André Gazsó, Sabine Greßler und Fritz Schiemer (Hrsg.) Nano Chancen und Risiken aktueller Technologien
SpringerWienNewYork
MMag. Dr. André Gazsó Institut für Risikoforschung, Universität Wien, Wien, Österreich
Mag. Sabine Greßler Forum Österreichischer Wissenschaftler für Umweltschutz, Wien, Österreich
o. Univ.-Prof. Dr. Fritz Schiemer Dept. für Limnologie und Hydrobotanik, Universität Wien, Wien, Österreich
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2007 Springer-Verlag/Wien Printed in Austria SpringerWienNewYork ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.at Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Sämtliche Angaben in diesem Fachbuch/wissenschaftlichen Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung und Kontrolle ohne Gewähr. Insbesondere Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Eine Haftung der Herausgeber, der Autoren oder des Verlages aus dem Inhalt dieses Werkes ist ausgeschlossen. Textkonvertierung und Umbruch: Grafik Rödl, Pottendorf, Österreich Druck und Bindearbeiten: Druckerei Theiss GmbH, St. Stefan, Österreich Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier – TCF SPIN: 11822615
Mit 35 Abbildungen Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar
ISBN 978-3-211-48644-3 SpringerWienNewYork
EDITORIAL
Die vorliegende Publikation ist aus einer Vortragsreihe über Nanotechnologien und deren gesellschaftlich relevanten Aspekten hervorgegangen, die im Sommersemester 2006 an der Universität Wien abgehalten wurde. Organisiert wurde diese Veranstaltungsreihe – insgesamt sechs Abende – vom Forum Österreichischer Wissenschaftler für Umweltschutz und dem Institut für Risikoforschung der Universität Wien. Das Vorhaben wurde von der Österreichischen NANO Initiative der FFG unterstützt und gefördert. Es gibt im Wesentlichen zwei Gründe, warum Nanotechnologien Gegenstand öffentlichen Interesses sind. Einerseits sind die Erwartungen an dieses Forschungs- und Technologiefeld sehr hoch, Nanotechnologien gelten infolge ihrer universellen Einsetzbarkeit als Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts. Entsprechend hoch sind demnach auch die Investitionen, die derzeit weltweit in diesem Bereich getätigt werden, und zwar nicht nur in den so genannten hochindustrialisierten Ländern, sondern und bezeichnenderweise auch in Schwellenländern, wo offenbar Technologieentwicklung als ökonomischer und sozialer Entwicklungsmotor verstanden wird. Andererseits tauchen im Zusammenhang mit bestimmten Anwendungen seit einiger Zeit auch vermehrt Befürchtungen, jedenfalls jedoch erhebliche Unklarheiten über ihr mögliches gesundheits- und umweltrelevantes Schadenspotenzial auf, wobei einige Aspekte bereits aus vorangegangenen öffentlichen Technologiewahldebatten (Kernenergie, Gentechnik) bekannt zu sein scheinen. Diese Unklarheit ist ein Beweggrund für manche Regierung wie auch für die Europäische Kommission, proaktive Forschungs- und Begleitmaßnahmen zu initiieren und zu unterstützen. Da das Forum Österreichischer Wissenschaftler für Umweltschutz seit seiner Gründung im Jahre 1985 darum bemüht ist, einen interdisziplinären Dialog und eine ganzheitliche Betrachtungsweise der vielschichtigen UmV
weltproblematiken zu fördern, war es naheliegend, das Thema „Nanotechnologien“ zum Gegenstand einer ausgewogenen und fundierten Veranstaltungsreihe auszuwählen. Die Universität Wien kommt als Projektpartner ihrem bildungs- und demokratiepolitischen Auftrag nach, indem sie sowohl den Kenntnisstand über ein neues und hochinteressantes Forschungsfeld erhöht als auch eine aktive Auseinandersetzung mit dessen möglichen politischen, gesellschaftlichen und ethischen Implikationen fördert. Als vor mehr als einem Jahr die ersten internen Diskussionen zu einem entsprechenden Projekt geführt wurden, mussten wir feststellen, dass der Wissensstand über Nanotechnologien und ihren Anwendungen – auch unter Wissenschaftlern – noch sehr gering, das Interesse an diesem Thema und ein entsprechender Diskussionsbedarf jedoch erfreulich hoch waren. Naturgemäß richtet sich die vorliegende Sammlung von Beiträgen zunächst einmal an Wissenschaftler und Studenten aller Disziplinen, selbstverständlich aber auch an alle wissenschaftlich interessierten Menschen, die sich über den Forschungs- und Entwicklungsstand sowie den gesellschaftlichen und forschungspolitischen Kontext der Nanotechnologien ein Bild machen wollen. Sowohl die moderierte Veranstaltungsreihe als auch die daraus entstandene Sammlung von Fachbeiträgen verfolgen das Ziel, eine offene Diskussion über die Anwendungen der Nanotechnologien und deren Entwicklungspotenziale zu fördern und eine qualifizierte Meinungsbildung zu erleichtern. Wenn auch – basierend auf dem interdisziplinären Charakter des neuen Forschungsfelds selbst – eine möglichst breite Fächerung der dargestellten Themen angestrebt wurde, um der hohen Diversität und Komplexität möglicher Anwendungen und deren Auswirkungen gerecht zu werden, musste man sich aus rein pragmatischen Gründen auf einige wenige zentrale Themen beschränken. Das sollte einen leichteren und rascheren Einstieg in die zunächst noch unübersichtliche Welt der Nanotechnologien begünstigen. So wurden also – nach einer allgemeinen Einführung – solche Themen gewählt, die einen verständlichen und möglichst wenig aufwändigen Zugang erlauben, da sie das neue Forschungsfeld jeweils im Rahmen unmittelbar erfahrbarer lebensweltlicher Grundbedingungen darstellen. Die Themenabende waren daher den Bereichen Gesundheit, Umwelt, Wirtschaft, Regulation und Öffentlichkeit gewidmet. Auch die in diesem Buch vereinten Beiträge sind unschwer diesen fünf Schwerpunkten zuzuordnen, auf eine dezidierte Kennzeichnung bzw. entsprechend strikte Kategorisierung der Beiträge wurde jedoch verzichtet. Den Autoren und Autorinnen ist es jedenfalls zu danken, dass sie dem von ihnen abverlangten hohen Grad an Verständlichkeit nicht die dennoch zu erwartende Themenfülle und Gedankentiefe geopfert haben. Armin Grunwald und Torsten Fleischer leiten diese Publikation mit einer dichten, dennoch gut verständlichen und übersichtlichen Darstellung der Nanotechnologien, ihrer Anwendungsfelder und Potenziale, aber auch VI
EDITORIAL
ihrer Risikofelder ein. Innovationen werden vor allem bei der Entwicklung neuer Materialien, in der Medizin und im IKT-Bereich erwartet. Demgegenüber steht eine rege Diskussion über mögliche Gesundheits- und Umweltfolgen dieser Applikationen. Sorgen um einen möglichen Kontrollverlust, über die weitgehend unbekannten Folgen dieser Technologien und die gerechte Verteilung ihres Nutzens werden auch hier die öffentliche Debatten bestimmen. Mit einer Einführung anderer Art, nämlich einer Übersicht über aktuelle Entwicklungen im Bereich geeigneter Messmethoden zum Nachweis von Nanopartikeln und Nanoaerosolen, setzen Wladyslaw Szymanski und Günter Allmaier unmittelbar fort. Die Messung von Nanopartikeln und Nanoaerosolen, insbesondere solche organischen Ursprungs, stellt eine große Herausforderung für die Wissenschaft dar. Die beiden Autoren machen darauf aufmerksam, dass sich maßgebliche Entwicklungen derzeit vor allem im Grundlagenbereich (Nanowissenschaft) abspielen. Wolfgang Luthers Beitrag betont die Bedeutung der Nanotechnologien als wirtschaftlichen Wachstumsmarkt. Für viele Industriebranchen werde nämlich ihre zukünftige Wettberwerbsfähigkeit wesentlich davon abhängen, ob sie die neuen Möglichkeiten, die ihnen durch die Nanotechnologie geboten würden, auch erschließen und für sich nützen könnten, wobei die Verbesserung von bereits bestehenden Produkten und die Eröffnung neuer Marktchancen einerseits durch die Minituarisierung wichtiger Systemkomponenten und andererseits durch gänzlich neue Funktionalitäten, die erst auf nanoskaligem Niveau auftreten, erzielt würden. Da die konkreten Ausgestaltungen und Anwendungen der Nanotechnologien noch nicht bekannt sind, ja zudem mit neuen, bisher unbekannten Effekten zu rechnen ist, muss – wie Arnim von Gleich und seine Koautoren Ulrich Petschow und Michael Steinfeldt erklären – eine Analyse an der Charakterisierung der Hauptlinien der Nanotechnologien selbst ansetzen. In diesem Beitrag werden etwaige Nachhaltigkeitseffekte einiger Anwendungsbereiche der Nanotechnologien in Anlehnung an die Ökobilanzmethodik, die vor allem für den Bereich der Nanomaterialien bereits weit gediehen ist, eingehend dargestellt und diskutiert. Frank von der Kammer und Thilo Hofmann stellen Nutzen und Risiko der Nanotechnologie aus der Sicht der Umweltgeowissenschaften dar, denn in den Umweltwissenschaften wird seit mehr als drei Jahrzehnten intensiv an Prozessen in der aquatischen Umwelt geforscht, die ihren Ursprung im nanoskaligen Bereich haben. Diese Erkenntnisse könnten eine grundlegende Basis liefern, um das Verhalten von industriellen Nanopartikeln abzuschätzen und entsprechende Modelle und Methoden zur Voraussage ihres Umweltverhaltens zu entwickeln. Im anschließenden Beitrag geben Jörg WörleKnirsch und Harald Krug eine Übersicht über den Stand der Risikoforschung und die toxikologische Bewertung von Nanomaterialien, wobei sie sowohl ein mögliches Modell der Risikobewertung vorstellen als auch VII
etwaige Desiderate identifizieren. Zwar sei erst – so schließen die beiden Autoren – auf der Grundlage eines verbesserten Wissens um die möglichen Gefahren im gesamten Lebenszyklus der Produkte eine eingehende Risikoabschätzung möglich, dennoch könnten schon jetzt zumindest einige konkrete Überlegungen zum ökotoxikologischen Risikomanagement von Nanomaterialien gemacht werden. Der Beitrag von Alexandra Fischer und Doris Hirmann rundet den Regulationsschwerpunkt in diesem Buch ab. Aus Sicht der Behörde sind Nanomaterialien nämlich Produkte der chemischen Industrie und fallen demnach in die Zuständigkeit des Chemikalienrechts. Der Beitrag erörtert daher auch die Eignung und Angemessenheit aktueller und zukünftiger gesetzlicher Regelungen aus dem Chemikalienbereich – insbesondere REACH – für den sicheren Umgang mit Nanomaterialien. An den im Wesentlichen umwelttoxikologischen Teil schließt unmittelbar eine Reihe von Artikeln an, die human- und umweltmedizinische Themen zum Inhalt haben. Alexander Haslberger, Judith Schuster und Astrid Gesche erörtern speziell die Problematik des Einsatzes nanotechnologisch hergestellter Substanzen und Materialien in der Lebensmittelproduktion und schlagen zusätzlich und parallel zu der geforderten Verbesserung der Wissensbasis, die für die Entwicklung zuverlässiger Risikobewertungsmethoden notwendig ist, auch die Erarbeitung und Anwendung eines allgemein verbindlichen Code of Ethics für diesen Bereich vor. Gleich danach geben Walter Baumgartner und Barbara Jäckli einen fundierten Überblick über die wahrscheinlichen Entwicklungen nanotechnologischer Anwendungen in der Medizin und den Einfluss der Nanotechnologien in sieben Krankheitsfeldern bis 2020. Die Nanotechnologien werden – so schließen die Autoren in der ersten ihrer acht Thesen – die Medizin bereits in den nächsten 20 bis 30 Jahren deutlich verändern, sowohl in der medizinischen Forschung, in der Diagnose wie auch in der Therapie. Allerdings sei auch zu erwarten, dass sich bestehende Konfliktpotenziale, wie sie sich vor allem im Zusammenhang mit der Gentechnologie bzw. ihren direkten und indirekten Anwendungen in der Diagnose und der Therapie gezeigt haben, verstärken würden. Hanns Moshammer und Peter Wallner gehen aus der Sicht der Umweltmediziner der Frage nach, welche Voraussetzungen ein geeignetes Kontrollinstrumentarium zur Vermeidung möglicher Gesundheitsgefährdungen aufweisen muss. Zu diesem Zweck geben sie eine Übersicht über mögliche Applikationsformen und Wirkmechanismen von Nanopartikeln im menschlichen Körper und kommen unter anderem zu dem Schluss, dass im Falle bestimmter Nanomaterialien hochaktive Stoffe mit sehr spezifischen Eigenschaften produziert und wenigstens langfristig auch in die Umwelt eingebracht werden, über deren Persistenz und Nebenwirkungen bzw. über deren Effekte bei nicht bestimmungsgemäßem Gebrauch derzeit noch kaum Informationen vorlägen. Tierexperimentelle Studien, Untersuchungen am Menschen und epidemiologische Befunde scheinen die ReleVIII
EDITORIAL
vanz von Ultrafeinstäuben als Verursacher von ernsten Gesundheitsschäden des Herz-Kreislauf-Systems und der Atmungsorgane zu bestätigen, wie Manfred Neuberger in seinem Artikel ausführlich darstellt, wobei Nanopartikel beim Menschen zwar weniger entzündliche Abwehrreaktionen auszulösen scheinen als größere Partikel, dafür aber biologische Membranen leichter überwinden. Vor allem gegen Ultrafeinstäube aus Verbrennungsprozessen (Verbrennung fossiler Energieträger, Tabakrauch) scheinen wir bis heute keine ausreichenden Abwehrreaktionen entwickelt zu haben. Den Abschluss der vorliegenden Publikation bildet eine Block von Artikeln, die sich mit der öffentlichen Wirkung des Einsatzes neuer Technologien beschäftigen. Antje Grobes Beitrag fasst die internationalen Entwicklungen der letzten Jahre in der Risikokommunikation an Hand der praktizierten Dialog- und Partizipationsmodelle im Rahmen der öffentlichen Diskussion um die Nanotechnologien zusammen. Wie die Autorin feststellt, hat man in Europa bisher erfolgreich auf Dialoge und die Integration möglichst aller betroffenen Akteursgruppen gesetzt. Die Kommunikation über Nanotechnologien wurde zwischen Chancenförderung und Risiko-Debatte ausbalanciert, wobei bewusst alle Kommunikationsebenen – sowohl die naturwissenschaftlichen Befunde, als auch die psychosozialen Befindlichkeiten und ethischen Zielverhandlungen – berücksichtigt wurden. Im abschließenden Beitrag unternimmt Alfred Nordmann den Versuch einer Entflechtung der Nanotechnologien. Da es uns nämlich unmöglich sei – hält der Autor fest – die Nanotechnologie als ein einheitliches Forschungs- und Entwicklungsprogramm zu denken, müsse der Allgemeinbegriff in spezifische und handhabbare Projekte herunter gebrochen werden. So sollte schließlich dieses Programm der Entflechtung in die aktuelle Zieldiskussion eingreifen und einen Beitrag zur Klärung der Frage leisten, wie mit Hilfe nanotechnologischer Forschung und Entwicklung die Gegenwart – und nicht die Zukunft – korrigiert werden kann. Die vorliegende Publikation, die gleichsam eine Erweiterung wie auch eine Vertiefung des im Frühjahr an der Universität Wien begonnenen Diskussionsprozesses darstellt, ist ein Versuch, für den komplexen Bereich der Nanotechnologien und ihre vielfältigen gesellschaftlichen Implikationen öffentliche Aufmerksamkeit zu erwirken. Es ist kein leichtes Unterfangen komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge ohne Qualitätsverlust anschaulich wiederzugeben. Es ist den Autoren und Autorinnen zu danken, dass dies hier gelungen ist. Somit kann diese Publikation eine Grundlage für eine breitere öffentliche Diskussion bieten, die Polarisationen meidet und sich nicht scheut, alle interessierten Parteien einzubeziehen und alle strittigen Themen vorurteilsfrei aufzugreifen. Da eine gesellschaftlich sinn- und wertvolle Implementation wissenschaftlicher und technischer Entwicklungen wesentlich vom Vertrauen der Bürger in die Validität der Wissensbestände, die Unabhängigkeit der Expertise und der gerechten Verteilung des Nutzens dieser Entwicklungen abhängen, kann eine offene Diskussion über IX
die Chancen und Risiken der Nanotechnologien nicht früh genug anfangen. Die Etablierung einer systematischen begleitenden Risiko- und Sicherheitsforschung, die neben der technisch-naturwissenschaftlichen Risikoanalyse und der ökonomischen Kosten-Risiko-Analyse auch soziale, kulturelle und ethische Risiko- und Sicherheitsaspekte berücksichtigt und in einem integrativen und transdisziplinären Ansatz zu vereinen versucht, wäre die logische Folge daraus und dringend geboten. Wir danken der Fakultät für Lebenswissenschaften, die uns die notwendige Infrastruktur für die Veranstaltungsreihe an der Universität Wien zur Verfügung stellte sowie Birgit Dalheimer vom ORF für die professionelle Moderation. Die Herausgeber
X
VORWORT
DER
ÖSTERREICHISCHEN NANO INITIATIVE
Der Begriff „Nano“ leitet sich vom griechischen Wort für Zwerg (nánnos) ab und ist die Vorsilbe für eine Maßeinheit. Ein Nanometer entspricht 10 –9 Meter. Zum Vergleich stelle man sich vor, dass ein menschliches Haar einen Durchmesser von ungefähr 80.000 nm hat. „Nano“ ist auch ein Sammelbegriff für die Forschung und Arbeit an Strukturen in der Größenordnung von 0,1 nm bis zu einigen 100 nm. Durch die Manipulation von Materie in dieser Größenordnung entstehen besondere chemische, biologische, elektrische, mechanische oder optische Eigenschaften, welche in der makroskopischen Welt neuartige Anwendungen ermöglichen. Diese reichen von Anti-HaftBeschichtungen, leistungsstärkeren Computern, „intelligenter“ Kleidung bis zu neuartigen Verstärkungen für Sportgeräte. Viele Fachgebiete befassen sich mit „Nano“ oder arbeiten sich in den Nanokosmos vor. Das Spektrum umfasst Gebiete der Biologie, Chemie, Physik, Elektronik, Werkstoffwissenschaften, Medizin, Optik, etc. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen diesen Gebieten ist spannend und stellt eine große Herausforderung dar. Mögliche umweltrelevante und gesundheitliche Effekte von Nanomaterialien können von Größe, Form, Oberfläche und chemischer Zusammensetzung abhängen und sind Gegenstand umfangreicher Forschung. Prognosen, wie sich Nanomaterialien auf Mensch und Umwelt auswirken werden, sind auf Basis des derzeitigen Wissens aber schwer abzugeben. Für den Zeitraum 2003–2006 stellt das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie BMVIT insgesamt 35 Millionen Euro für innovative Forschung und Entwicklung, Aus- und Weiterbildung, Vernetzung und begleitende Forschung im Bereich der Nanowissenschaften und NanoXI
technologien zur Verfügung. Neben der nachhaltigen Stärkung der Kooperationen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft sind gerade auch vertrauensbildende Maßnahmen und begleitende Forschungsthemen mit einer objektiven Betrachtung der Chancen und Risiken dieser Zukunftstechnologie ein wesentlicher Schwerpunkt der Österreichischen NANO Initiative. Die vorliegende Publikation ist das Ergebnis einer von der NANO Initiative geförderten Veranstaltungsreihe mit dem Titel „Nanowissenschaften und Nanotechnologien – Chancen und Risken“ in welcher hochrangige Fachleute die Bedeutung von „Nano“ für die Gesellschaft einem breiten Publikum erörterten und sich der Diskussion stellten. Ziel war eine umfassende und sachliche Auseinandersetzung unter Einbindung interessierter Akteure aus Wissenschaft, Industrie, Politik und Öffentlichkeit. Die Österreichische NANO Initiative dankt dem Forum Österreichischer Wissenschaftler für Umweltschutz und dem Institut für Risikoforschung der Universität Wien für die ungemein interessante Gestaltung der Vortragsreihe. Hier konnte ein wichtiger Beitrag zur vertiefenden Diskussion über gesellschafts- und forschungspolitisch relevante Fragestellungen geleistet werden. Wir freuen uns, dass mit dieser Publikation die Vorträge zu den Themengebieten: „Was ist Nano?“, „Nano und Gesundheit“, „Nano und Umwelt“, „Nano und Wirtschaft“, „Nano und Regulation“ sowie „Nano und Öffentlichkeit“ zusammengefasst sind und einer breiten Leserschaft zur Verfügung stehen. Sollten Sie sich für weitere Aktivitäten der Österreichischen NANO Initiative interessieren, werfen Sie einen Blick auf unsere websites: www. nanoinitiative.at und www.ffg.at. Kontakt: Mag. Dr. Margit Haas und DI Regina Korntner FFG Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft mbH Bereich Thematische Programme Sensengasse 1 1090 Wien Tel: +43(0)57755-5080 oder 5081 Fax: +43(0)57755-95080 Email:
[email protected],
[email protected] www.nanoinitiative.at Die Österreichischen NANO Initiative ist ein Förderprogramm der FFG.
XII
INHALTSVERZEICHNIS
Nanotechnologie – wissenschaftliche Basis und gesellschaftliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. GRUNWALD
UND
T. FLEISCHER
Nanopartikel und Nanoaerosole – Messmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . W. W. SZYMANSKI
1
UND
21
G. ALLMAIER
Nanotechnologie als wirtschaftlicher Wachstumsmarkt . . . . . . . . . . .
39
W. LUTHER
Nachhaltigkeitspotenziale und Risiken von Nanotechnologien – Erkenntnisse aus der prospektiven Technikbewertung und Ansätze zur Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.
VON
GLEICH, U. PETSCHOW
UND
Beispiele für Nutzen und Risiko der Nanotechnologie aus der Sicht der Umweltgeowissenschaften – Was wir wissen und was wir lernen müssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F.
