Parker knackt die Terror-Festung Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges »Es war ein...
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Parker knackt die Terror-Festung Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges »Es war ein Falke oder sonst irgendein Raubvogel«, sagte der kleine, schmale Mann und rückte die Brille auf der Nase zurecht, deren Gläser als Lupen dienen konnten. »Aber dieser Raubvogel hatte zwei Beine, verstehen Sie?« »Vögel pflegen dies gemeinhin zu haben«, erwiderte Butler Parker in seiner höflichen Art. »Es waren ganz besondere Beine«, sagte Paul Wesley, »und was ich Ihnen jetzt sage, klingt unglaublich.« »Sie erregen von Sekunde zu Sekunde immer mehr meine bescheidene Neugier«, erwiderte Parker geduldig und gemessen. »Könnten Sie mir freundlicherweise diese Beine ein wenig näher beschreiben?« »Es waren ... Menschenbeine, verstehen Sie?« Paul Wesley, fünfzig Jahre alt, räusperte sich und sah den Butler verlegen an. »Nein, ich habe mich nicht getäuscht und bin auch nicht verrückt, wie die Polizei vielleicht glaubt.« »Eine Unterstellung, wie die Polizei sie möglicherweise vorgenommen hat, würde ich mir nie erlauben, Sir.« Parker befand sich zusammen mit Paul Wesley in der Halle eines kleinen Ferienhotels in der Nähe von Perth, nördlich von Edinburgh in Schottland. Paul Wessely hatte auf den Butler
bisher einen recht glaubwürdigen Eindruck gemacht. »Es waren Menschenbeine, mit richtigen Füßen«, redete Paul Wesley weiter. »Zugegeben, Mr. Parker, ich habe diese zweibeinigen Falken nur für wenige Augenblicke gesehen, aber die reichten bereits. Ich würde jeden Eid darauf schwören, daß es Falken waren.« »Vielleicht eine spezielle Spezies«, schlug der Butler vor. »In der Natur soll nichts unmöglich sein, wie führende Wissenschaftler immer wieder versichern.« »Ich habe noch etwas vergessen, Mr. Parker.« Paul Wesley griff nach dem Milchglas und nahm einen Schluck. »Und wenn ich Ihnen das sage, werden Sie mich verspotten.« »Diese Möglichkeit können Sie ebenfalls ausschließen«, entgegnete Josuah Parker. Er war gekleidet wie üblich: Zur schwarzen Hose und den schwarzen Schuhen trug er eine dunkle Weste und einen schwarzen Zweireiher. Auf seinem Kopf saß eine schwarze Melone, und zwischen den Beinen hielt er seinen altväterlich gebundenen, schwarzen Regenschirm. Parker war der Prototyp des englischen Butlers, wie man ihn nur noch auf der Bühne oder in Filmen zu sehen bekommt. Er hatte das ausdruckslose Gesicht eines Pokerspielers und graue
Augen, denen kaum etwas entging. Seine Bewegungen waren gemessen und würdevoll. Hast schien Josuah Parker überhaupt nicht zu kennen. Wie alt er war, ließ sich nur schwer bestimmen. Ein guter Menschenkenner hätte ihn zwischen fünfzig und sechzig geschätzt. »Ich traue mich kaum, es Ihnen zu sagen, Mr. Parker«, redete Paul Wesley inzwischen weiter.« »Spott oder Hohn sind von meiner bescheidenen Person nicht zu erwarten«, erklärte Parker. »Ein Mann Ihrer Seriosität würde wohl nie auf den Gedanken kommen, leichtfertige Behauptungen aufzustellen.« »Also gut, Mr. Parker.« Paul Wesley nickte langsam. »Dieser Falke mit den Menschenbeinen war... ein Meter achtzig groß!« »Das ist allerdings zumindest verblüffend«, räumte Josuah Parker ein. »Sie sind sicher, sich nicht getäuscht zu haben?« »Ein Meter achtzig, Mr. Parker. Ein wahrer Riese!« »Der allerdings nicht flog, Sir?« Parker verzog keine Miene. »Nein, er schlich durch das Unterholz, geräuschlos, verstehen Sie? Es war ein reiner Zufall, als ich ihn entdeckte.« »Entdeckte dieser riesige Falke auch Sie, Sir?« »Das weiß ich nicht, Mr. Parker. Er verschwand wie eine Erscheinung. Er war plötzlich ganz einfach weg.« »Worauf Sie was taten, Sir?« »Ich packte mein Angelzeug ein und rannte zurück in die nächste Ortschaft. Von dort aus rief ich die Polizei an.« »Die kam und Ihren Bericht skeptisch zur Kenntnis nahm?«
»Ein Wunder, daß man mich nicht lauthals ausgelacht hat, Mr. Parker. Und das, obwohl ich diesen zweibeinigen Riesenfalken genau beschreiben konnte. Aber nein, der Sergeant erkundigte sich nach meiner Brillenstärke. Das war seine einzige Reaktion.« »Er fragte Sie wahrscheinlich auch nach irgendeiner alkoholischen Flüssigkeit, die Sie vielleicht zu sich genommen hätten, nicht wahr?« »In einem unmöglichen Ton, Mr. Parker.« Paul Wesley nickte bestätigend und ärgerte sich noch mal. »Wo ich doch fast schon ein Abstinenzler bin.« Butler Parker ging auf dieses Thema nicht näher ein. Ihm war nicht entgangen, daß die Milch mit Sicherheit durch eine gehörige Portion Rum gewürzt war. * Lady Agatha Simpson war eine mehr als stattliche Erscheinung. Ihre majestätische Fülle wurde von einem weiten, faltenreichen Tweed-Kostüm umhüllt. Auf ihrem Kopf saß ein skurriler Hut, der eine pikante Mischung aus Südwester und Napfkuchen darstellte. An ihrem Unken Handgelenk baumelte ein perlenbestickter Pompadour, wie er von den Damen der Gesellschaft um die Jahrhundertwende getragen wurde. Sie war nicht nur stattlich, sondern auch geradezu immens reich. Mit dem Blut- und Geldadel der Insel verschwistert und verschwägert, seit vielen Jahren Witwe, hatte Lady Simpson sich der Kriminalistik
verschrieben und betätigte sich in ihrer Freizeit als Amateurdetektiv. An diesem Mittag saß sie in der Halle eines kleinen Ferienhotels und unterhielt sich mit einer gewissen Miß Margie Stanless, die schätzungsweise sechzig Jahre zählte. Es handelte sich um eine zähe, hagere Dame, die offensichtlich genau wußte, wovon sie sprach. »Ich bin Malerin«, sagte sie gerade nachdrücklich. »Darum bin ich auch jedes Jahr hier oben in Schottland, hier gibt es sehr reizvolle Landschaften und Motive. Was ich mal gesehen habe, habe ich gesehen, verstehen Sie, Mylady?« »Haben Sie vielleicht das gezeichnet, was Sie gesehen haben, meine Liebe?« fragte Lady Agatha interessiert. »Es braucht ja nicht gerade ein Ölgemälde zu sein.« »Ich fertige nur Aquarelle an«, wehrte Margie Stanless lächelnd ab. »Man kann die Farben weicher mischen, verstehen Sie?« »Sie haben also das farblich gemischt, was Sie gesehen haben?« Noch flötete Lady Simpson freundlich, doch ein Kenner hätte wohl schon ein erstes Grollen der Ungeduld in ihrer Stimme festgestellt. Das Alter der Lady war übrigens nicht leicht zu bestimmen. Sie selbst redete darüber grundsätzlich nicht. Vor Jahren hatte sie beschlossen, keine Geburtstage mehr zu feiern. Ihre dunkelgrauen Augen verrieten jedoch Tatkraft und Entschlossenheit. Und jetzt ging ihr alles zu langsam. Sie wolle endlich die Zeichnung sehen. »Ich habe gezeichnet, was ich gesehen habe, Mylady«, antwortete Margie
Stanless. »Aber wenn Sie das Bild betrachten, werden Sie wahrscheinlich denken, ich hätte da einen Alptraum zu Papier gebracht.« »Ich werde Ihnen später sagen, was ich gedacht habe«, schlug Lady Agatha vor. »Kann ich nun endlich das Bild sehen?« »Ich werde es holen, Mylady. Gedulden Sie sich einen Moment!« Margie Stanless stand auf und ging zur Treppe, die ins Obergeschoß des kleinen Hotels führte. Agatha Simpson stand auf und marschierte ungeduldig durch die Halle. Sie sah hinunter in ein bewaldetes Tal, das sich bald verengte und zu einer Schlucht wurde. Es wurde durchflössen von einem kleinen Bach, der von dichtem Strauchwerk umsäumt war. »Mylady, Mylady!« Agatha Simpson wandte sich um und vermißte in den Händen der Miß Stanless die erwartete Zeichnung. »Sie haben die Zeichnung verlegt?« fragte die Detektivin. Sie schien leicht ergrimmt zu sein. »Verlegt? Sie ist gestohlen worden!« »Wer sollte das getan haben?« »Ich weiß es nicht, aber wahrscheinlich die Kreatur, die ich da unten im Tal gesehen habe.« »Was, Sie mal gesehen haben, das vergessen Sie nie wieder«, erinnerte Agatha Simpson und faßte sich in Geduld. »Stellen Sie einfach eine zweite Zeichnung her!« »Dazu ... brauche ... ich Zeit«, erwiderte der weibliche Feriengast zögernd. »Ich muß das alles erst noch mal in Gedanken reproduzieren, verstehen Sie?«
»Nein«, gab Lady Agatha grollend zurück. »Mir genügen ein paar Striche, ein Umriß. Ich verlange kein Meisterwerk von Ihnen, Miß Stanless.« »Ich weiß nicht recht, Mylady ...« Margie Stanless machte einen recht hilflosen Eindruck. »Dann beschreiben Sie wenigstens das, was Sie gesehen haben?« drängte Agatha Simpson, deren leichte Reizbarkeit bereits durchschimmerte. Sie haben da von einem Riesenfalken gesprochen, der auf Menschenbeinen durch das Unterholz marschiert ist. Das werden Sie doch näher beschreiben können, oder?« »Ich habe mich wahrscheinlich getäuscht, Mylady.« Margie Stanless lächelte verlegen. »Das wechselnde Spiel von Licht und Schatten, Sie verstehen? Ich muß mich geirrt haben.« »Sie haben also Angst, meine Liebe?« Die Stimme der älteren, energischen Lady zeigte plötzlich Mitgefühl. »Sie haben oben in Ihrem Zimmer irgendeine Warnung gefunden, oder etwa nicht?« »Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Mylady.« Margie Stanless wandte sich abrupt ab und verließ die Halle. Agatha Simpson, die auf solch eine Unhöflichkeit normalerweise recht nachdrücklich reagiert hätte, nickte nur und war überhaupt nicht verärgert. Sie ahnte, wie sehr Margie Stanless unter Druck stand. * Sie sah aus wie ein scheues Reh, war fünfundzwanzig Jahre alt und hatte kastanienbraunes Haar mit einem
leichten Stich ins Rote, hieß Kathy Porter und war die Sekretärin und Gesellschafterin der Lady Simpson. Als Meisterin der Maske saß sie an diesem Mittag auf einem mittelgroßen Pony und trabte durch das waldreiche Gelände in Richtung Bankfoot. Kathy hatte den schmalen Flußlauf durchquert und folgte einigen Zeichen, die in fast regelmäßigen Abständen an den Baumstämmen befestigt waren. Es handelte sich dabei um den international bekannten Hinweis für einen Campingplatz. Sie ließ sich viel Zeit und beobachtete die Umgebung. Das Unterholz war dicht verstrüppt und bildete natürliche Hindernisse, die ohne Buschmesser nicht zu nehmen waren. Die Reiterin trug Jeans, einen weiten Pulli und hatte sich ein Kopftuch umgebunden, dazu wirkte die Brille nicht sonderlich modisch. Kathy Porter war auf den ersten und zweiten Blick hin eine nicht gerade fürstlich bezahlte Sekretärin, die sich aber hier in Schottland ein paar nette Ferientage machen wollte. Nach einer halben Stunde zügelte sie das Pony, stieg ab und näherte sich vorsichtig und auch ein wenig ängstlich einer Art Felsenklippe, die einen einmalig schönen Blick auf die Kuppen die Berge bot. Die Ausflüglerin entdeckte das Camp, nach dem sie suchte. Es lag in einem nahen Talkessel und am Ufer eines kleinen Sees, der eigentlich mehr ein Weiher war, wie sie feststellte. Kathy Porter schlenderte ein wenig herum und entschied sich dann für
einen verschwiegenen kleinen Platz, der zum Wald hin von mächtigen Felsklötzen begrenzt wurde. Sie sah scheu in die Runde und streifte dann fast verlegen den Pulli ab. Sie wollte offensichtlich ein Sonnenbad nehmen, traute sich aber nicht so recht. Trotz der Einsamkeit hier oben auf dem Bergkamm fürchtete sie, beobachtet zu werden. Doch ihr Sonnenhunger siegte. Kathy lehnte sich gegen einen der warmen Felsen und nestelte noch zusätzlich an ihrem BH. Nach einem weiteren scheuen Rundblick, der nichts als Felsen zeigte, legte die junge Dame sich ins Gras und schloß die Augen. Eine möglicherweise etwas prüde Sekretärin hatte ihre Scham überwunden und genoß die Wärme, so schien es. Nach etwa zehn Minuten war ein schwaches, scharrendes Geräusch zu vernehmen, auf das die scheinbare Naturfreundin allerdings nicht reagierte. Das Scharren wurde lauter, Metall klirrte gegen Metall, dann war ein feines Wispern zu vernehmen. Kathy Porter reagierte noch immer nicht. Sie war natürlich alles andere als prüde, hatte sich hier als optischer Lockvogel angeboten und brauchte sich ihres Aussehens sicher nicht zu schämen. Jeder Aktfotograf hätte sich darum gerissen, die junge Dame als Modell zu engagieren. Als in der Nähe ein Eichelhäher zeterte, wußte Kathy Porter Bescheid. Sie hatte sich nicht getäuscht, sie wurde eindeutig beobachtet. Selbstverständlich blieb sie gelassen liegen und setzte weiter auf ihre Formen. Diejenigen, die sie aus der
Nähe betrachten wollten, sollten ruhig herankommen. Angst hatte Kathy Porter nicht. Es gab wohl kaum eine fernöstliche Kampfart, die sie nicht kannte. Davon hatten in der Vergangenheit schon viele Schläger und Gangster ein Lied mit vielen Strophen singen können. Sie wurde völlig überrascht. Plötzlich fiel eine schwere Jacke über ihren Kopf. Kathy Porter richtete sich auf, schrie, wie es zu ihrer Rolle gehörte, und wollte sich die Jacke vom Kopf zerren. Da merkte sie aber, daß sie von zwei starken, nackten und behaarten Männerarmen festgehalten wurde. »Halt die Klappe, Süße«, fauchte eine rauhe Stimme. »Halt den Rand, sonst biste hin!« Die Überfallene spürte die Schneide eines Messers an ihrer Kehle und bewegte sich daraufhin nicht mehr. Sie schien vor Schreck wie gelähmt zu sein und riskierte auch dann keine Abwehrbewegung, als sich rauhe Männerhände mit ihren Jeans befassen wollten .. . * »Es sei mir erlaubt zu betonen, Mylady, daß ich diese Geschichte mit jenem erforderlichen Vorbehalt widergegeben habe, die auch meine bescheidene Wenigkeit erfüllt«, schloß Josuah Parker den Bericht, den er seiner Herrin gerade erstattet hatte. Er war von seinem Besuch bei Paul Wesley zurückgekehrt und hielt sich in der Hotelsuite auf, die Agatha Simpson in dem reizenden Ferienort Birnam gemietet hatte.
»Ein Wesen mit Menschenbeinen und einem Falkenkopf«, wiederholte die Lady und machte einen angeregten Eindruck. »Das ist eine sehr gute Geschichte, Mr. Parker.« »Sie wurde von einem Herrn erzählt, Mylady, der seine Milch mit Rum zu trinken pflegt.« »Ein nobles Getränk«, meinte Lady Agatha. »Dieser Mann hat Geschmack. Aber bleiben wir bei diesen Falken, Mr. Parker.« »Mr. Wesley sah nur eines dieser seltsamen Exemplare, Mylady.« »Meine Miß Stanless scheint auch so etwas gesehen zu haben«, entschied die Detektivin mit letzter Sicherheit. »Und sie hätte mir auch davon erzählt, wenn dieser Zwischenfall nicht passiert wäre.« Parker kannte diesen Vorgang bereits und wußte von der verschwundenen Zeichnung. »Mylady bezweifeln also nicht die Existenz solcher Wesen?« erkundigte sich der Butler. »Wie war das damals im alten Ägypten, Mr. Parker?« fragte Lady Agatha. »Gab es nicht solche Menschen mit Falkenköpfen? Ich meine, als Reliefs oder so?« »Durchaus und in der Tat, Mylady! Diese mythologischen Wesen scheint man sich hier als Vorbilder auserkoren zu haben.« »Wer ist >man<, Mr. Parker?« »Die Frage bedarf einer Erklärung, Mylady«, entgegnete der Butler. »Mylady wollen sich diesem Phänomen widmen?« »Was dachten denn Sie, Mr. Parker? Wozu bin ich nach Schottland gereist? Ohne diesen ulkigen Leserbrief in der
>Times< hätte ich doch nie von diesen geheimnisvollen Wesen erfahren.« Myladys Hinweis entsprach den Tatsachen. Bei der Morgenlektüre der Zeitung war sie auf eine Zuschrift gestoßen. Ein Mr. Herbert L. Ladders aus Edinburgh hatte darin von Riesenfalken berichtet. Der Brief war als eine Art Füller ohne jeden Kommentar abgedruckt worden und wahrscheinlich längst der Vergessenheit anheim gefallen. Nur Lady Simpson, aufmerksam wie immer und ausgestattet mit einem ausgeprägten Sinn für Skurriles, hatte sich für diese wenigen Zeilen interessiert und war zusammen mit Kathy Porter und Butler Parker umgehend nach Schottland gefahren, um die Dinge an Ort und Stelle zu kontrollieren. »Haben Sie schon versucht, diesen Ladders zu erreichen, Mr. Parker?« erkundigte Agatha Simpson sich, während sie sich mit ihren Kreislauf beschäftigte und ihn durch die Einnahme eines doppelten Kognaks stärkte. »Bevor ich mir erlaubte, Mylady aufzusuchen, rief ich erneut an«, gab Parker zurück. »Auf der Gegenseite wurde nicht abgehoben. Wenn Mylady einverstanden sind, werde ich mir erlauben, andere Mittel und Wege zu suchen, um Mr. Ladders zu erreichen.« »Mit solchen Kleinigkeiten gebe ich mich nicht ab.« Sie schüttelte den Kopf. »Tun Sie das, was Sie für richtig halten. Bleiben wir bei diesem komischen Falken. Warum solch eine Maskerade? Treibt da
irgendein Narr sein Unwesen, oder haben wir es vielleicht mit einem neuen Fall zu tun?« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit ratlos«, räumte Parker ein. »Wie immer.« Die resolute Dame stärkte erneut ihren Kreislauf, und ihre Wangen röteten sich. »Warten wir ab, was Kathy in Erfahrung bringt. Sie ist doch unterwegs zu diesem Pfadfinderlager, nicht wahr?« »Von dort wurde ebenfalls von einem seltsamen Tiermenschen berichtet, Mylady. Die Polizei von Dunkeld glaubt an einen etwas makabren Scherz, was diesen Riesenfalken betrifft.« »Könnte es sich dabei um einen Irren handeln?« »Es gibt der Möglichkeiten viele, Mylady. Immerhin scheint festzustehen, daß dieses mythologische Wesen bisher noch nicht gewalttätig wurde.« »Was nicht ist, kann hoffentlich noch werden«, sagte Agatha Simpson. »Wer treibt sich warum in dieser doch recht einsamen Gegend herum? Was bezweckt dieser Falke damit? Will er abschrecken? Dann frage ich mich, und hoffentlich fragen auch Sie sich das, Mr. Parker. Warum will er abschrecken?« »Es gäbe nur einen Grund, Mylady.« »Richtig, Mr. Parker! Er hat dort in der Einsamkeit der Berge und Wälder etwas zu verbergen. Ist Ihnen das klar? Wir sind hier einem Verbrechen auf der Spur, von dem die Behörden noch keine Ahnung haben. Wie wäre es mit einem Hubschrauber, Mr. Parker?« »Mylady wollen fliegen?« Parkers unbewegliche Miene zeigte für Sekundenbruchteile Leben.
»Ich will beobachten«, sagte sie dann zu seiner Erleichterung, die er sich jedoch nicht anmerken ließ. »Ich werde dieses Waldgebiet abkämmen, Mr. Parker. Besorgen Sie uns solch ein Fluggerät und erstklassige Ferngläser! Ich will diesen Riesenfalken mit eigenen Augen sehen. Falls Kathy uns eine Beschreibung liefern kann, wäre das noch besser, dann wüßten wir objektiv, daß dieses Wesen existiert.« Parker kam nicht dazu, sich zu den Plänen seiner Herrin zu äußern. Das Telefon hatte geläutet, und er nahm ab. Er hörte einen Moment zu, bedankte sich und legte dann auf. »Nun, was ist?« wollte Agatha Simpson ungeduldig wissen. »Machen Sie's doch nicht immer so spannend, Mr. Parker?« »Der Reitstall, Mylady«, redete Parker gemessen weiter. »Das von Miß Porter gemietete Pony ist vor wenigen Minuten zurückgekehrt, aber leider ohne Reiterin!« * Der Waldweg war eng, steinig und glich teilweise nur einem Trampelpfad, aber der Jeep, den Parker gemietet hatte, schaffte die Strecke bisher ohne große Schwierigkeiten. Der Butler saß am Steuer und fand immer wieder eine Möglichkeit, voranzukommen. Lady Simpson, neben ihm, sah grimmig und gereizt aus. Selbstverständlich hatte sie zuerst ein Pferd mieten wollen, doch der Stallbesitzer hatte sich außerstande gesehen, einen passenden Vierbeiner
für die stattliche Dame zu finden. Parker war das noch nachträglich mehr als lieb, denn eine Lady Simpson zu Pferd war doch eine recht problematische Angelegenheit, wie er fand. Parker sorgte sich um das Mädchen. Er wußte nur zu gut, daß Kathy eine erstklassige Reiterin war. Es gab so leicht nichts, was sie aus dem Sattel warf. Was mochte ihr nur passiert sein? Hatte es einen Kontakt mit diesem Riesenfalken gegeben, oder hielt sie sich noch im Camp der Pfadfinder auf, wo das Pony sich vielleicht losgerissen hatte? Parker steuerte den Jeep in einen schmalen, holprigen Hohlweg und ließ das Gefährt vorsichtig über das Geröll klettern. Dann irritierte ihn eine Bewegung rechts oben am Hohlweg, und der Butler gab Vollgas, ohne Mylady vorwarnen zu können. Der Jeep machte einen wahren Satz nach vorn, hüpfte über das Geröll und krachte dann mit seiner Vorderachse gegen einen Stein, den Parker normalerweise hätte aus dem Weg räumen müssen. »Großer Gott, wollen Sie mich umbringen?« ächzte Lady Simpson wütend und stemmte sich mit ihres Busens Fülle gegen die Windschutzscheibe, gegen die sie geschleudert worden war. Dank der guten Polsterung kam es nur zu einem geringfügigen Verbiegen des Scheibenrahmens, mehr passierte nicht. Dann fragte die ältere Dame allerdings nicht mehr. Sie hörte. Und was sie hörte, war nicht gerade geeignet, in Verzückung auszubrechen. Dicht hinter dem Jeep
donnerte eine kleine Steinlawine in den Hohlweg, die es in sich hatte. Die Felsbrocken hätten vollkommen ausgereicht, Mylady und den Butler wirkungsvoll zu verletzen oder gar zu töten. »Das war kein Zufall«, sagte Lady Agatha grollend und stieg aus dem Jeep. »Wenn es gestattet ist, möchte ich mich der Meinung Myladys vollinhaltlich anschließen«, erwiderte Josuah Parker, der seinen Universal-Regenschirm waagerecht wie ein Gewehr hochgenommen hatte. »Es dürfte sich um einen Anschlag auf Myladys Leben gehandelt haben.« »Eine unerhörte Frechheit!« Angst zeigte die passionierte Detektivin nicht, weil sie keine Angst kannte. Sie lächelte sogar schmal. »Sehr schön, finden Sie nicht auch, Mr. Parker?« »Mylady sind der Ansicht, daß der Riesenfalke seine Klauen im Spiel gehabt haben könnte?« »Was dachten denn Sie, Mr. Parker!? Haben Sie keine Phantasie? Man will mich umbringen, weil ich wieder mal zuviel weiß. Ich glaube, daß ich ab sofort sehr böse sein werde.« »Vielleicht sollte man den Hohlweg räumen, Mylady, bevor weitere Steinlawinen in Bewegung gesetzt werden.« »Manchmal haben Sie passable Ideen«, räumte die ältere Dame ein. »Aber bilden Sie sich darauf nur nichts ein. Vorwärts, mir nach!« Sie übernahm die Führung und marschierte auf ihren strammen
Beinen weiter durch den Hohlweg. Parker folgte Mylady, nicht ohne sich hin und wieder nach Riesenfalken umzuwenden, doch leider konnte er keines dieser seltsamen Wesen ausmachen. Im übrigen machte er sich immer größere Sorgen um Kathy Porter ... * Sie kam sich inzwischen vor wie ein gehetztes Wild. Kathy Porter war es gelungen, die beiden aufdringlichen Männer abzuschütteln und einen kleinen Vorsprung herauszuholen, doch er schmolz zusammen. Die Verfolger waren ihr dicht auf den Fersen, und sie wußte inzwischen längst, daß sie es mit durchtrainierten Männern zu tun hatte, die sich im Wald zu bewegen wußten. Sie trieben die junge Dame bewußt immer tiefer in die Bergwälder und schnitten ihr jede Rückkehr zum Flußtal ab. Sie bewegten sich geschmeidig und fast lautlos. Nur das Peitschen einiger Zweige und das Brechen von dünnen Ästen zeigte Kathy Porter an, wie nahe ihre Verfolger bereits waren. Zwei Riesenfalken waren hinter ihr her. Sie hatten menschliche Beine und menschliche Körper. Nur ihre Köpfe waren die von beutelustigen Raubvögeln. Trotz dieser Behinderung fielen sie leider nicht weiter zurück. Kathy war klar, daß es um ihr Leben ging. Wurde sie erwischt, war es um sie geschehen. Ein Messer hatte man bereits nach ihr geworfen. Es war dicht an ihrem rechten Oberarm vorbeigezischt und hatte sich ein paar
Meter vor ihr in einen Baumstamm gebohrt. Sie griff zu einer an sich alten List, um sich etwas Luft zu verschaffen. Als sie nach rechts weglief, griff sie nach einem noch jungen, halbhohen und biegsamen Stamm und riß ihn mit sich. Dann blieb sie stehen und hielt mit all ihrer Kraft den gespannten Stamm fest, bis sie knapp vor sich einen Schatten ausmachte. In diesem Moment ließ sie den dünnen Baumstamm los, der natürlich zurückschnellte und wie eine riesige Peitsche wirkte. Sie hörte einen unterdrückten Aufschrei, dann einen dumpfen Fall, der von einem Stöhnen begleitet wurde. Kathy Porter lief nun nicht etwa weiter, wie es jeder andere gehetzte Mensch getan hätte, sondern blieb stehen und verschmolz mit dem Gestrüpp. Sie hörte eine Stimme, dann wieder Stöhnen. Sie tastete mit der Hand vorsichtig um sich und fand einen Stein unter dem Laub vom Vorjahr. Sie nahm ihn fest in die Hand und wartete auf ihre nächste Chance. Es dauerte fast zwei bis drei Minuten, bis sie endlich leise und schnelle Schritte hörte. Dann sah sie zwei Riesenfalken, die ihr provisorisches Versteck passierten und wieder die Verfolgung aufnahmen. Ihrer Schätzung nach waren diese Vögel gut und gern ein Meter achtzig groß. Das Halsgefieder dieser Falken reichte bis hinunter auf Schulter und Brust. Die Körper und Beine der beiden Mordfalken wurden von einem dunkelgrünen, zähen und gummiartigen Trikot bedeckt. Die
Füße steckten in weichen Schuhen, die wie Klauen geformt waren. Wie eine Erscheinung huschten die beiden Todesvögel an ihr vorüber und verschwanden im flirrenden Tanz der Lichter und Schatten. Schon nach wenigen Metern waren sie nicht mehr zu sehen. Kathy Porter war wirklich nicht das scheue Reh, für das man sie fast stets hielt. Doch jetzt rann ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Diese Wesen waren nicht nur unheimlich, nein, sie verkörperten geradezu den Tod. Sie überlegte krampfhaft, wie sie sich weiter verhalten sollte. Die Mordfalken würden bald herausfinden, daß sie auf der falschen Spur waren. Sie würden zurückkehren und aufmerksam nach ihr suchen. Und dann würden sie wahrscheinlich noch schneller sein. Sie mußten dann alles auf eine Karte setzen und sie stellen. Sie hatte bereits zuviel gesehen! Kathy Porter blieb. Es dauerte wieder nur wenige Minuten, bis sie erschienen. Sie waren noch schneller. Jetzt sah Kathy Porter von ihrem Versteck auch ihre Arme, die an gestutzte Vogelschwingen erinnerten. Die beiden unheimlichen Wesen passierten erneut ihr Versteck und liefen den Weg zurück, den sie gekommen waren. Man merkte es ihnen förmlich an, daß sie einen großen Vorsprung aufholen wollten. Beinahe wäre Kathy Porter jetzt aufgestanden und weggelaufen. Der Weg in die ursprüngliche Richtung war ja frei. Doch eine innere Stimme sagte ihr, noch ein wenig zu warten. Sie hatte es mit erfahrenen Jägern zu tun. Deshalb fuhr sie zusammen, als der Mordfalke plötzlich neben ihr stand.
