinem Anwalt gesprochen habe." Ein entnervter Polizist erklärte Alexandra, dass sie noch nicht festgenommen worden sei und keinen Anwalt brauche, aber sie bestand darauf, mit Riley zu telefonieren. Da alle Anwesenden das Gespräch mit anhören konnten, fasste Alexandra sich kurz. "Ach du bist es", sagte Riley langsam. "Möchtest du jetzt deine Analyse meines Charakters fortsetzen? Leider habe ich aber nur fünf Minuten Zeit. Meinst du, das genügt?" "Riley, ich bin auf der Polizeiwache. Brennas Eltern sind hier ... Jeff und Pam Brown ... und Jeffs Mutter Anna. Ich werde der Kindesentführung verdächtigt. Ich brauche dich, Riley!" Eigentlich hatte sie den letzten Satz nicht sagen wollen. Riley zögerte kaum merklich und antwortete dann: "Welches Revier? Ich bin schon unterwegs." Das waren die schönsten Worte, die Alexandra je gehört hatte. Sie war überrascht, dass sie Riley so sehr vertraute. Die Zeit verging. Ein Arzt kam und verschwand mit den Eltern und dem Baby für eine Weile. Als einige Leute sie
neugierig anstarrten, errötete Alexandra. Glaubten sie wirklich, sie hätte dem Kind etwas angetan? Die Familie kam gerade zurück, als Riley eintraf. Zum ersten Mal empfand Alexandra seinen Anblick als überaus erfreulich. Sie seufzte und lächelte ihn strahlend an. Riley reagierte jedoch nur mit einem leichten ironischen Lächeln, das Alexandras Freude ein plötzliches Ende bereitete. Er drehte sich um und musterte Pam, die seinen Blick offen erwiderte. Jeff wurde wieder wütend und zeigte anklagend mit dem Finger auf Alexandra. "Auch wenn Sie sich einen teuren Anwalt leisten können, Lady, werde ich Anzeige erstatten. Menschen wie Sie gehören hinter Gitter." "Ich glaube, wir können die Angelegenheit sofort aufklären", sagte Riley, als ein Polizist zu ihm trat. Aus seiner Jackentasche zog er die beiden durchgerissenen Papierfetzen. Pam wurde blass. Lieber Himmel, dachte Alexandra, er hat den Brief dabei! Sie ging schnell zu ihm, nahm ihm die Papierfetzen aus der Hand und zerriss sie in tausend Stücke. Riley blickte Alexandra fassungslos an. "Verdammt noch mal, was machst du da?" Er versuchte, ihr die Papierstücke wieder wegzunehmen, aber Alexandra steckte sie schnell in ihre Tasche und sah Riley eindringlich an. Er hatte wunderschöne dunkelblaue Augen. Beinahe hätte Alexandra vergessen, was sie sagen wollte. "Es handelt sich um ein riesiges Missverständnis, Mr. Templeton. Eigentlich hätte ich Sie gar nicht rufen müssen. Ich habe auf Pams Baby aufgepasst", erklärte Alexandra und hoffte inständig, dass Riley und die junge Frau darauf eingehen würden. "Ich habe mich mit ihr im Supermarkt getroffen, um Bre... Savannah abzuholen." Riley wirkte irritiert und formte lautlos den Namen des Babys mit den Lippen. "Wie, um alles in der Welt, bist du auf den Gedanken verfallen, ich hätte sie gekidnappt, Pam?"
Pams Erleichterung wich erneuter Anspannung. "Ich ... also ... ich habe nie gesagt, dass du sie ..." "Komm schon, Pam!" rief Alexandra aufmunternd. Wenn Pams Fantasie jetzt versagte, war alles verloren. Alexandra holte die Papierfetzen aus der Tasche, damit Pam sehen konnte, dass sie noch immer lesbar waren. "Wir hatten verabredet, dass ich sie bei dir abhole", log Pam, "aber als ich ankam ..." "War ich nicht zu Hause", beendete Alexandra den Satz. Sie lachte. "Natürlich nicht. Erinnerst du dich nicht mehr, dass ich fragte, ob ich mit Savannah wegfahren dürfte?" "Wohin denn?" fragte Jeff sofort. "Zu ..." Alexandra stellte fest, dass sie kein Talent zum Lügen hatte, und warf Riley einen flehenden Blick zu. "Zu Alexandras Mutter", sagte er gelassen. Alexandra sah ihn dankbar an. Riley fuhr ungerührt fort, den Anwesenden den Ablauf der Dinge zu erklären. "Miss Pages Mutter ist die bekannte Porträtmalerin Rhona Thompson. Sie benötigte einen Säugling als Modell für ein neues Werk. Ihre Tochter", wandte er sich an Jeff, "stellte sich als hervorragend geeignet heraus. Mrs. Thompson hat mehrere gute Arbeitsskizzen angefertigt. Falls sie sich entschließen sollte, Savannah als Modell für ihr Bild zu verwenden, wird sie selbstverständlich zuerst Ihre Erlaubnis einholen." Jeff sah sich plötzlich als der Vater eines Kindes, das von einer berühmten Künstlerin in einem Bild für die Ewigkeit festgehalten werden sollte, und war schon halb besänftigt. "Wahrscheinlich habe ich mich Pam gegenüber nicht klar genug ausgedrückt", sagte Alexandra. "Sie dachte wahrscheinlich, ich würde Savannah an einem anderen Tag zu meiner Mutter bringen." "Genau", bestätigte Pam, die dieser Entwicklung der Ereignisse noch immer nicht recht folgen konnte.
"Wie konntest du etwas so Wichtiges missverstehen?" fragte Mrs. Brown, die offenbar fest entschlossen war, ihre Schwiegertochter als unfähige Mutter hinzustellen. "Sie sollten übrigens wissen, dass Miss Page erst letzte Woche die Tapferkeitsmedaille der Polizei von Brisbane verliehen wurde. Sie hat im vergangenen Jahr drei Kinder aus einem brennenden Haus gerettet und dabei selbst schwere Brandverletzungen erlitten. Ihr Babysitter ist... eine Heldin." Das hat Sana ihm verraten, dachte Alexandra aufgebracht. Sie wich Rileys Blick aus. Es war ihr unangenehm, als Heldin bezeichnet zu werden. Jeff war die Angelegenheit inzwischen offenbar sehr peinlich. "Warum hast du denn Miss Page nie erwähnt?" fragte er Pam gereizt. "Wo habt ihr euch überhaupt kennen gelernt?" Pam blickte Alexandra ratlos an. "In meinem Buchladen." Jetzt benutzte Alexandra diese Lüge schon zum zweiten Mal. Jeff wurde misstrauisch. "Buchladen?" Offenbar war Pam keine begeisterte Leserin. "Ich habe eine große Auswahl an Babybüchern", erklärte Alexandra wahrheitsgemäß. "Ach so." Jeff sah zuerst seine Mutter an und dann Pam. "Du hättest mir sagen sollen, dass Miss Page in Ordnung ist", wies er Pam zurecht. "Dann hätte ich abgewartet, statt gleich zur Polizei zu rennen." "Ich wollte es dir ja sagen, aber ... deine Mutter ..." Pam biss sich auf die Lippe. "Mir hört ja sowieso nie jemand zu!" Jeff wirkte beleidigt. "Eine berühmte Künstlerin will unser Kind porträtieren, und du sagst mir nichts davon?" Er schien die Geschichte plötzlich nicht mehr glaubhaft zu finden. Alexandra schloss die Augen. Wie viele Hürden würde sie noch nehmen müssen, bevor sich die Sache erledigt hatte? Pam brach in Tränen aus. "Ich wollte dich überraschen", schluchzte sie.
7. KAPITEL Riley sprach kurz mit dem Dienst habenden Polizisten, der froh zu sein schien, diese Verrückten endlich loszuwerden, denn Jeff hatte die Anzeige zurückgezogen. Riley bestellte für Jeff s Mutter ein Taxi und führte dann die anderen aus dem Gebäude. "Vielen Dank", flüsterte Pam Alexandra zu. "War Savannah ... artig? Hoffentlich hat sie Ihnen keine Umstände gemacht. Sie schreit nämlich sehr viel..." "Umstände? Wo denken Sie hin? Ich musste nur zwei Tage lang mein Geschäft früher schließen und meinen gesamten Tagesrhythmus umstellen. Das war doch eine Kleinigkeit!" Alexandra ärgerte sich plötzlich sehr über Pam. Wahrscheinlich hatte sie sich zwei schöne Tage gemacht, während sie, Alexandra, sich um das Baby gekümmert hatte! Doch ein Blick auf Pams abgekaute Fingernägel belehrte Alexandra eines Besseren. "Ich habe Savannah übrigens zuletzt Ziegenmilch gegeben. Die scheint sie besser zu vertragen." "Zwei Tage?" fragte Jeff misstrauisch. "Ich dachte, Sie hätten nur heute auf Savannah aufgepasst?" Alexandra warf ihm einen flüchtigen Blick zu. Pam würde ihm irgendwann die ganze Geschichte erklären müssen. "Es kam mir wohl einfach länger vor", sagte sie bloß. Riley drehte sich um. Sie hatten inzwischen den Parkplatz erreicht. Es war schon beinahe dunkel, und die Zikaden begannen zu zirpen.
"Ruhe!" sagte er, und selbst die Zikaden schienen ihm zu gehorchen. "Wir fahren jetzt in mein Büro und klären die Angelegenheit auf." Jeff wollte etwas sagen, aber Rileys Blick ließ ihn verstummen. "Einsteigen!" befahl Riley. Er hielt Jeff und Pam die Tür auf und half Pam, die Savannah im Arm hatte, auf den Rücksitz. Anschließend ging Riley zur Beifahrerseite, um Alexandra die Tür zu öffnen. Sie lächelte ihn strahlend an und legte ihm die Hand auf den Arm. "Vielen Dank, Riley. Du warst einfach großartig. Ohne dich hätte ich das nie geschafft. Aber glaubst du wirklich, dass es richtig ist, jetzt in dein Büro zu fahren. Jeff und Pam sind noch sehr aufgewühlt und ..." Riley löste sich von ihr und schob sie auf den Wagen zu. "Steig ein", sagte er grimmig. Alexandra sah ihn verwirrt an. Sie hatte erwartet, von Riley als Verbündete betrachtet zu werden. Stattdessen schien er auf sie noch wütender zu sein als auf die anderen. "Warum bist du denn so böse auf mich?" fragte sie gekränkt. "Was heute Abend geschehen ist, war nicht meine Schuld!" Riley lachte bitter. "Hast du denn auch bemerkt, was nicht geschehen ist, Alexandra Page, Kämpferin für die gerechte Sache?" Alexandra ärgerte sich über seinen Sarkasmus. "Was denn?" "Es gab keine freudige Begrüßung, kein Zusammentreffen von Bekannten, die einander lange nicht gesehen haben." "Oh!" sagte Alexandra. Sie erinnerte sich daran, dass Riley Pam ohne ein Zeichen des Wiedererkennens gemustert hatte. Auch Pam hatte nicht gewusst, wen sie vor sich hatte. "Genau! Die Schreiberin des Briefes, den du mir mit nervtötender Regelmäßigkeit unter die Nase gehalten hast, kennt mich überhaupt nicht!"
Alexandra biss sich auf die Lippe. Sie hatte Riley verfolgt, sein Leben durcheinander gebracht und an sein Gewissen appelliert. "Lieber Himmel, dann muss sie einen anderen Riley gemeint haben!" "Und ich hatte schon angefangen zu glauben, das Schicksal hätte uns durch diesen verdammten Brief zusammengeführt ... Steig ein", wiederholte Riley. Alexandra setzte sich ins Auto und trat auf etwas. Sie bückte sich und hob eine große Papiertüte auf. Riley entriss sie ihr sofort, doch Alexandra schaffte es trotzdem, einen Blick auf den Inhalt zu werfen. "Ein Teddybär?" fragte sie und sah Riley an. Er wich ihrem Blick aus und schien noch zorniger zu werden. Er packte die Tüte in den Kofferraum und knallte den Deckel zu. Auf der Fahrt zum Gericht herrschte Stille im Wagen. Nur Savannah gab hin und wieder fröhliche, gurgelnde Laute von sich. Riley ging durch den luxuriös eingerichteten Flur voraus und nickte einer Putzfrau zu, die neugierig von ihrem Staubsauger aufblickte. In seinem Büro ignorierte Riley die bequeme Sitzgruppe und deutete auf die Stühle, die vor seinem Schreibtisch standen. Er setzte sich, und Alexandra fragte sich, ob ihm bewusst war, wie beeindruckend er an dem großen, antiken Tisch wirkte. "Ihr Baby", sagte er zu Jeff, "wurde vor zwei Tagen vor Miss Pages Haustür gefunden." Pam begann zu weinen, während Jeff Riley fassungslos ansah. "Bevor Sie etwas sagen, möchte ich, dass Sie sich Pams Gründe für ihr Handeln anhören, ohne sie zu unterbrechen." Es dauerte eine Weile. Pam weinte so heftig, dass Savannah mit einstimmte und nicht zu beruhigen war, bis Pam sie schließlich Alexandra übergab. Dann begann Pam stockend zu
erzählen. Ihre Eltern lebten in Victoria und konnten es sich nicht leisten, nach Queensland zu reisen. Jeff s Mutter war der Meinung, sie, Pam, sei zu jung und unreif, um ein Kind zu erziehen, und wollte ihr Savannah wegnehmen. "Wie alt sind Sie, Pam?" fragte Riley. "Fast achtzehn." Riley und Alexandra rechneten schweigend nach. Pam wurde trotzig. "Alle hacken auf mir herum, weil ich angeblich zu jung bin. Ich gehe auch nicht mehr zur Mütterberatung, weil mir dort alle das Gefühl geben, dumm zu sein. Die anderen Kinder werden von allen bewundert, nur Savannah behandeln sie, als hätten sie Mitleid mit ihr!" Alexandra war erleichtert, die bisher so stille und deprimierte Pam endlich einmal ärgerlich zu sehen. Während Jeff verreist war, hatte Anna Brown Pam mitgeteilt, dass sie beim Jugendamt gewesen sei und ihre Unfähigkeit als Mutter zu Protokoll gegeben habe. Pam sollte das Baby bei den Großeltern aufwachsen lassen, sonst würde man es in ein Heim bringen. Pam war nach Hause gekommen und hatte Anna Brown, die Savannah gerade aus der Wiege nahm, im Kinderzimmer vorgefunden. Sie hatte ihrer Schwiegermutter das Kind mit Gewalt entreißen müssen. "Du hast ihr einen Schlüssel gegeben", sagte Pam zu Jeff, "dabei hatte ich dich gebeten, es nicht zu tun!" "Sie wollte Savannah sicher nur begrüßen." "Jeff, sie hatte eine Babytragetasche dabei! Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Schließlich hatte Anna einen Schlüssel!" Pam fuhr sich über die Augen und hinterließ eine Mascaraspur auf ihrem Gesicht. "Wenn deine Mutter Savannah mitgenommen hätte, wären die Leute vom Jugendamt sicher der Meinung gewesen, ich würde sie nicht mehr haben wollen. Und du hättest dich natürlich auf die Seite deiner Eltern gestellt." "Das ist nicht wahr!" rief Jeff schockiert.