VON DER
KAMMER
UND
61
M. STEINFELDT
83
T. HOFMANN
Risikoforschung und toxikologische Bewertung von Nanomaterialien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 J. M. WÖRLE-KNIRSCH
UND
H. F. KRUG
Chemikalienrecht und Regulatorische Toxikologie – Prüfung auf Nano-Tauglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 A. FISCHER
UND
D. HIRMANN
Nanotechnologie und Lebensmittelproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 A. G. HASLBERGER, J. SCHUSTER
UND
A. GESCHE
XIII
Nanotechnologie in der Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 W. BAUMGARTNER
UND
B. JÄCKLI
Gesundheitsrisiken durch Nanopartikel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 H. MOSHAMMER
UND
P. WALLNER
Umweltepidemiologie und Toxikologie von Nanopartikeln (Ultrafeinstaub) und Feinstaub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 M. NEUBERGER
Europa setzt auf Dialoge: Neue Wege der (Risiko-)Kommunikation für Nanotechnologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 A. GROBE
Entflechtung – Ansätze zum ethisch-gesellschaftlichen Umgang mit der Nanotechnologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 A. NORDMANN
Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
XIV
NANOTECHNOLOGIE –
WISSENSCHAFTLICHE BASIS UND GESELLSCHAFTLICHE FOLGEN A. GRUNWALD
UND
T. FLEISCHER
Nanotechnologie gilt als Forschungsfeld mit revolutionären Möglichkeiten der Innovation in verschiedensten Anwendungsfeldern. Zunächst wird erläutert, wodurch sich Nanotechnologie auszeichnet und worin ihre wissenschaftliche Basis besteht. Vielfältige Potenziale der Innovation werden vor allem in den Bereichen neuer Materialien, in der Informations- und Kommunikationstechnik und im medizinischen Bereich gesehen, jeweils mit einer Fülle von Anwendungsfeldern. Neben den erheblichen Potenzialen sind jedoch auch Risikofelder zu beachten. Vor allem Gesundheits- und Umweltfolgen künstlich hergestellter Nanopartikel, aber auch Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und Sorgen vor einem möglichen Kontrollverlust des Menschen über die Technik begleiten die Nanotechnologie. Schlüsselworte: Nanotechnologie, Potenziale, Risiken, Visionen Nanotechnology – scientific fundament and social impacts Nanotechnology is regarded as an emerging field of innovation with possibly revolutionary impacts. In this paper, we characterize the key issues of nanotechnology and its scientific fundament. Potentials for innovation driven by advances in nanotechnology research are expected in the fields of new materials, in information and communication technologies (innovative approaches and architectures), as well as in the life sciences and medicine. Risks, however, cannot be excluded. Especially the unknown consequences of nanoparticles in the natural environment and for human health are currently under consideration. Furthermore, 1
questions of equity and concerns about technology becoming increasingly autonomous are part of the debate. Keywords: Nanotechnology, potentials, risks, visions
1. CHARAKTERISIERUNG DER NANOTECHNOLOGIE Der Begriff der Nanotechnologie hat sich seit ca. zehn Jahren als Oberbegriff für eine Reihe avancierter Wissenschafts- und Technikrichtungen etabliert, deren Gemeinsamkeit darin besteht, gezielte Analyse und Manipulation in einer Größenordnung zu erlauben, die bislang menschlichem Zugriff verschlossen war: in der Nanometer-Dimension (nm). Ein Nanometer entspricht einem milliardstel Meter. In der Größenordnung von einigen Nanometern liegen z.B. komplexe Moleküle wie die DNA oder einfache Viren. Vielfach wurde versucht, „Nanotechnologie“ genauer zu definieren oder wenigstens in ihren Inhalten zu umreißen. Diese Versuche sind auf den ersten Blick relativ ähnlich, zeigen aber bei detaillierter Analyse deutliche Unterschiede (Schmid et al. 2003). Zudem ist offen, ob und in welchem Umfang Nanotechnologie verwandte oder benachbarte Gebiete wie z.B. Mikroelektronik oder Biotechnologie einschließt, und wo sie sich von ihnen abgrenzt. Es hat sich bislang keine Definition als allgemein anerkannt durchgesetzt (Decker et al. 2004). Wir verwenden im Folgenden eine pragmatische Definition, nach der Nanotechnologie als Sammelbegriff für Techniken für und mit nanoskaligen Systemen (das sind Systeme, die in mindestens einer Dimension einen Größenbereich zwischen 1 und 100 nm aufweisen), fungiert, die zielgerichtet und individuell (und nicht „nur“ statistisch in Form einer großen Menge) analysiert und manipuliert werden können, z.B. zur Gestaltung von Oberflächeneigenschaften, § bei denen größenspezifische neue Effekte und Eigenschaften beobachtet oder erzeugt werden können, wie z.B. quantenmechanische Effekte (Schmid et al. 2006), § welche wenigstens der Intention nach – worauf der Wortbestandteil „Technologie“ hinweist – technisch nutzbar gemacht werden (können oder sollen). §
Dahinter steht die Idee des technischen Operierens auf der Ebene von Atomen und Molekülen,1 einer Ebene, die bislang nur dem chemischen und damit statistischen Zugriff auf eine große Zahl von Atomen und Molekülen offen stand. Ermöglicht wurde diese (beginnende) „Eroberung“ des Nanokosmos unter anderem durch neuartige physikalische Analyse- und Mani1 „The principles of physics, as far as I can see, do not speak against the possibility of maneuvering things atom by atom“ (Feynman 1960).
2
NANOTECHNOLOGIE – WISSENSCHAFTLICHE BASIS UND GESELLSCHAFTLICHE FOLGEN
pulationstechniken wie die Rastersonden- und Rasterkraftmikroskopie. Die Rastertunnelmikroskopie (STM), welche den quantenmechanischen Tunneleffekt zur Messung von Abständen nutzt, wurde 1981 erfunden. Rasterkraftmikroskopie (AFM) und Rastersondenverfahren sind hoch spezialisierte Weiterentwicklungen, die das Abtasten von Oberflächen auf der Basis stark entfernungsabhängiger elektrischer Potenzialverteilungen möglich machen. Auf diese Weise können „Bilder“ von Oberflächen auf der Nanometerebene, d.h. letztlich auf der Ebene von Atomen, erzeugt werden. Wenn die Abtast„nadel“ sodann nicht nur zur Beobachtung und Messung, sondern als eingreifender „Finger“ für Manipulationen genutzt wird, dann ist – wenigstens theoretisch – ein „Shaping the World Atom by Atom“ (NNI 1999) möglich. Dabei ist jedoch häufig umstritten, ob Nanotechnologie wirklich „Technologie“ ist. Weder handelt es sich bei der Nanotechnologie im engeren Sinne um eine Technologie oder eine Gruppe von Technologien, noch können damit zurzeit in nennenswertem Umfang marktgängige Produkte und Verfahren beschrieben werden. Vielmehr stellt der Begriff der Nanotechnologie einen eher forschungspolitisch und forschungsorganisatorisch geprägten Terminus dar, der zu einem großen Teil auch Grundlagenforschung beinhaltet. Manche Forscher bevorzugen daher die Begriffe nanosciences bzw. Nanowissenschaften. Diese sind, wenn auch der Ausgangspunkt der Nanotechnologie in Entwicklungen liegt, die aus der Physik heraus betrieben worden sind, generell durch ein Überschreiten klassischer Grenzen zwischen Physik, Chemie, Biologie und den Ingenieurwissenschaften gekennzeichnet. Diese interdisziplinäre Ausrichtung kennzeichnet Nanotechnologie von Beginn an und hat teilweise bereits Konsequenzen bis hinein in die universitären Studiengänge. Nanotechnologie hat in den letzten Jahren auch eine Karriere als öffentlicher und medialer Begriff gemacht und Einfluss bis hinein in Kunst und Literatur ausgeübt. Das möglich gewordene Design von Materialien auf atomarer und molekularer Ebene und, damit verbunden, die Erzeugung und Nutzung von teilweise völlig neuartigen Produkteigenschaften sowie die weitere Miniaturisierung von Komponenten, Produkten und Verfahren bis hin zum Bau von „Nanomaschinen“ sind faszinierend und eröffnen weit reichende Anwendungsmöglichkeiten (Kap. 2). Allgemein wird von der Nanotechnologie ein bedeutender Einfluss auf den Güter- und Arbeitsmarkt des 21. Jahrhunderts erwartet. Nanotechnologie gilt teils gar als Grundlage einer „dritten industriellen Revolution“. Aus diesen Gründen ist Nanotechnologie in den letzten Jahren in den Mittelpunkt eines regen wissenschaftlichen, forschungspolitischen und zunehmend auch medialen und öffentlichen Interesses geraten. Standen dabei zunächst ausnahmslos die erwarteten positiven Eigenschaften im Mittelpunkt, so hat sich – in einer pluralen Gesellschaft nicht überraschend – mittlerweile auch eine eigene Risikodebatte zur Nanotechnologie entwickelt A. GRUNWALD UND T. FLEISCHER
3
(Kap. 3). Dementsprechend sind sozialwissenschaftliche Untersuchungen angelaufen, haben Debatten über Regulierung begonnen, sind eine Reihe von Arbeiten der Technikfolgenabschätzung zur Nanotechnologie für verschiedene Fragen und Adressaten angefertigt worden (z.B. Paschen et al. 2004, Schmid et al. 2006) und wurden ELSI (ethical, legal, societal implications) Aktivitäten zur Nanotechnologie gestartet (z.B. Nanoforum 2004). Im Zusammenhang mit den „Converging Technologies“ (Roco und Bainbridge 2002, Nordmann 2004) werden diese Untersuchungen immer stärker auf die Auswirkungen auf den Menschen und die Zukunft seiner „Natur“ fokussiert, wodurch dieser Ast der gesellschaftlichen Debatte über Nanotechnologie zu einer generellen Diskussion über die Zukunft des Menschen Anlass gab (dazu Kap. 4).
2. INNOVATIONSPOTENZIALE UND ANWENDUNGSFELDER Mit der Nanotechnologie verbindet sich die Hoffnung auf bedeutende Umsatzpotenziale in fast allen Branchen der Wirtschaft (Luther und Malanowski 2004). Zwar steckt die Marktdurchdringung von nanotechnologischen Verfahren und Produkten noch in den Anfängen, eine Reihe von Produkten und Verfahren hat jedoch bereits den Weg in den Markt gefunden. Methodisch schwierig ist jedoch die Quantifizierung der dadurch erreichten Wertschöpfung. Das Datenmaterial zur wirtschaftlichen Bedeutung der Nanotechnologie ist – nicht nur in Deutschland – noch sehr lückenhaft. Auch die Berechnungspraxis ist unterschiedlich, etwa bei Bezug auf die direkten Umsätze mit Nanokomponenten oder die Umsätze mit Produkten, die unter Einsatz von Nanotechnologie hergestellt wurden. Häufig wird mit Patentanalysen gearbeitet, um prospektive Aussagen zu besonders innovationsträchtigen Feldern zu gewinnen (Schmid et al. 2006, Kap. 4). Unter Innovationsgesichtspunkten entscheidend sind die Hebelwirkung der neuen Technologien und ihre vielfältigen Auswirkungen in verschiedensten Anwendungsbereichen. Deren antizipative Erfassung ist allerdings noch erheblich schwieriger als die Einschätzung der direkten Marktpotenziale. Bereits kursierende Zahlenwerte zum Umsatz mit Nanotechnologieprodukten in den nächsten Jahren und zu darauf aufbauenden Arbeitsplatzzahlen sind daher mit äußerster Vorsicht zu genießen (Schmid et al. 2003). Viele Potenziale und Folgen lassen sich bislang nur unter großen Unsicherheiten einschätzen. Nach gängiger Einschätzung sind die Bereiche mit den weitestreichenden Innovationspotenzialen der Nanotechnologie: Neue Materialien (2.1), Information/Kommunikation (2.2) sowie die Lebenswissenschaften/Medizin (2.3). 2 2
In diesem Kapitel können die wesentlichen Potenziale in diesen Bereichen nur kurz angedeutet werden. Für detailliertere Informationen vgl. Paschen et al. 2004 sowie Schmid et al. 2006. 4
NANOTECHNOLOGIE – WISSENSCHAFTLICHE BASIS UND GESELLSCHAFTLICHE FOLGEN
2.1. NEUE MATERIALIEN Entwicklung, Herstellung und Verarbeitung neuer Materialien für innovative Anwendungen bilden die Grundlage für Innovationsansätze in praktisch allen wichtigen Technikfeldern und stehen in engem Zusammenhang mit der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung. Die Verkleinerung von Materialstrukturen in den Nanometerbereich hinein führt häufig zu neuen, überraschenden Eigenschaften von Werkstoffen, die makroskopisch beim gleichen Material nicht auftreten. Deutlich höhere Härte, Bruchfestigkeit und -zähigkeit bei niedrigen Temperaturen sowie Superplastizität bei hohen Temperaturen, die Ausbildung zusätzlicher elektronischer Zustände, hohe chemische Selektivität der Oberflächenstrukturen und eine deutlich vergrößerte Oberflächenenergie lassen sich technisch nutzen und sind ein wesentliches Motiv für weitere öffentliche und private Forschung in diesem Bereich. Durch den kontrollierten Aufbau von Materialstrukturen aus atomaren und molekularen Bausteinen lassen sich funktionale Eigenschaften gezielt einstellen. Besondere Relevanz hat dies für die Oberflächenbehandlung, da relativ dünne Schichten über wichtige Oberflächeneigenschaften entscheiden. Durch den Zusatz von Nanopartikeln zu konventionellen Lacken ergeben sich neue und verbesserte Farbeffekte. Weitere Beispiele sind quasi „selbstreinigende“ Oberflächen, die gleichzeitig hydrophobe und oleophobe Eigenschaften aufweisen. Auch schon im Einsatz befinden sich optischfunktionale Oberflächen für Fassaden, Kraftfahrzeuge, Solarzellen etc. (z.B. zur Entspiegelung, Sonnenschutzverglasung, Antireflexbeschichtung für Instrumententafeln). Über schaltbare bzw. in der Farbe veränderbare Lacke und selbstheilende Lacke wird diskutiert. Entscheidende Materialgrößen (Härte, Verschleißfestigkeit etc.) können durch die Einführung charakteristischer Strukturgrößen im Nanometerbereich gezielt verbessert werden. Beispielsweise verbessert das Einbringen von nanoskaligen Teilchen in Metallen deren mechanische Eigenschaften, womit ein wesentlicher Beitrag zum Leichtbau geleistet werden kann. Einsatzmöglichkeiten von mit Nanopartikeln versehenen Polymeren finden sich in besonders beanspruchten Bereichen des Leichtbaus oder in Hochtemperaturanwendungen, aber auch in Massenanwendungen wie Kunststoff-Gehäusen oder -Verkleidungen. Hervorzuheben sind Keramiken, bisher als ausschließlich spröder Werkstoff bekannt, die durch Nanostrukturierung duktil werden. Für die Praxis ergibt sich daraus eine Vielzahl an Innovationen in der keramischen Technologie. Bei Land- und Luftfahrzeugen könnten herkömmliche Strukturwerkstoffe zum Teil durch festere und leichtere Materialien ersetzt werden. Wesentliche Eigenschaftsverbesserungen sind auch bei Baustoffen (z.B. Hochleistungsbetone) durch Beimischen von Nano-Zusatzstoffen möglich.
A. GRUNWALD UND T. FLEISCHER
5
In der chemischen Industrie werden durch nanotechnologische Verfahren neue Materialien als Katalysatoren erschlossen (z.B. Gold-Nanopartikel) und es eröffnen sich neue Synthesewege in der organischen Chemie. Oberflächenaktive Membranen, nanoporöse (Bio)Filter und Adsorptionsmittel sind aus nanotechnologischer Sicht optimierbar, z.B. zur Abwasseraufbereitung, Schadstoffbeseitigung und Nebenproduktabtrennung. Durch die nanotechnologische Verbesserung bereits verfügbarer Katalysatoren werden Trägerkatalysatoren mit neuen Eigenschaften zugänglich. In Zukunft wird es verstärkt möglich sein, heterogene Katalysatoren für gewünschte Reaktionen maßzuschneidern. Auch für die Energietechnik kann Nanotechnologie neue Entwicklungsansätze ermöglichen. Beispielsweise kann durch den Einsatz nanotechnologischer Werkstoffe in Brennstoffzellen oder der Photovoltaik, aber auch in der konventionellen Kraftwerkstechnik, die Effizienz der Energieumwandlung erhöht werden. Auch die verlustarme Speicherung von Energie, vor allem die effiziente Speicherung von Wasserstoff, stellt eine Herausforderung für die Nanotechnologie dar. Nanomaterialien können zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit von Batterien, von Mini-Akkus (z.B. durch Verwendung von Nanoröhren in Lithium-Ionen-Akkus) und bei elektrochemischen Kondensatoren (Superkondensatoren) genutzt werden. Zudem ist die Kombination von Superkondensatoren mit Batterien auch für Antriebszwecke viel versprechend (z.B. Speicherung der Bremsenergie im Elektromobil).
2.2. INFORMATIONS- UND KOMMUNIKATIONSTECHNOLOGIE Informationsspeicherung und -verarbeitung sind seit Jahrzehnten die treibende Kraft der Miniaturisierung. Traditionelle Technologien stoßen hierbei zunehmend an Grenzen. Auf die Nanotechnologie werden Hoffnungen gesetzt, einen weiteren Entwicklungsschub zu ermöglichen. Die wichtigsten Anwendungsgebiete der Nanoelektronik im Bereich der Informationsverarbeitung und -übermittlung sind elektronische, optische bzw. optoelekronische Bauelemente. Die technisch beherrschte Größenordnung von Logikund Speicherbausteinen in der heute dominierenden Technik verschiebt sich zunehmend in die Nanometerdimension. Photonische Kristalle weisen ein Einsatzpotenzial für rein optische Schaltkreise auf, etwa als Grundlage für eine zukünftige nur auf Licht basierende Informationsverarbeitung. Quantenpunkte und Kohlenstoff-Nanoröhren sind weitere Hoffnungsträger für neue technische Ansätze. In der molekularen Elektronik lassen sich mit Hilfe der Nanotechnologie elektronische Bauelemente mit neuen Eigenschaften auf atomarer Ebene zusammensetzen. Die Vorteile sind u.a. eine potenziell hohe Packungsdichte. Neue Konzepte für Komponenten beruhen vor allem auf der Nutzung quantenmechanischer Effekte für die Realisierung kleinerer oder schnellerer 6
NANOTECHNOLOGIE – WISSENSCHAFTLICHE BASIS UND GESELLSCHAFTLICHE FOLGEN
Bauelemente (Quanten-Computing). Längerfristig werden durch die Nutzung der Nanotechnologie im IuK-Bereich aber auch neue Architekturen möglich. Angesichts der Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologien für die globale Wirtschaft, für die Wissensgesellschaft und im privaten Bereich zeichnen sich hier erhebliche ökonomische Potenziale ab, auch wenn diese Entwicklungen sich aktuell noch in der Forschungsphase befinden, teils in der Grundlagenforschung. Die Forschungsaktivitäten weisen ein beträchtliches Ausmaß auf, was für die Bedeutung des Feldes und seine Zukunftsträchtigkeit spricht.
2.3. LEBENSWISSENSCHAFTEN UND MEDIZIN Grundlegende Lebensprozesse spielen sich im Nanomaßstab ab, da wesentliche Bausteine gerade diese Größenordnung haben (wie z.B. Proteine und die DNA). Der Begriff der Nanobiotechnologie – auch das Wort „Bionanotechnologie“ wird gelegentlich verwendet – ist im Kontext der National Nanotechnology Initiative der USA (NNI 1999) entstanden. Nanobiotechnologie schlägt die Brücke zwischen der unbelebten und belebten Natur und zielt darauf ab, biologische Funktionseinheiten in molekularer Hinsicht zu verstehen sowie funktionale Bausteine im nanoskaligen Maßstab unter Einbeziehung technischer Materialien, Schnittstellen und Grenzflächen kontrolliert zu erzeugen (VDI 2002). Häufig wird unterschieden zwischen „Nano2Bio“, wo es um die Nutzung der Nanotechnologie für die Analyse und Herstellung biologischer Nanosysteme (z.B. subzellularer Strukturen und Vorgänge) geht, und „Bio2Nano“, das für die Nutzung von Materialien und Bauplänen aus lebenden Systemen zur Herstellung technischer Nanosysteme steht. Die Vorgänge in einer Zelle können mit nanotechnologischen Verfahren analysiert und technisch nutzbar gemacht werden. Molekulare „Fabriken“ (Mitochondrien) und „Transportsysteme“, wie sie im Zellstoffwechsel eine wesentliche Rolle spielen, können Vorbilder für kontrollierbare Nanomaschinen sein (Nachtigall 2002, S. 122ff). Auch Mechanismen der Energieerzeugung und Transportsysteme sowie Datenspeicher und Datenlesesysteme großer Kapazität, in denen funktionelle Biomoleküle als Bestandteile von Lichtsammel- und Umwandlungsanlagen, Signalwandler, Katalysatoren, Pumpen oder Motoren arbeiten, stehen im Interesse der Nanobiotechnologie. Um die vielfältigen Potenziale zur gezielten Nutzung biologischer Prozesse für technische Zwecke zu nutzen, sind neue interdisziplinäre Ansätze erforderlich, um zu lernen, wie biologische Nanostrukturen gebaut sind, funktionieren und innerhalb von größeren biologischen Systemen interagieren. Es sind Analyse- und Manipulationswerkzeuge sowie Methoden zu entwickeln, um Bauteile zu schaffen, die aus biologischem und anorgaA. GRUNWALD UND T. FLEISCHER
7
nischem Material bestehen. Diese Schnittstellen und Übergänge zwischen biologischen und anorganischen Systemen auf der molekularen Ebene zu verstehen, ist ein zentraler Schritt in diese Richtung. Große Hoffnungen werden in die Potenziale der Nanotechnologie zur besseren medizinischen Versorgung gesetzt. Mit Hilfe Nanotechnologiebasierter Diagnoseverfahren können möglicherweise Krankheiten oder Dispositionen für Krankheiten früher erkannt werden. Bei der Therapie besteht Aussicht, mit Hilfe der Nanotechnologie gezielte und nebenwirkungsfreie Behandlungen zu entwickeln. Vor allem die breite Anwendung nanopartikulärer Dosiersysteme (drug delivery) könnte zu Fortschritten bei der medikamentösen Behandlung und zur Vermeidung unerwünschter Nebenwirkungen führen. Durch Verfahren der Nanotechnologie kann die Biokompatibilität künstlicher Implantate verbessert werden. Ein interessantes Entwicklungsgebiet stellen nanoelektronische Neuroimplantate (Neurobionik) dar, die Schäden an Sinnesorganen oder am Nervensystem kompensieren. Mikroimplantate könnten die Funktionsfähigkeit von Gehör und Sehsinn wieder herstellen. Die wohl weitreichendste Vision zur Rolle von Nanotechnologie wurde Anfang des Jahrzehnts in den USA vorgestellt. Dort wurden unter den Überschriften „konvergierende Techniken“, Converging Technologies (CT) oder NBIC (nano-bio-info-cogno) convergence Ansätze zur technischen Wiederherstellung oder Verbesserung motorischer, sensorischer oder kognitiver Fähigkeiten des Menschen diskutiert und untersucht. Insbesondere durch die synergistische Kombination emergenter Nano-, Bio- und Informationstechniken mit den Erkenntnissen der Kognitionswissenschaften erschlössen sich technische Ansätze, bislang biologisch begrenzte Fähigkeiten des Menschen erweitern und „verbessern“ zu können oder Alterungsprozesse deutlich zu verlangsamen (Roco und Bainbridge 2002; vgl. auch Kap. 4 in diesem Beitrag). Als Schlüssel für diese vermutete, teils auch postulierte Konvergenz gilt dabei das zielgenaue Operieren auf der Ebene von Atomen und Molekülen, wie es die Nanotechnologie mit ihren Analyse- und Manipulationsverfahren ermöglicht.
