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PARKER bremst die Ufos ab Günter Dönges »Unterlassen Sie das impertinente Lächeln, McWarden«, raunzte Agatha Simpson...
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PARKER bremst die Ufos ab Günter Dönges »Unterlassen Sie das impertinente Lächeln, McWarden«, raunzte Agatha Simpson. »Selbstverständlich gibt es Ufos, ich zweifle keinen Moment daran.« »Und woher sollen sie kommen, Mylady?« erkundigte sich der Chief-Superintendent genußvoll. Er war ein untersetzter, ein wenig zur Fülle neigender Mann mit dem Gesicht einer stets gereizten Bulldogge. Im Augenblick war er allerdings nicht aggressiv gestimmt, sondern genoß seine Überlegenheit. »Von irgendwoher«, lautete die Antwort der passionierten Detektivin. »Um solche Kleinigkeiten kümmere ich mich nicht, sie sind unwichtig. Hauptsache ist, daß es sie gibt.« Lady Agatha Simpson war eine stattlich aussehende Dame, die die Sechzig zwar überschritten hatte, der man das Alter jedoch kaum ansah. Sie war groß und wirkte majestätisch wie eine regierende Herrscherin. Dazu war sie immens vermögend, mit dem Blut- und Geldadel der Insel verschwistert und verschwägert und nutzte ihre Freizeit, Kriminalfälle zu lösen. Sie entwickelte dabei eine geradezu bestürzende Energie und ließ keine Möglichkeit aus, sich in Schwierigkeiten zu bringen. Die Hauptpersonen: Mr. Kane strahlt eine außerirdische Kälte aus. Jerry Billinger beobachtet ein Ufo am nächtlichen Himmel. Basil Hurston leitet ein College und heizt die Phantasie an. Ben Waxton wird von Außerirdischen erschossen, wie man sagt. Detective-Sergeant Pickels lernt Myladys Pompadour kennen. Steve Brent ist ein brutaler Gangster, der sich ein Ufo besorgt. Chief-Superintendent McWarden findet eine fliegende Untertasse. Lady Agatha Simpson glaubt felsenfest an Ufos. Butler Josuah Parker benutzt seinen Universal-Regenschirm gegen Roboter.
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An diesem Spätnachmittag hatte der Chief-Superintendent ihr einen Höflichkeitsbesuch abgestattet und war sofort in ein Gespräch über sogenannte fliegende Untertassen verwickelt worden. Dies hatte seinen speziellen Grund, denn in den Abendausgaben einiger Zeitungen war von Ufos berichtet worden, die man in der Umgebung von Birmingham gesichtet hatte. »Mylady, ich möchte nicht widersprechen«, antwortete der Mann vom Yard und tat überlegen, »aber die Entfernungen im Weltraum sind einfach zu groß, als das…« »Papperlapapp. McWarden!« Die Hausherrin sah ihn grimmig an. »Dann sind Ihrer Ansicht nach alle Augenzeugen Idioten, wie? Auch der US-Präsident, nicht wahr? Mister Parker, was sagt der Präsident zum Thema Ufos?« Die ältere Dame hatte sich leicht umgedreht und sah ihren Butler an, der gerade die Sherrygläser gefüllt hatte. Er war ein Mann von undefinierbarem Alter, etwas über mittelgroß und fast schlank. Er besaß das Gesicht eines professionellen Pokerspielers und hätte sich kaum verziehen, eine Gemütsregung erkennen zu lassen. Josuah Parker war der Prototyp des hochherrschaftlichen englischen Butlers, wie man ihn eigentlich nur noch auf der Bühne und in einschlägigen Filmen sieht. Parker näherte sich gemessen seiner Herrin und präsentierte ihr das Silbertablett. Sie nahm das Sherryglas entgegen und räusperte sich scharf, als der Butler auch den Gast bediente. Sie sah es nicht besonders gern, wenn ausgerechnet McWarden verwöhnt wurde. »Mister Carter, Mylady, versicherte mehrfach, daß er an die Existenz unidentifizierbarer fliegender Objekte glaubt«, antwortete Parker höflich. »Sie haben es gerade gehört!« Lady Agatha wandte sich wieder dem Chief-Superintendent zu. »Aber ein Mister McWarden hält sich natürlich für klüger…« »Diese fliegenden Untertassen sind nur optische Täuschungen, Mylady.« Der Chief-Superintendent genoß es förmlich, weiterhin zu widersprechen. »Die nächste Sonne, Mylady, ist gut und gern dreieinhalb Lichtjahre von uns entfernt. Und was das für Entfernungen sind, brauche ich ja wohl nicht zu erklären.« »Mister Parker, was sagen Sie dazu?« »Diese Angabe entspricht den Tatsachen, Mylady«, versicherte 3
Josuah Parker. »Glauben Sie denn etwa an fliegende Untertassen, Mister Parker?« McWarden sah den Butler interessiert und ironisch an. »Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, Sir, die unsere Schulweisheit nicht zu ergründen vermag«, entgegnete Parker. »Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf verweisen, daß es sich bei diesem Ausspruch um das Zitat eines berühmten Dichters handelt.« »Also, was sagen Sie nun?« Lady Simpson nickte zufrieden. »Mister Parker glaubt auch an diese Ufos. Wie die Leute bei Birmingham, die solch ein Ding gesehen haben.« Butler Parker verzichtete darauf, Agatha Simpson zu korrigieren. Er hatte sich diplomatisch ausgedrückt und auf keinen Fall festgelegt. »Warum fahren Sie nicht nach Birmingham, Mylady?« stichelte McWarden dann. »Vielleicht haben Sie Glück und können solch eine fliegende Untertasse mal aus der Nähe betrachten.« »Keine schlechte Idee, McWarden.« Lady Simpson nickte langsam und nachdenklich. »Mit diesem Gedanken habe ich bereits gespielt.« Parker hatte dies selbstverständlich befürchtet und nickte nur andeutungsweise, als die ältere Dame ihn anschaute. »Wann könnten wir fahren, Mister Parker?« fragte sie entschlossen. »Umgehend, Mylady«, erwiderte der Butler. »Ich war bereits so frei, die erforderlichen Vorbereitungen für diesen Exkurs zu treffen. Nach einem Bericht den meteorologischen Instituts soll es in der kommenden Nacht sternenklar sein. Die Licht- und Sichtverhältnisse werden sich für eine Intensivbeobachtung also ausgezeichnet eignen.« * Pete Wicker war Schafzüchter. Seine Farm lag in den Ausläufern der Malvern Hills bei Worcester. Die Familie Wicker lebte schon seit Generationen in diesem einfachen Steinhaus, das von hohen Steinwällen umgeben war. Hinter dem einstöckigen Wohnhaus gab es eine große Scheune, die im Winter als Stall für die Schafe diente. Alles hier war einfach und zweckmäßig. Überflüssiges 4
konnten die Wickers sich nicht leisten. Pete Wicker war etwa fünfzig Jahre alt, untersetzt und stämmig. Er saß am Steuer eines uralten Jeeps, der noch aus Heeresbeständen stammte. Wicker war draußen bei einer seiner Herden gewesen und hatte seinen fünfundzwanzigjährigen Sohn Paul mit Vorräten versorgt. Paul war mit einem Teil der Herde unterwegs in Richtung Hereford und würde noch Tage unterwegs sein, bis er hinunter nach Newport kam. Der vierschrötige Mann im Jeep war Realist, dem man so leicht nichts vormachen konnte. Er glaubte weder an überirdische Dinge noch an fliegende Untertassen. Ihn interessierten nur die Marktpreise für Schaffleisch. Es war schon dämmerig geworden, als er sich der festen Straße näherte. Bis zur Farm waren es jetzt nur noch etwa zehn Kilometer. Er freute sich auf eine Tasse Tee mit einem ordentlichen Schuß Rum, auf das Abendessen und auf ein Glas Bier später in der Dorfkneipe. Als er dann jedoch ein seltsames Glühen hinter einem flachen, bewaldeten Hügel sah, vergaß er das alles und trat auf das Bremspedal. Solch ein Glühen hatte es hier bisher noch nie gegeben. Pete Wicker wurde von einem unheimlichen Gefühl erfaßt und bekam es ohne Übergang mit der Angst zu tun. Nach einem Brand sah dieses Glühen auf keinen Fall aus, zumal hinter dem Hügel weit und breit kein Haus stand, wie er genau wußte. Er überlegte, ob er wenden und schleunigst ein Stück zurückfahren sollte. Sicher war sicher! Er war so klug, den uralten Jeep wenigstens halb zu wenden. Dann schaltete er den Motor ab und horchte. Ein helles Sirren war zu vernehmen, zuerst schwach, dann immer lauter. Nach einem normalen Motor hörte es sich nicht an. Da schien so etwas wie eine elektrisch betriebene Turbine zu arbeiten, die langsam auf Hochtouren gebracht wurde. Als Pete Wicker die erste Überraschung hinter sich hatte, war seine Neugier geweckt worden. Was hatte dieses Leuchten und Sirren zu bedeuten? Es paßte einfach nicht in die sanfte, hügelige Parklandschaft der Malvern Hills. Der Schafzüchter stieg aus dem Wagen und zündete sich eine Zigarette an. Er tat es betont langsam und mit abgezirkelten Bewegungen, um seine Nerven wieder voll unter Kontrolle zu bringen. Dann griff er nach dem kräftigen Stock, der auf dem Beifah5
rersitz lag, schwang ihn durch die Luft, um sich noch zusätzlich Mut zu geben, und pirschte dann vorsichtig an den Hügel heran. Das orangefarbene Glühen war intensiver geworden, wie er bemerkte. Aber wahrscheinlich hing das mit dem Tageslicht zusammen, das deutlich schwächer geworden war. Das Sirren hingegen war ein wenig leiser geworden. Pete Wicker hatte den Fuß des Hügels erreicht, der mit Büschen und Sträuchern bedeckt war. Er schritt schnell aus, arbeitete sich nach oben und lief dann in gebückter Haltung zur Baumgruppe oben auf der Hügelkuppe. Hier angekommen, legte er erst mal eine kleine Verschnaufpause ein. Er hatte zwar immer noch Angst, aber er kontrollierte sie. Er wollte es jetzt wissen. Wer trieb sich um diese Zeit in den Hügeln herum? Waren es Jugendliche aus dem nahen Kur- und Ferienort Malvern, die hier ein Feuerwerk veranstalteten? Waren es wilde Camper? Pete Wicker ließ den derben Holzknüppel noch einige Male durch die Luft zischen und pirschte dann weiter vor. Sein Ziel war eine Gruppe von Wacholdersträuchern am jenseitigen Abhang. Von dort aus konnte er in den sanften Talkessel sehen, wo die Quelle des seltsamen und unheimlichen Leuchtens sich befinden mußte. Wicker nahm sich Zeit und gestand sich, daß die Angst wieder in ihm hochstieg. Sein Gefühl sagte ihm, daß es sich um etwas handelte, was auf keinen Fall normal war. Er dachte aber ganz sicher nicht an Besucher von fremden Sternen oder vielleicht an Ufos. Mit solchen Dingen befaßte er sich nicht. Er hatte die Wacholdersträucher erreicht und blieb wie angewurzelt stehen. Eine fliegende Untertasse! Er hatte solch ein Gebilde vielleicht mal in einer Zeitschrift gesehen und darüber gelacht, aber jetzt wußte er mit letzter Sicherheit, daß es so etwas in der Realität gab. Da stand im Talsattel ein Ufo! Es hatte einen Durchmesser von vielleicht dreißig Meter und mochte etwa sechs bis acht Meter hoch sein. Im orangefarbenen Glühen machte Pete Wicker in der Mitte dieser Scheibe eine Art Kuppel aus, dann entdeckte er auch eine Vielzahl von kleinen Bullaugen, die diese Kuppel säumten. Pete Wicker wollte weglaufen, doch er konnte es nicht. Wie angewurzelt blieb er stehen, stierte auf dieses seltsame Objekt und hielt sich dann die Ohren zu, als das Sirren immer schriller und spitzer wurde. Der orangefarbene Schein ging in ein tiefes Rot 6
über. * »Erzählen Sie weiter, Pete«, sagte Sergeant Fuldom geduldig. Er saß hinter dem Schreibtisch seines Büros und wußte immer noch nicht, was er von dieser verrückten Geschichte halten sollte. Er kannte Pete Wicker und wußte, daß der Schafzüchter mit Sicherheit kein Phantast war. »Dann war es plötzlich aus«, erwiderte Pete Wicker und trank einen Schluck von dem Tee, den Sergeant Fuldom ihm hatte bringen lassen. »Das Ding flog weg?« »Nee, ich bekam eins über den Kopf«, redete Pete Wicker weiter und faßte vorsichtig nach seinem immer noch schmerzenden Schädel. »Wollen Sie die Beule fühlen, Sergeant?« »Später, Pete, später.« Fuldom stand auf. »Sie wurden also niedergeschlagen?« »Habe ich doch gerade gesagt, Sergeant. Irgendwer hat mir was übergezogen, aber fragen Sie mich bloß nicht, wer das gewesen sein könnte. Ich habe nämlich überhaupt nichts mitgekriegt. Sie verstehen, ich habe nichts gesehen und gehört.« »Ich bin gespannt, ob man draußen Spuren findet«, meinte Sergeant Fuldom. Er bemühte sich um eine neutrale Stimmlage. Ihm war bekannt, daß Pete Wicker so gut wie gar nicht trank und auch nicht dazu neigte, Schauergeschichten zu erzählen. Auf der anderen Seite weigerte der Sergeant sich, an dieses Ufo zu glauben, das Pete gesehen haben wollte. »Das Ding muß unbedingt Spuren hinterlassen haben«, erwiderte der Schafzüchter. »Es muß tonnenschwer gewesen sein.« »Warten wir’s ab, Pete«, sagte der Sergeant, der Wicker gut genug kannte. »Sie glauben mir kein Wort, wie?« »Irgendwie weigert sich mein Verstand, das zu glauben.« Fuldom war ehrlich und nickte. »Wie lange, glauben Sie, Pete, sind Sie bewußtlos gewesen?« »Keine Ahnung, vielleicht fünf oder zehn Minuten. Nee, ich kann’s wirklich nicht genau sagen.« Bevor Sergeant Fuldom eine weitere Frage stellen konnte, läu7
tete das Telefon auf seinem Schreibtisch. Er hob ab und meldete sich. Schon nach wenigen Sekunden sah er den Schafzüchter betont an. »Ich wiederhole«, sagte er dann. »Sie haben ein Ufo gesehen, ja? Wann und wo ist das gewesen? Wie war das? Vor knapp fünf Minuten? Bei Wynd’s Point? Vor zehn Minuten? Sind Sie sicher, sich nicht geirrt zu haben? Schon gut, schon gut, ich notiere.« Der Sergeant zog einen Notizblock zu sich heran und stenografierte nieder, was man ihm sagte. Pete Wicker hatte sich neugierig vorgebeugt und hörte deutlich die aufgeregte Frauenstimme, ohne jedoch Einzelheiten zu verstehen. »Wir werden uns sofort darum kümmern«, versprach Fuldom, »natürlich, ich melde das weiter, Sie können sich fest darauf verlassen. Ich bedanke mich für die1 Information.« Er legte auf und zündete sich eine Zigarette an. Seine bisher geübte Zurückhaltung löste sich auf, das war deutlich zu erkennen. »Da bin ich ja heilfroh, nicht der einzige Augenzeuge zu seih«, meinte Pete Wicker. »Bei Wynd’s Point ist das Ding jetzt gewesen? Ist ja gar nicht so weit entfernt von der Ecke, wo ich die fliegende Untertasse gesehen habe.« »Ich glaube, ich sollte Worcester anrufen«, meinte der Sergeant, der immer nervöser wurde. »Sollen meine Vorgesetzten sich doch den Kopf zerbrechen.« Er griff nach dem Telefon und wählte eine Nummer. Dann gab er seine Meldung durch und reichte später den Hörer an Pete Wicker weiter. Der Schafzüchter sprach jetzt mit einem ChiefInspektor und mußte seine Geschichte noch mal in allen Einzelheiten wiederholen. »Er glaubt Ihnen natürlich kein Wort, wie?« fragte Sergeant Fuldom, nachdem Pete Wicker aufgelegt hatte. »Ich glaube, er hat schon mehr darüber gehört«, erwiderte Pete Wicker nachdenklich. »Dieser Bursche war überhaupt nicht erstaunt. Der hat so getan, als sei das ‘ne vollkommen normale Sache.« * Butler Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums 8
und fuhr über die M 5 in Richtung Birmingham. Es war inzwischen dunkel geworden, und er erkundigte sich kurz vor Worcester nach den speziellen Wünschen seiner Herrin. Lady Agatha saß im Fond des ehemaligen Londoner Taxis, das nach Parkers speziellen Wünschen und Vorstellungen umgebaut worden war. Vom ursprünglichen Fahrzeug war eigentlich nur noch die äußere Form geblieben, alles andere befand sich auf dem neuesten Stand der Autotechnik. Parkers Privatwagen war im Grund eine raffinierte Trickkiste auf Rädern, was in der Vergangenheit schon mancher Gauner und Gangster zu seinem Leidwesen erkennen mußte. »Gegen eine kleine Erfrischung wäre nichts einzuwenden«, gab die Lady über die bordinterne Sprechanlage nach vorn durch, denn der Fond des Wagens wurde zu den Fahrersitzen durch eine schwere Scheibe aus Panzerglas abgeteilt. »Stammte eine dieser Ufomeldungen nicht auch aus der Gegend um Worcester?« »Sehr wohl, Mylady«, bestätigte Parker höflich. »Wenn ich mir erlauben darf, einen Vorschlag zu machen, so sollte man in Worcester die Fahndung nach den fliegenden Objekten aufnehmen.« »Einverstanden.« Die Detektivin nickte gnädig. »Suchen Sie ein hübsches Hotel, Mister Parker, möglichst noch vor der Stadt. Wir werden später ins weite Land fahren und die Geräte aufbauen.« »Wären Mylady unter Umständen mit dem reizenden Malvern einverstanden?« »Hoffentlich ist das Essen dort akzeptabel, Mister Parker.« »Dies möchte ich als sicher unterstellen, Mylady. Malvern ist ein Kurort, der sich größter Gastlichkeit erfreut und Zulauf hat.« Mylady erhob keine weiteren Einwände. Sie schaute immer wieder in die Dunkelheit und dann zum nächtlichen Himmel. Sie hoffte, etwas zu erkennen, das an ein Ufo erinnerte. Sie hielt es für selbstverständlich, daß sich solch ein Objekt zeigte. Sie war schließlich Lady Simpson und interessierte sich für Ufos, also hatten sie sich einzufinden! Butler Parker hatte inzwischen die breite Autoschnellstraße verlassen und fuhr von Tewkesbury aus weiter in Richtung Malvern. Die Straße führte durch hügeliges, teilweise bewaldetes Gelände. Selbst bei den herrschenden Lichtverhältnissen war auszumachen, wie ungemein reizvoll die Landschaft war. Als der Mond dann noch zusätzlich hinter einigen abziehenden Wolkenschleiern 9
hervorkam, wurden die Hügel, Täler und Wälder zu Schattenrissen vor einem weichen, romantischen Licht. »Halten Sie sofort!« rief die Lady plötzlich nach vorn. »Ja, sehen Sie denn nicht dieses seltsame Licht da drüben?« »Weil ich es zu sehen mir erlaube, Mylady, steigerte ich die Geschwindigkeit«, erwiderte Parker über die Bordsprechanlage. »Ich erlaube mir von dem Gedanken auszugehen, daß Mylady die Quelle dieses Lichtphänomens zu sehen wünschen.« »Natürlich, das sage ich doch die ganze Zeit«, behauptete sie in ihrer irritierenden Art, die die Tatsachen gern auf den Kopf stellte. »Müssen Sie unbedingt schleichen wie eine Schnecke?« Nun, selbst eine schnelle Schnecke hätte nicht annähernd die Geschwindigkeit geschafft, die Parker mit seinem hochbeinigen Monstrum vorlegte. Er trat das Gaspedal nur ein wenig nach unten, und schon verwandelte sich das ehemalige Londoner Taxi in einen Tourensportwagen. Nun zeigte sich, was in dem Motor steckte und wie gut der Butler zu fahren verstand. Erjagte über die an sich recht schmale und kurvenreiche Straße, als würde er von einem Rennwagen verfolgt. Die Kurventechnik war geradezu atemberaubend. In besonders engen Kehren scheute der Butler sich nicht, den Wagen nur auf zwei Rädern rollen zu lassen. Agatha Simpson, die normalerweise kaum aus der Ruhe zu bringen war, suchte nach einem passenden Halt und bekam es ein wenig mit der Angst zu tun. Selbstverständlich sagte sie aber kein Wort. Eher hätte sie sich die Zunge abgebissen. Parker hatte das orangefarbene Licht hinter einer nahen Bergkuppe anvisiert. Um diese Kuppe zu erreichen, mußte er erst mal das tief eingeschnittene Tal hinter sich lassen. Das hochbeinige Monstrum nahm die Steigung mit spielerischer Leichtigkeit. Der Lichtschein war intensiver geworden und ging in ein violettes Rot über, wechselte erneut die Farbe und hellte sich zu einem weißlichen Gleißen auf. »Nun sagen Sie schon endlich, was das ist, Mister Parker«, grollte die ältere Dame. »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit ratlos«, antwortete Parker würdevoll. Seine höfliche Stimme klang gleichförmig wie immer. »Ein Ufo?« Agatha Simpson beugte sich vor, um besser sehen zu können. »Der Möglichkeiten, Mylady, gibt es viele.« 10
»Papperlapapp, Mister Parker, das ist ein Ufo!« Sie wußte es wieder mal ganz genau. »Ich habe genug über Ufos gelesen. Sie alle strahlen dieses seltsame Rot aus.« »Wie Mylady meinen.« Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum in wahrer Rekordzeit auf die Kuppe gebracht und hielt. Er suchte nach einer passenden Abzweigung, um von der Straße aus ins Gelände fahren zu können. Als er den Feldweg weiter unten entdeckte, ließ er seinen Wagen wieder vorschießen. »Ob diese fremden Wesen unsere Sprache sprechen?«, fragte Lady Agatha. »Mit Sicherheit, Mylady«, antwortete Parker, um einer längeren Diskussion über dieses Thema zu entgehen. »Englisch ist schließlich eine Weltsprache.« »Das Licht wird schwächer, Mister Parker!« Agatha Simpsons Stimme drückte Verärgerung aus. »Man scheint Myladys Annäherung inzwischen bemerkt zu haben.« »Guter Gott, können Sie nicht schneller fahren?« reagierte sie aufgebracht auf Parkers gemessenes Tempo. »Der Feldweg, Mylady, erfordert einige Vorsicht.« Der Butler übertrieb keineswegs. Immer wieder mußte er um dicke Felsbrocken herumfahren und notgedrungen das Gas wegnehmen. Dennoch war er auf jeden Fall schneller als ein geländegängiger Jeep. »Was hebt da ab, Mister Parker?« Agatha Simpson hatte die Wagenscheibe heruntergekurbelt und streckte ihren Kopf nach draußen. Sie beobachtete das weiße Etwas, das steil zum Himmel stieg und sich nur langsam bewegte. Butler Parker stoppte und griff nach dem lichtstarken Nachtglas, das griffbereit in einer Halterung steckte. Er stieg durchaus gemessen, aus dem Wagen und beobachtete die Erscheinung, die er nicht zu identifizieren vermochte. Sie veränderte ununterbrochen ihre Form und erinnerte an einen riesigen Sack, der in der Luft torkelte. »Nun geben Sie das Glas doch endlich her!« Lady Agatha riß es ihm förmlich aus den Händen und beobachtete nun ihrerseits. »Wie eine Amöbe oder so«, sagte sie. »Das ist ja sensationell, Mister Parker. Es löst sich auf, es verändert sich. Ja, jetzt fließt es auseinander und jetzt…« Sie zuckte zusammen und ließ das Glas sinken. Dann rieb sie sich die geblendeten Augen und benutzte ein Wort, das eine Lady normalerweise nicht in ihrem Sprachschatz hatte. Es handelte 11
sich um einen handfesten Ausdruck der Gosse, den Parker als Stilbruch wertete. »War das… War das eine Explosion?« fragte sie dann recht harmlos. »Ich würde es durchaus so bezeichnen, Mylady«, antwortete der Butler höflich und ohne weitere Gemütserregung. »Unsinn, Mister Parker!« Mylady wußte es natürlich wieder mal besser. »Natürlich ist es mit Lichtgeschwindigkeit verschwunden, aber davon verstehen Sie natürlich überhaupt nichts!« * Der mittelgroße und schlanke Mann im »Silver Hill« hatte zwar einen Whisky ohne Eis und Wasser bestellt, doch er rührte das an sich sympathische Getränk nicht an. Er las in einer Zeitung und war nicht ganz bei der Sache. Immer wieder schaute er über den oberen Rand dieser Zeitung zum Eingang des kleinen Landhotels. Er schien ungeduldig auf etwas zu warten. Der Mann mochte etwa vierzig Jahre alt sein und trug solide Kleidung. Er hatte ein tief gebräuntes Gesicht und strich hin und wieder über seinen schwarzen Schnauzbart. Wenn er den Kopf bewegte, spiegelte sich das gedämpfte Licht, das hier in der Lounge herrschte, in einer eigenartigen Weise in seinen Augen wider. Es wurde dann wie von zwei kleinen Spiegeln reflektiert, doch dies hätte wahrscheinlich nur ein sehr aufmerksamer Beobachter wahrgenommen. Der Gast des kleinen, aber sehr gepflegten Landhotels am Rand von Malvern interessierte sich für die lokalen Nachrichten. Erneut las er noch mal die zweispaltige Meldung, die sich mit dem Auftauchen von Ufos befaßte. Der Verfasser des Artikels drückte sich sehr vorsichtig aus und hütete sich, die bisher eingegangenen Meldungen als Hirngespinste phantasievoller Menschen abzutun. Er beschränkte sich auf die Wiedergabe der Beobachtungen und erklärte in einem anschließenden Kurzkommentar, es gäbe durchaus ernsthafte Wissenschaftler, die es für möglich hielten, daß außerirdische Wesen existierten. »Mister Kane?« Als der Mann diesen Namen hörte, reagierte er zuerst überhaupt nicht. Dann aber sah er hoch und blickte den Nachtportier an, der neben ihm stand. 12