"Warum haben Sie sich nicht an die Polizei gewandt?" fragte Riley. "Ich wollte nicht, dass Jeffs Mum Ärger bekommt. Sie wünscht sich einfach so sehr eine Tochter, dass sie nicht mehr weiß, was sie tut." Riley bestellte ein Taxi, klärte Pam über ihre Rechte als Mutter auf und empfahl einen Psychologen, an den Anna Brown sich wenden sollte. Jeff nahm das Baby, und Alexandra unterdrückte den Protest, als ihr die kleine Savannah aus den Armen genommen wurde. Pam blickte sich an der Tür noch einmal um und sagte: "Danke." Dann ging sie. Riley blieb auf der Schwelle stehen und blickte Pam nach. "So", stellte Alexandra fest und wischte sich einige Tränen ab, "das war's also." Riley schloss die Tür. Er zog sein Jackett aus, warf es achtlos beiseite und wandte sich verärgert Alexandra zu. "Bist du wahnsinnig? Wenn du Aufregung in dein Leben bringen willst, dann versuch es doch einfach mit Fallschirmspringen!" "Wie bitte?" Alexandra suchte in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch. Riley ging zu ihr, umfasste ihre Schultern und schüttelte sie sanft, bis sie zu ihm aufblickte. "Weißt du denn nicht, dass du in einer sehr ernsten Lage warst. Eine Anklage wegen Kindesentführung ist ... sehr ernst zu nehmen." Wieder schüttelte er Alexandra ein wenig, als wäre er verärgert darüber, sich wiederholt zu haben. Alexandra schluchzte leise und nahm die Suche nach dem Taschentuch wieder auf. "Du hättest große Schwierigkeiten bekommen können!" rief Riley aufgebracht. Endlich fand Alexandra das Taschentuch, tupfte sich die Tränen ab und lächelte Riley an. "Ich weiß. Deshalb habe ich dich ja angerufen, Riley. Und du warst einfach wunderbar ..."
"Wunderbar?" wiederholte er ungläubig. Er wandte sich von Alexandra ab, zerrte ungeduldig an seiner Krawatte, um den Knoten zu lockern, und öffnete den obersten Hemdknopf. "Mein Verhalten hätte mir ein Verfahren wegen Amtsmissbrauchs einbringen können! Und alles nur deinetwegen ..." Er drehte sich schnell zu Alexandra um. Für einen so großen, kräftigen Mann, wie er es war, bewegte sich Riley erstaunlich elegant. "Du musstest ja unbedingt Mary Poppins spielen, um eine alte, verrückte und eine junge, unreife Frau zu beschützen! Und du hättest am Ende den Ärger am Hals gehabt! Aber natürlich musstest du dich einmischen, statt diese Leute die Konsequenzen ihres Handelns tragen zu lassen." "Ja, das hat mir am Anfang auch Angst gemacht", gestand Alexandra. "Aber ich konnte Pam doch nicht als unfähige Mutter hinstellen. Du weißt, dass sich dann die Leute vom Jugendamt eingeschaltet hätten ... Außerdem hat Pam versucht, ihre arme Schwiegermutter zu schützen. Ich glaube, richtig gehandelt zu haben." "Aber das Mädchen ist noch viel zu jung, um Mutter zu sein!" rief Riley aufgebracht. "Und die ,arme Mrs. Brown' ist äußerst gewissenlos und gefährlich!" Alexandra nickte. "Aber nur, weil sie sich so nach einer eigenen Tochter sehnte und keine bekommen konnte. Es muss schlimm sein, wenn man sich etwas wünscht, das ..." Alexandra verstummte. Riley lief auf und ab und zog sich die Weste aus. Bald hat er nichts mehr, das er aufknöpfen oder ausziehen könnte, dachte Alexandra nervös. "'Ein riesiges Missverständnis ... ich habe auf Pams Baby aufgepasst...'", wiederholte Riley ärgerlich. "Als Jeff mich fragte, wo ich mit dem Kind gewesen sei, fiel mir gar nichts mehr ein", gestand Alexandra. "Dein Geistesblitz hat mich gerettet, Riley. Wie bist du nur auf meine Mutter gekommen? Es war die perfekte Erklärung!"
"Erspar mir die Lobeshymnen", sagte Riley und kniff die Augen zusammen. "Du hast die Polizei belegen und den einzigen Beweis für deine Unschuld vernichtet." "Aber ich wusste, dass du mich retten würdest, Riley. Eigentlich hast du sogar uns alle gerettet." Ihr grenzenloses Vertrauen schien ihm nicht zu gefallen. Riley legte Alexandra die Hände auf die Schultern und bückte sie finster an. Seine Stimme klang leise und zornig. "Ich bin Anwalt. Mein Vater war Anwalt, und sein Vater war es auch. Von den Männern in der Familie meiner Mutter ganz zu schweigen. Ich habe ihren und meinen guten Ruf aufs Spiel gesetzt, indem ich die Polizei belegen habe! Irreführung der Behörden, Vernichtung von Beweismitteln. Ich habe zugelassen, dass du eine Anklage wegen Kindesentführung riskierst, weil du deine unvernünftigen Spielchen treiben musstest!" Riley zog Alexandra näher zu sich heran und sah sie eindringlich an. "Du musst nicht in jedes brennende Haus rennen! Es ist reine Überheblichkeit, wenn du glaubst, im Alleingang alle Menschen retten zu können, die ihr Leben ruinieren." Alexandra wurde blass. "Das ist nicht fair." "Wenn ich nicht gewesen wäre, würdest du jetzt mit Jeff und Pam in irgendeinem Cafe sitzen und dir ihre Leidensgeschichte anhören. Wahrscheinlich würdest du sie dazu ermutigen, sich in Zukunft an dich zu wenden, wenn es Probleme geben sollte. Es ist schon seltsam, wie viele Probleme auftauchen, wenn man jemanden kennt, der sie löst, ohne sich zu beschweren. Ich weiß nicht, warum du es tust..." "Ich traue ja meinen Ohren nicht", erwiderte Alexandra sarkastisch. "Riley Templeton weiß etwas nicht?" "Vielleicht möchtest du dich so beweisen, weil du nicht so talentiert bist wie die anderen Mitglieder deiner Familie." Das war ein Schlag unter die Gürtellinie. Alexandra fühlte sich plötzlich sehr verletzt.
"Du hast Recht", sagte sie kühl, "ich habe das Talent meiner Eltern nicht geerbt, aber wenn du glaubst, dass mir der Unsinn zu Kopf gestiegen ist, der über mich in den Zeitungen stand, dann irrst du dich. Ich sah die Flammen und wäre beinahe weitergefahren." "Alexandra", sagte Riley reuevoll, "ich wollte damit nicht deine Leistung schmälern ..." "Ich erinnere mich daran, wie wütend ich war, dass niemand in der Nähe war. Das bedeutete, ich würde eingreifen müssen", fuhr Alexandra fort. Sie hatte sich seit diesem Tag für ihr Verhalten geschämt. "Ich wollte nicht in die Sache verwickelt werden." "Jetzt verstehe ich", meinte Riley und nickte. "Ich habe gerufen: ,Ist jemand im Haus?'" fuhr Alexandra fort, "und hoffte, nicht hineingehen zu müssen, weil ich gegen Rauch allergisch bin." Riley atmete tief durch. "Als du das Baby vor deiner Tür gefunden hast, musstest du dich darum kümmern, um wieder gutzumachen, dass ..." "Wenn irgend jemand in der Nähe gewesen wäre, hätte ich das Haus nie betreten! Als man mir die Medaille verlieh, fürchtete ich ständig, gleich als Hochstaplerin entlarvt zu werden. Natürlich war es feige und heuchlerisch, dass ich die Auszeichnung angenommen habe. Also nenn mich gefälligst nie wieder eine Heldin!" Riley lachte leise und blickte kopfschüttelnd zur Decke. Damit hatte Alexandra nicht gerechnet. "Am Ende weinte ich lauter als die Kinder, die ich aus dem Haus geholt hatte", erzählte Alexandra. "Außerdem habe ich mich vor den Augen der Reporter übergeben." "Viele Menschen reagieren so auf die Presse", bemerkte Riley trocken. Alexandra lachte leise.
"Aber egal, welche Gründe ich für mein Verhalten hatte", sagte sie ruhig, "niemand hat dich gezwungen, mir zu helfen. Du hättest ja die Geschichte über das Babyporträt nicht erfinden müssen." "Du meinst also, ich hatte eine Wahl, als du sagtest: ,Riley, ich brauche dich.'? Als du mich mit deinen großen grauen Augen so flehend angesehen und praktisch darum gebettelt hast, dass ich mir etwas einfallen lasse?" Sein zorniger Tonfall überraschte Alexandra. "Ich habe nicht gebettelt!" protestierte sie. Immerhin hatte er zugegeben, dass er ihr nicht hatte widerstehen können. Eine sehr erfreuliche Vorstellung. Alexandra nahm sich vor, später in Ruhe darüber nachzudenken. Im Augenblick kam es nur darauf an, dass Riley ihr durch sein Geständnis einen Vorteil verschafft hatte. Alexandra sah ihn triumphierend an. "Deshalb bist du so wütend! Du hast dich auf die Lügengeschichte eingelassen, statt alles korrekt zu erledigen! Dafür kannst du mir nun wirklich nicht die Schuld zuschieben." "So?" Riley legte ihr den Arm um die Taille und zog sie an sich. Alexandra blickte in Rileys dunkelblaue Augen. Sein Griff war fest, doch Alexandra hätte sich daraus befreien können, wenn sie es gewollt hätte. "Du hättest auf jeden Fall deine Tapferkeitsmedaille erwähnen sollen", sagte Riley leise und betrachtete Alexandras Mund. Sie ließ die Hand in seinen offenen Hemdkragen und dann über seine muskulöse Schulter gleiten. "Es schien mir nicht wichtig zu sein", erwiderte sie und zuckte die Schultern. "Du hast es auch nicht für wichtig gehalten, mir zu verraten, dass deine Mutter Dads Porträt gemalt hat." "Aber das war es doch auch nicht. Es hatte nichts mit dem Baby zu tun." Riley küsste sie auf die Schulter und schob den Träger ihres schwarzen Tops mit den Lippen zur Seite. "Solche Dinge
können dir einen Vorteil verschaffen. Berühmte Verwandte, Medaillen ... So läuft es nun mal auf der Welt." "Ich weiß nicht, wie man eine Tapferkeitsmedaille in einem lautstarken Streit über ein Baby erwähnen sollte", erwiderte Alexandra atemlos. "Und hättest du mir eher geholfen, wenn du gewusst hättest, dass meine Mutter dieses Bild gemalt hat?" Riley ließ die Lippen weiter hinuntergleiten. "Du hättest mit der Schicksalhaftigkeit dieser Tatsache argumentieren können. Deine Mutter hat meinen Vater gemalt, lange bevor wir uns kennen gelernt haben. Das schafft eine gewisse Verbindung zwischen uns. Vielleicht wäre es mir dann weniger abwegig vorgekommen, dass mein Name in dem Brief erwähnt wurde." Alexandra streichelte Rileys Nacken. "Ich glaube nicht, dass du dich davon hättest beeinflussen lassen, Riley." Er lächelte. "Aber du hättest es zumindest versuchen sollen. Es ist immer klug, solche Vorteile zu nutzen." Riley schob Alexandra die Träger des Tops über die Schultern und zog das dünne Oberteil herunter. Er umfasste ihre Brüste. Sie stöhnte lustvoll auf. Riley begann, ihre Brustspitzen zärtlich zu liebkosen, und Alexandra ließ sich gegen die Schreibtischkante sinken. "Das ist immer klug ..." wiederholte Riley rau. Er schob Alexandra immer weiter auf den Schreibtisch und fegte mit einer Handbewegung Stapel von Papieren zu Boden. "O Riley", flüsterte Alexandra. Sie schob die Finger in sein dichtes dunkles Haar und lehnte sich zurück. Sie spürte Rileys Mund auf einer Brust und dann die Spur seiner Küsse auf der anderen. In weiter Entfernung waren Stimmen und die Geräusche eines Fernsehers zu hören. Ein Quietschen. Ein Knall. Der Ton des Fernsehers wurde lauter, und schließlich konnte man auch eine Stimme deutlich durch die angelehnte Tür sagen hören: "... dieses Büro zuletzt putzen würden. Mein Sohn arbeitet noch und..."