3. RISIKEN UND BEFÜRCHTUNGEN Angesichts der genannten Potenziale und der erwartbaren Eingriffstiefe der Nanotechnologie in Entwicklungs- und Produktionsprozesse in der Wirtschaft und in viele technische Produktfelder ist es nicht überraschend, dass ebenfalls gesellschaftliche Folgen, ethische Aspekte und mögliche Risiken der Nanotechnologie thematisiert werden. Im Folgenden werden drei Teilthemen aus dem Spektrum der Themen herausgegriffen: Gesundheitswirkungen von Nanopartikeln (3.1), Aspekte der Verteilungsgerechtigkeit (3.2) und Befürchtungen eines Kontrollverlustes des Menschen über die Technik (3.3). 8
NANOTECHNOLOGIE – WISSENSCHAFTLICHE BASIS UND GESELLSCHAFTLICHE FOLGEN
3.1. GESUNDHEITS- UND UMWELTWIRKUNGEN VON NANOPARTIKELN Am konkretesten ist die Frage nach Gesundheits- oder Umweltrisiken von Nanopartikeln. Beim Übergang in die Nanometerdimension ändern sich – bei gleicher chemischer Zusammensetzung – viele Eigenschaften von Materialien, insbesondere in Abhängigkeit von der Partikelgröße, von ihrer Gestalt und von ihren Oberflächeneigenschaften. Daher kann der Größenübergang zu einem modifizierten Verhalten von Nanopartikeln in der Umwelt oder in lebenden Organismen führen. Die toxikologische Forschung dazu hat bereits eingesetzt und wird mit Nachdruck vorangetrieben, die bisherigen Kenntnisse sind aber noch spärlich und wenig abgesichert (Schmid et al. 2006, Kap. 5). Künstlich hergestellte Nanopartikel werden bereits in Cremes, Pasten, Kosmetika, Zahnpasta, im Bereich der Toner für Drucker und Kopierer, zum Sonnenschutz, in Farben, Lacken und Klebern, als Zusatz in Autoreifen, als Nahrungsmitteladditiva sowie zur Oberflächenimprägnierung eingesetzt. Durch Emissionen während der Herstellung oder beim alltäglichen Gebrauch von Produkten könnten sie in die Umwelt gelangen. Nanopartikel können eventuell auf dem Luftweg über weite Strecken transportiert und diffus verteilt werden. Im Hinblick auf die potenzielle Ausbreitung von Nanopartikeln sind Aspekte wie Mobilität, Reaktionsfreudigkeit, Persistenz, Lungengängigkeit, Wasserlöslichkeit etc. zu berücksichtigen (Colvin 2002). Diese Aspekte sind bislang kaum erforscht, ebenso wie über die Lebensdauer von Nanopartikeln in der Umwelt wenig bekannt ist. Durch Inhalationsversuche an Ratten wurde empirisch gezeigt, dass Kohlenstoff-Nanopartikel beträchtliche Lungenschäden verursachen können. Ihr toxisches Potenzial steigt mit kleiner werdender Partikelgröße und größer werdender Partikeloberfläche. Bei hohen Konzentrationen ist eine hohe Mortalität die Folge, mit der Ursache einer Verstopfung der Hauptatemwege durch Partikel-Agglomerate, nicht also durch mögliche Toxizität der Partikel selbst. Ob diese Ergebnisse etwas über die potenziellen Folgen für Menschen aussagen, lässt sich heute nicht mit Sicherheit sagen. In den menschlichen Körper können Nanopartikel über die Lunge, durch die Haut oder den Verdauungstrakt gelangen. Ihre Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt, insbesondere potenzielle Langzeitfolgen, sind bisher kaum bekannt (Schmid et al. 2006, Kap. 5). Dies gilt auch und vor allem für Stoffe, die in der natürlichen Umwelt nicht vorkommen, wie Fullerene oder Nanotubes. Zu naheliegenden Fragen der Art §
§ §
geht mit Produkten auf Basis von Nanopartikeln überhaupt eine nachweisbare Exposition für den Menschen bei Herstellung, Gebrauch oder Entsorgung einher? auf welchen Wegen erfolgt diese Exposition? ist mit dieser ein Risiko verbunden und wie ist dieses für das jeweilige Produkt (bei kurativen Anwendungen möglicherweise anders als bei kosmetischen) zu bewerten?
A. GRUNWALD UND T. FLEISCHER
9
§
sind neue Vorsorgekonzepte (etwa Arbeitsschutz bei Fertigung und Umgang mit nanoskaligen Partikeln sowie Vorkehrungen zur Vermeidung von deren Freisetzung) notwendig und ggf. bereits in der Entwicklung?
ist in den letzten Jahren eine Vielzahl von Forschungsaktivitäten angelaufen. Im Hintergrund steht unter anderem die Erfahrung mit den gesundheitsschädlichen Auswirkungen des Asbestes, die teils erst Jahrzehnte nach der Exposition gegenüber Asbestfasern in Form von häufig tödlichen Krebserkrankungen erkennbar werden (Gee und Greenberg 2002). Das Nichtwissen über mögliche Gesundheits- und Umweltfolgen hat angesichts dieser und anderer negativer Erfahrungen, vor allem mit Chemikalien, frühzeitig zur Forderung nach einem Moratorium in Bezug auf die kommerzielle Nutzung von Nanopartikeln geführt (ETC 2003). Bis die Datenlage sich verbessert hat, gebietet das Vorsorgeprinzip (precautionary principle) in der Tat einen besonders sorgsamen Umgang mit Nanopartikeln und eine systematische Langzeit-Beobachtung sowie eine kontinuierliche Auswertung des verfügbaren Wissensstandes (Haum et al. 2004). Eine neuere Analyse hat ergeben, dass das Vorsorgeprinzip in der Tat angesichts der Wissensdefizite anwendbar ist (Schmid et al. 2006, Kap. 5.3), das es allerdings keinen hinreichenden Anlass für ein Moratorium gibt. Jedoch lässt sich eine ganze Reihe von Maßnahmen ableiten, um in der aktuellen Situation verantwortungsvoll zu verfahren. Zu diesen Maßnahmen gehören danach § § § § §
§
§
die Entwicklung einer Nomenklatur von Nanopartikeln, um diese nach toxischen und anderen Kriterien klassifizieren zu können, die Empfehlung, Nanopartikel wie neue chemische Substanzen zu behandeln, auch wenn ihre chemische Zusammensetzung vertraut ist, die Entwicklung von Testmethoden, um schnell und vergleichbar erforderliche Daten zu beschaffen, Forschungsaktivitäten, insbesondere in Umweltchemie und Toxikologie, um die Wissensdefizite zu überwinden, die Entwicklung von „good practices“ und entsprechenden Leitlinien im Umgang mit Nanopartikeln, z.B. am Arbeitsplatz, etwa in Form der Minimierung oder Vermeidung der Freisetzung von Nanopartikeln, die ständige Beobachtung und Auswertung des weltweit verfügbaren Wissens über Gesundheits- und Umwelteffekte von Nanopartikeln, um nicht die Versäumnisse der Asbest-Geschichte in dieser Hinsicht zu wiederholen (Gee und Greenberg 2002), die Führung eines offenen und transparenten Diskurses mit der Öffentlichkeit.
Auf diese Weise würde auch eine gute Chance bestehen, gravierende Pannen in der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, wie sie etwa in der Kernenergiedebatte und in der Auseinandersetzung um gentechnisch veränderte Organismen aufgetreten sind, zu vermeiden. 10
NANOTECHNOLOGIE – WISSENSCHAFTLICHE BASIS UND GESELLSCHAFTLICHE FOLGEN
3.2. VERTEILUNGSGERECHTIGKEIT Mögliche Nebenfolgen ganz anderer Art der Nanotechnologie ergeben sich aus gerechtigkeitstheoretischen Überlegungen. Wie werden die Nutzungsmöglichkeiten der Nanotechnologie verteilt sein und welche Folgen wird sie für gesellschaftliche Spaltungen haben (Baumgartner 2004, S. 44f)? Einschlägig zu dieser Frage bereits: „ Nanotech offers potential benefits in areas such as biomedicine, clean energy production, safer and cleaner transport, and environmental remediation: all areas where it could be of help in developing countries. But it is at present mostly a very high-tech and cost-intensive science, and a lot of the current research is focused on areas of information technology where one can imagine the result being a widening of the gulf between the haves and the have-nots“ (Mnyusiwalla et al. 2003). Probleme der Verteilungsgerechtigkeit stellen sich grundsätzlich in jedem Feld technischer Innovation. Da wissenschaftlich-technischer Fortschritt erheblicher Investitionen bedarf, findet er in der Regel dort statt, wo bereits die größten ökonomischen und personellen Ressourcen vorhanden sind. Technischer Fortschritt vertieft häufig tendenziell bereits vorhandene Ungleichverteilungen. Die gesamte auf Nanotechnologie basierende Forschung, Entwicklung und Produktion erfordert Fähigkeiten, die praktisch nur durch hoch entwickelte Staaten zu erbringen sind. Durch den Querschnittscharakter dieses Technologiefeldes müssen diese eine Vielzahl unterschiedlicher instrumenteller und organisatorischer Voraussetzungen erfüllen. Hierzu dürften heute und in absehbarer Zukunft nur wenige Hauptakteure wie USA, Europa, Japan, China, Russland und einige High-Tech-Schwellenstaaten im Stande sein. Daher ist derzeit nicht erkennbar, dass sich die Technologielücke zwischen Reich und Arm durch Nanotechnologie verringern lässt (Paschen et al. 2004). Dies sei am Beispiel der Nanotechnologie in der Medizin erläutert (nach Fleischer 2003). Nanotechnologiebasierte Medizin wird mit großer Wahrscheinlichkeit teure Medizin sein. Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und des „Zugangs“ zu medizinischen Möglichkeiten könnten zumindest in zweierlei Hinsicht dringlich werden: innerhalb industrialisierter Gesellschaften (bestehende Ungleichheiten im Zugang zu medizinischer Versorgung könnten durch eine weiter hoch technisierte Medizin unter Verwendung von Nanotechnologie verstärkt werden) und mit Blick auf weniger entwickelte Gesellschaften, weil sich ebenfalls bereits bestehende und teils dramatische Ungleichheiten zwischen technisierten und Entwicklungsländern weiter verschärfen könnten. Befürchtungen in Bezug auf diese beiden Formen eines möglichen „Nano-divide“ (in Anlehnung an den bekannten „digital divide“, vgl. Riehm und Krings 2006) basieren auf der Annahme, dass Nanotechnologie sowohl zu neuen und erweiterten Optionen individueller Selbstbestimmung (z.B. im gesundheitlichen Bereich) als auch zu erheblichen Verbesserungen der Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften beitragen kann. A. GRUNWALD UND T. FLEISCHER
11
Auch insofern von der Nanotechnologie eine „technische Verbesserung“ des Menschen erwartet wird, werden bereits Aspekte der Verteilungsgerechtigkeit thematisiert (Siep 2005). Laufende Diskussionen zur Verteilungsgerechtigkeit auf nationaler und internationaler Ebene (auch im Kontext der Nachhaltigkeit, Kopfmüller und Grunwald 2006) dürften von daher in Bezug auf Nanotechnologie neue Relevanz erhalten, zumal es auch große Hoffnungen gibt, dass Nanotechnologie auch und gerade den Entwicklungsländern zugute kommen könnte (so bereits Drexler 1986). Es wird bereits gefordert, in der Bearbeitung ethischer Aspekte der Nanotechnologie Entwicklungsländer zu beteiligen (Mnyusiwalla et al. 2003).
3.3. KONTROLLVERLUSTÄNGSTE In der Folge des berühmt gewordenen Beitrages von Bill Joy (2000) kam zu den bis dahin fast ausschließlich positiven Zukunftserwartungen in der Öffentlichkeit hinsichtlich der Nanotechnologie eine apokalyptische Dimension hinzu. Nachdem die Nanotechnologie bis dahin als ideale und saubere Technologie galt, entstand innerhalb weniger Monate eine internationale Risikodiskussion. Für viele überraschend, waren die hoch spekulativen Diskussionen über mögliche dramatische Gefahren in weiter Zukunft Auslöser einer Risikodiskussion, während die viel konkreteren Risiken durch neue Materialeigenschaften auf der Nanoebene, insbesondere durch Nanopartikel, erst im Anschluss breiter thematisiert wurden (s.o.). Ausgangspunkt waren Sorgen, dass selbst replizierende Nanoroboter auf der Basis des molekularen Assemblers (Drexler 1986) eines Tages außer Kontrolle geraten und (1) den Menschen überflüssig machen würden (Joy 2000), oder (2) dazu führen könnten, dass Menschen auf diesem Wege zur Beute ihrer eigenen technischen Hervorbringungen würden: 1. Im „grey goo“ Szenario wird befürchtet, dass außer Kontrolle geratene, sich selbst vervielfältigende Nano-Roboter sich eines Tages rasch unbegrenzt und unkontrollierbar vermehren und dabei alles organische Material der Biosphäre verbrauchen könnten. Es könnte sein, dass innerhalb weniger Tage nur noch eine Schicht von Abfallprodukten dieses Prozesses übrig wäre und in Form eines „grauen Schleims“ die Erde überziehen würde. 3 Dieser Typ eines apokalyptischen Szenarios ist aus der Science Fiction Literatur bekannt. Vor dem Hintergrund von Hans Jonas’ (1979) „Primat der schlechten Prognose“ und seiner „Heuristik der Furcht“ als Orientierungen für eine vorsichtige und im Zweifelsfall 3
„Tough, omnivorous ‚bacteria‘ could out-compete real bacteria: they could spread like blowing pollen, replicate swiftly, and reduce the biosphere to dust in a matter of days“ (Drexler 1986, S. 172). 12
NANOTECHNOLOGIE – WISSENSCHAFTLICHE BASIS UND GESELLSCHAFTLICHE FOLGEN
lieber auch übervorsichtige Herangehensweise an die Zukunft wäre die reine Denkmöglichkeit solcher Entwicklungen bereits Anlass für einen Ausstieg aus der Nanotechnologie, zumindest aus den Bereichen, wo dieses Szenario in den Blick geraten könnte. In dieser Tradition steht die erwähnte Forderung nach einem Moratorium für die Nanotechnologie (ETC 2003). 2. Das „prey“ Szenario basiert ebenfalls auf der Idee von Nano-Robotern, und es geht ebenfalls um einen Kontrollverlust des Menschen. Anders als im „grey goo“ Szenario steht hier jedoch nicht die Möglichkeit eines raschen Endes der gesamten Biosphäre durch einen Amoklauf dieser Roboter im Blickpunkt, sondern die Übernahme der Macht durch die Roboter. Dieses war die Idee in „Why the future doesn’t need us“ (Joy 2000): statt menschlich gesetzten Zwecken zu dienen, könnten die Roboter sich selbständig machen und die Kontrolle über den Planeten Erde übernehmen. Eine technische Zivilisation wäre dann auf den Menschen nicht mehr angewiesen. Obwohl sich diese „dunkle Seite“ der primär positiv gemeinten nanotechnologischen Visionen teils schon in Drexlers frühem Buch (1986, vgl. Fußnote 3) findet, wurden diese Kontrollverlustängste erst in der Folge des genannten Joy-Beitrages (2000) zu einem öffentlichen Thema. Das Aufkommen solcher Szenarien ist dabei nicht überraschend, denn Kontrollverlustängste und die Sorge vor der Übernahme der Macht durch die Technik begleiten den technischen Fortschritt bereits lange. Welche kommunikative Macht derartige Szenarien haben können, wird dadurch deutlich, dass dieser Typ von Befürchtungen die Risikodebatte zur Nanotechnologie auslöste (Schmid et al. 2006).
4. NANOTECHNOLOGIE ALS CHIFFRE DER ZUKUNFT Die wissenschaftliche Debatte, aber auch – und vielleicht noch mehr – die gesellschaftliche Rezeption und die politische Rhetorik im Umfeld der Nanotechnologie, ist von teils weit reichenden Zukunftserwartungen, Zukunftsvisionen, aber auch Zukunftsbefürchtungen durchzogen, mit einem fließenden Übergang zu technikfuturistischen Überlegungen und zur Science Fiction (Coenen 2006). Diese Debatten zeugen nicht nur von einem großen Interesse an der Nanotechnologie und ihren mutmaßlichen gesellschaftlichen Folgen, sondern sind Ausdruck allgemeinerer gesellschaftlicher „Verhaltungen“ zur Zukunft. Nanotechnologie und die „Converging Technologies“ (Roco und Bainbridge 2002) bezeichnen nicht nur Technologiebereiche mit Zukunftspotenzial, sondern haben gesellschaftliche Zukunftsdiskussionen beträchtlicher Reichweite ausgelöst. Dabei geht es nicht „nur“ um die Zukunft der Technologielinien oder um sich daraus ergebende gesellA. GRUNWALD UND T. FLEISCHER
13
schaftliche Folgen, sondern um solche „großen Themen“ wie die Zukunft der menschlichen Natur (Habermas 2001), die Zukunft des Verhältnisses von Mensch und Technik oder auch die Nachhaltigkeit der menschlichen Wirtschaftsweise (Grunwald und Kopfmüller 2006). In diesem Sinne stellt die Nanotechnologie eine „Chiffre der Zukunft“ (Grunwald 2006a) dar, welche über die Technologie im engeren Sinne weit hinausreicht. Nanotechnologie, insbesondere im Kontext der Converging Technologies, verweist auf das, was möglich ist, und auf das, was, gemessen an Gründen, über die intersubjektiv diskutiert und deliberiert werden kann und muss, zu erwarten ist. Chiffren der Zukunft erfüllen wichtige Funktionen der Selbstverständigung der Gesellschaft, auf deren Basis dann wiederum Meinungsbildung und Entscheidungsfindung ablaufen. Diese Funktionen werden erfüllt, unabhängig von einem möglichen Zutreffen oder einem Nichtzutreffen der unterstellten oder prognostizierten Zukunftsverläufe. Allein die Tatsache, dass gegenwärtig solche Chiffren der Zukunft kursieren, debattiert, bewertet und verhandelt werden, beeinflusst unseren Weg in die Zukunft. Chiffren der Zukunft verweisen auf Zukünftiges, entbergen dieses aber nicht und können das auch nicht. Ihre eigene Unbestimmtheit ist sogar notwendig, damit sie ihre Funktion erfüllen können, gesellschaftliche Selbstverständigungen zu katalysieren. In diesem Sinne gehört Nanotechnologie zu den aktuellen Chiffren der Zukunft. Andere prominente Chiffren dieses Typs sind z.B. der demografische Wandel, die Klimaveränderung, das Vorsorgeprinzip oder die nachhaltige Entwicklung. Jeweils werden dabei verschiedene Aspekte der Zukunft in den Blick genommen: bei der nachhaltigen Entwicklung z.B. die Endlichkeit natürlicher Ressourcen, bei der Klimaveränderung die Vulnerabilität menschlicher Wirtschafts- und Lebensweise, bei der demografischen Entwicklung vor allem das Fortpflanzungs- und Migrationsverhalten. Als spezifisch für die Nanotechnologie als Chiffre der Zukunft erscheinen zwei Aspekte: (1) die reduktionistische Auffassung der Gestaltbarkeit jeglicher Materie Atom für Atom und (2) die zur Bewältigung der Kontingenzerhöhung ins Feld geführten Zukunftsargumentationen, die das Hauptthema in diesem Beitrag bildeten (Grunwald 2006a). (1) Die Radikalisierung und der ultimative Triumph des Homo faber, der sich, nanotechnologisch ausgerüstet, anschickt, die Welt Atom für Atom zu manipulieren (Shaping the World Atom by Atom, NNI 1999), ist eines der Kennzeichen der Nanotechnologie als „gegenwärtiger“ Chiffre der Zukunft. In einer Wiederkehr und Radikalisierung des physikalischen, ja mechanischen Reduktionismus des 19. Jahrhunderts glaubt dieser neue Homo faber, alles einschließlich der Sphären des Lebendigen und des Sozialem, von der atomaren Basis her im Griff zu haben: „Science can now understand the ways in which atoms form complex molecules, and these in turn aggregate according to common fundamental principles to form both organic and in14
NANOTECHNOLOGIE – WISSENSCHAFTLICHE BASIS UND GESELLSCHAFTLICHE FOLGEN
organic structures. … The same principles will allow us to understand and when desirable to control the behaviour both of complex microsystems … and macrosystems such as human metabolism and transportation vehicles“ (Roco und Bainbridge 2002, S. 2). Nichts scheint diese These besser zu stützen als der Drexlersche molekulare Assembler und die Folgen, die er – unbeschadet seiner Machbarkeit, an der es naturwissenschaftlich begründete Zweifel gibt (Smalley 2001) – für die Zukunftsdebatte zur Nanotechnologie hatte und hat. Dieser Assembler würde den Triumph des atomaren Reduktionismus bedeuten und gleichzeitig den Menschen als denjenigen erweisen, der eine solche Wundermaschine, mit der man aus Felsen Wale machen kann (Drexler 1986), bauen könnte, und der sich selbst technisch neu erschaffen könnte. Die Erzählung vom Homo faber scheint den nanotechnologischen Visionen gemeinsam zu sein, seien dies nun Heils- oder Unheilsvisionen. So sieht Dupuy (2005) in der Tradition von Anders und Sartre hinter den „Converging Technologies“ ein metaphysisches Programm, dessen technische Basis ein universell einsetzbarer molekularer Assembler wäre: „The aim of this metaphysical program is to turn man into a demiurge or, scarcely more modestly, the ‚engineer of evolutionary processes‘. … This puts him in the position of being the divine maker of the world …“ (Dupuy 2005). Denn der vermeintliche ultimative Triumph des Homo faber, und das ist letztlich die provokative Essenz aus Joy (2000) könnte zu einem finalen Pyrrhus-Sieg über die Natur werden. Hier zeigen sich also, verborgen in futuristischen und spekulativen Deutungen der technischen Zukunft, ganz gegenwärtige Einschätzungen über Menschenbilder und das Verhältnis von Technik und Gesellschaft genauso wie in neuem Gewand ganz alte Erzählungen der Menschheit wiederkehren. (2) Die drastische Erhöhung der Kontingenz der conditio humana, wie sie vor allem in der Auflösung traditioneller Selbstverständlichkeiten in der Folge der Diskussion um eine technische Verbesserung des Menschen aufscheint (Grunwald 2006b), ist ein weiteres Kennzeichen der Nanotechnologie als Chiffre der Zukunft. Kontingenzerhöhung ist ein ständiges Motiv im wissenschaftlich-technischen Fortschritt. Die Verwandlung von etwas als gegeben Hinzunehmendem in etwas Manipulierbares ist das Kennzeichen des technischen Fortschritts. In dem Maße, wie die menschliche Verfügungsmacht erhöht wird, eröffnen sich neue Räume für Visionen und Gestaltung, aber gleichzeitig, sozusagen als Nebenfolge, auch die Herausforderungen, den Verlust von Traditionen durch neue Formen der Orientierung zu kompensieren. Als wesentliche neue Form der Selbstverständigung moderner Gesellschaften fungiert die Orientierung an Zukünftigem (Luhmann 1989). Gemessen an Rationalitätsansprüchen, genauso wie unter den demokratietheoretischen Ansprüchen einer deliberativen öffentlichen Debatte über derartige Selbstverständigungen, ist der Bedarf an einer epistemologischen Analyse der Geltungsgründe von dabei ins Feld geführten ZuA. GRUNWALD UND T. FLEISCHER
15
kunftsaussagen evident. Die Nanotechnologie ist dabei dasjenige Feld, in dem sich deutlich zeigt, welche zeitlich und thematisch ausgreifende Dimension diese Zukunftsaussagen annehmen können, und wie sie auf extreme Weise zwischen Heilerwartung und Katastrophe schwanken können (Grunwald 2006b). Die Funktion von Chiffren der Zukunft besteht darin, unsere Erwartungen an die Zukunft in unser gegenwärtiges Denken hin zu holen, sie dort zu reflektieren, die Ergebnisse der Reflexion zu kommunizieren und darüber zu deliberieren, und das Ganze dann schließlich für unsere gegenwärtigen Handlungen und Entscheidungen nutzbar zu machen – denn diese kommen ohne Begriffe vom Zukünftigen nicht aus. Nanotechnologie ist eine Chiffre der Zukunft – doch gerade indem sie das ist, wirft sie uns auf uns selbst und unsere Gegenwart zurück. Letztlich ist es die Funktion der Nanotechnologie als einer Chiffre der Zukunft gesellschaftliche Debatten zu katalysieren, die schließlich praktische Auswirkungen haben können oder sogar sollen. Das Ziel visionärer Spekulation ist die gegenwärtige Praxis.