Unhörbar hatte er sich zurückgestohlen und musterte die nähere Umgebung des jungen, biegsamen Stammes. Sah er sie denn nicht? Wollte er sie nicht sehen? Wie auf dem Präsentierteller lag sie halbnackt vor ihm zwischen Laub und Gras. Er horchte einen Moment, und Kathy Porter hielt unwillkürlich den Atem an. Da sie nicht wußte, wo der zweite Riesenfalke war, konnte sie unmöglich das Risiko eingehen und ihn anspringen. Er wandte sich ab und war dann wie ein Schemen verschwunden. Kathy Porter blieb liegen, rührte sich nicht und rechnete mit einer weiteren List. Dann hörte sie von weither einen schrillen Pfiff, wieder das Brechen von kleinen, morschen Ästen und das Rascheln von Laub. Der Mordfalke war tatsächlich nach einigen Metern stehen geblieben und hatte darauf gelauert, ob in seiner näheren Umgebung sich etwas rührte. Da stand sie vorsichtig auf, stahl sich hinüber auf den kaum erkennbaren Pfad und lief in die entgegengesetzte Richtung. Immer wieder schaute sie sich um, doch die beiden Riesenfalken blieben verschwunden. Sie schien sie endlich abgehängt zu haben. * »Ich höre Stimmen«, sagte Agatha Simpson plötzlich und blieb stehen. »Stimmengewirr, Mylady, wenn ich darauf aufmerksam machen darf.«
»Die Riesenfalken!« Die Detektivin wußte es wieder mal ganz genau. Der perlenbestickte Pompadour an ihrem linken Handgelenk geriet prompt in Schwingungen. Der »Glücksbringer« im Pompadour - es handelte sich um ein echtes Pferdehufeisen - wartete nur darauf, wieder mal eingesetzt zu werden. Die Riesenfalken entpuppten sich als Pfadfinder, die im Eilmarsch zurück in bewohntere Gegenden wollten. Sie wurden angeführt von einem etwa vierzigjährigen Pfadfinder. »Darf ich mir erlauben, Ihren Gewaltmarsch für einige Minuten zu unterbrechen?« erkundigte sich Butler Parker und lüftete höflich seine schwarze Melone. »Vermute ich recht, daß Sie Ihr Lager abgebrochen haben?« »Laufen Sie vor diesen Riesenfalken davon?« fragte Agatha Simpson sehr direkt. Sie musterte den Anführer der Pfadfinder mit kühlem, kritischem Blick. »Ich trage schließlich die Verantwortung für meine Jungens«, sagte der Anführer der jungen Pfadfinder, die Lady Simpson und Butler Parker erstaunt betrachteten, dann miteinander tuschelten und grinsten. »Sind diese angeblichen Riesenfalken möglicherweise auf- oder zudringlich geworden?« deutete Parker an. »Wir haben nur einen gesehen«, sagte der Vierzigjährige. »Und den auch nur ganz kurz. Wahrscheinlich war's doch nur eine Täuschung, wie die Polizei behauptet.« »Und dennoch dieser Rückzug?« Agatha Simpson schüttelte den Kopf.
»Sämtliche Zelte sind uns zerschnitten worden, als wir eine Brückenübung machten«, berichtete der Anführer der Jugendlichen. »Wer's getan hat, weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß ich die Jungen heil wieder zurück nach Perth zu bringen habe. Und das werde ich jetzt tun.« »Sie wurden nicht zufällig von einer jungen Dame besucht, die ein Pony ritt?« stellte der Butler seine nächste Frage. »Nichts von gesehen. Bei uns war keine junge Dame.« Der Anführer schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich will mich ja nicht aufdrängen, aber an Ihrer Stelle würde ich nicht weitergehen. Hier in den Wäldern stimmt etwas nicht, wenn Sie mich fragen.« »Vielen Dank für den freundlichen Rat«, erwiderte Josuah Parker und lüftete erneut die schwarze Melone. »Darf ich noch mal auf den Falken zurückkommen, den Sie wahrgenommen haben?« »Ich selbst habe ihn nicht gesehen, das war Lionel.« Er deutete auf einen aufgeweckten, etwa zwölfjährigen Jungen. »War es ein Falke?« Parker sah den Jungen aufmerksam an. »Ein Mordsbiest, Sir«, lautete die Antwort. »Wie ein Supergeier, wie'n kleines Flugzeug.« »Flog oder ging dieses Wesen?« »Nee, das ging«, sagte Lionel. »Das weiß ich ganz genau, aber es hatte so 'ne Art Flügel oder sowas. Genau hab' ich das nicht mehr gesehen.« Die Gruppe zog lärmend und schwatzend weiter und war bald hinter einer Wegbiegung
verschwunden. Lady Agatha sah den Jungen nach und schüttelte dann den Kopf. »Was sagen Sie zu dieser Jugend?« fragte sie dann abfällig. »Zu meiner Zeit wären wir ausgeschwärmt und hätten nach diesen Riesenfalken gesucht. Und wir hätten sie auch gefunden!« »Dabei wäre es unter Umständen und möglicherweise zu bedauernswerten Zwischenfällen gekommen, Mylady«, wandte Parker höflich ein. . »Natürlich«, antwortete sie grimmig. »Bedauernswert für diese Fabelwesen! Was dachten denn Sie?« Während die ältere Dame noch sprach, hatte der Butler sich ein wenig zur Seite gedreht und nahm die Spitze seines Universal-Regenschirms hoch. »Was haben Sie denn?« fragte Agatha Simpson grimmig. »Ein Riesenfalke, Mylady«, gab der Butler leise zurück. »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dürfte ich gerade solch ein Exemplar gesehen haben.« »Wo denn?« Sie schnaubte kampflustig, folgte mit ihrem Blick der Spitze des Regenschirms und war dann nicht mehr zu halten. Den Pompadour wirbelnd, brauste die energische Dame los wie ein Kampfpanzer und ließ sich auch nicht durch das dichte Gestrüpp beirren. Sie pflügte sich mit ihrer stattlichen Fülle eine Gasse durch das Unterholz. * Auf Umwegen erreichte Porter das enge Flußtal.
Kathy
Bevor sie sich hinunter an das dicht bewachsene Ufer traute, hielt sie Ausschau nach verdächtigen Personen. Sie spürte, daß sie noch immer gejagt wurde. Vielleicht hatten diese beiden Fabelwesen hier unten Stellung bezogen und warteten auf ihr Opfer. Sie konnten sich ja leicht ausrechnen, daß ihr Wild versuchen würde, zurück an den kleinen Fluß zu gelangen, wo meist Lachs- und Forellenangler waren. Kathy ließ sich Zeit. Sie suchte die einzelnen Buschgruppen sorgfältig ab und atmete auf, als sie einen Angler entdeckte, der gerade hinter einem üppigen Strauch hervorkam und seine Angelleine aufdrillte. Beinahe wäre sie auf diesen Mann zugelaufen, doch dann fiel ihr auf, daß der Angler nicht nur groß und sportlich aussah, sondern auch nicht gerade stilecht gekleidet war. Er trug weder oberschenkellange Gummistiefel noch eine Umhängetasche, in der passionierte Angler normalerweise Köder, Fliegen und Haken mit sich führten. Es war jedoch vor allen Dingen die Größe dieses Mannes, die Kathy Porter veranlaßte, nicht zum kleinen Fluß hinunterzulaufen. Der muskulöse, nackte Oberkörper des Anglers deutete auf intensives Training hin. Er stand bis zu den Hüften im sicher nicht warmen Wasser und wechselte gerade erneut seine Position. Nein, das war eine Falle! Kathy Porter war von ihrem Lehrer, einem gewissen Josuah Parker immer wieder darauf aufmerksam gemacht worden, Geduld zu üben. Unnötige Hast
konnte manchmal den Angriff der Gegner herausfordern und eine Einladung zum Selbstmord sein. Sie blieb also in ihrem Versteck und wartete erst mal ab. Sie kauerte nieder und setzte sich so, daß ihr Oberkörper von der Sonne erwärmt wurde. Sie lauschte auf die Geräusche des Waldes und wurde ein wenig nervös, als plötzlich ein Eichelhäher sich nicht weit von ihr auf einem Baum niederließ und ebenfalls mißtrauisch und wachsam die nähere Umgebung musterte. Dieser Vogel war gefährlich ... Er zeterte mit Sicherheit, sobald er Verdacht schöpfte. Kaum gedacht, stob der Eichelhäher auch schon hoch und verursachte einen geradezu höllischen Lärm. War er auf Kathy Porter aufmerksam geworden? Hatte eine andere Gestalt seinen Verdacht erregt? Kathy duckte sich noch tiefer und rührte sich nicht. Sekunden später kämpfte Kathy Porter gegen einen schier unwiderstehlichen Lachreiz an. Dort unten auf der schmalen Wiese erschien ein seltsames Paar. Jeder Eichelhöher hätte mit Sicherheit Alarm geschlagen. Die Dame war groß, stattlich und trug ein zu weites Tweed-Kostüm. An ihrem Handgelenk baumelte ein Pompadour. In ihrer Begleitung befand sich ein original englischer Butler, der sich einen altväterlich gebundenen Regenschirm über den angewinkelten linken Unterarm gehängt hatte. Er schritt gemessen neben der fülligen Dame her, die den Angler längst entdeckt hatte und auf ihn zuhielt. Normalerweise hätte Kathy Porter sich sofort erhoben und sich dem skur-
rilen Duo genähert, doch sie erinnerte sich im letzten Moment an den Eichelhäher. Hatte sein Zetern wirklich diesem Paar gegolten? Sie hörte seitlich hinter sich das feine Brechen eines Astes. Kathy wandte sich langsam um und hätte beinahe den Riesenfalken übersehen, der hinter einem Baumstamm stand. Er stieß gerade einen Vogelschrei aus, hatte sie aber offenbar nicht gesehen. Kathy Porter wechselte die Blickrichtung. Der Angler hatte natürlich ebenfalls den Vogelschrei gehört und wechselte ebenfalls seine Position. Er ging - nach wie vor im Wasser zurück zu dem dichten Gesträuch und wollte sich eindeutig absetzen. Die Stimme der stattlichen Dame erreichte ihn mit Leichtigkeit. »Junger Mann«, rief Agatha Simpson mit der Stärke einer Amazone. »Ich habe mit Ihnen zu reden. Bleiben Sie endlich stehen! Was sind denn das für Manieren!? Eine Dame wünscht Sie zu sprechen.« Der Angler reagierte nicht und hatte es sehr eilig, doch nicht eilig genug. Bevor er das schützende Gebüsch erreichte, zuckte er plötzlich zusammen, warf die Arme in die Luft und landete im aufspritzenden Wasser. Dann wurde er von der leichten Strömung des Flüßchens in Richtung des Duos getragen. * »Mylady mögen entschuldigen«, sagte Parker und lüftete die schwarze
Melone. »Ich muß gestehen und einräumen, daß ich mich zu diesem Schuß einfach hinreißen ließ.« »Papperlapapp, Mr. Parker!« Sie winkte gnädig ab. »Dieser Lümmel hätte ja stehen bleiben können. Diesen Schuß hätte ich von Ihnen gefordert.« Parker begab sich hinunter ans Wasser und wartete darauf, daß die Strömung den Angler in seine Reichweite trieb. Mit dem Bambusgriff seines Schirms hakte er dann nach dem treibenden Körper und zog ihn an Land. »Eine sehr unschickliche Bekleidung«, fand Josuah Parker und nahm seine Melone ab. Er legte sie diskret über die Blöße des Sportanglers, der jetzt nicht mehr so eindeutig nackt aussah wie noch vor Sekunden. »Ein gut gebauter Mann«, urteilte Mylady und nickte anerkennend. «Wenn Sie diese Bemerkung falsch verstehen, Mr. Parker, ist das Ihre Sache.« »Unterstellungen irgendwelcher Art würde ich mir niemals erlauben, Mylady«, antwortete Josuah Parker. »Ein gewisses Erstaunen möchte ich mir allerdings gestatten.« »Ein splitternackter Angler.« Agatha Simpson ging um den großen, muskulösen Mann herum, während Josuah Parker den stricknadellangen, bunt gefiederten Pfeil aus seiner linken Hüfte zog. Er verschoß solche Pfeile mit seinem Universal-Regenschirm, in dessen Schirmstock weit oben eine Kohlensäurepatrone untergebracht war, die für den erforderlichen Antrieb sorgte. Die Spitze dieses an sich recht harmlos aussehenden Pfeils war chemisch präpariert und löste beim Getroffenen augenblicklich eine kurzfristige Läh-
mung der Muskulatur aus, die von einer oberflächlichen Ohnmacht begleitet wurde. Gesundheitliche Schäden verursachte solch ein Treffer grundsätzlich nicht. Butler Parker hatte sich bei der Wahl des chemischen Präparats sehr gründlich beraten lassen. »Was halten Sie von diesem Angler, Mr. Parker?« wollte die Detektivin wissen. Der Butler hatte den Pfeil inzwischen in einem winzig kleinen Futteral neben einer der Schirmstangen verschwinden lassen und war bereit, den nächsten Pfeil abzufeuern. »Frische Schürfwunden, Mylady, die nur einen Tag alt sein können«, erwiderte Parker und beugte sich über den Angler, der mit Sicherheit keiner war. »Haben Mylady die Narben zur Kenntnis genommen?« »Ich bin ja nicht blind«, blaffte sie. »Ehemalige Schußund Stichverletzungen, nicht wahr?« »In der Tat, Mylady! Der Mann dort dürfte meiner bescheidenen Schätzung nach etwa knapp dreißig Jahre alt sein.« Natürlich war Parkers Mißtrauen längst hellwach. Er musterte die nähere und weitere Umgebung des engen Tals und hatte längst auch den schrillen Vogelschrei mitbekommen. Er wußte, daß der Sportangler nicht allein war. Irgendwo in der Nähe mußte sich zumindest ein zweiter Mann aufhalten. »Mylady sollten vielleicht hinter jenem Gesträuch dort in Deckung gehen«, schlug der Butler vor, der an einen gezielten Schuß aus dem Hinterhalt dachte. »Falls Mylady
einverstanden sind, werde ich mich um die Kleidungsstücke dieses Herrn bemühen.« »Machen Sie sich keine Sorge, Mr. Parker!« Sie lächelte und deutete auf ihren Pompadour. »Wenn er mich anfallen sollte, werde ich ihm eine Lektion erteilen.« Darauf setzte Parker. Er kannte die Tatkraft der Lady und wußte um die niederschmetternde Wirkung des >Glücksbringer< im Pompadour. Er wollte automatisch nach seiner Melone greifen, doch dann verzichtete er aus Gründen der Schicklichkeit darauf, sie aufzusetzen. Er mußte nicht lange nach der Kleidung des Anglers suchen, fand sie unter einem Strauch und nahm sich die Freiheit, ein wenig erstaunt und überrascht zu sein. Da waren ein überdimensional großer Falkenkopf mit Brust- und Rückenfedern, ein gummiartiges Trikot und Schuhe, die an Mokassins erinnerten, jedoch mit angehefteten Krallen versehen waren. Damit war das Geheimnis der Riesenfalken gelüftet, was die Kleidung betraf. Josuah Parker bückte sich, um diese wichtigen Indizien an sich zu nehmen, als er hinter sich ein Geräusch hörte. Er wandte sich um und sah sich einem zweiten Riesenfalken gegenüber, der stoßbereit ein breites Fallschirmmesser in der Unken Hand hielt und sich auf den Butler werfen wollte. Parker liebte Schneidwaren dieser Art nun gar nicht. Er hatte auch keineswegs Lust, sich tranchieren zu lassen, schlug mit der Spitze seines Regenschirms zu und traf das Handgelenk des Riesenfalken, der sich jedoch nicht aufhalten ließ. Bevor
Parker ihm einen zweiten Schlag versetzen konnte, war das Monster bereits schon zu dicht vor ihm. In diesem Augenblick war ein schneller Schatten in der Luft zu sehen. Parker sah im Wegrutschen nach hinten ein schlankes Beinpaar, das in Jeans steckte. Beide Beine waren geschlossen und trafen mit ihren Schuhen den Kopf des Riesenfalken. Wie von einem Katapult geschleudert, flog der Riesenfalke nach hinten und überschlug sich. Er blieb hart vor der Böschung regungslos auf dem Boden liegen. »Ich möchte keineswegs versäumen, mich bei Ihnen zu bedanken, Miß Porter«, sagte der Butler und drückte sich aus dem engen Gesträuch wieder hoch auf die Beine. »Aber darf ich Ihnen nun ein passendes Kleidungsstück reichen? Wären Sie mit meinem Jackett zufrieden?« »Zwei Riesenfalken«, erwiderte Kathy Porter und nickte beifällig. »Eine ganz hübsche Beute, finden Sie nicht auch?« »Es dürfte sich leider nicht um die einzigen Riesenfalken gehandelt haben«, antwortete der Butler und reichte Kathy Porter seinen schwarzen Zweireiher, in den sie schlüpfte. »Diese seltene Spezies scheint meiner bescheidenen Ansicht nach in weit mehr Exemplaren vertreten zu sein.« * »Dieses verkommene Subjekt wollte sich auf mich stürzen«, sagte Agatha Simpson und deutete auf den
ersten Falken. »Das muß man sich mal vorstellen: Er wollte sich an einer wehrlosen Frau vergreifen!« »Mylady vermochten sich zu wehren?« fragte Parker höflich, obwohl er die Antwort natürlich längst im vorhinein kannte. »Gerade noch«, erwiderte Lady Agatha. »Ich habe ihm meinen Pompadour um die Ohren geschlagen. So kann man mit mir nicht umspringen.« Da der nackte Falke auf dem Bauch lag, konnte Parker die schwarze Melone wieder an sich nehmen. Er war froh, seinen Kopf bedecken zu können. Als er den Sitz der Melone prüfte, fiel sein Blick auf den Waldrand weiter oben. »Meine bescheidene Vermutung hat sich gerade bestätigt«, sagte er zu Kathy Porter, die von Lady Simpson eingehend gemustert wurde. »Welche Vermutung, Mr. Parker?« Agatha Simpson erhielt jedoch keine Antwort. Parkers Regenschirmspitze deutete hinauf zum Waldrand. Die Lady schnaufte prompt, aber nicht vor Angst. Grimmige Kampflust ging von diesem Schnaufen aus. »Das sind wenigstens zehn Riesenfalken, Mr. Parker«, sagte Kathy Porter. »In diesem Fall kann man wirklich von dem sprechen, was der Volksmund so treffend ein Nest zu nennen pflegt«, stellte Josuah Parker fest. »Darf ich meiner Befürchtung Ausdruck verleihen, Mylady, daß die Kräfteverhältnisse sehr einseitig sind.« »Eben«, gab die ältere Dame zurück. »Und das werden wir diesen maskierten Subjekten sofort beweisen.«
»Ich dachte eigentlich mehr an die Überzahl der Riesenfalken, Mylady«, antwortete der Butler. Er musterte die Fabelwesen, die schreckenerregend, drohend und sogar mörderisch wirkten. Sie standen in einem Abstand von etwa drei Metern nebeneinander, rührten sich nicht und schauten mit ihren Vogelgesichtern gierig nach unten. Es war wahrscheinlich nur noch eine Frage von Sekunden, bis sie angriffen. »Darf ich mir erlauben, Mylady einen geordneten Rückzug vorzuschlagen?« Parker griff bereits nach einem seiner vielen Kugelschreiber, die in den Westentaschen zu sehen waren. »Rückzug, Mr. Parker?« Sie sah ihn fast ungläubig an. »Sie wollen die Flucht ergreifen?« »So hart und direkt könnte man es allerdings auch ausdrücken, Mylady.« »Ich denke nicht daran. Und was ist mit den beiden Falken, die ich erwischt habe? Die lasse ich doch nicht freiwillig zurück. Niemals!« »Die Umstände werden Mylady wahrscheinlich dazu zwingen.« Parker trat ein wenig hinter seine Herrin und holte die zusammenlegbare Gabelschleuder aus der inneren Westentasche. Er faltete sie auseinander und arretierte die beiden Hälften. Die Riesenfalken am recht nahen Waldrand hatten das Strauchwerk verlassen und kamen langsam herunter. Sie taten das ohne jede Hast und verursachten kein Geräusch. Gerade das wirkte unheimlich und drohend.