Alexandra war plötzlich wie erstarrt. Riley sprang auf und fluchte leise. Er' zog Alexandra hoch und begann, sich das Hemd zuzuknöpfen. "Ich muss für sie eine Beschäftigung finden", sagte er leise. "Bergsteigen, eine Weltumsegelung! Etwas, das sie von meinem Leben ablenkt! Selbst vierundvierzig Wohltätigkeitsorganisationen halten sie nicht genug in Atem." Alexandra ordnete hastig ihre Kleidung. Als Fiona Templeton das Büro betrat, standen Riley und Alexandra weit voneinander entfernt am Schreibtisch. "Ich wusste, dass du wahrscheinlich ohne Abendessen im Büro sitzen und dir zu Hause nur etwas in der Mikrowelle aufwärmen würdest", begrüßte Mrs. Templeton ihn, bevor sie Alexandra entdeckte. "Lieber Himmel", sagte sie und musterte Alexandra so abfällig, als hätte sie ihren Sohn gerade mit dem Hausmädchen erwischt. Dann wandte sie sich wieder Riley zu. "Findest du das richtig, Riley? Es ist nicht ratsam, dich mit einer Frau abends allein im Büro aufzuhalten. Damit setzt du dich allen möglichen ... Verdächtigungen aus." Alexandra griff nach ihrer Handtasche. Sie war sich sicher, dass Mrs. Templeton beinahe "Krankheiten" gesagt hätte. "Sie haben also diesmal das Baby nicht bei sich", bemerkte Mrs. Templeton. An ihrem Tonfall war nicht zu erkennen, ob sie diese Tatsache gut oder schlecht fand. Alexandra errötete. Sie kam sich klein und dumm vor, unfähig, Rileys einschüchternder, arroganter Mutter die Stirn zu bieten. "Darf ich hoffen, dass Sie die Angelegenheit zu einem Abschluss gebracht haben, Miss ...?" "Page", erwiderte Alexandra. "Ja, Sie dürfen hoffen. Ich wollte gerade gehen." Mrs. Templeton strahlte so viel Überlegenheit aus, dass Alexandra jetzt wirklich einen kleinen Vorteil gebrauchen konnte. Im Gehen deutete sie auf das Gemälde und sagte: "Übrigens, meine Mutter hat das Bild gemalt."
Mrs. Templeton zog eine Augenbraue hoch und wirkte weder beeindruckt noch weniger feindselig. Alexandra warf Riley einen viel sagenden Blick zu und ging dann. Sie hatte vor, mit dem Taxi nach Hause zu fahren, doch als keines vorbeifuhr, machte sich Alexandra zu Fuß auf den Weg zu ihrem Geschäft. Dort lief sie ziellos zwischen den Regalen herum, rückte einige Bände zurecht und sortierte einige Taschenbücher mit losen Seiten aus. Sie fühlte sich so deprimiert wie nach einer Party, auf der man zu viel Champagner getrunken hatte. Es war schon lange her, dass Alexandra zu tief in ein Sektglas gesehen hatte, doch eine Überdosis Riley führte offenbar auch zu einem Kater. Sie blieb vor dem Regal mit naturwissenschaftlichen Büchern stehen und schloss die Augen. Was war nur los mit ihr? Warum konnte sie einfach nicht die Finger von Riley lassen? Wenn Fiona Templeton ihrem einzigen Sohn nicht das Abendessen gebracht hätte, wäre möglicherweise eine der Putzfrauen hereingekommen und hätte sie, Alexandra, und Riley auf frischer Tat ertappt. Ein entsetzlicher Gedanke. Trotzdem ärgerte sich Alexandra im Stillen darüber, dass Rileys Mutter aufgetaucht war. Sie zog gerade ein Buch aus dem Regal, das eigentlich zu den Biologiebüchern gehörte, da hörte sie es an der Ladentür klopfen. Alexandra ging hin und stellte fest, dass es Graham war, der versuchte, durch die Glasscheibe in den schummrigen Raum zu blicken. "Ich musste heute länger arbeiten und das Training verschieben", erklärte er, als Alexandra die Tür öffnete. Er trug Shorts, ein T-Shirt und Turnschuhe. "Ich bin an der Eagle Street losgelaufen und über die George Street zurückgekommen. Als ich hier vorbeikam, sah ich noch Licht." "Hallo, Graham", sagte Alexandra und ließ ihn herein. Er teilte ihr seine Laufroute immer in allen Details mit, doch heute
war sie sogar froh über die Ablenkung. "Möchtest du eine Tasse Kaffee?" Graham warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu, und Alexandra erinnerte sich daran, dass er niemals Kaffee trank, wenn er im Training für einen Triathlon war. Er trank einen Schluck Wasser aus der Flasche, die in einer Halterung an seiner Hüfte befestigt war, und betrachtete das Buch, das Alexandra noch immer in der Hand hielt. "Oh, das ist ein sehr schönes Buch über die Evolutionstheorie ..." Graham begann, über eines seiner Lieblingsthemen zu reden. Alexandra sortierte weiter beschädigte Bücher aus und dachte über körperliche Anziehung nach. Vor ihr stand Graham, den die Verkäuferinnen der Boutique nebenan für sehr attraktiv hielten. Er hatte so gut wie nichts an und lächelte sie an. Trotzdem musste sie immer wieder an Riley denken und daran, was auf seinem Schreibtisch geschehen war! Direkt unter dem Porträt seines Vaters, das ihre Mutter gemalt hatte. Es war beinahe wie Sex auf einem Familientreffen gewesen. Alexandra schämte sich zwar, erinnerte sich aber trotzdem genüsslich an die Details. Graham gab ihr das Buch zurück, fühlte seinen Puls und machte sich auf den Rückweg. Er sagte irgendetwas vom nächsten Abend, und als er gegangen war, begriff Alexandra, dass sie sich mit ihm zu einem Kinobesuch verabredet hatte. Sie hätte am liebsten sofort wieder abgesagt, doch Graham war bereits zu weit weg. Vielleicht war es auch besser so. Brenna war wieder bei ihren Eltern, und die Angelegenheit hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst. Riley war mit Pams Brief nicht gemeint gewesen. Sein Zusammentreffen mit ihr, Alexandra, beruhte also auf einem Missverständnis. Jetzt musste sie es nur noch hinter sich lassen, als wäre nie etwas geschehen.
Alexandra dachte darüber nach. Ihre Mutter hatte einmal Ultramarinblau über eine Schicht weiße Farbe gemalt, in die ein wenig Rot geraten war. "Egal, wie dick man es übermalt", hatte Rhona ihr erklärt, "es verschwindet nicht wieder." Die winzige Spur rote Farbe konnte nicht wieder ausgelöscht werden. Sie beeinflusste die anderen Farben und gab dem Bild einen anderen Charakter. Alexandra fuhr mit dem Bus nach Hause. Ein Gewitter schien aufzuziehen, denn die Palmen und Bougainvilleenbüsche bewegten sich schon heftig im Wind. Sie dachte wehmütig an Brenna, auf die sie nur zwei Tage lang aufgepasst hatte. Und an Anna Brown, die sich so sehr nach der Tochter sehnte, die sie nie gehabt hatte. Und an Riley, der ihr Leben durcheinander gebracht hatte. Als Alexandra vor ihrem Haus stand, holte sie die Schnipsel des zerrissenen Briefs aus der Tasche und warf sie weg. Der Wind erfasste die Fetzen und wirbelte sie hoch in die Luft.
8. KAPITEL Graham hatte die Angewohnheit, angenehme Dinge höchst pragmatisch zu betrachten. In Moreton Bay hatte Alexandra ihn eines Abends auf den beinahe magisch anmutenden Schimmer auf der Wasseroberfläche hingewiesen, und er hatte gesagt: "Weißt du, Alexandra, das Licht, das von der Wasseroberfläche reflektiert wird, trifft auf deine Pupille mit einer Geschwindigkeit von zehn Trillionen Lichtpartikeln pro Sekunde. Das verursacht eine biochemische Reaktion, die ..." Nachdem Brenna wieder bei ihren Eltern war, stellte Alexandra fest, dass sie sehr sensibel auf das Telefon reagierte. Wenn es klingelte, beschleunigte sich ihr Puls, und ihre Hände begannen zu zittern. Graham hätte dieses Phänomen sicher mit einer erhöhten Sauerstoffzufuhr erklärt, die durch einen vermehrten Adrenalinausstoß verursacht wurde. Oder so ähnlich. Doch niemand hätte erklären können, warum ausgerechnet Riley Templeton, den Alexandra nur flüchtig kennen gelernt hatte, eine solche Wirkung auf sie haben sollte. Denn sie hoffte, seine Stimme zu hören, wenn sie ans Telefon ging. Natürlich hatte Alexandra ihren Text vorher einstudiert. "O Riley, ich glaube nicht, dass wir uns wieder sehen sollten. Schließlich war alles nur ein Missverständnis." Alexandra hatte alles unter Kontrolle. Sie wusste, was sie sich für ihr Leben wünschte: einen Mann, der sie wegen ihrer
inneren Werte schätzte statt ihres Sex-Appeals. Und Kinder. Es war zwar reizvoll, sich eine Affäre mit Riley auszumalen, doch Alexandra wusste, dass es nur drei Möglichkeiten gab. Erstens: Sie würde die Affäre genießen und sich von Riley trennen, ohne dabei seelischen Schaden zu nehmen. Zweitens: Riley würde die Affäre genießen und sie, Alexandra, eines Tages fallen lassen, wenn er genug von ihr hatte. Drittens: Riley würde nicht genug von ihr bekommen. Dann würde sie in eine Beziehung hineingeraten, aus der niemals ein Kind hervorgehen würde. Die erste und dritte Möglichkeit waren wohl auszuschließen. Also würde es wohl zu Szenario Nummer zwei kommen. Da sie Riley erst seit wenigen Tagen kannte, war es noch nicht zu spät, die ganze Sache im Keim zu ersticken. Riley rief jedoch nicht an. Alexandra telefonierte mit Kunden, ihrer Mutter und den Leuten von der Autowerkstatt, die ihr mitteilten, dass ihr Lieferwagen erst am darauf folgenden Tag fertig sein würde. Pam rief an, um sich zu bedanken. Sie erzählte, dass Jeffs Mutter jetzt eine Therapie mache und es Savannah viel besser gehe, seit sie Ziegenmilch bekam. Dann fragte Pam, ob sie Alexandra noch einmal um einen Gefallen bitten dürfe. "Nun, beim letzten Mal haben Sie ja nicht wirklich darum gebeten", sagte Alexandra und löste eine neue Lawine von Entschuldigungen aus. "Wir wollen Savannah taufen lassen und möchten, dass Sie ihre Patin werden. Bitte sagen Sie Ja! Jeff hat schon Mr. Templeton angerufen und ihn gefragt, ob er auch die Patenschaft übernehmen würde ..." Alexandras Herzschlag schien kurz auszusetzen, beschleunigte sich dann aber wie zum Ausgleich. Auch dafür gab es sicher eine vernünftige, biologisch erklärbare Ursache.
"Er hat leider abgelehnt", fuhr Pam traurig fort. "Wir wollten so gern Sie beide als Paten für Savannah haben, aber Mr. Templeton ändert seine Meinung bestimmt nicht. Es sei denn, Sie können ihn überreden." "Wie kommen Sie darauf, dass er auf mich hören würde?" fragte Alexandra. Doch sie freute sich darüber, mit Brenna in Verbindung bleiben zu können. "Es wäre mir aber eine Ehre, Bre... Savannahs Patin zu werden. Wen meinten Sie übrigens mit Riley in Ihrem Brief?" "Riley?" fragte Pam verwirrt. "Ach Sie meinen Kelly. Scan Kelly. Seine Firma reinigt den Jazzclub, und ich habe für ihn gearbeitet, bevor Savannah geboren wurde. Er war immer sehr nett zu mir. Ich erwähnte seinen Namen, für den Fall, dass Sie sich nicht um Savannah hätten kümmern können. Dann hätte er sie sicher aufgenommen, und Sie wären nicht gezwungen gewesen, sofort die Behörden einzuschalten." "Kelly?" Alexandra atmete tief durch. "Aber über dem zweiten Buchstaben war deutlich ein Punkt zu erkennen. Und die beiden Ls waren unterschiedlich hoch! Ich habe im Jazzclub nach einem Riley gesucht." Und sie hatte einen gefunden. "Mit meiner Handschrift hatte ich schon in der Schule Ärger", erklärte Pam. "Außerdem war ich sehr aufgeregt, als ich den Brief schrieb. Es tut mir Leid." Pam schwieg einen Augenblick. "Haben Sie etwa so Mr. Templeton kennen gelernt?" fragte sie dann. "Dann kennen Sie sich erst seit vier Tagen? Wahnsinn!" "Ja, allerdings", antwortete Alexandra gereizt. "Ich dachte, Sie kennen Mr. Templeton schon seit einer Ewigkeit. Ich meine, so, wie Sie einander angesehen haben ..." "Wie haben wir uns denn angesehen?" fragte Alexandra, sagte dann aber: "Vergessen Sie es. Wann findet die Taufe statt?"