»Ja, bitte?« fragte der seltsame Mann abgehackt und fast mechanisch. »Telefon, Sir«, sagte der Nachtportier und deutete auf eine der beiden Zellen links von der Rezeption. »Ja, danke!« Der Mann, der auf den Namen Kane mit einiger Verspätung reagiert hatte, erhob sich und ging dann zu jener Telefonzelle, auf die der Portier wies. Der Mann bewegte sich mit seltsam eckigen Bewegungen, als müsse er erst einen inneren Mechanismus in Gang bringen. Er hielt sich sehr straff und erinnerte auf den ersten Blick an einen Roboter, dem man Flanellhosen und ein Sakko übergestreift hatte. Der Nachtportier hätte Mister Kane nachgeschaut, wurde nun aber abgelenkt, als im Windfang Gäste erschienen. Da kam zuerst ein Butler herein, der noch aus der Zeit der Queen Victoria stammte. Hinter ihm tauchte eine majestätische ältere Dame auf, die einen abenteuerlichen Hut trug, der eine Kreuzung aus Südwester und Napfkuchen zu sein schien. An ihrem linken Handgelenk baumelte ein perlenbestickter Pompadour, wie ihn die Damen um die Jahrhundertwende zu tragen pflegten. »Eine Suite für Lady Simpson«, sagte der Butler in höflichem Ton, der dennoch keine Widerrede aufkommen ließ. »Für meine bescheidene Wenigkeit eine entsprechende Unterkunft.« Der Portier knickte zusammen und vergaß über diesem Besuch den seltsamen Mister Kane. Er dienerte und suchte aufgeregt nach einer passenden Suite für die Lady. »Mylady wünschen in einer halben Stunde zu dinieren«, sagte der Butler. »Nur eine Kleinigkeit«, meinte die Sechzigjährige seufzend. »Sagen Sie, guter Mann, sind hier in letzter Zeit Ufos gesichtet worden?« »Und ob, Mylady«, erwiderte der Nachtportier prompt. »Mehrere! Die scheinen sich hier in der Gegend ein Stelldichein zu geben. Ich… Ich selbst habe auch eins gesehen.« »Darüber später mehr, junger Mann«, erwiderte Agatha Simpson und maß den Nachtportier, der immerhin auch an die Fünfzig sein mochte, mit leutseligem Blick. »Schicken Sie mir gleich den Koch nach oben. Ich muß mit ihm meine Diät besprechen.« Weder Butler Parker noch Lady Simpson bemerkten den Mann in der Telefonzelle, der seinerseits jedoch sehr interessiert die beiden Neuankömmlinge betrachtete. Sein Blick schien stechend 13
geworden zu sein. Er wartete, bis die Gäste über die kleine Treppe ins Obergeschoß gegangen waren, erst dann verließ er die Telefonzelle und wandte sich an den Nachtportier. »Die… Die Rechnung«, sagte er in seiner abgehackten Sprechweise und in einer Art, als habe er nach diesem Wort erst suchen müssen. »Ich reise sofort ab.« »Und das Zimmer, Sir?« fragte der Portier. »Bezahle ich selbstverständlich. Reicht das?« Mister Kane zog eine fast neue Banknote aus der Ziertuchtasche und faltete sie auseinander. »Der Rest ist für Sie.« Dann verließ er mit eckigen Schritten die kleine Empfangshalle des Landhotels und verschwand draußen in der Dunkelheit. Erst jetzt fiel dem Portier auf, daß dieser reichlich komische Mann weder Gepäck noch ein Auto hatte. Er ging einfach hinaus, als würde er dort erwartet. Den Nachtportier fröstelte plötzlich. Irgendwie hatte dieser Mann eine sonderbare Kälte ausgestrahlt, als ob kein wirkliches Leben in ihm wäre. * Lady Agatha hatte sich mit dem Koch des Landhotels ausgiebig beraten und saß nun eine halbe Stunde später auf der geschlossenen Terrasse und nickte wohlwollend, als man ihre Diät servierte. Sie musterte mit Kennermiene die Roastbeef Scheiben, den rohen Schinken, die gebratenen Würstchen, einige Scheiben Lachs und den Salat. Der gebutterte Toast roch verführerisch, der Tee stammte aus den besten Teegärten des Himalayas. »Ich erlaube mir, Mylady einen guten Appetit zu wünschen«, sagte Josuah Parker, der seiner Herrin den Stuhl unterschob und sich hilfsbereit seitlich hinter dem Sitzmöbel aufbaute. »Selbstzucht ist alles«, erwiderte Agatha Simpson. »Diese Kleinigkeiten müssen einfach genügen, Mister Parker. Setzen Sie sich endlich.« »Mylady, einem Butler steht es nicht an, am Tisch…« »Setzen Sie sich«, grollte sie. »Nur unter Protest, Mylady.« Parker nahm auf der Kante eines Stuhls Platz und saß stocksteif, als habe er einen Ladestock ver14
schluckt. »Papperlapapp, Mister Parker!« Agatha Simpson bemühte sich immer wieder, Parker dazu zu bringen, sich ein wenig ziviler zu geben, doch damit rannte sie gegen eine unsichtbare Wand. Parker schätzte Vertraulichkeiten dieser Art überhaupt nicht. Er besaß einen sehr eigenen Stolz. »Haben Sie etwa schon gegessen?« erkundigte sich Lady Agatha bei ihm und genoß zuerst mal die Würstchen. »Nur eine Kleinigkeit«, meinte Parker. »Und die war wahrscheinlich viel zu fett«, behauptete die Lady mißbilligend. »Nehmen Sie sich endlich an mir ein Beispiel! Nun aber zur Sache! Wie denken Sie über dieses Ufo?« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit im Zustand allgemeiner Ratlosigkeit«, gestand Josuah Parker. »Man sollte zu Anbruch des Tages den Landeplatz dieses Objektes noch mal gründlich untersuchen.« »Sie glauben nicht an Ufos, wie?« Die Detektivin sah ihn mißbilligend an. »Nicht sehr direkt, Mylady.« »Sie sind eben ein ungläubiger Thomas, Mister Parker. Was sollten diese leuchtenden Objekte sonst sein?« »Ich muß weiterhin bedauern, Mylady.« »Aber Sie haben dieses seltsame Ding doch mit eigenen Augen gesehen, Mister Parker!« Die resolute Dame grollte. Sie war fest davon überzeugt, daß es fliegende Untertassen gab, und wollte sie sich auf keinen Fall ausreden lassen. »Darf ich daran erinnern, Mylady, daß man ein seltsames Gebilde am nächtlichen Himmel sah, das nach einer Explosion nicht mehr zu registrieren war?« »Start mit Lichtgeschwindigkeit«, urteilte Lady Agatha erneut. »Hyperraum und so. Gütiger Himmel, Mistet Parker, sehen Sie sich denn keine Science-fiction-Filme an?« »Man müßte und sollte Proben entnehmen und sie analysieren lassen«, schlug der Butler vor, ohne auf Myladys Frage näher einzugehen. »Nach dem Start eines Ufos müßten sich chemische Rückstände im Erdreich feststellen lassen.« »Man hört, daß Sie wieder mal keine Ahnung haben.« Die Sechzigjährige lächelte amüsiert und kostete von dem Roastbeef. »Von Antigravitationsantrieben wissen Sie natürlich nichts, oder?« 15
»Der Begriff an sich ist mir zwar bekannt, Mylady, aber…« »Es gibt ihn, glauben Sie mir!« Sie wußte es natürlich ganz genau. »Andere Wesen auf anderen Planeten irgendwo in unserem Milchstraßensystem arbeiten längst damit. Damit überwinden sie auch diese unglaublichen Entfernungen. Wenn Sie, Mister Parker, technisch doch etwas versierter wären!« »Mylady sehen meine bescheidene Person schuldbewußt.« »Die Bodenproben oben auf der Bergkuppe werden also nichts bringen«, redete die ältere Dame eifrig weiter. »Bei AntigravMotoren gibt es keine chemischen Verbrennungsrückstände, das weiß doch jedes Kind!« Während die Detektivin noch redete, winkte sie den Nachtportier an ihren Tisch. Der Mann dienerte eilfertig und verbeugte sich tief. Er hatte sich schleunigst informiert und wußte jetzt, wer diese Dame war, die ein so schrecklich ausgebeultes Tweed-Kostüm trug. Sie war eine der vermögendsten Frauen Englands. »Sie haben also ein Ufo gesehen?« erkundigte sich Lady Agatha. »Gestern erst, Mylady«, antwortete der Portier. »Es stand dort drüben hinter der Bergkuppe.« »Sie haben dieses Gefährt deutlich ausmachen können?« schaltete sich Josuah Parker ein. »Nur den Lichtschein«, korrigierte sich der Nachtportier. »Es war ein helles Rot, und dann stieg es steil zum Himmel hoch.« »Um dann zu explodieren, nicht wahr?« fragte Agatha Simpson. »Genau, Mylady.« Der Nachtportier nickte. »Da war plötzlich ein Feuerball am Himmel und dann nichts mehr.« »Lichtgeschwindigkeit, Eintritt in den Hyperraum«, stellte Mylady zufrieden fest und nickte dem Butler nachdrücklich zu. »Hyperraum, Mylady?« erkundigte sich der Butler höflich. »Nun ja, also der Raum hinter dem normalen Raum, verstehen Sie?« »Mylady mögen verzeihen, aber was stellt sich ein Laie wie meine bescheidene Wenigkeit darunter vor?« »Das ist doch sehr einfach.« Lady Agatha strahlte, denn sie konnte ihr Wissen ausspielen. »Sie und ich, auch der junge Mann dort, überhaupt wir alle hier auf der Erde leben doch in einem dreidimensionalen Raum, oder wollen Sie das etwa abstreiten, Mister Parker?« »Nicht unbedingt, Mylady.« Parker sah seine Herrin aufmerksam 16
an, die gerade vom Lachs kostete und zufrieden nickte. »Wir leben darin, verlassen Sie sich darauf!« Sie sah ihn streng und leicht gereizt an. »Nun gibt es noch eine vierte Dimension, Mister Parker, nämlich die Zeit, von der Lichtkrümmung und der Relativitätstheorie mal ganz zu schweigen.« »Wie Mylady meinen.« Parker war ganz Ohr, wenigstens nach außen hin. »Die Ufos verschwinden nach ihrem Start in dieser Zeit- und Lichtkrümmung«, faßte die ältere Dame ihre Erklärung großzügig zusammen. »Nichts einfacher als das! Sie springen in eine andere Dimension…« »Dies, Mylady, erklärt selbstverständlich fast alles«, räumte Parker höflich ein. »Eben, Mister Parker, man muß sich mit diesen Dingen gründlich befassen, dann wird einem alles selbstverständlich. Ich möchte annehmen, daß die Ufos vom Sirius kommen.« »Eine vergleichsweise geringe Entfernung, Mylady.« Parker zuckte mit keiner Wimper. »Jetzt haben Sie es endlich begriffen.« Lady Agatha lächelte anerkennend. »Man muß so etwas eben richtig plausibel erklären. Aber zurück zu Ihnen, junger Mann! Wie viele Ufos wurden hier in der Region inzwischen gesichtet?« »Wenigstens acht, Mylady«, antwortete der fünfzigjährige Nachtportier. »Wahrscheinlich sind noch mehr gesehen worden, aber viele Leute genieren sich einfach, so etwas zu melden. Sie möchten nicht als Phantasten dastehen.« »Noch etwas?« Die Lady sah ihn erwartungsvoll an, sie hatte bemerkt, daß der Mann noch etwas auf dem Herzen hatte. »Ich kann es nicht beweisen, was ich eben gesehen habe«, schickte der Nachtportier voraus und wurde direkt verlegen, »aber ich möchte schwören, daß hier ein Roboter gewesen ist.« »Ein… Roboter?« Agatha Simpson schluckte vor Eifer und Aufregung. »Erzählen Sie, junger Mann! Ein Roboter? Mister Parker, das wäre eine Sensation!« »In der Tat, Mylady«, antwortete Josuah Parker. Sein Gesicht blieb ausdruckslos. »Das Leben ist voller Überraschungen, wenn ich es so umschreiben darf.« * 17
Jerry Billinger, fünfundfünfzig Jahre alt, Landarzt, saß in seinem VW-Käfer und fuhr nach Hause zurück. Seine Praxis befand sich in Tewkesbury, einer kleinen, malerischen Stadt, nicht weit von den Malvern Hills entfernt. Er hatte einem strammen Jungen geholfen, das Licht der Welt zu erblicken. Die Geburt war ohne Komplikationen verlaufen, und Dr. Billinger war bester Laune. Mutter und Kind waren wohlauf, und er hatte zusammen mit dem stolzen Vater einen Whisky getrunken. Der Landarzt kannte sich in den Malvern Hills aus und benutzte selbstverständlich jede Abkürzung, die sich ihm bot. Er wollte so schnell wie möglich zurück sein, um noch einige Krankenblätter aufzuarbeiten. Er befand sich mit seinem VW-Käfer auf einer schmalen Straße und hatte sicherheitshalber das Tempo gemindert, obwohl die Sicht ausgezeichnet war. Es gab hier viele Kurven, die mit Gefühl und Verstand genommen werden mußten. Plötzlich sah er ein orangefarbenes Glühen unterhalb der Straße in einem schmalen, tief eingeschnittenen Tal, das mit Bäumen und Strauchwerk fast zugewachsen war. Dieses Glühen war von einer unheimlichen Intensität, daß der Arzt automatisch eine Art Notbremsung durchführte. Er rieb sich die Augen, dachte an den Whisky, den er getrunken hatte, und schüttelte den Kopf. Natürlich war er nicht beschwipst oder betrunken, dazu hatte er einfach zu wenig intus. Dieses Glühen dort unten im Tal aber war eine Realität… Im ersten Moment dachte er an einen Unfall. War ein Wagen von der engen Straße abgekommen, hinunter ins Tal gestürzt und dann in Brand geraten? Hastig stieg der Mann aus dem VW-Käfer und lief zur Straßenbegrenzung hinüber, die von einer niedrigen Bruchsteinmauer gebildet wurde. Billinger schaute angestrengt nach unten und hörte plötzlich das Sirren eines Generators, der auf Höchsttouren gebracht wurde. Nein, da unten brannte nichts, dieses Glühen mußte einen anderen Ursprung haben. Dr. Billinger beugte sich noch weiter vor, doch die Baumwipfel und Sträucher versperrten ihm die Sicht. Dafür wurde das Glühen jetzt ein wenig schwächer. Erst in diesem Moment dachte Dr. Billinger an die Meldungen, die er in der Morgenzeitung gelesen hatte. Danach wollte man hier in der Region Ufos gesichtet haben. Er hatte natürlich über diese Beobachtungen nur milde gelächelt, er glaubte nicht an sol18
chen Unsinn, der wissenschaftlich einfach nicht zu vertreten oder zu belegen war. Doch jetzt, das helle Turbosirren in den Ohren, wurde er von einem Gefühl der Unsicherheit und Angst erfaßt. Das dort unten hatte vielleicht doch etwas mit diesen Berichten zu tun. Er kannte das enge Tal, das man nur mühevoll über ein paar schmale Pfade erreichte. War dort eine fliegende Untertasse gelandet? Wollte sie wieder starten? Dr. Billinger dachte keinen Augenblick daran, in das enge Tal abzusteigen. Aber er wußte, daß auf dem Rücksitz seines Wagens ein Fotoapparat lag. Er lief zum Fahrzeug zurück, riß den Apparat an sich und stellte Verschlußzeit und Blende ein. Dann baute er sich wieder hart am Straßenrand auf und schoß die ersten Aufnahmen. Das Glühen tief unten im schmalen Taleinschnitt war wieder intensiver geworden, das Sirren der Turbinen lauter und greller. Und dann schwebte ein weißliches Etwas aus dem Tal hoch, zuerst langsam, fast zögernd, dann immer schneller. Dr. Billinger machte weitere Aufnahmen und war jetzt vollkommen ruhig. Er wurde beherrscht von dem Gefühl, daß es ihm als einzigem Menschen gelingen könnte, Aufnahmen von außerirdischen Fahrzeugen vorzuzeigen. Bis er dann von einem grellen Licht geblendet wurde, das die nähere Umgebung in ein weißblaues Licht tauchte… * »Zurück zu diesem Roboter, guter Mann«, sagte Agatha Simpson. »Ich möchte alles genau über ihn wissen. Wann kam er? Wie hat er sich verhalten? Halten Sie sich genau an die Tatsachen, ist das klar?« »Natürlich, Mylady.« Der Nachtportier war sich seines Wissens bewußt und rechnete schon jetzt mit einem erfreulich hohen Trinkgeld. »Also Mister Kane kam am späten Nachmittag hierher in die Halle. Er war allein und verlangte ein Zimmer.« »Wie bewegte er sich?« »Das ist es ja, Mylady«, sagte der Nachtportier eifrig. »Wie sich eben ein Roboter bewegt, solche Roboter, wie man sie in Filmen immer sieht. Er ging wie aufgezogen, anders kann ich das nicht beschreiben, eckig und automatisch.« 19
»Und wie redete er?« Agatha Simpson nickte ihrem Butler nachdrücklich zu, doch Parker reagierte nicht. Er beobachtete den Mann, dessen Eifer von Sekunde zu Sekunde wuchs. »Ja, wie redete er, Mylady?« Der Nachtportier runzelte die Stirn und legte unwillkürlich eine kleine Kunstpause ein. »Er redete wie ein Sprechautomat oder so. Abgehackt und mit einer Art Maschinenstimme. Ja, jetzt habe ich es, so wie ein Anrufbeantworter, wo die Stimmen ja auch immer so betont sind. So ungefähr hat er geredet. Und er hatte kein Gepäck bei sich, Mylady, er war auch nicht mit einem Auto gekommen, er stand einfach plötzlich drüben vor der Rezeption und hat nach einem Zimmer gefragt.« »Er bezahlte womit, junger Mann?« »Mit dieser Banknote, Mylady.« Der Nachtportier präsentierte der älteren Dame die Pfundnote. Lady Agatha faltete den Schein auseinander und reichte ihn an Parker weiter. »Eindeutig echt, Mylady«, sagte Parker nach kurzer Prüfung. »Was überhaupt nichts zu besagen hat«, erwiderte Agatha Simpson nach kurzer Überraschung. »Natürlich haben sich die Roboter mit echtem Geld ausgerüstet, das ist klar. Weiter, junger Mann! Dieses, sagen wir, Wesen saß also drüben in der Lounge und las Zeitung?« »Mit der Geduld einer Maschine, Mylady, wenn Sie wissen, was ich meine. Bis dann der Anruf kam.« »Man verlangte Mister Kane zu sprechen?« »So hatte der Roboter sich vorgestellt, Mylady. Das… Wesen ging in die Telefonzelle und hat dann gesprochen, aber ich kann nicht sagen, was es gesagt hat. Leider kamen Sie dann zusammen mit Mister Parker ins Hotel, und ich konnte mich nicht weiter um den Roboter kümmern.« »Der kurz danach zahlte und ging?« fragte Josuah Parker. »Unmittelbar danach, Mister Parker.« Der Nachtportier nickte. »Der Roboter muß wohl eine wichtige Meldung bekommen haben, denn er hatte es sehr eilig.« »Er wurde ins Raumschiff zurückgerufen, Mister Parker.« Agatha Simpson entwickelte wieder mal eine Theorie. »Vielleicht wollte man zurück in den Raum starten. Wie denken Sie darüber, Mister Parker?« »Ich möchte Mylady nicht widersprechen«, gab Parker zurück. »Mit anderen Worten, Sie glauben also nicht an diesen Roboter?« 20
»Nicht unbedingt, Mylady«, räumte der Butler ein. »Ich erlaube mir zu fragen, warum ein Roboter sich hier im Hotel einlogieren wollte.« »Um uns Menschen aus nächster Nähe zu studieren, das liegt doch klar auf der Hand.« »Das meine ich auch«, fügte der Nachtportier hinzu. »Ich will Ihnen mal was sagen: Sie haben ja nicht diese Kälte gespürt, die der Roboter ausstrahlte. Es war direkt unheimlich. Vielleicht lebe ich überhaupt nur noch zufällig. Das Ding aus dem Weltraum hätte mich ja auch umbringen können.« »Welche Zeitung las Ihr Roboter?« erkundigte sich Parker. Der Nachtportier sah den Butler verblüfft an und glaubte dann zu wissen, worauf er hinaus wollte. »Fingerabdrücke, wie?« tippte er eifrig an. »Möglicherweise«, gab Parker zurück, »oder zumindest Spuren von Maschinenöl.« »Der Roboter hat die ganze Zeit über dünne Lederhandschuhe getragen«, sagte der Nachtportier fast triumphierend. »Jetzt, wo Sie danach fragen, fällt es mir wieder ein. Die Handschuhe haben bestimmt seine Eisenhände getarnt.« »Eine einleuchtende Erklärung«, stellte Agatha Simpson fest. »Mister Parker, eine Belohnung für diesen guten Mann, er hat mir sehr geholfen!« Der Nachtportier strahlte, als Josuah Parker eine Pfundnote in die diskret geöffnete Hand drückte. Dann schwebte der Mann wie auf Wolken zurück in die Empfangshalle. »Wir werden diesen Roboter sofort suchen«, sagte die ältere Dame unternehmungslustig und erhob sich. »Ich bin sicher, daß er sich noch in der Gegend herumtreibt, Mister Parker. Wir brechen in zehn Minuten auf.« Es wäre sinnlos gewesen, Mylady dieses Unternehmen ausreden zu wollen. Butler Parker verzichtete daher auch auf jede Frage, deutete eine knappe Verbeugung an und machte sich daran, gewisse Vorbereitungen für die nächtliche Robotersuche zu treffen. * Butler Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum auf einer Bergkuppe abgestellt und machte sich daran, ein Nachtsichtgerät auf 21
einem dreibeinigen Stativ zu montieren. Mit diesem Gerät neuester Konstruktion war man in der Lage, selbst bei tiefschwarzer Nacht noch mehr als nur vage Einzelheiten zu erkennen. Es arbeitete auf der Basis von infrarotem Licht und wurde von einer starken Batterie betrieben, die für die notwendige Energie sorgte. Agatha Simpson beobachtete inzwischen das Gelände mit dem lichtstarken Nachtglas und schaute immer wieder zum Himmel. Parker hatte den Eindruck, daß Mylady ein Ufo auszumachen hoffte. Als das Nachtsichtgerät installiert war und einwandfrei arbeitete, bereitete Parker den Tee. Er hatte den Kofferraum seines Monstrums geöffnet und stellte einen kleinen Klapptisch und einen dazugehörigen Sessel auf. Er öffnete eine rechteckige Holzkiste, und es dauerte nur wenige Minuten, bis das mitgebrachte Wasser kochte. Parker überbrühte den Tee und servierte dann. Mylady saß bereits im Klappsessel und nahm die Tasse wie selbstverständlich entgegen. »Haben Mylady noch Wünsche?« erkundigte sich Parker. »Ich werde später noch eine Kleinigkeit zu mir nehmen«, erwiderte sie und kostete von dem Tee. Sie nickte anerkennend, stellte die Tasse weg und griff wieder nach ihrem schweren Fernglas. »Ich habe ein gutes Gefühl, Mister Parker.« »Mylady rechnen mit dem Erscheinen eines weiteren Ufos?« »In solch einer Nacht müssen sie einfach unterwegs sein.« »Wenn Mylady erlauben, werde ich die nähere Umgebung untersuchen.« »Halt! Haben Sie das da gerade gesehen?« Sie sprang auf, riß das schwere Fernglas hoch und richtete es zum sternenklaren Himmel. »Eine sogenannte Sternschnuppe, Mylady«, konstatierte Parker. »Papperlapapp, Mister Parker, das war ein Ufo!« »Wie Mylady meinen!« Parker wußte, daß es sich um eine Sternschnuppe gehandelt hatte, aber er ließ sich auf keine Diskussion ein. »Es ist mit Lichtgeschwindigkeit über den Horizont hinweggerast«, erklärte Lady Agatha begeistert. »Was für eine Nacht, Mister Parker! Haben Sie die Filmkamera zur Hand?« »Und auch einen Fotoapparat mit Motoraufzug, Mylady.« »Ich werde einmalige Dokumente schießen«, begeisterte Agatha Simpson sich weiter. »Was würden Sie sagen, wenn plötzlich 22
so ein Roboter hier vor uns steht?« »Ich würde mir erlauben, solch einem Gebilde guten Abend zu wünschen, Mylady.« . »Ob sie feindselig sein werden?« »Darauf wage ich nicht zu antworten, Mylady.« »Sie sind auf Ärger vorbereitet, Mister Parker?« »Durchaus, Mylady«, gab Parker geduldig zurück. »Es soll jedoch nicht verschwiegen werden, daß man nur über konventionelle Mittel verfügt. Ob man damit einen Roboter außer Gefecht setzen kann, muß die Zukunft erweisen.« »Reißen Sie sich auf jeden Fall zusammen, wenn solch ein Wesen erscheint«, schärfte die ältere Dame ihrem Butler ein. »Nur nicht nervös werden und so tun, als sei das die selbstverständlichste Sache der Welt.« »Mylady können meiner bescheidenen Zurückhaltung versichert sein«, entgegnete Josuah Parker. »Ob es angebracht ist, eine Tasse Tee anzubieten?« Die Lady räusperte sich scharf und sah Parker schnell und mißtrauisch an. Die Lichtverhältnisse hier oben auf der Bergkuppe reichten vollkommen aus, um das ausdruckslose Gesicht des Butlers zu erkennen. »Ich hoffe, Ihre Frage war ernst gemeint«, sagte die ältere Dame dann. »In der Tat, Mylady«, erwiderte Parker. »Mir schwebte, wenn ich es so umschreiben darf, eine Geste der Versöhnung und des Friedens vor.« »Sagen Sie schon endlich, daß Sie weder an Ufos noch an Roboter glauben!« »Ich möchte nicht verhehlen, Mylady, daß ich mich einer gewissen Skepsis nach wie vor nicht erwehren kann«, entgegnete Parker und eilte dann ohne jede Vorwarnung und erstaunlich schnell zum Nachtsichtgerät hinüber. Er hatte tief unten im sanft geschwungenen Tal ein feines Sirren wahrgenommen, das ihn an eine Turbine erinnerte. Parker war durchaus bereit, sich zu korrigieren. * Der Butler regulierte die Scharfeinstellung und schwenkte das Gerät gleichzeitig ein wenig nach links. 23
»Was, zum Teufel, sehen Sie, Mister Parker?« fragte Lady Simpson, die hinter ihm stand. »Im Moment leider noch gar nichts, Mylady, das heißt, dort scheint ein orangefarbenes Licht aufzuglühen.« »Ich kann’s bereits durch das Nachtglas sehen.« Lady Agathas Stimme drückte deutlich aus, wie gespannt und erregt sie war. »Das Licht wird immer intensiver.« Parker sah inzwischen mehr. Im Widerschein des Lichtes machte er zwei Gestalten aus, die nicht von dieser Welt zu stammen schienen. Sie trugen eng anliegende Anzüge aus einem metallartigen Gewebe, das den Schein des Lichtes spiegelte. Die beiden Gestalten kamen hinter einem Strauch hervor und trugen eindeutig Raumfahrerhelme, wie man sie von den Mondlandungen der Amerikaner her kannte. Sie bewegten sich darin erstaunlich geschmeidig und schnell. »Sehen Sie die beiden Roboter, Mister Parker?« Myladys Stimme wurde andächtig leise. »Gütiger Himmel, daß ich das erleben darf!« Die beiden Raumfahrer verschwanden wieder hinter dem dichten Strauchwerk im Tal, um nach wenigen Sekunden an anderer Stelle wieder vorzukommen. Sie hielten offensichtlich dicke Taue in Händen, wie Parker meinte. »Energiesysteme«, flüsterte die Detektivin inzwischen weiter. »Mister Parker, fotografieren Sie doch!« »Wenn Mylady meine bescheidene Wenigkeit entschuldigen wollen.« Josuah Parker wartete die Erlaubnis seiner Herrin erst gar nicht ab. Er verließ das Stativ und marschierte den Hang hinunter. Er nutzte dabei die Deckung, die ihm das hier recht dichte Unterholz gewährte. Gegen den dunklen Hang war er durch seine schwarze Kleidung ohnehin geschützt. Vom Tal aus konnten die Raumfahrer ihn kaum ausmachen. Der Lichtschein war intensiver geworden. Parker hatte keine Orientierungsschwierigkeiten. Hin und wieder blieb er stehen und ließ den Winder seines Fotoapparates laufen, der zwei Aufnahmen pro Sekunde gestattete. Butler Parker hatte einen hochempfindlichen Spezialfilm eingelegt und konnte davon ausgehen, daß die Aufnahmen gut wurden. Als Waffe gegen eventuelle Angriffe hatte er nur seinen altväterlich gebundenen Regenschirm mitgenommen. Auf reguläre Schußwaffen hatte er von vornherein verzichtet. 24