5. NANOTECHNOLOGIE UND ÖFFENTLICHKEIT Abschließend noch einige Worte zur öffentlichen Wahrnehmung von und Kommunikation über Nanotechnologie. Die Öffentlichkeit begegnet der Nanotechnologie im Grunde auf drei Wegen: über Produkte für Endkunden, die manchmal tatsächlich Nanotechnologie-Bezug haben, manchmal nur als „nano“ beworben werden; über Medienberichterstattung und Sachbücher sowie in Reflexionen über Nanotechnologie in der Populärkultur, etwa in Filmen oder Romanen. In den letzten Jahren sind in allen drei Gebieten erhebliche Zuwächse an „Nanotechnologie-Präsenz“ zu verzeichnen. Man kann mithin fragen, wie das gegenwärtige Bild, das die allgemeine Öffentlichkeit hat, aussieht. Das empirische Material ist nicht sehr umfangreich, dennoch lassen sich einige Trendaussagen treffen. In einer Anfang 2005 durchgeführten Eurobarometer-Umfrage in allen 25 Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie weiteren europäischen Ländern wurden Bürger nach ihren Ansichten zu Wissenschaft und Technik befragt. Etwa 80% äußerten, dass sie sehr oder durchschnittlich an Innovationen und wissenschaftlichen Entdeckungen interessiert seien. Daraufhin gebeten, ihre wichtigsten Interessensgebiete zu bezeichnen, nannten mehr als 60% Medizin- und rund 45% Umweltthemen, gefolgt von Internet, Wirtschaftsfragen und Geisteswissenschaften. Zwischen den Ergebnissen für die EU25 und den Zahlen für Deutschland gibt es nur geringfügige Abweichungen. Nanotechnologie landete mit 11% (EU25: 8%) auf dem letzten Platz der möglichen Antworten. Auch bei der Frage nach Techniken, von denen in den nächsten 20 Jahren positive Effekte auf unseren Lebensstil 16
NANOTECHNOLOGIE – WISSENSCHAFTLICHE BASIS UND GESELLSCHAFTLICHE FOLGEN
erwartet werden, könnte sich Nanotechnologie nur im letzten Drittel platzieren. Detailliertere Länderstudien in den USA, Großbritannien und Deutschland liefern ein ähnliches Bild: Etwa 30% der Befragten hatten schon etwas von Nanotechnologie gehört, zwischen 10 und 20% hatten konkretere Vorstellungen. All dies legt den Schluss nahe, dass die überwiegende Mehrheit der allgemeinen Öffentlichkeit gegenwärtig nicht an Nanotechnologie interessiert ist oder sie ignoriert. Wenn überhaupt, nehmen die Bürger Nanotechnologie eher als unscharfes oder unspezifisches Konzept wahr, ihre Einschätzungen zu Möglichkeiten und Risiken von Nanotechnologie entsprechen in etwa ihren Erwartungen zu Wissenschaft und Technik allgemein, so dass Nanotechnologie gegenwärtig als „No attitudes“-Technologie beschrieben werden kann. Andererseits haben einige Medien und NGO das Thema stärker aufgegriffen, wobei drei Diskussionsstränge zu beobachten sind: Unbekannte Materialeigenschaften (vor allem von Nanopartikeln) und ihre Auswirkungen auf Mensch und Umwelt: Auch wenn diese Materialgruppen einige Besonderheiten (u.a. Fragen der Charakterisierung, der Nomenklatur, der Messtechnik) aufweisen, scheint aus heutiger Sicht das mögliche Risikomanagement strukturell vergleichbar zu „konventionellen“ Chemikalien zu sein. Somit ist zu klären, inwieweit es durch Instrumente „klassischer“ Regulierungspolitik geregelt werden kann, und wo neue Ansätze, etwa unter der Überschrift des Vorsorgeprinzips, notwendig sein könnten. § Folgen von durch Nanotechnologie ermöglichten Technologien: Damit verbundene Fragestellungen sind aus Diskussionen beispielsweise über Informationstechnik (Privatsphäre, Überwachung) oder Medizin (Biopolitik, Neuroethik) in Teilen bekannt, entsprechend adaptierte TA könnte hier weitere Einsichten liefern. § Nanotechnologie als weiterer Repräsentant für „Risikotechniken“ in generellen STS-Debatten: Hier werden grundsätzliche Fragen der gesellschaftlichen Steuerung von Wissenschaft, des Vertrauens in Wissenschaft(ler), des (als fehlend wahrgenommenen) Einflusses auf die FuT-Politik und Ähnliches am Beispiel von Nanotechnologie neu aufgeworfen. §
Die reflexive Forschung unterscheidet zwischen diesen Ebenen, viele NanoForscher, Politiker und Medien jedoch nicht. Gerade weil Nanotechnologie aufgrund ihres Mangels an Spezifizität anfällig für (irreführende) Analogien und falsche Verallgemeinerungen ist, kommt einer differenzierten Diskussion hier eine hohe Bedeutung zu, will man nicht riskieren, die öffentliche Wahrnehmung von – und Haltung zu – Nanotechnologie in einer Weise zu prägen, die ihren tatsächlichen Potenzialen und Risiken nicht adäquat Rechnung trägt.
A. GRUNWALD UND T. FLEISCHER
17
6. ZUSAMMENFASSUNG Nanotechnologie ist ein Forschungsfeld mit unscharfen Rändern. Gemeinsam ist den verschiedenen Definitionen der Bezug auf den „Technologieaspekt“, d.h. das letztendliche Zielen auf Anwendungen, auch wenn sich gegenwärtig der größte Teil der Nanotechnologieforschung noch in eher frühen Entwicklungsphasen befinden; § der Bezug auf die Größenskala „nano“, was meistens mit dem Bereich zwischen 1 und 100 Nanometern (nm) verknüpft wird, und § die Analyse, technische Beherrschung und letztendliche Nutzung der dabei auftretenden neuen Effekte. §
Vielfältige Potenziale der Innovation in bereits bestehenden Feldern liegen im Bereich neuer Materialien und der Behandlung von Oberflächen. In einigen Feldern wie Sonnenschutzcremes und Autoreifen haben nanotechnologische Erkenntnisse bereits zu Marktprodukten geführt. Zukünftige Potenziale werden darüber hinaus vor allem in den Bereichen Informations- und Kommunikationstechnik sowie den Lebenswissenschaften und der Medizin gesehen; abgesehen von einzelnen Entwicklungen sind praktisch anwendbare Verfahren erst in Zukunft zu erwarten. In diesen Feldern deutet hohe Forschungsaktivität auf erhebliche Fortschritte in den nächsten Jahren. Neben den genannten Potenzialen sind jedoch mit der Nanotechnologie auch Risiken verbunden. Am konkretesten sind mögliche und bislang unbekannte Gesundheits- und Umweltfolgen künstlich hergestellter Nanopartikel. Hierzu sind Forschungsarbeiten in erheblichem Umfang angelaufen; zurzeit bestehen aber noch erhebliche Wissenslücken in Bezug auf diesen Folgenbereich. Darüber hinaus stellt Nanotechnologie seit Jahren einen wesentlichen Bereich allgemeinerer gesellschaftlicher Zukunftsdebatten dar. „Große“ Themen wie die Verlangsamung oder Abschaffung des Alterns, die technische „Verbesserung“ des Menschen oder die Zukunft der Natur des Menschen machen sich an den erwarteten Fortschritten der Nanotechnologie fest. Hier sind Technikfolgenabschätzung, Ethik und ein möglichst rationaler gesellschaftlicher Dialog gefragt, um Orientierungen auf die neu aufgeworfenen Fragen zu geben.
7. LITERATUR UND QUELLENHINWEISE Baumgartner C (2004) Ethische Aspekte nanotechnologischer Forschung und Entwicklung in der Medizin. Das Parlament B23–24: 39–46 Coenen C (2006) Der posthumanistische Technikfuturismus in den Debatten über Nanotechnologie und Converging Technologies. In: Nordmann A, Schummer J, Schwarz A (Hrsg) Nanotechnologien im Kontext. Akademische Verlagsgesellschaft, Berlin, S 195–222 18
NANOTECHNOLOGIE – WISSENSCHAFTLICHE BASIS UND GESELLSCHAFTLICHE FOLGEN Colvin V (2002) The potential environmental impact of engineered nanomaterials. Nature Biotechnol 21: 1166–1170 Decker M, Fiedeler U, Fleischer T (2004) Ich sehe was, was Du nicht siehst ... zur Definition der Nanotechnologie. Technikfolgenabschätzung. Theorie und Praxis 13 (2): 10–14 Drexler KE (1986) Engines of creation – the coming era of nanotechnology. Oxford University Press, Oxford Dupuy J-P (2005) The philosophical foundations of nanoethics. Arguments for a method. Lecture at the Nanoethics Conference, University of South Carolina, March 2–5, 2005 ETC-Group (2003) The big down. Atomtech: technologies converging at the nanoscale. www.etcgroup.org [2.6.2006] Feynman R (1960) There is plenty of room at the bottom. An invitation to enter a new field of physics. California Institute of Technology (Caltech) Fleischer T (2003) Technikgestaltung für mehr Nachhaltigkeit: Nanotechnologie. In: Coenen R, Grunwald A (Hrsg) Nachhaltigkeitsprobleme in Deutschland. Analyse und Lösungsstrategien. Edition Sigma, Berlin, S 356–373 Gee D, Greenberg M (2002) Asbestos: from ‚magic‘ to malevolent mineral. In: Harremoes P, Gee D, MacGarvin M, Stirling A, Keys J, Wynne B, Guedes Vaz S (Hrsg) The precautionary principle in the 20th century. Late lessons from early warnings. Sage, London, S 49–63 Grunwald A (2006a) Nanotechnologie als Chiffre der Zukunft. In: Nordmann A, Schummer J, Schwarz A (Hrsg) Nanotechnologien im Kontext. Akademische Verlagsgesellschaft, Berlin, S 49–80 Grunwald A (2006b) Converging technologies: visions, increased contingencies of the conditio humana, and search for orientation. Futures (forthcoming) Grunwald A, Kopfmüller J (2006) Nachhaltigkeit. Campus, Frankfurt New York Habermas J (2001) Die Zukunft der menschlichen Natur. Suhrkamp, Frankfurt Haum R, Petschow, U, Steinfeldt, M, von Gleich A (2004) Nanotechnology and regulation within the framework of the precautionary principle. Schriftenreihe des IÖW 173/04, Berlin Jonas H (1979) Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation Suhrkamp, Frankfurt Joy B (2000) Why the future does not need us. Wired Magazine 8.04: 238–263 Luhmann N (1989) Paradigm lost. Suhrkamp, Frankfurt Luther W, Malanowski N (2004) Das wirtschaftliche Potenzial der Nanotechnologie. Technikfolgenabschätzung. Theorie und Praxis 13 (2): 26–33 Mnyusiwalla A, Daar AS, Singer PA (2003) Mind the gap. Science and ethics in nanotechnology. Nanotechnology 14: R9–R13 Nachtigall W (2002) Bionik. Springer, Berlin Heidelberg Nanoforum (2004) Nanotechnology. Benefits, risks, ethical, legal, and social aspects of nanotechnology. www.nanoforum.org [2.6.2006] NNI – National Nanotechnology Initiative (1999) National Nanotechnology Initiative des US-amerikanischen Präsidenten. Washington Nordmann A (2004) Converging technologies – shaping the future of european societies. Report for the European Commission, Brüssel Paschen H, Coenen C, Fleischer T, Grünwald R, Oertel D, Revermann C (2004) Nanotechnologie in Forschung, Entwicklung, Anwendung. Stand und Perspektiven. Springer, Berlin Heidelberg A. GRUNWALD UND T. FLEISCHER
19
Riehm U, Krings B-J (2006) Abschied vom „Internet für alle“? Der „blinde Fleck“ in der Diskussion zur digitalen Spaltung. Medien & Kommunikationswissenschaft 1/2006: 67–85 Roco MC, Bainbridge WS (2002) (Hg) Converging technologies for improving human performance. National Science Foundation, Arlington Schmid G, Decker M, Ernst H, Fuchs H, Grünwald W, Grunwald A, Hofmann H, Mayor M, Rathgeber W, Simon U, Wyrwa D (2003) Small dimensions and material properties. A definition of nanotechnology. Graue Reihe Nr 35. Europäische Akademie Bad Neuenahr-Ahrweiler GmbH Schmid G, Ernst H, Grünwald W, Grunwald A, Hofmann H, Janich P, Krug H, Mayor M, Rathgeber W, Simon B, Vogel V, Wyrwa D (2006) Nanotechnology – assessment and perspectives. Springer, Berlin Heidelberg Siep L (2005) Die biotechnische Neuerfindung des Menschen. Vortrag auf dem XX. Deutschen Kongress für Philosophie am 28.9.2005 in Berlin Smalley R (2001) „Antworten auf Eric Dexler“, Scientific American 81 (48): 37–42 VDI – Verein Deutscher Ingenieure (Hrsg) (2002) Nanobiotechnologie I. Grundlagen und Anwendungen molekularer, funktionaler Biosysteme. Zukünftige Technologien Band 38, Düsseldorf
20
NANOPARTIKEL
UND
NANOAEROSOLE – MESSMETHODEN
W. W. SZYMANSKI
UND
G. ALLMAIER
Nanopartikel können natürlichen und industriellen Ursprungs sein. Befinden sie sich im luftgetragenen Zustand, handelt es sich um Nanoaerosole. Durch Ihren Beitrag zur Entwicklung der Nanotechnologie haben sie großes Interesse gewonnen. Nanopartikel können als Bausteine für Nanostrukturen verwendet werden, dabei sind ihre Größe und Konzentration dominierende Parameter. Die Messung von Nanopartikeln und Nanoaerosolen, insbesondere organischen Ursprungs, wie auch etwa Viren, stellt stets eine große Herausforderung für Wissenschaft und Technologie dar. Schlüsselworte: Nanopartikel, Nanoaerosole, Bio-Nanopartikel, Charakterisierung
Nanoparticles and nanoaerosols: measuring methods Nanoparticles are abundant in the natural and industrial environment. When airborne, they are termed nanoaerosols. They gained particular interest due to their role in the development of nanotechnology. Nanoparticles can be used as building blocks for nanostructures, whereby their sizes and concentrations dominate their behaviour. Together with nanoaerosols – especially when of organic origin including biocomplexes such as viruses – they pose a demanding metrological problem for science and technology. Keywords: Nanoparticles, nanoaerosols, bio-nano-particles, characterisation 21
1. EINLEITUNG In einem Diskurs über die Chancen und Risiken der Nanotechnologie erscheint es wichtig, sich mit den Methoden zur Charakterisierung und zum Nachweis von Nanopartikeln und Nanoaerosolen vertraut zu machen. Der vorliegende Beitrag versucht deshalb, einen kurzen Überblick über die verschiedenen physikalischen und chemischen Messmethoden sowie ihre Bedeutung in den Nanowissenschaften zu geben. Nanotechnologie bzw. Nanowissenschaft sind in den letzten Jahren zu Trendwörtern geworden, wobei diese beiden Begriffe zusammengehören wie Beobachtung/Hypothese, Instrument/Idee und Experiment/Theorie und eine Art endloses Tennisspiel darstellen. Es sind in gewisser Weise „MetaBereiche“ diverser Wissenschaften und Industrien. Eine der Definitionen der Nanotechnologie stammt von der Royal Society (2004). Nach dieser ist die Nanotechnologie eng verbunden mit Design, Charakterisierung, Produktion und Anwendung von Strukturen und Systemen im Nanometerbereich, wobei eine besondere Rolle der Entdeckung von neuen Eigenschaften in dieser Größenskala zukommt. In diesem sich rasant entwickelnden Gebiet sind Nanopartikeln wichtige Komponenten für eine breite Palette von Produkten wie etwa Katalysatoren, Sensoren, dünnen Schichten, elektromagnetische Speicher, Bio-Nanosensoren, Biopharmazeutika, Gensonden und vieles mehr (Murday 2002, Friedlander und Pui 2003, Thayer 2003, Alivisatos 2004, Szymanski et al. 2004), wobei die Lebenswissenschaften derzeit die größte finanzielle Unterstützung für Forschung und Entwicklung in diesem Gebiet erhalten. Den geistigen Ursprung der Nanotechnologie findet man in dem richtungweisenden Referat des Physikers Richard Feynman „Unten gibt es eine Menge Platz“ (There is plenty of room at the bottom), das vor 47 Jahren bei der Tagung der American Physical Society vorgetragen wurde (Feynman 1960). In seinem Vortrag sprach Feynman über seine Vision der neuen, aufregenden Entwicklungen, welche auf der Messung und Herstellung von Materialen mit molekularen Dimensionen basieren und die dann zu nützlichen Strukturen mit diesen Dimensionen zusammengefügt würden. Es ging also um den Aufbau von sehr, sehr kleinen, technisch dienlichen Objekten aus Grundbausteinen – es handelte sich um die „Unten-nach-Oben“ (BottomUp) Nanotechnologie. Feynman betonte, dass diese Vision nur durch eine Entwicklung von speziellen Methoden und Instrumenten möglich wird, welche ein besseres Verstehen, Messen und die Manipulation von Nanoobjekten erlauben. Dies führte zum Paradigmenwechsel, dass sehr kleine Strukturen – eben Nanostrukturen – nicht durch eine Zerkleinerung der Materie, sondern durch einen Aufbau mittels noch kleineren Strukturen – Nanopartikeln – geschaffen werden können. Der Begriff Nanotechnologie ist dann viel später, insbesondere durch das Buch von E.K. Drexler (1986) bekannt geworden. 22
NANOPARTIKEL UND NANOAEROSOLE – MESSMETHODEN
Nanotechnologie verlangt heute fachübergreifendes Zusammenwirken vieler Fachgebiete, wie etwa Physik, Chemie, Materialwissenschaften, Medizin, Biologie, Ingenieurwesen oder Computerwissenschaften. Physik der kleinen, luftgetragenen Partikel – die Aerosolphysik – und die daraus entstandene Partikelmesstechnik, kann sicherlich als eine der ursprünglichen Nanowissenschaften gesehen werden. Durch neue Entwicklungen wurden die untersuchten und gemessenen Partikel stets kleiner, sie wurden zu Nanopartikeln. Dadurch ergibt sich naturgemäß eine Verflechtung mit der Chemie, in der schon seit mehr als 150 Jahren auf molekularer Ebene gearbeitet wird (ohne dass dies Nanochemie genannt wurde). Insbesondere der Fortschritt in der analytisch-chemischen Messtechnik und den Aerosolmessverfahren, führte zu einem logischen Zusammenspiel der Aerosolphysik mit der analytischen Chemie. Dabei öffnet sich plötzlich ein weites Feld der fundamentalen Nanowissenschaft und Quantenphysik mit vielen offenen Fragen betreffend Quanteneigenschaften, Materialeigenschaften und Phänomenen in den neuen Nanostrukturen, supramolekularen Komplexen oder Biopolymeren. Daraus ergibt sich auch, dass sich die existierenden Einzeldisziplinen immer mehr verflechten und im Nanokosmos vereinen (Abb. 1). Heute reicht der Einsatz der Nanopartikel von der Medizin, wo die nanometergroßen Teilchen als Diagnostika und Therapeutika verwendet werden, bis zum Aufbau von Nanostrukturen, wie etwa Nanoröhrchen oder Pigmenten, die auch industrielle Einsetzbarkeit finden. Zu den besonderen Einsatzgebieten der Nanotechnologie gehören heute insbesondere die Be-
Abb. 1. Entwicklung der Messtechnik als Funktion der Zeit. Die stete Verbesserung der Messmethoden erlaubt in der Partikelmesstechnik die Erfassung von Nanopartikeln. Analoge Entwicklung in der analytisch-chemischen Messtechnik führte zu Messungen bis in den Nanopartikelbereich
W. W. SZYMANSKI UND G. ALLMAIER
23
schichtung von Oberflächen oder die Herstellung von neuen Materialien, die durch ihren Aufbau aus Nanopartikeln spezifische Eigenschaften annehmen (Daniel und Astruc 2004). Als Beispiel für eine passive Form der Nanotechnologie kann der Einbau von Nanopartikeln (aus dem Mineral Vermiculit) in Gummifolien (Einsatz in Tennisbällen oder Autoreifen) gesehen werden, wodurch die Rückhaltefähigkeit von Schichten wesentlich erhöht wird (d.h. ein Tennisball oder ein Reifen verliert weniger schnell seine Füllung [InMat 2004]). Ein Beispiel für eine aktive Form der Nanotechnologie ist die Selbstanordnung von isolierten bakteriellen Proteinmonomeren zur Bildung einer hochgeordneten, monomolekularen Nanoschicht mit wohldefinierten Nanoporen – dabei können die Dimensionen exakt vordefiniert werden (Pum und Sleytr 1999). Diese designbaren Schichten finden Einsatz bei Diagnostika, in der Biokatalyse und in der Bioverfahrenstechnik (Nano-S Biotechnologie 2006). Die Nanostrukturen, aufgebaut aus einzelnen Nanopartikeln, bilden dann selbst auch Agglomerate, welche Nanodimensionen haben können. Dies ist eine der Sparten der Nanotechnologie mit dem wahrscheinlich größten Potenzial. Diese „Unten-nach-Oben“ (Bottom-Up) Technologie kopiert u.a. Vorgänge in natürlichen Systemen, etwa die molekulare SelbstAssemblierung (Stupp 1997, Link und Saylor 2003). Moderne mikroelektronische Produkte besitzen Strukturen, die im Nanometerbereich liegen. Somit könnten sie als nanotechnologisch bezeichnet werden, obwohl das eigentlich unzutreffend ist, da sie mit konventionellen, lithographischen Verfahren, durch Verkleinerung hergestellt werden. Es ist die so genannte „Oben-nach-Unten“ (Top-Down) Technologie. Es gibt bis heute keine allgemein akzeptierte Definition betreffend der Größen-Obergrenze von Nanopartikeln. Manchmal wird diese Grenze mit 50 Nanometer (nm), manchmal mit 100 nm angegeben. In dieser Arbeit wird als obere Grenze für Nanopartikel der Wert von 100 nm verwendet. Damit man sich eine Vorstellung von der Größe, oder besser von der Kleinheit eines Nanometers machen kann, gibt es Beispiele: 1 nm ist ein Milliardstel Meter. Das sind nur etwa 4 bis 5 Atomdurchmesser, also ein Würfel mit einer Kantenlänge von 2 nm würde annähernd 500 Atome beinhalten. Würde man einen Würfel mit der Kantenlänge von 1 cm in 1 nm Würfel unterteilen, könnte man mit diesen Nanoteilchen eine Fläche von der Größe eines Fußballfeldes abdecken. Proteine haben Größen die beispielsweise zwischen 1 bis 25 nm liegen. Der bekannte Kohlenstoff-60, Buckminster-Fulleren, hat einen Durchmesser von annähernd 1 nm und ein Schnupfenvirus (HRV) von etwa 30 nm. Hier sollte erwähnt werden, dass die Verwendung makroskopischer Begriffe, wie etwa Durchmesser, für Nanopartikel nur mit großer Vorsicht angewendet werden darf. Dies ist insbesondere wichtig bei Objekten mit Dimensionen unterhalb etwa 20 nm (Preining 1998). Bei einem Nanopartikel liegt eine wesentliche Anzahl der zum Aufbau benötigten Moleküle an der Oberfläche. 24
NANOPARTIKEL UND NANOAEROSOLE – MESSMETHODEN
Dies bringt sehr große Oberfläche-Volumen-Verhältnisse mit sich und dies hat wiederum einen Einfluss auf die Ladungsverteilung sowie physikalische und/oder chemische Eigenschaften. Quantenmechanische Eigenschaften, Umwandlungstemperaturen, Festigkeiten, magnetische Charakteristika oder Farbe können durch die Veränderung von Nanometerstrukturen und Dimensionen verursacht werden, ohne dass die eigentliche chemische Zusammensetzung verändert wird. So haben zum Beispiel Nanoröhrchen aus Kohlenstoff 100-fache Festigkeiten des Stahls, enorme Elastizität, doppelte thermische Leitfähigkeit des Diamanten und 100-fache Leitfähigkeit des Kupfers (Iijima 1991, Dresselhaus et al. 1996, Souza-Filho 2003). In einer Anlehnung an die Begriffsbestimmung der Nanotechnologie vorgeschlagen durch die Royal Society (2004) können somit alle Methoden und Techniken für nanoskalige Systeme, insbesondere für Nanopartikel und Nanoaerosole, mit denen diese zielorientiert und individuell analysierbar, charakterisierbar und manipulierbar sind, als ein integraler Teil der Nanotechnologie gesehen werden. Das Einsetzen dieser Verfahren liefert als Resultat Beiträge zu Erkenntnissen und Entdeckungen im Nanokosmos (Abb. 1).