Zwei Tage später stellte Alexandra fest, dass sie sich umsonst den Kopf zerbrochen hatte. Auch Möglichkeit Nummer zwei schien für Riley nicht infrage zu kommen. Er hatte offenbar schon kein Interesse mehr an der Affäre, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Und dieser Mann hatte die Frechheit besessen, von ihr zu verlangen, seinetwegen mit Graham Schluss zu machen. Als das Telefon kurz vor Ladenschluss klingelte, nahm Alexandra den Hörer wie selbstverständlich ab. Ihre Nervosität hatte sich gelegt. "Alexandra?" fragte Riley. Ihr Pulsschlag beschleunigte sich, und ihr wurde plötzlich heiß. Sie griff nach einem Buch und fächelte sich Kühlung zu. "Bist du das, Riley?" Als würde sie diese Stimme nicht erkennen! "Deine Mutter", sagte Riley offenbar mit zusammengebissenen Zähnen, "ist in meinem Büro!" "Wie bitte?" Alexandra legte das Buch weg, als sie feststellte, dass sie sich mit einer Ausgabe des Kamasutra hatte abkühlen wollen. "Sie hat eine Ordnungswidrigkeit begangen und scheint nun der Meinung zu sein, ich wäre ihr Anwalt, weil ich ihr für ein Porträt Modell sitze. Doch das stimmt nicht. Sie hat sogar der Presse meinen Namen genannt, ohne mein Einverständnis einzuholen! Jetzt stehe ich in Verbindung mit diesem albernen, unreifen ..." Riley atmete tief durch. "Komm her, und schaff mir deine Mutter vom Hals!" Alexandra war verwirrt. "Sie hat mich heute Morgen angerufen und nichts davon gesagt, dass sie dich malt." "Vielleicht dachte sie, es wäre nicht wichtig", sagte Riley zynisch. "Ich hätte mich nie darauf einlassen sollen! Es musste ja Ärger geben, schließlich ist sie mit dir verwandt!" "Das ist unfair, Riley!" Wie sollte sie diesen Mann aus ihrem Leben verbannen, wenn ihre Mutter ständig mit ihm in
Verbindung stand? Es würde mindestens zwei Monate dauern, bis das Bild fertig war, das sie, Alexandra, dann immer an ihn erinnern würde. Verdammt! "Was für eine Ordnungswidrigkeit?" fragte sie etwas verspätet. "Wenn in Zukunft ein Mitglied deiner verrückten Familie der Entführung oder Beschädigung öffentlichen Eigentums beschuldigt wird, ruft bitte jemand anders an!" "Öffentliches Eigentum?" fragte Alexandra verwirrt, als die Ladentür aufging und Graham hereinkam. Er trug eine neongrüne Radlerhose und einen Helm. Sein Fahrrad lehnte draußen am Schaufenster. Er lächelte Alexandra zu und lief auf der Stelle, während er auf sie wartete. "Hast du mich verstanden?" fragte Riley wütend. "Ich erwarte dich in fünfzehn Minuten in meinem Büro." Alexandra fuhr sich nervös durchs Haar und erklärte Graham, dass sie jetzt den Laden schließen müsse, um zum Gericht zu fahren. Graham hörte zu, nickte dann zustimmend und fühlte sich gleichzeitig den Puls. "Ich wollte deine Mutter schon immer kennen lernen. Wir könnten uns dort treffen. Würdest du bitte mein Handtuch mitbringen? Dann kann ich die Strecke gleich zum Aufwärmen benutzen, damit ich dann die ..." "In Ordnung. Wir treffen uns dort", unterbrach ihn Alexandra hastig. Sie suchte nach dem Handtuch und stopfte es geistesabwesend in ihre große Tasche, bevor sie ihr Geschäft verließ. Rhona unterhielt sich mit Rileys Mutter. Mrs. Templetons Gesichtszüge drückten Bewunderung aus, doch ihre Gefühle Alexandra gegenüber schienen noch immer gemischt zu sein. Die Tür zu Rileys Büro stand offen, und Alexandra hörte, dass er mit Papieren raschelte. "Hallo, Lexi!" rief Rhona, als Alexandra und Graham das Vorzimmer betraten. "Riley hat sich gerade von mir losgesagt",
sagte sie gelassen, überzeugt, dass Riley ihr verzeihen würde. "Kannst du mich nach Hause fahren?" "Nein, leider nicht. Mein Wagen ist in der Werkstatt." Alexandra bemühte sich, nicht in Rileys Büro zu sehen. Offenbar hatte er auch nicht die Absicht, es zu verlassen. "Rhona, was ist eigentlich passiert? Wieso hast du öffentliches Eigentum beschädigt?" "So kann man das eigentlich nicht nennen", erwiderte ihre Mutter und winkte ab. "Ich habe es eher ... korrigiert." "Was denn?" "Ein Poster. Wen hast du denn da mitgebracht?" fragte Rhona und betrachtete Graham interessiert. Alexandra stellte ihn vor. "Ich bewundere Ihre Arbeit sehr", sagte Graham. "Alexandra behauptet zwar, keinerlei künstlerisches Talent geerbt zu haben, aber ich glaube, dass sie es nur noch nicht entdeckt hat. Die Anlagen dazu befinden sich garantiert in ihrer Erbmasse." Rhona sah ihn erstaunt an, während Alexandra feststellte, dass sie das Wort "Erbmasse" noch schlimmer fand als "Nachwuchs". Als er Grahams Stimme hörte, kam Riley aus seinem Büro und lehnte sich lässig an den Türrahmen. Er hatte die Hemdsärmel hochgekrempelt und trug keine Krawatte. Sein dunkles Haar war zerzaust, und Alexandra entdeckte einen leichten Bartschatten an seinem Kinn. Lieber Himmel, dachte sie, der Mann sieht umwerfend aus! Er wollte eindeutig Graham begutachten. Sicher hatte er ihn für anständig, aber nichtssagend gehalten, denn Grahams durchtrainierter, athletischer Körper und sein gutes Aussehen schienen ihn zu überraschen. Alexandra lächelte Riley strahlend an und stellte ihm Graham vor. Die Männer gaben einander die Hand, und Alexandra war erstaunt, dass Riley Graham nach seinem Training fragte.
"Ich arbeite auf den Triathlon hin", erklärte Graham. "Ich habe mich zum ,Hell of the West'-Triathlon in Goondiwindi angemeldet. Siebenhundertfünfzig Meter schwimmen, achtzig Kilometer Radrennen und zwanzig Kilometer laufen." "Was für ein Poster?" fragte Alexandra ihre Mutter, ließ aber Riley nicht aus den Augen. "Doch nicht etwa das Bild von Gina Esposito? Rhona! Wie bist du überhaupt an das Poster herangekommen?" Rhona erwähnte einen Freund, der einen Lastwagen und ein Baugerüst habe. "Ich trug einen Overall", erklärte sie. "Niemand hat versucht, mich aufzuhalten. Wahrscheinlich hielten mich die Leute für einen Schildermaler. Leider kam eine Polizeistreife vorbei und ..." Sie zuckte die Schultern. "Der Sender hat natürlich sofort ein Kamerateam geschickt. Aber ich glaube nicht, dass die anderen Nachrichtensendungen etwas darüber bringen werden. Schließlich wäre das kostenlose Werbung für Kanal Drei." Graham bat Alexandra um sein Handtuch. Als sie es aus der Patchworktasche zog, die sie auch für die Babysachen benutzt hatte, lächelte Riley amüsiert. Die beiden Mütter und Graham gingen zum Fahrstuhl. Riley trat zu Alexandra und fragte leise: "Wurde er auch vor deiner Tür ausgesetzt?" "Nein, er ist ein Kunde", antwortete Alexandra kühl. "Der Laden liegt an seiner Trainingsstrecke, und ich halte immer ein Handtuch für ihn bereit." "Und er kommt dann zu dir, um ein Taschenbuch zu kaufen und sich von dir gründlich abreiben zu lassen?" fragte Riley ironisch. "Hast du es ihm eigentlich schon gesagt? Wahrscheinlich bist du zu weichherzig, um deutliche Worte zu finden, und er ist zu beschäftigt damit, seine Pulsfrequenz zu überprüfen, um eine zarte Andeutung zu verstehen." "Was hätte ich ihm sagen sollen?" fragte Alexandra gespielt erstaunt.
Riley lächelte ironisch. "Spiel nicht die Unbedarfte, Alexandra. Das passt nicht zu dir." Sie schnitt ein Gesicht. "Also gut, ich habe es noch nicht getan. Eigentlich hast du auch nur angenommen, ich würde mit Graham Schluss machen. Vielleicht hatte ich es ja auch vor ... aber ich habe es mir noch einmal überlegt." Riley blickte wieder zu Graham, der gerade seinen Fahrradhelm aufsetzte. "Ich verstehe", sagte er. "Ich fahre dich und Rhona nach Hause." "Mach dir keine Umstände. Wir nehmen den Bus." Doch Rhona nahm das Angebot dankend an. Alexandra sagte sich, dass sie mir mitkommen würde, um zu sehen, was Rhona mit dem Poster angestellt hatte. Es verschlug Alexandra den Atem. Es gab keinen Schnurrbart oder schwarz gemalte Zähne. Die schöne Gina Esposito lächelte noch immer. Doch sie war älter geworden, und ihr Lächeln schien nicht mehr so herablassend zu sein. "Rhona", flüsterte Alexandra. "Ich habe sie ein wenig altern lassen", erklärte Rhona überflüssigerweise. "Sie sieht jetzt etwa aus wie fünfundvierzig. Als ich so alt war, hat Charles mich verlassen." Die Veränderung des Bildes traf Alexandra tief. Rhona hatte die dunklen Schatten unter Ginas Augen und die feinen Fältchen keineswegs übertrieben gemalt. "Es ist schon seltsam, dass man immer die andere Frau hasst. Aber es bleibt einem nichts anderes übrig, weil man nicht aufhören kann, den Mann zu lieben." Rhona seufzte. "Gina glaubt wahrscheinlich, dass sie nie alt wird und dass Charles immer bei ihr bleibt. Auch ich dachte, dass ich in seinen Augen immer schön sein würde." Rhona betrachtete das Poster. "Ich habe ihr einen Gefallen getan, indem ich sie an einige Tatsachen erinnert habe." Die Ampel sprang um, und Alexandra warf einen letzten Blick auf das Foto. Die Gegenspielerin ihrer Mutter war durch
die Retusche zu einer normalen Frau geworden, die Rhona nun nicht mehr zu hassen brauchte. "Du musst doch eine Ewigkeit auf diesem Gerüst zugebracht haben!" "Nein", sagte Rhona leise. "Der Weg von dreißig zu fünfundvierzig ist nicht weit." Auf der Rückfahrt entdeckten Riley und Alexandra vor sich Graham auf seinem Fahrrad, der gerade energisch eine Steigung in Angriff nahm. "Na, das ist doch unser Grover", stellte Riley fest. "Graham!" Alexandra sah auf die Uhr. "Fünfunddreißig Minuten", sagte sie. "Über die Zeit wird er sich freuen." "Das wird bestimmt eine interessante Verbindung", sagte Riley ironisch. "Er joggt, und du folgst ihm mit dem Handtuch. Misst der eigentlich seinen Puls auch im Bett?" "Das geht dich gar nichts an", antwortete Alexandra kühl. "Immerhin ist er der Meinung, deine Erbmasse würde künstlerisches Talent enthalten." Offenbar hatte Riley jedes Wort der Unterhaltung im Vorzimmer mit angehört. "Was wird er denn außer Muskelpaketen beisteuern?" "Entschlossenheit und Willenskraft, zum Beispiel", antwortete Alexandra. Sie hatte das Gefühl, Graham verteidigen zu müssen. Er konnte zwar manchmal ziemlich langweilig sein, war aber ein anständiger Mann mit Prinzipien. "Außerdem kommt er aus einer sehr gebildeten Familie. Er glaubt, dass wir gemeinsam sogar einen neuen Einstein oder Picasso zu Stande bringen könnten." Riley schwieg, und Alexandra stellte sich vor, wie Rileys Kinder wären, wenn er die Möglichkeit hätte, welche zu zeugen. Sie würden vermutlich, dem Beispiel ihres Vaters folgend, überall ihre Kleidung fallen lassen. Alexandra sah ein kleines Mädchen vor sich, mit dunkelblauen Augen und ungebändigten Locken, das auf Rileys Schoß saß während er eine Geschichte erzählte ... Alexandra biss sich auf die Lippe. Unwillkürlich
hatte sie in ihrem Tagtraum ihre Gene mit Rileys kombiniert. In Wirklichkeit würde das niemals möglich sein. Riley hielt vor ihrem Haus und wandte sich zu ihr um. Er wirkte ruhig und unnahbar, doch Alexandra wusste, dass ihn ihre Bemerkungen über Graham und seine zukünftigen "Kinder" verletzt hatten. Sie verabschiedete sich besonders herzlich von Riley und schwor sich, das Thema "Kinder" nie wieder anzusprechen. Sie beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange. "Vielen Dank, dass du Rhona geholfen hast." Sie lächelte ihn dankbar an. "Du bist ein wunderbarer Mann." Riley atmete scharf ein, zog Alexandra plötzlich an sich und küsste sie auf den Mund. Es war kein freundschaftlicher Gutenachtkuss. Riley presste die Lippen auf ihre und erkundete ihren Mund mit der Zunge. Alexandra erwiderte den Kuss und umfasste Rileys Schultern. Dann ließ sie die Hände unter sein Jackett gleiten, zog Riley das Hemd aus der Hose und schob es hoch, so dass sie schließlich seinen nackten Rücken streicheln konnte. Einen Augenblick später ließ sie die Hände zu seinem Gürtel wandern. Doch Riley hielt ihre Hände fest und drückte Alexandra energisch auf den Sitz zurück. Er hob Alexandras Brille auf, die unbemerkt zu Boden geglitten war, und gab sie ihr. "Gute Nacht, Alexandra", sagte er und stellte triumphierend fest, dass ihre Hände zitterten, als sie sich die Brille aufsetzte. Wenige Minuten später blickte Alexandra seinem Wagen nach und berührte ihre Lippen mit den Fingerspitzen. "Ich darf mich nicht in Riley verlieben", flüsterte sie, als sie zum Haus ging. Sie warf einen Blick unter die Verandatreppe, wie jeden Abend, seit sie Brenna auf ihrer Schwelle gefunden hatte. Nichts.