Nun, dann husteten sie allerdings ausgiebig und gerieten ein wenig in Unordnung. Butler Parker hatte zwei seiner Patentkugelschreiber per Gabelschleuder verschossen, nachdem er die beiden Schreibgeräte vorher »scharf« gemacht hatte. Durch Verdrehen der beiden Hälften gegeneinander detonierten sie nach dem Berühren des Bodens. Zwei graugelbe Nebelwolken schossen steil hoch und breiteten sich dann blitzschnell aus. Sie vermischten sich miteinander und schufen so eine Zone, in der man nur noch husten und schluchzen konnte. Normales Tränengas war gegen dieses Spezialpräparat fast noch ein Vergnügen. »Darf ich mich erkühnen, Mylady zu einem Bad einzuladen?« fragte Parker und... brachte seine Herrin durch einen geschickten Stoß aus dem Gleichgewicht. Sie landete im aufspritzenden Wasser und sorgte für einigen Wellengang. Bevor sie schimpfen konnte, war Parker bereits neben ihr und legte den Zeigefinger vor seine Lippen. Mylady war derart verdutzt, daß sie tatsächlich schwieg. Kathy Porter tauchte neben der älteren Dame auf, die aber durchaus schwimmen konnte, wie sich zeigte. Sie schüttelte Parkers hilfreiche Hand von der Schulter und zeigte ihre Kunst im Brustschwimmen. Während die Reiznebel sich weiter ausbreiteten, schwamm das Trio flußabwärts der Zivilisation entgegen. * »Sie haben mich um meine Beute betrogen«, sagte Agatha Simpson eine
halbe Stunde später, als Sie aus dem Wasser stieg. Sie maß ihren Butler mit eisigem Blick. »Mr. Parker hat uns das Leben gerettet«, schaltete sich Kathy Porter lächelnd ein. »Gegen diese Übermacht, Mylady, hätten wir keine Chance gehabt.« »Schnickschnack, Kindchen, davon verstehen Sie nichts!« Agatha Simpson war wütend. »Sie haben ja nicht gesehen, wie heimtückisch er mich ins Wasser gestoßen hat.« »Mylady sehen meine Wenigkeit zerknirscht«, erwiderte Parker, ohne eine Miene zu verziehen. »Mir schien es um jede einzelne Sekunde zu gehen, wenn ich es so erklären darf.« »Ich hätte einen Herzschlag bekommen können.« »Durchaus, Mylady. Darf ich mir erlauben, Mylady ein wärmendes Getränk anzubieten?« Er nickte Kathy Porter zu, die in die Innentasche des Zweireihers griff, den sie noch trug. Sie holte eine lederumhüllte, schwarze Taschenflasche hervor, deren Verschluß der Butler abschraubte, um ihn als Trinkbecher zu verwenden. Nach zwei Kreislaufbeschleunigern legte sich der Grimm der resoluten Dame ein wenig. »Wie wollen wir jetzt beweisen, daß es diese Riesenfalken gibt?« fragte sie. »Wollten Mylady diesen Beweis den Behörden gegenüber antreten?« erkundigte sich Parker gemessen. »Natürlich nicht«, lautete ihre spontane Antwort. »Das geht die Behörden nichts an.«
»Dann ist es doch gleichgültig, Mylady«, sagte Kathy Porter und lächelte. »Diesen Fall gebe ich nicht aus meinen Händen«, redete die Detektivin weiter. »Die Falken gehören mir allein.« »So verstand ich Mylady von Beginn an«, meinte Josuah Parker. »Wenn es erlaubt ist, werde ich mich um ein geeignetes Gefährt kümmern, um die Damen zurück nach Birnam zu bringen.« Er lüftete seine schwarze Melone und stieg über die Böschung hinauf zur Autostraße, die hier den kleinen Fluß überquerte. Er baute sich neben einem Strauch auf und beobachtete die Fahrzeuge, die in Richtung Birnam fuhren. Butler Parker war vorsichtig. Er konnte sich kaum vorstellen, daß die Riesenfalken aufgegeben hatten. Seiner Schätzung nach wußten sie genau, wohin ihre Opfer sich hatten treiben lassen. Hier an der Autostraße nach Norden hatten sie erneut Gelegenheit, unbequeme und gefährliche Augenzeugen aus dem Weg zu schaffen. Natürlich würden die Riesenfalken hier durchaus als normale Menschen auftreten und auf jede Kostümierung verzichten. Parker sah einen Streifenwagen der Polizei, der aus Richtung Perth anrollte. Er fuhr recht langsam und lud förmlich dazu ein, von gehetzten und bedrohten Menschen gestoppt zu werden. Parker rührte sich nicht. Auf der Brücke hielt der Streifenwagen, aber die beiden Insassen stiegen nicht aus. Sie trugen etwas zu kleine Dienstmützen der Polizei,
redeten kurz miteinander und fuhren dann weiter. Der Streifenwagen war bald hinter einer nahen Straßenbiegung verschwunden. Dafür erschien ein Wagen aus Richtung Birnam. Es war ein altersschwach aussehender Kastenwagen, der nach Perth wollte. Laut Reklameaufschrift beförderte er Milchprodukte aller Art. Parker trat aus dem Versteck und machte sich nachdrücklich bemerkbar. Das einladende Winken mit einer Pfundnote veranlaßte den Fahrer, sofort zu halten. »Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor und musterte prüfend den Fahrer. Es war ein schon älterer Mann, der auf einem Zigarrenstummel kaute. »Würden Sie Lady Simpson, Miß Porter und meine bescheidene Wenigkeit nach Perth mitnehmen. Mylady hatten einen kleinen Bootsunfall.« »Zehn Pfund!?« Der Mann strahlte und deutete nach hinten. »Steigen Sie ein! Wo sind denn die beiden Frauen?« Der Fahrer nahm unwillkürlich Haltung an, als Lady Agatha oben am Straßenrand erschien und ihm gnädig zunickte. Sie öffnete den Wagenschlag und ließ sich neben dem Fahrer nieder. »Stellen Sie keine Fragen, fahren Sie«, ordnete die Lady an. »Und fahren Sie möglichst schnell, ich möchte mir keinen Schnupfen holen.« »Dagegen hab' ich was, Lady.« Der Fahrer wandte sich um, wartete, bis Parker und Miß Porter hinten
eingestiegen waren, und langte dann nach einer Thermosflasche. »Tee mit Rum«, sagte er und reichte Agatha Simpson die Flasche. »Aber passen Sie auf, Lady, das ist mehr Rum als Tee.« »Großer Gott, Sie hat mir der Himmel geschickt!« Lady Agatha nickte freundlich. »Lassen Sie sich nachher von Mr. Parker noch eine zweite Banknote reichen.« »Das Gesöff ist höllisch stark, Lady«, warnte der Fahrer, während er hochschaltete. »Nicht immer gleich übertreiben«, antwortete die ältere Dame nach einem prüfenden Schluck. »Warum haben Sie den Rum überhaupt mit Tee verdorben?« Der Fahrer staunte nur noch. Die triefend nasse Lady neben ihm soff wie ein Bierkutscher, wie er insgeheim dachte. Sein Respekt vor dem englischen Adel an sich stieg, obwohl er der Labour Party angehörte. Dunkel wurde ihm bewußt, warum Großbritannien einst ein Weltreich gewesen war. Mit solchen Frauen war das damals sicher kein besonderes Kunststück gewesen. Butler Parker und Kathy Porter hatten es weniger bequem als Lady Simpson, doch sie beklagten sich selbstverständlich nicht. Sie saßen auf Kisten und beobachteten durch die beiden vergitterten, rückwärtigen Fenster den Streifenwagen der Polizei, der ihnen inzwischen folgte. »Was werden Sie tun, Mr. Parker?« fragte Kathy Porter. »Vorerst nichts«, lautete seine Antwort. »Und meiner bescheidenen Ansicht nach werden auch die beiden vorgeblichen Polizeibeamten tatenlos
bleiben. Es geht ihnen wohl nur darum festzustellen, wo Mylady abzusteigen belieben.« * Die drei immer noch triefend nassen Gäste, die die Empfangshalle des Hotels betraten, erregten einiges Aufsehen, woran Lady Simpsons Hut nicht ganz unbeteiligt war. Unter der Einwirkung des Wassers hatte dieser Hut eine geradezu abenteuerliche Form angenommen. Der Empfangschef hinter der Rezeption sah jedoch mit einem schnellen Blick, mit welchen Gästen er es zu tun hatte. Er bemühte sich selbst und dienerte vor Lady Agatha. »Bewohnbare Zimmer, junger Mann«, verlangte die resolute Dame. »Und dazu einen heißen Punsch, der nicht unbedingt schwach sein muß.« Der Empfangschef war ein wenig irritiert. Das Getränk, das Lady Agatha im Lieferwagen zu sich genommen hatte, ließ sich wegen einer langen und intensiven Rumfahne kaum verleugnen. »Madam hatten einen Unfall?« erkundigte sich der Empfangschef. »Wie kommen Sie denn darauf?« Sie musterte den Unglücklichen mit kühlem Blick. »So reise ich immer, junger Mann. Und nun keine Konversation, wenn ich bitten darf!« Mylady erhielt prompt eine kleine Suite, an die sich die Einzelzimmer von Kathy Porter und Butler Parker anschlossen. Bevor der Butler sich seiner nassen Kleidung entledigte, sah er vom Fenster aus hinunter auf den Vorplatz des Hotels.
Der Streifenwagen der Polizei war verschwunden, doch dafür machte er zwei große, schlanke Männer aus, die durchtrainiert und sportlich aussahen. Sie standen in der Nähe einer gerade besetzten Telefonzelle und unterhielten sich miteinander. Als die Telefonzelle dann geräumt worden war, ging einer der beiden Männer hinein und telefonierte recht ausgiebig. Der andere Mann blieb draußen stehen und interessierte sich eingehend für das Hotel. Für Parker gab es keinen Zweifel, daß diese beiden Männer im Streifenwagen der Polizei gesessen hatten. Sie wußten nun, wo ihre Opfer abgestiegen waren und erkundigten sich jetzt wahrscheinlich, wie sie sich weiter verhalten sollten. Butler Parker konnte einer gewissen Versuchung nicht widerstehen. Er schalt sich zwar innerlich einer gewissen Unseriösität, doch er setzte sich einfach über sie hinweg. Er nahm die Gabelschleuder und wählte ein passendes Geschoß. Er entschied sich für eine kleine Tonmurmel, die nur oberflächlich gebrannt war und beim Aufprall auseinanderfiel. Die Distanz vom Fenster bis hinunter zu dem vor der Telefonzelle wartenden Mann war nicht gerade gering. Sie betrug gut und gern fünfzig Meter. Parker visierte den Mann an und strammte dann die beiden Gummistränge. Der Mann neben der Telefonzelle wurde voll erwischt. Er zuckte zusammen, faßte nach seinem Hinterkopf und ging dann leicht in die Knie. Er setzte sich auf den Rand eines großen Blumenkübels und schwankte wie ein Betrunkener.
Parker hatte den Schuß mit dem Katapult genau dosiert. Ihm war nicht daran gelegen, Verletzungen auszulösen. Er hatte diesem Mann nur einen kleinen Denkzettel verabreichen wollen. Der Getroffene, der sich bereits wieder erholt hatte, fingerte nach der kleinen Beule, die sich bereits auszubilden begann, schüttelte ratlos den Kopf und ging dann ein wenig unsicher zur Telefonzelle, aus der sein Begleiter gerade herauskam. Die beiden Männer wechselten einige Worte miteinander und nahmen dann hinter der Telefonzelle Deckung. Wahrscheinlich unterhielten sie sich über das Phänomen dieses Treffers, für den sie im Moment keine Erklärung hatten. Es klopfte an der Zimmertür. Parker öffnete und sah sich Kathy Porter gegenüber, die einen Bademantel trug. »Ich habe Ihr Jackett bereits zum Trocknen und Aufbügeln abholen lassen«, sagte sie. »Sie haben sich noch nicht umgezogen? Im Badezimmer sind Frottemäntel, Mr. Parker.« »Wie geht es Mylady?« fragte Josuah Parker. »Sie trinkt Punsch, Mr. Parker und sitzt im Bett«, gab Kathy Porter lächelnd zurück. »Sie erwartet Sie und mich. Mylady möchte uns sagen, wie sie über den Fall denkt.« »Ich stehe in zehn Minuten zur Verfügung«, erklärte Josuah Parker. »Aber ich möchte betonen, daß ich es für sehr unangemessen halte, Mylady in einem Bademantel zu besuchen.«
»Sie macht sich bestimmt nichts daraus.« Kathy Porter lachte. »Im Gegensatz zu meiner bescheidenen Wenigkeit«, stellte der Butler klar. »Ich verstoße nur höchst ungern gegen ungeschriebene Gesetze. Als Butler sollte man auf Distanz halten und jede Lockerung der Sitten schon im Ansatz unterbinden.« * »Nun haben Sie sich nicht so«, meinte Agatha Simpson und lächelte Butler Parker ironisch an. »Miß Porter ist ja als Anstandsdame im Zimmer. Ihnen wird also nichts passieren.« Butler Parker fühlte sich in seinem Bademantel höchst deplaziert und blieb stocksteif gleich neben der Tür stehen. »Nun kommen Sie schon etwas näher«, redete die Lady weiter. Ihrer Stimme war nicht anzumerken, daß sie bereits eine gehörige Portion Punsch getrunken hatte. Ihr Gesicht war allerdings gut durchblutet und die Augen funkelten lebhaft. Sie war sehr animiert und sprühte wieder mal vor Energie. »Ich warte auf Ihre Zusammenfassung«, sagte die ältere Dame und deutete auf den kleinen Beistelltisch. »Trinken Sie ein Glas Punsch, Mr. Parker, Sie werden sich sonst noch einen Schnupfen holen!« »Wie Mylady befehlen.« Parker füllte zuerst für Kathy Porter, dann für sich ein Glas. Nachdem er einen möglichen Schnupfen bekämpft hatte, blieb er in achtungsvoller Entfernung vom Bettrand stehen. »Nach den bisher gewonnenen Erkenntnissen, Mylady«, sagte er,
»dürfte es sich bei diesen Riesenfalken eindeutig um menschliche Wesen handeln, die aus welchen Gründen auch immer in recht eigenwilligen Masken auftreten.« »Und was schließen Sie daraus? Ich weiß es, aber ich möchte Ihre Meinung dazu hören.« »Als weiter gesichert ist zu sagen, Mylady, daß man es mit etwa einem Dutzend dieser Riesenfalken zu tun hat. Was auf eine bewußte Vereinigung schließen läßt.« »Was will Mr. Parker damit sagen?« Lady Simpson sah Kathy Porter ein wenig irritiert an. »Diese Riesenfalken haben sich bewußt zusammengeschlossen, um gemeinsam etwas zu planen, Mylady.« »Das hört sich schon wesentlich verständlicher an, Kindchen.« Die ältere Dame nickte lobend. »Genau das denke ich nämlich auch. Sie haben sich da ein paar harmlosen Leuten gezeigt und sie in Angst und Panik versetzt. Selbst die Pfadfinder haben ihr Camp verlassen.« »Diese Falkenmenschen oder Menschenfalken, Mylady, wollen offenbar ein gewisses Waldgebiet für sich allein in Anspruch nehmen«, ließ Josuah Parker sich vernehmen. »Und warum?« Agatha Simpson nickte Parker aufmunternd zu. »Was haben die Subjekte zu verbergen? Und warum bedienen sie sich solcher verrückten Aufmachung?« »Sie wurde wohl bewußt gewählt, Mylady, um die Unglaubwürdigkeit der Zeugenaussagen von vornherein zu unterstreichen. Ich darf daran erinnern, daß die Behörden die
Zeugenaussagen nicht ernst nehmen.« »Was wollen die Individuen in diesem Waldgebiet? Was haben sie zu verbergen, Mr. Parker? Ich hoffe, Sie warten mit einer plausiblen Erklärung auf.« »Es dürfte sich meiner bescheidenen Ansicht nach um ungesetzliche Dinge handeln, Mylady.« »Aber in diesem Waldgebiet gibt es keine Bank, die man ausrauben könnte.« »Die Riesenfalken werden möglicherweise einem Training unterzogen, Mylady.« »Sie glauben doch nicht, daß das Militär solch einen Unsinn inszeniert hat, oder? Auf der anderen Seite ist dem Militär ja so ziemlich alles zuzutrauen.« »Das Training eines privaten Unternehmens ist nicht auszuschließen, Mylady.« »Eine Mörder-Gang nach amerikanischem Muster?« Agatha Simpsons Augen funkelten noch intensiver, ihr Gesicht nahm einen hocherfreuten Ausdruck an. »Diese Riesenfalken, Mylady, müßten nach menschlichem Ermessen über das verfügen, was man bei Raubvögeln einen Horst nennt«, sagte Josuah Parker. »Ihn sollte man vielleicht aufspüren.« »Hoffentlich haben Sie nicht vergessen, daß ich einen Hubschrauber wünsche«, antwortete die Detektivin. »Denken Sie an diese Geröllawine! Man wollte mich umbringen.« »Und Miß Porter ebenfalls, Mylady.« »Richtig. Um ein Haar hätte man das arme Kind erwischt. Mr. Parker, wir
gehen zum Angriff über, sobald ich ein wenig nachgedacht habe.« »Mylady möchten der Ruhe pflegen?« »Papperlapapp, Mr. Parker, unterstellen Sie mir nichts! Schlafen!? Ich will nachdenken. Und ich möchte ...« Das Läuten des Telefons, wie so oft wie nach einem Stichwort, unterbrach die ältere Dame. Parker hob den Hörer ab und meldete sich. »Vergessen Sie möglichst schnell, was Sie gesehen haben«, sagte eine arrogant klingende Stimme. »Abgesehen davon, daß die Behörden Ihnen doch nicht glauben werden, spielen Sie mit Ihrem Leben!« »Dies wurde bereits deutlich«, erwiderte Parker höflich. »An einigen Versuchen Ihrerseits, Morde zu begehen, fehlte es ja nicht.« »Sie hatten Anfängerglück«, erwiderte die arrogante Stimme ungeduldig. »Es wird sich nicht wiederholen! Ist das klar?« »Ihre Arroganz ist bemerkenswert«, entgegnete Parker gemessen. »Sie dürfte meiner bescheidenen Ansicht nach gleich hinter Ihrem Sinn für dramatische Theatereffekte kommen.« »Sie sind verdammt keß, Mann«, schnarrte die arrogante Stimme und wollte noch etwas hinzufügen, doch Parker legte bereits auf und informierte die beiden Damen. »Sie waren wieder mal zu höflich«, tadelte Agatha Simpson anschließend. »Wann werden Sie sich das endlich mal abgewöhnen?« »Wenn es erlaubt ist, Mylady, möchte ich einen Eindruck
wiedergeben«, schickte Parker voraus. »Die Stimme klang meinem Gefühl nach militärisch, wenn ich es so deuten und umschreiben darf. Es handelte sich um eine Kommandostimme.« »Aha! Und was schließen Sie daraus?« »Der Mann am Telefon scheint noch in Diensten zu stehen, Mylady.« »Etwa beim Militär? Also doch irgendeine Truppeneinheit, die da in aller Stille arbeitet?« »Dann wäre es nicht zu Mordversuchen gekommen, Mylady«, antwortete Butler Parker. »Ich gestatte mir, an einen privaten, sozusagen paramilitärischen Verband zu denken, der über einen festen Stützpunkt verfügt.« »Aber davon spreche ich doch die ganze Zeit«, antwortete die ältere Dame wie selbstverständlich. »Vergessen Sie also den Hubschrauber nicht, Mr. Parker! Und besorgen Sie dazu alles, was man so braucht. Ich möchte von Ihnen nicht ein zweites Mal zur Flucht gezwungen werden. Eine Lady Simpson kämpft, aber sie ergibt sich nicht!« * Es handelte sich um einen sogenannten »Heckenspringer«, wie dieser Hubschraubertyp genannt wurde. Er war klein, wendig und entwickelte eine recht passable Geschwindigkeit. Butler Parker hatte ihn in Dundee aufgetrieben und ihn von einer Ölgesellschaft geborgt, die in der Nordsee nach Ölvorkommen suchte. Dieses Ausleihen wäre niemals möglich gewesen, wenn der Name der Agatha Simpson nicht mit im Spiel
gewesen wäre. Es hatte sich wieder mal gezeigt, über welche Verbindungen die resolute Dame verfügte. Kathy Porter hatte diese Kontakte erkannt, genutzt und die erforderlichen Querverbindungen hergestellt. Als Sekretärin der Lady wußte sie von der Beteiligung eines der vielen Unternehmen der Chefin an dieser Ölgesellschaft. Der Pilot des Viersitzers war ein altgedienter Mann, der einen vertrauenswürdigen Eindruck machte. Er hatte nichts dagegen gehabt, daß Lady Simpson neben ihm Platz nahm. Er hielt sie wahrscheinlich für eine exaltierte, reiche Frau, die sich die Zeit vertreiben wollte. Er ahnte nicht, welcher massive Sprengstoff da neben ihm saß und durch die Plexiglaskuppel nach unten schaute. Auf den Hintersitzen hatten Kathy Porter und Butler Parker Platz genommen. Durch lichtstarke Ferngläser beobachteten sie das Waldgebiet unter sich, das von dem Piloten nach einem vorher vereinbarten Plan abgeflogen wurde. Während der Fahrt nach Dundee, wo der Hubschrauber auf sie gewartet hatte, waren Lady Agatha, Kathy Porter und Parker nicht verfolgt worden. Daraus leitete Parker jedoch keineswegs ab, daß die Todesfalken ihr Interesse verloren hatten. Seiner Ansicht nach war genau das Gegenteil der Fall. Diese Männer mußten sich in einem Zustand leichter Gereiztheit und Nervosität befinden. Es konnte durchaus sein, daß sie erst mal in
volle Deckung gegangen waren, um das sprichwörtliche Gras über die bisherigen Affären wachsen zu lassen. Die Landschaft unter dem Hubschrauber präsentierte sich an diesem frühen Morgen in ihrer ganzen Schönheit. Laubwälder wechselten ab mit Heidelandschaften, mit runden Bergkuppen, die mit Gesträuch bewachsen waren und dann wieder mit tief eingeschnittenen Tälern und steilen Schluchten. Dann gab es eine erstaunliche Vielzahl von Schloß- und Burgruinen, kleinen Mooren, Seen und Bachläufen. Straßen waren nur spärlich vertreten und bestanden durchweg aus geschotterten, schmalen Wegen, die jeden normalen Durchgangsverkehr per Auto verhinderten. Hier präsentierte sich eine urwüchsige Natur, die von der sogenannten Zivilisation noch unberührt war. Ausgangspunkt dieses Orientierungsflugs war Birnam. Dann hatte der Hubschrauber das Flüßchen quellaufwärts verfolgt und schwebte jetzt über den Klippen, wo man Kathy Porter überrascht hatte. Parker hatte sich längst die Frage gesteht, wie groß der Aktionsradius dieser Mordfalken sein konnte. Legten sie alles zu Fuß zurück oder benutzten sie irgendwelche geländegängigen Fahrzeuge? Falls ja, dann mußte man früher oder später auf entsprechende Spuren stoßen. Über den internen Sprechfunk im Hubschrauber bat Parker den Piloten, etwa hundert Meter senkrecht hochzusteigen. Von diesem Standort über den Klippen wollte er sich einen Rundblick verschaffen.
Kathy Porter tippte den Butler an und deutete nach Westen. Parker wandte sich um und entdeckte sofort die Burgruine auf einem bewaldeten Hügel. Eine dünne Rauchsäule stieg senkrecht zum Himmel empor. Parker nahm mit dem Piloten eine Zielansprache vor und bat ihn dann, erst mal wieder in Richtung Birnam abzudrehen. »Läßt es sich dann ermöglichen, möglichst ungesehen an die Ruine heranzukommen?« fragte er abschließend. »Mylady möchte ganz plötzlich über der Ruine stehen.« »Kleinigkeit«, antwortete der Pilot. »Aber das wird 'ne wilde Hüpferei. Ich warne Sie. Ihre Mägen werden Achterbahn fahren.« »Kümmern Sie sich nicht um meinen Magen, junger Mann«, schaltete Lady Agatha sich geringschätzig ein. »Ich flog schon, als Sie noch gar nicht auf der Welt waren.« »So alt sind Sie schon?« fragte der Pilot ahnungslos und spontan. »Als Sie noch ein Halbwüchsiger waren«, korrigierte die ältere Dame sich hastig, wobei sie ihm einen eisigen Blick zuwarf. »Wann wollen Sie endlich die Rauchsäule anfliegen?« Der Pilot zeigte wenig später seine Klasse. Er blieb entweder dicht über den Baumwipfeln oder aber benutzte Schneisen und Wiesen, um sich möglichst ungesehen an die Burgruine heranzupirschen. Kathy Porter, die sich schon in prekären Situationen befunden hatte, bekam feuchte Hände vor Aufregung. Oft schien es so, als habe der Pilot die
Gewalt über den Helikopter verloren oder die Höhen falsch eingeschätzt. Parkers Miene blieb ausdruckslos. Selbst in diesen Minuten war nicht zu erkennen, was er dachte .oder fühlte. Agatha Simpson hingegen gab sich ganz dem Genuß dieser Flugartistik hin. »Ist es so recht?« fragte der Pilot, der den Hubschrauber gerade wieder durch eine Moorschneise tänzeln ließ. Er hoffte sehr, eine bleiche Dame zu sehen oder eine zittrige Stimme zu hören. »Begabt, junger Mann«, erwiderte Lady Agatha unbeeindruckt. »Noch ein paar Jahre Erfahrung, und Sie können sich als Pilot bezeichnen!« * Von der schlanken und steilen Rauchsäule war nichts mehr zu sehen. Der kleine Helikopter stand genau über der Burgruine. Lady Simpson schaute seitlich hinunter auf die Wälle, Gräben, auf eine zerfallene Zugbrücke, Türme und Bauten, die zum größten Teil eingestürzt und verfallen waren. »Sie haben die Orientierung verloren«, behauptete sie und musterte den Pilot mit grimmigem Blick. »Das ist die Ruine, die Sie sehen wollten«, antwortete der Flugzeugführer ärgerlich ... »Soll ich noch tiefer runtergehen?« »Wie denken Sie darüber, Mr. Parker?« fragte Agatha Simpson. »Ich habe zwar genaue Vorstellungen, aber ich möchte Ihre Ansicht hören.« »Darf ich vorschlagen, Mylady, die Ruine erst mal zu umkreisen?« schlug Parker vor.