Er kam schnell und zügig nach unten, während der Lichtschein sich weiter ausbreitete und das Sirren irgendwelcher Turbinen immer lauter und greller wurde. Irgendwo dort hinter einer Erdfalte im Tal mußte das Ufo stehen, dessen Motoren langsam auf Vollgas gebracht wurden. Es schien, als wollten die Raumfahrer nach der kurzen Zwischenlandung wieder abheben. Parker verzichtete auf seine sonst übliche würdevolle Gelassenheit. Er war vom Jagdfieber gepackt worden und wollte herausfinden, wer da unten sein Spiel spielte. An Raumfahrer dachte er übrigens nicht. Besucher aus dem Weltall gab es für ihn nicht. Er hatte die Talsohle erreicht und wurde wieder langsamer. Der orange-rote Lichtschein schwächte sich bereits wieder ab, das Sirren wurde leiser. Parker blieb hinter einem Baumstamm stehen und sah dann die kosmischen Astronauten, wie Lady Simpson die beiden Gestalten sicher genannt hätte. Sie hielten noch immer je ein dickes Tau in Händen und zerrten daran. Es waren natürlich keine Energieerhaltungssysteme, wie Lady Agatha vermutet hatte, sondern handelte sich tatsächlich um solide Stricke. Und die beiden Weltraumpiloten mühten sich angestrengt ab, irgend etwas hinter einem Wall hervorzuziehen, der aus dornigem Strauchwerk bestand. Als sie es endlich geschafft hatten, erkannte Josuah Parker zu seiner ehrlichen Überraschung eine Art Segment, das zu einem riesigen Unterteller gehören mußte und silbrig glänzte. Ufo oder nicht – das war nun doch für ihn die Frage! Der Butler war ein Mann, der den Dingen stets auf den Grund ging. Er nahm die Spitze seines Universal-Regenschirms hoch, visierte mit ihr das Segment an, das seiner Ansicht nach recht instabil war, und drückte dann auf den versteckt angebrachten Auslöseknopf unterhalb des bleigefütterten Bambusgriffes. Damit löste sich ein bunt gefiederter Blasrohrpfeil aus dem Magazin oben im Schaft. Getrieben von Preßluft, begab sich das seltsame Geschoß auf die Luftreise und jagte geräuschlos auf das Segment zu. Was nun geschah, hatte mit Ufos und Weltraumfahrt wohl kaum noch etwas zu tun! Der stricknadellange Pfeil drang spielend leicht in die Außenhaut ein und blieb zitternd in ihr stecken. Die beiden Weltraumfahrer merkten zuerst gar nichts, dann aber, als die Außenhaut leicht runzlig wurde, blieben sie wie erstarrt stehen und entdeckten den Blasrohrpfeil. Sie riefen sich etwas zu und verschwanden dann blitzschnell hinter dichtem 25
Strauchwerk. * »Sie haben wieder mal alles gründlich verdorben«, sagte die Lady eine halbe Stunde später, als Parker wieder oben auf der Kuppe erschien. »Mylady konnten durch das Nachtsichtgerät Einzelheiten erkennen?« »Jede Einzelheit. Sie haben die beiden Wesen aus dem Raum vertrieben.« Die Detektivin sah ihn gereizt an. »Dem möchte und kann ich nicht widersprechen«, räumte Josuah Parker in seiner höflichen Art ein. »Dazu genügte ein Blasrohrpfeil, Mylady, wenn ich darauf verweisen darf.« »Womit, ist doch gleichgültig«, ärgerte sich die ältere Dame und fühlte sich um ihr einmaliges Abenteuer betrogen. »Die beiden Wesen haben diesen Pfeil selbstverständlich als Waffe identifiziert.« »Dieser kleine Pfeil, Mylady, war in der Lage, das ufoähnliche Gebilde nachhaltig zu beschädigen.« »Auch das noch!« Sie grollte wie ein aufziehendes Gewitter, merkte dann jedoch, was Parker damit angedeutet hatte. »Nachhaltig beschädigt? Das ist doch unmöglich, Mister Parker. Was Sie da wieder gesehen haben!« »Das Ufo, Mylady. Es stand jenseits einer Dornenhecke.« »Sie haben das Ufo gesehen?« Agatha Simpson schluckte vor Aufregung. »Erzählen Sie doch endlich! Haben Sie es fotografiert?« »Ausgiebig, Mylady, zudem auch noch vier Weltraumfahrer.« »Ausgezeichnet, Mister Parker.« Sie beruhigte sich. »Und wo ist das Ufo jetzt?« »Es dürfte in Richtung der Malvern Hills abtransportiert werden, Mylady.« »Abtransportiert? Was soll das heißen?« »Es befindet sich auf einem geländegängigen Fahrzeug, Mylady.« »Wiederholen Sie das noch mal! Auf einem Fahrzeug?« »Die Marke dieses Fahrzeugs ließ sich leider nicht feststellen, Mylady«, entgegnete Parker würdevoll. »Es war jedoch groß ge26
nug, das Gebilde aufzunehmen, zumal weil man es ein wenig hastig zusammengefaltet hatte.« »Jetzt begreife ich überhaupt nichts mehr.« »Das Ufo, Mylady, besteht aus einem sicher aufblasbaren Gebilde aus gummiertem Tuch.« »Das nehme ich Ihnen nicht ab! Niemals! Es war ein echtes Ufo! Ich konnte es von hier oben genau sehen, bis es dann leider hinter einem Wall verschwand.« »Die Bilder werden den endgültigen Beweis für meine bescheidene Behauptung erbringen, Mylady. Es handelte sich um eine Art Gummigebilde, einem Ballon vergleichbar, der allerdings in die Form eines Ufos gebracht worden war, wie man sich Ufos landläufig vorzustellen pflegt.« »Ich… ich glaube, mein Kreislauf ist ein wenig in Unordnung geraten«, antwortete Agatha Simpson und ließ sich in den Klappsessel fallen. »Dies, Mylady, stand zu erwarten.« Parker hatte bereits die lederumhüllte, flache Taschenflasche hervorgeholt und schraubte den ovalen Verschluß ab. Anschließend reichte er seiner Herrin erstklassigen französischen Kognak. »Schon etwas besser«, sagte sie, nachdem sie ihr Kreislaufbeschleunigungsmittel sehr routiniert zu sich genommen hatte. »Noch eine Kleinigkeit, Mister Parker. Ein Gummigebilde, sagten Sie. Sind Sie da ganz sicher?« »Vollkommen, Mylady.« Parker reichte einen zweiten Kognak. »Mit diesem Gebilde scheint man sich einen Scherz erlaubt zu haben.« »Wer ist das, Mister Parker? Ich hoffe, Sie haben festgestellt, wer diese Lümmel sind?« »Dazu blieb leider keine Zeit, Mylady, der Abtransport geschah in größter Hast. Zudem bemühten sich einige Wesen um meine bescheidene Wenigkeit, wie ich hinzufügen möchte.« »Und Sie haben keinen dieser Flegel mitgebracht?« »Meine bescheidene Wenigkeit wurde leider das Opfer einer gekonnten Täuschung«, gestand Josuah Parker. »Ich ließ mich in die falsche Richtung locken, was mittels eines zweiten Lichtscheins recht einfach gelang. Ich bitte dies entschuldigen zu wollen.« »Diesen zweiten Lichtschein habe ich gesehen. Und darauf sind Sie hereingefallen? Das ist doch wieder mal typisch für Sie, Mister 27
Parker. Ich ahnte ja die ganze Zeit, daß man hier so etwas wie eine Täuschung aufgezogen hat.« »Sehr wohl, Mylady.« Parker ging auf diese kühne Behauptung nicht näher ein. Er war nur gespannt, was danach noch kam. Nun, er brauchte nicht lange zu warten. »Man kopiert die echten Ufos, die sich hier zeigen«, lautete ihre kühne These. »Irgendwelche Subjekte nutzen diese Ufoerscheinungen aus, um für zusätzliche Aufregung zu sorgen. Das alles erinnert mich an Studentenscherze, Mister Parker.« Bevor Parker antworten konnte, landete ein Geschoß krachend im Nachtsichtgerät und riß es ein Stück zur Seite. Parker stellte der älteren Dame daraufhin ein Bein und brachte sie ohne jede Vorwarnung zu Fall. Dabei landete Lady Agatha ein wenig unglücklich auf dem leichten Klapptisch, der unter ihrer Last zusammenknickte. Die noch halb gefüllte Teetasse kippte leider um und ergoß ihren noch warmen Inhalt in den Ausschnitt der Sechzigjährigen. Dies hatte sie nun überhaupt nicht gern. Agatha Simpson schrie zornig auf und verhedderte sich im Gestänge des Klapptischchens, worauf die Teekanne ebenfalls umkippte. Ihr Inhalt landete im Kragen des Tweed-Kostüms. »Bitte, Mylady, keine Bewegung«, flüsterte Parker eindringlich. »Mylady werden beschossen!« Parker übertrieb keineswegs. Ein weiteres Geschoß klatschte gegen den Aufsatz des Nachtsichtgerätes, worauf es samt Stativ umkippte. Auch jetzt war von einem Abschuß nichts zu hören gewesen. »Die Roboter«, flüsterte die Detektivin. »Tun Sie gefälligst etwas, Mister Parker. Ich habe keine Lust, mich abschlachten zu lassen.« Parker nebelte Lady Simpson und sich ein. Dazu benutzte er einen seiner Patentkugelschreiber, die er stets mit sich führte. Er zog eines dieser so harmlos aussehenden Schreibgeräte aus einer der vielen Westentaschen, verdrehte beide Hälften gegeneinander und warf die Miniaturnebelbombe ein paar Meter von Lady Simpson entfernt ins Gras. Die Wirkung war beachtlich. In Sekunden breitete sich eine dichte Nebelwand aus, die an den sattsam bekannten Londoner Nebel erinnerte. Nach wenigen Augenblicken war die gesamte Kuppe in dichten Nebelschwaden 28
verschwunden, und kein Scharfschütze hätte noch ein Ziel ausmachen können. »Ich möchte mir erlauben, mich nachträglich für mein Benehmen zu entschuldigen«, sagte Parker in den Nebel hinein. »Mylady mögen bedenken, daß einem möglicherweise tödlichen Treffer vorgebeugt werden mußte.« »Nehmen Sie mir endlich die Teekanne aus dem Nacken«, erwiderte Agatha Simpson gereizt. »Sie ist immer noch nicht leer.« * »Nun, Mister Parker?« fragte die Lady grollend, als der Butler ihre Suite betrat. »Sie haben sich wieder mal viel Zeit gelassen.« »Darf ich mir erlauben, mich vorab nach Myladys Befinden zu erkundigen?« antwortete Parker würdevoll. »Darf ich bei dieser Gelegenheit erneut und noch mal mein tiefstes Bedauern darüber aussprechen, daß Mylady mit dem noch heißen Tee in einen zu innigen Kontakt gerieten?« »Wahrscheinlich habe ich Verbrühungen ersten und zweiten Grades davongetragen«, sagte sie und übertrieb wie immer, »aber reden wir nicht davon. In Ihrer Nähe lebt man eben gefährlich.« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit zerknirscht.« »Ich sehe überhaupt nichts«, stellte sie mißtrauisch fest. »Also, womit ist das Nachtsichtgerät zertrümmert worden?« »Nach meinen ersten Untersuchungen, Mylady, von Revolverkugeln des beachtlichen Kalibers fünfundvierzig«, entgegnete Josuah Parker. »Man sollte wohl davon ausgehen, daß außerirdische Existenzen solche Waffen kaum benutzen.« »Warum sollten sie eigentlich nicht? Aber lassen wir das.« Die ältere Dame war ein wenig vorsichtiger geworden, was Ufos und Außerirdische betraf. »Wer könnte da auf mich geschossen haben?« »Möglicherweise jene Weltraumfahrer, Mylady, die das Ufo aufbauten und anschließend wieder wegschafften.« »Und was für Subjekte können das gewesen sein?« »Eine schlüssige Antwort, Mylady, laßt sich im Augenblick nur schwer finden«, gab Parker ausweichend zurück. »Bei Tagesanbruch werde ich mir erlauben, gewisse Spuren zu verfolgen.« 29
»Ich werde Sie natürlich begleiten, Mister Parker. Man darf Sie ja bekanntlich nicht allein lassen.« »Könnten Mylady vielleicht einen äußerst gefährlichen Part in diesem Spiel übernehmen?« »Sie wollen mich ‘reinlegen, nicht wahr?« »Dies, Mylady, würde ich mir niemals gestatten. Da man auf Mylady geschossen hat, dürfte man inzwischen auch wissen, wo Mylady wohnen. Daraus wieder erlaube ich mir zu schlußfolgern, daß man versuchen wird, Mylady erneut zu belästigen, und zwar hier im Landhotel.« »Das klingt plausibel«, sagte die Detektivin zögernd. »Mylady müssen also durchaus damit rechnen, daß man versuchen wird, Mylady hier in der Hotelsuite zu besuchen«, redete Parker geschickt weiter. »In solch einem Fall hätten Mylady die Chance, den oder die Schützen außer Gefecht zu setzen.« »Gut, ich werde im Hotel bleiben«, entschied sie. Die Aussicht, sich mit Gangstern ein wenig herumzuschlagen, gefiel ihr sehr. »Mit einem Besuch sollte man aber auch schon in dieser Nacht rechnen«, warnte Parker und meinte es durchaus ernst. »Ich habe einen sehr leichten Schlaf.« Das stimmte zwar überhaupt nicht, doch Parker hütete sich, seiner Herrin zu widersprechen. Eine längere Diskussion hätte ihn nur wertvolle Zeit gekostet, die er anders nutzen wollte. Als er endlich wieder in seinem Hotelzimmer war, traf er einige Vorbereitungen für den geplanten Ausflug. Er wollte noch in der Nacht wieder in freies Gelände und jene Spuren sichern, die er im Tal unterhalb der Bergkuppe gesehen hatte. Seine innere Stimme sagte ihm, daß die seltsamen Außerirdischen schon dabei waren, alle Spuren zu verwischen. Nachdem er das Licht gelöscht hatte, blieb er etwa fünf Minuten seitlich neben dem Fenster stehen und beobachtete die Rückseite des Hotels. Parker fragte sich, ob er das Risiko eingehen durfte, Mylady allein zurückzulassen. Die. Schüsse, die ihnen gegolten hatten, waren gezielt gewesen. Es hatte sich auf keinen Fall um Warnschüsse gehandelt. Hier in der Nähe mußte es zumindest einen Menschen geben, der sehr wohl wußte, wer Lady Simpson und Josuah Parker waren. Und solch ein Mensch konnte demnach nur ein hartgesottener Gangster sein, dem es auf ein Menschenleben überhaupt nicht ankam. Die Frage war, ob dieser Schütze mit den sogenannten Außerir30
dischen zusammenarbeitete. Solch ein Verdacht lag natürlich mehr als nahe. War dies aber der Fall, dann konnte es sich bei den seltsamen Ufos nicht mehr um einen Ulk handeln, dann war das Auf- und Abmontieren des Ufos Teil eines raffinierten Plans. Parker ging das Risiko ein, Lady Simpson allein zu lassen. Er mußte herausfinden, wohin die Spuren des geländegängigen Fahrzeugs führten. Nur wenn er das schaffte, konnte er weitere Schlüsse ziehen und zum Gegenangriff übergehen. Er verließ das Landhotel am Stadtrand von Malvern durch einen Seiteneingang. Er war wenige Minuten später bereits in dem zum Hotel gehörenden Park verschwunden, baute sich hinter einem Baumstamm auf und beobachtete den Seiteneingang. Parker war ein Mann, der Geduld zu üben wußte. Er ließ sich auch jetzt Zeit, diesen Seiteneingang zu benutzen. Falls man ihn beobachtet hatte, würde dort bald eine Gestalt erscheinen – und sich Zutritt zum Hotel verschaffen. Parker ging nach wie vor von der Tatsache aus, daß man Lady Simpson und ihn ermorden wollte. Nun, es tat sich nichts… Nach weiteren fünf Minuten, die Parker sicherheitshalber noch zugegeben hatte, wandte er sich um und verließ das Hotelgelände. Auf die Benutzung seines hochbeinigen Monstrums mußte er leider verzichten. Der Wagen stand vorn vor dem Hotel auf einem Parkplatz und konnte spielend leicht unter Kontrolle gehalten werden. Josuah Parker wußte sich dennoch zu helfen. Er näherte sich bereits einem anderen Landhotel, dessen Parkplatz gut besetzt war. Er entschied sich jedoch für einen kleinen Kastenlieferwagen des, Hauses, der seitlich neben einem Küchenanbau stand. Er setzte sich ans Steuer und brauchte nur den Zündschlüssel zu betätigen, der einladend im Schloß steckte. Um diese Zeit wurde der kleine Lieferwagen sicher nicht gebraucht, und darüber hinaus war Parker natürlich bereit, später für die Benutzung des Wagens zu bezahlen. Schon nach wenigen Minuten befand Butler Parker sich auf jener Straße, die hinauf in die Malvern Hills führte. Der Mond war noch immer auf seiner Seite und verschwendete sein Licht. Parker kam schnell voran und legte ein scharfes Tempo vor. Ihm ging es darum, die angeblich Außerirdischen zu überraschen. Er war fest davon überzeugt, daß sie noch immer damit beschäftigt waren, 31
gewisse Spuren zu beseitigen. * Lady Agatha ärgerte sich. Der Butler war seit gut einer halben Stunde verschwunden, doch man hatte sie bisher völlig unbehelligt gelassen. Kein Mörder war erschienen, um sich mit ihr anzulegen. Und genau auf solch einen kleinen Zwischenfall wartete sie. Sie hatte einige Badetücher zusammengerollt und ins Bett praktiziert. Sie täuschten eine schlafende Lady Simpson vor und luden zu einem heimtückischen Angriff förmlich ein. Doch draußen vor dem Landhotel tat sich nichts. Lady Agatha hatte Muße, sich mit Ufos und Außerirdischen zu befassen. Sie dachte über die bisherigen Erlebnisse nach und weigerte sich anzuerkennen, daß sie einem Ulk aufgesessen sein sollte. Über diesen Scherz hinaus, den sich irgendwelche Leute gemacht hatten, mußte es fliegende Untertassen geben. Früher oder später würden sie wieder erscheinen. Die Sechzigjährige hatte sich neben der schmalen Balkontür aufgebaut und wartete sehnsüchtig auf ihren Mörder. In ihrer linken Hand befanden sich die Schnüre ihres perlenbestickten Pompadours, der den berühmt-berüchtigten »Glücksbringer« enthielt. Dabei handelte es sich um ein echtes Pferdehufeisen, das aus Gründen der Humanität mit dünnem Schaumstoff umwickelt war. In der Hand der älteren Dame war dieser Pompadour allerdings eine Waffe, die sich schon oft bewährt hatte. Damit konnte sie durchaus einen Ochsen zu Boden strecken, wenn sie die Wucht des Schlages entsprechend dosierte. Agatha Simpson konnte zuschlagen. Sie spielte leidenschaftlich gern Golf, ohne sich dabei allerdings an die gültigen Spielregeln zu halten. Sie konnte erstaunlich treffsicher mit einem Sportbogen umgehen und interessierte sich in letzter Zeit für die Handhabung des australischen Bumerangs. Es paßte ihr nämlich überhaupt nicht, daß Butler Parker mit solch einem Wurfholz erstaunlich treffsicher und geschickt umzugehen wußte. Sie wollte sich gerade von der Balkontür zurückziehen, als sie eine Gestalt ausmachte, die für ein paar Sekunden hinter einer Hecke erschien, dann aber wegtauchte. Um einen Hotelgast 32
konnte es sich kaum handeln. Myladys Hoffnung wuchs. Sollte sich da ihr Mörder gezeigt haben? Sie hatte überhaupt nichts dagegen, denn Angst war ihr fremd. Lady Agatha suchte die taktisch günstigste Stelle in ihrem Zimmer auf. Sie preßte sich in eine Nische, die von einem alten Bauernschrank und der Wand gebildet wurde. Sie ließ sich hier auf einem Hocker nieder und harrte der Dinge, die da hoffentlich bald kamen. Sie brauchte nicht lange zu warten… Ein feines Quietschen zeigte ihr an, daß die Türklinke bewegt wurde. Dann ging dieses Quietschen in ein noch feineres Scharren über. Wahrscheinlich versuchte man jetzt, die Tür mit einem Nachschlüssel zu öffnen. Die Detektivin nickte erfreut. Die Dinge ließen sich gut an. Nach einer Viertelminute spürte sie einen kühlen Hauch an ihren Beinen. Er zeigte ihr an, daß die Tür inzwischen geöffnet worden war. Dann stach der schmal gebündelte Lichtfinger einer Taschenlampe durch die Dunkelheit des Zimmers und erfaßte die Zudecke. Zweifel gab es jetzt nicht mehr. Man versuchte, sich ihr ungebührlich zu nähern. Lady Simpsons Pompadour geriet in gefährliche Schwingungen. Sie wartete nur darauf, daß der Mörder tiefer ins Zimmer drang. Würde er einen schallgedämpften Schuß abfeuern? Hatte er vor, sie mit einem Dolch anzufallen? Jetzt war die Gestalt deutlich zu erkennen. Der Widerschein des Lichts reichte vollkommen aus, das Ziel aufzunehmen. Diese Gestalt pirschte sich vorsichtig an das Bett heran und hatte keine Ahnung, daß sie genau beobachtet wurde. Lady Simpson kam zur Sache… Der perlenbestickte Pompadour samt »Glücksbringer« begab sich auf die Reise und landete klatschend auf dem Hinterkopf des Eindringlings. Der Einbrecher oder auch Mörder reagierte erstaunlich artistisch. Zuerst zog es ihm die Beine unter dem Körper weg. Dann absolvierte er einen halben Salto rückwärts und legte sich auf den Rücken, er rollte sich zur Seite und besaß noch so viel Widerstandskraft, daß er im Abrollen eine Art Gegenwehr einleitete. Er riß seine rechte Hand hoch und wollte wohl schießen, doch dazu reichte es nicht mehr. 33
Agatha Simpson war viel zu energisch, um in Ruhe auf solch einen Schuß zu warten. Der Hocker, auf dem sie gesessen hatte, war bereits unterwegs und landete. Die Sitzkante drückte die Nase des Eindringlings nachhaltig zur Seite. Der schallgedämpfte Schuß, der nicht lauter als ein feines Plopp war, schmetterte sein Geschoß in den Schrank, worauf einige Holzsplitter durch das Zimmer wirbelten. Dann streckte der nächtliche Besucher alle viere von sich und gab sich einer intensiven Ruhe hin. »Lümmel«, murmelte Lady Simpson. »Das kommt davon, wenn man sich bei einer Dame nicht anmeldet. Keine Manieren!« * Butler Parker war in weitem Bogen um das Tal herumgefahren und hatte den entliehenen Lieferwagen dann in der Einfahrt stehen lassen. Er hatte ihn so aufgebaut, daß er eine Art Sperre bildete, die man nicht umgehen konnte. Einem Wagen war es unmöglich, dieses Hindernis links oder rechts zu umfahren. Einige Bäume, die von Natur aus günstig standen, machten ein Durchkommen nicht mehr möglich. Josuah Parker schritt ohne Zögern in das sich schnell ausweitende Tal und leuchtete hin und wieder den weichen Boden ab. Im Gras und in der lockeren Erde waren Reifenspuren deutlich auszumachen. Sie überschnitten sich leider immer wieder, so daß der Butler nicht genau feststellen konnte, ob sich ein Wagen noch weiter tiefer im Tal befand oder nicht. Er bewegte sich übrigens mit der Erfahrung eines altgedienten Indianers, der sich auf Kriegspfad befindet. Parker hielt sich stets in Deckung der Baumreihen und des Strauchwerks. Er hatte keine Lust, noch mal heimtückisch beschossen zu werden. Von einem Ulk, den er mal unterstellt hatte, konnte jetzt keine Rede mehr sein. Plötzlich hörte er Stimmen. Parker ging sofort hinter einem Baumstamm in Deckung und entsicherte seinen Universal-Regenschirm. Die Stimmen wurden lauter, wenn sie auch unterdrückt klangen. Er hatte den Eindruck, daß die Besitzer dieser Stimmen irgendeinen schweren Gegenstand mit sich schleppten. Seiner Ansicht nach konnte es sich dabei vielleicht um das Ufo handeln, das er mit einem Blasrohrpfeil 34
beschossen hatte. Dann sah er drei junge Männer, die ziemlich ungeniert auf dem Pfad erschienen, der durch das Tal führte. Sie schleppten jedoch kein Ufo mit sich, wie er anfänglich vermutet hatte, sondern einen vierten Mann, der einen sehr leblosen Eindruck machte. Wie der glückliche Zufall es wollte, setzten die drei jungen Männer ihre Last knapp vor Parkers Baum ab und wischten sich erst mal den Schweiß von der Stirn. Dann bückte sich einer von ihnen zu dem Liegenden hinunter und rüttelte ihn an der Schulter. »He, Ben«, sagte er eindringlich. »Wie geht’s? Ben, sag doch was!« »Was ist mit ihm los?« fragte der zweite junge Mann. »Ich – Ich weiß nicht.« Der erste junge Mann richtete sich auf und war sichtlich bestürzt. Der zweite Mann bückte sich nun seinerseits, untersuchte den Leblosen und sah dann hoch. »Ben ist tot«, sagte er leise und fassungslos. »Er ist tot, habt ihr nicht verstanden? Er ist tot!« Der dritte ließ sich auf die Knie fallen und untersuchte den Leblosen nur kurz. Dann stand er auf und nickte. »Und jetzt?« fragte der erste junge Mann nach einer kleinen Pause. »Wir müssen die Polizei verständigen«, meinte der zweite. »Wahnsinn!« Der dritte schüttelte den Kopf. »Das können wir uns nicht leisten. Ausgeschlossen, das gibt einen Riesenkrach.« »Aber Ben ist tot!« wiederholte der zweite Mann. »Habt ihr nicht begriffen? Ben lebt nicht mehr!« »Die Polizei macht ihn auch nicht wieder lebendig«, antwortete der dritte und erhob sich langsam. »Ich habe keine Lust, mir einen Mord anhängen zu lassen.« Parker hätte sich jetzt einschalten können, doch er verzichtete ganz bewußt darauf. Er hörte sich genau an, was die Männer sich zu sagen hatten. Sie waren seiner Schätzung nach zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Jahre alt. Genauer konnte er sich wegen der herrschenden Sichtverhältnisse nicht festlegen, aber darauf kam es im Moment auch gar nicht an. Die drei jungen Männer waren inzwischen zu einem Entschluß gekommen. Wortlos hoben sie ihren toten Freund hoch und trugen ihn auf dichtes Strauchwerk zu. Dann gaben sie sich alle Mühe, den Toten zu verstecken. 35