Sams Ziegen blökten, und der Frosch von gegenüber quakte wieder in regelmäßigen Abständen. "Ich darf mich nicht in Riley verlieben", wiederholte Alexandra. Im Stillen hörte sie wieder die Melodie, die Riley im Club gespielt hatte. Noch immer fiel ihr der Titel nicht ein. Wenn ich wusste, wie das Lied heißt, dachte sie, könnte ich es vielleicht endlich vergessen. Und Riley auch. Doch die Gedanken an Riley und die Melodie blieben. Riley blickte starr auf den Lastwagen vor sich. Er hatte Wassermelonen geladen, die ständig von der Ladefläche zu rutschen drohten. Wahrscheinlich fuhr der Fahrer deshalb im Schneckentempo und brachte ihn damit zur Verzweiflung. "Der Mann ist geliebt", sagte Riley leise. "Lass mich doch wenigstens vorbei, verdammt noch mal!" Riley hupte, doch der Lastwagenfahrer reagierte nicht. Alexandra blickte ihn mitfühlend an. Riley umklammerte wütend das Lenkrad. Sie wusste, dass er sich in sie verliebt hatte, wollte aber seine Gefühle nicht verletzen. Er hupte wieder. "Geh mir aus dem Weg!" Offenbar konnte Alexandra die Anziehung zwischen ihnen ignorieren, um sich diesem verrückten Sportfanatiker an den Hals zu werfen. Doch vielleicht sah er das Ganze auch zu pessimistisch. Alexandra mochte sich zwar vielleicht nicht eingestehen, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte, doch heute Abend war es ihr nicht gelungen, ihm zu widerstehen. Zunächst hatte sie ihn wie einen großen Bruder behandelt, doch sein Kuss hatte ihre Leidenschaft geweckt. Wenn er sie nicht aufgehalten hätte, hätte sie ihm buchstäblich die Kleidung vom Leib gerissen. Riley lächelte.
Es wurde Zeit, die Strategie zu ändern, um Alexandra zu gewinnen. Und vielleicht würde er hinterher sogar feststellen, dass seine Gefühle für sie nicht von Dauer waren. Der Lastwagen fuhr an den Straßenrand, und Riley überholte ihn. Wenn er Alexandra nur begehrte, warum hatte er sie dann heute Abend abgewiesen? Der Lastwagen fuhr über eine Bodenwelle, und Riley sah im Rückspiegel, wie eine Melone von der Ladefläche rollte und auf dem Pflaster zerplatzte. Hochmut kommt vor dem Fall, dachte er.
9. KAPITEL Die Taufe fand an einem sonnigen Februartag statt. Die kleine, holzverkleidete Kirche stand inmitten einer Wiese, auf der Krokusse blühten. "Vielleicht sind wir die einzigen Gäste", bemerkte Alexandra, als sie und Sam aus dem Lieferwagen stiegen. Sie holte ihren breitkrempigen Strohhut vom Rücksitz, und eine kleine Trockenblume löste sich: Alexandra streifte sie ab. "Pams Familie lebt im Süden und Jeffs nimmt vielleicht nicht teil." Doch sie und Sam waren nicht die Einzigen. Ein Mann kam über die Wiese auf sie zu. Er war groß, dunkelhaarig und trug eine Sonnenbrille. Sam war hocherfreut. "Na, wenn das nicht mein alter Freund Riley ist!" rief er. "Komm doch auf ein Bier bei mir vorbei, bevor ich nach Melbourne fahre. Dann kannst du auch gleich mein Klavier stimmen." "Was tust du denn hier?" fragte Alexandra unfreundlich. Sie erinnerte sich nur zu gut an ihr letztes Zusammentreffen, bei dem sie ihm beinahe die Kleidung vom Leib gerissen hätte. Sie wusste, dass er sie ansah, konnte aber seine Augen hinter den dunklen Brillengläsern nicht erkennen. "Ich bin der Pate", flüsterte Riley in einer Marlon-BrandoImitation, die Sam zum Lachen brachte. "Sehr witzig!"
Riley lächelte ironisch. Verärgert trat Alexandra vor und nahm ihm die Sonnenbrille ab. Doch als sie ihm in die dunkelblauen Augen sah, konnte sie außer einem schalkhaften Blitzen nichts darin erkennen. "Magst du keine Sonnenbrillen, Alexandra?" "Es zeugt von schlechten Manieren, sie aufzubehalten, wenn man mit jemandem spricht", erwiderte sie und gab ihm die Brille. "Man kann dir dann nicht in die Augen sehen." "Findest du das unfair?" fragte Riley und steckte die Brille ein. "Du Weißt doch, dass ich jeden Vorteil nutze." Das letzte Mal hatte er diese Bemerkung gemacht, während sie halb nackt auf seinem Schreibtisch gelegen hatte. Alexandra fächelte sich mit ihrem Hut Luft zu. Riley betrachtete amüsiert, wie die kleinen Blumen in alle Richtungen flogen, und Alexandra setzte sich den Hut verärgert auf. Sam ging zur Kirche, und Riley und Alexandra folgten ihm auf dem schmalen Trampelpfad. Es erschien Alexandra seltsam, neben Riley in der Kirche zu stehen und ein feierliches Versprechen abzugeben. Als Alexandra ihre Namen nebeneinander auf der Taufurkunde sah, hätte sie beinahe gesagt: "Sieh mal, unsere Namen sind schon wieder zusammen auf einem Stück Papier." Doch beim letzten Mal war es ein Irrtum gewesen. Diesmal nicht. Nun waren ihre Lebensgeschichten tatsächlich durch ein Schriftstück miteinander verbunden. Jeffs Eltern kamen doch zur Taufe. Seine Mutter schien zwar ruhiger zu sein, konnte aber den Blick kaum von Savannah abwenden. Bei der Feier in Alexandras Garten legte Pam ihrer Schwiegermutter das Baby in den Arm. "Ich weiß, dass du den Namen nicht magst, den wir ihr gegeben haben", sagte sie. "Aber wenn sie älter ist, wird der Name sicher abgekürzt. Sogar jetzt nennen wir sie manchmal schon Anna."
Anna Brown sah sie erstaunt an. Offenbar hatte sie noch nie über diese Möglichkeit nachgedacht. Alexandra fand, dass Pam die Situation hervorragend bewältigt hatte. "Hast du eigentlich schon Rhonas Skizzen von mir gesehen?" fragte Riley sie etwas später. "Ich bekomme nie etwas zu sehen, bevor Rhona das Bild fertiggestellt hat", antwortete Alexandra. "Sie mag es nicht, wenn ich die Bilder vorher betrachte." "Heißt das, du kommst in ihr Atelier und wirfst keinen Blick auf die Staffelei?" fragte Riley skeptisch. "Rhona will es nicht, also lasse ich es." "Ich bin beeindruckt. Zwei Frauen in einer Familie, die sich nur um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern." Alexandra sah ihm in die Augen und spürte ein Kribbeln im ganzen Körper. Wie lauteten die Worte, die sie so lange eingeübt hatte? "Ich darf mich nicht in Riley verlieben." "Kommt Graham noch zur Feier?" fragte er. "Nein. Er ist in Goondiwindi beim Triathlon." "Ach ja. Du vermisst ihn sicher. Habt ihr schon ein Datum festgelegt?" Alexandra wurde unruhig. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie die Geschichte mit Graham nicht aufgeklärt hatte. Eigentlich schadete es niemandem, aber sie hatte das Gefühl, Graham zu benutzen. Doch sie brachte es nicht fertig, gegenüber Riley zuzugeben, dass Graham nicht mehr als ein Freund war. Sam winkte sie heran, weil er Fotos machen wollte. Alexandra lächelte und drückte sich vor der Antwort. "Er ist ein toller Kerl", fuhr Riley danach fort. Alexandra sah ihn misstrauisch an. "Ich dachte, du magst Graham nicht besonders?" "Wie kommst du denn darauf?" "Durch deine sarkastischen Bemerkungen, zum Beispiel." "Sarkasmus gehört zu meinem Beruf. Nein, ich glaube, du und Graham werdet ein fabelhaftes Team sein."
Er hatte jetzt schon zum zweiten Mal Grahams Namen richtig genannt. Alexandra fragte sich, warum sie diese. Tatsache so verärgerte. "Du siehst heute sehr schön aus, Alexandra", sagte Riley und betrachtete sie eingehend. "Danke", antwortete sie leise. Schön? Ein solches Kompliment hätte sie von Riley nie erwartet. Außerdem hatte er es so beiläufig gesagt, dass sie seinen Worten keine tiefere Bedeutung beimaß. Es wurden Trinksprüche ausgebracht und weitere Fotos geschossen. Alexandra wusste, dass Schnappschüsse dazu gehörten, konnte sich aber nicht vorstellen, eines Tages ein Bild von Riley zu betrachten und zu sagen: "Das war ein Bekannter von mir." Sam schenkte Wein nach, und Pam reichte die Platten mit Sandwiches und Kuchen herum, die sie und Alexandra vorbereitet hatten. "Du musst Alexandra den Titel des Liedes verraten", sagte sie nervös zu Riley. "Sie hat die Melodie den ganzen Morgen vor sich hin gesummt und gesagt, sie könne das Lied einfach nicht vergessen." Alexandra warf Pam einen warnenden Blick zu. Ohne Erfolg. "Du hast das Lied wohl in diesem Jazzclub gespielt", fuhr Pam fort. Riley sagte nichts, sondern band sich die Krawatte ab und spielte mit Savannah und dem Teddybären, den er ihr geschenkt hatte. Alexandra beobachtete Riley, der Savannah und den Teddy in den Arm genommen hatte und ihnen leise ein Lied vorsang. Ihr stiegen Tränen in die Augen. Es hätte ein Bild aus ihrem Traum sein können: ein starker, liebevoller Mann, der ein Baby auf dem Schoß hielt, und sie, die über beide wachte. Plötzlich schien dieser Traum zu verblassen.
Sosehr sie sich auch bemühte, ihn wieder als erreichbares Lebensziel zu betrachten, es gelang ihr nicht. Zwei Stunden später verließ Riley die Party, ohne Alexandra den Titel des Liedes verraten zu haben. Die Wochen vergingen. Savannah bekam die ersten Zähne, und Pam rief regelmäßig an, um Alexandra von ihren Fortschritten zu berichten. Sie sah Riley im Fernsehen, in einem Bericht über einen Mann, den er erfolgreich angeklagt hatte und der nun im Gefängnis zusammengeschlagen worden war. Die Angehörigen des Mannes wurden auch interviewt und wirkten sehr aufgebracht. Riley würde bald aus seiner Wohnung ausziehen, damit diese renoviert werden konnte. Alexandra hörte die Nachricht von Rhona, die die nervtötende Angewohnheit hatte, Gesprächsfetzen aus ihren Sitzungen mit Riley an Alexandra weiterzugeben. In der ersten Märzwoche flog Sam nach Melbourne zum Treffen seiner alten Einheit. Einer seiner Freunde hatte die Ziegen abgeholt, um sich während Sams Abwesenheit um sie zu kümmern. Einige Tage später tauchte Riley im Buchladen auf. "Du denkst doch an unsere Verabredung zum Wohltätigkeitsball nächsten Samstag?" fragte er und betrachtete einige Bücher. Sie sah ihn verblüfft an. "Aber du wolltest mir doch nur etwas beweisen, oder?" Riley lächelte unverbindlich. "Ich habe die Eintrittskarten gekauft. Du kannst nicht mehr absagen." Er zögerte. "Oder macht es Graham etwas aus?" Alexandra nahm allen Mut zusammen und sagte die Wahrheit. "Graham holt sich sein Handtuch jetzt in der Boutique nebenan ab."