2. FORSCHUNGS- UND MESSMETHODEN Es ist wahrscheinlich, dass die meisten Beiträge zu Weiterentwicklung der Nanowissenschaft und Nanotechnologie im Bereich der akademischen und weniger in der industriellen Forschung liegen werden. Dies hauptsächlich deswegen, weil die Zeithorizonte, welche für nanotechnologische Forschung nötig sind, für die Industrie zu lange dauern. Die Zukunft der Nanotechnologie betreffend neue Produkte, aber auch ihr Einfluss auf die Lebensqualität und Umwelt, liegt in der universitären Forschung und Ausbildung, verbunden mit Aktivitäten von speziellen nationalen bzw. internationalen Laboratorien und Forschungszentren (Roco 2005). Zentrale Fragen bei der Beschäftigung mit Nanopartikeln und -aerosolen sind neben der Größe, die Form, die Quantität, die Elementarzusammensetzung (d.h. welche chemischen Elemente sind vorhanden), die molekulare chemische Struktur, welche Moleküle die Subeinheiten und in welcher Stöchiometrie diese die Nanoteilchen darstellen, die Oberflächenmorphologie und -zusammensetzung, die physikalischen Eigenschaften wie Elektronendichteverteilung, Aggregatbildung bzw. Selbstassemblierung und Leitfähigkeit und die biologischen Eigenschaften. Daraus ergibt sich, dass diese Nanopartikelparameter oft in unterschiedlichen Aggregatzuständen und an Grenzflächen bestimmt werden müssen. Dies reicht von Nanopartikeln, die an einem Festkörper adsorbiert sind bis zu Nanoaerosolen in der Gasphase unter Normaldruck (Abb. 2). Es existieren nun zahlreiche Messmethoden, die nur im Vakuum, nur in der flüssigen Phase oder in der Gasphase bei Atmosphärendruck als auch im W. W. SZYMANSKI UND G. ALLMAIER
25
Abb. 2. Umfeld, in dem Nanopartikel und Nanoaerosole untersucht werden müssen
Hochvakuum eingesetzt werden können und die auch nur in bestimmten Größenbereichen bzw. Molekulargewichtsbereichen einsetzbar sind (Abb. 3). Einige wichtige Methoden zur Charakterisierung und zum Nachweis von Nanopartikeln und Nanoaerosolen, die unter unterschiedlichen Aggregatzuständen eingesetzt werden, wurden hier ausgewählt und werden im folgenden Teil beschrieben und kritisch beurteilt. Die neuesten Errungenschaften im Bereich der Nanotechnologie wurden zum großen Teil dank innovativer technischer Möglichkeiten, Messungen und Manipulationen an nanoskaligen Objekten möglich. Neben der sich ständig weiterentwickelnden Elektronenmikroskopie, sind auch Instrumente im Einsatz, die erlauben, de facto in Echtzeit Nanopartikel ihrer Größe, Anzahl und auch ihrer chemischen Zusammensetzung nach zu messen. Zu diesen Geräten gehören diverse elektrostatische Mobilitätsanalysatoren und Massenspektrometer, wobei die erste Instrumentengruppe aus der Aerosolund Partikelmesstechnologie, die zweite Instrumentengruppe aus der chemisch-analytischen Technologie stammt (Abb.1).
2.1. NANO-DIFFERENTIELLER MOBILITÄTSANALYSATOR (NANO-DMA) Das Arbeitsprinzip eines differentiellen elektrostatischen Mobilitätsanalysators (DMA) ist in der Abb. 4a dargestellt. Es handelt sich dabei meistens um eine koaxiale Anordnung von einer zylindrischen Außenelektrode und einer 26
NANOPARTIKEL UND NANOAEROSOLE – MESSMETHODEN
Abb. 3. Messbereiche (Molekulargewicht bzw. Masse und Durchmesser) einiger wichtiger analytisch-physikalischer und -chemischer Messtechniken. Nano-DMA Nano-differentieller Mobilitätsanalysator; MS Massenspektrometrie; HPLC Hochdruckflüssigchromatographie; SEC Größenausschlusschromatographie; GPC Gelpermeationschromatographie; CE Kapillarelektrophorese; GE Gelelektrophorese; FFF Feldflussfraktionierung
zylindrischen, stabförmigen Innenelektrode. Zwischen den Elektroden herrscht ein elektrostatisches Feld, welches durch die angelegte Spannung determiniert ist. Senkrecht zum elektrostatischen Feld gibt es einen konstanten Fluss von partikelfreier Luft. Werden geladene Nanopartikel (oder Ionen) zwischen die Elektroden des DMAs gebracht, so wird Ihre Bewegung sowohl durch die laminare Luftströmung, als auch durch das Feld bestimmt. Eine spezifisch für die Messung der Nanopartikel ausgelegte DMA-Anordnung wird üblicherweise als Nano-DMA bezeichnet. Wird nun die angelegte Spannung kontinuierlich variiert (gescannt), so können durch die Austrittsdüse Partikel mit unterschiedlichen, definierten Größen aus dem DMA heraustreten und analysiert werden (Tammet 1995, Pui und Chen 1997). Sofern die Nanopartikel nicht als Nanoaerosole vorliegen, müssen sie in die Gasphase gebracht werden (Abb. 4b). Dies kann unter besonders günstigen Bedingungen mittels Nano-Elektrospray-Generatoren (Nano-ESI), welche auch kommerziell erhältlich sind, bewirkt werden. Weil die Nanopartikel (bzw. Ionen) für die optimale Funktionsweise des DMAs einfach geladen sein sollen, werden sie in einem Neutralisator meistens einer bipolaren Ionenatmosphäre ausgesetzt. Diese bipolaren Gas- (Luft-) Ionen werden üblicherweise mittels einer schwachen radioaktiven Quelle (z.B. Po-210, W. W. SZYMANSKI UND G. ALLMAIER
27
a
b
c 28
NANOPARTIKEL UND NANOAEROSOLE – MESSMETHODEN
Kr-85) erzeugt (Liu und Pui 1974, Liu und Pui 1975). Eine andere Variante, den erwünschten Ladungszustand der Nanopartikel zu erreichen, ist der Einsatz einer Korona-Entladung (Laschober et al. 2006). Die ladungskonditionierten Nanopartikel können dann mittels Nano-DMA gescannt werden und mit einem Nachweisgerät, entweder einem Kondensationspartikelzähler (CPC – Condensation Particle Counter) oder einem Elektrometer, erfasst werden. In einem CPC werden einzelnen Nanopartikel mit einem Dampf, z.B. Butanol, vermischt. Durch eine Abkühlung dieses Partikel/Dampf-Gemisches kondensiert der Arbeitsdampf auf jedem einzelnen Nanopartikel. Es entsteht ein Tröpfchen von einigen Mikrometer im Durchmesser, welches dann optisch durch Laserlichtstreuung (Abb. 4c) nachgewiesen werden kann. So können Nanopartikel, welche aufgrund ihrer kleinen Größe optisch direkt nicht nachweisbar sind, mittels des Kondensationsvorganges bequem und in Echtzeit erfasst werden und deren Anzahlkonzentration (Anzahl pro Volumseinheit) gemessen werden. Eine Zusammenfügung des Nano-DMA und des CPC liefert neben der Anzahlkonzentration auch die Größenanalyse der Nanopartikel. Weil die Nanopartikel, welche aus einem DMA System heraustreten, eine elektrostatische Ladung tragen, können sie ebenso in Echtzeit mittels eines Partikel-Elektrometers nachgewiesen werden. Der durch die Partikelladung verursachte elektrische Strom im Elektrometer ist eine direkte Messgröße der Anzahlkonzentration (Liu und Dashler 2003, Laschober et al. 2006). Diese Art von Messung eignet sich besonders für höhere Anzahlkonzentrationen von Nanopartikeln. Moderne Synthese erlaubt die Herstellung von Silica-Partikeln in einem breiten Größenbereich beginnend mit den Nanometergrößen. Diese Partikel können auch nach Bedarf modifiziert werden, etwa durch das Aufwachsen einer äußeren Hülle um ein existierendes Teilchen herum. So können z.B. verschiedene Umhüllungen realisiert werden, welche beispielsweise als Marker verwendbar sind. Abb. 5 zeigt eine elektronenmikroskopische (Transmission Electron Microscopy – TEM) Aufnahme von Silica-Nanopartikel, abgeschieden auf einem Filter aus einer Suspension. Die Auswertung dieses Bildes erlaubt die Bestimmung der Nanopartikelgröße in der Suspension. Das Verfahren ist jedoch zeitaufwendig, läuft in mehreren Schritten ab und ist relativ kostspielig. Diese Suspension wurde dann mittels Nano-ESI aerosolisiert (Pui und Chen 1997, Bacher et al. 2001) und das Nanoaerosol, bestehend aus Silicapartikeln, mit der beschriebenen Messanordnung (Abb. 4b) untersucht. Abb. 4. (a) Schematische Darstellung eines differentiellen Mobilitätsanalysators und das Arbeitsprinzip des Gerätes. (b) Eine Kombination von mehreren Geräten (NanoESI-Generator mit Ladungskonditionierung, NanoDMA und Partikelzählung) erlaubt eine Echtzeitbestimmung der Größe und Konzentration der Nanopartikel. (c) Arbeitsprinzip eines Kondensationspartikelzählers. CPC Condensation Particle Counter
W. W. SZYMANSKI UND G. ALLMAIER
29
Abb. 5. TEM Abbildung der untersuchten Silica-Partikel
Die Resultate sind in der Abb. 6 dargestellt. Die ausgezeichnete Übereinstimmung der Größenverteilungen von gemessenen Nanopartikeln: TEMAnalyse aus der Flüssigkeit und die Nano-DMA-Analyse in der Gasphase zeigen eindeutig die Anwendbarkeit der aus der Aerosolforschung stammenden Echtzeitanalysenmethode zur Messung von Nanopartikeln.
2.2. PARALLEL-DIFFERENTIELLER MOBILITÄTSANALYSATOR (PDMA) Eine Weiterentwicklung der DMA-Partikelmesstechnik für Nanopartikel und Nanoaerosole stellt der Parallel-DMA (PDMA). Die schematische Darstellung der PDMA-Messanordnung ist in Abb. 7 abgebildet. Ähnlich wie im oben beschriebenen System (Abb. 4b) werden dem DMA1 (analytischer DMA) Nanopartikel im definierten Ladungszustand zugeführt. Die Gerätekombination DMA1-Elektrometer scannt diese Nanoaerosole und liefert ein Spektrum mit der Information über die Größenverteilung (Maximum-Wert bei 16.6 nm) und Anzahlkonzentration (Abb. 8). Simultan mit dem Spektrum-Scan im DMA1 wird der DMA2 (Kollektor DMA) derart eingestellt, dass dort nur jene Nanopartikelfraktion aus dem DMA2 herausgeführt wird, welche genau dem Maximum-Wert des DMA1 entspricht. Diese Partikel werden aus dem DMA direkt in einer Sammelvorrichtung angereichert (NPAS – Nanopartikel Sampler). Die im NPAS gesammelten Partikel wurden in analoger Weise untersucht wie bei der Abb. 5. Eine ausgezeichnete Übereinstimmung beider Größenverteilungen (Abb. 8) belegt nun den weiteren Schritt in der Entwicklung der Messtechnologie für Nanopartikel. Der Kollektor DMA (DMA2) kann aus einer, nicht notwendiger30
NANOPARTIKEL UND NANOAEROSOLE – MESSMETHODEN
Abb. 6. Vergleich der gemessenen Größenverteilung von Silica-Nanopartikeln mittels Nano-DMA und TEM
weise monomodalen Primärverteilung von Nanoaerosolen (Spektrum vom DMA1) eine beliebige Fraktion herauslösen und beispielsweise einer in Serie nachgeschalteten chemisch-analytischen Messanordnung, etwa Massenspektrometer, zwecks chemischer Analyse zuführen.
Abb. 7. Schematische Darstellung eines PDMA (Parallel-Differentieller Mobilitätsanalysator) mit Partikelelektrometer zum Nachweis der Partikel und Nanopartikelsammler (NPAS)
2.3. MASSENSPEKTROMETRIE (MS) Die Massenspektrometrie (Grayson 2002) stellt eine Methode dar, die sowohl Aussagen über das Vorhandensein der Elemente als auch ihrer Verhältnisse zueinander, über das Molekulargewicht und über die chemische StrukW. W. SZYMANSKI UND G. ALLMAIER
31
Abb. 8. Vergleichende Messung der Silica-Nanopartikel: DMA1 – Partikel im luftgetragenen Zustand und DMA2 – Ausschnitt aus dem Primärspektrum mit Partikeln erfasst durch NPAS
tur der Komponenten der Nanopartikel/Nanoaerosole liefern kann, wobei aber die Untersuchung eine Generierung von Ionen voraussetzt und die Analyse im Hochvakuum erfolgen muss. Weiters ist es möglich, die Verteilung von Elementen als auch Molekülen an der Oberfläche von Nanopartikeln zu bestimmen (Benninghoven et al. 1987, Tervahattu et al. 2002). Eine Quantifizierung von entsprechend kleinen Nanopartikel ist ebenso möglich. Drei Prinzipien der Methode, die sich auf Desorption und Ionisationsvorgang beziehen, können verwendet werden (Hoffmann et al. 2001): (1) Neutrale Nanoteilchen in der Gasphase bzw. gasförmige Moleküle werden in das Hochvakuum des Instrumentes eingebracht und dort durch verschiedenste Energiezufuhr ionisiert (Strahl von Elektronen, Photonen oder Ionen). Die so ionisierten Teilchen werden dann durch ein elektrisches Feld beschleunigt und in den massenspektrometrischen Analysator gebracht, wo sie nach verschiedensten Prinzipien aufgetrennt und detektiert werden. (2) Nanoteilchen oder Moleküle befinden sich auf einem Festkörper (Nanopartikelträger) im Hochvakuum und werden durch einen gepulsten, energiereichen Primärstrahl (Laser oder Ionen) in die Gasphase desorbiert und anschließend bzw. zeitgleich ionisiert. Danach erfolgt die schon beschriebene Vorgangsweise, nämlich die Beschleunigung und Fokussierung der gasförmigen Ionen in einen Analysator (Abb. 9). Als Beispiel sei hier das einfachste Trennprinzip von gasförmigen Ionen angeführt, das eines linearen Flugzeitanalysators (TOF, time-of-flight). Dabei treten Ionen unterschiedlichen Masse/Ladungsverhältnisses (m/z), aber mit unterschiedlicher kinetischer Energie in den Analysator ein, und fliegen in dem feldfreien, evaku32
NANOPARTIKEL UND NANOAEROSOLE – MESSMETHODEN
ierten (im Bereich von 10 –7 Torr und besser) Flugrohr bis zum Detektor (meist basierend auf dem Sekundärionenvervielfacher). Ionen mit einem kleinen m/z-Wert erreichen den Detektor aufgrund ihrer höheren Geschwindigkeit schneller als solche mit großem m/z-Wert. Man bestimmt nun die Flugzeit (im Nanosekunden- bis Mikrosekundenbereich) der ionisierten Partikel bzw. Moleküle und über Referenzionen kann man dann die exakten Massen bestimmen. Die Ionen können während der Generierung und danach aufgrund überschüssiger Energie fragmentieren. Dieser Vorgang kann aufgrund der bekannten Gesetzmäßigkeiten des Zerfalls in Kombination mit dem Molekulargewicht zur Strukturaufklärung herangezogen werden. (3) Eine Lösung der Moleküle oder eine Suspension der Nanopartikel wird bei Atmosphärendruck zerstäubt oder liegt bereits als Nanoaerosol (Nanotröpfchen) vor und wird danach vom Lösungsmittel befreit sowie ionisiert (es kann eine spontane Ionisation vorliegen oder die Ionisation kann durch Photonen erreicht werden (Abb. 10). Die so gebildeten, meist mehrfach geladenden ionischen Partikel oder Moleküle werden dann wieder beschleunigt und in das Hochvakuum eines massenspektrometrischen Analysators transferiert. Die mittels Massenspektrometrie erhältlichen Informationen sind folgende: vorhandene Elemente, Molekulargewicht und evtl. bei genügender
Abb. 9. Schema und Bild eines Sekundärionenflugzeitmassenspektrometers (SIMSTOF-MS). Die Primärstrahlquelle kann ein gepulster Laser oder eine Ionenkanone sein, die in einem bestimmten Winkel auf den Nanopartikelträger (dieser befindet sich bereits im Hochvakuum wie auch das nachfolgende Flugrohr sowie der Detektor) gerichtet sind. Die ionisierten Partikel, Moleküle, Fragmente oder Elemente werden in den Analysator (Auftrennung der Ionen mit unterschiedlichen m/z-Werten im feldfreien Flugrohr) beschleunigt. Die letzte Generation der SIMS-TOF-Massenspektrometer erlaubt auch das „Imaging“ von anorganischen und organischen Nanopartikeln.