»Kann ich den Herren möglicherweise behilflich sein?« Parker hatte sein Versteck verlassen und stand steif und würdevoll hinter ihnen. Sie fuhren herum wie ertappte Diebe oder Mörder und staunten Josuah Parker an. Sie wußten mit dieser seltsamen Erscheinung überhaupt nichts anzufangen, die jetzt höflich die Melone lüftete. »Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, stellte der Butler sich in seiner gemessenen Art vor, die ihn so auszeichnete. »Darf ich daran erinnern, daß Sie sich zu meinem Hilfsangebot noch nicht näher geäußert haben?« Diesmal brauchten die drei jungen Männer nicht lange zu beratschlagen, was zu tun war. Sie waren sich sofort einig und griffen den Butler an. Es ging ihnen wohl darum, einen lästigen Augenzeugen aus dem Weg zu räumen. * Es dauerte eine Weile, bis der Mann wieder zu sich kam. Er saß in einem Sessel und starrte die ältere Dame verständnislos an. Dann dämmerte ihm wohl langsam, daß einiges schiefgegangen war. Er wollte aufspringen und merkte erst jetzt, daß er an Händen und Füßen gefesselt war. »Hoffentlich haben Sie mir was zu sagen«, meinte Lady Simpson, Sie hielt die schallgedämpfte Waffe in Händen und ging damit erstaunlich fahrlässig oder auch unbegabt um. Sie schien gar nicht zu merken, daß der Lauf dieser Waffe auf den nächtlichen und gefesselten Besucher gerichtet war, der verständlicherweise nervös wurde. »Was… Was ist passiert?« fragte der etwa dreißig Jahre alte Mann. Er hatte das Gesicht eines Galgenvogels, wie man es eigentlich nur noch in Kriminalfilmen sieht. »Ihre Nase blutete, aber das hat sich dann gegeben«, meinte Lady Agatha. »Ich sage Ihnen schon jetzt, daß Sie für die Reinigungskosten aufkommen werden.« »Binden… Binden Sie mich sofort los!« »Ich nehme an, Sie leiden unter einer Gehirnerschütterung«, erwiderte die Detektivin und fingerte weiter an der schweren Schußwaffe herum. »Binden Sie mich sofort los, und ich vergesse das alles hier«, 36
sagte der Galgenvogel bösartig. »Ich glaube, ich werde Ihnen gleich eine Ohrfeige verabreichen. Wie reden Sie denn mit einer hilflosen Frau?« »Wer… Wer hat mich niedergeschlagen und gefesselt?« »Das geht auf mein Konto, Sie Subjekt!« Lady Agatha nickte nachdrücklich. »Sagen Sie, ist das hier die Sicherung?« Während sie redete, fingerte sie tatsächlich sehr bewußt am Sicherungshebel der Waffe herum, während ihr Zeigefinger sich um den Auslöser legte. Falls sie jetzt abdrückte, mußte das Geschoß mit tödlicher Sicherheit den Gefesselten in Höhe des Bauchnabels treffen. »Drehen Sie das verdammte Ding weg«, schnaufte der Galgenvogel, dem der Angstschweiß ausbrach. »Legen Sie die Waffe weg, verdammt noch mal.« »Sie wollten mich also ermorden.« Agatha Simpson sah den Hilflosen interessiert an. »Wenn ich jetzt abdrücke, dürfte ich in Notwehr gehandelt haben, oder sehen Sie das anders?« »Machen Sie sich nicht unglücklich.« Die Stimme des Mannes wurde leiser und eindringlich. »Sie spielen mit Ihrem Leben!« »Mit meinem?« staunte die ältere Dame und lächelte dann genußvoll. »Sie haben den Überblick verloren, Sie Lümmel!« »Ich… Ich bin nicht allein.« »Ganz sicher nicht.« »Ich habe Freunde, die mich rächen werden.« . »Und wo sind die? Gerade jetzt brauchen Sie sie doch, oder etwa nicht?« »Die… Die warten auf mich. Wenn ich nicht komme, werden sie hier aufkreuzen.« »Ich habe viel Zeit, junger Mann.« »Die nehmen Sie auseinander!« »Wie Sie’s versucht haben, wie?« Agatha Simpson lachte verächtlich. »Kommen wir also zur Sache. Für wen wollten sie mich ermorden?« »Für keinen, das ist alles ein Mißverständnis.« »Wieder mal solch ein berühmtes Mißverständnis.« Lady Agatha hantierte wieder mit der Waffe und löste tatsächlich einen Schuß. Es ploppte diskret, und das Geschoß pfiff dicht am Kopf des Galgenvogels vorbei, um dann ebenfalls im Schrank zu landen. Der Mann verfärbte sich, rutschte in sich zusammen und wollte 37
etwas sagen, litt jedoch unter einer plötzlichen und intensiven Heiserkeit. »Lassen Sie sich nur ruhig Zeit, Sie Subjekt!« schlug Agatha Simpson vor. »Du lieber Himmel, sollte ich gerade geschossen haben!?« Sie schien das erst mit erheblicher Verspätung bemerkt zu haben und starrte sichtlich betroffen auf das zweite Loch in der Tür des Kleiderschrankes. »Bitte legen Sie die Kanone weg«, flehte der Galgenvogel, als seine Stimme ihm wieder gehorchte. »Wenn ich draufgehe, sind Sie geliefert, Lady!« »Sie wollten also zu mir.« Agatha Simpson nickte anerkennend. »Langsam scheint Ihre Gedächtnissperre sich zu lockern. Und wer hat Sie geschickt? Es liegt bei Ihnen, wenn wir das kleine Quiz hier schnell beenden.« »Lady begreifen Sie doch, man wird mich umbringen, wenn ich was sage…« Das Gesicht des Galgenvogels war schweißnaß. »Erstaunlich, was solch ein Schalldämpfer doch alles leistet«, stellte die Detektivin umgehend fest. »Ist Ihnen aufgefallen, daß die beiden Schüsse überhaupt nicht gehört worden sind? Wahrscheinlich wird man auch den dritten Schuß nicht hören, was glauben Sie?« »Steve Brent«, flüsterte der Galgenvogel hastig. »Steve Brent hat mich geschickt.« »Und wer ist das?« »Sie kennen Steve Brent nicht, Lady? Der kennt aber Sie und Ihren Butler! Fragen Sie doch den Butler, der weiß genau Bescheid!« »Mister Parker ist im Augenblick nicht greifbar«, entgegnete Agatha Simpson kühl. »Er hat anderweitig zu tun. Und bis er zurückgekehrt ist, möchte ich alles über diesen Steve Brent erfahren, junger Mann. Ich bin eine neugierige alte Frau. Beginnen Sie! Für gute Gangstergeschichten habe ich immer etwas übrig.« * Die drei jungen Männer waren sportlich und durchtrainiert. Sie hätten es ohne weiteres mit einem Profi aufnehmen können. Hinzu kam noch ihr Wille, diesen Augenzeugen um jeden Preis 38
außer Gefecht zu setzen. Wahrscheinlich waren sie überhaupt nicht mehr in der Lage, vernünftig zu denken. Es war die Angst, die sie antrieb, die Angst, in einen Mordfall verwickelt zu werden. Und sie war groß genug, potentielle Mörder aus ihnen zu machen. Sie stürzten sich auf Parker und erlebten eine herbe Niederlage. Der Butler schien mit solch einem massierten Angriff gerechnet zu haben und parierte ihn aus dem Stand. Seine Waffe war der Universal-Regenschirm, den er als eine Art Keule einsetzte. Er hatte ihn blitzschnell herumgewirbelt und benutzte den bleigefütterten Bambusgriff als Schlaginstrument. Die Treffsicherheit des Butlers war frappierend. Bevor die drei jungen Männer ihn erreicht hatten, waren sie bereits getroffen worden und sackten kurz hintereinander zu Boden. »Dieser bedauerliche Zwischenfall ist meiner Wenigkeit ungemein peinlich«, entschuldigte sich Parker und lüftete erneut höflich seine schwarze Melone. »Ich möchte Ihnen selbst jetzt noch versichern, daß Tätlichkeiten, gleich welcher Art, mir äußerst verhaßt sind.« Sie bekamen seine Entschuldigung nicht mehr mit. Sie waren geistig für einen Augenblick weggetreten und merkten nicht, daß Parker seine privaten Handschellen bemühte, um sie erst mal an weiteren Dummheiten zu hindern. Dann kümmerte er sich um den Mann, der tot sein sollte. Er war es leider, wie der Butler schnell herausfand. Der vierte junge Mann war eindeutig erschossen worden. Parker barg die Brieftasche des Toten und steckte sie ein. Dann kümmerte er sich um die drei jungen Männer. Sie trugen ebenfalls Ausweispapiere, die der Butler an sich nahm. Er wollte die Dokumente später in Augenschein nehmen, denn die drei jungen Sportsleute kamen inzwischen kurz hintereinander wieder zu sich und brauchten einige Zeit, bis sie begriffen hatten, daß ihre Bewegungsfreiheit empfindlich eingeschränkt worden war. »Ich fürchte, Sie werden der Polizei viel sagen und erklären müssen«, meinte Parker in seiner höflichen Sprechweise. »Ihr Begleiter weilt tatsächlich nicht mehr unter den Lebenden.« Die drei jungen Männer richteten sich auf und stierten in die Dunkelheit. Sie standen eindeutig unter einem Schock, und Josuah Parker wartete erst mal, bis sie wieder einigermaßen ansprechbar waren. 39
»Gehen wir doch der Reihe nach vor«, begann er dann. »Ich darf unterstellen, daß Sie keineswegs von der Mannschaft eines Ufos angegriffen worden sind, nicht wahr?« »Doch, genau das ist es gewesen.« Der kleinste der drei jungen Männer griff diesen Hinweis mit wahrer Dankbarkeit auf. »Wir… Wir sind von unheimlichen Robotern angegriffen worden. Ob Sie’s nun glauben oder nicht, wir sind von einem Ufo gejagt worden.« »Als wir es uns aus der Nähe ansehen wollten«, sagte der zweite Mann sehr eifrig. »Und dabei ist Ben erwischt worden«, fügte der dritte vielleicht noch eifriger hinzu. »Ich weiß, das klingt alles nach einem Märchen – aber so ist es gewesen.« »Sie machen meine bescheidene Wenigkeit ausgesprochen neugierig«, erwiderte Josuah Parker. »Dürfte ich Einzelheiten erfahren?« Die drei jungen Männer kamen seinem Wunsch nach und betätigten sich als wahrhaft orientalische Märchenerzähler. Sie überboten sich förmlich in Schreckensschilderungen und berichteten immer wieder von einem geisterhaften Ufo und einigen außerirdischen Wesen in metallschimmernder Kleidung, die sie für Roboter hielten. »Roboter, die mit normalen Schußwaffen töten, wie man sie auf unserem Planeten antrifft?« staunte Josuah Parker. »Nein, die hatten auch so eine Art von Strahlenpistolen bei sich«, sagte der Wortführer. »Ein Wunder, daß wir noch leben. Hören Sie, wir sollten uns aus dem Staub machen, denn wahrscheinlich werden wir immer noch von diesen Außerirdischen gesucht.« »Eine gute Idee«, fand Parker. »Nach einem kurzen Fußmarsch werden Sie in einen kleinen Lieferwagen umsteigen können. Sagen Sie mir nur noch, wohin ich Sie bringen darf.« »Ins Malvern College«, sagte der Wortführer. »Falls der Bau inzwischen nicht von Laserstrahlen vollständig zerstört worden ist.« »Sie werden Schlagzeilen machen, meine Herren«, gab der Butler zurück. »Ich glaube Ihnen versichern zu dürfen, daß da noch einiges auf Sie zukommen wird, um es mal so zu umschreiben.« *
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Chief-Superintendent McWarden war wieder mal bis aufs Blut gereizt, wie man ihm deutlich ansah. Er wanderte im Hotelzimmer der älteren Dame wie ein gefangener Tiger auf und ab. »Schonen Sie Ihre Schuhsohlen, McWarden«, raunzte die Lady ihn schließlich an. »Sie sollten mir auf den Knien danken, daß Mister Parker Sie in meinem Namen alarmiert hat.« »McWarden war bereits am frühen Morgen im »Silver Hill« eingetroffen. Er hatte sich die Geschichte der Lady Agatha und des Butlers angehört und brauchte einige Zeit, seine Gedanken zu ordnen. Als Chef eines Sonderdezernats, das dem Innenminister direkt unterstellt war, besaß er zwar weitreichende Befugnisse, konnte sich außerhalb Londons jedoch nur als Berater bei den zuständigen Polizeibehörden anbieten. In die Hoheitsrechte der einzelnen Grafschaften konnte er nicht direkt eingreifen, um irgendeinen Fall an sich zu ziehen. »Wo stecken die Männer jetzt?« fragte McWarden und stellte seine Wanderung ein. Er sah den Butler fragend an. »Als staatsbewußter Untertan Ihrer Majestät lieferte ich die drei jungen Männer und den Toten bei der Polizeibehörde in Worcester ab«, erwiderte Josuah Parker höflich. »In meiner bescheidenen Gegenwart verwiesen die jungen Herren erneut und eindringlich auf die Existenz eines Ufos und einiger Roboter.« »Das ist doch totaler Humbug«, meinte McWarden und verzog fast angewidert sein Gesicht. »Diese jungen Burschen besuchen also das College bei Malvern?« »Ein recht exklusives Schulinternat, Sir«, berichtete Parker weiter. »Ich war so frei, bereits gewisse Erkundigungen einzuziehen. Man muß schon über ein beachtliches Bankkonto verfügen, um seine Söhne dort unterbringen zu können.« »Sie sind sicher, daß diese Burschen das Ufo gebaut haben, Mister Parker?« »Den schlüssigen Beweis muß ich allerdings leider schuldig bleiben, Sir.« »Ich werde den ganzen Bau auf den Kopf stellen«, versprach McWarden grimmig. »Das Märchen vom Ufo nehme ich diesen Herrschaften nicht ab.« »Fragen Sie lieber, warum man diesen Jungen namens Ben erschossen hat«, schaltete sich die ältere Dame ein. »Das kann nur von einem Professionellen getan worden sein«, 41
meinte McWarden nachdenklich. »Ich werde mir gleich den Kerl vornehmen, der hier bei Ihnen eingedrungen ist. Wo haben Sie den gelassen, Mylady?« »Dort drüben im Schrank, McWarden. Etwas eng, aber dafür warm.« Parker öffnete den Schrank mit der durchlöcherten Tür und holte den nächtlichen Besucher hervor, der einen inzwischen erbärmlichen Eindruck machte. Der Galgenvogel war während der verstrichenen Stunden in sich zusammengerutscht und senkte den Blick, als der Chief-Superintendent ihn musterte. »Steve Brent hat Sie also angeheuert und nach Malvern geholt«, begann McWarden ohne Umschweife. »Noch mal: Wie lautete Ihr Auftrag?« »Ich… Ich sollte die Lady erschrecken«, schwindelte der zerzauste Galgenvogel prompt drauflos. »Ich bestreite, daß ich sie ermorden sollte oder wollte. Das hat die Lady nur aus mir herausgepreßt. Sie hat mich mit der Waffe bedroht und hätte mich glatt erschossen. Ja, sie hat sogar einen Schuß auf mich abgefeuert.« »Das Subjekt ist total verwirrt«, meinte Agatha Simpson wegwerfend. »Lassen Sie seinen Geisteszustand überprüfen, McWarden. Ich habe niemals auf diesen Lümmel geschossen. Beide Schüsse gehen auf sein Konto. Aber wer ist dieser angebliche Steve Brent, McWarden? Mister Parker behauptet, daß es ihn gibt.« »Und ob es ihn gibt, Mylady!« McWarden nickte. »Ein hartgesottener Gangster aus London, der aber seit gut einem Jahr wie vom Erdboden verschwunden ist. Ich wette, dieser Mann dort lügt und hat uns einen Namen genannt, der mit dem Fall überhaupt nichts zu tun hat.« Parker war zwar anderer Meinung, sagte jedoch nichts. Er wußte, daß Mylady von sich aus weitere Fragen stellen würde. »In welcher Branche war dieser Steve Brent denn in London tätig?« fragte sie auch umgehend, als habe sie Parkers Wunsch auf telepathische Weise erraten. »Steve Brent war oder ist immer noch Spezialist für Raub«, gab Chief-Superintendent McWarden zurück. »Er hat da ein paar Banken und Supermärkte ausgeplündert und einige Menschen böse verletzt. Er ist einer von diesen Typen, die rücksichtslos schießen, wenn man sich ihnen in den Weg stellt.« 42
»Wird er polizeilich gesucht?« »Ja und nein.« McWarden hob ein wenig bedauernd die Schultern. »Uns fehlen die letzten schlüssigen Beweise, um gegen ihn gerichtlich vorgehen zu können. Na ja, vielleicht klappt es diesmal, falls Brent seine Hand tatsächlich im Spiel hatte, was dieses Ufo und den Mord angeht.« * Der Leiter des Malvern Colleges war ein straff und militärisch aussehender Mann von etwa fünfundfünfzig Jahren. Er hieß Basil Hurston und wußte natürlich inzwischen von gewissen Vorfällen, die sich in der vergangenen Nacht ereignet hatten. Basil Hurston wußte darüber hinaus auch, über welch einen Einfluß Lady Simpson in der sogenannten besten Gesellschaft verfügte. Er war zu jeder Mitarbeit bereit, wie er gerade erneut versichert hatte. Lady Agatha und Butler Parker befanden sich in seinem Arbeitszimmer, dessen gotische Fenster den Blick auf einen weitläufigen Park gewährten. Basil Hurston, der ein wenig näselte, sprach von einem großen Unglück für das College. »Ich begreife es einfach nicht, wie die Schüler dazu gekommen sind, diese Ufogeschichte zu inszenieren«, sagte er verzweifelt. »Ein Streich, für den ich kein Verständnis habe, Mylady.« »Darf man davon ausgehen, daß die Polizei bereits hier war oder noch ist?« erkundigte sich Josuah Parker. »Sie durchsucht das College«, antwortete Basil Hurston. »Dieser Skandal! Polizei auf dem Collegegelände. So etwas hat es bisher noch nie gegeben.« »Besitzt das College einen geländegängigen Wagen?« stellte der Butler seine nächste Frage. »Ganz sicher nicht, Mister Parker«, entgegnete der Leiter, »wir haben zwei kleine Lieferwagen für den Küchenbetrieb. Geländegängig sind sie auf keinen Fall.« »Zu Ihrem College gehören einige Wirtschaftsgebäude, Sir.« Parker deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirms nach draußen. Er meinte die zweistöckigen, langgestreckten Steingebäude hinter einer hohen Taxushecke. »Wir haben dort eine Turnhalle, eine überdachte Schwimmhalle und dann noch einige Werkstätten.« Basil Hurston nickte. 43
»Könnten Ihre Schüler dort so etwas wie ein Ufo zusammengebastelt haben?« wollte die Detektivin wissen. »Das versucht die Polizei gerade herauszufinden, Mylady«, entgegnete der Schulleiter. »Ich möchte betonen, daß wir unsere Aufsichtspflicht auf keinen Fall verletzt haben. Wenn so etwas gebaut wurde, dann heimlich und während der Nacht.« »Kein Mensch wird Ihnen einen Vorwurf machen, Hurston«, sagte Lady Simpson beruhigend. »Wenn Schüler sich einen Streich ausdenken, schaffen sie es in der Regel auch, mag man auch noch so aufpassen.« »Ich bin Ihnen dankbar, Mylady, daß Sie es so sehen.« Basil Hurston atmete erleichtert auf. »Und ich möchte noch etwas betonen: Die drei Schüler haben ihren Mitschüler Ben Waxton auf keinen Fall umgebracht. Gerade diese vier Schüler haben sich immer ausgezeichnet verstanden.« »Glauben Sie wirklich, lieber Hurston, daß Ihre Schüler von einem echten Ufo gejagt wurden?« erkundigte sich Lady Simpson. »Nehmen Sie es Ihren Schülern ab, daß sie von Außerirdischen beschossen wurden?« »Mylady, ich möchte ehrlich einräumen, daß ich durchaus an die Existenz von Ufos glaube«, sagte Basil Hurston und wirkte plötzlich etwas verschämt. »Sie mögen mich auslachen, Mylady, aber ich glaube sogar, solch ein Ufo mal gesehen zu haben.« »Ich lache Sie keineswegs aus, mein Bester.« Die ältere Dame nickte wohlwollend. »Wann haben Sie solch ein unidentifizierbares, fliegendes Objekt gesehen, Sir?« wollte Parker wissen. »Vor etwa zweieinhalb Wochen, Mister Parker. Es schwebte über einem der Hügel der Malvern Hills. Ich bin sicher, mich nicht getäuscht zu haben. Ich darf wohl sagen, daß ich ein äußerst kritischer Mensch bin, der zudem noch Naturwissenschaften hier am College lehrt. Dennoch, ich glaube an Ufos!« »Und Sie haben über Ihre Beobachtungen mit Ihren Schülern gesprochen, Sir?« »Selbstverständlich nur mit der Oberklasse.« »Die von den drei, beziehungsweise vier jungen Herren besucht wird, wenn ich nicht irre?« »Richtig, Mister Parker. Wir hatten eine ausgedehnte Diskussion über dieses Thema. Einen aktuelleren Anlaß gibt es ja gar nicht, um sich mit naturwissenschaftlichen Fragen zu befassen. Und ich 44
muß sagen, daß diese Unterrichtsstunden sehr gut ankamen. Ich erlebe selten solch eine intensive Mitarbeit meiner Schüler.« »Regten Sie möglicherweise an, den nächtlichen Himmel nach Ufos abzusuchen, Sir?« »Woher wissen Sie das? Es stimmt! Wir kamen überein, gewisse Himmelssektoren zu beobachten. Ich darf noch mal wiederholen, die Schüler waren restlos begeistert.« »Sie haben also ein Ufo gesehen.« Agatha Simpson zweifelte nach wie vor nicht daran, daß es solche fliegenden Untertassen gab. »Wie sah es aus? Ich möchte es ganz genau wissen.« »Eine Art Riesendiskus, Mylady, umgeben von einem orangefarbenen Lichtschein. Ich sah dieses Objekt zwar nur für wenige Sekunden, aber dieser Anblick hat sich mir unauslöschlich eingeprägt.« »Dies geschah vor zweieinhalb Wochen, Sir.« Parker interessierten gewisse Daten. »Ihre Beobachtung geriet in die örtliche Presse hier?« »Nicht durch mich, Mister Parker.« Basil Hurston schüttelte den Kopf. »Ich möchte annehmen, daß ein Schüler die Presse verständigt hat. Zwei Tage nach meiner Beobachtung erschien ein Reporter hier und ließ sich informieren.« »Konnten inzwischen weitere Beobachtungen gemacht werden, Sir?« »Das ist vollkommen richtig, Mister Parker.« Der Leiter des Colleges nickte. »Es waren übrigens Ben Waxton und seine drei Freunde, die in der Nacht davor ein Ufo gesichtet hatten. Sie konnten es in allen Einzelheiten genau beschreiben. Wie ich diese jungen Herren beneidet habe! Sie sahen ein gelandetes Ufo, das muß man sich mal vorstellen. Als sie sich näher heranpirschten, hob es ab und verschwand mit…« »… Lichtgeschwindigkeit, nicht wahr?« fragte die Lady dazwischen. »So ungefähr, Mylady«, bestätigte Basil Hurston. »Offen gestanden, ich habe keinen Grund, an der Wahrhaftigkeit dieser Aussage zu zweifeln, Mylady. Und ich kann nur hoffen, daß Ben Waxton tatsächlich von außerirdischen Existenzen umgebracht wurde, wie seine drei Mitschüler behaupten. Das würde seinen Tod in ein völlig anderes Licht rücken. Nein, nein, ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß es sich um einen Studentenulk ge45
handelt haben soll, der so tödlich und dramatisch endete. Hier müssen fremde Wesen aus dem All ihre Hand mit im Spiel haben.« Agatha Simpson sagte nichts. Sie sah jedoch ihren Butler fast strafend an. Sie wußte schließlich, daß Josuah Parker auf keinen Fall an Ufos glauben wollte. »Nun sagen Sie schon endlich, was Sie denken, Mister Parker«, forderte die Lady ihren Butler auf, als sie das College hinter sich gelassen hatten. »Ich möchte erst mal, Myladys Erlaubnis vorausgesetzt, jene Tatsachen zusammenfassen, die die Polizei auf dem Gelände des Colleges ermitteln konnte.« »Wozu, Mister Parker?« Die Detektivin war gereizt, denn sie fühlte sich natürlich um ihre Ufos betrogen. »Gut, man hat weder einen geländegängigen Wagen noch irgendeinen Raum gefunden, in dem das Gummiufo zusammengeklebt worden ist. Na und? Was hat das zu bedeuten?« »Nach meiner bescheidenen Auffassung, Mylady, löste Mister Basil Hurston die Gerüchte um das angebliche Erscheinen eines Ufos aus.« »Sie glauben nach wie vor nicht an diese Ufos?« »Einer gewissen Skepsis, Mylady, kann ich mich nach wie vor nicht verschließen und möchte sie als Arbeitshypothese benutzen. Mister Hurston glaubte demnach also, ein Ufo gesehen zu haben. Seine Schüler griffen diese Beobachtung offensichtlich begeistert auf und sahen ihrerseits eine sogenannte fliegende Untertasse. Dann machten die vier jungen Schüler sich daran, solch ein Ufo herzustellen und sorgten für Schlagzeilen. Bis zu diesem Punkt bin ich durchaus geneigt, dies alles für einen sogenannten Studentenulk zu halten.« »Also schön, so könnte es gewesen sein«, räumte die ältere Dame widerwillig ein. »Doch dann wurde einer der vier jungen Studenten erschossen…« »Und zwar von seinem sehr irdischen Mörder, Mylady. Ich darf in diesem Zusammenhang auf den nächtlichen Besucher in Myladys Suite verweisen, der eindeutig den Auftrag hatte, Mylady zu töten.« »Wie wollen Sie das alles unter einen Hut bringen?« Sie war ein wenig nachdenklich geworden. »Die Aktivitäten der vier Collegeschüler, Mylady, dürften das In46