»Wonach suchen Sie eigentlich?« wollte der Pilot wissen. Er ging tiefer, legte den Helikopter in eine steile Kurve und umzog die Burgruine. »Mylady plant die Schaffung eines Burghotels«, antwortete der Butler, bevor die Detektivin die Frage beantworten konnte. »Es geht Mylady um die Anfahrtswege.« »Es ist ja Ihr Geld, Mylady«, meinte der Pilot und lachte. »Aber wen wollen Sie hierher in diese Wildnis locken? Hier ist doch nichts als Natur.« Parker beobachtete durch das Fernglas den Burgweg. Die Optik war wirklich ausgezeichnet. Und sie lieferte ihm schon nach wenigen Minuten Reifenspuren. Sie waren auf dem geschotterten Weg, der zur Burgruine führte, deutlich zu erkennen. Grobstollige Reifen, wie sie entweder von Militärfahrzeugen oder von landund forstwirtschaftlichen Wagen benutzt wurden, hatten ihre Abdrücke hinterlassen. Überraschend war nur, daß diese Spuren auf halber Höhe des Weges plötzlich verschwunden waren. Die Fahrzeuge, die hier gefahren waren, schien plötzlich gewendet und wieder in den dichten Wald vor der Bergkuppe zurückgekehrt zu sein. »Ließe es sich ermöglichen, jetzt über der Ruine stehen zu bleiben?« bat Parker den Piloten. »Gehen Sie so tief wie möglich, wenn ich bitten darf!« Der Pilot stellte den Helikopter praktisch neben den halb verfallenen Hauptturm und ließ sich dann weiter absinken. Staubfahnen wurden
aufgewirbelt, die leider jede Sicht nahmen: »Was soll denn das?« grollte Lady Simpson empört. »Noch etwas tiefer«, bat Parker und öffnete gleichzeitig das kleine Schiebefenster auf seiner Seite. Der aufwirbelnde Staub wurde noch dichter und kompakter. Parker wandte sich zu Kathy Porter um, die ihr Schiebefenster ebenfalls geöffnet hatte. Sie hatte verstanden und nickte ihm bestätigend zu. »Rauch, nicht wahr?« fragte sie aber sicherheitshalber über die Bordsprechanlage.« »Und Ascheteilchen«, fügte Parker hinzu. »Dort unten brannte vor kurzer Zeit jenes Feuer, das die Rauchsäule verursachte.« »Und jetzt?« erkundigte sich der Pilot. »Tiefer kann ich nicht gehen, sonst muß ich landen.« »Landen Sie«, kommandierte die ältere Dame. »Okay, Sir«, erwiderte der Pilot ironisch und setzte auf. »Sonst noch Befehle?« Agatha Simpson hatte durchaus Sinn für Humor. Sie lachte und drückte dem Piloten anerkennend in die Seite, worauf der junge, gewiß nicht unsportliche Mann augenblicklich an ein paar gebrochene Rippen dachte. »Sie gefallen mir«, sagte sein resoluter Fluggast. »Aus Ihnen kann noch etwas werden.« * Kathy Porter blieb in unmittelbarer Nähe ihrer Chefin, die sich den Burghof näher anschauen wollte. Parker hatte so die Gewähr dafür, daß
Lady Simpson gebremst wurde, falls es zu Zwischenfällen kam. Der Butler hingegen interessierte sich erst mal für den Burgweg Und die Reifenspuren. Er merkte schnell, daß man versucht hatte, die grobstolligen Reifenspuren zu beseitigen. Diese Arbeit war jedoch nicht ganz geschafft worden. Er sah zum nahen Wald hinüber, der um die Bergkuppe herum besonders dicht und abweisend wirkte. Seine innere Alarmanlage hatte sich bereits gemeldet. Sie sagte ihm, daß unmittelbare Gefahr bestand. Dort drüben im Dickicht befanden sich mit Sicherheit jene Menschen, die die Reifenspuren nur zum Teil verwischen konnten. Handelte es sich um die Riesenfalken? Würden sie es riskieren, zum Angriff überzugehen? Würden sie es auf Schüsse ankommen lassen, selbst wenn man mit Schalldämpfern arbeitete? Parker konnte sich das nicht vorstehen. Damit hätten diese Monsterwesen sich nur unnötig verraten. Es war ihnen unmöglich, die Insassen des Hubschraubers zu erledigen. Sie mußten davon ausgehen, daß dieser Flug bei der örtlichen Luftaufsicht natürlich gemeldet war. Oder würden sie versuchen, einen tödlichen Unfall zu inszenieren? Was war, wenn spätere Suchtrupps den zerstörten Hubschrauber und vier Tote fanden? Schöpfen die Behörden dann Verdacht oder blieb es nur bei einigen Schlagzeilen? Parker verzichtete darauf, näher an den Wald heranzugehen. Es war die Klugheit, nicht die Angst, die ihn veranlaßte, sich wieder der Ruine
zuzuwenden, zumal dort Kathy Porter erschien und ihm zuwinkte. »Ich möchte unterstehen, daß Sie eine interessante Entdeckung gemacht haben«, sagte Butler Parker, als er Kathy Porter erreicht hatte. »Sehen Sie sich das an, Mr. Parker!« Sie zeigte ihm zwei flache Konservendosen, die noch Fleischreste enthielten. »Die Dosen können erst vor wenigen Stunden geöffnet worden sein.« Parker bemühte seine Nase und nickte dann zustimmend. »In der Tat», sagte er. »Gewisse Leute scheinen im Hof der Ruine eine Art Picknick veranstaltet zu haben.« »Wir haben auch die Feuerstelle gefunden«, redete Kathy Porter eifrig weiter. »Sind wir auf der richtigen Spur?« »Auf der richtigen Spur!« Parker nickte erneut andeutungsweise. »Aber diese Ruine dürfte auf keinen Fall der Unterschlupf der Mordfalken sein. Es muß sich um ein Biwak gehandelt haben.« Sie gingen vorsichtig über die halb eingestürzte, morsche Zugbrücke zurück in den Hof der Ruine. Der Pilot rauchte eine Zigarette und lächelte Parker an. »Was suchen Sie wirklich?« fragte er. »Wilddiebe«, gab Parker gelassen zurück. »Diese Waldungen gehören zum Besitz der Lady Simpson.« »Wilddiebe? Das klingt schon besser. Haben Sie keine Angst, daß die Kerle auf Sie schießen?« »Würde es Ihnen etwas ausmachen?« »Nee, aber nur solange, wie ich nicht getroffen werde.« Der Pilot
wurde prompt ein wenig nervös. »Werden Sie noch lange hier suchen?« »Wo befindet sich Mylady?« erkundigte Parker sich bei Kathy Porter. »Sie wollte das Längshaus inspizieren, Mr. Parker. Ich fürchte, ich hätte sie nicht allein lassen sollen, nicht wahr?« »Es wäre vielleicht besser gewesen, Miß Porter, ohne Ihnen einen Vorwurf machen zu wollen. Gehen wir!« Parker kannte die Unternehmungslust seiner Herrin leider nur zu gut. Sie nutzte jede Gelegenheit, sich und ihre Mitmenschen in Schwierigkeiten zu bringen. Sie entwickelte stets ein einmaliges Geschick, Verwicklungen heraufzubeschwören. Im Längshaus war sie natürlich weit und breit nicht zu sehen. Parker stieg auf einen kleinen Schutthügel und schaute sich um. Das Dach des Gebäudes war vor langer Zeit bereits eingestürzt. Die Morgensonne hatte ungehinderten Zugang und beleuchtete die Szenerie. Kathy Porter sprang leichtfüßig nach vorn und rief Lady Simpsons Namen, doch die erhoffte Antwort blieb aus. »Ob Mylady in einen Keller gestürzt ist, Mr. Parker?« Kathy Porter machte sich heftige Vorwürfe. »Der Möglichkeiten gibt es leider viele«, erwiderte Josuah Parker, wechselte nach links hinüber und entdeckte eine Ziegeltreppe, die ins Kellergeschoß des Längshauses führte. »Würden Sie freundlicherweise hier verharren,
Miß Porter. Ich werde mir die Kellerräume ansehen.« ' »Bleiben Sie oben, Mr. Parker«, ertönte in diesem Moment von unten die sehr baritonal gefärbte Stimme Agatha Simpsons. »Sehen Sie, was ich gefunden habe? Was wären Sie ohne mich!?« Die Detektivin erschien auf der Treppe und hielt eine Maschinenpistole in Händen. Es war eigentlich schon selbstverständlich bei ihr, daß sie die Mündung auf den Butler richtete, ohne sich dabei etwas zu denken. Parker trat sicherheitshalber einen Schritt zur Seite. »Ein ganzes Waffenlager«, redete die ältere Dame triumphierend weiter. »Maschinenpistolen, Maschinengewehre und sogar einige Panzerfäuste. Nun, was sagen Sie jetzt?« »Mylady lösen Verblüffung in meiner bescheidenen Person aus.« »Ich werde Ihnen jetzt sagen, wem wir auf der Spur sind«, sagte Lady Agatha und strahlte. »Es sind Waffenschieber, die hier ihr Depot angelegt haben. Internationaler Waffenschmuggel, um noch deutlicher zu werden! Dieses Geschäft werde ich den Herren aber gründlich verderben, darauf können Sie sich verlassen.« »Mylady tragen sich bereits mit konkreten Plänen?« »Was dachten denn Sie, Mr. Parker? Sorgen Sie dafür, daß die Waffen unbrauchbar gemacht werden! Ich lasse es nicht zu, daß irgendwo auf der Welt ein kleiner Krieg geschürt wird.« *
Leider hatte Agatha Simpson ein wenig übertrieben, wie Josuah Parker später feststellte. Er war in den Keller gestiegen, in dem es überraschend hell war. Licht fiel durch große Mauerlücken in die Gewölbe. Durch diese Lücken konnte man den steilen Hang hinunter zum nahen Wald sehen. Das Waffenlager entpuppte sich als eine Ansammlung von Tragekisten, wie sie vom regulären Militär verwendet wurden. Sie sahen bereits recht mitgenommen und zerschlissen aus. Es kam jedoch noch überraschender. Die meisten Kisten waren mit Ziegelsteinen gefüllt. Nur eine Kiste, eben die, die Lady Simpson entdeckt hatte, enthielt einige Maschinenpistolen, zwei demontierte Maschinengewehre und Panzerfäuste älterer Bauart, deren Köpfe nur Attrappen waren. Munition war weit und breit nicht zu entdecken. »Sie scheinen sich die Arbeit recht leicht gemacht zu haben, Mr. Parker«, stellte die Detektivin grollend fest, als der Butler wieder oben im Burghof erschien. »Haben Sie vielleicht ein paar Kisten übersehen? Es würde mich nicht wundern.« Der Pilot stand weit genug abseits und konnte nichts hören, also war Parker in der Lage, Lady Agatha zu informieren. »Was soll das heißen?« fragte sie verdutzt, als er geendet hatte. »Meiner bescheidenen Ansicht nach scheint es sich bei den Transportkisten um Übungsmaterial zu handeln, Mylady.«
»Was soll ich mir denn darunter vorstehen?« Sie war ärgerlich, denn sie merkte bereits, daß ihre Theorie nicht haltbar war. »Die Mordfalken, Mylady, um bei diesem Ausdruck zu bleiben, scheinen mit den gefüllten Kisten nur geprobt zu haben.« »Was denn, zum Teufel?« Sie wurde sehr ärgerlich. »Das Bewegen im Gelände unter kriegsmäßigen Bedingungen, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Dann haben wir es mit ein paar Verrückten zu tun, die Krieg spielen wollen?« »Dies, Mylady, kommt den Tatsachen sehr nahe.« »Wer denkt sich solch einen Unsinn aus?« Die resolute Dame überlegte kurz und hatte dann wieder eine neue Theorie vorzuweisen. »Warten Sie, Mr. Parker, wird da vielleicht ein Umsturz geplant? Schottische Separatisten? Will man meine Freundin Elizabeth etwa vom Thron stürzen?« »Eine Vorstellung, Mylady, die nur Abscheu auslösen kann.« »Ich weiß es jetzt!« Sie richtete sich majestätisch auf. »Man plant ein Attentat auf das Königshaus! Ja, das ist es! Keine Widerrede, Mr. Parker, hier wird ein Attentat vorbereitet.« »Besuchen Mitglieder königlichen Geblüts diese Waldungen, Mylady?« fragte Parker. »Das werden wir bald genau wissen. Ich werde nachfragen. Nein, ich brauche es gar nicht! Daß ich nicht früher darauf gekommen bin! In etwa anderthalb Wochen kommt die Königin nach Edinburgh, privat natürlich. Hier
findet eine Military statt, die sie immer besucht.« »Ich möchte ja nicht stören«, rief der Pilot und kam schnell auf das Trio zu. »Aber ich würde vorschlagen, möglichst schnell abzuhauen, Mylady.« »Was ist denn?« fragte die ältere Dame gereizt. »Da unten am Wald hab' ich gerade so ein paar komische Riesenvögel gesehen«, redete der Pilot weiter. »Möglich, daß ich mich auch getäuscht habe, aber sicher ist sicher.« »Haben Sie etwa Angst, junger Mann?« Sie sah ihn erstaunt an. »Um meinen Hubschrauber«, erklärte der Pilot. »Diese Dinger sind anfällig, falls Sie's noch nicht wissen sollten. Ein paar gut gezielte Schüsse in die Rotorblätter, und schon ist Feierabend.« »Man sollte sich den technischen Argumenten des Herrn beugen, Mylady«, schlug Parker vor. »Darf ich übrigens fragen, um welche Riesenvögel es sich Ihrer Ansicht nach handelte?« »Für mich sind das so 'ne Art Geier gewesen, obwohl die's hier ja nicht geben kann. Kommen Sie, ich habe keine Lust, mich von Wilddieben abschießen zu lassen!« »Armes England«, seufzte Lady Agatha. »Wo sind die Männer, die mal ein Imperium schufen?« »Tot, Mylady«, sagte der junge Pilot schnoddrig und grinste. »Und sowas wie'n Imperium is' nicht mehr gefragt, das Fernsehprogramm ist wichtiger!« *
Der Pilot hatte sie in Birnam in der Nähe des Hotels abgesetzt, in dem Lady Simpson zuerst abgestiegen war. Hier befand sich ihr Gepäck, und hier war man den dichten Waldungen erheblich näher. Parker versuchte erneut, sich mit Mr. Herbert L. Ladders in Edinburgh in Verbindung zu setzen und hatte diesmal mehr Glück. Nachdem er die Nummer des Briefschreibers gewählt hatte, meldete sich eine vorsichtige Stimme, in der eindeutig Angst mitschwang. Parker hörte das sofort heraus und ahnte gewisse Zusammenhänge. Er wechselte seine Taktik. »Hoffentlich haben Sie sich an meinen Rat gehalten, Mr. Ladders«, fragte er in einem gekonnt arroganten, militärischen Tonfall. »Natürlich, Sir, natürlich«, antwortete Ladders. »Ich spreche zu keinem Menschen von der Sache. Gestern war ein Reporter hier und wollte mich interviewen,- aber ich habe ihn nicht empfangen.« »Wird das genügen?« schnarrte Parker in die Sprechmuschel. Es tat ihm außerordentlich leid, diesen armen Mr. Ladders unter Druck zu setzen. »Bestimmt, Sir«, versicherte Herbert L. Ladders hastig. »Ich habe total vergessen, was ich gesehen habe. Ich werde meine Jagdhütte bei Aberfeldy vorerst nicht mehr besuchen.« »Wieviel Bargeld steht Ihnen zur Verfügung?« »Ich könnte ... Ich habe ...« »Nennen Sie Zahlen, Mr. Ladders«, schnarrte Parker. »Fast tausend Pfund, Sir, und die kann ich Ihnen sofort...« Die Angst in
der Stimme des Mannes wurde noch hörbarer. »Fahren Sie umgehend zum Flugplatz und buchen Sie einen Flug nach London, haben Sie mich verstanden? Sie werden sich dort irgendwo einmieten und sich völlig unauffällig bewegen. Das ist ein Befehl.« »Ich ... Ich werde sofort losfahren, Sir.« »Ende«, sagte Parker und legte auf. Er sah Kathy Porters Lächeln und nickte. »Ich möchte diesen bedauernswerten Mr. Ladders aus einer etwaigen Schußlinie herausbringen.« »Ich habe verstanden, Mr. Parker.« »Mr. Ladders besitzt in der Nähe von Aberfeldy eine Jagdhütte. Dort dürfte er auch die Riesenfalken gesehen haben.« »Werden Sie sich diese Jagdhütte ansehen, Mr. Parker?« »Ich neige dazu, Miß Porter. Nach dem genauen Studium der Karte werde ich Mylady bitten, sich für solch einen Ausflug zu entscheiden.« Kathy befand sich in seinem Zimmer und konnte sich ungestört mit dem Butler unterhalten. Mylady war dabei, ein heißes Bad zu nehmen und konnte sich nicht einschalten. »Was halten Sie von dieser Attentatsgeschichte, Mr. Parker, an die Mylady glaubt?« »Man sollte sie nicht ausschließen, Miß Porter, aber ich möchte sofort hinzufügen, daß Attentäter kaum derart hart im Gelände zu trainieren pflegen.« »Sie haben sich bestimmt auch schon eine Theorie gebildet, nicht wahr?«
»Sie ist und bleibt mehr als vage, Miß Porter. Meiner bescheidenen Schätzung nach hat man es mit einem paramilitärischen Verband zu tun, der hart gedrillt und für bestimmte Fälle trainiert wird.« »Einverstanden, Mr. Parker, aber warum dann diese monströsen Falkenmasken? Sie sind doch sicher in Serie hergestellt worden und können nicht billig gewesen sein. Warum also dieser Aufwand?« »Sie sind ebenfalls der Meinung, daß solch ein paramilitärischer Verband wesentlich unauffälliger operieren kann, wenn er auf solche Masken verzichtet, nicht wahr?« »Genau das meine ich, Mr. Parker. Warum setzen die Männer sich der Gefahr aus, in ihrer verrückten Aufmachung per Zufall gesehen zu werden? Ohne diese Falkenmasken würde sich doch kein Tourist nach ihnen umdrehen.« »Ich erlaube mir, mich erneut Ihrer Betrachtungsweise anzuschließen«, gab der Butler zurück. »Die Falkenmasken müssen demnach und logischerweise Bestandteil des Auftrags sein, den dieser Verband irgendwann und irgendwo auszuführen beabsichtigt.« Der Austausch der Argumente wurde jäh gestoppt, als ein wütendgrollender Schrei aus der Suite der älteren Dame zu hören war. Kathy Porter reagierte unmittelbar und sprintete aus Parkers Zimmer. Der Butler wählte einen wesentlich bequemeren Weg: Er trat auf den kleinen Balkon und stieg auf den angrenzenden, größeren über, der zur Suite der Lady gehörte.
»Ihnen scheint es gesundheitlich nicht sonderlich gut zu gehen«, sagte Parker dann zu dem großen, muskulösen Mann, der auf den Balkon wankte und glasige Augen hatte. Der Angesprochene reagierte nicht, seufzte, fiel auf die Knie und rollte anschließend auf den Teppich zurück. Dort blieb er regungslos hegen. * »Das muß man sich mal vorstehen«, grollte Lady Simpson und deutete auf den Ohnmächtigen, »er wollte sich mir unsittlich nähern!« Die erregte Dame hatte sich in ein riesiges Badelaken gehüllt und sah aus wie eine füllige römische Rachegöttin in der Toga. »Mylady befanden sich in der Badewanne?« erkundigte sich der Butler, während Kathy Porter die Handschellen entgegennahm, die Parker ihr reichte. Sie legte sie dem jungen Mann an, der etwa dreißig Jahre zählte. »Und plötzlich stand er vor mir.« Lady Agatha nickte. »Ich sehe noch seine lüsternen Augen und das impertinente Grinsen. Einfach scheußlich!« »Mylady setzten sich zur Wehr?« Parkers Gesicht blieb unbeweglich, obwohl ein kleiner Lachreiz seinen Gaumen kitzelte. Er sah die Szene sehr genau und deutlich vor sich. »Natürlich wehrte ich mich, es ging doch um meine Ehre als Frau.« Sie lächelte plötzlich. »Ich schlug ihm erst mal die Stielbürste um die
Ohren. Anschließend warf ich ihm die Seife ins Gesicht. Das alles hätte eigentlich schon gereicht.« »Mylady wollten jedoch sichergehen, daß kein zweiter Angriff erfolgte?« »Ich bin für vollendete Tatsachen.« Sie nickte noch mal erfreut. »Ich stieg aus der Wanne und zog ihm den Badehocker über den Kopf.« »Mylady sind bewunderungswürdig«, erlaubte Parker sich zu sagen. »Papperlapapp, Mr. Parker! Ich bin nur schamhaft, das ist alles. Bringen Sie dieses Subjekt wieder zu sich, ich habe ein paar Fragen an den Lümmel zu richten.« Parker brauchte sich nicht zu bemühen, denn der junge Mann hatte inzwischen die Augen geöffnet und machte einen immer noch verwirrten Eindruck. Parker konnte ihn verstehen. Ein Wunder, daß er keinen Schock davongetragen hatte. Lady Agatha in der Badewanne und keineswegs zimperlich mußte ihn nachhaltig das Fürchten gelehrt haben. »Mylady wird in wenigen Minuten ein paar Fragen an Sie richten«, schickte der Butler voraus. »Mylady ist ein wenig verärgert, wie ich hinzufügen möchte. Sie sollten eine gute Ausrede zur Hand haben.« Der junge Mann starrte auf die Handschellen und richtete sich auf. Er betrachtete den Butler, dann Kathy Porter und zuckte zusammen, als die Rachegöttin aus dem Schlafraum kam. Lady Agatha hatte sich einen weiten Morgenmantel übergestreift. Sie sah imponierend aus, wozu wohl auch die langstielige Badebürste beitrug, die sie in ihrer rechten Hand trug.
»Sie gehören also zu diesen albernen Riesenfalken«, stellte sie wie selbstverständlich fest. »Sie wollten mich ersäufen, nicht wahr?« »Rie . .. Riesenfalken«, stotterte der junge Mann. »Widersprechen Sie nicht!« Ihre Stimme hatte einen sehr dunklen Ton angenommen. »Sie griffen nach meinen Füßen und wollten mich daran unter Wasser ziehen.« »Madam, ich bin . .. ich habe . . . ich wollte eigentlich an Ihren Schmuck ...« »Nur an den Schmuck?« Agatha Simpson lächelte dünn, ihre Augen glitzerten 'gefährlich. »Und darum wollen Sie mich vorher ermorden? Ein wirklicher Einsteigedieb hätte seine Möglichkeiten anders genutzt, junger Mann! Wollen Sie eine alte Frau belügen?« »Und wozu brauchen Sie dieses Fallschirmmesser?« schaltete der Butler sich ein. Er zog es blitzschnell aus dem Schaft der knöchelhohen Schnürschuhe, die an die von Fallschirmspringern erinnerten. »Mr. Parker, Miß Porter, lassen Sie mich mit diesem Lüstling allein«, forderte die ältere Dame. Sie hob die Stielbürste. »Ich werde diesen jungen Burschen etwas in Stimmung bringen.« Der Mann nahm den Kopf zwischen die Schultern und ahnte wohl, daß seine Gegnerin nicht mit leeren Versprechungen arbeitete. Sie meinte eindeutig das, was sie sagte. »Mylady, ich möchte davon ausgehen, daß er ohnehin reden wird«, antwortete Josuah Parker .gemessen. »Zurück zu seiner Einheit kann er nicht mehr. Er hat seinen Auftrag
nicht erfüllt und sich damit in den Augen der Vorgesetzten disqualifiziert.« »Das kann man wohl sagen.« Mylady nickte beifällig. »Auf der anderen Seite weiß er natürlich zuviel über die Formation der Riesenfalken«, redete der Butler kühl, aber höflich weiter. »Dieser junge Mann ist eigentlich bereits verschieden, ohne es im Augenblick zu wissen.« »Was schlagen Sie vor?« »Man sollte ihn des Weges ziehen lassen«, Mylady«, sagte Josuah Parker. »Eine härtere Strafe könnte man ihm nicht zudiktieren. Vor dem Hotel werden die Henker bereits auf ihn warten.« »Diese komischen Riesenfalken?« »Die Riesenfalken, Mylady«, bestätigte Parker. »Der junge Mann hat eine echte Chance.« »Und die wäre?« fragte der junge Mann hastig. Er hatte aufmerksam zugehört. »Mylady wird Ihnen die Möglichkeit zur Flucht verschaffen«, sagte Josuah Parker. »Dazu würde auch ein kleiner Geldbetrag gehören. Damit könnten Sie sich irgendwo im Land solange verbergen, bis die Riesenfalken hinter Schloß und Riegel sitzen.« »Sie haben drei Minuten Zeit, sich das zu überlegen«, warf Lady Simpson ein. »Ach was, immer diese drei Minuten! Warum eigentlich? Eine Minute genügt vollkommen. Ich habe keine Lust, Sie zu verwöhnen.« »Ich ... Ich stehe auf«, sagte der junge Mann bereits nach zwanzig Sekunden und schüttelte resignierend den Kopf. »Die werden mich wirklich umbringen. «
»Wer, junger Mann? Und damit sind wir bereits beim Thema!« Lady Agatha ließ sich in einem Sessel nieder und nickte ihm fast schon wohlwollend zu. »Die Falken, Mylady«, gab der Mann zurück. »So nennt sich die Einheit. Die kennen keine Gnade oder Rücksicht. Drei von uns sind schon verschwunden. Ich will nicht der vierte sein.« »Kommen Sie endlich zum Thema«, erinnerte Lady Simpson ungeduldig. »Wann, wie und wo lernten Sie sie kennen?« , »Das erfahren Sie noch früh genug«, schnarrte in diesem Moment von der Zimmertür her eine arrogante Stimme. Lady Simpson fuhr herum und sah sich drei Männern gegenüber, die schwere Coltpistolen in Händen hielten, wie sie in der US Army verwendet werden. Der Mann mit der schnarrenden Stimme war klein, drahtig und wirkte scharf wie ein Rasiermesser. Seine beiden Begleiter überragten ihn wie kleine Türme. Die drei Männer trugen Zivil, wie Parker festgestellt hatte. Sie beherrschten eindeutig die Situation, daran bestand kein Zweifel. Es gab keinen Trumpf, den sie nicht besessen hätten. »Können Sie nicht anklopfen, Sie Flegel?« fuhr Lady Agatha den Drahtigen gereizt an. »Ich hole das später an Ihrem Sarg nach, Mylady«, lautete die impertinente und ironische Antwort. »Man soll seinen Gegner nie unterschätzen, Lady Simpson.«
* »Darf man davon ausgehen, daß Sie nicht beabsichtigen, hier im Hotel ein Blutbad anzurichten?« fragte Parker in seiner unnachahmlich höflichen und beherrschten Art. »Warum sollten wir die Behörden unnötig alarmieren, Mr. Parker?« fragte der Arrogante herablassend. »Auf der anderen Seite bin ich natürlich fest entschlossen, jeden Widerstand sofort mit der Waffe brechen zu lassen.« Er bluffte nicht, das sah man diesem Mann an. »Sie wollen sich an einer alten Frau vergreifen?« grollte Lady Agatha Simpson. Im Morgenmantel und ohne Pompadour kam sie sich ein wenig hilflos vor. Kathy Porter hingegen hatte sich augenblicklich wieder in eine recht scheue und ängstliche junge Dame verwandelt. »Ich weiß inzwischen sehr genau, wer Sie sind, Mylady. Das gilt auch für Sie, Mr. Parker. Mein privater Nachrichtendienst hat da erstklassige Unterlagen geliefert.« »Sie unterhalten einen privaten Nachrichtendienst?« Parker rang sich die Andeutung eines leichten Erstaunens ab. »Und noch mehr.« Der kleine Arrogante machte eine herrische Handbewegung. »Genug der Diskussionen. Dann deutete er auf Kathy Porter. »Sie werden sofort mit uns kommen, Miß Porter. Nun hören Sie genau zu, Mr. Parker: Sobald der Wagen mit Miß Porter losgefahren ist, werden Sie mit Ihrem Wagen in Richtung Aberfeldy starten. Alles weitere erfahren Sie unterwegs. Sie werden von keinem
meiner Leute begleitet. Ich weiß, daß Sie keinen Verrat planen können, wenn Sie an Myladys Leben denken. Nach Ihrem Aufbruch werde ich mit Mylady folgen.« »Sie räumen Mylady und Miß Porter eine Überlebenschance ein?« fragte Parker. »Das hängt von besonderen Umständen und von Ihrer Kooperation ab, Mr. Parker. Ich bestätige in aller Form, eine Überlebenschance besteht durchaus. Vorwärts!« Es wäre reiner Selbstmord gewesen, jetzt und hier einen Befreiungsversuch unternehmen zu wollen. Das sah sogar Lady Agatha ein. Ihre grauen Augen verengten sich jedoch gefährlich, als Kathy Porter die Suite verließ, flankiert von zwei jungen Männern, zu denen der Niedergeschlagene gehörte. »Ich muß mich umkleiden«, sagte Agatha Simpson energisch. »Und ich werde es allein und ohne Aufsicht tun!« »Sie werden sich unter Aufsicht umkleiden, Mylady«, erwiderte der kleine Arrogante und lächelte dünn. »Gehen Sie zurück ins Badezimmer! Man wird Ihnen Ihre Kleidungsstücke reichen, aber die Tür bleibt nur angelehnt.« »Parker ging zum Balkon und schaute auf die Straße hinunter. Es dauerte nicht lange, bis Kathy Porter und ihre beiden Begleiter erschienen. Sie bewegten sich unauffällig und redeten miteinander, während sie auf einen VW-Käfer zugingen. Man hätte sie für gute Freunde halten können.