Rileys Augen funkelten. "Gut, dann komme ich um sieben. Es ist allerdings Abendgarderobe vorgeschrieben." Er lächelte und berührte kaum merklich Alexandras Locken. "Bitte lass dein Haar offen." Sie trug das Haar offen und ein langes anthrazitfarbenes Abendkleid mit Spaghettiträgern. Es ließ ihre Beine länger und ihre Haare glänzender erscheinen. Alexandra legte eine schlichte Silberkette an, die eine von Rhonas Freundinnen entworfen hatte, und trug ein wenig von dem Aromaöl auf, das sie als Parfümersatz benutzte. Sie wartete an der Verandatreppe auf Riley. Als er sie sah, verlangsamte er seine Schritte und blickte Alexandra lange an. Was er sah, gefiel ihm offensichtlich. Aber auch er bot einen atemberaubenden Anblick, in seinem weißen Smoking und dem weißen Hemd mit schwarzer Fliege. Das ist nicht fair, dachte Alexandra. Smokings sollten für Männer wie Riley verboten werden! Der Ball fand in einem Saal mit Blick auf den Fluss statt. Mrs. Templeton trug ein elfenbeinfarbenes Satinkleid und eine Perlenkette. Sie schien sehr mit den Angelegenheiten des Komitees beschäftigt zu sein, denn sie begrüßte Alexandra mit gelassener Resignation. Vielleicht lag es aber auch daran, dass Davina ebenfalls zu den Gästen zählte und mit einem sehr attraktiven Mann gekommen war. "Ich kann nicht leugnen, dass ich alles versucht habe, um Riley und Davina wieder zusammenzubringen", sagte Mrs. Templeton zu Alexandra, als sie einander später im Waschraum begegneten. "Aber Sie hatten ja offenbar einen kleinen Amor auf Ihrer Seite." Alexandra sah sie verblüfft an. "Ich meine das Baby, meine Liebe. Wir müssen uns demnächst einmal zum Kaffee treffen", sagte Fiona Templeton und verließ den Raum.
Ist es so offensichtlich? fragte sich Alexandra. Oder hatte Riley seiner Mutter etwas erzählt? Und wenn ja, was? Als Alexandra zum Tisch zurückkehrte, stand Riley auf und führte sie auf die Tanzfläche. Sie lag in seinen Armen und vergaß alle Fragen. "Dieser Duft", fragte Riley leise, "was ist das?" "Natürliches Aromaöl", antwortete Alexandra. "Es ist besser für mich als Parfüm." "Mir fällt etwas ein, was jetzt für mich das Beste wäre", sagte Riley und streichelte Alexandras Rücken. Sie sah ihn fragend an. "Tatsächlich?" "Und für dich auch", fügte er leise hinzu. Alexandra erinnerte sich nicht mehr genau an die Rückfahrt, nicht einmal mehr daran, dass sie bei ihr zu Hause angekommen waren und sie Riley hineingebeten hatte. Doch sie würde nie den Augenblick vergessen, in dem er sie in die Arme genommen hatte. Alexandra wusste, dass sie nicht mehr dieselbe sein würde, wenn er sie von da an wieder losließe. In ihrem Schlafzimmer zog Riley das Smokingjackett aus und lockerte die Fliege. Alexandra lächelte. "Lass mich", sagte sie. "Ich habe mir schon oft vorgestellt, wie es wäre, dich auszuziehen ..." Riley ließ sich aufs Bett sinken und breitete die Arme aus. "Dies ist deine Chance." Arroganter Kerl, dachte Alexandra und betrachtete seine breiten Schultern und die markanten Gesichtszüge, die von der Nachttischlampe in sanftes Licht getaucht wurden. Eine Haarsträhne fiel Riley in die Stirn, und er hatte die Augen halb geschlossen. Alexandra war sich nicht sicher, womit sie beginnen sollte. Schließlich liebkoste sie sanft seine Lippen mit der Zunge. Riley stöhnte auf und erwiderte den Kuss, hielt aber die Arme weiterhin ausgestreckt.
Alexandra band ihm die Fliege ab und warf sie achtlos auf den Boden. Sie kniete sich neben ihn, um ihm das Hemd aufzuknöpfen. Riley stützte sich auf die Ellenbogen, um es auszuziehen, aber Alexandra war inzwischen damit beschäftigt, zärtlich seine Brust zu streicheln. Also blieb Riley in dieser Position, und das offene Hemd gab den Blick auf seine muskulösen Schultern frei. Alexandra würde sich immer an den Klang seiner Stimme erinnern, als er ihren Namen sagte und dann begann, sie auszuziehen und zu liebkosen. Als er aber seinen Gürtel öffnen wollte, flüsterte Alexandra: "Nein, lass mich das machen." Riley lehnte sich zurück und beobachtete Alexandra, während sie ihm die Hose auszog. Sie liebkoste jeden Zentimeter seines Körpers, den sie freilegte, und ihre Berührungen waren federleicht und schienen trotzdem eine brennende Spur auf seiner Haut zu hinterlassen. Sie warf die Hose auf den Boden und wandte sich seinem Slip zu. Sehr langsam und zielsicher berührte sie ihn. "Alexandra ..." Riley vermutete, dass er ihren Namen gesagt hatte. Er spürte ihre Hände auf seinem Körper, und seine Erregung steigerte sich. Doch plötzlich überkam ihn Angst. Er setzte sich auf und zog Alexandra auf sich, so dass sie schon beinahe miteinander verschmolzen. Riley war nervös. Dies war vermutlich die wichtigste Nacht seines Lebens. Er wollte, dass sie für Alexandra so schön wie möglich wurde, und rang um sein Selbstvertrauen. Doch dann flüsterte Alexandra plötzlich: "Riley." Er umfasste ihre Hüften und hielt sie einen Moment lang fest. Dann senkte er Alexandras Körper langsam zu sich herab. Die Leidenschaft in ihrem Blick verlieh ihm wieder Mut. Es strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn und lächelte. "Nicht so schnell, meine Geliebte. Wir haben noch die ganze Nacht vor uns."
Alexandra würde diese Nacht nie vergessen. Riley brachte sie immer wieder zum Gipfel der Lust, hörte nicht auf ihre flehentlichen Bitten und genoss die Macht, die er über sie hatte, bis sie schließlich wieder die Initiative ergriff. Diesmal war ihre Vereinigung nicht sanft und zärtlich, sondern mitreißend leidenschaftlich. Alexandra hatte noch nie in ihrem Leben etwas so Wunderschönes erlebt. Und sie erlebte es in dieser Nacht immer wieder. Am Sonntag gingen Riley und Alexandra Arm in Arm spazieren, aßen zusammen und liebten sich dann, während die Sonne durchs Fenster hereinschien. Sie konnten nicht genug voneinander bekommen. Riley kam jede Nacht in Alexandras Bett, bis sein Apartment fertig war. Dann zog er wieder dort ein und bereitete alles vor, damit Alexandra die Nächte bei ihm verbringen konnte. Bevor er ging, fragte er sie schließlich, ob sie seine Frau werden wolle. Alexandra hätte am liebsten Ja gesagt, zögerte aber. Riley blickte sie prüfend an. "Wir kennen uns noch nicht lange ..." sagte sie. Riley wurde misstrauisch. Sie hatten einander in kürzester Zeit sehr gut kennen gelernt. Es sagte viel über einen Menschen aus, wie er sich einem kleinen Kind gegenüber verhielt, vielleicht mehr als Monate des Zusammenlebens. Es ging also nicht darum, wie lange ihre Beziehung schon bestand. Alexandra hatte gezögert, weil sie sich nicht dazu durchringen konnte, den Traum von der eigenen Familie für immer aufzugeben. "Gut", sagte Riley, "sag es mir, wenn du dich entschieden hast." Sam kam mit Hunderten von Fotos aus Melbourne zurück. Sein Freund brachte die Ziegen, die sich bester Gesundheit erfreuten, besonders Millie, Sams beste Milchziege. Alexandra verbrachte die Nächte in Rileys luxuriösem Apartment, doch
sein Heiratsantrag schien zwischen ihnen zu stehen und ihr Glück zu trüben. "Ich spiele morgen Abend wieder im Club", sagte Riley etwa eine Woche nach Sams Rückkehr. "Aber übermorgen könnte ich dich nach Ladenschluss im Geschäft abholen. Was meinst du?" Seit dem Wohltätigkeitsball war es der erste Abend, den Alexandra allein verbrachte. Es gefiel ihr überhaupt nicht, sie vermisste Riley. Am darauf folgenden Abend hatten die meisten Geschäfte in der Einkaufspassage schon geschlossen, als Alexandra den Tisch mit den Sonderangeboten leer räumte. Sie wurde auf Riley aufmerksam, der die Straße entlang auf ihr Geschäft zuging. Sie freute sich, ihn zu sehen, spürte aber auch wie üblich den Widerstreit zwischen ihrer Liebe zu ihm und dem Traum von einer Familie mit Kindern. Sie winkte Riley zu und sah, dass jemand versuchte, ihn einzuholen. Alexandra legte zwei Bücher vom Tisch auf den Rollwagen. Sie hätte später nicht genau sagen können, wann sie unruhig wurde. Vielleicht als ein zweiter Mann auftauchte und Riley hinterherrannte. Er trug einen Gegenstand und sah damit seltsam kämpferisch aus. "Riley!" rief Alexandra und deutete auf die Männer. Ein Baseballschläger! Der zweite Mann hatte einen Baseballschläger bei sich! "Riley!" schrie Alexandra wieder. Als er sich umdrehte, hatten ihn die Männer fast erreicht. Der Fremde mit dem Schläger holte aus. Riley versuchte, den anderen zur Seite zu stoßen, der ihn aber einfach umrannte und zu Boden warf. "Nein!" schrie Alexandra und rannte los. Sie ließ bis auf eins alle Bücher fallen. Von ihrem Schrei verwirrt, zögerte der Angreifer, so dass Alexandra ihn rechtzeitig erreichen und mit dem dicken Buch schlagen konnte. Der Mann strauchelte und rannte, ebenso wie sein unbewaffneter Komplize, davon. Alexandra sank neben Riley auf die Knie.
"Du blutest", flüsterte sie. "Riley, sag, dass dir nichts passiert ist. Ich liebe dich und möchte den Rest meines Lebens mit dir verbringen." Inzwischen waren etliche Schaulustige stehen geblieben. Ein Polizist kam und nahm Zeugenaussagen und die Täterbeschreibung auf. Riley führte vom Buchladen aus mehrere Telefonate, nachdem Alexandra ihn mit einem Pflaster aus ihrem Erste-Hilfe-Kasten verarztet hatte. Er erklärte Alexandra, dass dieselben Männer vermutlich für die Zerstörung seines Apartments verantwortlich seien. "Ich war der Ankläger im Prozess gegen ihren Cousin. Er wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt und vor einigen Wochen dort von anderen Häftlingen zusammengeschlagen. Da sie meine Wohnung bereits verwüstet hatten, wollten sie diesmal auf mich losgehen. Sie machen mich dafür verantwortlich, dass der Junge im Gefängnis sitzt. Verdammte Narren", sagte er resigniert, "jetzt haben sie nur noch mehr Unglück über ihre Familie gebracht." Er nahm Alexandra in die Arme. "Sagtest du, als ich am Boden lag, nicht etwas davon, den Rest deines Lebens mit mir verbringen zu wollen? Bedeutet das, du nimmst meinen Antrag an?" Alexandra küsste ihn. "Ja." Sie hatte sich die Unsicherheit in seinem Blick vermutlich nur eingebildet, denn Riley lächelte schalkhaft und sagte: "Ich glaube, es ist nur fair, wenn ich dir jetzt das Buch abkaufe, mit dem du meinen Freund mit dem Baseballschläger vertrieben hast." Alexandra gab ihm triumphierend die Predigten des Reverend Punshon. "Lieber Himmel", sagte Riley, "ihr Buchhändler würdet wohl alles tun, um eure Ladenhüter loszuwerden."