teresse eines Mannes erregt haben, der die allgemeine Verwirrung zu seinen Gunsten nutzen möchte.« »Sie denken jetzt bestimmt an diesen Steve Brent, nicht wahr?« »Dies ist der Fall, wenn Mylady es erlauben.« »Schnickschnack, Mister Parker! Haben Sie denn nicht gemerkt, daß fieser Lümmel in meinem Zimmer diesen Namen einfach nur genannt hat, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen? Er hat die Polizei und uns angelogen!« »Mit solch einer Möglichkeit muß man selbstverständlich stets rechnen, Mylady«, gab Parker zurück, »aber der Hintermann an sich ist im gegenwärtigen Zeitpunkt auch nicht wichtig.« »Aha, jetzt kommen wir zum Kern Ihrer komischen Theorie. Sie wittern natürlich wieder ein Verbrechen, nicht wahr?« »In der Tat, Mylady! Ich darf darauf verweisen, daß die drei jungen Collegeschüler ohne Fahrzeug und Ufo waren, als, sie ihren toten Freund aus dem Tal schafften. Mit anderen Worten, das Fahrzeug und auch das Ufo wurden von den Mördern des jungen Ben Waxton gestohlen. Bei diesem Überfall und Diebstahl muß es meiner bescheidenen Ansicht nach auch zu dem Mord gekommen sein.« »Man begeht einen Mord, um diesen Ulk mit dem Ufo noch mal durchzuführen?« »Mylady haben wieder mal genau den Punkt getroffen«, behauptete Butler Parker. »Ich möchte orakeln, daß dieses Ufo noch einige Male erscheinen wird und für weitere Unruhe und Schlagzeilen sorgt. Das alles dient nur zur Ablenkung.« »Um irgendwann irgendwo einen besonders tollen Coup zu landen, nicht wahr?« Spott lag in der Stimme der älteren Dame. Sie hatte keine Lust, sich von ihrem Ufo zu trennen. »Mylady verstehen es immer wieder, sich in die Vorstellungen und Gedankenwelt der Gegner zu versetzen«, sagte Parker. »Ich erlaubte mir nur das auszusprechen, was Mylady dachten .« Jetzt hatte er sie da, wo er sie hatte haben wollen. Lady Agatha war nachdenklich geworden. Sie wollte zwar nach wie vor an die Existenz von Ufos glauben, doch auf der anderen Seite hatte sie auch nichts gegen die Aufklärung eines Verbrechens, selbst wenn es noch nicht begangen worden war. »In etwa haben Sie das recht gut ausgedrückt«, sagte sie endlich und nickte. »Diese Vorstellung geht mir schon die ganze Zeit 47
über durch den Kopf, Mister Parker. Ich werde dieses geplante Verbrechen natürlich verhindern, das ist klar. Treffen Sie alle Vorbereitungen. Sie wissen, die unwichtigen Details interessieren mich nicht!« ».Mylady können sich fest auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen«, entgegnete Parker gemessen. »Darf ich übrigens in diesem Zusammenhang auf die Straßensperre dort verweisen? Daraus können sich unter Umständen Konsequenzen ergeben.« * Die Straßensperre war einfach, aber wirkungsvoll. Sie bestand aus zwei Wagen, die man quer zur Fahrbahn gestellt hatte. Es handelte sich um normale Autos, die jedoch einen schier unüberwindlichen Blechwall bildeten. »Sie wollen doch nicht etwa halten, Mister Parker, oder?« Lady Simpson setzte ihre kriegerische Miene auf. »Mylady wünschen ein Durchbrechen um jeden Preis?« erkundigte sich Parker höflich. »Selbstverständlich, Mister Parker. Übrigens, sehen Sie einen Menschen? Sehr seltsam, eine Polizeisperre ist das nicht.« »Vielleicht handelt es sich um eine Sperre, die von außerirdischen Wesen errichtet wurde, Mylady.« »Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen, wie?« gab sie scharf zurück und begriff dann, was Josuah Parker meinte. Nun hatte nämlich auch sie die beiden Gestalten entdeckt, die metallglänzende, eng anliegende Raumanzüge trugen. Sie erschienen hinter dem linken der beiden quergestellten Fahrzeuge und hielten seltsame Gegenstände in Händen. Offensichtlich Waffen. Es schien sich um Strahlpistolen zu handeln, wie man sie in Sciencefiction-Filmen immer wieder zu sehen bekommt. »Großer Gott!« Lady Agatha schluckte vor Aufregung. »Eine Ufobesatzung, oder?« »Selbst die Raumhelme fehlen nicht, Mylady«, antwortete Parker. »Möchten Mylady Kontakt mit jenen Wesen dort aufnehmen?« »Ich… Ich weiß nicht recht.« Sie zögerte und war noch immer überwältigt. Mit solch einer Konfrontation hatte sie auf keinen Fall gerechnet. Sie mußte mit dieser Erscheinung innerlich erst mal 48
fertig werden. Parker hatte inzwischen gehalten, ließ den Motor aber laufen und legte den ersten Gang ein. Er war bereit, sofort etwas zu unternehmen. Er saß stocksteif am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und musterte die beiden Gestalten in ihren MetallicUniformen. Sie näherten sich mit eckigem, roboterhaftem Gang Parkers Wagen. Ihre Gesichter unter den runden Raumfahrerhelmen, die aus einer Art Kunstglas bestanden, waren mehr als seltsam: schmale Augenschlitze, nur ein kreisrunder Mund, die Nase fehlte. Diese Gesichter sahen drohend und unheimlich aus. »Ich glaube es einfach nicht«, sagte Lady Simpson. Da die Bordsprechanlage des hochbeinigen Monstrums eingeschaltet war, konnte man ihre Worte vorn sehr gut verstehen. »Das ist ja sensationell.« »Man scheint sich in friedlicher Absicht zu nähern«, stellte Parker fest. Aus den Augenwinkeln beobachtete er die beiden Straßenränder. Er traute dem Frieden nicht, von dem er gerade gesprochen hatte. Das alles hier erinnerte ihn an eine gefährliche und sogar tödliche Falle, wenngleich vorerst noch komödienhafte Elemente zu erkennen waren. »Wir sollen aussteigen, Mister Parker«, sagte die ältere Dame. Sie hatte gesehen, daß die beiden Weltraumfahrer mit ihren seltsamen Waffen entsprechende Bewegungen ausgeführt hatten. »Wenn Mylady erlauben, möchte ich einen ersten sprachlichen Kontakt aufnehmen«, antwortete Josuah Parker. Er hatte den Außenlautsprecher bereits eingeschaltet. Dieser befand sich hinter dem Nummernschild seines Wagens an der schweren Stoßstange, die eigentlich besser zu einem Lastwagen gepaßt hätte. »Ich erlaube mir, einen erfreulichen Tag zu wünschen«, sagte Parker über diesen Lautsprecher. »Darf man davon ausgehen, daß Sie der englischen Sprache mächtig sind?« Die beiden Weltraumfahrer blieben jäh stehen, als sie Parkers Worte hörten. Sie schauten sich anschließend ein wenig ratlos an. »Verscheuchen Sie mir diese Roboter nicht, Mister Parker«, verlangte Lady Simpson gereizt. »Warten Sie, ich werde aussteigen!« Sie hätte es mit Sicherheit getan, doch Josuah Parker hätte gewisse Vorkehrungen getroffen. Vorn vom Fahrersitz aus hatte er die elektrische Zentralverriegelung in Tätigkeit gesetzt. Agatha 49
Simpson war es unmöglich, die hintere Wagentür zu öffnen. »Entriegeln Sie sofort die Tür, Mister Parker«, verlangte die Lady verärgert. »Wie kommen Sie dazu, mich… Gütiger Himmel, was ist das?« Die beiden Weltraumroboter hatten ihre Waffen ausgetauscht und hielten plötzlich kurzläufige, sehr irdische Maschinenpistolen in ihren Händen. »Rauskommen!« brüllte einer der Roboter kurz angebunden und in englischer Sprache. »Wird’s bald? Oder wollt ihr Siebe werden?« * »Die beiden Außerirdischen scheinen eine gewisse feindselige Haltung einnehmen zu wollen«, sagte Josuah Parker über die Bordsprechanlage nach hinten und trat dann mit dem linken Fuß kurz auf einen Knopf, der auf dem Boden seines hochbeinigen Monstrums angebracht war. Bruchteile von Sekunden später sahen die beiden Weltraumroboter nichts mehr. Aus einer Vielzahl von Düsen, die unter dem Wagenboden angebracht waren, schoß ein fetter Qualm aus Ruß hinaus in die freie Natur. Für die Umwelt war das eine relativ geringfügige Belastung, für die beiden Weltraumroboter war es allerdings mehr als peinlich. Sie sahen nämlich plötzlich nichts mehr, da der Ruß- und Ölfilm sich zäh auf das Glas ihrer Weltraumhelme legte. Parker dachte nicht im Traum daran, mit Vollgas zurückzufahren, um aus der unmittelbaren Gefahrenzone herauszukommen. Nein, er ließ sein hochbeiniges Monstrum nach vorn vorspringen und stürzte sich mit der schweren Stoßstange förmlich wie ein Raubtier auf eines der querstehenden Autos. Während die beiden fast blinden Weltraumfahrer instinktiv in die falsche Richtung schossen, weil sie der festen Ansicht waren, der Wagen würde rückwärts bewegt, prallte die Stoßstange mit der Breitseite des hinderlichen Wagens zusammen, verformte dort das Blech und drückte das Auto mit fast schon spielerischer Leichtigkeit zur Seite. Parker schaltete hoch und gab Vollgas. Das hochbeinige Monstrum jagte wie ein Rennwagen über die 50
gewundene schmale Straße hangabwärts und verschwand hinter der nächsten Kehre, bevor die beiden angeblich Außerirdischen sich neu orientieren konnten. »Mylady mögen diesen verzeihlichen Temperamentsausbruch entschuldigen«, sagte Parker und minderte die Geschwindigkeit. »Mir schien es angebracht, erst mal das zu suchen, was man gemeinhin das Weite nennt.« »Wir hätten die beiden Subjekte festnehmen sollen, Mister Parker«, gab sie grollend zurück und setzte sich ihren völlig verrutschten Hut wieder zurecht. »Sie haben mich um eine große Chance gebracht.« »Möglicherweise, Mylady.« Parker nickte. »Aber ich möchte mir erlauben, darauf zu verweisen, daß diese beiden angeblichen Weltraumroboter Profigangster sind.« »Was sonst? Das sah ich doch auf den ersten Blick.« »Sie hatten den Auftrag, Mylady und meine bescheidene Wenigkeit zu ermorden.« »Ist Ihr Wagen nun schußfest oder nicht?« wollte Lady Agatha verärgert wissen. »Oder haben Sie um den Lack Ihres Wagens gefürchtet?« »Falls meine bescheidenen Augen mich nicht trogen, Mylady, waren die beiden vorgetäuschten Weltraumfahrer keineswegs allein. Rechts von der Straße müssen sich noch zwei weitere Gangster befunden haben.« »Wenn schon!« Sie wandte sich um und schaute zurück. »Eine ausgemachte Frechheit, Mister Parker, wir werden noch nicht mal verfolgt! Ich hätte große Lust, zurückzufahren!« »Myladys Wunsch ist meiner Wenigkeit Befehl.« Parker minderte noch mal die Geschwindigkeit, fand eine entsprechende Stelle und wendete. Dann gab er Vollgas und preschte wieder den Hang hinauf. Das hochbeinige Monstrum röhrte jetzt wie ein Hirsch und nahm die Steigung mit spielerischer Leichtigkeit. »Sie sind weg!« Die Stimme der älteren Dame drückte verärgerte Enttäuschung aus. »In der Tat, Mylady, man scheint das Feld nachdrücklich geräumt zu haben.« Es war so, wie sich zeigte. Parker passierte die Stelle, wo sich die improvisierte Straßensperre befand. Auf dem Belag dieser Straße war der Ruß- und Ölfilm deutlich zu erkennen. Parker hielt und griff nach einem 51
kleinen Handfeuerlöscher, der sich in einer Halterung auf dem Wagenboden befand. Bevor er weiterfuhr, löschte er mit dem Gerät die schlüpfrige Straße ab, um andere Autofahrer nicht zu gefährden. In diesen Dingen war er ungemein sorgfältig und vorausschauend. »Wir verlieren wertvolle Zeit, Mister Parker«, drängte die Detektivin, als Parker wieder am Steuer Platz nahm. »Die Herren Gangster dürften sich inzwischen empfohlen haben, Mylady«, antwortete Parker. »Ich möchte jedoch behaupten, daß Mylady um einen weiteren und vielleicht noch engeren Kontakt nicht zu fürchten brauchen. Der geplante Doppelmord wird Priorität für diese Gangster haben.« »Nun schön, dann bin ich etwas beruhigt«, gab sie zurück und entspannte sich. »Doch möchte ich bald wissen, wer da hinter mir her ist. Ob es dieser Steve Brent ist?« * »Wir haben das Ufo gefunden«, sagte der Chief-Superintendent und deutete auf einen großen, schlanken Mann, der einen sportlichen, legeren Anzug trug. »Das ist Chief-Inspektor Pains, der den Fall leitet.« »Mylady!« Der Chief-Inspektor war von Agatha Simpson sofort tief beeindruckt und nahm Haltung an. »Dann erzählen Sie mal, junger Mann«, sagte Lady Agatha zu Pains, der immerhin fünfundvierzig sein mochte, den jungen Mann aber schluckte, ohne mit der Wimper zu zucken. Wahrscheinlich war er von McWarden bereits instruiert worden. »Die drei Collegeschüler haben ein Geständnis abgelegt«, berichtete Pains und blieb vor dem Tisch in strammer Haltung stehen. »Daraufhin konnten wir die Werkstatt und auch den Besitzer des Fahrzeugs ermitteln.« »Aber setzen Sie sich doch, junger Freund«, säuselte Agatha Simpson und zeigte auf einen freien Stuhl. »Darf man Ihnen einen Sherry anbieten?« »Ich bin im Dienst, Mylady«, gab Pains zurück. »Setzen Sie sich und nehmen Sie einen Sherry!« Die Lady blitzte den Chief-Inspektor an, was bereits reichte. Der Mann hechtete förmlich auf den Stuhl und nahm wie ein gehorsamer Schüler 52
Platz. McWarden setzte sich ebenfalls, wofür er von der älterer Dame mit einem eisigen Blick bedacht wurde. Josuah Parker winkte den Kellner zu sich heran und gab eine Bestellung auf. Daraufhin wurde auch er mit einem nicht weniger eisigen Blick bedacht. »Die drei Collegeschüler konnten uns genau sagen, wo sich die Werkstatt befindet, in der sie das Gummiufo zusammengebaut haben, Mylady«, begann Chief-Inspektor Pains jetzt noch mal. »Spuren in dieser Werkstatt haben diese Angaben einwandfrei bestätigt. Der geländegängige Wagen, mit dem dieses Gebilde transportiert wurde, Mylady, gehört einem Autoverleih in Worcester. Er konnte bestätigen, daß vier Studenten des privaten Malvern College den Wagen für zwei Wochen gemietet hatten.« »Was waren die Motive für diesen Ufoscherz?« wollte Parker wissen. »Der Leiter des Colleges, ein gewisser Mister Basil Hurston, scheint an diesen Ufo-Unsinn zu glauben«, antwortete Pains mehr als leichtsinnig und erntete dafür ein hartes Räuspern seiner Gesprächspartnerin, das er sich jedoch noch nicht zu erklären vermochte. »Die vier Studenten behaupteten daraufhin, auch sie hätten ein echtes Ufo gesehen, und planten dann, eine Art Phantom-Ufo zu bauen.« »Das aus einer Art Gummihaut bestand, nicht wahr?« Parker konnte sehr knapp und gezielt fragen, wenn es darauf ankam. »Vollkommen richtig.« Chief-Inspektor Pains wußte offenbar von McWarden, welche Rolle der Butler spielte. Er behandelte Parker mit ausgesuchter Höflichkeit und größtem Respekt. »Die vier Studenten ließen sich das Material von einer Firma kommen, die Freiballons herstellt. Eine recht kostspielige Sache, aber dies nur am Rande vermerkt.« »Das hat man davon, wenn man jungen Flegeln ein zu großes Taschengeld auswirft«, räsonierte die ältere Dame. »Und wo steckt dieses Schein-Ufo jetzt?« »Es wurde den jungen Studenten weggenommen, Mylady. Dabei wurde Ben Waxton erschossen. Die Studenten wurden von vier Männern überfallen, die ihnen in einem Tal der Malvern Hills auflauerten. Gesichter konnten sie nicht erkennen, denn die vier Männer waren maskiert. Sie trugen Strumpfmasken.« »Hatten die vier Studenten sich zusätzlich noch Uniformen geschneidert, die an Weltraumanzüge erinnern?« wollte Butler Par53
ker wissen. »Richtig«, bestätigte jetzt McWarden. »Sie besaßen sogar Raumhelme aus Plexiglas. Dieses Zeug kann man in Masken- und Kostümverleihen ohne Schwierigkeiten bekommen.« »Und diese vier unreifen Flegel hatten wirklich nichts anderes im Sinn, als ihren Schulleiter und die Öffentlichkeit zu täuschen und zum Narren zu halten?« erkundigte sich Lady Simpson. »Mehr hatten sie nicht vor, Mylady«, entgegnete ChiefInspektor Pains und lächelte überlegen. »Es ist mir ein Rätsel, wie man an solch einen absoluten Unsinn nur glauben kann. Ufos! Das ist doch etwas für Dummköpfe.« Agatha Simpsons Pompadour war bereits in leichte Schwingungen geraten. Als der Kellner jetzt den Sherry servierte, klatschte der im Pompadour befindliche »Glücksbringer« andeutungsweise unter das Serviertablett. Der Sherry landete auf Weste und Sakko des Chief-Inspektors. »Sie sind ziemlich ungeschickt, Mister Pains«, behauptete Lady Agatha dann noch zusätzlich und sehr zufrieden. »Aber Sie gehören ja zur Polizei, da wundert mich schon lange nichts mehr.« * »Ich hoffe, daß sein Anzug ruiniert ist«, sagte Lady Simpson grimmig, als Chief-Inspektor Pains den Tisch verlassen hatte. »Haben Sie das mitbekommen, McWarden? Er hält es für idiotisch, an Ufos zu glauben.« »Ich werde mich hüten, so etwas zu behaupten.« ChiefSuperintendent McWarden rückte sicherheitshalber ein wenig zur Seite, als der Kellner neuen Sherry servierte. »Das möchte ich Ihnen auch nicht raten, McWarden«, entgegnete Lady Agatha. »Schön, hier haben sich College-Studenten einen makabren Scherz geleistet und bitter dafür bezahlen müssen. Aber solch ein Scherz sagt über wirkliche Ufos nichts aus, überhaupt nichts!« »Es sind gestern weitere Ufomeldungen bei den Polizeistationen eingegangen«, berichtete McWarden. »Leider kann man diesen Meldungen nicht entnehmen, ob es sich um echte oder falsche fliegende Untertassen gehandelt hat.« »Welche Leute haben diese Ufos gesehen?« wollte Agatha 54
Simpson wissen. »Farmer, Autofahrer, Touristen und auch ein bekannter Landarzt.« »Wurden diese Beobachtungen in der Worcester und Malvern Region gemacht, Sir?« erkundigte Parker sich. »Richtig, Mister Parker! Es ist ja auch ein ideales Gelände für fliegende Untertassen. Diese vielen Täler, Berge und Hügel, dann das unübersichtliche Gelände. Für Zwischenlandungen bestens geeignet.« »Das will ich meinen.« Die Lady nickte zufrieden. »Sagen Sie, Mister Parker, haben wir etwas erlebt, das Mister McWarden wissen müßte?« Parker wußte natürlich genau, daß seine Herrin auf den Überfall und auf die Straßensperre anspielte. Sie war – vorsichtig genug, sich erst bei ihm zu erkundigen, ob man den ChiefSuperintendent unterrichten sollte. Nun, Butler Parker hielt es für angebracht, den hohen Beamten einzuweihen. »Und… Und das sagen Sie erst jetzt?« McWarden bekam einen roten Kopf. »Sie hätten uns sofort verständigen müssen! Wir hätten eine intensive Ringfahndung einleiten und mit Hubschraubern die Malvern Hills absuchen lassen können.« »Und natürlich nichts gefunden.« Lady Simpson sah den ChiefSuperintendent spöttisch an. »Diese Gangster sind doch längst untergetaucht, nachdem ich sie in die Flucht geschlagen, hatte. Gehen Sie mit den Steuergeldern gefälligst nicht so sinnlos und verschwenderisch um, McWarden!« »Falls dieser Steve Brent dahintersteckt, kommen noch einige böse Überraschungen auf uns zu«, vermutete McWarden, der auf den Einwurf der älteren Dame sicherheitshalber nicht einging. Er kannte ihre Reizbarkeit. »Die Frage ist, was dieser Gangster will, verstehen Sie? Bei ihm handelt es sich sicher nicht um einen Ulk!« »Er plant mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen Raub«, warf Josuah Parker ein. »Ich darf in diesem Zusammenhang darauf verweisen, daß die Stadt Worcester ein lohnendes Ziel sein dürfte.« »Was gibt’s denn dort zu holen, Mister Parker?« wollte Agatha Simpson wissen. »Zuerst mal die weltweit bekannte Worcestersäuce, Mylady«, antwortete Parker. »Es gibt dort einige Firmen, die darüber hin55
aus noch weitere international bekannte Würzmittel herstellen und deren Umsätze beachtlich sein müssen. Dann darf ich darauf verweisen, daß Handschuhe, Schuhwerk und Porzellan hergestellt werden. Um noch deutlicher zu werden: An den Lohntagen dürften die Banken in Worcester über beachtliche Summen verfügen, und zwar in Form von Bargeld.« »So etwas könnte einen Gangster wie Brent natürlich reizen«, erwiderte Agatha Simpson erfreut. »Ich glaube, Mister Parker, wir werden diesem Subjekt gründlich das Handwerk legen.« »Falls Brent nicht schneller ist, Mylady«, warnte McWarden ernst. »Der Überfall sagt doch deutlich, daß er Sie als echte Gefahr empfindet.« »Das will ich auch hoffen, McWarden.« Sie richtete sich majestätisch auf. »Der Überfall an der Straßensperre redet ja eine deutliche Sprache. Ich störe seine Kreise.« »Vielleicht wird er erst dann zuschlagen, wenn er Sie aus dem Weg geräumt hat, Mylady.« McWardens Warnung wurde noch eindringlicher. »Steve Brent reagierte bisher immer wie eine gereizte Klapperschlange, wenn man ihm in die Quere kam. Ich weiß, wovon ich spreche. In London war er seinerseits selbst in Kreisen der Unterwelt gefürchtet.« »Was jetzt nach Ihren Worten fast ein Jahr zurückliegt, Sir«, erinnerte Josuah Parker. »In diesem Zusammenhang erhebt sich für meine bescheidene Wenigkeit die Frage, was Mister Brent in diesem Jahr getan haben könnte? Warum hat er sich ein Jahr der Ruhe gegönnt? Was könnte solch ein Mann in diesem Jahr getan haben?« »Ich werde ihn danach fragen, Mister Parker, sobald Sie ihn mir herbeigeschafft haben«, versprach Agatha Simpson grimmig. »Ich hoffe, Sie lassen mich nicht zu lange warten. Ich möchte mich endlich wieder in aller Ruhe diesen fliegenden Objekten aus dem Weltraum widmen können. Das allein interessiert mich wirklich.« * Der Rest des Tages brachte keine Überraschungen. Lady Agatha und Butler Parker waren lange unterwegs und boten sich den falschen Weltraumfahrern ununterbrochen als Köder 56
an, doch die Gangster reagierten nicht. Wahrscheinlich wollten sie sich nicht ein zweites Mal hereinlegen lassen, ja, vielleicht fürchteten sie sogar, diesmal wirklich Haare zu verlieren. Kurz, Lady Agatha lernte zwar die Schönheiten der Malvern Hills kennen, doch von Weltraumfahrern war weit und breit nichts mehr zu sehen. Parker war hinüber ins nahe Worcester gefahren, um seiner Herrin diese hübsche Stadt zu zeigen. Sie übersah jedoch fast die altehrwürdige Kathedrale, die in allen Reiseführern besonders herausgestellt wird, und interessierte sich vor allen Dingen für einige Banken in der Stadt und anschließend für Industriebetriebe. Kurz vor der Rückfahrt kaufte Parker einige Abendzeitungen aus dem nahen Birmingham und reichte sie an die Lady weiter. »Sehr hübsch«, sagte sie nach kurzem Durchblättern. »Die Ufos beherrschen die Schlagzeilen, Mister Parker .« »Chief-Superintendent McWarden und Chief-Inspektor Pains scheinen sich demnach an gewisse Absprachen gehalten zu haben«, erwiderte Parker über die Bordsprechanlage. »Darf man erfahren, Mylady, ob die Geständnisse der College-Studenten zurückgehalten wurden?« »Warten Sie, Mister Parker, ich überfliege die Spalten.« Sie blätterte in den Zeitungen. »Alles in Ordnung, Mister Parker! Die Sache mit dem Mord an Ben Waxton ist sehr vorsichtig formuliert worden. Wie heißt es hier: Bei der Untersuchung eines Naturphänomens in den Malvern Hills kam es zu einem Unfall mit tödlichem Ausgang. Man prüft zur Zeit, ob dieser tödlich verlaufene Unglücksfall möglicherweise etwas mit den gesichteten Ufos zu tun haben könnte. Sehr hübsch umschrieben. Das muß die Gangster um diesen Steve Brent beruhigen, hoffe ich.« »Und ihre nächtlichen Aktivitäten beflügeln, Mylady«, erwiderte Josuah Parker. »Sie glauben, daß in der kommenden Nacht Ufos erscheinen?« »Damit ist fest zu rechnen, Mylady. Die neuen Besitzer des Gummi-Ufos müssen daran interessiert sein, die allgemeine Hysterie anzuheizen. Womit ich selbstverständlich keineswegs ernsthafte Ufo-Beobachtungen meinen möchte.« »Hoffentlich nicht, Mister Parker«, gab die ältere Dame in warnendem Tonfall zurück. »Ich glaube dabei, dieser Studentenulk hat mit wirklichen Ufos nichts zu tun.« »Wie Mylady meinen.« Parker war an einer Erörterung dieses 57
Themas nach wie vor nicht interessiert. »Wir werden in der kommenden Nacht übrigens nach dem falschen Ufo suchen«, schickte sie voraus. »Vielleicht erwischen wir diesen Brent.« »Dem man dann mit Sicherheit juristisch kaum etwas nachweisen könnte, Mylady. Von den drei College-Studenten konnten weder er noch seine Mitarbeiter identifiziert werden.« »Und wenn wir bei diesen Subjekten das falsche Ufo und diese komischen Weltraumanzüge finden?« »Würden die Herren sich darauf hinausreden, sie hätten diese Dinge irgendwo in einem verlassenen und geländegängigen Wagen gefunden, Mylady«, entgegnete Parker würdevoll. »Die Polizei müßte die Männer nach einer kurzen Befragung wieder auf freien Fuß setzen.« »Richtig, gut, Mister Parker, daß Sie es einsehen.« Sie schien fast zu glauben, daß diese Warnung von ihr stammte. »Sie sollten nicht immer so schrecklich spontan handeln.« »Sehr wohl Mylady.« Parker war nicht zu erschüttern, seine Stimme klang unverändert höflich. »Mylady gedenken, die kommende Nacht im Hotel zu verbringen?« »Das will gründlich überlegt sein, Mister Parker. Und was ist, wenn ein echtes Ufo erscheint?« »Mylady würden sich dies kaum jemals verzeihen.« »Eben, Mister Parker.« Sie nickte grimmig. »Nach dem Dinner werden wir ein wenig durch die Nacht fahren. Einfach so. Ich bin fest davon überzeugt, daß etwas passieren wird, ich spüre es schon jetzt in den Fingerspitzen.« * Die Nacht hatte es tatsächlich in sich. Nach dem Dinner befanden Lady Simpson und Butler Parker sich wieder im hochbeinigen Monstrum des Butlers und fuhren durch die Malvern Hills. Es dauerte nur knapp eine halbe Stunde, bis sie in Richtung Fromes Hill einen orangefarbenen Schein feststellten. »Das sieht sehr echt aus, Mister Parker«, fand die Detektivin. – »In der Tat, Mylady«, räumte Parker ein. »Worauf warten Sie dann noch?« fragte sie gereizt. »Meiner bescheidenen Ansicht nach, Mylady, dürfte ein ähnli58