Agatha Simpson befand sich bereits im Badezimmer und kleidete sich an. Bevor man ihr die jeweiligen Kleidungsstücke reichte, wurden sie von dem Begleiter des Arroganten genau durchsucht. Sein privater Nachrichtendienst mußte wirklich gut gearbeitet haben. So schien man zu wissen, daß gerade' einer Lady Agatha Simpson nicht sonderlich zu trauen war. »Ich möchte mich abmelden«, sagte Parker und wandte sich zu dem kleinen Arroganten um. Er griff nach Melone und Schirm, deutete eine knappe Verbeugung an und verließ dann die Hotelsuite. Dieser Abtransport war schlau eingefädelt worden. Man ließ ihn, Josuah Parker, völlig allein fahren. Man durfte sicher sein, daß er nichts unternahm, was das Leben der beiden Frauen gefährdete. Ein besseres Faustpfand hätten sich die Todesfalken gar nicht wünschen können. Parker verließ gemessen das Hotel und setzte sich ans Steuer seines hochbeinigen Monstrums. Dabei handelte es sich um ein ehemaliges, altes Londoner Taxi, das nach seinen ausgefallenen Wünschen und Vorstehungen umgestaltet worden war, was die Technik betraf. Dieser eckige und hochbeinige Wagen war nun vollgestopft mit Raffinessen aller Art, die Parker im Moment jedoch nichts nutzten. Es wäre sogar tödlich gewesen, über das Funktelefon die Polizei zu verständigen. Nein, diese Affäre mußte allein bewältigt und überstanden werden. Butler Parker war froh, allein zu sein. Während der Fahrt konnte er unterwegs eine kurze Haltepause
einlegen und sich aus seinem schwarzen Handkoffer mit einigen Überraschungen versorgen. An solch eine Möglichkeit schien der Arrogante nicht gedacht zu haben. * Als Lady Simpson das Bad verließ, sah sie wieder imposant wie üblich aus. Sie betrachtete den kleinen Arroganten durch ihre Lorgnette sehr von oben herab. Die Stielbrille in ihrer Hand sah wie selbstverständlich aus, auch der Pompadour, doch auf ihn zeigte der kleine Mann. »Dieses Kriegsgerät geben Sie besser ab«, sagte er. Agatha Simpson zuckte die Achseln und lieferte den Pompadour samt Glücksbringer an den großen und muskulösen jungen Mann ab. Für die zusammenklappbare Stielbrille aber interessierte der Arrogante sich nicht, auch nicht für die beiden langen Hutnadeln, die Myladys abenteuerlich aussehenden Hut im Haar festhielten. »Ich bewundere Ihre Ruhe, Mylady«, sagte der Arrogante und deutete auf die Zimmertür. »Wirklich schade, daß man auf solch eine Weise miteinander verkehren muß, aber die Umstände zwingen mich dazu.« »Sie planen ein Attentat?« fragte Lady Agatha ungezwungen und neugierig. »Nur indirekt, Mylady.« Der Arrogante lächelte. »Um Sie aber gleich zu beruhigen, am Königshaus bin ich nicht interessiert.«
»Wie rücksichtsvoll!« Sie sah ihn gereizt an. »Sind Sie der Chef dieser Riesenfalken?« »Einzelheiten werden Sie noch rechtzeitig erfahren, Lady Simpson. Was ich noch sagen wollte, bitte, keine Dummheiten! Falls wir nicht pünktlich am Treffpunkt erscheinen, wird Miß Porter dafür sehr nachdrücklich bezahlen müssen.« »Phantasie haben Sie, junger Mann«, stellte die ältere Dame knurrig fest. »Ich denke da auch an diese albernen Falkenmasken. Was bezwecken Sie mit diesem Unsinn?« Sie sah ihn wieder durch die Lorgnette an und wartete auf eine passende Kurve. Agatha Simpson war nicht gewillt, sich einfach entführen zu lassen. Und sie wußte auch schon, wie sie das Arrangement dieser Mordfalken nachhaltig stören konnte. Sie hatten den kleinen Ferienort Birnam bereits hinter sich gelassen und bogen in die Seitenstraße nach Aberfeldy ein. Da der junge Mann vorn am Steuer recht schneidig fuhr, rutschte die Lady gewollt gegen den Arroganten und drückte ihn mit ihrer stattlichen Fülle fest in die Wagenecke. »Lassen Sie das!« Sie drückte sich mit der Hand ab, die die Stielbrille hielt. Sie hatte längst dafür gesorgt, daß der kleine, nadelspitze Dorn am Ende des Stiels ausgefahren war. Diesen Dorn drückte sie dem Arroganten in den Oberarm. »Was war das?« fragte der kleine Mann. »Eine Kurve«, erwiderte Agatha Simpson, »und ein unschicklicher Annäherungsversuch! Belästigen Sie
mich gefälligst nicht, haben Sie mich verstanden? « Der kleine Arrogante ließ sich düpieren. Er rieb sich die schmerzende Stelle und schöpfte keinen Verdacht. Er wußte nicht, daß seine gerissene Gegnerin ihm längst eine gehörige Dosis an Muskelgift verabreicht hatte. Dieses Präparat stammte aus dem Labor des Butlers und zeichnete sich durch eine schnelle Wirkung aus. »Wollen Sie mir nicht, endlich sagen, was Sie eigentlich vorhaben?« redete Lady Agatha laut und eindringlich weiter. »Warum streifen Ihre komischen Falken derart maskiert durch die Wälder? Das alles muß doch einen Sinn haben, oder etwa nicht?« Der Arrogante fand überhaupt keine Möglichkeit, seinem Fahrer eine Warnung oder einen Befehl zuzurufen. Lady Agatha redete, bis die Augen des kleinen drahtigen Mannes sich schlossen. Mylady nestelte an ihrem Hut herum und löste die beiden langen Nadeln. Sie steckte sie ins Haar zurück, um frei über ihren Hut verfügen zu können. Der Fahrer, der gerade in den Rückspiegel schaute, bekam endlich mit, daß mit seinem Chef etwas nicht in Ordnung war. Er griff blitzschnell nach der Schußwaffe, die in einer Schulterhalfter auf ihren Einsatz wartete. Genau in diesem Moment schlug die ältere Dame nachdrücklich mit ihrem Hut auf die linke Schulter des Mannes, der prompt in sich zusammenrutschte und um ein Haar das Steuer verrissen hätte. Er hatte
das Gefühl, von einer Dampframme getroffen zu werden. Zusätzlich verwirrte ihn noch ein intensiver Lavendelgeruch. »Weiterfahren, junger Mann«, befahl die Detektivin. »Oder ich schlage noch mal zu. In meinem Hut befinden sich zwei Parfümflaschen, eine ist also bestimmt noch intakt!« * Sie saß brav wie ein kleines Schulmädchen neben einem der beiden jungen Männer auf dem Rücksitz des VW-Käfers. Kathy Porter glaubte nicht einen Moment an eine Überlebenschance. Sie wußte, daß sie den arroganten kleinen Mann richtig eingeschätzt hatte: Er würde sich auf kein Risiko einlassen und nur an seine Pläne denken. Kathy Porter glaubte ferner zu wissen, daß Lady Agatha es nie hinnehmen würde, so einfach entführt zu werden. Wie sie ihre Chefin einschätzte, mußte es früher oder später zu einigen Aktivitäten kommen. Sie kannte das Temperament der Lady Agatha nur zu gut. Der VW-Käfer fuhr bereits durch das bewaldete, hügelige Gelände. Fahrzeuge waren nur hin und wieder zu sehen. Im Grund war man völlig unter sich. »Darf ich meine Handtasche öffnen?« fragte sie den jungen Mann, der neben ihr saß. »Geben Sie her«, erwiderte er und riß ihr recht derb die kleine Handtasche vom Schoß. Er öffnete sie und kramte in ihr. Er betrachtete sich alles sehr genau, nämlich den
Lippenstift, den kleinen Parfümzerstäuber, den Kamm, die Puderdose und ein paar lose Haarnadeln. »Was wollen Sie denn, Herzchen?« fragte er, als er die Tasche wieder zurückgab. »Die Lippen nachziehen«, sagte sie eingeschüchtert. »Mensch, haben Sie Sorgen«, lautete die prompte Antwort. »Meinen Sie, ich müßte mir welche machen?« Sie schraubte den Lippenstift auf und zog ihre Lippen nach, wobei sie in den Spiegel schaute, der fest auf einer der Innenseite der kleinen Tasche befestigt war. Bei dieser Gelegenheit beobachtete Kathy Porter die Straße hinter sich. »Keine Unterhaltung«, sagte der Fahrer militärisch knapp und in einem harten Befehlston. »Ich frage, weil ich ja bei Lady Simpson nur angestellt bin«, redete Kathy Porter weiter. »Halten Sie ebenfalls den Mund«, herrschte der Fahrer sie an. »Unterhaltung ist verboten!« Kathy Porter schwieg. Als sie den Parfümzerstäuber hervorholte, wurde ihr Nebenmann erneut mißtrauisch und nahm ihn ihr aus der Hand. »Lassen Sie das«, sagte er und behielt ihn. Genau dadurch hatte Parkers Meisterschülerin es geschafft, ihn abzulenken. Er bekam nicht mit, daß die Kunstperle ihres wirklich einfachen und billig aussehenden Ringes sich zur Seite schob und einen Stachel freigab, der an den einer Wespe erinnerte. Kathy Porter öffnete ihre Handtasche so einladend, daß der Mann den Parfümzerstäuber
hineinwarf. Dabei kam Kathy Porters linke Hand an den Oberarm des Mannes, der zusammenfuhr, als der feine Stachel sich durch seinen Jackenärmel in die Haut bohrte. Diese Jacke bestand aus dünnem Leinenstoff und bot kaum einen Widerstand. Der Mann achtete nicht weiter auf den Piekser, rieb sich die leicht schmerzende Stehe und beugte sich jetzt zum Fahrer vor. »Sind wir bald da?« fragte er. »Der nächste Parkplatz«, erwiderte der Fahrer knapp. »Und wie geht es dann weiter?« wollte Kathy Porter wissen. »Schnell«, lautete die ironische Antwort des Fahrers. »Sie werden noch voll auf Ihre Kosten kommen.« Der Mann neben Kathy Porter beteiligte sich schon nicht mehr an der Unterhaltung. Er schnappte nach Luft, rutschte in sich zusammen und verdrehte die Augen. Der Wespenstich wirkte bereits. Der Stachel unter der billigen Perle war selbstverständlich auch chemisch präpariert worden: Parker pflegte die beiden Damen stets so auszurüsten, daß sie sich in Krisen- und Notzeiten helfen konnten. Der Fahrer hatte noch nichts gemerkt, zumal der Parkplatz näher kam. Er war von der Straße aus kaum zu erkennen und von hohen Sträuchern und kleinen Hecken umgeben. Der Fahrer steuerte den VW-Käfer auf den Parkplatz und von dort aus durch einen leichten Graben ein Stück in den Wald hinein. »So«, sagte er und wandte sich zu Kathy Porter um. »Gleich sind wir wieder zusammen. Und dann ... Moment mal, was ist das!?«
»Ein Parfümzerstäuber«, erwiderte Kathy Porter und lächelte. »Versuchen Sie nicht, nach Ihrer Waffe zu greifen, ich würde sonst zudrücken.« »Und dann?« Der Mann starrte wie gebannt auf das kleine, hübsche Spielzeug, das harmlos aussah. »Hoffentlich werden Sie es nie erfahren müssen.« Ihre Stimme klang jetzt erbost. »Drehen Sie sich wieder um!« Er tat es und wollte sie überlisten. Er langte vorsichtig nach seiner Waffe in der Schulterhalfter. Er zuckte zusammen, als Kathy Porter ihm die leichte Wölbung des Zerstäubers gegen den Nackenwirbel preßte. Dann drückte sie ab. * »Es ist immer wieder eine Freude, Miß Porter, mit Ihnen zusammenzuarbeiten«, sagte Josuah Parker. Er hatte sein hochbeiniges Monstrum verlassen und schritt auf den VW-Käfer zu. Neben dem Wagen stand Kathy Porter und lächelte. »Es ist immer wieder eine Freude, mit Ihren Miniaturwaffen zu arbeiten«, antwortete sie. »Die Impfung wirkte augenblicklich.« »Es gab keine Verzögerungen, die hätten gefährlich werden können?« »Überhaupt keine, Mr. Parker.« Sie schüttelte den Kopf. »Einem Mann allerdings, der einen Wagen fährt, sollte man damit nicht behandeln. Er würde sofort gegen den nächsten Baum fahren oder im Straßengraben landen.«
Der angebliche Parfümzerstäuber war von Butler Parker umkonstruiert worden. Er enthielt in der normalen Hülle, an der nichts verändert worden war, eine Art Impfpistole, die mit einer kleinen Preßluftpatrone arbeitete. Durch einen Druck auf die Zerstäuberdüse preßte diese komprimierte Luft einen Lähmungsstoff tief durch die Haut ins Gewebe und verursachte eine sofortige Ohnmacht. Kathy Porter hatte sich erst gar nicht die Mühe gemacht, die beiden jungen Männer zu fesseln. Vor dreißig Minuten kamen sie mit Sicherheit nicht wieder zu sich. Auf Parkers Präparate war Verlaß. »Ich werde Mylady abwinken«, sagte Parker. »Sie könnte leicht das Zeichen übersehen, Miß Porter, daß Sie an der Einfahrt zum Parkplatz angebracht haben.« »Sie sind sicher, daß Mylady es geschafft hat?« Kathy Porter lächelte zu ihren Worten. »Daran besteht überhaupt kein Zweifel, Miß Porter.« Parker schüttelte andeutungsweise den Kopf. »Ich hoffe nur, daß Mylady nicht zu hart mit den beiden Herren umgesprungen ist.« Er ging zu seinem hochbeinigen Wagen zurück und setzte ihn in Gang. Er stieß ihn rückwärts, bis das kantige Heck des hochbeinigen Monstrums von der Straße aus gut gesehen werden konnte. Er stieg aus und wartete auf Lady Agathas Ankunft. Fünf Minuten später wurde seine Aufmerksamkeit erregt. Er sah einen Wagen hinter der Biegung hervorpreschen, der eindeutig mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr
und förmlich durch die leichte Kurve schlidderte. Für den Butler gab es keinen Zweifel: Mylady näherte sich und gab in diesem Wagen den Ton an. Parker trat neben den Wagen und lüftete grüßend die schwarze Melone. Mit einer Art Vollbremsung hielt der Wagen knapp vor der Einfahrt zum Parkplatz an. Parker näherte sich der Fahrerseite und sah vor sich einen Mann, der einen leicht angeschlagenen Eindruck machte. Wahrscheinlich hing dies damit zusammen, daß Agatha Simpson ihm die Mündung einer schweren Armeepistole gegen das Genick drückte. »Mylady sind wohlauf?« Parker warf einen Blick auf seine Herrin. »Ich fühle mich ausgezeichnet«, erwiderte sie lebhaft. »Hier scheint ja auch alles in Ordnung zu sein, oder?« »Die Dinge verliefen nach Plan«, gab Parker zurück. »Jetzt erhebt sich allerdings die Frage, was mit den vier Männern geschehen soll.« »Ich werde sie natürlich verhören«, antwortete Agatha Simpson, »und ich freue mich schon jetzt darauf.« Der Fahrer spürte nicht mehr den Druck der Waffe im Genick und setzte alles auf eine Karte. Er hatte die Tür vorsichtig aufgeklinkt und stieß sie kraftvoll und ruckartig auf. Er wollte damit den Butler treffen und dann die Flucht ergreifen. Nur er traf den Butler zwar nicht, der mit solch einem Manöver gerechnet hatte, aber er gewann wenigstens anderthalb Meter an Raum. Er ließ sich auf dem Boden abrollen und ... blieb liegen. Butler
Parker hatte ihm den bleigefütterten Bambusgriff seines UniversalRegenschirms auf den Hinterkopf gelegt. Daraufhin zog der Fahrer es vor, die Beine lang auszustrecken und sich nicht mehr zu rühren. * Parkers hochbeiniges Monstrum näherte sich dem bekannten Ferienort Aberfeldy, etwa 10 Kilometer östlich das Loch Tay, einem romantisch gelegenen See inmitten von Bergen, Wäldern und weiten Wiesen. Parkers Wagen war zwar erheblich überlastet, doch das sah man ihm nicht an. Eine hydraulische Ausgleichsfederung sorgte dafür, daß der Wagen nicht im übertragenen Sinn in die Knie ging. Im Fond befanden sich die vier Falken, die inzwischen recht gut verschnürt waren. Zwei von ihnen lagen auf dem Boden ein wenig übereinander. Die beiden anderen Männer mußten mit dem an sich recht engen Kofferraum vorlieb nehmen. Agatha Simpson hatte auf ihre gewohnte Bequemlichkeit schließlich nicht verzichten wollen. Parker lag daran, möglichst schnell ein passendes Quartier zu finden. Er wollte von den Straßen herunter, denn er rechnete damit, daß die Mordfalken bereits intensiv nach dem Verbleib des Kommandotrupps fahndeten. Dabei mußten sie früher oder später seinen Wagen entdecken. Noch vor der Ankunft in Aberfeldy bog er kurz entschlossen von der Straße ab und benutzte einen schmalen Feldweg, um den Ferienort in weitem Bogen zu umfahren. Vor einem Gatter
hielt er kurz an, Kathy Porter öffnete es, und Parker bugsierte seinen Wagen auf eine Weide, die eigentlich nur aus Steinbrocken bestand, zwischen denen Grashalme und viele Flechten und Moos zu sehen waren. Nachdem seine Meisterschülerin das Gatter wieder geschlossen hatte und neben ihm saß, steuerte Parker den Wagen vorsichtig auf eine Baumgruppe zu, deren Unterholz erfreulich gut ausgebildet war. Auf dem steinigen Untergrund hinterließ er so gut wie keine Spuren. Sie hatten die Baumgruppe gerade erreicht, als das satte Brummen eines Flugmotors zu vernehmen war. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis hinter einem Hügel eine kleine Sportmaschine auftauchte, die schon fast im Tiefstflug die Straße in Richtung Aberfeldy abflog. »Die Mordfalken, Mylady«, sagte Parker. »Man scheint vier dieser Greifvögel nachhaltig zu vermissen.« »Haben wir nicht so etwas wie eine nette, kleine Rakete?« erkundigte die ältere Dame sich. »Ich muß bedauern, Mylady.« »Ihre Ausrüstung war auch schon mal besser«, räsonierte Lady Agatha. »Aber gut, ich will nicht ungerecht sein, Mr. Parker, bisher bin ich ziemlich zufrieden.« »Mylady beglücken meine bescheidene Wenigkeit.« »Warten Sie ab«, schränkte sie sofort wieder ein. »Wie soll es jetzt weitergehen?« »Wenn Mylady einverstanden sind, werde ich mir gestatten, das Gelände ein wenig zu untersuchen.« »Und ich werde mir inzwischen diesen arroganten Lümmel
vornehmen«, entschied die ältere Dame und nickte. »Irgendwie muß man sich ja die Zeit vertreiben.« Parker sah Kathy Porter für einen Moment eindringlich an. Sie verstand ihn sofort. Sie sollte ab sofort darauf achten, daß Mylady keine Sonderunternehmungen durchführte. So etwas war bei ihr stets zu befürchten. Das kleine Sportflugzeug hatte den Ferienort Aberfeldy überflogen und kehrte zurück. Es suchte noch mal die Straße ab und schwenkte dann zu den Ufern des langgestreckten Loch Tay hinüber. Auf der Gegenseite mußte einige Verwirrung herrschen, wie der Butler unterstellte. Immerhin schienen sich vier ausgesuchte Kommandokämpfer in Luft aufgelöst zu haben. Und mit ihnen drei sehr wichtige Augenzeugen, die über die Mordfalken inzwischen bereits zuviel wußten. Parker durchmaß das kleine Waldstück und erreichte den anderen Waldrand. Er sah in ein flaches Tal, in dessen Mittelpunkt ein kleiner See lag. Am Abfluß dieses reichlich vermoorten Gewässers stand ein Steinhaus, das einen unbewohnten Eindruck machte. War dieses Haus dort unten als provisorisches Versteck geeignet? Im gleichen Moment, als Parker sich diese Frage stellte, verneinte er sie bereits schon. Dieses Haus konnte zu einer tödlichen Falle werden. Die Mordfalken konnten sich im Schutz der Dunkelheit ungeniert an dieses einsame Haus heranpirschen und reinen Tisch machen, wie sie ihn sich vorstellten. Parker hatte aber bereits eine andere Idee.
Warum, so fragte er sich, sollte er dieses Haus nicht in eine überdimensional große Vogelfalle umgestalten? Es kam doch nur darauf an, wie attraktiv und einladend diese Falle hergerichtet wurde! * »Sie haben keine Chance, Lady Simpson«, sagte der kleine Arrogante und sah die ältere Dame überlegen lächelnd an. »Sie haben eine Schlacht gewonnen, gewiß, aber doch nicht den Krieg.« »Wenn Dummheit und Arroganz sich paaren, wird so etwas wie Sie daraus«, stichelte Lady Agatha genußvoll. »Sie leiden an Größenwahn, nicht wahr? Haben Sie sich schon mal ärztlich behandeln lassen?« »Sie ... Sie können mich nicht beleidigen«, sagte der Arrogante und riß sich sichtlich zusammen. »Sie weigern sich nur, den Tatsachen ins Auge zu sehen.« »Ihrer Ansicht nach ist es also richtig, wenn Miß Porter, Mr. Parker und ich möglichst schnell Selbstmord begehen, wie?« Lady Agatha lachte genußvoll auf. »Und dabei sind Sie Tölpel doch so leicht hereinzulegen. Ich habe mich ja fast geschämt, diesen billigen Trick anzuwenden. « »Meine Falken werden ... äh ...« Er merkte, daß er schon mehr gesagt hatte, als er eigentlich vor hatte und bekam einen leicht roten Kopf. »Ihre Falken sind plumpe Imitationen.« Agatha Simpson genoß die Situation. »Ich weiß zwar nicht, was
Sie vorhaben, junger Mann, aber was es auch immer sein mag, es wird mit einer Riesenpleite enden. Sie als Oberfalke! Gütiger Himmel, eine fette Ente will ein Schwan sein!« »Das alles werden Sie noch bitter bereuen.« Der Arrogante erdolchte Lady Simpson mehrfach mit seinen Blicken. »Man ist Ihnen bereits auf der Spur, verlassen Sie sich darauf! Vielleicht sind meine Falken ... Äh . .. Also ...« »Nun zieren Sie sich nicht so, junger Mann! Sie nennen Ihre Leute also Falken, gut, warum nicht? Aber es wundert mich, daß die jungen Lümmel Sie überhaupt anerkennen? Sie sind doch eine einzige Witzblattfigur. Sie sind die billige Karikatur eines schnarrenden Militärs.« Das Stimmvolumen der älteren Dame war beachtlich. Und jetzt sorgte sie noch zusätzlich dafür, daß die drei jungen Männer jedes Wort mitbekamen. Agatha Simpson kam es darauf an, die bisherige Autorität dieses kleinen Arroganten zu unterminieren. »Für diese Beleidigungen werde ich Sie noch gründlich zur Rechenschaft ziehen«, schäumte der kleine Mann los und verlor jede Selbstkontrolle. »Ich werde Sie füsilieren lassen.« »Sie leiden an Minderwertigkeitskomplexen, mein Lieber.« Lady Agatha lächelte mitleidig. »Wahrscheinlich sind Sie während Ihrer regulären Laufbahn beim Militär nicht ausreichend befördert worden. Ich möchte wetten, daß man Sie sogar ein paarmal bewußt übergangen hat, weil Sie nicht das bringen konnten, was man von Ihnen erwartete.«
Kathy Porter war ehrlich überrascht, wie planvoll ihre Chefin diesen Mann zerlegte. Normalerweise neigte die ältere Dame dazu, mit dem Holzhammer zu arbeiten, doch nun bewies sie plötzlich Fingerspitzengefühl. Das war überraschend. Der kleine Arrogante preßte die Lippen zusammen und hatte sich offensichtlich vorgenommen, keine Antwort mehr zu geben. Doch das störte Lady Agatha keineswegs. »Da Sie's beim Militär zu nichts gebracht haben, versuchen Sie es jetzt also mit einer kleinen Privatarmee. Sie müssen sehr gut zahlen, junger Mann, sonst würden diese sportlichen Männer nie auch nur einen einzigen Befehl von Ihnen ausführen. Wahrscheinlich lachen sie sich hinter Ihrem Rücken ins Fäustchen und amüsieren sich blendend über solch einen Trottel, wie Sie einer sind!« »Schweigen Sie!« schrie der Arrogante. »Sie werden ab sofort den Mund halten, verstanden?« »Sie können die Wahrheit nicht vertragen, Sie komischer Oberfalke«, stichelte die Detektivin weiter. »Aber verlassen Sie sich darauf, wenn es ernst wird, werden Sie sehr allein sein. Mit einem Kommandeur, wie Sie ihn darstellen, will doch keiner etwas zu tun haben.« »Sie werden sich noch wundern«, schnappte der Arrogante. »Die Welt wird Augen machen! Wir werden die Schlagzeilen beherrschen.« »Falls Sie Ihren Privatkrieg je beginnen können.« »Privatkrieg?« Der Arrogante verengte seine Augen und sah die
ältere Dame abschätzend an. »Wovon reden Sie eigentlich?« »Von Ihren Wahnvorstehungen, Sie Oberfalke! Warum spielen Sie nicht mit Zinnsoldaten? Die würden doch viel besser zu Ihnen passen.« »Wieso Privatkrieg?« wiederholte der kleine Arrogante das Stichwort, das ihn tief getroffen zu haben schien. »Sie bluffen doch nur, Lady Simpson. Sie wissen nichts, aber auch gar nichts.« »Sie haben doch schon längst alles gesagt«, antwortete Agatha Simpson. »Großer Gott, haben Sie denn das nicht gemerkt? Nein, nein, ich werde ab sofort nur noch Mitleid mit Ihnen haben.« Nachdem der Arrogante wieder im hochbeinigen Monstrum verstaut worden war, schlenderte Parkers Herrin mit Kathy Porter ein wenig umher und wartete auf die Rückkehr des Butlers. »Wie war ich?« fragte sie ihre Gesellschafterin. »Ausgezeichnet, Mylady«, sagte Kathy Porter ehrlich. »Sie haben ihn völlig aus der Fassung gebracht.« »Das nenne ich Verhörtechnik«, meinte Lady Agatha und nickte zustimmend. »Mr. Parker sollte sich davon eine Scheibe abschneiden, aber er wird es wohl niemals lernen, fürchte ich. Ihm fehlt leider das Fingerspitzengefühl, nicht wahr?« »Wie Sie meinen, Mylady«, entgegnete Kathy Porter und hatte Mühe, ernst zu bleiben. »Aber Sie müssen zugeben, daß er bereits viel von Ihnen gelernt hat.« »Es könnte besser sein.« Die Lady schaute sich um und schüttelte den Kopf. »Und jetzt sagen Sie mir mal, warum er noch nicht zurück ist? Es
würde mich nicht wundern, wenn er in die Hände dieser Riesenfalken gefallen ist. Er ist ja leider so schrecklich ahnungslos und unerfahren!« * Nach einer halben Stunde war das Sportflugzeug erneut zu sehen und zog seine Kreise. . Butler Parker, zu Mylady zurückgekehrt, verließ genau im richtigen Moment das schützende Wäldchen und fuhr hinunter zum kleinen See. Er hielt auf das Steinhaus zu und stellte sein hochbeiniges Monstrum unter dem Dach einer halb eingestürzten Remise ab. Das Sportflugzeug flog in weitem Kreis um die Talsenke herum und nahm dann östlichen Kurs. Die Insassen der Maschine hatten nun mit Sicherheit das gesehen, wonach sie gesucht hatten. Butler Parker war ein guter Menschenkenner. Natürlich hatte er registriert, wie das Gesicht des kleinen Arroganten einen zufriedenen Ausdruck angenommen hatte. Er hatte das Sportflugzeug nicht nur gehört, sondern auch gesehen. Der Mann wußte nun, daß das Versteck entdeckt war, und rechnete mit einer Befreiungsaktion. Parker richtete übrigens kaum ein Wort an diesen kleinen Mann. Er holte seinen Spezialkoffer aus dem Kofferraum des Wagens und machte sich daran, das Steinhaus zu präparieren. Seiner Schätzung nach würden die Mordfalken nicht vor
Einbruch der Dunkelheit erscheinen. Sie mußten ja erst informiert werden und hatten dann wohl noch einen mehr oder weniger langen Anmarsch bis hierher vor sich. Als Agatha Simpson im Haus war, wandte der Arrogante sich an den Butler. »Wollen Sie Ihre Haut retten?« fragte er knapp. »Sie sorgen sich um mein bescheidenes Wohlbefinden?« erkundigte sich der Butler. »Mit Ihrer Lady ist ja nicht zu reden«, antwortete der Arrogante.« Diese Frau überschätzt sich. Hören Sie zu: Sie lassen mich frei. Ich garantiere Ihnen dann Ihr Leben. Meine Leute werden nichts gegen Sie unternehmen, nichts gegen Mylady, nichts gegen diese Miß Porter, nichts gegen Sie!« »Ich erlaube mir, auf Garantien hinzuweisen«, sagte Parker. »Sie haben das Wort eines Ehrenmannes.« »Sie wissen, daß Mylady inzwischen zuviel über die Falken wissen.« »In ein paar Tagen ist dieses Wissen wertlos.« »Darf ich daraus schließen, daß Sie das Land verlassen werden?« »So ungefähr, Mr. Parker. Ich werde mir eine andere Trainingslandschaft aussuchen.« »Sie befürchten nicht, daß Mylady sich an die Polizei wenden könnte?« »Das tut sie nicht. Mein Nachrichtendienst in London sagte mir, daß diese Frau dickköpfig ist und nie mit der Polizei zusammenarbeitet.« »Mylady wird nur schwer dazu zu bringen sein, Sie und Ihre drei Begleiter freizugeben.«
»Wie Sie das machen, ist Ihre Sache. Sie erhalten, sagen wir, tausend Pfund, oder, sagen wir, zweitausend Pfund. Man wird es Ihnen bar per Päckchen zuschicken.« »Ich bin das, was man Patriot nennt«, antwortete Parker gemessen. »Darf ich erfahren, ob Ihre zukünftigen Aktionen sich gegen die in England bestehende Ordnung und Verfassung richten?« »Nein, mein Wort darauf!« »Also, wenn ich weiter schlußfolgern darf, gegen ein anderes Land?« »So können Sie es ausdrücken, mehr habe ich dazu aber nicht zu sagen. Entscheiden Sie sich jetzt, Mr. Parker! Mein Angebot gilt nur für ein paar Minuten. « »Und falls ich ablehne?« »Werden Sie nicht überleben, das garantiere ich Ihnen! Meine Falken sind Sonderklasse. Also?« »Nein«, erwiderte Parker schlicht und einfach. »Aber darf ich Sie und Ihre Begleiter jetzt zu einem kleinen Fußmarsch einladen? Trainiert genug dürften Sie ja haben.« * Sie kamen wesentlich früher, als Butler Parker dachte. Es war noch früher Nachmittag, so gegen 15.30 Uhr, als er durch sein Fernglas zwei einsame Wanderer entdeckte, die sich die Schönheiten der Landschaften erschlossen. Sie trugen Rucksäcke, derbe Kleidung und machten einen völlig unverdächtigen Eindruck. Ihr Ziel schien das Steinhaus am kleinen See in der Talsenke zu sein.