W. W. SZYMANSKI UND G. ALLMAIER
33
Abb. 10. Schema eines Nanoaerosol-Dualflugzeitmassenspektrometers (Copyright TSI Inc., USA; Nachdruck mit Erlaubnis). Aerosol Time-of-Flight Mass Spectrometer (ATOFMS-3800) eignet sich zur chemischen Analyse von Nanopartikeln, wobei die Probenahme direkt unter dem atmosphärischen Druck abläuft. Mittels der dualen Anordnung können simultan die positiven und negativen Ionen gemessen werden und so eine vollständigere Information über die chemische Zusammensetzung von einzelnen Nanopartikeln liefern
Auflösung die Elementarzusammensetzung sowie via der gebildeten Fragmentionen Strukturinformationen. In Abb. 11a ist das Massenspektrum eines Dendrimernanopartikels (organisches, sphärisches Polymermolekül (siehe auch Nebenbild in Abb. 11b) der Generation 6) dargestellt, wie es mittels eines matrixunterstützten Laserdesorption/Ionisation (MALDI, Karas et al. 1988) Flugzeitmassenspektrometers im Linearmodus erzielbar ist. Damit wurde das exakte Molekulargewicht dieses Nanopartikels mit 50.2 kDa bestimmt und dies von einer sehr kleinen Menge (im unteren Piko(10 –12)molbereich) an Material, welches auf einem metallischen Träger adsorbiert war. Dabei konnte sowohl ein einfach als auch zweifach positiv geladenes Nanopartikel detektiert werden. Dieselben Dendrimernanopartikel wurden auch mittels des vorher beschriebenen NanoDMAs analysiert und es konnte ein Durchmesser von 6.4 q0.1 nm bestimmt werden (Abb. 11b). Aus der Kombination der Resultate der beiden Analysetechniken kann die durchschnittliche Dichte derartiger organischer Nanopartikel errechnet werden, was für die Anwendung von großer Bedeutung ist. Zusammen mit den genannten Infomationen kann man durch die Desorption/Ionisation (via Laser- oder Ionenstrahl) von vielen Punkten am Nanopartikel ein „massenspektrometrisches Image“ der Oberfläche des 34
NANOPARTIKEL UND NANOAEROSOLE – MESSMETHODEN
Nanoobjektes bezüglich eines Elementes oder Moleküls erzeugen (Tervahattu et al. 2002). Neben dem hohen Informationsgehalt, den man mittels massenspektrometrischer Techniken erzielen kann, ist die Methode auch sehr empfindlich (einige tausend Moleküle reichen oft schon aus) und erlaubt auch
a
b Abb. 11. (a) Analytische Daten (Massenspektrometrie und Nano DMA) eines organischen Polymernanopartikels – Dendrimer der Generation 6. MALDI Massenspektrum des Nanoteilchens; erhalten mittels eines linearen Flugzeitmassenspektrometers im positiven Ionenmodus aus dem sich das exakte Molekulargewicht berechnen lässt. (b) Nano-DMA Spektrum des Nanoteilchens, erhalten mit einem NanoESI-Nano-DMA-CPC System aus dem sich der Teilchendurchmesser ablesen lässt. Im Nebenbild ist die schematische 3D-Struktur des Dendrimers dargestellt
W. W. SZYMANSKI UND G. ALLMAIER
35
eine quantitative Analyse in komplexen Systemen. Limitierend ist der abdeckbare Molekulargewichtsbereich bzw. Partikelgröße (Abb. 3) und auch das Faktum, dass die Nanopartikel ionisierbar sowie in die Gasphase überführbar sein müssen.
3. ZUSAMMENFASSUNG Viele Bereiche der Nanowissenschaften und der verknüpften Nanotechnologie existieren bzw. sind erst entstanden, weil immer bessere Messinstrumente entwickelt wurden, die z.B. das „Imaging“ erlauben. Die Zukunft in der Messtechnik liegt in der drastischen Verkleinerung der Messinstrumente (z.B. massenspekrometrische Analysatoren von der Größe eines Fingerhuts und kleiner [Badman et al. 2000]), DMAs in der Größe der Briefmarke (Flagan 2004) sowie in der Entwicklung der „Microfluidics“-Technik (Minteer 2006). Diese Technik erlaubt es, kleinste Flüssigkeitsvolumina zu manipulieren und damit verknüpfte hochsensitive Assays zu entwickeln. Diese gestatten es dann, Einzelmoleküle und individuelle Nanopartikel zu detektieren (Agrawal et al. 2006) und, was noch wichtiger erscheint, in chemischer, physikalischer und biologischer Weise zu charakterisieren (Wang et al. 2006). Dies wurde bereits in einem Treffen im Jahr 2004 der American Society for Testing and Materials als wichtiger Punkt im Zusammenhang mit der Nanotechnologie erkannt und deshalb ein Subkomitee dazu gegründet (ASTM International 2005). Analoge Bestrebungen gibt es auch innerhalb der Aerosolwissenschaft (Friedlander and Pui 2003). Ähnlich dem olympischen Motto „höher, schneller und weiter“, gilt für die Nanotechnologie „kleiner, niederer und weniger“. Die meisten Entwicklungen spielen sich im Moment auf dem Gebiet der Nanowissenschaft und nicht der Nanotechnologie ab. Es wird also hauptsächlich im Gundlagenbereich gearbeitet. Wenn in diesem Bereich solide Resultate generiert werden, dann ist eine exzellente Basis für spätere Applikationen geschaffen. Die Technologie folgt dann sehr rasch, fast automatisch wie die Vergangenheit gezeigt hat.
4. LITERATUR UND QUELLENHINWEISE Agrawal A, Zhang C, Byassee T, Tripp RA, Nie S (2006) Counting single native biomolecules and intact viruses with color-coded nanoparticles. Anal Chem 78: 1061– 1070 Alivistatos AP (2004) The use of nanocristals in biological detection. Nature Biotech 22: 47–52 ASTM International (2005) Minutes: organizational meeting for ASTM Internatinal Activity on Nanotechnology, New York 36
NANOPARTIKEL UND NANOAEROSOLE – MESSMETHODEN Bacher G, Szymanski WW, Kaufman SL, Zöllner P, Blaas D, Allmaier G (2001) Charge reduced nano-electrospray combined with differential mobility analysis of peptides, proteins, glycoproteins, noncovalent protein complexes and viruses. J Mass Spectrom 36: 1038–1052 Badman ER, Cooks RG (2000) Miniature mass analyser. J Mass Spectrom 35: 659–671 Benninghoven A, Rüdenauer F, Werner HW (1987) SIMS: basic concepts, instrument aspects, applications and trends. Wiley, Chichester Daniel M-C, Astruc D (2004) Gold nanoparticles: assembly, supramolecular chemistry, quantum-size-related properties, and applications toward biology, catalysis, and nanotechnology. Chem Rev (Review) 104 (1): 293–346 Dresselhaus MS, Dresselhaus G, Eklund PC (1996) Science of fullerenes and carbon nanotubes. Academic Press, New York Drexler EK (1986) Engines of creation – the coming era of nanotechnology. Anchor Book, New York Feynman R (1960) There is plenty of room at the bottom. An invitation to enter a new field of physics. California Institute of Technology (Caltech) Flagan RC (2004) Opposed migration aerosol classifier (OMAC). Aerosol Sci Technol 38: 890–899 Friedlander SK, Pui DYH (2003) Emerging issues in nanoparticle aerosol science and technology (NAST). Report of a National Science Foundation workshop. University of California, Los Angeles Grayson MA (2002) Measuring mass: from positive rays to proteins. Chemical Heritage Press, Philadelphia Hoffmann JC, Stroobant V (2001) Mass spectrometry: principles and applications. Wiley, Chichester Iijima S (1991) Helical microtubes of graphitic carbon. Nature 354: 56–58 InMat Inc, Hillborough, NJ, USA (2004) www.inmat.com Karas M, Hillenkamp F (1988) Laser desorption ionization of proteins with molecular masses exceeding 10000 Daltons. Anal Chem 60: 2299–2301 Kaufman SL (1998) Analysis of biomolecules using electrospray and nanoparticle methods: the gas-phase electrophoretic mobility molecular analyzer (GEMMA). J Aerosol Sci 29: 537–549 Laschober C, Kaufman SL, Reischl G, Allmaier G, Szymanski WW (2006) Comparison between an unipolar corona charger and a polonium-based bipolar neutralizer for the analysis of nanosized particles and biopolymers. J Nanosci Nanotechnol 6: 1474– 1481 Link JR, Sailor MJ (2003) Smart dust: self-assembling, self-orienting photonic crystals of porous Si. PNAS, USA 100, 19: 1079–1083 Liu PSK, Dashler T (2003) Causes of concentration differences between a scanning mobility particle sizer and a condensation particle counter. Aerosol Sci Technol 37: 916–923 Liu BYH, Pui DYH (1974) Electrical neutralization of aerosols. J Aerosol Sci 5: 465–472 Liu BYH, Pui DYH (1975) On the performance of the electrical aerosol analyzer. J Aerosol Sci 6: 249–264 Minteer SD (2006) Microfluidics techniques: reviews and protocols. Humana Press, Totwa, NJ Murday JS (2002) The coming revolution: science and technology of nanoscale structures. The AMTIAC Newsletter 6: 5–10 Nano-S Biotechnologie, Wien, Österreich (2006) www.nano-s.com W. W. SZYMANSKI UND G. ALLMAIER
37
Preining O (1998) The physical nature of very, very small particles and its impact on their behavior. J Aerosol Sci 29: 481–495 Pui DYH, Chen DR (1997) Nanometer particles: a new frontier for multidisciplinary research. J Aerosol Sci 28: 539–544 Pum D, Sleytr UB (1999) The application of bacterial S-layers in molecular nanotechnology. Trends Biotechnol 17: 8–12 Roco MC (2005) Basic nanotechnology, invited lecture at International Symposium on Nanotechnology and Occupational Health, Minneapolis Royal Society (2004) Nanoscience and nanotechnologies: opportunities and uncertainties. The Royal Society and The Royal Academy of Engineering, London. www.nanotec. org.uk Souza-Filho AG, Jorio A, Samonidze GeG, Dresselhaus G, Saito R, Dresselhaus MS (2003) Raman spectroscopy for probing chemically/physically induced phenomena in carbon nanotubes. Nanotechnology 14: 1130–1139 Stupp SI, Lebonheur V, Walker K, Li LS, Huggins KE, Kessler M, Amstutz A (1997) Supramolecular materials: self-organised nanostructures. Science 276: 384–389 Szymanski WW, Bacher G, Allmaier G (2001) Nanoaerosol approach for characterisation of proteins and viruses, „BioMEMS and Smart Nanoatructures“. SPIE 4590: 38–45 Szymanski WW, Wagner PE, Itoh M, Ohachi T (Hrsg) (2004) Nanostructured materials and their applications. Facultas, Wien Szymanski WW, Kaufman SL, Linnemeyr K, Allmaier G (1997) Comparison of molecular mass data of biomolecules obtained by GEMMA and MALDI-TOF-MS. J Aerosol Sci 28: S141–142 Tammet HJ (1995) Size and mobility of nanometer particles, clusters and ions. J Aerosol Sci 26: 459–575 Tervahattu H, Juhanuja J, Kupiainen K (2002) Identification of an organic coating on marine aerosol particles by TOF-SIMS. J Geophys Res 107: 4319–4325 Thayer AM (2003) Nanomaterials. Chem Eng News 81: 15–22 Wang S, Zordan CA, Johnston MV (2006) Chemical characterization of individual, airborne sub-10-nm particles and molecules. Anal Chem 78: 1750–1754
38
NANOTECHNOLOGIE ALS WIRTSCHAFTLICHER WACHSTUMSMARKT W. LUTHER
Die Nanotechnologie birgt als Schlüssel- und Querschnittstechnologie erhebliche wirtschaftliche Potenziale. Für eine Vielzahl wichtiger Industriebranchen wie Automobilbau, Chemie, Pharma, Informationstechnik oder Optik wird die künftige Wettbewerbsfähigkeit ihrer Produkte wesentlich von der Erschließung des Nanokosmos abhängen. Die Nanotechnologie eröffnet dabei neue Marktchancen durch die Realisierung kleinerer, schnellerer, leistungsfähigerer und „intelligenterer“ Systemkomponenten für neue Produkte mit deutlich verbesserten und zum Teil gänzlich neuartigen Funktionalitäten. Obwohl bereits viele Produkte mit nanotechnologischen Komponenten auf dem Markt etabliert sind, wird ein Großteil der nanotechnologischen Erkenntnisse erst in einigen Jahren, teilweise sogar erst in Jahrzehnten in Produkte umgesetzt werden können. Schlüsselworte: Kommerzialisierung, Marktpotenzial, Patentanalyse, nanotechnologische Produkte
Economic potentials of nanotechnology Nanotechnology as a key and cross-section technology has an enormous economic potential. The competitiveness of numerous industrial branches will strongly depend on the exploitation of the nano cosmos. Nanotechnology opens up commercial opportunities by creating smaller, faster and more „intelligent“ components for new products with enhanced performance or entirely new functionalities. Although some nanotechnological components are already well established on the mar39
ket, the transformation of nanotechnology into commercial products will take years or even decades. Keywords: Commercialisation, market potential, patent analysis, nanotechnological products
1. NANO-PHÄNOMENE ALS BASIS FÜR PRODUKTINNOVATIONEN Die Nanotechnologie ermöglicht die gezielte Manipulation und technische Nutzung winziger Objekte und Strukturen, die millionenfach kleiner als ein Stecknadelkopf sind. Durch dieses nanotechnologische Know-how lassen sich außergewöhnliche Materialeigenschaften und Funktionalitäten erzielen, die Potenziale für Produktinnovationen in fast allen Technikfeldern und Wirtschaftsbranchen eröffnen. Selbstreinigende Beschichtungen, neuartige Krebstherapien oder miniaturisierte Datenspeicher sind nur einige Beispiele für Anwendungen, die durch die Nanotechnologie ermöglicht werden. Die Basis für nanotechnologische Innovationen ergibt sich aus physikalischen, chemischen und biologischen Eigenschaftsänderungen und neuartigen Effekten, die in nanostrukturierten Materiebausteinen auftreten. Physikalische Materialeigenschaften eines Festkörpers wie elektrische Leitfähigkeit, Magnetismus, Fluoreszenz, Härte oder Festigkeit ändern sich hierbei fundamental mit der Anzahl und der Anordnung der wechselwirkenden Atome, Ionen oder Moleküle. Anders als in makroskopischen Festkörpern können Elektronen in einem Nanocluster nur ganz bestimmte „quantisierte“ Energiezustände einnehmen, die von der Anzahl der wechselwirkenden Atome beeinflusst werden. Hieraus ergeben sich beispielsweise sehr charakteristische optische und elektronische Eigenschaften, die stark mit der Größe des jeweiligen Clusters variieren. So fluoresziert ein 2 nm großer Cadmiumtelluridpartikel grünes Licht, ein 5 nm großer Partikel hingegen rotes Licht. Derartige Effekte werden beispielsweise bei Sicherheitspigmenten oder Markerstoffen in der medizinischen Diagnostik angewendet. Andere physikalische Phänomene, die nur auf der Nanoskala auftreten, sind der Tunneleffekt, der die Basis für Rastertunnelmikroskope bildet, oder magnetoelektronische Widerstandseffekte, auf deren Grundlage Leseköpfe für immer kleinere und leistungsfähigere Festplatten-Datenspeicher realisiert werden können. Auch chemische Materialeigenschaften hängen sehr stark von der Anordnung und Strukturierung der elementaren Materiebausteine ab. Durch Nanostrukturierung lässt sich in der Regel eine deutlich erhöhte chemische Reaktivität erzielen, da Materialien bei einer Aufteilung in nanoskalige Substrukturen ein stark vergrößertes Verhältnis von reaktiven Oberflächenatomen zu reaktionsträgen Teilchen im Inneren eines Feststoffes aufweisen. In einem Partikel mit einem Durchmesser von 20 nm befinden sich beispielsweise ca. 10% der Atome an der Oberfläche, in einem 1 nm großen Partikel beträgt der 40
NANOTECHNOLOGIE ALS WIRTSCHAFTLICHER WACHSTUMSMARKT Tabelle 1. Anwendungsbeispiele für Effekte und Eigenschaftsänderungen in nanostrukturierten Materialien und Komponenten Materialeigenschaften
Beispiele für Effekte durch nanoskalige Konfiguration
Chemisch
– Erhöhte Löslichkeit von Lebensmittelzusatzstoffen und medizinischen Wirkstoffen – Easy-To-Clean Eigenschaften von Oberflächen durch nanopartikuläre Beschichtungsmaterialien – Effizientere Abgaskatalysatoren in Automobilen durch vergrößerte Katalysatoroberflächen – Leistungsfähigere Batterien und Akkumulatoren durch höhere spezifische Elektrodenoberflächen
Mechanisch
– Erhöhte Gasdichtigkeit von Lebensmittelverpackungen durch Zusatz von Nanopartikeln oder Nanobeschichtungen – Verbesserte Kratzfestigkeit von Lacken durch keramische Nanopartikel – Hochbelastbare und verschleißfeste mechanische Komponenten durch nanostrukturierte Hartschichten – Verbesserte Steifigkeit von Sportgeräten durch Zusatz von Nanopartikeln
Optisch
– Transparenter UV-Schutz in Kosmetika, Textilien oder Möbeln – Spezifische Fluoreszenzeigenschaften von Nanopartikeln in Abhängigkeit von der Partikelgröße für Sicherheitspigmente oder Markerstoffe in medizinischen Schnelltests – Spezielle Farbeffekte bei Farben und Lacken (z.B. Interferenzpigmente) – Selektive Lichtleitung und -steuerung durch photonische Kristalle – Antireflexeigenschaften bei Displays und Anzeigen
Biologisch
– Erhöhte Durchlässigkeit für physiologische Barrieren (Membrane, Blut-Hirn-Schranke etc.) in Medikamenten – Erhöhte Biokompatibilität durch Nanostrukturierung von Knochenersatzmaterialien und Wundverschlüssen – Antibakterielle Eigenschaften von Gebrauchsgegenständen durch Silbernanopartikel
Geometrisch
– Höhere Integrationsdichte von elektronischen Komponenten für miniaturisierte und hochleistungsfähige Computerchips – Nanoporöse Materialien für hochselektive Membranen, Katalysatoren oder thermische Isolationsmaterialien – Selektive Hohlräume für den Transport oder die kontrollierte Abgabe spezifischer Moleküle
W. LUTHER
41
Anteil der reaktiven Oberflächenatome bereits 99%. Dadurch lassen sich beispielsweise katalytische Ausbeuten erhöhen, die Löslichkeit und biologische Verfügbarkeit von Wirkstoffen verbessern oder die Sintertemperatur von Keramiken durch Verwendung von Nanopulvern verringern. In der Biologie spielen Nanostrukturen ebenfalls eine entscheidende Rolle, da nahezu alle biologischen Prozesse von nanoskaligen Strukturbausteinen wie Nukleinsäuren, Proteinen etc. gesteuert werden. Der Aufbau komplexer biologischer Systeme wie Zellen und Organe erfolgt hierbei nach dem Prinzip der Selbstorganisation, wobei einzelne Moleküle auf Basis chemischer Wechselwirkungen und molekularer Erkennungsmechanismen zu größeren Einheiten zusammengesetzt werden. Die Nanotechnologie zielt langfristig auf die Nachahmung und technische Nutzung dieser biologischen Prinzipien. Oftmals ist es aber auch allein die Kleinheit nanoskaliger Strukturen, die zu Performance-Vorteilen in technischen Komponenten führen. So führt beispielsweise die fortschreitende Miniaturisierung von Strukturen bei elektronischen Schaltkreisen zu immer leistungsfähigeren Prozessoren und Datenspeichern in der Informationstechnik. Durch Nanostrukturierung ergeben sich somit neuartige Möglichkeiten für das gezielte Design von Materialien und technischen Komponenten, bei denen gewünschte Eigenschaften und Funktionalitäten kombiniert und für den jeweiligen technischen Anwendungszweck gezielt angepasst werden können.
2. ANWENDUNGEN DER NANOTECHNOLOGIE IN WIRTSCHAFTSBRANCHEN UND PRODUKTEN Für eine Vielzahl wichtiger Industriebranchen wie Automobilbau, Chemie, Pharma, Informationstechnik oder Optik wird die künftige Wettbewerbsfähigkeit ihrer Produkte wesentlich von der Erschließung des Nanokosmos abhängen (BMBF 2004). Anwendungen der Nanotechnologie betreffen jedoch nicht nur High-Tech-Bereiche sondern auch klassische Industriezweige wie die Textilindustrie, die Bautechnik oder den Maschinenbau. Die wichtigsten Anwendungsfelder und Produktoptionen werden im Folgenden kurz erläutert.
2.1. INFORMATIONSTECHNIK Die Informationstechnik ist eine Schlüsseltechnologie, die in den letzten Jahrzehnten einen Innovationsschub in fast allen Wirtschaftsbranchen ausgelöst hat und daher eine enorme volkswirtschaftliche Bedeutung besitzt. Der Trend zu immer leistungsfähigeren, kompakteren und multifunktionalen Geräten der Informationsverarbeitung, Kommunikation und der 42
NANOTECHNOLOGIE ALS WIRTSCHAFTLICHER WACHSTUMSMARKT
Unterhaltungselektronik ist ungebrochen. Ermöglicht wird dies durch eine zunehmende Miniaturisierung der Strukturen der Schaltkreise in der Silizium-basierten Elektronik. Hierdurch konnte in den letzten Jahrzehnten die Leistung der Bauteile bei gleichzeitig fallenden Preisen stetig gesteigert werden. Die Strukturen moderner Prozessoren liegen mittlerweile bereits deutlich unter 100 nm, was durch neuartige lithographische Produktionstechniken zur Nanostrukturierung ermöglicht wird. Die Nanotechnologie bietet aber über die Miniaturisierung der konventionellen Siliziumelektronik hinaus zahlreiche alternative Ansätze zur Datenspeicherung und -verarbeitung. Die Magnetoelektronik hat bereits seit längerem Einfluss auf den mehrere Milliarden Euro umfassenden Weltmarkt der Festplattenspeicher, die magnetoelektronische Sensoren in den Leseköpfen verwenden, um höhere Datenspeicherkapazitäten zu erreichen. Ein anderes Speicherkonzept, der Flash-Speicher, nutzt den quantenmechanischen Tunneleffekt zur Datenspeicherung. Er würde ohne nanometerdünne Schichten nicht funktionieren. Mittelfristig werden alternative nanotechnologische Speicherkonzepte wie ferroelektrische Speicher oder Phasenwechsel-Speicher Marktanteile des Milliardenmarktes für Speicherchips erobern. Noch weiter in die Zukunft reichen nanotechnologische Konzepte, die derzeit z.T. noch im Bereich der Grundlagenforschung anzusiedeln sind, wie die Molekularelektronik, die Spintronik oder die Quanteninformationsverarbeitung.
2.2. LIFE SCIENCES Der Bereich Life Sciences befasst sich mit der gezielten, marktwirtschaftlichen Anwendung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, insbesondere in den Anwendungsgebieten Gesundheit und Ernährung. Im Fokus stehen hierbei die Branchen pharmazeutische Industrie, Material- und Medizintechnik, Chemie und Biotechnologie. Ein Schwerpunkt der Nanotechnologie-Anwendungen in den Life Sciences liegt im Gesundheitssektor, in dem Nanotechnologien einen wirkungsvollen Beitrag für eine effizientere und bessere Gesundheitsversorgung leisten können. Nanoskalige Drug-Delivery-Systeme bieten das Potenzial, in wässrigen Medien schwerlösliche oder chemisch labile Wirkstoffe zum kranken Gewebe zu transportieren, biologische Barrieren, wie die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden und Wirkstoffe gezielt im kranken Gewebe anzureichern, um so die Gefahr von Nebenwirkungen zu verringern. Mittlerweile befinden sich die ersten Medikamente, die solche DrugDelivery-Systeme nutzen, auf dem Markt. Zukünftig wird der Einsatz von Nanopartikeln neue Therapieformen z.B. gegen Krebs ermöglichen. Nanostrukturierte Oberflächen verbessern die Bioverträglichkeit von Implantaten. Eine große Bedeutung kommt dabei einem verbesserten Verständnis der Vorgänge an der Grenzfläche zwischen dem Gewebe und der Implantatoberfläche zu. Im Rahmen der Nanobiotechnologie wird die Entwicklung neuer, W. LUTHER
43
kleinerer und immer leistungsfähigerer Biochipsysteme vorangetrieben. Diese dienen z.B. der Untersuchung von DNA-, Protein- und Zellproben. Ziel ist es, eine höhere Sensitivität, Zuverlässigkeit und ein beschleunigtes Screening für die pharmakologische Wirkstoffsuche, aber auch für die medizinische Diagnostik zu erhalten. Deutliche Fortschritte in der medizinischen Diagnostik werden auch vom Einsatz nanopartikulärer Kontrastmittel erwartet, die spezifisch an kranke Zellen binden. Mittelfristig soll so eine Frühdiagnose bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie eine bessere Risikoklassifizierung und Therapiekontrolle bei Krebs möglich werden.