10. KAPITEL Es war ein warmer Maiabend, und die Uferpromenade wimmelte von Menschen. Jogger drehten ihre Runden, Eltern gingen mit ihren Kindern spazieren, und Touristen folgten ihren Reiseführern. Ein Mann trug ein Schild vor sich her, das die Speisen in Huangs Restaurant anpries. Das Flussschiff Kookaburra Queen ließ sein Signalhorn ertönen und fuhr vorbei an den Lichtern von Brisbane. Auf einem kleinen Platz unter einem Baldachin waren Gemälde ausgestellt, mit denen sich Künstler um einen neuen Kunstpreis bewarben. Die Gäste waren vom Sponsor mit Gratisdosen seiner Limonade versorgt worden und hielten sich für Kunstliebhaber und Kritiker. Alexandra ging über die Victoria Bridge zwischen Brisbane und dem Südufer. Ein leichter Wind wehte ihr ins Gesicht, und sie wäre sicher stehen geblieben, um die Aussicht zu betrachten. Aber Riley war schon auf der Ausstellung, und das Porträt, das ihre Mutter von ihm gemalt hatte, hing dort. Alexandra hatte es noch immer nicht gesehen. Zuerst suchte sie nach Riley, konnte ihn aber nicht entdecken. Dafür sah sie endlich sein Porträt. Sie ging um eine Stellwand herum und stand plötzlich dicht davor. Es war eine riesige! Leinwand, und das Bild hatte beinahe Lebensgröße. Dies war kein Porträt von Riley Templeton, dem erfolgreichen Anwalt. Seine Mutter würde es sicher sehr
bedauern, dass Rhona ihn nicht in Robe und Perücke dargestellt hatte. Riley trug kein Jackett und hatte die Ärmel hochgekrempelt. Er hatte die Krawatte gelöst, die ihm nun locker um den Hals hing, kniete auf dem Boden, und ein Säugling streckte die Hände nach dem bunten Stoffstreifen aus. Das Bild stellte Riley und Savannah im stummen Zwiegesprach dar: Der erwachsene Mann hatte sich vorübergehend von seinem Misstrauen und Zynismus befreit, und das Kind kannte noch keinen Argwohn. Rhona hatte Rileys Mundwinkel so gemalt, dass sie leicht nach oben zeigten, doch sein Lächeln ging weniger von dort aus als vielmehr von seinen Augen und dem zärtlichen Blick, mit dem er das Kind betrachtete. Das Bild trug keinen Titel, aber es hätte "Vater und Tochter" heißen können. Alexandra fuhr sich über die Augen, als sie spürte, dass jemand kam. Sie drehte sich um und sah Riley, der lächelnd auf sie zuging. Er war mehr, als sich eine Frau wünschen konnte, aber Rhona hatte in ihrem Bild Visionen von der Zukunft eingefangen, die so nie Wirklichkeit werden würden. Alexandra empfand tiefen Schmerz, nicht nur ihretwegen, sondern auch Riley und seiner Kinder wegen, die er nicht bekommen konnte. Er wäre ein wunderbarer Vater gewesen. Riley bemühte sich, langsam zu gehen. Wenn er seinem Gefühl nachgegeben hätte, wäre er zu ihr gerannt, wie ein Kind. Es gab ihm einen Stich, Würde es immer so sein? Würde er sich immer bewusst sein, dass er Alexandra mehr liebte als sie ihn? Wenn sie ihn denn überhaupt liebte. Riley verwarf den letzten Gedanken. Natürlich liebte sie ihn. Doch Alexandra hatte ein weiches Herz. Sie liebte verlassene Kinder, ihren Nachbarn, ihre bedürftigen Kunden und neue Hobbys. Riley fragte sich, ob er auch nur einer dieser Bedürftigen war, den sie aufgelesen hatte und nun liebte. Oder hatte sie ihn ausgewählt, weil er ihrer verrückten Vorstellung
von einem passenden Lebenspartner entsprach? Vielleicht war es eine tödliche Kombination aus beidem. Er rang mit sich. Alexandra hatte seinen Heiratsantrag angenommen, als er verletzt gewesen war und ihr vermutlich Leid getan hatte. Das störte ihn. Doch es hätte ihm auch nicht gefallen, wenn sie ihre Entscheidung kühl und berechnend getroffen hätte. Riley umarmte Alexandra und hielt sie einen Moment lang fest. Er atmete den Duft ihres Haares tief ein. Alexandra sah ihn an, und er bemerkte, dass sie Tränen in den Augen hatte. "Meiner Mutter entgeht nichts", sagte sie leise. "Auf dem Bild ziehst du dich gerade an - oder aus, wie üblich." Sie küsste ihn flüchtig auf den Mund und wandte sich dann wieder dem Bild zu. Sie wirkte traurig und schien ihm auszuweichen. Riley kam es vor, als hätte er einen Tritt in den Magen erhalten. Ihm wurde bewusst, dass er damit rechnete, von Alexandra abgewiesen zu werden. Vielleicht nicht heute, aber eines Tages. "Diese Pose hat mir heftige Rückenschmerzen verursacht", sagte Riley gelassen. Er betrachtete das Gemälde und bemerkte, dass Alexandra ihm immer wieder Seitenblicke zuwarf. Sie schien ihm etwas sagen zu wollen. Vielleicht dass sie einen Fehler gemacht hatte? Doch sie würde es ihm sicher schonend beibringen. Riley schloss die Augen und spürte bereits den Trennungsschmerz. "Riley", würde sie sagen, "es könnte nicht funktionieren. Aber lass uns bitte Freunde bleiben." Riley sah, dass Alexandra tief durchatmete. Gleich würde es passieren. "Es ist nicht fair!" rief sie und fing an zu weinen. Ihr Papiertaschentuch war schon durchweicht. Sie steckte es in die Tasche und suchte nach einem neuen. Riley reichte ihr sein Taschentuch. "Haben Rhonas Arbeiten immer diese Wirkung auf dich?" fragte er. "Und was ist nicht fair?"
"Dass Leute, die kein Interesse daran haben, Kinder bekommen können! Menschen, die sich dann sowieso nicht um ihre Kinder kümmern!" "Ja, das finde ich auch." Offenbar war dies nicht der Augenblick, vor dem er sich gefürchtet hatte. Riley entspannte sich. Alexandra drehte sich unvermittelt zu ihm um. Sie legte ihm die Hände auf die Arme und blickte ihn eindringlich an. Rileys Magen krampfte sich zusammen. Doch, es war soweit. "Riley ..." Sie zögerte und suchte wahrscheinlich nach den passenden Worten. Hatte sie deshalb geweint, als er gekommen war? Weil sie gerade ihre Abschiedsrede geübt hatte? Riley hatte plötzlich großes Mitgefühl mit den Angeklagten vor Gericht, die auf das Urteil warteten, das ihr Leben bestimmen würde. Er würde sich zusammennehmen müssen. Irgendwie würde er sich davon abhalten müssen, die Stellwände umzuwerfen und die Blumen aus den Beeten zu reißen. "Es ist schwierig für mich, denn wir haben nie darüber gesprochen. Ich weiß, dass es dir auch nicht leicht fällt, das Thema anzuschneiden ..." Alexandra biss sich auf die Lippe und sah Riley traurig und mitfühlend an. Sein hilfloser Zorn wuchs. Er würde wenigstens ein Blumenbeet vernichten, bevor er ging. "Ich meine, ich habe mir immer welche gewünscht, mich aber jetzt an den Gedanken gewöhnt, nie welche zu haben ... jedenfalls nicht auf die übliche Weise ..." Riley stellte sich zerfetzte Blüten und Blätter vor. Danach würde er zum Club fahren und sich sinnlos betrinken. Und Klavier spielen, bis zum Morgengrauen oder Umfallen, je nachdem. "Ich weiß, dass du dir vielleicht nicht vorstellen kannst..." Riley blickte sie verwirrt an.
"Aber ich dachte, wenn du dir die Zeit nehmen würdest, darüber nachzudenken, wärst du vielleicht damit einverstanden..." "Womit, Alexandra?" fragte er. "Lieber Himmel, sag es endlich, aber erwarte nicht von mir, dass ich dir das Stichwort gebe. Womit wäre ich einverstanden?" Sie befeuchtete sich die Lippen, richtete sich auf und umfasste seine Arme fester. Riley konnte ihr Mitleid nicht länger ertragen. "Adoption", stieß sie schließlich hervor. Sie blickte ihn nervös an und wartete auf seine Reaktion. Riley sah sie verwirrt an und versuchte, das Wort in die Reihe derer einzuordnen, auf die er gewartet hatte. Vorbei. Fehler. Schluss. Riley verstand überhaupt nichts mehr. Alexandra begann hastig zu sprechen. "Ich hätte es nicht erwähnen sollen. Hier ist nicht der richtige Ort dafür. Und ich möchte auch nicht, dass du denkst, ich hätte mich nicht damit abgefunden, keine eigenen zu haben. Es war nicht leicht, aber ich habe mich an den Gedanken gewöhnt," Es gehörte zu Rileys Beruf, komplizierte Zusammenhänge schnell zu durchschauen, doch im Augenblick schien sein Verstand nicht zu funktionieren. "Adoption?" fragte er, da es ihm das Schlüsselwort zu sein schien. "Es gibt natürlich auch andere Möglichkeiten, aber viele Männer können den Gedanken an Samenbanken nicht ertragen. Ein adoptiertes Kind ist natürlich nicht dasselbe wie ein eigenes, aber zum Vatersein gehört mehr als die Fähigkeit, ein Kind zu zeugen. Man muss sich täglich um das Kind kümmern, es lieben, beschützen und erziehen. Und all das kannst du." "Samenbanken?" fragte Riley leise. Alexandra blickte auf das Porträt. "Als ich das Bild sah, dachte ich ... aber vielleicht kannst du dich mit der Idee nicht
anfreunden. Deshalb sollst du wissen, dass ich niemals so werden würde wie Anna Brown." Ein Satz war Riley im Gedächtnis geblieben. Zum Vatersein gehört mehr als die Fähigkeit, ein Kind zu zeugen. Rileys Verstand schien seine Arbeit wieder aufzunehmen. Er dachte an einige Unterhaltungen mit Alexandra zurück. Ihre Pläne für eine große Familie, die mitleidigen Blicke, mit denen sie ihn manchmal bedachte. Wann hatte sie das Thema "Kinder" ihm gegenüber zum letzten Mal erwähnt? Riley zog einen unausweichlichen Schluss, dem er aber nicht vertraute, da er zu schön wäre, um wahr zu sein. "Riley", sagte Alexandra und legte ihm den Arm um die Taille, "ich liebe dich. Warum lassen wir die Dinge nicht einfach auf uns zukommen?" "Du hast dir immer Kinder gewünscht", sagte er. Es war einfach nicht möglich, dass sie es wirklich ernst meinte! "Du wärst eine wunderbare Mutter, und es würde einer Tragödie gleichkommen, wenn du keine Kinder bekommen würdest." "Nein, es wäre eine Tragödie, wenn ich dich nicht heiraten würde", sagte Alexandra leise. "Du willst mich auch dann heiraten, wenn ich dir ... keine Kinder schenken kann?" Alexandra sah ihn verwundert an. "Natürlich. Aber das weißt du doch." Riley konnte es noch immer nicht glauben. "Auch wenn ich mich nicht zu einer Adoption entschließen könnte?" Alexandra küsste ihn und sagte. "Ja, auch dann." Sie ließ die Hand über seinen Arm gleiten und ging zu Rhona, die sich gerade von einer Gruppe von Besuchern und Kritikern gelöst hatte. Jeff sah von weitem, dass Pam und Jeff angekommen waren, die Savannah im Buggy vor sich herschoben. Riley stand lange vor dem Gemälde und lenkte so die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich, die die Ähnlichkeit
bemerkten. Er glaubte noch immer, sich geirrt zu haben. Schließlich kam Rhona zu ihm. "Ich glaube nicht, dass ich gewinne", sagte sie. "Schade, ich hätte das Geld gut gebrauchen können. Allerdings kann ich auf einen Jahresvorrat dieser komischen Limonade durchaus verzichten." Pam und Jeff standen neben Alexandra, die Savannah auf dem Arm hatte und ihr ein Boot auf dem Fluss zeigte. "Freust du dich darauf, Enkelkinder zu haben, Rhona?" fragte Riley. Sie blickte ihn aufmerksam an. "Ist das deine Art herauszufinden, ob es mir etwas ausmacht, dass du zeugungsunfähig bist?" fragte sie ihn offen. "Hat Alexandra dir das erzählt?" Rhona nickte. "Sie hat lange damit gezögert." Einige Gäste kamen auf Rhona zu, um sie zu begrüßen. Riley zog sich zurück, bevor er in ein Gespräch verwickelt werden konnte. Er ging den Abhang hinunter zum Flussufer, blickte auf die Lichter der Stadt und dann zum Sternenhimmel hinauf. Alexandra liebte ihn so sehr, dass sie ihren Traum für ihn aufgeben würde. Schweißperlen traten Riley auf die Stirn, obwohl eine kühle Brise vom Fluss herüberwehte. Er verachtete sich dafür, Alexandra misstraut und auf einen Beweis ihrer Liebe gewartet zu haben. Riley stand lange am Flussufer und dachte über Dankbarkeit nach, über Liebe und die Schönheit der Blumen. Er stand noch immer am Ufer, die Hände in den Hosentaschen, und seine Silhouette hob sich vom glitzernden Wasser deutlich ab, Alexandra hatte ihn schon eine Weile nervös beobachtet, ging jetzt aber zu ihm. Sie hatte ihn mit ihrem Gerede über Adoptionen offensichtlich verletzt. "Riley", sagte sie leise.