Butler Parker entdeckte zwei andere Touristen. Sie näherten sich vom Süden und strebten ebenfalls dem kleinen See zu. Auch sie hätte man nie für Falken gehalten. Sie stiegen gerade über einen Zaun und nahmen dann auf einer Steinplatte Platz, um sich ein wenig zu stärken. Als sie die kleinen Rucksäcke öffneten, die auch sie trugen, konnte Parker deutlich das kleine Walkietalkie entdecken, das sie auspackten. Sie unterhielten sich mit Sicherheit mit den beiden anderen Wanderern, die jetzt hinter Strauchwerk verschwunden waren. Butler Parker hatte es sich auf einer starken Astgabel bequem gemacht und zusätzlich mit kleinen belaubten Ästen getarnt. Er hatte diesen Ausguck schon vor gut einer Stunde eingenommen und geduldig gewartet. Um scheues Wild zu fangen, durfte man niemals unter Zeitdruck stehen. Dies war eine seiner Grundregeln im Kampf gegen Ganoven und Gangster. Parker wechselte die Blickrichtung. Aus Richtung Aberfeldy näherten sich drei Reiter. Sie saßen gut zu Pferde und strebten ebenfalls in leichtem Trab der Talsenke zu, die sie aber von ihrem augenblicklichen Standort aus nicht sehen konnten. Die Mordfalken griffen also konzentrisch an und hatten sich gut getarnt. Nun fehlte eigentlich nur noch ein Fahrzeug, und Parker brauchte nicht lange zu warten. Von der Straße aus, die nach Aberfeldy führte, erschien ein kleiner Lastwagen mit einem festen, kastenähnlichen Aufbau. Er bog jetzt ab, benutzte den Feldweg, den Parkers hochbeiniges Monstrum bereits genommen hatte, und passierte
anschließend auch noch das bewußte Gatter. Unter den Bäumen hielt das Fahrzeug. Parker war äußerst zufrieden mit dieser Entwicklung. Gewisse Dinge, die er sich ausgerechnet hatte, bestätigten sich bis ins Detail. Die rückwärtige Tür des Kastenlieferwagens öffnete sich, und sechs Männer stiegen aus. Auch sie waren wie Wanderer gekleidet, derb, wetterfest und unauffällig. Es handelte sich um fast gleichgroße, muskulöse und sportlich durchtrainierte Naturfreunde, die alle kleine Rucksäcke trugen. Die Mitglieder dieses vorgeblichen Betriebsausflugs formierten sich kurz und schritten wenig später unter dem Butler hinweg in Richtung Waldrand. Sie kamen gar nicht auf den Gedanken, in den Zweigen und Ästen der Bäume nach einem Feind zu suchen. Für sie war alles vollkommen klar. Parker addierte und kam auf bisher dreizehn Falken. Er nahm diese Zahl allerdings nicht als ein schlechtes Omen für sich. Die Vogelfalle wartete auf die Falken. Zu seiner Erleichterung brauchte Parker sich nicht um seine Herrin zu kümmern. Sie könnte sich nicht störend einschalten, denn sie bewachte zusammen mit Kathy Porter den kleinen Arroganten und dessen drei Begleiter. Parker hatte für sie ein gutes und sicheres Versteck gefunden. Er war hier allein auf sich gesteht, was ihm ja stets am liebsten war. Als die sechs Männer den Waldrand erreicht hatten und hier erst mal eine kleine Wartepause
einlegten, sorgte Parker dafür, daß die Spur der Männer sich später nicht irgendwo in den Wäldern verlief. Als vorausschauender Mensch hatte er entsprechende Vorkehrungen getroffen und sich dabei mit dem Inhalt seines schwarzen Koffers befaßt. Der Kastenlieferwagen stammte mit Sicherheit aus einstigen Heeresbeständen. Wahrscheinlich war es mal ein Funkwagen gewesen. Die ganze Konstruktion, der Aufbau und vor allen Dingen die grobstolligen Reifen deuteten darauf hin. Parker benutzte sein Katapult, um einen Minisender zu installieren. Dieser Sender befand sich in einer kleinen Metallhülse, deren Boden stark magnetisiert war. Er visierte den Winkel zwischen Fahrerhaus und Aufbau an, zog nur leicht die beiden Gummistränge an und schickte den Sender dann hinunter auf den Wagen. Nach einem feinen »Klick« nach dem Aufprall rutschte die Hülse ein paar Zentimeter zur Seite und heftete sich anschließend an das Metalldach des Fahrerhauses. Vom Boden aus war sie so gut wie gar nicht zu sehen. Inzwischen hatten die sechs Wanderer sich in Bewegung gesetzt und marschierten in Zweiergruppen auf das Steinhaus zu, unter dessen Remise noch immer Parkers hochbeiniges Monstrum stand. * Butler Parker verfolgte jede Einzelheit. Sein längst bestehender Verdacht bestätigte sich: Man hatte es mit einer
paramilitärischen Truppe zu tun, die nach allen Regeln der gängigen Kriegskunst sich dem Steinhaus näherte, in dem man ja die Gegner vermutete. Jetzt wanderten die Männer längst nicht mehr. Sie hatten sich zu Boden geworfen und robbten geschickt an ihr Ziel heran. Dabei nutzten sie jede Deckung aus, um nicht vorzeitig entdeckt zu werden. Sie waren gut gedrillt, das mußte Parker zugeben, und verstanden ihr Handwerk. Als sie sich dem Steinhaus, das sie ringförmig eingeschlossen hatten, bis auf etwa zwanzig Metern genähert hatten, sprangen sie hoch und legten den Rest der Strecke in schnellem Spurt zurück. Sie purzelten förmlich durch Fensterhöhlen und Türen ins Haus und zeigten bei dieser Gelegenheit kurzläufige Maschinenpistolen, die mit Sicherheit keine Attrappen waren. Butler Parker nahm sich die Freiheit, andeutungsweise fein zu lächeln. Das verfallene Steinhaus war selbstverständlich leer, und die Falken waren im Moment wohl damit beschäftigt, sich wechselseitig recht dumm und verdutzt anzusehen. Parker benutzte noch mal seine Gabelschleuder. Diesmal zog er die beiden starken Gummistränge voll durch, um dem Geschoß in der Lederschlaufe eine möglichst lange Luftreise zu garantieren. Bis zum Haus waren es gut und gern achtzig Meter, vielleicht sogar noch mehr. Natürlich hatte er vorher einige Probeschüsse abgefeuert, um seiner Sache möglichst sicher zu sein. Das
Geschoß in der Lederschlaufe glich einem kleinen, stacheligen Morgenstern ohne Kette und Handgriff. Es handelte sich um eine Stahlkugel, die übersäht war mit nadelspitzen, kleinen Dornen. Das Ziel lag oben auf der Kante der Kaminesse. Es war ein grau eingefärbter, schlaffer Luftballon, wie Kinder ihn auf Jahrmärkten so lieben. Die Schlaffheit war gewollt, denn der Ballon enthielt eine wasserklare Flüssigkeit, die es jedoch in sich hatte. Sie wartete nur darauf, sich mit dem Sauerstoff in der Luft zu verbinden. Sie brauchte nicht lange zu warten. Der erste Schuß traf mit bestürzender Genauigkeit. Es zeigte sich wieder mal, daß Parker nicht nur ein Meister der Improvisation, sondern auch ein Meister der Genauigkeit war. Die dornenbesetzte Stahlkugel klatschte gegen den schlaff gefüllten Ballon, der sofort aufriß und seine Flüssigkeit entlud, während er hinunter in den Kamin fiel. Gut, ein gewisser Teil der gelben Dämpfe entwich während des Falles bereits durch die Esse nach oben, doch der überwiegende Teil landete unten im Kamin und sorgte hier für eine gewisse Verwirrung. Die gelben Nebelwolken wallten förmlich gierig durch den großen Raum des Steinhauses, in dem Parker die Falken vermutete. Er hatte die Situation richtig eingeschätzt. Durch die leeren Fensterhöhlen hechteten einige Touristen ins Freie, um sich anschließend hustend im Gras zu wälzen. Vor einer der beiden Türen gab es einen unfreiwilligen Stau. Vier
Wanderer wollten gleichzeitig hinaus und wurden sich nicht einig darüber, wer das als erster schaffen durfte. Es gab ein wildes Gedränge, dann waren Schreie zu hören, dann wieder Hustenanfälle. Um die Hausecke preschten drei Männer, die noch recht fit aussahen. Sie wichen den gelb eingefärbten Wolken sorgfältig aus und trauten sich nicht an ihre Mitwanderer heran, aus deren Kleidung die Nebel stiegen. Diese drei Männer machten einen völlig ratlosen Eindruck und wußten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Die vier Männer an der Tür hatten sich inzwischen notgedrungen geeinigt und taumelten ins Freie. Sie setzten sich ins Gras und husteten im Chor. Parker konnte mit dem Ergebnis seiner kleinen Privataktion zufrieden sein. Acht Männer hockten im Gras, drei strichen in respektvoller Entfernung herum, verblieben also noch zwei Touristen. Würden sie sich mit seinem Wagen beschäftigen? Auch dafür hatte Parker Sorge getragen. Er drückte auf den Auslöseknopf eines kleinen Senders und nickte andeutungsweise und zufrieden, als ein dumpfer Knall zu hören war. Durch ein Funksignal hatte der Butler einen kleinen Sprengkörper detonieren lassen, der sich unter seinem hochbeinigen Wagen befand. Dieser an sich völlig harmlose Sprengkörper, der keinen Schaden anrichten konnte, versprühte nun eine weiß gefärbte Nebelwolke, die seinen Wagen völlig einhüllen
würde. So sorgte er dafür, daß sein Wagen tabu und von den Wanderern nicht weiter in Augenschein genommen wurde. Zwei weitere Touristen rannten im Schweinsgalopp um die andere Hausecke und gesellten sich zu den drei Männern, die gerade wegen einer herantreibenden Gelbwolke einen schnellen Stellungswechsel vornahmen. Butler Parker neigte niemals zu Übertreibungen. Natürlich war die Verlockung mehr als groß, sein Katapult noch mal gründlich zu benutzen und mit Tonmurmeln einige Touristen in eine leichte Ohnmacht zu schicken. Doch er unterschätzte diese Falken keineswegs. Sie würden schnell herausfinden, wo der Schütze sich verbarg. Nein, Josuah Parker schätzte es gar nicht, mittels einiger Maschinenpistolen in ein nutzloses Sieb verwandelt zu werden. * »Weiter, weiter, Mr. Parker«, drängte Lady Simpson ungeduldig, »lassen Sie sich doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen! Und was passierte danach?« »Die Wanderlustigen schleppten sich zum Wagen zurück und verzichteten übrigens auf die drei Pferde, die allerdings instinktiv das Weite gesucht hatten.« »Moment mal, Mr. Parker, Sie haben diese Subjekte wegfahren lassen!?« Agatha Simpson schnaufte vor Empörung.
»In der Tat, Mylady! Sie brauchten einige Zeit, bis sie alle im Wagen saßen, zumal sie sich ja erst gründlich aus- und durchlüften lassen mußten. Ich darf bei dieser Gelegenheit darauf verweisen, daß das allgemeine Husten den Lärm des Motors noch lange übertönte.« »Sie haben die Gangster wegfahren lassen!?« Lady Agatha wollte es einfach nicht glauben. »Myladys Einverständnis selbstverständlich voraussetzend«, warf Parker gemessen ein. »Mylady hätten mit Sicherheit nicht anders gehandelt, da die Versorgung von dreizehn Männern zusätzlich doch recht schwierige Probleme aufgeworfen hätte, von deren Unterbringung mal ganz zu schweigen.« »Genau das, was ich sagen wollte«, behauptete Lady Agatha, die blitzschnell eine gedankliche Kehrtwendung vornahm. »Diese vier Subjekte reichen mir schon.« »Was ich mir zu überlegen erlaubte, Mylady.« Parker verzog natürlich keine Miene, obwohl aus Vorwurf plötzlich Zustimmung geworden war. »Zudem dürften diese dreizehn Falken ja früher oder später in einer größeren Aktion erneut in Myladys Netz gehen.« »Was ich mir auch ausgebeten haben möchte.« Sie war plötzlich ganz zufrieden. »Glauben Sie, daß dieser Minisender auch arbeiten wird?« »Wenn Mylady sich überzeugen wollen?« Parker griff nach einem kleinen Taschenradio und schaltete es ein. Er hatte die bestimmte Sendeund Empfangsfrequenz natürlich bereits eingesteht, und Agatha
Simpson hörte einen angenehmen Piepton, der stark und deutlich aus dem kleinen Lautsprecher drang. »Werden diese Subjekte in ihr Quartier fahren, was meinen Sie?« »Wohl kaum, Mylady«, gab Parker zurück. »Man wird den Wagen aber in der. Nähe solch eines Quartiers in einem geeigneten Versteck zurücklassen.« »Dann wollen wir uns auf den Weg machen, Mr. Parker.« Lady Agatha brannte darauf, den Schlußstrich zu ziehen. »Bringen wir es hinter uns.« »Es wird in spätestens anderthalb Stunden dämmern, Mylady.« »Papperlapapp, Mr. Parker, was stört das? Wir haben ja den Piepton.« »Man könnte auf Wachen stoßen, die aus verständlichen Gründen im Vorteil wären.« »Daran dachte ich gerade auch.« Sie nickte. »Man muß Sie aber auch an alles erinnern, Mr. Parker. Sie sind einfach zu leichtsinnig.« »Was ich äußerst bedaure, Mylady, aber ich werde mich Ihrem Rat natürlich beugen und auf eine sofortige Verfolgung verzichten.« »Und was werde ich jetzt tun?« wollte Lady Agatha neugierig wissen. Sie hatte keine Ahnung, wie sie sich verhalten sollte, gab es aber nicht zu. »Darf ich Myladys Anregung aufgreifen und einen Stellungswechsel durchführen, wie es im militärischen Sprachgebrauch zu heißen pflegt?« »Einverstanden«, lautete ihre Antwort. »Sie wissen ja, was ich will, um die Einzelheiten kümmere ich mich nicht. Übrigens, was ich noch sagen wollte: ich möchte innerhalb der nächsten Stunde dinieren. Ich habe Hunger, Mr. Parker. Ich brauche nur ein paar
Kleinigkeiten, wenn es sein muß, lebe ich spartanisch einfach.« * Der Oberfalke und seine drei Normalfalken saßen einträchtig nebeneinander unter einer weit vorstehenden Felsplatte, die von Sträuchern umgeben war. Parker hatte dieses natürliche Versteck gesucht und gefunden. Es war noch nicht mal so weit von der Straße nach Aberfeldy entfernt. Kathy Porter lächelte, als Parker erschien. »Alles in Ordnung, Mr. Parker«, sagte sie. »Mir wurden inzwischen fünftausend Pfund angeboten.« »Mit weiteren Angeboten ist sicher noch zu rechnen«, gab Josuah Parker zurück. »Ich habe mir gestattet, Mylady Bericht zu geben.« »Wie ist der Überfall verlaufen?« »Wie geplant. Diese schrecklichen Falken entwickelten nicht gerade eine üppige Phantasie, um es mal so zu umschreiben, Miß Porter.« Der kleine Arrogante funkelte den Butler an. Natürlich spürte er genau, daß die Befreiungsaktion fehlgeschlagen war. Er gierte nach Einzelheiten. »Wo ist die Lady?« fragte er Parker knapp. »Mylady haben es sich in meinem Wagen bequem gemacht«, gab der Butler zurück. »Sie werden gleich auch diesen Vorzug genießen dürfen.« »Zehntausend Pfund«, sagte der Arrogante hastig. »Zehntausend Pfund, bar auf die Hand. So leicht
und schnell werden Sie nie wieder soviel Geld verdienen.« »Man scheint Sie für die Aufstehung und das Training Ihrer Einheit sehr gut zu bezahlen.« »Keine Diskussion, Mr. Parker! Zehntausend Pfund! Entscheiden Sie sich!« »Geld gehört nicht zu den Dingen, die meine bescheidene Wenigkeit sonderlich interessieren«, antwortete Josuah Parker. »Mein Salär reicht übrigens aus, Sie und Ihre drei Begleiter zum Essen einzuladen. Ein kleiner Imbiß könnte nicht schaden, finden Sie nicht auch?« »Fünfzehntausend Pfund!« Der arrogante und kleine Mann sprach dieses Angebot fast andächtig aus. »Angebote dieser Art werden mir im Lauf eines Monats recht häufig gemacht«, entgegnete Parker unbeeindruckt. »Mehr als Fisch und Chips kann ich Ihnen allerdings nicht anbieten. Wenn die Herren sich jetzt bitte bemühen würden? « Die drei Normalfalken schwiegen sich auch weiterhin aus. Parker entging allerdings nicht, daß dieses Schweigen eigentlich schon eine Absage an den Arroganten darstellte. Sie maßen ihn hin und wieder mit abfälligen Blicken. Inzwischen schien diesen drei jungen Männern ein Licht aufgegangen zu sein, auf was sie sich da eingelassen hatten. Der Weg zum wartenden Wagen war nicht weit. Parker verstaute seine Gäste wieder notdürftig im hochbeinigen Monstrum und setzte sich ans Steuer. Er schaltete noch mal das kleine Taschenradio ein und drehte es solange, bis die Pieptöne besonders deutlich zu hören waren.
»Nordosten«, sagte er dann. »Ich war so frei, Mylady, die Landkarte gründlich zu studieren. Meiner bescheidenen Schätzung nach sollte man sich zuerst mal nach Pitlochry begeben.« »Hauptsache, das Dinner dort ist gut, Mr. Parker.« Sie saß gemütlich im Fond des Wagens und hatte ihre stämmigen Beine und großen Schuhe auf dem Rücken des Oberfalken abgestellt, der auf dem Boden über seinem Begleiter lag. »Pitlochry, Mylady, ist ein recht bekannter Ferienort«, dozierte Parker. »Dort finden im Sommer die schon wirklich berühmten Sommerfestspiele im Theater in the Hills statt, wenn ich darauf verweisen darf.« »Ich will keine Sommerfestspiele, Mr. Parker, ich will dinieren, und zwar möglichst bald.« »Darüber hinaus finden alljährlich im September die Highland Games statt, Mylady.« »Erzählen Sie mir das später in London«, bat Agatha Simpson sich aus. »Fahren Sie endlich etwas schneller!« Butler Parker hatte keine Bedenken, die normalen Straßen zu benutzen. Er konnte sich die Verwirrung auf der Gegenseite, nämlich bei den Falken, recht gut vorstellen. Natürlich war dieser arrogante, kleine Mann nicht der einzige, der sie führte, aber er hatte bisher mit Sicherheit das letzte Sagen gehabt. Seine Unterführer beratschlagten jetzt wohl, was zu tun war. So etwas kostete Zeit. Die Fahrt nach Pitlochry wurde von Parker immer wieder kurz
unterbrochen. Dann befragte er das kleine Taschenradio, hörte sich die Pieptöne an und nickte zustimmend. Die nordwestliche Richtung stimmte nach wie vor. Der Kastenwagen mit den Falken an Bord schien ebenfalls Pitlochry als Ziel gewählt zu haben. Als die ersten Häuser dieses wirklich bekannten und beliebten Ferienorts erreicht waren, nahm Parker eine weitere Kontrollmessung vor und bekam nun ein anderes Ergebnis geliefert. Die Pieptöne kamen nun aus nordwestlicher Richtung. »Das ist mir völlig gleichgültig, Mr. Parker«, sagte Lady Simpson, als Parker sie darauf aufmerksam machte. »Ich will jetzt mein Dinner haben.« »Mylady werden sofort bedient«, versprach Parker und fuhr ungeniert durch den kleinen Ferienort, vorbei an Hotels und Raststätten, die geöffnet waren und auf hungrige Gäste geradezu verzweifelt warteten. »Wenn Sie nicht sofort halten, springe ich aus dem Wagen«, drohte die ältere Dame. »Noch wenige Minuten, Mylady, und die kulinarischen Köstlichkeiten dieser Welt werden serviert«, versprach Parker leichtsinnig. »Aber wenn es erlaubt ist, möchte ich erst den Queens View erreichen.« »Was ist denn das?« Agatha Simpson ließ sich noch mal besänftigen. »Eine ungemein reizvolle Straße, Mylady, die zum Loch Rannoch führt, wenngleich man das wegen der leider herrschenden Dunkelheit im Augenblick kaum zur Kenntnis nehmen kann.« Er hielt erneut kurz an, als die Straße erreicht war. Die Pieptöne im
Taschenradio kamen deutlich durch und hatten an Intensität zugenommen. Parker fühlte instinktiv, daß der Kastenwagen inzwischen abgestellt worden sein mußte. Damit waren wohl auch die hustenden Falken abgestiegen und zogen sich in ihr eigentliches Versteck zurück. Links am Weg war ein kleines, gepflegt aussehendes Hotel zu sehen. Lady Simpson stöhnte erleichtert auf, als Parker es ansteuerte. »Darf ich Sie bitten, Miß Porter, Mylady zu begleiten?« sagte er zu seiner Meisterschülerin. »Aus Gründen der Sicherheit möchte ich den Wagen ein wenig abseits abstellen.« Er tauschte mit ihr einen schnellen Blick, als sie ausstieg. Kathy Porter verstand sofort. Parker wollte die Gunst der Stunde nutzen und allein weiterfahren. Zeit genug dazu hatte er jetzt. Er kannte den ausgeprägten Appetit seiner Herrin und wußte, daß sie nicht hastig aß. Als Agatha Simpson und Kathy Porter im Eingang des kleinen Landhotels verschwanden, wendete Parker und fuhr sofort weiter. Er konnte ja nicht wissen, daß seine beiden Damen gerade die oft zitierte, sprichwörtliche Höhle des Löwen betreten hatten ... * »Nur eine Kleinigkeit«, sagte Lady Agatha, als der Geschäftsführer des Hotels zu ihr an den Tisch in der Nische geeilt war. »Ein paar Scheiben Roastbeef, junger Mann, einige gegrillte Würstchen, zwei,
nein, drei Spiegeleier und gebratenen Speck dazu, dann rohen Schinken, gesalzene Landbutter und Bauernbrot.« »Dazu Tee, Madam?« fragte der Geschäftsführer. »Gütiger Himmel, nein.« Sie sah ihn entsetzt an. »Zuerst mal einen Kognak, dann anschließend einen leichten Rotwein. Richtig, den Käse habe ich noch vergessen. Ich hoffe, Sie haben eine gute Auswahl.« »Sie werden zufrieden sein, Madam«, behauptete der Geschäftsführer und schaute dann Kathy Porter an. »Tee und ein paar Eiersandwiches«, sagte sie. »Und wenn Sie haben, eine kleine Gemüseplatte.« »Scheußlich.« Agatha Simpson schüttelte sich. »Diät ist vollkommen angebracht, Kindchen, aber auf die richtige Auswahl kommt es an. Nehmen Sie sich an mir ein Beispiel!« Das Landhotel war recht hübsch eingerichtet, aber nur spärlich besucht. Vorn im Schankraum standen einige Männer vor dem Bartresen und tranken Ale. Sie tranken übrigens sehr hastig, wie Kathy Porter zuerst nur unterschwellig registrierte, doch dann wurde sie aufmerksam. Nacheinander tranken diese Männer aus und verließen den Schankraum. Und plötzlich fiel Kathy Porter es wie Schuppen von den Augen: Diese Männer hatten ohne Ausnahme einen recht großen und sportlichen Eindruck gemacht. Sie teilte Lady Simpson ihre Befürchtungen mit, doch die ältere Dame war nicht zu beeindrucken.
»Alles zu seiner Zeit, Kindchen«, meinte sie beruhigend. »Zuerst mal das Dinner, dann sehen wir weiter.« »Man wird bestimmt wissen, wer Sie sind, Mylady.« »Warum auch nicht?« Lady Agatha nickte erfreut. »Mit etwas Glück sitzen wir bereits im Hauptquartier dieser albernen Falken, während Mr. Parker durch die Nacht fährt.« »Sie wissen, daß er ...?« »Aber Kindchen!« Lady Simpson lachte dröhnend. »Natürlich will er mich wieder hereinlegen, das habe ich doch sofort gemerkt. Es ist und bleibt sein Fehler, daß er seine Umgebung unterschätzt.« »Vielleicht sollte man bei den Getränken vorsichtig sein, Mylady. Ich denke da an Schlafmittel.« »Davor wollte ich Sie gerade warnen.« Agatha Simpson nickte beifällig. »Wir werden die Getränke in die Blumenkübel hinter uns schütten und dann abwarten.« Angst hatte sie wirklich nicht, die Detektivin. Zuerst freute sie sich mal über die Kleinigkeiten, die bald serviert wurden. Der Geschäftsführer selbst bemühte sich, übrigens ein ebenfalls breitschultriger und sportlich durchtrainierter Mann. Er überwachte das Servieren der Diätkost für Mylady und kümmerte sich dann selbst um die Getränke. »Ein Wort im Vertrauen, junger Mann«, schickte Agatha Simpson voraus und winkte den Geschäftsführer zu sich heran. »Ist Ihnen in jüngster Zeit hier in der Gegend etwas aufgefallen?« »Was meinen Sie, Madam?« fragte der Mann höflich.