2.3. OPTIK Die optische Industrie setzt in ihren Anwendungsbereichen Augenoptik, Photonik und Präzisionstechnik sowie Messtechnik und Sensorik in breitem Umfang modernste nanotechnologische Herstellungsverfahren und Geräte ein. Ultrapräzisionsoptiken kommen vor allem in der Lithographie zum Einsatz, bei der für die Herstellung elektronischer Bauelemente mit nanoskaligen Strukturgrößen atomar präzise Optiken zwingend erforderlich sind. Optoelektronische Bauelemente wie Laser- und Leuchtdioden (LED) basieren auf extrem dünnen, nur nanometerdicken Halbleiterschichten. Derartige Bauelemente haben schon seit langem Einsatz in hochvolumigen Massenmärkten gefunden, insbesondere in den Bereichen IuK-Technologie (z.B. Diodenlaser für DVD und CD-Geräte), der Beleuchtungstechnik (LED) und anderen Anwendungsfeldern. Aufgrund ihrer langen Lebensdauer und ihrer hohen Effizienz sind optoelektronische Lichtquellen nicht nur zuverlässiger als konventionelle Leuchtmittel, sondern auch sehr sparsam im Energieverbrauch. Weiterentwicklungen der nächsten Jahre zielen auf die Erschließung neuer Wellenlängenbereiche, die Verbesserung von Lichtleistung, Effizienz und Lebensdauer, sowie die Entwicklung flexibler Lichtquellen auf Polymerbasis. Hierdurch werden voraussichtlich in Zukunft weitere aussichtsreiche Märkte erschlossen werden können, z.B. auf Lasern basierte Fernseher oder auch weiße LED als Frontscheinwerfer im Automobil. Flachbildschirme werden in Zukunft herkömmliche Kathodenstrahlröhrenbildschirme weitgehend verdrängen. Der Hauptanteil fällt hierbei auf Flüssigkristalldisplays, aber auch andere auf Nanotechnologie basierende Konzeptionen wie organische Leuchtdioden (OLED)1 oder Feldemissionsdisplays (FED)2 werden signifi1
OLED: Organic Light Emitting Diodes. Bei OLED bestehen die Licht emittierenden Halbleiterkomponenten aus speziellen Kunststoffen, d.h. „organischen“ Verbindungen. 2 FED: Field Emitting Displays. Bei Feldemissionsdisplays werden durch Anlegen eines starken elektrischen Feldes Elektronen aus einer Spitze (z.B. aus Kohlenstoffnanoröhren) emittiert. Diese Elektronen werden beschleunigt und auf einen Leuchtbildschirm gelenkt, der die Bildsignale erzeugt. 44
NANOTECHNOLOGIE ALS WIRTSCHAFTLICHER WACHSTUMSMARKT
kante Marktanteile erzielen. Von OLED-Displays erhofft man sich vor allem eine große Kostenersparnis und neue Anwendungsmöglichkeiten, da diese großflächig prozessierbar, flexibel und preisgünstig herstellbar sind. Feldemissionsdisplays sind selbstleuchtend und können farbige Bilder mit hoher Helligkeit und ausreichendem Kontrast darstellen. In modernen FED werden als besonders effiziente Elektronenemitter Kohlenstoffnanoröhren verwendet. Optische Sensoren im visuellen, infraroten und ultravioletten Spektralbereich finden zunehmend Verbreitung in verschiedenen industriellen Anwendungsfeldern. Auch in diesem Bereich lassen sich durch nanotechnologische Anwendungen Effizienz, Selektivität und Lebensdauer der Sensorkomponenten verbessern.
2.4. AUTOMOBIL Steigende staatliche Reglementierungen bei der Sicherheit und der Umweltverträglichkeit sowie immer höhere Kundenerwartungen in Bezug auf Leistung, Komfort und Design von Automobilen sind ein ständiger Antrieb für die Einführung innovativer Technologien im Automobilbau. Aufgrund ihres breiten Querschnittscharakters wird eine Vielzahl von Automobiltechnologien von der Nanotechnologie beeinflusst werden. Schon heute wird eine Vielzahl von Automobilkomponenten durch nanotechnologische Verfahren in ihrer Funktion optimiert. Mechanisch hoch beanspruchte Bauteile, wie z.B. Dieseleinspritzpumpen, werden durch nanostrukturierte Hartschichten vor Verschleiß geschützt, um höhere Einspritz-Drucke zu ermöglichen. Diese sind notwendig, um den wachsenden Anforderungen an Kraftstoffeinsparungen und Schadstoffreduktion gerecht zu werden. Antireflexionsbeschichtungen auf Abdeckscheiben im Displaybereich erhöhen die Fahrsicherheit und gestatten eine bessere Lesbarkeit der Instrumente. Nanobeschichtungstechnologie ermöglicht den Einsatz von Kunststoff statt Glas in Automobilverscheibungen. Derartige Kunststoffscheiben, z.B. auf Polycarbonatbasis, erhalten durch transparente nanoskalige Schichten die Kratzfestigkeit von Mineralglas, sodass ein Einsatz in hochbeanspruchten Automobilscheiben möglich wird. In Autoreifen werden nanostrukturierte Rußpartikel schon seit geraumer Zeit eingesetzt, um die Laufleistung und Straßenhaftung moderner Reifen zu verbessern. Ebenso können Nanopartikel als Additiv in Schmiermitteln die Reibung im Motor reduzieren und somit zu einer Verschleißminderung beitragen. Nanometergroße Siliziumdioxidpartikel erhöhen die Kratzfestigkeit des Lackes und werden bereits in der Serienfertigung eingesetzt. Das Potenzial der Nanotechnologie wird sich aufgrund langer, an Innovationszyklen der verschiedenen Modellserien gekoppelte Vorlaufzeiten für Technologieentwicklungen erst in einigen Jahren im Automobilbau voll entfalten. Für zukünftige Einsatzmöglichkeiten der Nanotechnologie existieren eine Vielzahl von Entwicklungsbemühungen W. LUTHER
45
und Konzeptvorschläge, die sämtliche Einsatzbereiche im Automobilbau betreffen, wie energieeffiziente Antriebe, Leichtbau, Schadstoffreduktion und Ressourcenschonung, die passive und aktive Sicherheit bis hin zum Komfort und Design.
2.5. CHEMIE Die Chemische Industrie übt eine große volkswirtschaftliche Hebelwirkung aus, da Materialinnovationen einen wesentlichen Treiber für den technologischen Fortschritt und innovative Produkte in vielen anderen Industriebranchen darstellen. Die Nanotechnologie, insbesondere der Bereich Nanomaterialien, wird in Zukunft eine wachsende Bedeutung in der chemischen Industrie bei der Erzeugung hochwertiger Spezialchemikalien spielen, und zwar überwiegend auf der Wertschöpfungsstufe von Vor- und Zwischenprodukten. In einigen Teilbereichen ist die Anwendung von Nanomaterialien schon lange etabliert, z.B. bei Industrierußen, Pigmenten, Polymerdispersionen und Kolloiden. In anderen Bereichen, insbesondere für Anwendungen im Gesundheitswesen oder der Elektronik, befinden sich eine Reihe neuartiger Nanomaterialien in der Forschungspipeline, die erst in den kommenden Jahren ihr wirtschaftliches Potenzial entfalten werden. Neue Nanomaterialien, wie beispielsweise Kohlenstoffnanoröhren, funktionalisierte Nanopartikel, Nanokomposite oder nanoporöse Schäume weisen herausragende Eigenschaften auf, die eine Schrittmacherfunktion für innovative Produkte in einer Vielzahl von Industriezweigen wie der Medizin, Kosmetik, Automobilbau, IuK-Technik sowie die Energie- und Umwelttechnik ermöglichen können. Ein Beispiel hierfür sind Kohlenstoffnanoröhren, die eine bis zu 20-mal bessere Zugfestigkeit als Stahl aufweisen, elektrischen Strom besser als Kupfer leiten und eine hervorragende Wärmeleitfähigkeit besitzen. Mittlerweile lassen sich Kohlenstoffnanoröhren in industriellem Maßstab herstellen. Die breite Anwendungspalette der Nanotechnologie in der Chemie betrifft Innovationen u.a. in den Bereichen Katalysatoren, Membranen, Komposit-Werkstoffe, Wirkstoffträger, Klebstoffe, Sensoren, Farben und Lacke.
2.6. TEXTIL Im Bereich neuer High-Tech-Textilien bieten sich attraktive Marktpotenziale in neuen Wachstumsmärkten wie textilen Lifestyle-Produkten oder technischen Textilien, z.B. für die Automobil- oder Umwelttechnik. Innovationen in diesen Bereichen basieren heute zunehmend auf Forschung und Wissenschaft in High-Tech-Sektoren wie der Nanotechnologie. Anwendungen der Nanotechnologie betreffen beispielsweise extrem isolierende 46
NANOTECHNOLOGIE ALS WIRTSCHAFTLICHER WACHSTUMSMARKT
Wärmeschutzbekleidungen auf der Basis von Aerogelen oder auch aktiv wärmeregulierende Textilien auf der Basis mikroverkapselter Phasenwechsel-Materialien, z.B. für Sportbekleidung, Freizeitmode, Arbeitsschutz-Ausrüstungen oder Sitzbezüge im Automobilbau. Der Einsatz von Nanomaterialien ermöglicht weiterhin die Herstellung selbstreinigender Textiloberflächen, von denen Wasser und Schmutz und selbst Substanzen wie Ketchup, Honig, Kaffee oder Rotwein mühelos abperlen. Ein weiterer Trend sind sogenannte Smart Clothes, die durch Verbindung moderner Fasern und Textilstrukturen mit miniaturisierten elektronischen Komponenten Umwelteinflüsse wahrnehmen und darauf reagieren können. Nanotechnologische Innovationen werden hierbei Lösungen für eine zunehmende Verschmelzung mobiler IuK-Geräte und textiler Bekleidungsstücke sowie die dafür benötigte Energieversorgung beitragen.
2.7. BAUWESEN Die Nanotechnologie bietet auch in einem konventionellen Industriezweig wie dem Bausektor erhebliche Potenziale, innovative und nachhaltige Strategien im Wohnungs-, Wirtschafts- und Infrastrukturbau zu forcieren. Insbesondere die Bereiche energieeffizientes Bauen und die Altbaumodernisierung könnten wesentlich von nanotechnologischen Innovationen profitieren. Schwerpunkte von Nanotechnologie-Anwendungen im Bausektor liegen insbesondere in einer innovativen, intelligenten Fassadengestaltung. Durch nanotechnologische Oberflächenfunktionalisierung werden Fassadenflächen vor Korrosion geschützt, Verunreinigungen durch Schmutz, biologische Anhaftungen oder Graffiti weitgehend vermieden und durch spezielle Farbeffekte ein ansprechendes Design ermöglicht. In der kommerziellen Anwendung im Bausektor sind Titandioxid-basierte photokatalytische Oberflächen im Einsatz, die selbstreinigende Eigenschaften aufweisen und zugleich antibakteriell wirken, da an der Oberfläche anhaftende Keime abgetötet werden. Die möglichen Anwendungen photokatalytischer Schichtsysteme im Bausektor umfassen u.a. selbstreinigende Fenster, Fensterrahmen, Ziegel und sonstige Außenfassadenelemente. Neuartige Dämmstoffe und ein Energiemanagement auf Basis schaltbarer Verglasungen könnten wesentliche Beiträge für Energieeinsparungen in der Gebäudetechnik liefern. Hoch-poröse Nanomaterialien wie Silica-Aerogele3 zeichnen sich durch vorzügliche Isolation gegen Wärmeleitung und Konvektion aus, lassen hingegen Wärmestrahlung und Licht sehr gut durch und können fast glasklar sein. Aufgrund 3
Aerogele sind hochporöse Stoffe, die zu über 99% aus Luft bestehen. Diese befindet sich in den Poren eines Netzwerkes von Nanopartikeln (z.B. aus Siliziumdioxid), die über chemische Bindungen miteinander verknüpft sind. W. LUTHER
47
der hohen Transparenz von Aerogelmaterialien eignen sich diese neben durchsichtigen Außenfassaden prinzipiell auch für den Einsatz in Fensterscheiben. Schaltbare Gläser4, z.B. auf Basis elektrochromer oder photochromer Beschichtungen, ermöglichen eine optimale Anpassung der Lichtdurchlässigkeit und könnten in Zukunft externe Verschattungssysteme, wie z.B. Blendschutzsysteme und Jalousien ersetzen. Ein hohes Potenzial liegt auch im Ersatz umweltbelastender Stoffe, beispielsweise im Brandschutz oder in der Verbesserung konventioneller Baustoffe wie Beton, die völlig neue Konstruktionsmöglichkeiten eröffnen könnten.
2.8. CONSUMER-PRODUKTE Die Nanotechnologie findet immer breiteren Eingang in Verbraucherprodukte in den Bereichen Kosmetik, Nahrungsmittel, Sport und Freizeit. In Europa sind mittlerweile über 500 Produkte, die den Begriff „nano“ enthalten, als Marke geschützt. Anwendungen im Lebensmittelbereich betreffen beispielsweise Vitamine und Nahrungsergänzungsstoffe, die in nanoskaliger Form eingesetzt werden, um die Löslichkeit und die Aufnahme in den menschlichen Körper zu verbessern. Nanobeschichtungen verringern die Gasdurchlässigkeit von Lebensmittelverpackungen und Plastik-Getränkeflaschen, wodurch die Haltbarkeit von Lebensmitteln deutlich verbessert wird. Nanostrukturiertes Siliziumdioxid wird aufgrund des hohen Adsorptionsvermögens als Rieselhilfsmittel oder Trägerstoff verwendet, um beispielsweise das Fließverhalten von Ketchup zu verbessern oder ein Zusammenbacken von Kochsalzkristallen und Lebensmitteln zu verhindern. Derartige Nanopartikel werden weiterhin bei der Klärung von Fruchtsäften eingesetzt. Im Kosmetikbereich werden als UV-Filter in Sonnencremes nanoskalige Metalloxidpartikel (z.B. Titandioxid oder Zinkoxid) eingesetzt, die aufgrund der Kleinheit transparent sind und auf der Haut einen effizienten UV-Schutz bieten. Zahncreme wird mit Hydroxylapatit-Nanopartikeln5 versetzt, um angegriffenen Zahnschmelz beim Zähneputzen wieder aufzubauen. Das Material ist chemisch identisch mit dem Zahnschmelz, wodurch die Partikel nach der Anwendung einen zusammenhängenden dünnen Film bilden, der die Fehlstellen überdeckt. In Hautcremes und Haarpflegemitteln werden nanoskalige Emulsionen eingesetzt, um die Aufnahme von Wirkstoffen über die Haut zu erleichtern. Auch im Sport- und Freizeit4
Schaltbare Gläser können ihre Lichtdurchlässigkeit durch physikalische Einflussgrößen ändern, z.B. durch Anlegen einer elektrischen Spannung (Elektrochromie) oder durch Sonnenlicht (Photochromie). 5 Hydroxylapatit-Nanopartikel: Nanoskalige Kristallite aus Kalzium-Phosphat, das auch ein Hauptbestandteil in menschlichen Knochen und Zähnen ist. Das Material wird beispielsweise von der Firma Sustech unter dem Markennamen Nanit ® active vermarktet und in Zahncremes zur Regeneration von Zahnschmelz eingesetzt (www.sustech.de). 48
NANOTECHNOLOGIE ALS WIRTSCHAFTLICHER WACHSTUMSMARKT
W. LUTHER 49
Abb. 1. Beispiele für Anwendungsoptionen und Reifegrad nanotechnologischer Entwicklungen in verschiedenen Wirtschaftsbranchen
bereich sind bereits viele nanotechnologische Ansätze in Produkte umgesetzt worden. Beispiele sind mit Kohlenstoffnanoröhren verstärkte Tennisoder Eishockeyschläger, verbesserte Skiwachsrezepturen oder nanobeschichtete Golfbälle. Obwohl bereits viele Produkte mit nanotechnologischen Komponenten auf dem Markt etabliert sind, befindet sich ein Großteil der nanotechnologischen Erkenntnisse noch im Entwicklungs- und Prototyp-Stadium und wird erst in einigen Jahren, teilweise sogar erst in Jahrzehnten in Produkte umgesetzt werden können.
3. INTERNATIONALER STATUS QUO IN DER WIRTSCHAFTLICHEN UMSETZUNG Die öffentlichen Investitionen im Bereich der Nanotechnologie summieren sich mittlerweile weltweit auf ca. 4 Mrd. Euro pro Jahr, wobei Europa (Europäische Kommission und Mitgliedstaaten) mit ca. 1,3 Mrd. Euro, die USA (Bundesebene und Bundesstaaten) mit ca. 1,2 Mrd. Euro sowie Japan mit ca. 750 Mio. Euro die führenden drei Regionen bilden. Der Trend ist weiter ansteigend und insbesondere Südostasien, China und Indien verstärken ihr Engagement erheblich. Dieses enorme staatliche Engagement wird getrieben von hohen Erwartungen hinsichtlich des volkswirtschaftlichen Nutzens in Form von Umsätzen und Arbeitsplätzen, die unmittelbar an nanotechnologische Entwicklungen gekoppelt sind. Doch wie steht es mit der kommerziellen Umsetzung der Nanotechnologie? Eine Studie zum wirtschaftlichen Potenzial belegt, dass nanotechnologisches Know-how bereits heute die Wettbewerbsfähigkeit einer Vielzahl von Produkten bestimmt – dies insbesondere in den Massenmärkten der Elektronik, der Chemie und der Optischen Industrie (VDI TZ 2004). Mittelbis langfristig wird die Nanotechnologie auch in den Bereichen Automobilbau sowie Life Sciences erheblichen kommerziellen Einfluss entfalten. Die Anzahl der Firmen mit F&E-Aktivitäten in der Nanotechnologie wird weltweit auf ca. 1500 geschätzt, davon ca. 1200 Start-ups. Die privatwirtschaftlichen Investitionen in der Nanotechnologie liegen mit ca. 4 Mrd. $ weltweit im Jahr 2004 in einer ähnlichen Größenordnung wie die öffentlichen Investitionen (Lux Research 2004). Allerdings ist das Engagement von Firmen in den USA und Japan deutlich höher als in Europa. Dies wird auch durch die Verteilung der Nanotechnologie-Patente widergespiegelt. Von den weltweit ca. 80.000 Nanotechnologie-Patenten fallen 57% auf die USA, 24% auf Japan und nur 16% auf EU Staaten (Europäisches Patentamt 2006). Obwohl die enorme wirtschaftliche Bedeutung der Nanotechnologie als Schlüssel- und Querschnittstechnologie unbestritten ist, scheitert eine exakte Quantifizierung der Markentwicklung in der Nanotechnologie oftmals an folgenden Rahmenbedingungen: 50
NANOTECHNOLOGIE ALS WIRTSCHAFTLICHER WACHSTUMSMARKT
Die Nanotechnologie setzt als „enabling technology“ in der Regel relativ früh in der Wertschöpfungskette an, d.h. bei der Optimierung von Komponenten und Zwischenprodukten, z.B. durch nanoskalige Beschichtungen oder nanostrukturierte Werkstoffe. Diese Komponenten machen in der Regel nur einen geringen Anteil an den fertigen Endprodukten (Konsum- und Investitionsgüter) aus. Der Marktwert der nanotechnologischen Komponenten an der Wertschöpfung des Endproduktes ist dabei oftmals nicht exakt zu bestimmen. Ohne Anwendung nanotechnologischer Verfahren und Komponenten wären Produkte in vielen Industriezweigen jedoch häufig nicht konkurrenzfähig (z.B. Festplattenspeicher, Computerchips, Ultrapräzisionsoptiken etc.). § Die Nanotechnologie lässt sich als Querschnittstechnologie keinem bestimmten Wirtschaftszweig zuordnen, der in statistischen wirtschaftlichen Gesamtrechnungen bezüglich Umsatz- und Beschäftigtenzahlen erfasst ist. § Eine einheitliche Definition, welche Erzeugnisse des Wirtschaftskreislaufs als „nanotechnologische Produkte“ zu qualifizieren sind, existiert nicht. §
Bislang veröffentlichte übergeordnete Studien (z.B. Evolution Capital 2001, Beckmann und Lenz 2002, TAB 2003) sind oftmals zu lückenhaft, als dass sie die wirtschaftliche Bedeutung der Nanotechnologie für sämtliche betroffenen Branchen präzise abbilden könnten, zumal die Definition meist vage bleibt. Eine nach Branchen aufgeschlüsselte Studie zum Marktpotenzial in der Nanotechnologie beziffert das derzeitige Weltmarktvolumen von Produkten, in denen nanotechnologische Herstellungsverfahren oder Komponenten einen wesentlichen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit liefern, auf eine Größenordnung von über 100 Mrd. Euro (VDI TZ 2004). Hierbei wurde folgende Definition nanotechnologischer Produkte angewendet: Produkte, die mindestens eine funktionelle Komponente mit einer kontrollierten geometrischen Abmessung unterhalb von 100 Nanometern in mindestens einer Richtungsdimension besitzen, wodurch physikalische, chemische oder biologische Effekte nutzbar werden, die oberhalb dieser kritischen Abmessung nicht auftreten. § Analytische und/oder verfahrenstechnische Produkte, die für die kontrollierte Herstellung, Positionierung oder Vermessung nanotechnologischer Komponenten erforderlich ist. §
Das Marktvolumen der Nanotechnologie lässt sich hierbei in eine Vielzahl unterschiedlicher Marktsegmente aufgliedern: §
In der Elektronik liegt der Anteil der Nanoelektronik (d. h. Strukturbreiten <100 nm) bei ca. 10% des Gesamtmarktes, was einem Weltmarktvolumen von derzeit ca. 20 Mrd. Euro entspricht. Der Anteil nanoelektronischer Komponenten wird in Zukunft weiter stark ansteigen. Weitere
W. LUTHER
51
§
§
Marktpotenziale der Nanotechnologie liegen im Milliardenmarkt der Festplattenspeicher, bei denen signifikante Marktanteile durch GMR (Giant-Magneto-Resistance)-Leseköpfe erschlossen wurden, deren Funktionsweise auf nanoskaligen Schichtsystemen basiert. Im Bereich der Chemie werden mit lange etablierten nanostrukturierten Materialien, wie Carbon Black, Kieselsäure oder Polymerdispersionen, Milliardenumsätze am Weltmarkt erzielt. Ein dynamisches Marktwachstum wird bei neueren Nanomaterialien wie Kohlenstoffnanoröhren, Polymernanokompositen, Aerogelen, organischen Halbleitern und anorganischen Nanopartikeln erwartet, deren Marktvolumen auf derzeit ca. 2 Mrd. Euro geschätzt wird. Marktpotenziale in der Optischen Industrie ergeben sich vor allem in der Herstellung ultrapräziser Optiken für die Halbleiterfertigung (optische Lithografie), im Bereich optoelektronischer Lichtquellen (Laserdioden und LED) mit Umsätzen von ca. 10 Mrd. Euro im Jahr 2006. Auch im Displaybereich – insbesondere auf Basis organischer Leuchtdioden – sind stark wachsende Umsätze nanotechnologischer Produkte zu erwarten.