Er drehte sich zu ihr um und nahm ihre Hand. Die Lichter der Stadt spiegelten sich in seinen Augen wider, so dass es aussah, als würde er weinen. "Das Lied heißt 'Veracity"', sagte er. "Die Melodie, die dir nicht aus dem Kopf geht und die du zu kennen glaubst." Alexandra überlegte. "Nein, der Titel sagt mir nichts. Aber die Melodie kommt mir so bekannt vor ..." "Das Lied hat auch keinen Text." "Aber ich hätte schwören können ... Bist du sicher?" "Ganz sicher. Ich habe das Lied komponiert und keinen Text dazu geschrieben." "Das Lied ist von dir?" Riley zog sie an sich und ließ seine Wange in ihrem Haar ruhen. "Du konntest es überhaupt nicht kennen, Darling. Du hast es nur einmal gehört. Dass du meine Melodie ständig im Kopf hattest und davon überzeugt warst, den Text zu kennen, obwohl es keinen gibt... Das war ein gutes Omen." "Ich dachte, ihr Anwälte wärt nicht abergläubisch?" "'Hoffnungsvoll' trifft es vielleicht eher. Ich hoffte, es hätte etwas zu bedeuten. Vor allem, da dich meine virtuose Leistung überhaupt nicht beeindruckt hat." Alexandra blickte ihn gespielt unschuldig an. "Welche Leistung?" Er lächelte und presste Alexandra fest an sich. "Ach so", sagte sie leise, "die virtuose Leistung ... hat sie mich beeindruckt? Du musst meine Erinnerung vielleicht ein wenig auffrischen ..." Riley führte Alexandra zu einem abseits gelegenen Baum und bewies seine Geschicklichkeit beim Öffnen kleiner Knöpfe. Alexandra spürte die kühle Nachtluft auf ihrer nackten Haut und dann Rileys warme Lippen. Sie stöhnte leise auf. Plötzlich hörten sie Stimmen. Riley stellte seine Geschicklichkeit wieder unter Beweis, und als eine Familie mit
zwei Kindern an ihnen vorbei zum Fluss ging, boten Riley und Alexandra wieder einen anständigen Anblick. Sie beobachteten die Kinder. "Ich hoffe, dass ich dich vorhin nicht zu sehr verärgert habe, als ich ..." begann Alexandra zögernd. Riley legte ihr einen Finger auf die Lippen. "Alexandra, du scheinst da etwas missverstanden zu haben." Sie sah ihn besorgt an. "Hör zu, ich werde das Thema nie wieder ansprechen, es sei denn, du willst darüber reden. Okay?" Er schüttelte den Kopf. "Alexandra, ich bin nicht zeugungsunfähig." Sie sah ihn verwirrt an. "Wie bitte?" "Es ist alles in Ordnung ... ich meine, ich habe keinen Grund anzunehmen, dass ... es bei mir ... nicht funktioniert." "Wie bitte?" "Was soll ich sagen. Ich kann Kinder zeugen." Alexandra sah ihn schweigend an und wich ein wenig von ihm zurück. "Als wir uns kennen lernten, sagtest du, dass du nie Kinder haben würdest." "Aber nicht, dass ich keine haben könnte." "Doch, du hast es mir gesagt!" Alexandra trat noch einen Schritt zurück. "Du hast nur die falschen Schlüsse aus meinen Worten gezogen." Alexandra blickte auf den Fluss hinaus und wandte sich dann wieder Riley zu. "Ich habe mich bei dir dafür entschuldigt, dass ich dich an deine Unfruchtbarkeit erinnert habe!" "Und ich sagte, ich würde dein Mitleid nicht brauchen", sagte Riley. "Das war doch deutlich genug. Ich brauchte kein Mitleid, weil ich kein Problem habe." Alexandras Ärger wuchs, als Riley jede ihrer Annahmen mit völlig logischen Erklärungen widerlegte. "Du sagtest, es müsse
mehr sterile Menschen auf der Welt geben, weil viele Kinder schlecht behandelt würden." "Das war doch nur ein Beispiel", sagte Riley ruhig. "Du hast dir gleich am Anfang deine Meinung gebildet und jedes meiner Worte als Bestätigung deiner Vermutung gesehen. Es ist immer ein großer Fehler, wenn man ..." Alexandra holte aus und versetzte ihm einen Schlag gegen die Schulter. "Wag es ja nicht, mir einen Vortrag zu halten, du eingebildeter ..." Alexandra sah Riley böse an. "Du hast mich glauben lassen, du könntest nicht ... wir würden nie ... Ich habe die schlimmsten Monate meines Lebens damit zugebracht, mich mit etwas abzufinden, das überhaupt nicht wahr ist! Ich habe Höllenqualen gelitten, und du sagst einfach, alles sei meine Schuld, weil ich dich falsch verstanden hätte!" Sie wollte ihn noch einmal schlagen, aber Riley hielt ihr Handgelenk fest. "Alexandra", sagte er mühsam beherrscht, "ich fahre jetzt in den Club. Wir reden weiter, wenn du dich beruhigt hast." "Sei nicht so überheblich", fuhr sie ihn an. "Also gut, wenn wir uns beide beruhigt haben." Doch Riley wirkte nicht im Geringsten zerknirscht, sondern schien sich ihr überlegen zu fühlen. Er verabschiedete sich von Rhona, Pam, Jeff und Savannah und ging. Alexandra blickte ihm nach. Als sie Rhonas fragenden Blick spürte, sah sich Alexandra demonstrativ die anderen Bilder der Ausstellung an. Rhona kam zu ihr. "Habt ihr euch gestritten?" "Er ist nicht unfruchtbar!" rief Alexandra. "Glaubst du das?" Rhona wirkte verblüfft. "Oh." "Ich habe monatelang gelitten, um mir den Traum von einer Familie aus dem Kopf zu schlagen. Und er versteht nicht einmal, dass ich jetzt wütend bin!"
"Das ist unentschuldbar", sagte Rhona. "Du hast dich so angestrengt, und plötzlich ist dieser Schwindler gar nicht steril! Vielleicht sollte er sich operieren lassen, damit deine Mühe nicht vergebens war." Alexandra blickte ihre Mutter starr an. "Er ist nicht steril", wiederholte sie leise. "Na, freu dich nicht zu früh. Auf der ganzen Welt werden die Männer immer zeugungsunfähiger." "Er ist nicht steril", stellte Alexandra noch einmal fest. "Er kann Kinder zeugen!" Sie lachte. "Er kann Kinder zeugen!" "Und das freut mich für euch", sagte Rhona. Sie umarmte Alexandra. "Und jetzt geh ihm nach. Du brauchst nicht bis zur Preisverleihung zu warten. Ich gewinne sowieso nicht, und die Reden sind bestimmt langweilig." Einige Fans standen um das Klavier herum. Es war noch früh am Abend, und der Club war noch nicht ganz vom Rauch vernebelt. Alexandra erkannte Riley, der sich über die Tasten gebeugt hatte. Er hatte sein Jackett ausgezogen, die Weste aufgeknöpft und die Krawatte abgenommen, die jetzt unordentlich in seiner Hosentasche steckte. Alexandra stellte sich neben das Klavier und betrachtete den Mann, der immer nur halb angezogen zu sein schien. "Riley", sagte sie. Einer der Fans forderte sie auf, still zu sein. Alexandra trommelte mit den Fingerspitzen aufs Klavier und war dabei nicht einmal im Takt. Das Stück ging zu Ende, und Riley streckte sich. Er hatte diesmal keine Zigarette im Mundwinkel. "Ich muss mit dir über ein Baby reden", sagte Alexandra. "Hast du eins oder willst du eins?" "Ich will eins." Den Fan, der auf den Beginn der nächsten Nummer wartete, schien die Unterhaltung zu langweilen.
"Einfach so?" fragte Riley und warf seinem Fan einen flüchtigen Blick zu. "Wünschst du dir ein musikalisches Kind und willst deswegen meine Gene mit deinen kombinieren?" "Ja", antwortete Alexandra. "Ich habe mich umgesehen. Du scheinst der beste Kandidat zu sein." "Tatsächlich?" "Du bist in guter körperlicher Verfassung und siehst nicht übel aus." Alexandra suchte nach Anzeichen dafür, dass Riley diese oberflächliche Einschätzung seiner Qualitäten unsicher machte. Doch es schien nicht so zu sein. Riley wusste genau, wie sehr sie ihn liebte und was sie für ihn aufgegeben hätte. Rileys Selbstvertrauen war nie größer gewesen. "Natürlich gibt es in deiner Familie einen Hang zur Arroganz und Besserwisserei, aber das ist vermutlich nicht erblich." Der Fan verschränkte die Arme und klopfte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden. "Also, wann soll es losgehen?" fragte Riley. Alexandra zuckte die Schultern. "Gibt es hier einen Ort, wo wir allein sein können?" "Natürlich. Ich kann den Schreibtisch im Büro leer räumen." Riley stand auf und griff nach seinem Jackett. "Sie gehen jetzt?" fragte der Fan entrüstet. "Mitten im Konzert?" Er wandte sich an Alexandra. "Können Sie nicht noch etwas warten?" "Es gibt wichtigere Dinge als Jazz", sagte sie energisch. Der Mann blickte ihr schockiert nach. Sie gingen durch die ruhigen Straßen, und Riley wirkte plötzlich sehr ernst. "Ich war mir nicht sicher, ob du mich liebst", gestand er. "Du bist so mitfühlend und großzügig und kümmerst dich um jeden, der Hilfe braucht..." Alexandra lachte. "Aber du wirkst nicht besonders hilfsbedürftig."
"Als ich heute endlich verstand, dass du dachtest, du müsstest auf Kinder verzichten, wenn du mich heiraten würdest..." Riley dachte an das Gespräch am Fluss zurück und sah Alexandra so liebevoll an, dass es ihr beinahe den Atem nahm. "Von dir geliebt zu werden, Alexandra Page..." sagte er leise und strich ihr zärtlich eine Locke aus der Stirn. "Ich habe wirklich viel Glück gehabt." "Ich auch. Ich habe lange geglaubt, du würdest Davina wieder heiraten." Alexandra erinnerte sich genau daran, dass ihre Mutter ihr diesen Eindruck vermittelt hatte. Doch vielleicht war es Rhonas Absicht gewesen, sie, Alexandra, so auf den richtigen Weg zu bringen. Die arme Fiona Templeton. Sie hatte so hart daran gearbeitet, Davina und Riley wieder zusammenzubringen. Dabei hatte sie keine Ahnung gehabt, dass sich die Dinge längst anders entwickelt hatten. "Und ich dachte, du würdest den verrückten Graham heiraten." "Er ist nicht verrückt", protestierte Alexandra. "Er geht keinen Schritt, ohne die Stoppuhr einzustellen. Mit ihm zu schlafen muss doch in höhere Mathematik ausgeartet sein. Misst er vorher und hinterher eigentlich seinen Puls?" Alexandra lehnte sich lächelnd an ihn. Riley war doch nicht so selbstsicher, wie er tat. "Ich weiß es nicht", sagte sie. Rileys Augen funkelten. "Heißt das ...?" "Er hat doch für den Triathlon trainiert." "Und das bedeutete ..." "Keinen Kaffee, keinen Alkohol und keinen Sex", erklärte Alexandra. Riley lachte. "Du hast mich in dem Glauben gelassen, du würdest mit Graham schlafen." "Nein, Riley", sagte Alexandra gespielt entrüstet, "du hast nur voreilige Schlüsse gezogen. Das ist immer ein großer Fehler." Sie hatten den Parkplatz erreicht. "Wo wollen wir eigentlich hin?" fragte Alexandra.
"In meine Wohnung. Wenn ich meine Gene mit deinen kombinieren soll, würde ich gern ein wenig üben." Der Duft von Thymian lag in der Luft. Immer wieder streifte ein Gast die Pflanzen am Rand von Alexandras Küchengarten. Sams Pflaumenbaum stand in voller Blüte, und Bienen summten um ihn her. Von der Weide drang hin und wieder ein Blöken. In der Mitte des Gartens befand sich ein Tisch, auf dem Essen und ein großer Vorrat an Limonadendosen standen. Der Platz in der Mitte wurde von einem Geburtstagskuchen eingenommen, auf dem Herzlichen Glückwunsch, Savannah stand. Er war mit grüner Buttercreme überzogen, und mehrere grüne Zuckerfrösche saßen auf rosa Marzipanseerosen. Eine rosa Kerze brannte auf dem Kuchen. Savannah ging einige Schritte in ihren neuen weißen Schuhen und freute sich über die Aufmerksamkeit, die sie erregte. Schließlich ließ sie sich auf eine Salbeipflanze sinken. "Savannah, sieh mal her zu mir", rief Riley. Er fotografierte die Kleine, und sie lief auf ihn zu. Ihre Füße schienen kaum den Boden zu berühren. Riley gab Alexandra die Kamera, breitete die Arme aus, und Savannah warf sich hinein. Sie quietschte vor Vergnügen, als Riley sie hochhob. Alexandra beobachtete sie durch den Sucher des Fotoapparats. Riley und Savannah verstanden sich großartig und lachten einander an. "Du wirst ein wunderbarer Vater", sagte Alexandra, als Pam mit Savannah zum Geburtstagskuchen gegangen war. Riley holte sich die Kamera und wollte ein Foto von Pam und Savannah vor dem unberührten Kuchen machen. "Ja, mit der Zeit sicher. Ich übe ja noch." "Wären neun Monate lange genug zum Üben?" fragte Alexandra. "Pam!" rief Riley und winkte sie ein wenig nach links. "So ist es gut. Bleibt so."
Pam blieb stehen. Riley hatte den Finger schon auf dem Auslöser, drehte sich aber plötzlich um. "Was hast du gesagt?" "Schnell, Riley", sagte Pam, als Savannah die Hände nach dem Kuchen ausstreckte. Pam versuchte, sie zurückzuhalten, doch schließlich erreichte Savannah ihren Geburtstagskuchen und erwischte eine Hand voll Glasur. Ein Frosch landete auf der Tischdecke. Savannah leckte sich zufrieden die Finger ab. "Was hast du eben gesagt?" wiederholte Riley. Sie blickte ihm in die Augen. Rileys Kind würde vermutlich die dunkelblauen Augen seines Vaters erben. Alexandra lächelte und legte Riley die Hände auf die Schultern. "Ich bin nicht ganz sicher ..." gestand sie und beobachtete ihn gespannt. Riley hatte so viele Bedenken bezüglich der Gefahren der Kindererziehung geäußert. "Mein Zyklus ist manchmal etwas unregelmäßig, aber ..." Riley sah sie ernst an. Er nahm ihre Hände von seinen Schultern und hielt sie fest. "Riley?" fragte Alexandra ängstlich. "Bist du böse? Ich hätte es dir vielleicht noch nicht sagen sollen. Vielleicht bin ich ja auch gar nicht schwanger ..." Riley schluckte und küsste Alexandras Hände. "Ich hoffe sehr, dass du ein Baby bekommst", sagte er schließlich. "Immerhin haben wir schon herausgefunden, wie man ein Baby badet und ihm die Haare wäscht. Es wäre doch schade, wenn wir dieses Wissen nicht noch einmal anwenden könnten." Alexandra lachte und zog Riley einige Schritte zur Seite. "Glaubst du, wir schaffen es, Riley? Du und ich? Du sagst doch immer, dass es zu viele schlechte Eltern auf der Welt gibt. Glaubst du, dass du es eines Tages bereuen wirst?" "Ich weiß es nicht", gestand Riley und nahm Alexandra lächelnd in die Arme. "Aber wir müssen es wohl miteinander versuchen. Schließlich standen unsere Namen in dem Brief."
-ENDE-