cher Lichtschein bald weiter südlich zu sehen sein.« »Sie wissen wieder mal alles im voraus, nicht wahr?« Die Sechzigjährige grollte verärgert. »Keineswegs, Mylady«, entgegnete Parker gemessen, »ich bin allerdings so frei, mich an die Straßenführung zu halten. Danach müßte sich das bewußte Ufo bald in Ashperton befinden.« »Vielleicht haben Sie recht, also dann nach Ashperton, Mister Parker.« »Darf ich mich erkühnen, Mylady die Ortschaft Ledbury vorzuschlagen?« »Was sollen wir denn dort?« Sie konnte ihre Ungeduld kaum noch zügeln. »Die eben erwähnte Straße gabelt sich in Ledbury, Mylady«, erwiderte Josuah Parker. »Von dort aus werden die Weltraumpiloten wahrscheinlich wieder die nördliche Richtung einschlagen.« »Ihre Besserwisserei geht mir manchmal auf die Nerven, Mister Parker.« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit zerknirscht.« »So fahren Sie schon los. Also nach Ledbury, weil Sie ja wieder mal Ihren Kopf durchsetzen müssen. Hoffentlich spielt das Ufo Ihnen einen Streich.« Parker steuerte sein hochbeiniges Monstrum durch die Nacht nach Ledbury und verließ dort die Landstraße. Er wählte einen passablen Feldweg, der auf eine bewaldete Bergkuppe führte. Hier stellte er seinen Wagen hinter einigen Sträuchern ab. »Das Ufo, Mylady«, sagte er wenig später und reichte Lady Agatha das Nachtglas. Er deutete mit der Schirmspitze diskret in Richtung Ashperton, das sie vor etwa zwanzig Minuten hinter sich gelassen hatten. Dort, versteckt von einem Waldstück, glomm ein erst schwacher, dann jedoch immer intensiverer Lichtschein auf. Und durch die Nacht war ein schwaches Sirren zu hören. »Ist das das falsche Ufo?« fragte Agatha Simpson unsicher. »Eine endgültige Antwort wage ich nicht zu geben, Mylady«, entgegnete der Butler. »Der stetige Wechsel zwischen echten und falschen Ufos trübt das, was man die Urteilskraft zu nennen pflegt.« »Es klingt sehr echt«, fand die Lady. »Hoffentlich haben Sie sich nicht getäuscht, Mister Parker. Nach Ihrer Behauptung muß dieses Ding ja bald in der Nähe erscheinen, wie?« Der Lichtschein drüben in Ashperton war inzwischen intensiver 59
geworden, doch Parker interessierte sich kaum dafür. Er war mit anderen Dingen beschäftigt. Er hoffte, daß Chief-Superintendent McWarden sich durchgesetzt hatte. Er hatte mit ihm vereinbart, daß die Polizei zwar reagierte, aber stets mit einer Verspätung. Sie sollte die Anrufe verunsicherter Bürger entgegennehmen und auch Streifenwagen ausschicken, doch sie sollte sich hüten, zu engen Kontakt mit dem falschen Ufo aufzunehmen. Ferner hatte Parker darum gebeten, keine Autokontrollen durchzuführen. Die Gangster um Steve Brent sollten Spielraum behalten und so in die Lage versetzt werden, ihren eigentlichen Coup zu planen und zu landen. »Aus«, sagte Lady Simpson jetzt nervös. »Das Licht ist weg. Hoffentlich brauche ich mich gleich nicht zu ärgern.« »Das falsche Ufo müßte nach meinen bescheidenen Berechnungen in etwa zwanzig Minuten in der näheren Umgebung erscheinen, Mylady.« »Ich hoffe es für Sie, Mister Parker.« Die ältere Dame warf einen Blick auf ihre reich verzierte Sprungdeckeluhr, die an einer dünnen Silberkette um ihren Hals hing. Nur einem aufmerksamen Beobachter wäre übrigens aufgefallen, daß sie diese Uhr sehr vorsichtig öffnete. »Die zwanzig Minuten sind fast verstrichen«, sagte Agatha Simpson dann. »Darf ich Mylady auf das Geräusch eines Wagenmotors aufmerksam machen?« erwiderte Parker. »Es kommt unten von der Landstraße.« »Und… entfernt sich, Mister Parker«, sagte sie streng. »Mit einer kleinen Verspätung sollte man immer rechnen, Mylady«, antwortete Josuah Parker. »Darf ich mir erlauben, Mylady inzwischen eine kleine Erfrischung anzubieten?« »Warten Sie«, sagte sie leise und lauschte in die Nacht, »haben Sie das gerade gehört?« »Nicht unmittelbar und direkt, Mylady.« Parker hatte überhaupt nichts gehört. »Da, sehen Sie doch!« Die Detektivin marschierte vom schützenden Wagen weg und hielt auf den sanften Hügel jenseits des Feldweges zu. Butler Parker war inzwischen ebenfalls aufmerksam geworden. Der bereits sattsam bekannte Lichtschein glühte unten in einem kleinen Bachtal. Magischer und unheimlicher hätte solch ein Lichtschein nicht sein können, er schien außerirdischen 60
Ursprungs zu sein. Wesentlich irdischer hingegen waren dann die drei Geschosse, die der älteren Dame um die Ohren pfiffen. Diesmal brauchte Parker Mylady nicht zu Boden zu bringen, um sie vor weiteren Geschossen zu beschützen. Lady Agatha war irritiert worden und stolperte. Mit einem Aufschrei verlor sie den Halt unter ihren an sich recht großen Füßen und landete im taunassen Gras. Ihr Fluch, der daraufhin folgte, hätte einen mit allen Wassern gewaschenen Lastwagenfahrer noch erröten lassen. * »Tun Sie gefälligst etwas«, verlangte sie, nachdem sie sich aufgerafft hatte. »Würden Mylady es vorziehen, in den Wagen zu steigen?« Butler Parker hatte nach dem Mordversuch geistesgegenwärtig gehandelt und das hochbeinige Monstrum blitzschnell vor seiner Herrin aufgebaut. Einen wirkungsvolleren Schutz gegen weitere Geschosse gab es im Augenblick überhaupt nicht. Parkers Wagen war erstaunlich gut gepanzert und verfügte über schußsichere Scheiben. Der Butler half der älteren Dame hoch und drückte sie in den Fond des Wagens. Sie ließ es mit sich geschehen und war plötzlich sehr schweigsam, ein sicheres Zeichen dafür, daß Lady Simpson inzwischen sehr wohl begriffen hatte, wie knapp sie ihrem Tod entgangen war. Parker legte den Rückwärtsgang ein und ließ den hochbeinigen Wagen rasant nach hinten weggleiten. Ihm ging es darum, erst mal aus der unmittelbaren Gefahrenzone zu kommen, denn er rechnete mit weiteren Überraschungen. Er sollte sich nicht verrechnet haben! Dort, wo das ehemalige Londoner Taxi eben noch gestanden hatte, detonierte ein Sprengkörper, der zumindest eine Handgranate gewesen sein mußte. Eine zweite Detonation folgte unmittelbar darauf. Zwei Rauchsäulen stiegen vom Boden hoch, wirbelten Erdreich, kleine Steinbrocken und Grasboden durch die Luft. Der Wagen des Butlers befand sich aber bereits in Sicherheit. Parker bremste scharf, wendete und schaltete wieder hoch, während er die jeweiligen Tourenzahlen voll ausnutzte. Er wollte so 61
schnell wie möglich von dieser Kuppe herunter und wählte einen Weg, der keiner war, wie sich schnell herausstellte. Nun erst zeigte sich das wahre Können des Butlers. Er slalomte mit seinem Wagen durch das Gewirr der Bäume und Sträucher, ohne die Geschwindigkeit auch nur in etwa zu drosseln. Um die Lady vermochte er sich in diesen Sekunden nicht zu kümmern, er konnte nur hoffen, daß sie noch Zeit gefunden hatte, sich anzuschnallen. »Sind… Sind Sie wahnsinnig?« hörte er endlich ihre Stimme, die über die Sprechanlage nach vorn drang. »Sie bringen mich noch um.« »Keineswegs, Mylady«, antwortete Parker in seiner kühlen und beherrschten Art. Er saß stocksteif am Steuer, als habe er wieder mal einen Ladestock verschluckt. »Wenn Mylady gestatten, möchte ich weiteren Anschlägen vorbeugen.« Wie richtig sein Verhalten war, zeigte sich. Oben auf der Kuppe des Hügels befand sich eine Person, die über viel Kraft verfügen mußte. Sie schleuderte noch ein paar zusätzliche Handgranaten dem davonpreschenden Wagen nach, ohne aber diese Wurfgeschosse wenigstens einigermaßen richtig plazieren zu können. Das hochbeinige Monstrum war bereits zu weit weg und wurde zusätzlich noch von den Bäumen geschützt. Die Explosionskörper verfingen sich im Gewirr der Baumstämme und detonierten weit vor ihrem Ziel, das, ohnehin nur noch zu erahnen war. Butler Parker hatte nämlich inzwischen die Wagenlichter ausgeschaltet. »Gratulation«, meinte Agatha Simpson dann, als Parker hielt. »Ihre Vorausberechnungen haben wunderbar gestimmt, Mister Parker, Kompliment! Direkter kann man wohl gar nicht in eine Falle laufen!« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit äußerst schuldbewußt«, erwiderte der Butler. »Die Gegenseite scheint ähnlich gedacht zu haben wie meine Person.« »Und dann noch diese Flucht!« Lady Simpson war verärgert. »Das möchte ich nicht noch mal erleben. Ich höre förmlich das donnernde Gelächter dieser Subjekte.« »Eine andere Möglichkeit bot sich in der gebotenen Eile leider nicht«, entschuldigte sich Parker. »Wahrscheinlich dürfte Mister Brent eine Art Voraustrupp losgeschickt haben, während er weiter zurück ein Ufo vortäuschte.« 62
»Was gedenken Sie jetzt zu tun, Mister Parker?« Sie hatte sich von ihrer Betroffenheit längst schon erholt und gab sich wieder tatendurstig. »Man sollte vielleicht ins Landhotel zurückkehren«, schlug Parker vor. »Inzwischen dürften die Gangster den Schauplatz verlassen haben.« »Sind Sie so sicher?« »Sie müssen mit einer Rückkehr rechnen, Mylady, mit einer Rückkehr unter anderen Vorzeichen. Darauf werden sie es kaum ankommen lassen.« »Hoffentlich stimmen Ihre Vorhersagen wenigstens jetzt«, stichelte die ältere Dame. »Sonst warten nämlich weitere Handgranaten auf mich.« »Dem ließe sich vorbeugen, Mylady«, entgegnete Parker. »Falls Mylady einverstanden sind, könnten Mylady den Wagen übernehmen, während ich mir erlauben werde, zu Fuß vorauszugehen.« »Das klingt noch nicht mal so schlecht, aber das wollte ich Ihnen ohnehin gerade vorschlagen. Ich werde diese Subjekte ablenken.« Parker wendete das hochbeinige Monstrum und überließ seiner Herrin das Steuer. Er tat es nicht besonders gern, denn er kannte das Temperament Lady Simpsons nur zu gut. Geriet sie erst mal in Rage oder Eifer, dann war sie kaum mehr zu bremsen. »Nun gehen Sie doch endlich«, sagte sie ungeduldig. »Sollen die Gangster sich die Sache etwa noch anders überlegen?« Parker nahm den Bambusgriff seines Universal-Regenschirms korrekt über den angewinkelten linken Unterarm und war wenig später in der Dunkelheit des Waldes verschwunden. Außer Sichtweite der älteren Dame verzichtete er auf Gemessenheit, zumal es ihm darum ging, einen erklecklichen Vorsprung zu erzielen. Falls es zu gewissen Kampfhandlungen kommen sollte, wollte er sie beendet wissen, wenn Lady Agatha eintraf. Parker konnte tatsächlich schnell sein. Mit der Geschmeidigkeit eines durchtrainierten Sportlers schritt er aus und brachte den Hang spielend leicht hinter sich. Dabei bewegte er sich mit der Lautlosigkeit eines Wildes. Hin und wieder blieb er stehen, um seine nähere Umgebung genau zu prüfen. Seine Augen hatten sich längst an die herrschenden Lichtverhältnisse gewöhnt. Hören konnte er leider nur das 63
Röhren des Motors, den Lady Simpson immer wieder wütend aufrauschen ließ. Dann war die Kuppe erreicht. Butler Parker beschrieb einen Halbkreis und beobachtete das Strauchwerk drüben am Feldweg, der hinauf zur Kuppe führte. Fast glaubte er schon, daß die Gangster das Feld geräumt hatten, doch dann entdeckte er praktisch im letzten Moment das Aufglühen einer Zigarette, deren Glut nur unvollkommen von einer schützenden, hohlen Hand verdeckt wurde. Die Gangster warteten! * Es waren zwei mittelgroße Männer, die Parker den Rücken zukehrten. Er hatte sich vorsichtig an sie herangepirscht und wartete auf den richtigen Moment, um sie außer Gefecht zu setzen. Dieser Augenblick war seiner Ansicht nach noch nicht gekommen. Parker wußte nicht, ob noch weitere Gangster in der Nähe waren. Die beiden Männer trugen Sportmützen und dunkle Trenchcoats. Sie rauchten und unterhielten sich leise miteinander. »… der Boß vorausgesagt hat«, äußerte der größere der beiden Männer gerade und lachte leise. »Die beiden Typen kommen doch tatsächlich zurück, hätte ich nicht gedacht.« »Die denken, wir hätten uns längst verdrückt«, meinte der zweite Mann. »Mensch, werden die sich gleich wundern!« »Noch mal fallen wir aber auf die Rußwolke nicht herein.« »Nee, man lernt immer aus.« Ein leises Lachen folgte. »Gleich ist es soweit.« »Wir decken die Karre sofort mit Handgranaten ein.« »Und ich setze die beiden Molotow-Cocktails unter den Schlitten.« Die Männer waren durchaus keine Wesen von einem anderen Planeten, sondern Gangster dieser irdischen Erde. Ihre Methoden paßten durchaus zu einem Mann, der Steve Brent hieß und der für seine brutale. Rücksichtslosigkeit mal bekannt gewesen war. Der Auftrag dieser beiden Männer lautete: Mord! Die Scheinwerfer dieses hochbeinigen Monstrums waren bereits deutlich auszumachen, denn die Lichtkegel stachen zum nächtli64
chen Himmel. Mylady brachte die letzte Steigung hinter sich. Es konnte nur noch wenige Augenblicke dauern, bis sie die Kuppe wieder erreicht hatten. Der größere der beiden Männer nickte seinem Begleiter zu und löste sich aus seinem Versteck. Er griff in die Tasche seines Trechcoats, um einen Sprengkörper hervorzuholen. Für Parker war damit der Moment gekommen, sich einzumischen. Mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines UniversalRegenschirms langte er durchaus herzhaft zu. Er traf den Hinterkopf des zurückgebliebenen Mannes, der keinen Laut von sich gab, sondern sofort zusammenrutschte. Der andere Mann schien dennoch etwas gehört oder aber auch nur geahnt zu haben, denn er fuhr blitzschnell herum und wurde von dem Bambusgriff vorn auf der Stirn getroffen. Butler Parker bemühte eine seiner privaten Handschellen und koppelte die beiden Männer aneinander. Dann leerte er deren Manteltaschen und stellte einige Eierhandgranaten und zwei Ginflaschen sicher, deren Inhalt aus Brandsätzen bestand. Inzwischen war das hochbeinige Monstrum auf der Kuppe angelangt. Der Wagen wurde, von Mylady gestoppt, die Scheinwerfer wurden abgeschaltet. Parker hielt eine der Handfeuerwaffen der beiden Gangster in der rechten, schwarz behandschuhten Hand. Falls sich jetzt doch noch ein dritter oder gar vierter Gangster sehen ließ, mußte er sofort schießen. Die Lage war in diesen Sekunden äußerst prekär. Wenn die beiden von ihm ausgeschalteten Gangster Handgranaten und Molotow-Cocktails mit sich führten, besaßen weitere Kumpane ebenfalls solche Kampfmittel. Nun, es blieb alles ruhig. Parker wurde allerdings ein wenig nervös, als eine Wagentür geöffnet und ungeniert zugeschlagen wurde. Lady Agatha war ausgestiegen und schaute sich wahrscheinlich neugierig und erwartungsvoll um. Parker hüstelte ein wenig und machte sich so bemerkbar. »Wo stecken Sie denn?« rief die ältere Dame aufgekratzt. »Haben Sie die Lümmel erwischt?« Ihr wurde wieder mal nicht bewußt, in welcher Gefahr sie sich befand. Sie marschierte auf das erneute Hüsteln zu und bot ein wunderbares Ziel. Parker verließ das schützende Dunkel und eilte seiner Herrin entgegen, um sie mit seinem Körper wenigstens einigermaßen zu schützen, falls die Lage es erforderte. 65
»Nun?« fragte sie, als Parker sie erreicht hatte. »Zwei Gangster, Mylady«, erwiderte Parker. »Würden Mylady sich zweckmäßigerweise dort in Deckung begeben? Noch dürfte die allgemeine Lage unübersichtlich sein.« »Papperlapapp, Mister Parker, Sie übertreiben mal wieder«, lautete ihre wegwerfende Antwort. »Man kann die Vorsicht auch übertreiben. Zeigen Sie mir diese Subjekte!« Parker bugsierte Lady Agatha ins Dunkel des Unterholzes zurück und deutete dann mit der Schirmspitze auf die beiden Männer, die noch immer nicht zu sich gekommen waren. »Sie geben doch hoffentlich zu, daß Sie sie ohne mich niemals erwischt hätten, nicht wahr?« fragte sie zufrieden. »In der Tat, Mylady«, erwiderte Josuah Parker. »Ich möchte mir erlauben, mich bei Mylady nachdrücklich zu bedanken.« »Schon gut, schon gut«, sagte sie großzügig. »Übertreiben Sie nicht gleich! Entweder man hat’s oder man hat’s nicht. Das hier war ja auch eine recht brave Arbeit, mehr allerdings auch nicht, um ehrlich zu sein!« * »Der Wagen, den sie benutzten, ist in Worcester gestohlen worden«, sagte Chief-Superintendent McWarden, »aber das hatten wir ja wohl alle erwartet, nicht wahr?« Butler Parker und Lady Simpson hatten die beiden Gangster zur Polizei nach Worcester gebracht. Normalerweise hätten sie sich höchst privat mit ihnen befaßt, wie das in London meist der Fall war, doch hier in einer fremden Umgebung hatten sie einfach keine Möglichkeit, zwei so gefährliche Burschen sicher unterzubringen. Während McWarden noch sprach, erschien Chief-Inspektor Pains im Büro und schüttelte bereits den Kopf, als er die Tür hinter sich schloß. »Keine Aussagen«, meinte er. »Die beiden Kerle schweigen sich aus. Ich glaube nicht, daß man etwas aus ihnen herausholen kann.« »Konnte ihre Identität bereits festgestellt werden?« erkundigte sich Butler Parker. »Die Ermittlungen laufen bereits. In spätestens einer Stunde 66
wissen wir mehr.« »Ich frage mich, warum man Sie um jeden Preis umbringen will, Mylady.« McWarden sah die ältere Dame abschätzend an. Er vermied es, in diesem Zusammenhang auch von Parker zu sprechen. Mordanschläge bezog Lady Agatha grundsätzlich auf sich allein. »Man weiß eben, wie unbequem ich bin«, gab sie zurück. »Diese Subjekte müssen mich kennen.« »Was durchaus den Tatsachen entspricht, Sir.« Parker nickte zustimmend, aber nur andeutungsweise. »Vor etwa gut einem Jahr hatten Mylady bereits mit Steve Brent zu tun.« »Tatsächlich?« wunderte sie sich. Sie konnte sich nicht erinnern. »Mylady klärten seinerzeit einen Raubüberfall«, redete Parker weiter. »Es war ein an sich belangloser Fall. Mitarbeiter des erwähnten Mister Brent raubten die Kasse des Golfklubs aus.« »Richtig«, fiel Agatha Simpson ihm ins Wort. »Diese Lümmel gehörten zu Brents Bande?« »Indirekt, Mylady.« Parker schüttelte vorsichtig den Kopf. »Die beiden Täter arbeiteten für eine Organisation, die ihrerseits von Brent finanziert und eingesetzt wurde. Daraus aber ergibt sich eindeutig, daß Steve Brent sehr wohl weiß, wie gefährlich Mylady sind.« »Sie haben sein Versteck hier noch immer nicht finden können?« wunderte die Detektivin sich und maß Chief-Inspektor Pains mit einem herablassenden Blick. »Es existieren leider nur alte Fotos von Brent«, meinte Pains hastig und duckte sich unter diesem Blick. »Meine Leute klappern sämtliche Pensionen und Hotels ab, aber das alles braucht seine Zeit.« »Dürfte ich die Aufnahmen mal sehen?« bat Parker. Er ließ sich einige Abzüge von Pains geben und studierte das Gesicht des Gangsters. »Sie sind über den Bildgeber von London gekommen«, sagte Pains. »Es ist übrigens ein Gesicht, das man auf Anhieb eigentlich erkennen müßte.« Pains hatte den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf getroffen. Das Gesicht Steve Brents zeichnete sich durch eine Nase aus, die man nur noch als einen mächtigen Zinken bezeichnen konnte. Zwerg Nase wäre mit solch einem Riechinstrument gut bedient 67
gewesen. Sie besaß zusätzlich noch einen Höcker, der ein wenig zur Seite gerutscht war. »Du lieber Himmel«, sagte Lady Simpson, nachdem auch sie sich eines der Fotos angesehen hatte. »Vor lauter Häßlichkeit ist dieses Gesicht ja schon fast wieder schön. Sehen Sie sich mal die Augenstellung an. Ein lauernder Fuchs sieht dagegen direkt wie eine Betschwester aus.« Auch, das war keineswegs übertrieben. Die Augen drückten Mißtrauen, Aggression und Brutalität aus. Steve Brent war möglicherweise nur deshalb zum Gangster geworden, weil die Natur ihn mit solch einem Gesicht, ausgestattet hatte. Butler Parker ließ sich Brents genaue Personenbeschreibung geben, die zu diesen Fotos gehörte. Tabellarisch war hier vermerkt, was zu Brents gesamtem Aussehen noch zu sagen war. Parker überflog die Angaben und nahm interessiert zur Kenntnis, daß Brent ein steifes Knie besaß und einen leichten Sprachfehler hatte. Der Butler erwähnte diese Dinge nicht, reichte die Personalbeschreibung an Pains zurück und machte sich dann gewisse Gedanken, die sich um einen angeblichen Roboter drehten. * »Sehr enttäuschend, Mister Parker«, stellte Lady Agatha mißmutig fest, als man zurück nach Malvern fuhr. Sie drehte sich immer wieder um und hielt Ausschau nach eventuellen Verfolgern, doch sie konnte nichts entdecken, was ihr Mißtrauen geweckt hätte. »Meiner bescheidenen Vermutung nach wird man Mylady vor dem Landhotel erwarten«, antwortete Josuah Parker. »Vielleicht hat Mister Brent sich aber auch entschieden, Mylady nicht weiter zu belästigen.« »Und warum sollte er plötzlich so denken?« »Es besteht die Möglichkeit, Mylady, daß Mister Brent schon in den kommenden beiden Tagen seinen Coup landen möchte.« »Zahltag, nicht wahr?« Die ältere Dame hatte sofort verstanden. »In der Tat, Mylady!« Parker nickte. »Zudem dürfte Mister Ste68
ve Brent inzwischen über einen gewissen Personalmangel zu klagen haben.« »Wie kommen Sie denn darauf?« »Mister Brent hat inzwischen immerhin drei seiner Leute abbuchen müssen, Mylady.« »Wie viele wird er noch haben?« »Möglicherweise zwei oder drei Mitarbeiter, Mylady. Sie müßten ausreichen, das falsche Ufo aufzubauen.« »Hoffentlich ist dieser Unsinn bald vorüber«, seufzte die ältere Dame. »Ich möchte mich endlich den wirklichen Ufos widmen. Falls sie inzwischen nicht vertrieben wurden.« »Damit ist auf keinen Fall zu rechnen, Mylady.« Parker ging auf den Seufzer und die Befürchtungen seiner Herrin ein. »Die falschen Ufos dürften von den Besatzungen der tatsächlichen Ufos längst registriert worden sein. Daraus ergibt sich, daß die Außerirdischen bleiben werden, um die Lichtphänomene zu untersuchen.« »Es wäre zu wünschen, Mister Parker. Ich bin ja schließlich hierher gefahren, um mich den Ufos zu widmen. An einen Kriminalfall hatte ich doch überhaupt nicht gedacht.« Während der munteren Plauderei hatte man sich bereits Malvern genähert. Parker minderte die Geschwindigkeit seines hochbeinigen Monstrums und hielt dann vor einem anderen Ferienhotel an. »Haben Sie einen Verfolger entdeckt?« erkundigte sich Lady Simpson hoffnungsfroh. »Das ist leider nicht der Fall, Mylady.« Parker deutete hügelaufwärts und zeigte auf das Landhotel, in dem sie wohnten. »Dort so einfach vorzufahren, Mylady, beinhaltet ein gewisses Risiko.« »Das klingt aber sehr schön«, freute sich die ältere Dame. »Mit einem Feuerüberfall ist durchaus zu rechnen, Mylady.« »Auch mit Eierhandgranaten, ich weiß.« Sie wurde schon wieder ungeduldig. »Dann unternehmen Sie gefälligst etwas dagegen, Mister Parker, aber ich möchte jetzt dinieren.« »Wären Mylady damit einverstanden, den Rest des Weges zu Fuß zurückzulegen?« »Sie übertreiben wieder mal die Vorsicht«, mäkelte die Detektivin. »Gut, wenn Sie darauf bestehen, gehe ich halt zu Fuß, aber es wird nichts einbringen.« 69