»Riesenfalken, junger Mann«, redete Lady Agatha ungeniert weiter. »Es handelt sich natürlich um Menschen, die in alberner Maskerade herumlaufen und harmlose Touristen erschrecken.« »Davon ist mir nichts bekannt, Madam.« »Sie müssen sich aber hier in der Region herumtreiben.« »Sind Sie etwa hinter diesen Leuten her, Madam?« »Wo Rauch ist, muß auch Feuer sein«, zitierte Lady Simpson eine alte Spruchweisheit. »Wer sollte in solchen Masken herumlaufen, Madam?« Der Geschäftsführer blieb neugierig am Tisch stehen und goß den Rotwein ein. »Irgendwelche Gauner, nehme ich an. Sie verkehren nicht zufällig hier in Ihrem Hotel?« »Bestimmt nicht, Madam.« »Es handelt sich um große junge Männer, im Schnitt etwa ein Meter achtzig, breitschultrig und sportlich aussehend. Sie, zum Beispiel, könnten solch ein Falke sein!« »Madam, ich bin Hotelier«, verteidigte der Geschäftsführer sich eilfertig. »Hat die Polizei sich denn bisher noch nicht eingeschaltet und nach diesen Bussarden gesucht?« »Nach den Falken! Nein, sie weiß wahrscheinlich wieder mal nicht, was, sich vor ihren Augen abspielt. Hoppla, das wäre ja beinahe schief gegangen, junger Mann.« Sie hatte mit dem Unterarm gegen das Glas gestoßen, und eine kleine Menge Wein ergoß sich über das linke Hosenbein des Mannes, der zurückspringen wollte, es jedoch nicht schaffte.
Der Geschäftsführer griff nach einer Serviette vom Nebentisch, um die Rotweinspritzer von der Hose zu tupfen. Dabei beugte er sich logischerweise ein wenig vor. Agatha Simpson konnte nicht widerstehen, zumal sie in aller Ruhe erst dinieren wollte. Sie hielt bereits eine der beiden Hutnadeln in ihrer rechten Hand und ... rammte die Spitze dieser Nadel hemmungslos und ungeniert in die Gesäßhälfte, die ihr am nächsten war. »Verdammt!« fluchte der Geschäftsführer nicht weniger ungeniert und richtete sich auf. Er starrte die Lady entgeistert an. Aber die lange Hutnadel war bereits wieder verschwunden. »Was haben Sie denn?« wollte Agatha Simpson erstaunt wissen. »Und lassen Sie das Fluchen, junger Mann, in diesen Dingen bin ich äußerst penibel und empfindlich!« Der Geschäftsführer wußte nicht, was er von der ganzen Sache halten sollte. Er entfernte sich mit einer gemurmelten Entschuldigung und wollte in den Schankraum. Sein Gang wurde bereits etwas unsicher. * Butler Parker hatte den Kastenwagen gefunden. Die Peilzeichen des kleinen Senders hatten ihm den genauen Standort aufgezeigt. Der Wagen stand neben einer Jagdhütte oberhalb der Straße auf einem kleinen Plateau, das von Bäumen umgeben war. Parkers hochbeiniges Monstrum war auf dem schmalen Weg zum Plateau nachdrücklich in ein
Gesträuch gedrückt worden. Der Butler hatte seinen Wagen dann zusätzlich getarnt, bevor er sich auf den Weg gemacht hatte. Die Jagdhütte machte einen unbewohnten Eindruck, doch das konnte natürlich täuschen. Der Butler pirschte sich vorsichtig an das Holzhaus heran und rechnete damit, daß eventuell Wachen aufgestellt waren. Er nahm sich wieder mal viel Zeit und setzte auf seine Geduld. Und es dauerte fast eine Viertelstunde, bis er die Rückseite des Jagdhauses erreicht hatte. Es war leer... Mit seinem Spezialbesteck öffnete der Butler das einfache Schloß und betrat den Raum. Es roch nach kaltem Zigarettenrauch, nach schalem Bier und säuerlichen Speiseresten. Mit einer leistungsstarken Taschenlampe, die die Form eines Kugelschreibers besaß, leuchtete Parker das Innere der Jagdhütte aus. Hier« hatte ein schneller und offenbar sogar hastiger Aufbruch stattgefunden, wie deutlich zu erkennen war. Auf dem langen Holztisch stand schmutziges Geschirr, das in die Kantine eines gepflegten Hotels gepaßt hätte. Das brachte den Butler auf einen weiteren Gedanken. Er verließ wieder die Jagdhütte, ging um sie herum und fand einen schmalen Wanderweg, dessen abfallende Seite durch eine starke Holzbarriere gesichert war. Parker brauchte nur etwa zwanzig Schritte zu tun, bis er tief unter sich die Lichter des Landhotels ausmachte, in dem sich Mylady und Kathy Porter befanden.
Dann hörte er bereits leise Stimmen und schnelle Schritte. Josuah Parker verließ den schmalen Wanderweg und nahm im nahen Gesträuch Deckung. Es dauerte nicht lange, bis sechs Männer erschienen, die sicher nicht die stille Schönheit dieses nächtlichen Waldes genießen wollten. Sie gingen schnell, passierten ohne Argwohn sein Versteck und hielten auf das Jagdhaus zu. Genau jetzt fiel dem Butler ein, daß er die Tür dieses Jagdhauses nicht abgeschlossen hatte. Dieser Fehler konnte unter Umständen mehr als peinlich werden. Würden diese nächtlichen Wanderer Verdacht schöpfen? Parker wartete ab. Er hatte keine Möglichkeit mehr, seinen Fehler ungeschehen zu machen. Bald darauf flammte Licht in der Jagdhütte auf. Die sechs Männer befanden sich also bereits in der Hütte und hatten wohl gar nicht darüber nachgedacht, warum die Tür unverschlossen war. Nun, dem Butler konnte das nur mehr als recht sein. Er stahl sich aus dem Versteck und pirschte sich zurück in die Nähe der Jagdhütte. Die sechs nächtlichen Naturfreunde kamen gerade heraus und trugen Rucksäcke. Sie hatten sich bereit gemacht, einen längeren Marsch anzutreten. Oder wollten sie zurück zu ihrem Transportwagen? Parker konnte nur hoffen, daß es so war, dann würde der kleine Peilsender oben auf dem Dach des Fahrerhauses ihm auch weiterhin sichere Informationen liefern.
Sie verschwanden lautlos in der Schwärze des Waldes und waren wenig später nur noch eine vage Erinnerung, die auch ein Traum hätte sein können. * Die Konstitution des Geschäftsführers war bemerkenswert. Er schaffte es fast bis zum Tresen, knickte dann aber ein und setzte sich auf den Boden. Er lehnte sich gegen die Theke und schloß die Augen. »Lassen Sie sich nicht stören, Kindchen«, meinte Agatha Simpson, die sich gerade mit den gegrillten Würstchen befaßte. Kathy Porter war nämlich aufgestanden und lief geschmeidig zu dem Mann hinüber, der noch mal die Augen öffnete und sie mit leerem Blick anstarrte. Kathy Porter hörte Schritte aus Richtung Küche. Sie richtete sich auf, lief zur Verbindungstür, baute sich rechts daneben auf und langte nach einer Waffe. Sie entschied sich für einen kleinen Sektkühler, der griffbereit in ihrer Nähe stand. Ein großer, breitschultriger Mann erschien. Er trug eine Art Kochkleidung. Und er trug auch eine Maschinenpistole in Händen, die man in solch einem Haus normalerweise nicht servierte. Er übersah natürlich Kathy Porter, sondern interessierte sich ausschließlich für Lady Simpson. Er übersah übrigens auch den Geschäftsführer, der seitlich vor dem Tresen auf dem Boden saß. Kathy nutzte ihre Möglichkeiten. Geschmeidigkeit und sportliche Härte waren bewundernswert. Mit einem
schnellen Fußtritt kickte sie die Maschinenwaffe aus den Händen des Mannes, und als der sich hastig umwandte, stülpte Kathy Porter ihm den vielleicht etwas zu engen Sektkübel über den Kopf. Der Mann litt. Er schlug verzweifelt mit seinen Armen und Händen in der Luft herum und brüllte wie ein Stier. Wahrscheinlich wollte er Alarm schlagen. Kathy Porter winkelte Zeige- und Mittelfinger ihrer rechten Hand an und rammte die Knöchel in die Magengrube des Kochs. Der Mann knickste auf und landete auf dem Boden. Er war bereits ohne Bewußtsein, als er ihn erreichte. Agatha Simpson saß inzwischen ruhig und gelassen in ihrer Nische und delektierte sich an den Köstlichkeiten. Sie probierte vom zarten Roastbeef und nickte anerkennend. Das Hotel mochte von der Leitung her schlecht geführt sein, doch das Essen war passabel. Natürlich hatte sie beiläufig mitbekommen, was sich drüben im Schankraum tat, aber sie fühlte sich nicht veranlaßt, helfend einzugreifen. Sie wußte aus Erfahrung, daß sie sich auf Kathy Porter fest verlassen konnte. Die Gesellschafterin der älteren Dame zog den bewußtlosen Kopf inzwischen an seinen Beinen zur Seite und wartete auf den nächsten Personalauftritt, der auch nicht lange auf sich warten ließ. Das dumpfe Brüllen des Kochs war gehört worden. Ein zweiter Speisenzubereiter erschien auf der Bildfläche und hielt einen Armeecolt in der rechten
Hand, die er auf den Rücken geschoben hatte. Und der Mann ließ sich ablenken, als Agatha Simpson ihn wie selbstverständlich anrief. »Was ist denn das für eine scheußliche Bedienung?« beschwerte die Lady sich. »Ich strapaziere meine Stimmbänder, aber man reagiert einfach nicht.« »Sie haben noch Wünsche, Madam?« fragte der zweite Koch, der ebenfalls groß und breitschultrig war. Er konnte die beiden am Boden liegenden Männer nicht sehen, denn Agatha Simpsons Augen bannten, ja hypnotisierten ihn förmlich. »Sehen Sie sich dieses Roastbeef an«, verlangte die Detektivin energisch. »Stimmt etwas nicht, Madam?« Der Koch ging in die Falle und bewegte sich nach vorn. Dadurch hatte Kathy Porter Gelegenheit, einen zweiten Sektkühler einzusetzen. Sie stülpte ihn mit Wucht über den Kopf des Mannes und schlug dann mit der Handkante zu. Der Armeecolt landete polternd auf dem Boden. Der zweite Koch taumelte, konnte natürlich nichts sehen und fühlte sich wahrscheinlich auch recht unglücklich. Kathy Porter befreite ihn aus seiner seelischen Bedrängnis. Nach einem zweiten Schlag legte der Koch sich schlaff über einige übereinandergestapelte Getränkekisten. Als Kathy sich über ihn beugte, entging ihr ein weiterer Mann, der aus dem schmalen Verbindungsgang kam. Er war ebenfalls bewaffnet und hielt einen schweren Revolver in seiner rechten Hand. Er holte damit aus und
wollte Kathy Porter brutal niederschlagen. Er kam nicht mehr dazu. Dicht vor seinem Gesicht erschien ein perlenbestickter Pompadour, der Bruchteile von Sekunden später seine Nase nachdrücklich zur Seite quetschte. Der im Pompadour befindliche »Glücksbringer« wirkte wie ein Dampfhammer, denn er war von Lady Simpsons Muskeln bewegt worden, die sie beim geliebten Golf spiel stets in Form hielt. Dem Mann wurden die Beine förmlich unter dem Körper weggerissen. Er krachte zu Boden und vergaß jede böse Absicht. Agatha Simpson setzte sich gelassen nieder und kostete die gesalzene Landbutter und das frische Bauernbrot. »Sie gehen ja ohnehin in die Küche, Kindchen«, rief sie Kathy Porter zu. »Bringen Sie mir bitte noch ein paar Scheibchen Roastbeef mit. Und dann einen Wein, der noch nicht entkorkt ist. Ich hoffe, daß ich jetzt nicht weiter gestört werde.« * »Waren Mylady mit dem Service zufrieden?« fragte Josuah Parker. Er war in das ländliche Hotel zurückgekehrt und sah seine Herrin höflich-abwartend an. Er hatte auf den ersten Blick bemerkt, daß Kathy Porter nicht am Tisch saß. »Der Service war miserabel«, erwiderte Lady Agatha verächtlich, »aber dafür hat das Roastbeef mich entschädigt.« »Und wo, wenn man fragen darf, befindet sich Miß Porter?«
»Sie schließt gerade diese Lümmel vom Personal ein«, entgegnete Lady Simpson. »Stehen Sie sich das mal vor, Mr. Parker, man wollte mich belästigen.« »Es gab gewisse Zwischenfälle, Mylady?« »Nicht der Rede wert, Mr. Parker. Ist Ihnen eigentlich klar, daß dieses Landhotel so etwas wie ein Stützpunkt der Riesenfalken ist?« »Diesen Verdacht erlaubte ich mir zu hegen, als ich die Jagdhütte oben auf dem Hügel fand und besuchte, Mylady.« Kathy Porter erschien hinter dem Schanktresen und winkte Parker zu. »Kann und darf ich Ihnen irgendwie behilflich sein, Miß Porter?« erkundigte der Butler sich. Er ging auf Myladys Gesellschafterin zu, um mehr zu erfahren. »Alles erledigt«, meldete Kathy Porter und lachte. »Ich habe die vier Männer im Kompressorraum für die Kühlanlage eingeschlossen. Sie können ohne fremde Hilfe nicht mehr heraus.« »Vier Männer, Miß Porter?« Parker atmete ein wenig tiefer als sonst, ein sicheres Zeichen dafür, daß er sich noch nachträglich sorgte. »Der Geschäftsführer, zwei Köche und ein Kellner«, zählte Kathy Porter fröhlich auf. »Wenn Sie mich fragen, Mr. Parker, so handelte es sich um Falken.« »Ein kalter Schauer erfaßt mich, jagt durch meine Blutgefäße«, zitierte der Butler in etwa und auch ein wenig eigenwillig William Shakespeare. »Es mögen militärisch gedrillte Männer sein, Mr. Parker, Gangster im üblichen Sinn sind es aber nicht«, antwortete Kathy Porter. »Selbst die
einfachsten Raffinessen sind ihnen fremd.« »Wie erfreulich, Miß Porter.« »Im Keller des Hauses befinden sich große Mengen an Armeeverpflegung«, berichtete Kathy Porter weiter. »Um was es sich im einzelnen handelt, konnte ich so schnell nicht feststellen.« »Man wird sich dies später genauer ansehen, Miß Porter. Konnten Sie weitere Entdeckungen machen?« »Dazu reichte die Zeit nicht mehr, Mr. Parker. Wenn Sie vielleicht noch suchen wollen?« »Eine gute Anregung, Miß Porter. Hier im Haus muß sich ein starker Sender befinden. Auf dem Dach konnte ich eine ungewöhnlich große Antenne ausmachen.« Parker brauchte nicht lange zu suchen. Der Büroraum hinter der Rezeption war normal eingerichtet und enthielt nichts, was auf militärische Dinge hätte hindeuten können. Von diesem Büro aus aber führte eine recht enge Wendeltreppe ins Obergeschoß. Und hier wurde Parker auf Anhieb fündig. Im Anschluß an eine Art zweites Büro war ein kleinerer Raum, der als Kommandound Informationszentrale eingerichtet worden war. Auf Klapptischen standen je ein Sender und Empfänger, eindeutig aus Heeresbeständen. An den Wänden waren Landkarten befestigt worden, leider jedoch ohne jede Markierungen oder Einzeichnungen. Die befanden sich wahrscheinlich nach überlieferter militärischer Regel auf Transparentpapier, das man über die Karten gespannt hatte. Butler
Parker suchte nach diesen Schablonen, konnte sie aber in den wenigen Rollschränken und Fächern nicht finden. Er wußte sich jedoch zu helfen. Parker nahm eine der Bürolampen in die Hand, schaltete das Licht ein und strahlte damit die Landkarten schräg an. Und sofort enthüllten diese Karten Geheimnisse, nach denen der Butler suchte. Die Einzeichnungen und Markierungen waren natürlich mit spitzen Bleistiften und Faserstiften vorgenommen worden, um Karteneintragungen nicht zu überdecken und unkenntlich zu machen. Durch den Druck, den die Zeichner auf ihre Schreibutensilien ausgeübt hatten, waren auf den Karten wenigstens andeutungsweise gewisse markante Kreise und Kreuze zu erkennen. Parker blieb lange vor den Karten stehen und prägte sich die durchgedrückten Punkte, Kreise und Kreuze ein. Da er inzwischen den Empfänger eingeschaltet hatte, wunderte er sich auch nicht, als plötzlich eine etwas heisere Stimme sich meldete und behauptete, der Falke wünsche »Atzung« zu sprechen. Dieser Wunsch wurde einige Male wiederholt, und es lag natürlich auf der Hand, daß hier ein Code verwendet wurde. Parker schaltete den Sender ein, ohne an der Frequenzeinstellung etwas zu verändern. »Hier Atzung«, meldete er sich knapp und mit bewußt rauher Stimme. »Hier Atzung, hier Atzung! Falke, melden!« »Achtung, Atzung! Achtung Atzung«, kam die Antwort aus dem Empfänger, »Horst bezogen, Horst
bezogen. Warten auf Brutpflege, warten auf Brutpflege!« * »Und was sagten Sie darauf?« erkundigte Agatha Simpson sich. Sie hielt einen Kognakschwenker in der Hand, den Kathy Porter ihr gefüllt hatte. »Ich war so frei, den Falken die erwartete Brutpflege zuzusagen, Mylady«, gab Josuah Parker zurück. »Zu einer weiteren Konversation kam es leider nicht, da auf der Gegenseite die Sendung eingestellt wurde.« »Wo könnte dieser Horst sich befinden?« Agatha Simpson stärkte ihren Kreislauf. Daß die ältere Dame sich in bester Verfassung befand, war ihr deutlich anzusehen. Sie brannte darauf, sich endlich wieder mal betätigen zu können. Daß es bisher Aufregungen und Zwischenfälle am laufenden Band gegeben hatte, schien sie bereits vollkommen vergessen zu haben. Und wie gefährlich diese riesigen Mordfalken nach wie vor waren, war ihr wahrscheinlich überhaupt nicht bewußt. »Auf einer der Karten in einer Art Leitzentrale, Mylady, fanden sich einige Hinweise, die unter Umständen von Wichtigkeit sein könnten«, antwortete Parker mit der gebotenen Vorsicht. »Wo ist der Horst?« wiederholte sie, diesmal noch knapper. »Er könnte sich bei den Wasserfällen bei Loch Tummel befinden, Mylady, aber mit letzter Sicherheit läßt sich das nicht sagen.«
»Wie weit ist das von hier, Mr. Parker?« »Etwa sechs Kilometer, Mylady. Der Wanderweg kann allerdings nicht befahren werden.« »Aha, darum hat man dieses Landhotel auch zum Stützpunkt ausgebaut«, schlußfolgerte die Detektivin sofort spontan. »Was sind schon knappe sechs Kilometer? Ich hoffe, Sie sind gut bei Fuß, Mr. Parker.« »Mylady wollten noch an diesem Abend...?« »Was dachten denn Sie, Mr. Parker? Überraschung ist alles. Und warten diese albernen Falken nicht auf >Atzung<, wie es in diesem Funkspruch hieß? Nun, diesen Herrschaften werde ich eine Mahlzeit servieren, die sich gewaschen hat.« »Könnte man vorher nicht vielleicht die vier Herren vernehmen, Mylady. Mehr Information bedeutet größerer Effekt im Ausnutzen der Chancen, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Nun gut, auf eine knappe Viertelstunde kommt es ja nicht an, Mr. Parker. Schließen Sie das Hotel, damit wir nicht gestört werden!« »Das habe ich bereits erledigt, Mylady«, warf Kathy Porter ein. »Was soll mit den vier Männern in Mr. Parkers Wagen geschehen?« »Man müßte sie aus humanitären Gründen endlich aufstehen lassen«, fand auch Josuah Parker. »Okay, suchen Sie einen passenden Keller für diese Subjekte«, erklärte die ältere Dame. »Von mir aus könnten sie noch stundenlang im Wagen bleiben. Denken Sie daran, daß man Miß Porter und mich umbringen
wollte! Sie sind wieder mal zu weich, Mr. Parker!« Der Butler brauchte im Kellergeschoß des Landhotels nicht lange nach einer passenden Unterkunft für den Arroganten und seine drei Begleiter zu suchen. Er fand einen fensterlosen Raum mit einer soliden Tür. Die Umquartierung seiner vier Fahrgäste nahm er mit allergrößter Vorsicht vor. Es dauerte fast fünfzehn Minuten, bis die vier Männer in ihrem Keller saßen. Parker verschloß die Tür und sicherte sie noch zusätzlich mit einem Holzbalken, den er unter die Türklinke stemmte. So dicht vor dem gesteckten Ziel wollte er keine zusätzlichen Überraschungen mehr erleben oder gar herausfordern. Der Geschäftsführer, den er dann über die Wendeltreppe hinauf in die Leitzentrale schaffte, wirkte noch benommen und fahrig. Er litt noch unter dem Nadelstich, den Agatha Simpson ihm verabreicht hatte. Seine Augen zeigten noch immer einen glasigen Ausdruck. Er stierte die ältere Dame in einer Mischung aus Respekt, Neugier und Unverständnis an. Wahrscheinlich' begriff er noch immer nicht, wie sie ihn außer Gefecht gesetzt hatte. »Machen wir es kurz, junger Mann«, sagte Agatha Simpson und deutete auf die Landkarten an den Wänden. »Wo befindet sich der Horst dieser komischen Riesenfalken? Zeigen Sie ihn mir auf der Karte!« »My ... Mylady, ich bin kein Verräter«, sagte der Geschäftsführer und riß sich zusammen.