»Darf ich weiterhin vorschlagen, auf die Benutzung der Zufahrt zu verzichten, Mylady?« »Ich soll mich seitwärts durch die Büsche schlagen?« fragte sie verärgert. »Was muten Sie mir eigentlich zu? Vor Gaunern und Gangstern habe ich mich noch nie versteckt.« »Man könnte sie auf diese Art und Weise überraschen, Mylady.« »Das klingt schon bedeutend anders und besser«, entgegnete sie und beruhigte sich wieder. »Gehen wir, Mister Parker, müssen Sie denn immer gegen das sein, was ich vorschlage?« »Mylady verzeihen.« Parker zuckte mit keiner Wimper. »Meine bescheidene Wenigkeit dürfte einem Mißverständnis zum Opfer gefallen sein.« Sie verließen das hochbeinige Monstrum und verschwanden in der Dunkelheit der Bäume und des Parks, der bereits zum Landhotel gehörte. Lady Agatha bemühte sich um die Lautlosigkeit und Geschmeidigkeit eines erfahrenen Jägers, doch daraus wurde nichts. Sie arbeitete sich wie ein Bulldozer durch diverse Hecken und entwickelte dabei auch durchaus den Lärm eines solch mächtigen Baugerätes. * Es kam zu keinen Zwischenfällen. Steve Brent, falls dieser Gangsterboß seine Hände im Spiel hatte, was ja noch nicht sicher war, schien eine kleine Gefechtspause eingelegt zu haben. Mylady saß relativ sicher in der Nische der kleinen Empfangshalle und erfrischte sich erst mal. Ein Kellner hatte ihr gerade einen Kognak gebracht, den sie genießerisch schluckweise zu sich nahm. Butler Parker hatte sich entschuldigt. Er wollte hinauf in die Suite seiner Herrin und auch sein eigenes Hotelzimmer kontrollieren. Falls man es nämlich mit Steve Brent zu tun hatte, mußte man nach wie vor mit bösen Überraschungen rechnen. Brent war seinerzeit in London immer gut für tödliche Tricks gewesen, ja, sie hatten eigentlich sogar seinen Ruf begründet. Josuah Parker befand sich auf der Rückseite des Landhotels und sondierte hier erst mal die allgemeine Lage. Er nahm sich Zeit, denn unnötige Hast konnte tödlich sein. Als er einigermaßen sicher sein durfte, daß kein Gangster lauernd in der Nähe war, 70
zeigte Josuah Parker Eigenschaften, die man ihm wohl kaum zugetraut hätte. Er verwandelte sich aus dem Stand heraus in einen äußerst geschickten Fassadenkletterer und benutzte das Spalier, um an der Hauswand hochzusteigen. Seine Schnelligkeit und Geschicklichkeit waren geradezu sprichwörtlich und hätten einen Profi der Unterwelt zutiefst beschämt. Es dauerte nur wenige Minuten, bis Parker den Balkon der Suite erreicht hatte. Er schwang sich über die Brüstung und drückte vorsichtig die Tür auf, wobei er die Spitze seines Universal-Regenschirms benutzte. Er preßte sich fest gegen die Wand, um Schutz vor einer eventuellen Explosion zu genießen. Die Tür schwang auf, alles blieb still. Butler Parker betrat den Wohnraum und holte einen seiner vielen Patentkugelschreiber hervor. Der feine Lichtstrahl tastete sich durch das dunkle Zimmer und blieb an der Zimmertür haften. Und damit hatte Josuah Parker bereits das gefunden, was er insgeheim vermutet hatte: Unterhalb des Türdrehknopfes entdeckte er ein kleines, durchaus harmlos aussehendes Ding von der Größe einer Zigarettenschachtel. Es schien sich um ein wohlverschnürtes Päckchen zu handeln, ein Teil des Bindfadens führte vom Päckchen hinüber zum Türrahmen. Parker löste den Bindfaden, der am Türrahmen mit einer einfachen Heftzwecke befestigt worden war, und suchte weiter. Er blieb vor dem spaltweit geöffneten Kleiderschrank stehen und leuchtete die schmale Öffnung ab. Er wurde erneut fündig und entdeckte auch hier einen dünnen Bindfaden, der von innen aus die beiden Schranktüren miteinander verband. Josuah Parker holte eine kleine Nagelschere aus einer der vielen Westentaschen und durchschnitt diesen Faden. Erst dann öffnete er vorsichtig mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms die beiden Schranktüren. Auf der Innenseite der linken fand er eine zweite Zigarettenpackung, verschnürt wie das Päckchen an der Tür. Parker legte es zum ersten und suchte hartnäckig weiter. Die Gangster hatten seiner bescheidenen Ansicht nach nicht gespart und sich diese Aktion etwas kosten lassen. Josuah Parker entdeckte noch ein drittes Päckchen an der Tür zum Badezimmer. Er entsicherte und entfernte es. Ihm war natürlich klar, daß diese kleinen Päckchen erstklassigen Sprengstoff enthielten. Am Tod der älteren Dame schien man mehr als nur 71
oberflächlich interessiert zu sein. Anschließend ging Parker zurück auf den kleinen Balkon, stieg auf das Spalier an der Hauswand und stattete auf diesem ungewöhnlichen Weg auch seinem wesentlich kleineren Zimmer einen Besuch ab. Auch hier wurde er fündig. Die Tür zu seinem Zimmer und zum Bad waren ebenfalls präpariert worden. »Nun?« fragte Lady Simpson angeregt, als Parker vor ihrem Tisch erschien. »Sie haben natürlich wieder mal zu schwarz gesehen, nicht wahr?« »Die Gangster scheuten weder Kosten noch Mühen«, antwortete Butler Parker höflich. »Es war mir vergönnt, fünf Sprengkörper aufzuspüren, die an taktisch gut gewählten Stellen angebracht worden waren.« »Sind Sie sicher, alle gefunden zu haben?« fragte die Detektivin. »Dies, Mylady, wird die nähere Zukunft erweisen«, antwortete Josuah Parker höflich und gemessen. »Es liegt durchaus im Bereich der Möglichkeit, daß meiner bescheidenen Wenigkeit der eine oder andere Sprengkörper entgangen ist.« »Sie haben eine seltsame Art, Mister Parker, Scherze zu machen.« Die Lady griff ein wenig nervös nach ihrem zweiten Kognak. * »Hat man Sie beobachtet?« fragte Agatha Simpson nach der Stärkung ihres Kreislaufs. »Wahrscheinlich nicht, Mylady«, gab Parker zurück. »Ich möchte davon ausgehen, daß man sonst auf meine bescheidene Wenigkeit geschossen hätte. Selbst in der herrschenden Dunkelheit muß meine Person auf dem Spalier und vor der hellen Hauswand zu sehen gewesen sein.« »Ich hoffe, Sie haben eine kugelsichere Weste getragen, Mister Parker.« »In der Tat, Mylady!« Parker nickte. »Sie schränkte meine Bewegungsfreiheit zwar ein wenig ein, doch sie vermittelte mir ein Gefühl der Sicherheit.« Butler Parker hatte diese Weste tatsächlich getragen und sie vor dem Fußmarsch hinauf zum Landhotel aus dem Kofferraum seines 72
hochbeinigen Monstrums geholt. Darin befanden sich noch weitere spezielle Ausrüstungsgegenstände, die im Moment jedoch nicht gebraucht wurden. »Die Gangster warten jetzt wahrscheinlich darauf, daß ich hinauf in meine Suite gehe, wie?« . »Mit Sicherheit, Mylady. Und Sie dürfen davon ausgehen, daß zumindest ein Sprengkörper detonieren wird.« »Wo, glauben Sie, sitzen diese Burschen?« »Wahrscheinlich dort drüben im Speisesaal, Mylady, oder auch in der Hotelbar.« »Diese Subjekte werde ich mir umgehend kaufen, Mister Parker.« Sie erhob sich und zog ein grimmiges Gesicht. »Mylady werden gewisse Schwierigkeiten haben, die Gangster zu identifizieren.« »Ich sehe es diesen Individuen an der Nasenspitze an. Ob Brent auch hier wartet? Mit seiner Nase müßte er doch sofort zu erkennen sein.« »Diese Nase, Mylady, wird wohl kaum noch vorhanden sein.« »Was soll das heißen, Mister Parker?« »Ich habe mir erlaubt, eine Art Theorie zu bilden, Mylady.« »Wahrscheinlich sagen Sie jetzt genau das, woran ich die ganze Zeit über bereits denke, was mir nicht mehr aus dem Kopf geht.« »Mit Sicherheit, Mylady.« Butler Parker nickte. »Daher wollen Mylady wahrscheinlich auch gar nicht erfahren, was ich zu denken mir erlaube.« »Schnickschnack, Mister Parker!« Sie sah ihn gereizt an, denn sie hatte natürlich keine Ahnung, woran Parker dachte. »Reden Sie schon endlich! Ich werde Ihnen später sagen, ob ich mich geirrt habe.« »Mister Steve Brent hat sein Gesicht operieren lassen, Mylady.« »Treffer«, behauptete die ältere Dame und nickte in einer Art, als sei das für sie eine bereits abgeschlossene Sache. »Das Aussehen Mister Brents muß nachhaltig korrigiert worden sein«, redete Parker weiter. »Ich darf an die Nase mit ihrem Höcker erinnern, dann an die Stellung der Augen. Mister Steve Brent dürfte diese Schönheitskorrekturen weitab von London veranlaßt haben.« »Zum Beispiel hier in dieser Region.« Lady Agatha bewies Geistesgegenwart und paßte sich blitzschnell an. »Durchaus möglich, Mylady.« Parker nickte. »Stets im Blick73
punkt der Polizei und konkurrierender Banden wird Mister Brent sein Äußeres völlig verändert haben, wenn man mal von seinem linken steifen Knie absieht.« »Nach gelungener Operation erscheint er wieder in London und ist äußerlich ein völlig anderer Mensch, der sich ungeniert bewegen kann.« »Sehr wohl, Mylady«, bestätigte JOsuah Parker. »Und hier in dieser Region dürfte Mister Brent auch auf die Ufos aufmerksam geworden sein.« »Auf die echten, Mister Parker«, warf Lady Agatha nachdrücklich ein. »Auf die wahrscheinlich echten«, meinte Parker vorsichtig. »Und daraus entwickelte er seinen Plan, einen großen Coup zu landen.« »Sie sagen Wort für Wort das, was ich längst weiß«, behauptete Lady Simpson wie selbstverständlich. »Langsam lernen Sie es, Mister Parker, in größeren Zusammenhängen zu denken.« »Myladys Lob beschämen meine bescheidene Wenigkeit«, erklärte Josuah Parker, ohne eine Miene zu verziehen. »Darf ich in dem erwähnten großen Zusammenhang an die Beobachtung des Nachtportiers erinnern?« »Natürlich dürfen Sie das. Was hat er denn beobachtet?« »Er will einen Roboter hier in der Empfangshalle gesehen haben, Mylady. Dieser Roboter könnte mit Mister Steve Brent identisch sein.« »Sie nehmen mir wieder mal das Wort von der Zunge, Mister Parker.« Sie nickte wohlwollend. »Es wird ja immer besser mit Ihnen. Ich möchte diesen Nachtportier noch mal sprechen.« Parker erhob sich und bat den Mann an Myladys Tisch. Er dienerte heran und freute sich auf ein weiteres großzügiges Trinkgeld. »Zurück zu diesem Roboter, junger Mann«, begann Agatha Simpson. »Er ging steif wie ein Maschinenmensch, nicht wahr?« »Tatsächlich, Mylady.« »Sein linkes Bein war aber Ihrer Ansicht nach nicht ganz in Ordnung, oder? Moment, war es vielleicht das rechte Bein?« »Das linke, Mylady, das linke. Ich kann mich genau erinnern.« »Der Roboter hatte einen Sprachfehler?« schaltete Parker sich ein. »Er redete wie ein Anrufbeantworter, Sir«, sagte der Portier. »Es kann natürlich auch ein Sprachfehler gewesen sein, um ge74
nau zu sein.« »Waren gewisse Narben im Gesicht noch deutlich zu erkennen?« stellte Parker seine nächste Frage. »Jetzt, wo Sie mich danach fragen, erinnere ich mich an ein paar feine Narben. Richtig, er hatte über der Nasenwurzel auch ein Pflaster. Sie glauben, daß es gar kein Roboter gewesen ist?« »Darauf werde ich Ihnen später antworten«, versprach Josuah Parker und belohnte das Erinnerungsvermögen des Nachtportiers mit einer Banknote. »Dieser Herr befindet sich nicht zufällig im Speisesaal oder in der Hotelbar?« »Mit Sicherheit nicht.« Der Nachtportier schüttelte den Kopf. »Aber da sind zwei sehr eigenartige Männer in der Bar, die eigentlich gar nicht in unser Haus passen, wenn ich so sagen darf.« »Eigenartige Männer?« Lady Simpsons Augen verengten sich. »Wieso passen sie nicht hierher ins Hotel?« »Reine Gefühlssache, Mylady.« Der Portier glühte vor Eifer. »Sie geben kaum was aus, sitzen sich schweigend gegenüber und beobachten ununterbrochen die Empfangshalle. Und dann die Kleidung! Noch nicht mal Smokings um diese Zeit! Nein, so etwas paßt nicht zu uns.« »Schon gut, junger Mann.« Mylady entließ den Nachtportier mit einer entsprechenden Handbewegung und langte nach ihrem Pompadour. »Mister Parker, begleiten Sie mich in die Bar! Ich brauche noch eine kleine Erfrischung, vielleicht noch mehr…« »Mylady sollten vielleicht eine gewisse Vorsicht walten lassen«, riet der Butler. »Papperlapapp, Mister Parker, ich weiß wie immer, was ich tue. Diese beiden Burschen werde ich mir gründlich aus der Nähe ansehen. Und wehe, wenn sie sich Frechheiten erlauben sollten!« * Sie hatten kantige und harte Gesichter, trugen schlechtsitzende Anzüge und wirkten recht mürrisch. Sie saßen an einem kleinen Zweiertisch und konnten von hier aus tatsächlich den Eingang gut beobachten. Butler Parker sah sofort, daß sie Schulterhalfter trugen, die auf keinen Fall leer waren. Er ging dicht an dem kleinen Tisch vorbei und hatte hier das Pech, über eine nicht vorhandene Teppichfalte 75
zu stolpern. Er verlor das Gleichgewicht und fiel gegen den Gast, der weiter hinten saß. »Ich bitte, mein Mißgeschick entschuldigen zu wollen«, sagte Parker bedauernd und drückte sich von der Brust des Mannes wieder hoch in die Senkrechte. »Ein alter, müder und relativ verbrauchter Mann hat gewisse Schwierigkeiten, sein Gleichgewicht zu bewahren.« Der Gast bekam überhaupt nicht mit, daß seine Schulterhalfter inzwischen leer war. Parker verfügte über das Können eines erstklassigen Taschendiebes. Die schwere Waffe verschwand bereits in der Wölbung der schwarzen Melone, die Parker beim Betreten der Bar natürlich abgenommen hatte. »Was erlauben Sie sich?« fuhr Agatha Simpson inzwischen den zweiten Mann an, der sie überrascht anschaute. Er hatte nämlich weder etwas getan noch gesagt. »So können Sie mit einer alten Frau nicht reden«, grollte Agatha Simpson gekonnt weiter. »Ich verbitte mir Ihre pornographischen Zweideutigkeiten, ja, ich setze mich dagegen zur Wehr!« Und sie tat es mit Nachdruck! Der völlig konsternierte Mann bekam den »Glücksbringer« zu spüren und war danach nicht mehr in der Lage, nach seiner Waffe zu greifen. Sein Arm war wie paralysiert, und hinzu kam noch ein Schmerz, als sei er von einem auskeilenden Pferd getreten worden. In der recht gut besuchten Hotelbar war man natürlich auf diesen kleinen Zwischenfall aufmerksam geworden, zumal die Lady über ein bemerkenswert lautes und tief gestimmtes Organ verfügte. »Sie sollten sich bei Mylady entschuldigen«, schlug Josuah Parker vor und deutete in die Empfangshalle. »Dort dürfte der geeignete Ort sein.« Die beiden fassungslosen Männer wollten sich rechtfertigen, wollten etwas sagen, doch Parkers Vorschlag wirkte zwingend auf sie. Er ließ Widerspruch erst gar nicht aufkommen, sondern deutete noch mal mit der Spitze seines Universal-Regenschirms nach draußen. Daraufhin setzten die beiden Männer sich in leichten Trab und verließen die Hotelbar. »Damit haben die Lümmel wohl nicht gerechnet, wie?« fragte Agatha erfreut, als man unter sich war. Parker hatte die beiden Männer in einem Vorflur seitlich neben der Rezeption dirigiert. 76
»Was… Was hat das zu bedeuten?« fragte der erste Mann wütend. »Halten Sie gefälligst Ihren Mund, Sie Flegel!« Lady Simpson funkelte den Mann an, der daraufhin fest die Lippen aufeinanderpreßte. »Sergeant Pickels«, stöhnte der andere Mann, der sich den »Glücksbringer« eingehandelt hatte. »Detektive-Sergeant Pickels, Mylady.« . »Wiederholen Sie das noch mal, junger Mann! Sie wollen mich wohl bluffen, wie?« »Wir… Wir sind von der Detektive-Abteilung in Worcester, Mylady«, stöhnte der Mann, der sich Pickels nannte. »Mein Gott, haben Sie einen Eisenträger in dem Handbeutel?« »Stellen Sie sich nicht so zimperlich an«, fauchte Lady Agatha. »Ich habe ja nur andeutungsweise zugeschlagen.« »Mein Oberarm muß gebrochen sein«, stöhnte Pickels. »Unsinn, das scheint nur so.« Agatha Simpson schaltete um und lächelte freundlich. »Mister Parker, können wir das glauben, was man uns da aufbinden will?« »Ich fürchte, Mylady, daß man das Opfer einer recht peinlichen Verwechslung geworden ist.« Parker präsentierte seiner Herrin den Dienstausweis des anderen Polizeidetektivs. »Das macht ja nichts«, entgegnete Lady Simpson wegwerfend. »Irren ist menschlich. Was treiben Sie sich aber auch hier im Hotel herum? Was haben Sie hier zu suchen?« »Wir sind zu Ihrem Schutz abgestellt worden, Mylady«, antwortete der Mann, der fest glaubte, daß sein Oberarm gebrochen sei. »Chief-Inspektor Pains hatte das mit Chief-Superintendent McWarden so verabredet.« »Ich brauche keine Leibwache«, antwortete Lady Agatha und grollte schon wieder. »Scheren Sie sich zurück nach Worcester, richten Sie Mister McWarden aus, daß ich mir jede Einmischung in mein Privatleben verbitte!« Die beiden Polizeidetektive kamen der Aufforderung der älteren Dame sofort nach. Sie hatten es ungemein eilig, das Hotel zu verlassen. Darüber kam Parker gar nicht mehr dazu, die Polizeiwaffe zurückzugeben. Er beließ sie in der Wölbung seiner schwarzen Melone, damit sie ihm nicht unnötig die Taschen ausbeulte. * 77
»Das kommt von Ihrer unnötigen Hast«, räsonierte Agatha Simpson und sah Parker vorwurfsvoll an. »Mir wäre solch ein Irrtum bestimmt nicht passiert.« »Hoffentlich können Mylady meiner bescheidenen Wenigkeit noch mal verzeihen«, antwortete Parker automatisch, denn er kannte Vorwürfe und Behauptungen dieser Art hinreichend gut genug. »Wenn es gestattet ist, möchte ich ein kleines Problem zur Debatte stellen.« »Wollen Sie etwa zwei weitere Unschuldige aus der Bar zerren?« »Irgendwann müßte man die Hotelzimmer aufsuchen, Mylady.« »Ich weiß, ein Mann in Ihrem Alter braucht viel Schlaf«, stichelte Lady Agatha genußvoll. »Beim Öffnen der Zimmertüren muß es zu Detonationen kommen, Mylady. Die Gangster rechnen fest damit.« »Natürlich rechnen sie damit, also lassen Sie sich etwas einfallen. Mit solchen Kleinigkeiten gebe ich mich nicht ab.« »Es könnte zu erheblichen Sachbeschädigungen kommen, Mylady.« »Stellen Sie später einen entsprechenden Scheck aus, Mister Parker, seien Sie doch nicht so schrecklich umständlich. Wir werden jetzt hinaufgehen. Ich möchte endlich sehen, wer zuerst am Tatort erscheinen wird.« »Daraus lassen sich aber nicht mit letzter Gewißheit Schlüsse ziehen, Mylady.« »Keine Sorge, Mister Parker, ich weiß sehr wohl, wie Gangstervisagen aussehen. Im Gegensatz zu Ihnen habe ich eben einen sicheren Instinkt für so etwas.« Sie kümmerte sich nicht weiter um Parker, sondern ging zur Treppe und stieg dann hinauf ins Obergeschoß. Der Butler folgte dichtauf und zerbrach sich den Kopf darüber, wie man jene Männer leimen konnte, die die diversen Sprengladungen installiert hatten. Sie befanden sich samt und sonders in den Falten seines altväterlich gebundenen Regenschirms und brauchten nur aktiviert zu werden. Parker hatte die Ladungen natürlich entschärft und die Zündungen in seinem Zimmer zurückgelassen. Agatha Simpson befand sich inzwischen bereits auf dem Korridor und marschierte zu ihrer Zimmertür. Als sie den Schlüssel ins 78
Schloß steckte, erschien Parker neben ihr. »Nun, ist Ihnen endlich was eingefallen?« fragte sie spöttisch. »Wenn Mylady gestatten?« Parker drehte den Schlüssel um und bewegte sehr vorsichtig den Türknauf. Er drückte die Tür nur um Wenige Millimeter auf. »Was soll das?« fragte Lady Simpson erstaunt. »Die Herren Gangster versetzten sich bereits einmal in meine bescheidene Gedankenwelt«, antwortete Parker. »Möglicherweise haben sie es jetzt erneut getan.« »Ich… Ich verstehe kein Wort.« »Wenn Mylady so freundlich sein würden, ein wenig zurück und dort hinter dem Wäscheschrank in Deckung zu gehen?« »Ist Ihnen nicht wohl, Parker? Es war alles zuviel für Sie, nicht wahr?« »Bitte, Mylady.« Mehr sagte Parker nicht mehr, doch das reichte bereits. Lady Agatha ging ein Stück den Korridor hinunter und baute sich hinter dem Wäscheschrank auf, der in einer flachen Nische stand. Butler Parker preßte sich gegen die Wand des Korridors und hatte die Absicht, die Tür mit der Spitze seines Regenschirms aufzustoßen. Doch dann kamen ihm offenbar gewisse Bedenken. Er fürchtete wohl um seinen Schirm. Er schaute sich um und entdeckte auf einer der Fensterbänke eine Blume, die in einem ansehnlichen Übertopf steckte. Er nahm sie an sich, ging noch wesentlich weiter in Richtung Mylady zurück und warf den Blumentopf dann kräftig und geschickt gegen die Tür. Das Resultat war frappierend! Die Tür schwang auf, und die unmittelbar darauf folgende Detonation ließ das Haus erzittern. Eine dichte Wolke aus Mörtelstaub und Blumenerde, die mit Steinbrocken und Holzsplittern durchsetzt war, schoß durch den Korridor und nebelte erst mal alles ein. Butler Parker hüstelte diskret und klopfte sich einige lästige Brocken und Staubschleier von seinem schwarzen Zweireiher. Dann suchte er Lady Simpson auf, die wesentlich lauter und nachdrücklicher hustete. »Guter Gott«, sagte die Detektivin dann beeindruckt. »Woher haben Sie das gewußt?« »Eine Eingebung, Mylady.« »Ich… Ich glaube, mein Kreislauf gerät etwas in Unordnung«, 79
gestand sie und bemühte sich um Haltung. Ihr war durchaus klar, wovor Parker sie bewahrt hatte. »Darf ich die Erfrischung vielleicht ein wenig später servieren, Mylady?« fragte Parker höflich. »Auf der Treppe scheinen sich bereits die ersten Besorgten und Neugierigen zu nähern. Man müßte jetzt möglichst die richtige Wahl treffen!« * Butler Parker entschied sich für einen Mann, der sich auffällig im Hintergrund hielt und keineswegs übermäßige Neugier zeigte. Dieser Mann stand auf dem oberen Treppenabsatz und sah den männlichen Gästen zu, die auf die halb eingestürzte Zimmerwand liefen. Dabei wedelte er sich mit der linken Hand den Mörtelstaub vom Gesicht. Es zeigte sich, daß er Handschuhe trug. »Eine ausgezeichnete Arbeit«, sagte Parker. Der Mann, fuhr blitzschnell herum und wollte eindeutig nach seiner Waffe greifen, die sich in einer Schulterhalfter befinden mußte. Er ließ es allerdings sein, als er in die Mündung der Polizeiwaffe blickte, die Parker in der linken Hand hielt. »Was… Was wollen Sie eigentlich von mir?« fragte der Mann, der etwa dreißig Jahre alt war. Er gab sich aggressiv und überheblich. »Zuerst mal Ihre Schußwaffe«, antwortete Parker. »Übrigens, war es Ihre Idee, eine zweite Sprengladung an der Tür anzubringen?« »Sind Sie verrückt?« brauste der junge Mann auf und lauerte förmlich auf eine Möglichkeit, den Butler zu überlisten. Ihm war entgangen, daß Lady Simpson hinter ihm stand. Sie hatte ihre Deckung hinter dem Wäscheschrank verlassen. In ihrer linken Hand pendelte bedrohlich der perlenbestickte Pompadour. »Sie verwechseln mich«, sagte der junge Mann jetzt und gab sich wesentlich friedlicher. Für den Butler war das das Zeichen, daß der junge Mann gleich zum Angriff überging. Er wollte sein Gegenüber jetzt nur in Sicherheit wiegen. Es kam, wie Parker es sich gedacht hatte. Der junge Mann nutzte eine heranwallende Staubwolke, um nach dem Butler zu schlagen. Er brachte seinen Schlag zwar an, doch er traf nicht die richtige Stelle. Seine Faust prallte gegen die 80
Wölbung der schwarzen Melone. Ohne jeden Übergang führte der Angreifer daraufhin eine Art Steptanz aus. Dazu produzierte er Heultöne, die an einen Rocksänger älterer Schule erinnerten. Parker konnte diese Reaktion durchaus verstehen und verhielt sich abwartend. Die Wölbung der schwarzen Melone war nämlich mit Stahlblech ausgefüttert und hatte die kinetische Energie des Boxhiebes voll absorbiert. Die Fingerknöchel des Dreißigjährigen waren zumindest ein wenig deformiert und gestaucht worden. »Kommen Sie«, bat Parker, nachdem der Tanzende sich beruhigt hatte, und deutete auf seine Zimmertür. »Ich schlage vor, man unterhält sich in aller gebotenen Ruhe.« »Worauf warten Sie eigentlich noch?« erkundigte sich Lady Agatha und klatschte ihren Pompadour gegen den Rücken des Sprengstoffsachverständigen. Der Mann legte sich daraufhin fast waagerecht auf die Luft und schoß auf die Tür zu Parkers Einzelzimmer zu. Hier bremste er sich mit fast schon rauschenden Schuhabsätzen ab. Dieses Intermezzo zwischen Lady Simpson, Butler Parker und dem jungen Mann war von den übrigen Menschen auf dem langen Korridor unbemerkt geblieben. Einmal hatten sie ausreichend mit dem verwüsteten Zimmer zu tun, zum zweiten wallten immer noch dichte Rauchwolken umher, die eine Art schützenden Nebel bildeten. »Schließen Sie auf, treten Sie ein«, forderte Parker seinen Gast auf. »Seien Sie im vorhinein herzlichst begrüßt?« Er drückte dem Mann den Zimmerschlüssel in die noch gebrauchsfähige Hand und trat dann sicherheitshalber zur Seite. Der junge Mann zögerte, hustete und wandte sich zu Parker um. »Falls Sie es vergessen haben sollten«, schickte Parker höflich voraus und deutete auf das Schlüsselloch. »Durch das Einführen und das anschließende Drehen des Schlüssels läßt das Schloß sich aufsperren und die Tür sich öffnen. Dies nur als eventuelle Gedankenstütze.« »Worauf warten Sie denn noch?« erkundigte Lady Agatha sich grollend. »Nun öffnen Sie doch endlich die Tür!« »Ich… Wir… Hören Sie…« Der junge Mann war in ein ausgeprägtes Stottern geraten. »Ich… Ich tu’s nicht«, sagte der junge Mann trotzig. »Ich werde gleich um Hilfe schreien.« 81
»Nun gut, ich werde nicht darauf bestehen, daß Sie sich unnötig inkommodieren«, meinte Josuah Parker und nahm dem jungen Mann den Zimmerschlüssel aus der Hand. Er führte ihn ins Schloß ein und sperrte auf. Dann griff er nach dem Türknauf und drückte den jungen Mann dabei geschickt zwischen sich und die Tür. »Betrachten Sie. sich als Myladys Gast«, sagte er höflich. »Neiiin!« Der junge Mann wurde kreidebleich im Gesicht und warf sich verzweifelt gegen den Butler. »Nein, tun Sie’s nicht!« »Aber es macht mir überhaupt nichts aus«, erwiderte der Butler würdevoll. »Lassen Sie… Lassen Sie mich weg!« Lady Simpson wurde ein wenig unwirsch und legte ihren Pompadour sanft auf die Stirn des jungen Mannes, der daraufhin einige Sterne sah, sein Bewußtsein allerdings nicht verlor. »Sie brauchen unbedingt eine kleine Erfrischung«, sagte Parker. »Ich darf Ihnen versichern, daß ich im Zimmer damit dienen kann. Wenn Sie erlauben, möchte ich die Tür nun wirklich öffnen.« »Spreng… Sprengladung«, keuchte der junge Mann und wollte flüchten, doch er litt noch sichtlich unter der Nachwirkung des »Glücksbringers«, mit dem Lady Agatha ihn behandelt hatte. Seine Beine schienen aus Gummi zu bestehen. »Sagten Sie Sprengstoff?« Parker schüttelte vorsichtig den Kopf. »Sprengstoff«, flüsterte der junge Mann, dem inzwischen der kalte Schweiß ausgebrochen war. »Gehen Sie von der verdammten Tür weg!« »Und wer hat diesen Sprengstoff, wenn überhaupt, veranlaßt?« »Brent, das Schwein.« Der junge Mann hatte alle Hemmungen verloren und stierte auf Parkers schwarz behandschuhte Hand, die auf dem Türknauf ruhte. »Brent? Wer ist denn das?« wunderte sich Parker gespielt. »Mein…, Mein Boß. Er hat mich losgeschickt, ich mußte es tun, sonst hätte er mich umgebracht.« »Und wo findet man dieses Subjekt?« schaltete die ältere Dame sich jetzt ein. Sie nutzte ebenfalls die Gunst des Augenblicks. Der junge Gangster stand noch ganz unter dem Schock dessen, was ihn eventuell erwartete. »Er hat ein Ferienhaus bei Powick gemietet.« Der junge Mann redete hemmungslos und schien tatsächlich die Wahrheit zu sa82
gen. »Und wo findet man es, junger Mann?« fragte Agatha Simpson weiter. »Das Haus mit der grünen Scheune«, kam prompt die Antwort, die nicht erfunden sein konnte. »Gehen Sie doch endlich von dieser verdammten Tür weg, bitte!« »Noch eine letzte Frage«, bat Parker in seiner höflichen Art und Weise. »Wie groß ist die Zahl von Mister Brents Mitarbeitern zur Zeit noch? Ich bin sicher, eine schnelle und ehrliche Antwort wird mich daran hindern, Sie versehentlich gegen das Türblatt zu drücken.« »Noch zwei Leute«, flüsterte der junge Mann. »Alles andere haben Sie ja inzwischen weggefangen!« Die Fahrt hinüber ins nahe Powick dauerte nur fünfzehn Minuten, zumal Parker nicht gerade langsam fuhr. Es bestand immerhin eine gewisse Hoffnung, den Gangsterboß Steve Brent in seinem Ferienhaus zu erwischen. Der junge Bursche, der die Sprengstoffpäckchen an den Zimmer- und Schranktüren angebracht hatte, erwies sich während dieser Fahrt als recht aussagefreudig und redselig. »Brent hat uns von London aus kommen lassen«, sagte er zu Lady Simpson, mit der er hinten im Fond des Wagens saß. Natürlich hatte Parker den jungen Mann in der Entscheidungsfreiheit ein wenig eingeengt. Der Gast im hochbeinigen Monstrum war mit einer privaten Handschelle des Butlers an einer Öse festgehakt worden, die unter der seitlichen Armstütze für solche Zwecke angebracht und kaum zu sehen war. »Wann ist das gewesen?« wollte Lady Agatha wissen. Sie zeigte sich im Moment von ihrer sonnigen Seite. »Vor gut einer Woche, Lady«, redete der junge Mann weiter. »Ich habe früher nicht zu Brents Bande gehört, aber ich bin eben mitgefahren, weil Brent von einer tollen Beteiligung gesprochen hat.« »Er will also demnach irgendwo und irgendwann ein Ding drehen?« Lady Simpson kannte sich in den Fachausdrücken der Unterwelt recht gut aus. »Was er da durchziehen will, weiß ich nicht, aber es muß ein tolles Ding sein.« »Wieso brachten Sie zwei Sprengladungen an, junger Mann?« fragte die ältere Dame freundlich weiter. »Ich muß schon sagen, 83
das war recht geschickt, wirklich.« »Ich hatte gesehen, wie Ihr Butler am Spalier hochkletterte«, kam die erneut prompte Antwort. »Da ist mir sofort ein Licht aufgegangen. Und da habe ich mir gedacht, bringst du eine zweite Garnitur an und… Äh, also, die Ladungen in den Päckchen sind nicht besonders stark, ehrlich nicht. An Mord habe ich nie gedacht, das müssen Sie mir glauben, Lady.« »Und dennoch wurde ein junger College-Student ermordet«, stellte Agatha Simpson fest. Ihre Stimme wurde jetzt schärfer. »Wie ist es dazu gekommen?« »Der Schuß geht bestimmt nicht auf meine Rechnung. Den hat einer von denen abgefeuert… Ich glaube sogar, es ist Brent gewesen.« »Wie kam es zu diesem Schuß?« »Die vier Typen wollten Ärger machen, als wir ihnen das Ufo und den Wagen abnahmen. Und da muß Brent geschossen haben. Ja, ich bin sicher, daß er es gewesen ist. Er schießt ja verdammt schnell.« »Was ist inzwischen aus seiner Nase geworden, wenn man fragen darf?« Parker stellte diese Frage über die Bordsprechanlage nach hinten. »Was für eine Nase?« »Ich meine die Nase des Mister Steve Brent.« »Wieso? Was soll mit ihr sein? Eine völlig normale Nase, finde ich wenigstens.« »Und sein rechtes Knie?« Parker nannte absichtlich das falsche Knie. »Das linke Knie«, korrigierte der junge Gangster umgehend den Butler. »Das zieht er etwas nach, aber er überspielt das meist.« »Waren in Mister Brents Gesicht immer noch gewisse Verletzungen zu erkennen?« »Kaum noch.« Der junge Mann schien von einer Schönheitsoperation nichts zu wissen. »Er sagte, er wäre mit einem Wagen verunglückt und hätte sich da ein paar Schnitte an Land gezogen, aber davon ist kaum was zu sehen.« »Ist es Mister Brent gelungen, den leichten Sprachfehler inzwischen zu überwinden?« »Nee, nicht ganz.« Der junge Gangster schüttelte den Kopf. »Brent redet wie gestochen, wissen Sie! So komisch gestelzt, als müßte er sich jedes Wort erst genau überlegen. Aber trotzdem, 84
eigentlich bin ich froh, wenn ich mit ihm nichts mehr zu tun habe. Der ist nämlich ganz schön hart.« Mehr wollten Lady Simpson und Butler Parker gar nicht wissen. Zudem war die kleine Ortschaft Powick inzwischen erreicht. Parker hielt am Ortseingang an und beugte sich ein wenig vor. »Das Haus dort hinter der Kuppe«, sagte der junge Mann eifrig, »da, wo die Lampe über dem Scheunentor brennt.« »Hoffentlich haben Sie sich nicht geirrt, junger Mann«, erwiderte Agatha Simpson warnend, »ich würde sonst recht ärgerlich werden.« »Nein, nein, das ist das Ferienhaus, Lady. Ich weiß das ganz genau. Hören Sie, Lady, ich meine, weil ich meine Karten doch auf den Tisch gelegt habe, glauben Sie, daß ich mit einem blauen Auge bei den Bullen davonkommen werde?« »Man wird ein mehr oder weniger gutes Wort für Sie einlegen, junger Mann«, verhieß Lady Agatha dem Gangster. »Ihre Bereitschaft zur Mitarbeit war bisher ja nicht zu übersehen. Aber bleiben wir sachlich: Zwei, blaue Augen tun es ja auch, oder etwa nicht?« * »Das Nest war leider leer«, sagte die Detektivin grimmig zu McWarden und Pains. »Ich glaube, wir sind nur eine knappe Viertelstunde zu spät, gekommen.« »Ich werde sofort die Spurensicherung nach Powick schicken«, wurde Chief-Inspektor Pains eifrig. »Wenn Mister Parker etwas schneller gefahren wäre, hätte ich Brent und seine beiden restlichen Subjekte noch erwischen können«, redete Lady Agatha weiter und maß ihren Butler mit einem tadelnden Blick. »Was hätten Sie damit gewonnen, Mylady?« fragte ChiefSuperintendent McWarden. »Brent wäre doch nichts nachzuweisen gewesen. Wie bisher üblich auch. Er braucht doch nur das abzustreiten, was seine ehemaligen Mitarbeiter gegen ihn aussagen.« »Seine Taktik, Mylady, als Mister Brent noch in London operierte«, fügte Josuah Parker hinzu und wandte sich dann an Pains. »Die von Ihnen angedeutete Spurensicherung wird ebenfalls 85
nichts bringen, wenn ich darauf verweisen darf. Warum sollte Mister Brent später abstreiten, dort im Ferienhaus gewohnt zu haben?« »Richtig.« McWarden räusperte sich. »Er hat noch zwei Bandenmitglieder, wenn wir dem Burschen glauben können, den Sie eben gebracht haben. Brent muß jetzt was unternehmen.« »In wenigen Stunden beginnt ein neuer Tag«, schaltete Josuah Parker sich höflich ein. »Damit beginnt einer der beiden Zahltage, wenn ich darauf verweisen darf.« »Man sollte Verstärkung anfordern und das gesamte Gelände der Malvern Hills durchkämmen lassen«, schlug Chief-Inspektor Pains vor. »Während Brent dann in aller Ruhe hier in Worcester seinen Raub durchführt.« Lady Simpson lachte spöttisch. »Nein, nein, warten Sie, bis ein Ufo erscheint und die Telefondrähte glühen!« »Ich verstehe kein Wort, Mylady.« Pains fühlte sich unbehaglich. »Mister Parker wird Ihnen alles erklären«, antwortete die Detektivin. »Ich habe ihm meine Theorie genau auseinandergesetzt.« Das stimmte zwar wieder mal nicht, doch Parker sah keine Veranlassung, seine Herrin zu korrigieren. Ihm war es völlig gleichgültig, von wem ein Plan stammte. Ihn interessierte nur, daß solch ein Plan gut war. »Mister Brent hat das sogenannte Gummi-Ufo in seinen Besitz gebracht, um daraus Kapital zu schlagen«, begann er in seiner gemessenen Art. »Mylady sind der Ansicht, daß dieses Ufo im Laufe des neuen Tages irgendwo in den Malvern Hills zu sehen sein wird, und zwar gelandet. Mit anderen Worten, bei der hiesigen Polizei werden ununterbrochen Anrufe düpierter, erstaunter und wohl auch verschickter Bürger eintreffen. Die Polizei wird selbstverständlich reagieren und einige Streifenwagen in die Malvern Hills schicken.« »Dazu wären wir verpflichtet, wenn solche Anrufe kämen.« Pains nickte. »Mister Brent dürfte diesen kleinen Notstand nützen und seinen Coup landen«, zählte Butler Parker weiter auf. »Er wird sich mit Sicherheit ein besonders wertvolles Objekt aussuchen. Könnten Sie mir eine Firma nennen, Sir, deren Lohngelder besonders hoch sind?« »Das ist die Worcester Food Can Limited, Mister Parker. Und sie 86
hat heute ihren Zahltag.« »Wie werden die Lohngelder in die Firma geschafft und wann?« »Das kann ich Ihnen genau sagen.« Pains öffnete einen Karteikasten in seinem Büro und brauchte nur wenige Sekunden, bis er die betreffende Karteikarte in Händen hielt. »Die Gelder kommen gegen zehn Uhr«, las er von der Karteikarte ab. »Der Kassenwagen wird normalerweise von einem unserer Streifenwagen begleitet. Die Lohnsumme beträgt pro Dekade etwa fünfzigtausend Pfund. Wir haben das auf diesen Einsatzkarten alles genau verzeichnet.« »Nur fünfzigtausend Pfund?« Lady Simpson schüttelte den Kopf. »Für einen Brent ist das doch nur ein Taschengeld! Können Sie mir nichts Besseres anbieten?« »Die Worcester Industrial Bank«, meinte Chief-Inspektor Pains jetzt und griff nach einer weiteren Karteikarte. »Sie versorgt einige kleinere Betriebe und dürfte heute etwa zweihunderttausend Pfund im Tresor haben.« »Gibt es dazu noch eine Steigerung, Sir?« fragte Parker. »Nein, das ist die absolute Spitze«, erklärte Parker. »Ist das unser Objekt, Mister Parker?« fragte Lady Simpson und sah ihren Butler an. »In der Tat, Mylady«, gab der Butler gemessen zurück. »Solch eine horrende Summe dürfte einem Mister Brent entsprechen.« »Dann erwarte ich, daß jeder seine Pflicht tut«, befahl Lady Agatha mit energischer Stimme. »Sobald die ersten Ufo-Alarme hier eintreffen, junger Mann, sollten Sie Ihre Streifenwagen mit Getöse aus der Stadt schicken. Mister Brent muß das Gefühl der Sicherheit haben.« * Es war schon beachtlich, was sich kurz nach zehn Uhr tat. Die Telefonleitungen glühten tatsächlich. Fast ununterbrochen trafen Alarmmeldungen aus den nahen Malvern Hills ein. Aufgeregte Menschen meldeten die Landung eines Ufos und ergingen sich in teilweise geradezu abenteuerlichen Schilderungen. Sie wollten außerirdische Weltraumfahrer neben diesem Ufo gesehen haben und gaben die Zahl dieser Roboter, wie sie sie nannten, von Anruf zu Anruf bis zu zehn Maschinenmenschen an. 87
Pains hielt sich genau an die Absprache. Ein Streifenwagen nach dem anderen jagte durch die Straßen der Stadt und sorgte dafür, daß er auch mehr als deutlich gehört wurde. Sie alle verließen dann in südwestlicher Richtung die kleine Stadt und brauchten von einem cleveren Gangster nur in aller Ruhe gezählt zu werden. In der Straße, in der die Worcester Industrial Bank lag, war ein älteres Ehepaar zu sehen, das gerade einem davonjagenden Streifenwagen verblüfft nachschaute. Die Frau mochte etwa sechzig sein, sie war groß, ging jedoch gebeugt. Sie trug einen wadenlangen, alten, aber sauberen Mantel und ein Kopftuch. Ihr Ehemann konnte sogar noch ein. wenig älter sein. Er schleppte sich mit einem Einkaufsnetz ab, das mit Gemüse und Obst aller Art gefüllt war. Der Mann trug eine Brille und hatte eine schottisch karierte Mütze auf dem Kopf. Der schwere Mantel zerrte offensichtlich an seinen schmalen und schwachen Schultern. Vor dem Eingang zur Worcester Industrial Bank erschien jetzt ein Jeep, an dessen Steuer ein sportlich gekleideter Fünfziger saß. Er trug einen gepflegten Schnurrbart, eine Brille und griff nach einer großen Aktentasche, die auf dem Rücksitz des Jeeps lag. Als er ausstieg, zeigte sich, daß er Schwierigkeiten mit seinem linken Bein hatte. Mit staksigen, betonten Schritten verschwand dieser Mann in der Bank. »Brent, nicht wahr?« fragte die ältere Frau ihren Ehemann. »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady«, erwiderte der angebliche Ehemann, der natürlich Josuah Parker war. »Was werde ich jetzt tun?« wollte Mylady wissen. »Man sollte vielleicht warten, bis Mister Brent die Bank wieder verläßt«, schlug Josuah Parker vor. »Er dürfte die geraubten Gelder dann mit Sicherheit bei sich haben.« »Hoffentlich verlieren Pains Beamten nicht die Nerven«, sagte Lady Agatha. Sie spielte auf die Tatsache an, daß man das Bankpersonal gegen Polizeibeamte ausgetauscht hatte, um jedes Risiko zu vermeiden. »Mister McWarden hat die Herren genau eingewiesen, Mylady«, antwortete Parker. »Übrigens glaube ich, daß die Dinge bereits ihren Gang genommen haben!« In der kleinen Vorhalle erschien der sportlich gekleidete Mann und hatte nun recht schwer an seiner Tasche zu tragen. Er stelzte 88
auf den Jeep zu und sah nun das ältere Ehepaar, das sich in der Höhe des Jeeps befand. Er gönnte den beiden Menschen nur einen kurzen, mißtrauischen Blick und stieg dann in seinen Wagen. Er sah nicht, daß die ältere Dame bereits ihren Pompadour schwang. Als der Fahrer den Zündschlüssel bewegen wollte, ließ Lady Simpson ihren kreisenden Pompadour los und beugte sich interessiert vor. Sie beobachtete die Flugbahn. Der im Pompadour befindliche »Glücksbringer« verfehlte den Hinterkopf des Fahrers nur um Millimeter. Er rauschte am rechten Ohr vorüber und klatschte gegen die hochgestellte Windschutzscheibe. Brent fuhr blitzschnell herum und riß eine kurzläufige Maschinenpistole hoch. Er war noch immer so brutal und schnell wie in seinen besten Londoner Tagen. Er war allerdings nicht schnell genug. Der ältere Mann, eben Josuah Parker, war noch etwas schneller. Er hielt eine Gabelschleuder in der Hand, die er unter seinem schweren Mantel hervorgeholt hatte. In der Lederschlaufe dieses Katapults befand sich eine recht hart gebrannte Tonmurmel, die bereits durch die Luft zischte, bevor Brent den Lauf seiner Waffe regulieren konnte. Diese Tonmurmel platzte über der Nasenwurzel des Mannes auseinander. Der Getroffene blieb für Bruchteile von Sekunden wie vereist sitzen, schielte dann fast furchterregend und rutschte haltlos in sich zusammen. Aus Nebenhäusern kamen mehr oder weniger, durchschnittlich aussehende Männer und kreisten den Jeep ein. McWarden hatte sicherheitshalber noch einige zusätzliche Polizeibeamte verteilt, die sich jetzt mit Brent befaßten, der überhaupt nicht mitbekam, was passierte. »Wenn Sie mich nicht gestoßen hätten, wäre er von meinem Pompadour erwischt worden«, sagte Agatha Simpson ärgerlich zu Parker. »Sie waren wieder mal sehr ungeschickt, Mister Parker.« »Wie Mylady meinen«, gab Parker höflich zurück. »Hoffentlich nehmen Mylady meine bescheidene Entschuldigung an.« *
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»Ein scheußliches Ding«, sagte Agatha Simpson etwa anderthalb Stunden später und ging um das falsche Ufo herum. »Was diese College-Studenten sich da ausgedacht haben! Es ist nicht zu glauben!« Sie waren im hochbeinigen Monstrum des Butlers in die Malvern Hills gefahren und besichtigten das Gebilde aus gummiertem Ballontuch. Nun, Butler Parker gab insgeheim zu, daß die Studenten sich große Mühe gegeben hatten. Das Ufo glich in etwa dem, was man von Ufos bisher gezeichnet oder vage fotografiert hatte. Es handelte sich in der Tat um eine Art Untertasse oder Diskus. Und oben in der Mitte dieses Gebildes war eine Art Kuppel zu sehen, auf die man Bullaugen gemalt hatte. »Den Lichtschein haben die Studenten mit bengalischem Lichtpulver hergestellt«, sagte Chief-Superintendent McWarden. Er war sehr zufrieden. Brent war gefaßt und identifiziert worden. Dieser Fall konnte bereits jetzt zu den Akten gelegt werden. Die bisher abgelegten Geständnisse reichten für eine Anklage und Verurteilung aus. »Ich hatte diesen Bluff von Beginn an durchschaut«, behauptete Lady Agatha abfällig. »Ich wäre auf solch ein Gebilde nie hereingefallen.« »Natürlich nicht, Mylady«, antwortete McWarden höflich. »Sie werden vorerst hier in den Malvern Hills bleiben?« »Selbstverständlich.« Sie nickte. »So schnell gebe ich nicht auf.« »Sie rechnen damit, daß wirkliche Ufos erscheinen werden, Mylady?« »Wer kann das wissen.« Sie räusperte sich. »Ich hoffe, McWarden, Sie verzichten auf jedes impertinente Lächeln.« »So etwas würde ich mir nie erlauben, Mylady«, gab McWarden hastig zurück und, beobachtete den Pompadour in Myladys linker Hand. »Brent hat übrigens zugegeben, diesen armen Teufel von einem Studenten erschossen zu haben.« »Und er hatte auch die Absicht, Mylady und meine bescheidene Wenigkeit in das zu befördern, was man gemeinhin das Jenseits zu nennen pflegt, Sir?« fragte Parker. »Da belasten ihn die Aussagen seiner Leute eindeutig«, entgegnete der Chief-Superintendent und nickte. »Als Sie ins Landhotel kamen, saß er in der Lounge und erkannte Sie sofort. Nun, er hat wirklich alles versucht, Sie umzubringen, Mylady.« 90
»Was wird mit diesem Zerrbild eines Ufos jetzt geschehen, McWarden?« wollte Agatha Simpson wissen. »Es wird in einem Polizeimuseum landen, Mylady. Ihre Theorie hat sich als richtig erwiesen: Brent hat die Ufo-Meldungen gelesen und sofort geschaltet. Ich bin heilfroh, daß wir diesen gefährlichen Burschen endlich hinter Schloß und Riegel bringen können. Für die nächsten zwanzig Jahre dürfte er uns keinen Ärger mehr machen.« »Wenn Sie mich nicht hätten, McWarden.« Lady Simpson lächelte mokant. »Kommen Sie, Mister Parker, mein Bedarf an diesem Ufo hier ist gedeckt!« Sie nickte dem Chief-Superintendent hoheitsvoll zu und ging dann zurück zum hochbeinigen Monstrum des Butlers. »Einen Moment noch, Mister Parker«, sagte McWarden leise. »Glaubt Mylady tatsächlich an Ufos?« »In der Tat, Sir«, gab Parker zurück. »Man darf nur hoffen, daß Mylady recht bald von einem neuen Kriminalfall abgelenkt wird.« »Ich werde daran denken, Mister Parker.« McWarden nickte. »Ich lasse Sie nicht im Stich. In ein paar Tagen werde ich Mylady um Mithilfe an irgendeinem Fall bitten.« »Mein bescheidener Dank ist Ihnen bereits jetzt mehr als gewiß«, erwiderte Josuah Parker und lüftete höflich seine schwarze Melone. Dann folgte er seiner Herrin, die bereits in den Wagen stieg. »Haben Mylady besondere Wünsche oder gar Befehle?« erkundigte er sich, als er am Steuer Platz nahm. »Zurück ins Hotel«, sagte sie. »Ich glaube, daß dieser Standort gut gewählt ist. In der kommenden Nacht werden wir unsere UfoBeobachtungen fortsetzen.« »Was ist denn?« fragte Lady Simpson, als Parker plötzlich scharf bremste. »Würden Mylady freundlicherweise mal dort zum Hügel hinüberblicken?« Parker deutete mit seinem schwarz behandschuhten Zeigefinger auf eine Anhöhe, die mit Strauchwerk dicht bestanden war. »Ein… Ein Ufo!« Die Stimme der älteren Dame klang fast schon andächtig. »Es hat den Anschein, Mylady.« Parker stieg aus und öffnete die Tür. Lady Simpson fiel fast aus dem Wagen und ließ sich von Parker dann das schwere Fernglas reichen. Sie schnaufte vor Aufre91
gung und verfolgte die flache Scheibe, die in einem sanften Bogen über den Hügel strich. »Ein Ufo«, wiederholte sie. »Ich glaube es einfach nicht, ein Ufo!« Parker glaubte es ebenfalls nicht, sagte aber nichts. Er hatte längst bemerkt, daß dieses Ufo aus einem Spielzeugladen stammte. Gegen den mittäglichen Himmel und bei dieser intensiven Sonnenausstrahlung war der Effekt allerdings beachtlich. »Es könnte sich allerdings auch um ein Spielzeug handeln, Mylady«, meinte er schließlich, als das Ufo hinter den Sträuchern verschwand. »Papperlapapp, Mister Parker, Sie sind ein ungläubiger Thomas!« Sie stieg schwungvoll in den Wagen zurück. »Nun fahren Sie schon endlich los, Mister Parker. Wir müssen dort hinauf!« »Das Ufo erscheint erneut, Mylady.« Parker deutete auf das Spielzeug, das wieder emporstieg und von einer Luftströmung erfaßt wurde. Es wurde hochgerissen, taumelte ein wenig und nahm dann Kurs auf Parkers Wagen. »Es… Es kommt direkt auf uns zu«, sagte die ältere Dame und beobachtete das Objekt intensiv durch das Fernglas. »Das glaubt mir kein Mensch: Ein Ufo, direkt vor meinen Augen!« Es kam immer näher, torkelte erneut und geriet dann aus der Flugbahn. Nicht weit von Parker entfernt, landete das fliegende Objekt im hohen Rasen einer Böschung. »Sind Mylady an diesem Ufo noch weiter interessiert?« fragte Josuah Parker. Inzwischen hatte Lady Simpson nämlich ebenfalls festgestellt, daß sie einer Täuschung zum Opfer gefallen war. »Seien Sie nicht albern, Mister Parker«, meinte sie gereizt. »Fahren Sie endlich weiter! Haben Sie tatsächlich geglaubt, ich hätte nicht gemerkt, daß es sich um ein Spielzeug handelt?« »Ich erlaubte mir, nicht eine Sekunde lang daran zu zweifeln«, gab Josuah Parker gemessen zurück. »Eine Lady Simpson vermag man nicht zu täuschen, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Eben«, sagte sie und schluckte ihre Enttäuschung hinunter. »Man sollte es erst gar nicht versuchen.« Parkers Gesicht blieb unbewegt wie das eines berufsmäßigen Pokerspielers, obwohl er sich amüsierte. Im Umgang mit Lady Agatha hatte er es gelernt, sich noch zusätzlich zu beherrschen.
ENDE 92
Nächste Woche erscheint Butler Parker AUSLESE Band 188 Günter Dönges
PARKER polt den »Rächer«
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