»Sie kennen mich also?« »Lady Simpson.« Der Geschäftsführer nickte langsam. »Ich ... Ich bin informiert worden.« »Und von wem, wenn man fragen darf?« schaltete der Butler sich ein. »Sie wissen doch wahrscheinlich, daß der Anführer des Kommandotrupps sich in Gefangenschaft befindet, nicht wahr?« »Das kam über Funk«, lautete die Antwort. »Und wer kommandiert die Truppe jetzt?« fragte die ältere Dame grollend. »Antworten Sie möglichst umgehend! Ich habe große Lust, Sie noch mal mit meiner Hutnadel zu traktieren, junger Mann.« Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, zeigte sie sie ihm. Der angebliche Geschäftsführer des kleinen Landhotels wich prompt einen halben Schritt zurück. Die Hutnadel schien er gar nicht gern zu sehen, zumal sie allerdings auch an einen kleinen Bratspieß erinnerte, so groß war sie nämlich. »Der... Der Major, Mylady«, sagte der Geschäftsführer und schielte auf die Hutnadel. »Der Name, junger Mann, der Name?« »Ich ... kenne nur seinen ... Decknamen, Mylady.« »Dann eben den, warum auch nicht.« »Mylady dürften dem stehvertretenden Kommandeur der Truppe gegenüberstehen«, warf Josuah Parker ein. »Er leitet schließlich die Befehlszentrale hier.« »Ich bin nicht der Stellvertreter des Commanders«, antwortete der
angebliche Geschäftsführer, der sich inzwischen ein wenig erholt hatte. »Sie haben bisher in der Hotelbranche gearbeitet?« wechselte der Butler das Thema. Er überhörte das verächtliche Schnaufen der älteren Dame, die mit einer direkteren Frage gerechnet hatte. »Ich bin Hotelmanager«, bestätigte der Geschäftsführer. »Und ich arbeite bereits seit zwei Jahren hier im Haus.« »Wie heißt der Pächter oder Besitzer des Hauses?« lautete Parkers nächste Frage. Ihm war da gerade eine Idee gekommen, die gewisse Tatsachen in einen logischen Zusammenhang brachte. »Das ist Mr. Daleford«, entgegnete der Geschäftsführer. »Er ist der Besitzer des Hauses.« »Ein relativ kleiner Herr, der stets ein wenig arrogant wirkt?« Die Antwort war nur ein Kopfsenken. Parker wandte sich Lady Agatha zu, die den Butler entgeistert anblickte und dann nickte. »Ich habe es gleich gewußt«, sagte sie. »Dieses arrogante Subjekt unten im Keller ist der Commander der Truppe und gleichzeitig auch der Besitzer des Hotels. So etwas fühlt man, Mr. Parker.« * »Wollen Sie hier Wurzeln schlagen, Mr. Parker?« fragte Lady Simpson grimmig, als der Butler keine Anstalten traf, sich zusammen mit seiner Herrin und Kathy Porter auf den Kriegspfad zu begeben. Parker hatte den Geschäftsführer zurück in den Kompressorraum
gebracht und sich nicht weiter um den Commander und Hotelbesitzer gekümmert. Er saß jetzt im regulären Büro hinter der Rezeption und blätterte intensiv in Akten, Listen und Rechnungen. »Wenn Mylady sich noch wenige Minuten gedulden wollen«, bat Josuah Parker gemessen. »Diese Geschäftsunterlagen sind ungemein interessant und aufschlußreich.« »Für Sie vielleicht, Mr. Parker, ich aber will endlich diesen Falken an den Kragen, bevor sie sich absetzen. Haben Sie daran wirklich nicht gedacht? Diese Subjekte können sich ja auch in alle Winde zerstreuen.« »Die Fluktuation des Personals, Mylady, ist gerade exorbitant«, sagte Butler Parker und deutete auf einen Aktenordner, in dem er blätterte. »Können Sie nicht normal reden?« grollte die ältere Dame gereizt. »Mr. Daleford, um jetzt bei diesem Namen zu bleiben, Mylady, hat sein Hotelpersonal fast Monat für Monat gewechselt, eine Tatsache, die des Nachdenkens wert sein dürfte.« »Was schert mich die Personalpolitik dieses Phantasten.« »Und dies schon seit fast einem halben Jahr, Mylady. Monat für Monat engagierte und entließ Mr. Daleford im Schnitt etwa zwanzig Mitarbeiter. Es handelte sich dabei um Kellner, Köche, Hilfskräfte und Büropersonal.« »Ich spüre, daß Sie mich ärgerlich machen wollen, Mr. Parker.« »Dies, Mylady, würde ich mir niemals erlauben. In einem halben Jahr durchliefen, rund gerechnet, etwa hundertzwanzig männliche Arbeitnehmer dieses Haus.«
»Sie glauben, daß es sich um die Mordfalken gehandelt hat?« Die Detektivin wurde plötzlich hellhörig. »Davon sollte man ausgehen, Mylady«, bestätigte der Butler. »Dieses Landhotel scheint möglicherweise eine Art Sammelbecken für junge, sportgestählte Männer zu sein.« »Die alle von diesem aufgeblasenen Daleford ausgebildet wurden, meinen Sie?« »Dieser Verdacht liegt zumindest recht nahe, Mylady.« Parker deutete ein knappes Kopfnicken an. »Nach einem Monatstraining wurden diese jungen Männer entlassen.« »Und dann? Was geschah mit ihnen? Er wird sie doch nicht umgebracht haben? Glauben Sie, daß dieser Daleford eine Art Massenmörder ist?« »In übertragenem Sinn, Mylady, würde ich ihn so bezeichnen.« »Jetzt wird mir alles klar, Mr. Parker.« Mylady entwickelte aus dem Stegreif heraus eine neue Theorie. »Daleford ist ein Monstrum, er lockt junge, ahnungslose Burschen in sein Hotel, spielt mit ihnen und läßt sie dann anschließend in einem der vielen Seen hier verschwinden. Grandios! Das ist ein Romanstoff, auf den ich gewartet habe. Sobald wir wieder in London sind, werde ich meinen Bestseller schreiben.« »Mylady haben meine bescheidenen Ausführungen vielleicht ein wenig mißverstanden«, korrigierte Parker vorsichtig. »Die ausgebildeten Männer dürften nach ihrer Entlassung hier aus dem Hotel England den Rücken gekehrt haben.«
»Warum sollten sie, Mr. Parker? Glauben Sie etwa, Daleford habe ihnen eine Reise spendiert? Warum sollte der Mann das getan haben?« »Um das Entgelt für die Ausbildung zu kassieren, Mylady.« »Warum essen Sie nicht endlich eine Kleinigkeit, Mr. Parker?« erkundigte die ältere Dame sich jetzt betont besorgt. »Das alles war wohl doch etwas zuviel für Sie gewesen, nicht wahr? Sie brauchen eine längere Erholungspause.« »Die Falken, Mylady, sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hoch bezahlte Söldner, die ihre Kampfkraft an interessierte politische Gruppen irgendwo in der Welt verkaufen.« »Und Dalefords Hotel ist der Treffpunkt dieser Abenteurer!« Sie hatte verstanden und schaltete blitzschnell um. »Daran dachte ich schon die ganze Zeit über, Mr. Parker. Sie haben mir das Wort leider wieder mal aus dem Mund genommen. Dieses Hotel ist eine Art Musterungs- und Ausbildungsstätte.« »Mylady haben es treffend gekennzeichnet«, gab Parker zurück. »Diesen Unterlagen habe ich weiter entnommen, um Mylady die Detailarbeit zu ersparen, daß man mit etwa fünfzehn Falken im Horst rechnen dürfte.« »Diesen Mordfalken werde ich jetzt die Flügel stutzen«, meinte die ältere Dame energisch. »Keine weitere Verzögerung mehr, Mr. Parker! Treffen Sie alle Vorbereitungen!« *
Es war eine milde und schöne Nacht, zu der ein fast voll ausgebildeter Mond das Licht lieferte. Parker schritt auf dem Wanderweg voraus. Er sah korrekt aus wie immer, trug Melone, Regenschirm und zusätzlich noch eine schwarze Bügeltasche aus Leder, die aus dem Kofferraum seines hochbeinigen Monstrums stammte. Lady Agatha erinnerte an eine stattliche Diana. Diese moderne Ausgabe der Göttin der Jagd hielt nämlich einen hochmodernen Sportbogen in Händen. Auf ihrem Rücken befand sich ein Köcher mit langen Sportpfeilen. Kathy Porter bildete den Schluß der kleinen Gruppe. Sie hatte sich ein langes Seil über die Schultern geworfen, an dem ein Ankerhaken befestigt war. Das Ziel der drei nächtlichen Touristen waren die Wasserfälle von Loch Tummel. Auf der Landkarte in der Leitzentrale der Mordfalken hatte Josuah Parker dort das Symbol für eine alte Burgruine entdeckt. Und genau um dieses Symbol herum war der Abdruck eines Kreises zu sehen gewesen. Gestärkt durch das reichlich genossene Roastbeef war Mylady gut auf den stämmigen Beinen. Sie schritt rüstig voran und klagte nicht, obwohl der schmale Wanderweg recht steil wurde. Sie brannte schließlich darauf, den Horst der Mordfalken auszunehmen. Parker hatte sich alle Einzelheiten der Karte genau eingeprägt. Natürlich ging er davon aus, daß die Falken knapp vor ihrem Horst
Wachen aufgestellt hatten. Ihnen galt es zu entgehen. Erfolg war nur dann garantiert, wenn man diese Söldner völlig überraschte. Nach etwa fünf Kilometern legte der Butler eine kleine Pause ein. »Können Sie nicht mehr?« flüsterte Parkers Herrin anzüglich. »Es empfiehlt sich, Mylady, einen Umweg einzuschlagen, der allerdings recht strapaziös werden dürfte.« »Bleiben Sie hier, wenn Sie sich überfordert fühlen«, stichelte Lady Agatha wonnevoll. »Das Verlassen meiner bescheidenen Kräfte werde ich Mylady rechtzeitig vermelden«, entgegnete Parker höflich und marschierte weiter. Er hatte nicht übertrieben, denn der schmalere Weg wurde noch steiniger und schmaler. Es war die Detektivin, die bald ein wenig keuchte, was sich übrigens wie bei einer undichten Dampfmaschine anhörte. Die Lady ärgerte sich maßlos, daß sie einige Male nach Parkers hilfreich ausgestrecktem Regenschirm greifen mußte, an dem sie sich dann über besonders steile Passagen hochhelfen lassen mußte. Wenn es besonders schwierig wurde, leistete auch Kathy Porter diskrete Hilfe und schob mit ihren Schultern nach. Agatha Simpson hielt sich dennoch ausgesprochen tapfer und klagte nicht. Als Parker erneut eine Pause einlegte, vergaß sie alle Hilfestellungen. »Gut, eine kleine Pause für Sie«, sagte sie. »Darf ich mir erlauben, Mylady eine Erfrischung anzubieten?« »Sie glauben doch nicht etwa, daß ich sie nötig hätte, wie?«
»Auf keinen Fall, Mylady, auch meine bescheidene Person bedarf jetzt einer kleinen Ermunterung.« Sie nahm zwei Kreislaufbeschleuniger zu sich und fand erst dann Zeit, die romantische Schönheit der mondbeschienenen Landschaft in sich aufzunehmen. Das Rauschen der berühmten Wasserfälle war schon deutlich zu vernehmen. »Dort hinter der Baumgruppe können Mylady die Burgruine sehen«, sagte Parker und zog ein TeleskopFernrohr alter Bauart aus der Außentasche seines schwarzen Zweireihers. Er nahm die einzelnen Elemente auseinander und reichte Mylady das Betrachtungsgerät. »Licht«, sagte sie Sekunden später wie elektrisiert. »Ich habe Licht gesehen, Mr. Parker.« »Wenn es erlaubt ist, Mylady?« Parker nahm das Teleskop-Fernrohr entgegen und beobachtete seinerseits. Ja, Mylady hatte richtig gesehen! Hinter den halb zerstörten Burgmauern war in kurzen Abständen ein schwacher Lichtschein zu sehen. Ein Irrtum war ausgeschlossen, in der Ruine mußten sich Menschen befinden. »Achtung!« Kathy Porter, die ein wenig höher stand, glitt wie ein Schatten auf Lady Agatha und Parker zu. »Eine Patrouille. Ich glaube, zwei Falken!« * Sie trugen diese unheimlichen Falkenmasken und sahen aus wie mythologische Fabelwesen. Im Mondlicht sahen die beiden
Mordfalken besonders mordlüstern und erschreckend aus. Sie benutzten einen schmalen Pfad, den Parker leider bisher übersehen hatte, und sie blieben nicht weit von Lady Simpson und Parker stehen. Kathy Porter war bereits im dichten Unterholz verschwunden, wie der Butler mit schnellem Blick gerade noch feststehen konnte. Die beiden Falken unterhielten sich ungeniert miteinander, nicht laut zwar, aber man konnte deutlich verstehen, was sie sich mitzuteilen hatten. ». . . würd ich am liebsten abhauen«, sagte der erste Falke mißmutig. »Mir stinkt das alles. Eine Pleite nach der anderen, und wenn wir Pech haben, sitzen uns noch die Buhen im Genick.« »Der Major is' doch 'ne Flasche«, meinte der zweite Falke. »Denk' doch mal an das Kommandounternehmen! Ging doch glatt in die Hose.« »Wer mögen diese drei Typen sein?« fragte der erste Falke nachdenklich. »Ob die vom Geheimdienst sind? Soviel Tricks auf Lager ...« »Warum putzen wir nicht einfach die Platte?« Der zweite Falke lehnte sich gegen einen Baum. »Das Handgeld haben wir ja immerhin kassiert, und dem Typ in London werde ich was erzählen, wenn der mir nochmal so 'nen Tip gibt.« »Bist du auch auf die Anzeige 'reingefallen?« »Und bei van Baren gelandet!« bestätigte der andere Falke. »Warum schmeißen wir den blöden Kram nicht hin?« »Könnte tödlich sein. Du weißt, drei haben's bereits getan und wurden dann
doch noch erwischt. Der Commander kennt da keinen Spaß.« »Mensch, wenn ich so an Afrika denke.« Ein leises Hüsteln war zu vernehmen. »Weiß der Teufel, was man sich da holen kann.« »'nen Fangschuß, zum Beispiel.« »Oder dickes Geld«, lautete die nachdenkliche Antwort. »So schnell kann man doch keinen Kies machen.« Plötzlich war ein scharfes Knacken zu hören, dann stoppte die Unterhaltung jäh. Die beiden Falken, die sich gegen den nächtlichen Himmel eben noch abgehoben hatten, waren plötzlich nicht, mehr zu sehen. Kathy Porter erschien und rieb sich die Kante ihrer rechten Hand. »Ich möchte nicht versäumen, mich bei Ihnen zu bedanken, Miß Porter«, sagte Butler Parker formvollendet wie stets. »Hoffentlich habe ich nicht zu schnell gehandelt«, sorgte sie sich, »aber die beiden Männer wollten weitergehen.« »Was wir wissen müssen, haben wir gehört, Kind«, lobte die ältere Dame ebenfalls. »Und die Falkenmasken werden wir mitnehmen, Mr. Parker. Sie lassen sich vielleicht noch verwenden.« Damit war der Butler durchaus einverstanden. Er ging hinüber zu den beiden Riesenfalken und versah sie erst mal mit zwei Handschellen. Er gruppierte sie jedoch vorher um jenen Baum, gegen den sich einer der Söldner eben noch gelehnt hatte. Dann ließ er die Handschellen klicken.
An ein Entkommen war so überhaupt nicht mehr zu denken, es sei denn, man hätte den Spezialverschluß zu öffnen vermocht, oder gar den Baum abgesägt. Mit breitem Heftpflaster sorgte er dann dafür, daß die beiden demaskierten Falken nicht rufen konnten. »Söldner für Afrika also«, meinte die Detektivin, als man weiterging und den etwas bequemeren Pfad benutzte. »Angeheuert in London bei einem gewissen van Baren, Mr. Parker.« »Diesen Namen habe ich mir bereits zu merken erlaubt, Mylady.« »Er wird noch von mir hören!« Grimmig kamen die Worte aus Lady Agathas Mund. »Diese Subjekte sorgen doch dafür, daß immer wieder neue Krisenherde entstehen. Ich denke, ich werde gleich unsanft mit diesen Riesenfalken umspringen, Mr. Parker. Sie werden mich nicht daran hindern.« »Mylady dürfen versichert sein, daß auch meine bescheidene Person durchaus empört ist«, versicherte Josuah Parker seiner Herrin. »Darf ich übrigens darum bitten, gleich die Falkenmasken anzulegen? Mylady nähern sich einem baumlosen Plateau.« Der Wald und das dichte Unterholz endeten jäh. Vor dem Trio breitete sich eine kleine Hochebene aus, die nur mit Steinen und Heidekraut bewachsen war, Man mußte sie überqueren, um in den anderen Teil des Bergwaldes zu kommen. Die Lichtung war von der Burgruine durchaus einzusehen, obwohl sie auf einem Hügel lag, der immerhin noch gut sechshundert Meter weit entfernt war.
Agatha Simpson machte sich als Mordfalke ausgezeichnet. Gut, dieser Falke war äußerst wohlgenährt und füllig, aber wirkte dennoch drohend. Parkers Falkenversion zeichnete sich hingegen durch vornehme Korrektheit und würdevolle Bewegungen aus. Auch der Regenschirm paßte nicht so recht zu diesem Mordvogel, doch Parker legte den Bambusgriff seines Wetterschutzes über den rechten Unterarm. In Deckung dieser beiden recht ulkig aussehenden Falken bewegte die gertenschlanke Kathy Porter sich über die kleine Hochebene, vor allen Dingen geschützt von der majestätischen Fülle der Falkendame. * Die Zugbrücke war noch gut erhalten, aber natürlich hochgeklappt. Die Mordfalken wollten sich in ihrer Ruhe nicht stören lassen und hatten sich gegen ihre Außenwelt abgeschirmt. Butler Parker und Lady Simpson warteten in einem provisorischen Versteck auf die Rückkehr Kathy Porters. Sie war ausgeschickt worden, um die Burgruine zu umrunden. Parker wollte wissen, ob und wie die Falken möglicherweise die Flucht ergreifen konnten. Übrigens dämmerte der Morgen bereits. In der Burgruine war noch alles still, doch es könnte nicht mehr lange dauern, bis dort zum Wecken geblasen wurde. Kathy Porter kam zurück und lächelte zufrieden.
»Wenn überhaupt, dann können sie sich nur abseilen oder fliegen«, berichtete sie. »Zwei Seiten der Burg fallen wenigstens fünfzehn bis zwanzig Meter steil ab.« »Konnten Sie irgendeinen Notausgang entdecken, Miß Porter?« »Dazu reichte das Licht nicht aus, Mr. Parker.« »Solch einen Notausgang muß es jedoch geben«, vermutete Parker. »Sobald Mylady das Feuer eröffnet haben, werde ich mir gestatten, die beiden Steilseiten unter Kontrolle zu nehmen.« Agatha Simpson nickte nur. Eifrig war sie damit beschäftigt, Ihre Sportpfeile aus Aluminium für die Belagerung zu richten. Aus Parkers schwarzer Reisetasche hatte sie einige Dynamitpatronen hervorgeholt und wickelte sie mit starkem Klebeband vorn unter den Spitzen der Pfeile fest. Kathy Porter hatte das lange Seil, das mit dicken Halteknoten durchsetzt war, längst abgewickelt und nickte Parker zu. Sie machte sich auf den Weg, um sich an das Gemäuer heranzupirschen. Mit dem Maueranker wollte sie später dieses Seil über die Zinnen werfen und dann nach oben klettern. Sie konnte sich fest darauf verlassen, daß Lady Simpson für ausreichenden Wirbel sorgte, damit man sie übersah. Und dann war es soweit... Mylady hatte ihre Geschosse gerichtet und trat zusammen mit Parker aus ihrem Versteck. Er beobachtete durch das alte Teleskop-Fernrohr die Zinnen über der Zugbrücke und nickte seiner Herrin dann andeutungsweise zu. Sie wußte mit einem modernen Sportbogen gut Umzugehen. Sie
spielte nicht nur Golf, sondern beteiligte sich auch an Wettbewerben im Bogenschießen. Hundert Meter schaffte sie leicht, und in diesem speziellen Fall kam es gar nicht darauf an, das Zentrum einer Zielscheibe zu treffen. Hauptsache, der erste Sprengkörper landete hinter der Mauer und verursachte eine Detonation. Der Pfeil stieg hoch, torkelte ein wenig wegen der vorn festgelaschten Dynamitpatrone, stabilisierte sich schließlich und rauschte dicht über eine der Zinnen der trotz des Verfalls immer noch beachtlich hohen Burgmauer. Es war schon mehr als bemerkenswert, was kurz danach folgte. Die Dynamitpatrone detonierte und verursachte einen Donnerschlag. Eine dunkle Rauchwolke stieg hoch, Steinbrocken wirbelten durch die Luft. Der zweite Pfeil war bereits unterwegs. Mylady hatte das Ziel gewechselt und den Stumpf des bis zur Hälfte verfallenen Wachturms anvisiert. Nun kam ihr ein gütiger Zufall zu Hilfe. Der Pfeil wischte durch einen Mauerriß und landete im Innern des Turms. Dies sollte sich auszahlen. Zuerst tat sich mal nichts, und Lady Agatha war bereits der Ansicht, die Lunte habe versagt. Das war jedoch nicht der Fall. Aus dem Stumpf des Wachturms schoß plötzlich eine grelle Feuerzunge empor, die, von einer reißenden, fast schon wütend zu nennenden Detonation begleitet wurde. Dann wurde der Stumpf des Wachturms
sorgfältig in seine restlichen Bestandteile zerlegt, die von dichtem Staub, Rauchwolken und Steintrümmern eingehüllt wurden. Mylady hatte offensichtlich so etwas wie ein Munitionsdepot getroffen und es in die Luft gejagt. Um die Dinge zu beschleunigen, verschoß die ältere Dame mit ausgesprochenem Vergnügen noch einen dritten Pfeil, den sie auf die obere Kante der Zugbrücke setzte. Das reichte dann. Einer der beiden Ecktürme rutschte krachend in sich zusammen und riß die Zugbrücke mit sich. Innerhalb weniger Sekunden entstand auch dort ein wildes Chaos. Als der Staub sich ein wenig hob, war deutlich auszumachen, daß dieser Zu- und Ausgang vorerst nicht mehr zu benutzen war. Die Detektivin legte eine kleine Feuerpause ein, hielt aber einen vierten Pfeil in Bereitschaft. Sie wartete auf die Reaktion der Mordfalken, die sich bis: her erstaunlicherweise noch nicht gerührt hatten. * Dem geübten Auge des Butlers waren gewisse Spuren nicht entgangen. Er stand auf der gegenüberliegenden Seite der verfallenen Burg und hatte links unterhalb einer fast glatten Steilwand einen kleinen Bach ausgemacht, dessen Steine an einigen Stehen abgewetzt wirkten. Das Fehlen der sonst hier treibenden Wasserpflanzen deutete daraufhin, daß die Steine in jüngster Zeit häufig als Trittsteine benutzt worden waren.
Butler Parker benutzte diese Steine ebenfalls, überquerte den kleinen Bach und brauchte dann nicht mehr lange nach dem Notausstieg zu suchen. Verdeckt von Sträuchern und dichtem Rankenwerk erkannte er die Umrisse einer kleinen Höhle. War sie der Eingang zu einem unterirdischen Laufgrabensystem? Hatte er in früheren Zeiten mal dazu gedient, das begehrte Wasser in die Burg zu schaffen? Parker hielt bereits sein Katapult in Händen und horchte in die Höhle. Das hastige Rutschen und Klappern nagelbeschlagener Schuhe war zu hören, ein sicheres Zeichen dafür, daß die Mordfalken auf dem Weg nach unten waren. Aufgeschreckt und entnervt durch die Dynamitpatronen wollten diese angeblichen Monster hastig die Flucht ergreifen. Parker öffnete seine schwarze Lederreisetasche, wie sie wohl von Ärzten um die Jahrhundertwende benutzt wurden. Er entschied sich für eine Art Fußball, wenngleich dieser Ball auch ein wenig kleiner war. Er drückte das Ventil zum Auffüllen der Luft mit dem Daumen seiner schwarz behandschuhten Hand ein und ... schleuderte diese »Bombe« dann kraftvoll in den dunklen Höhleneingang. Er rechnete mit dem Kamineffekt. Von dieser Höhle aus, die wie ein offener Kamin wirkte, mußten die jetzt austretenden Dämpfe seiner »Bombe« wie in einer Kaminesse nach oben steigen. Wie diese Dämpfe wirkten, war ihm nur zu bekannt. Parker baute sich dennoch neben der Höhle auf und hielt seinen
Universal-Regenschirm in Bereitschaft. Er hatte den Schirmstock umspannt und war bereit, mit dem bleigefütterten Bambusgriff herzhaft zuzulangen, falls es einem der Mörderfalken dennoch gelang, den rettenden Ausstieg zu erreichen. Husten und Spucken kündigte einen flüchtenden Falken an. Einen Augenblick später taumelte ein Mann ins Freie, doch Parker verzichtete darauf, ihm den Bambusgriff auf den Kopf zu legen. Der Mann stolperte einen knappen Meter ins Grüne und landete dann der Länge nach in den Ranken des Gestrüpps. Danach kam nichts mehr ... * Kathy Porter tauchte auf den Trümmern der zerstörten Zugbrücke auf und winkte ihrer Chefin zu. Dann stieg sie vorsichtig über die Steinbrocken und lief Lady Simpson entgegen. »Wie sieht es aus, Kindchen? Erwärmen Sie mein Herz.« »Sie stecken alle im Fluchtgang, Mylady«, berichtete Kathy Porter und lachte. »Ich habe mich fast schon geniert, so leicht ging das alles.« »Und diese Subjekte können auch wirklich nicht zurück, Kindchen?« »Ich brauchte nur eine eiserne Falltür zu schließen, Mylady. Aber dann mußte ich auch schon weglaufen, denn Mr. Parkers chemische Bombe stieß bereits ihre Dämpfe aus.« »Damit dürften die Mordfalken vorerst außer Gefecht gesetzt sein.« Agatha Simpson nickte beifällig, um dann jedoch die Stirn zu runzeln. »Es sieht so aus, als sei dieser Fall erledigt.«
»Sie sind nicht ganz zufrieden, Mylady?« erkundigte Kathy Porter sich erstaunt. »Es war ein Spaziergang«, gab die ältere Dame zurück. »Ich hatte mir etwas mehr Aufregung versprochen. Und so etwas wollte als Söldner nach Afrika!?« »Es waren Anfänger, Mylady, die wohl erst noch trainiert werden sollten«, gab Kathy Porter zurück. »Mr. Parker kommt, Mylady. Er hat einen Mann bei sich.« Gemessen und würdevoll näherte der Butler sich und stützte einen angeschlagen wirkenden und hustenden Mann, dem die Tränen über die Wangen rollten. »Der Major und Stellvertreter des Commanders, Mylady«, stellte Josuah Parker vor. »Seine bisherigen Aussagen decken sich mit dem, was die beiden Falken sich zu sagen hatten. Mr. Daleford bildet Söldner aus und schickt sie, getarnt als Touristen, in gewisse Krisengebiete.« »Und warum diese albernen Masken?« fragte die Detektivin, sich an den Mann wendend, der als Major fungierte. »Wenn ich vielleicht antworten darf, Mylady?« Parker deutete auf das tränenüberströmte Gesicht des Majors, dessen Augen entzündet waren. Die chemischen Dämpfe hatten auch bei ihm ihre Spuren hinterlassen. Als Parker den Mann losließ, rutschte er haltlos in sich zusammen und blieb müde und abgespannt am Boden hegen. »Die Masken«, erinnerte die resolute Dame.
»Sie stehen so etwas wie das Markenzeichen dieser Söldner dar«, gab Parker Auskunft. »In dieser monströsen Aufmachung kämpfen die Söldner des Commanders in den jeweiligen Krisengebieten. Bei gewissen Gegnern lösten und lösen diese Falkenmasken Angst und Schrecken aus. Hier wurden sie darauf trainiert, sich mit ihnen zu bewegen.« »Eine verrückte Geschichte!« Lady Simpson lächelte plötzlich. »Was wird McWarden dazu sagen? Ob unser Chief-Superintendent überhaupt weiß, daß es solche Söldner gibt?« »Eine telefonische Nachfrage könnte Gewißheit verschaffen, Mylady«, schlug Josuah Parker vor. »Sie ist ohnehin unumgänglich, wie ich vorschlagen möchte. Der Abtransport der Mordfalken sollte von den zuständigen Behörden übernommen werden.« »Wie lange werden diese Subjekte schlafen?« Mylady deutete zur Burgruine hinüber, die noch rauchte. »Mit einer Stunde ist fest zu rechnen«, antwortete der Butler, »aber Mylady brauchen sich keine Sorgen zu machen, die Polizei dürfte sich bereits eingeschaltet haben.« Während er noch sprach, deutete er; zum gegenüberhegenden Wald. Dort erschienen gerade zwei Hubschrauber, die sich der Burgruine näherten. »Sie haben die Polizei verständigt?« Agatha Simpson war verblüfft. »Aus Gründen einer gewissen Rückversicherung, Mylady, weil doch zuviel auf dem stand, was man vulgär Spiel zu nennen pflegt. Beim Kampf mit diesen Söldnern und Mordfalken nahm ich mir die Freiheit, jedes Risiko auszuschalten.«
* Vom Büro hinter der Hotelrezeption rief Butler Parker Chief-Superintendent McWarden an. Es dauerte einige Zeit; bis die Verbindung mit London klappte. Die scharfe Stimme des kleinen, dicken, stets ein wenig gereizten Leiters einer Sonderabteilung des Yard klang aufgeregt. »Wo stecken Sie?« fragte er, nachdem Parker seinen Namen genannt hatte. »Mylady, Miß Porter und meine bescheidene Person befinden sich in Schottland, genauer gesagt, in der Nähe von Pitlochry, Sir.« »Bestens, ausgezeichnet«, sagte McWarden, der immer wieder mit dem Trio zusammenarbeiten mußte, ob es ihm nun paßte oder nicht. »Sie könnten mir ausnahmsweise mal einen Gefallen tun, Mr. Parker. Bitten Sie auch Mylady darum. Es geht um eine brandheiße Sache.« »Ich erlaube mir zu hören, Sir.« »Dort in der Region sollen Söldner für Afrika ausgebildet werden«, sagte McWarden. »Genaues weiß ich nicht, Mr. Parker, aber strecken Sie doch mal Ihre Fühler aus. Noch etwas, dort sollen auch Riesenfalken gesehen worden sein. Meine Abteilung ermittelt bereits, was an dieser geheimnisvollen Geschichte dran sein könnte.« »Eine äußerst interessante Aufgabe, Sir«, entgegnete Parker gemessen. »Aber sie wurde vor knapp einer Stunde bereits von Mylady gelöst.«
»Wie war das?« McWardens Schnaufen war von London bis nach Schottland zu vernehmen. »Der gerade erwähnte Fall wurde schon gelöst«, wiederholte Parker noch mal. »Aber vielleicht sind Sie in der Lage, Sir, Mylady für einen neuen
Fall zu interessieren. Wie ich mir Mylady einzuschätzen erlaube, werden Mylady sich bereits ab heute nachmittag wieder nachhaltig langweilen und im Grund genommen dankbar für einen neuen Fall sein.«
ENDE scan:crazy2001 @10/2011 corrected: santos22
Red. Hinweis: Der heutigen in der Schweiz verbreiteten Auflage ist ein interessanter Prospekt des Instituts Mössinger, Fernschule in Zürich, beigelegt, den wir der Aufmerksamkeit unserer Leser empfehlen.
Günter Dönges schrieb wieder für Sie einen neuen
Nr. 186
Parker setzt »Napoleon« matt Sie traten in verschiedenen historischen Masken auf, einmal als Napoleon, dann als Sir Francis Drake, als König Philipp von Spanien und dann wieder als mittelalterliche Mönche. Aber sie bedienten sich moderner Methoden und benutzten zeitgemäße Schußwaffen aller Art. Sie nannten sich das »Tribunal der Geschichte« und verhängten Todesurteile. Dabei hatten sie sich auf Personen spezialisiert, die wirtschaftlichen und politischen Einfluß besaßen. Wirrköpfe oder Geisteskranke? Das war hier die Frage. Nun, Josuah Parker stieg im doppelten Sinn des Wortes in die Geschichte ein und stand bald schon zusammen mit der skurrilen Lady Agatha auf der Liste der Todeskandidaten, was sich als außerordentlich peinlich und gefährlich erwies. Günter Dönges legt einen neuen Parker-Krimi vor, der die Freunde des Butlers nicht enttäuschen wird. Spannung, Witz und Humor sind die Bestandteile dieses Krimis, den Sie lesen sollten, wenn Sie ungewöhnliche Kriminalstories lieben. In der Neuauflage erscheint Butler Parker Nr. 154
PARKER tändelt mit Agenten von Günter Dönges.