Abb. 2. Aufschlüsselung des Weltmarktvolumens der Nanotechnologie von ca. 100 Mrd. Euro im Jahr 2006 auf unterschiedliche Teilbereiche. Quelle: VDI Technologiezentrum GmbH
52
NANOTECHNOLOGIE ALS WIRTSCHAFTLICHER WACHSTUMSMARKT §
§
Die Marktrelevanz der Nanotechnologie im Automobilbau wird derzeit noch relativ gering eingeschätzt, u.a. aufgrund langer, an Innovationszyklen der verschiedenen Modellserien gekoppelte Vorlaufzeiten für Technologieentwicklungen. In einigen Automobilkomponenten hat die Nanotechnologie jedoch schon Eingang in Serienprodukte gefunden (z.B. kratzfester Lack, nanobeschichtete Einspritzpumpen, LED-Rücklichter etc.). Der Marktwert dieser Komponenten kann auf derzeit ca. 1 Mrd. Euro geschätzt werden, wobei die Wertschöpfung nur z.T. der nanotechnologischen Komponente im System zugerechnet werden kann. Langfristig wird nanotechnologisches Know-how einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil im Automobilbau darstellen hinsichtlich sämtlicher relevanter Kriterien von der Ökologie (z.B. energieeffiziente Antriebe, Leichtbau, Schadstoffreduktion und Ressourcenschonung), über die Sicherheit (Passive und Aktive Sicherheit) bis hin zum Komfort (Produktdesign, Infotainment etc.). Die Lebenswissenschaften werden langfristig als einer der bedeutendsten Märkte für die Nanotechnologie eingeschätzt. Derzeit sind die Umsatzpotenziale nanotechnologischer Produkte beispielsweise im Vergleich mit der Chemie, Optik und Elektronik allerdings als eher gering einzustufen. Der Hauptanteil des nanotechnologischen Marktpotenzials im Bereich der Life Sciences basiert auf biomedizinischen Schnelltests (DNA-, Protein-Chips) mit einem Weltmarktvolumen von ca. 800 Mio. Euro. Hierbei wird der nanotechnologische Einfluss in erster Linie im Bereich der Detektionssysteme deutlich. Ein stark wachsendes Marktsegment ist der Bereich des Wirkstofftransportes durch nanoskalige „Container“, in de-
Abb. 3. Überblick zu Wertschöpfungsketten im Bereich der Nanotechnologie
W. LUTHER
53
nen der Wirkstoff eingelagert und am Krankheitsherd gezielt abgegeben wird („Drug Delivery-Systeme“). Zukünftig ist mit einer weiteren starken Zunahme des Marktvolumens nanotechnologischer Produkte zu rechnen. Für den Zeitraum von 2010 bis 2015 prognostizieren verschiedene Studien einen Marktwert von 1.000 Mrd. US $ (Roco und Bainbridge 2001, Research and Consultancy Outsourcing Services 2005).. Angesichts dieser enormen erwarteten Marktvolumina stellt sich die Frage, inwieweit die Unternehmen, die sich mit der Entwicklung von Nanotechnologien befassen, an der Wertschöpfung durch die Vermarktung nanotechnologischer Produkte beteiligt sind. Hierbei ist festzustellen, dass nanotechnologisches Know-how überwiegend in frühen Stadien der Wertschöpfungskette eingesetzt wird, d.h. auf der Stufe von Komponenten und Zwischenprodukten oder Herstellungs- und Analysetools. Die eigentliche Wertschöpfung lässt sich jedoch häufig nur durch Performance-Gewinne im Gesamt-System bzw. Endprodukt erzielen, deren Vermarktung von Systemanbietern in den jeweiligen Wirtschaftszweigen vorgenommen wird. Der Wertschöpfungsanteil und damit auch der wirtschaftliche Erfolg bei der Kommerzialisierung nanotechnologischer Produkte fallen demnach nur zu einem geringen Maße den Unternehmen zu, welche die Nanotechnologieentwicklungen vorantreiben. Dies kann sich als Hemmnis bei der Kommerzialisierung auswirken, da Firmen und Investoren auf der einen Seite hohe Entwicklungsrisiken und Investitionen in Kauf nehmen müssen, aber auf der anderen Seite aufgrund der ungünstigen Position in der Wertschöpfungskette nur in begrenztem Maße an den Gewinnen der nanotechnologisch verbesserten Endprodukte partizipieren. Für eine erfolgreiche kommerzielle Umsetzung der Nanotechnologie sind daher entsprechend angepasste Kommerzialisierungsstrategien erforderlich.
4. KOMMERZIALISIERUNGSSTRATEGIEN Bei der Kommerzialisierung der Nanotechnologie agieren Großunternehmen, KMU und Start-ups mit einem breiten Spektrum unterschiedlicher Strategien. Großunternehmen spielen bei der Kommerzialisierung der Nanotechnologie eine wichtige Rolle. Nur sie haben in der Regel ausreichende Ressourcen, um investitionsintensive Nanotechnologieentwicklungen voranzutreiben und in den Markt zu bringen. Ein klassisches Beispiel ist hier die Elektronikindustrie, bei der zur Einführung neuer Produktzyklen für Speicherchips Milliardeninvestitionen für Fabrikationsstätten im Bereich der Nanoelektronik erforderlich sind, die weltweit nur von wenigen Global Playern geleistet werden können. Die technologischen Entwicklungsziele in der Halbleiterindustrie werden hierbei durch die regelmäßig aktualiserte ITRS (International Technology Roadmap for Semiconductors) vorgege54
NANOTECHNOLOGIE ALS WIRTSCHAFTLICHER WACHSTUMSMARKT
ben6 , die sämtliche Aspekte der Chipherstellung von der Realisierung der Bauelementestrukturen bis zum Packaging und den Mess- und Qualitätssicherungsprozessen umfasst (BMBF 2002). Die sich abzeichnenden immer kürzeren Technologiezyklen und steigende FuE-Kosten verschärfen hierbei das Risiko für die einzelnen Wettbewerber. In der Elektronikbranche ist daher ein Trend zur Bildung z.T. internationaler Industriekonsortien festzustellen, die ein eng abgestimmtes Handeln aller an der Wertschöpfungskette beteiligten Akteure auf dem Weg zum jeweils nächsten Meilenstein der ITRS-Roadmap ermöglichen sollen. Eine wichtige Komponente stellt ebenfalls die Einrichtung einer Forschungsinfrastruktur dar, die gemeinsam von industriellen und öffentlichen Forschungsinstitutionen genutzt wird, um den Technologietransfer in der Halbleitertechnik zu beschleunigen. Darüber hinaus ist die Großindustrie der Elektronikbranche auch in F&E-Vorhaben engagiert, die auf die Entwicklung und Kommerzialisierung von Nanotechnologieansätzen fokussieren, die Alternativlösungen zur derzeit dominierenden Silizium-Elektronik darstellen. Ein Beispiel ist der von IBM im Züricher Forschungslabor entwickelte Millipede-Chip, einem auf der Rastersondentechnik basierenden Speicherchip mit Speicherdichten von über 100 Terabit pro Quadratzoll, der in den nächsten Jahren als Alternative zu Flashspeichern vermarktet werden soll. Auch Infineon verfolgt alternative Nanotechnologieansätze in der Elektronik. Geforscht wird hier an Kohlenstoffnanoröhren-basierten Verbindungsleitungen und Schaltelementen für Computerchips. Dieser Bereich der sogenannten Molekularelektronik ist allerdings eher der Grundlagenforschung zuzuordnen, wobei eine kommerzielle Anwendungsperspektive derzeit noch nicht gegeben ist. Die chemische Großindustrie setzt ebenfalls in zunehmenden Maße auf die Nanotechnologie. Dies betrifft zum Teil das direkte Kerngeschäft der chemischen Industrie, nämlich die Herstellung chemischer Grundstoffe wie Kunststoffe oder anorganische Pigmente und Additive. Zu nennen sind hier bereits lang etablierte Substanzklassen wie Polymerdispersionen, nanostrukturierte Pulver und Pigmente (z.B. Kieselsäure, Carbon Black oder Titandioxid), die beispielsweise von Großunternehmen wie BASF und Degussa vermarktet werden. Auf der anderen Seite umfassen Nanotechnologieentwicklungen auch die Herstellung neuartiger Nanomaterialien wie Kohlenstoffnanoröhren, funktionalisierte Nanopartikel, nanoporöse Schäume oder nanopartikuläre Beschichtungsstoffe. Die Entwicklung neuartiger Nanomaterialien wird in Großunternehmen häufig durch Tochtergesellschaften oder internen Start-up Organisationen mit weitgehend eigenständigen Verantwortungs- und Kompetenzbereichen durchgeführt. Doch nicht alle Großunternehmen betreiben eigene Forschungs- und Entwicklungs-Aktivitäten im Bereich der Nanotechnologie. Dies liegt u.a. darin begründet, dass nanotechnologische Entwicklungen wegen ihres Grundlagen- und Quer6
http://public.itrs.net.
W. LUTHER
55
schnittscharakters eher außerhalb des Kerngeschäftes von Großunternehmen liegen oder aufgrund langer Entwicklungszeiten für neue technologische Ansätze und schwer abschätzbarer Vermarktungschancen als zu risikoreich gelten. Zur Risikominderung werden daher seitens der Großindustrie, die zunehmend auf kurzfristigen Return-on-Investment nach dem Prinzip des Shareholder-Values orientiert ist, differenzierte Kommerzialisierungsstrategien im Bereich der Nanotechnologie verfolgt, wie zum Beispiel: Akquisitionen von Nanotechnologie-Know-how durch finanzielle und unternehmerische Beteiligung an jungen Nanotechnologieunternehmen § Ausgründungen von F&E Aktivitäten als eigenständige Geschäftseinheiten § Kooperationen mit Forschungspartnern aus Universitäten und Forschungsinstitutionen, häufig mit Unterstützung durch öffentliche Fördermittel (sogenannte PPP-Modelle) §
Trotz der unbestritten wichtigen Funktion der Großindustrie bei der Kommerzialisierung der Nanotechnologie, kommen KMU – und hier insbesondere Start-up-Unternehmen – eine Schlüsselrolle als Innovationstreiber zu. Startup-Unternehmen sind eher als Großunternehmen in der Lage, mit hohem unternehmerischem Risiko behaftete Technologieentwicklungen voranzutreiben und spezielle Nischenmärkte mit neu entwickelten NanotechnologieProdukten zu besetzen. Diese bilden wiederum als „enabling technology“ die Ausgangsbasis für neue Technologie- und Innovationspfade entlang der Wertschöpfungskette in einer Vielzahl industrieller Branchen wie der Elektronik, der Chemie, der Pharmazie, der Optik oder der Automobiltechnik. Auch Public-Private-Partnership-Modelle bieten vielversprechende Ansätze, durch Kooperationen von Universitäten und Forschungseinrichtungen mit Unternehmen. Durch die Schaffung gemeinsamer Forschungszentren oder der Gründung gemeinsamer Unternehmen lassen sich nanotechnologische Erkenntnisse schneller in vermarktbare Produkte überführen. Durch derartige Kooperationsmodelle können internationale Vermarktungsressourcen etablierter Unternehmen, exzellentes Forschungs-Know-how von Forschungseinrichtungen und flexible, dynamische Strukturen von Start-up Unternehmen miteinander verknüpft werden (VDI TZ 2006).
5. KOMMERZIALISIERUNGS- UND INNOVATIONSHEMMNISSE Trotz der Vielzahl bereits umgesetzter Produktinnovationen, ist das wirtschaftliche Potenzial der Nanotechnologie bei weitem noch nicht ausgeschöpft worden. Oftmals scheitert die Umsetzung nanotechnologischer Entwicklungen an einer Reihe von Innovationshemmnissen. Zu nennen sind hier u.a. Informationsdefizite hinsichtlich der Innovationspotenziale durch die Nanotechnologie, insbesondere in mittelständischen Unternehmen und 56
NANOTECHNOLOGIE ALS WIRTSCHAFTLICHER WACHSTUMSMARKT
bei Investoren. Weiterhin steht durch die derzeitige Zurückhaltung von Investoren im Risikokapitalbereich, insbesondere im Bereich der Frühphasenund Gründungsfinanzierung, kaum Venture Capital (VC) für nanotechnologische Produktentwicklungen durch Start-ups zur Verfügung. Dies gilt insbesondere für Europa. Etwas positiver ist die Situation in den USA, wo im Jahr 2005 ca. 375 Mio. US $ VC-Kapital in der Nanotechnologie investiert worden sind, davon ca. 90 Mio. US $ im Bereich der Seedfinanzierung. 7 Obwohl die Summe nur ca. 1,6% der Gesamtsumme der VC-Investitionen in den USA entspricht, liegt das Volumen der VC-Investititonen im Bereich der Nanotechnologie in den USA damit ungefähr 6-mal höher als in Europa (Cientifica 2006). Ein weiteres Kommerzialisierungshemmnis liegt darin, dass der Einsatz nanotechnologischer Komponenten und Verfahren z.T. neuartige Produktionstechniken beim Systementwickler erforderlich machen, die einen entsprechenden Investitionsaufwand nach sich ziehen und daher die Umsetzung nanotechnologischer Innovationen erschweren. Zudem verzögern oftmals lange Entwicklungs- und Testzeiträume die Kommerzialisierung nanotechnologischer Produkte. Dies ist mit ein Grund dafür, dass derzeit die Mehrzahl junger Nanotechnologieunternehmen noch nicht in der Lage ist, wirtschaftliche Gewinne zu erzielen. Doch nicht nur wirtschaftliche Faktoren, sondern auch politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen spielen eine Rolle bei der kommerziellen Umsetzung der Nanotechnologie. Zu betrachtende Rahmenbedingungen in diesem Zusammenhang sind beispielsweise staatliche Fördermaßnahmen und Technologie-Transferprozesse, Normungs- und Standardisierungsfragen, die Wirtschafts- und Steuergesetzgebung, kulturelle Eigenheiten sowie die Wahrnehmung und Einstellung der Bevölkerung gegenüber Chancen und Risiken der Nanotechnologie. Speziell zu den möglichen toxikologischen und ökotoxikologische Risiken von Produkten, die nanopartikuläre Materialien enthalten, hat in den letzten Jahren eine intensiv geführte Stakeholder-Diskussion eingesetzt, an der sich eine Vielzahl von Interessengruppen – wie Umweltschutzorganisationen, Arbeitsschutz- und Verbraucherverbände, Versicherungen, Industrieverbände, Gewerkschaften sowie öffentliche Behörden und Gesetzgeber, insbesondere in den USA, England, Deutschland, der Schweiz und zunehmend auch in Asien – beteiligen (z.B. DEFRA 2005, Allianz und OECD 2005). Es ist anzunehmen, dass Fragen der Verbraucherakzeptanz bei der Vermarktung nanotechnologischer Produkte in Zukunft eine wachsende Rolle spielen werden – dies auch vor dem Hintergrund, dass mittlerweile eine Vielzahl von Alltagsprodukten mit dem Label „nano“ vermarktet wird, wobei ein Bezug zum Technologiefeld z.T. nicht nachvollziehbar dargestellt wird.8 Zum jetzigen Zeitpunkt sind aller7
Seedfinanzierung: Finanzierung zur Gründung von Unternehmen.
8
Eine Sammlung mit über 300 Nanotechnologieprodukten im Consumer-Bereich findet
W. LUTHER
57
dings noch keine Einschränkungen bei der Vermarktung nanotechnologiebasierter Produkte absehbar, die über die bereits bestehenden Reglementierungen in den Bereichen der Chemie, Medizin oder Kosmetik hinausgehen. In den genannten Anwendungsbereichen existieren etablierte Test- und Zulassungsprozeduren, mit denen mögliche Produktrisiken minimiert werden sollen. Ob darüber hinaus Nanotechnologie-spezifische Reglementierungen hinsichtlich Verbraucher-, Arbeits- und Umweltschutz erforderlich sind, wird derzeit auf internationaler Ebene intensiv diskutiert. Nachteilig wirken sich derzeit auch fehlende Normen und Standards in der Nanotechnologie aus. Standardisierungs- und Normierungsprozesse haben einen wesentlichen Anteil an der Diffusion von Innovationsergebnissen in die Praxis und tragen stark zur Intensivierung des Welthandels bei. In der Nanotechnologie stehen die Standardisierungsaktivitäten erst am Anfang. Ein im November 2005 gegründetes Technisches Komitee der Internationalen Standardisierungsorganisation (ISO) befasst sich derzeit mit Fragen der Terminologie und Nomenklatur, der Messung und Charakterisierung sowie Fragen der Gesundheit, Sicherheit und Umwelt.
6. ZUSAMMENFASSUNG Die gezielte Manipulation und technische Nutzung winziger Objekte und Strukturen durch die Nanotechnologie eröffnet Potenziale für Produktinnovationen in fast allen Technikfeldern und Wirtschaftsbranchen. Die Definition eines „Nanotechnologiemarktes“ mit einer exakten Quantifizierung von Marktvolumina und Arbeitsplätzen ist aufgrund der unscharfen Definition und der Breite des Technologiefeldes allerdings kaum zu leisten und allenfalls für definierte Teilbereiche sinnvoll. Unbestritten ist hingegen, dass nanotechnologisches Know-how für die internationale Wettbewerbsfähigkeit und die Sicherung von Arbeitsplätzen in Zukunft immer wichtiger werden wird. Die Nanotechnologie setzt hierbei als „enabling technology“ in der Regel relativ früh in der Wertschöpfungskette an, d.h. bei der Optimierung von Komponenten und Zwischenprodukten. Obwohl bereits viele nanotechnologische Entwicklungen in kommerzielle Produkte umgesetzt worden sind, werden die Innovationspotenziale bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Der Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Wirtschaft scheitert oftmals an Innovationshemmnissen wie Informationsdefiziten bei Investoren und Unternehmen, langen Entwicklungszeiten oder einer mangelhaften Bereitstellung von Risikokapital für neue Produktentwicklungen. Für einen kommerziellen Erfolg der Nanotechnologie sind hier ein eng abgestimmtes Zusammenspiel aller an der Wertschöpfungskette beteiligten Akteure, versich beispielsweise in einer Datenbank des Woodrow Wilson International Center for Scholars in den USA (www.nanotechproject.org).
58
NANOTECHNOLOGIE ALS WIRTSCHAFTLICHER WACHSTUMSMARKT
besserte Rahmenbedingungen für Unternehmensgründungen sowie neue Kommerzialisierungsstrategien erforderlich, bei denen auch Public-PrivatePartnerships eine wesentliche Rolle spielen werden.
7. LITERATUR UND QUELLENHINWEISE Allianz und OECD (2005) Opportunities and risks of nanotechnologies. Report, Juni 2005 Beckmann M, Lenz P (2002) Profitieren von Nanotechnologie. Aktien der Zukunft. FinanzBuch Verlag, München BMBF (Hrsg) (2002) Förderprogramm IT-Forschung 2006. Förderkonzept Nanoelektronik. Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bonn Berlin BMBF (Hrsg) (2004) Nanotechnologie erobert Märkte – Deutsche Zukunftsoffensive Nanotechnologie. Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Bonn Berlin Cientifica (2006) VC to nanotech: don’t call us. White Paper, Februar 2006, CMP Cientifica, www.cientifica.com DEFRA (2005) Characterising the potential risks posed by engineered nanoparticles. UK Department for Environment, Food and Rural Affairs. UK Government Research Report 2005 Europäisches Patentamt (2006) Nanotechnology Patent Trends. Präsentation von Dr. Kallinger auf der nanotech 2006, 21.–23. Februar 2006, Tokyo Evolution Capital (2001) Nanotechnology: commercial opportunity. London. www.evolutioncap.com Lux Research (2004) The nanotech report 2004. Lux Research Inc., New York. www. luxresearchinc.com Research and Consultancy Outsourcing Services (2005) The world nanotechnology market 2005. www.researchandmarkets.com Roco MC, Bainbridge W (Hrsg) (2001) Societal implications of nanoscience and nanotechnology. Kluwer Academic Publishers, Boston TAB (2003) TA-Projekt Nanotechnologie Endbericht. Arbeitsbericht Nr 92. TAB Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag VDI TZ (Hrsg) (2004) Nanotechnologie als wirtschaftlicher Wachstumsmarkt. Zukünftige Technologien, Band 53. VDI Technologiezentrum, Düsseldorf VDI TZ (Hrsg) (2006) Kommerzialisierung der Nanotechnologie – Analyse von Erfolgsfaktoren und Rahmenbedingungen. Zukünftige Technologien, Band 65. VDI Technologiezentrum, Düsseldorf
W. LUTHER
59
NACHHALTIGKEITSPOTENZIALE UND RISIKEN VON NANOTECHNOLOGIEN – ERKENNTNISSE AUS DER PROSPEKTIVEN TECHNIKBEWERTUNG UND ANSÄTZE ZUR GESTALTUNG A.
VON
GLEICH, U. PETSCHOW
UND
M. STEINFELDT
Risiken und Chancen einer Technologie sind erst im Kontext mit einer spezifischen Anwendung erkennbar. Einerseits sind Innovationen ohne die Antizipation von Chancen nicht möglich und andererseits fordert das Vorsorgeprinzip Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Verringerung von Risiken bevor sie manifest werden. Es werden für einige Hauptlinien der Nanotechnologien die Ergebnisse eines Projekts zur nachhaltigkeitsorientierten „prospektiven Technikbewertung und -gestaltung“ dargestellt. Der Ansatz besteht aus drei Elementen: 1. Prospektive Innovations- und Technikanalyse 2. Öko-Profile 3. Erweitertes vorsorgeorientiertes Risikomanagement Schlüsselworte: Nanotechnologie, Risiken, Chancen, Nachhaltigkeit, prospektive Technikbewertung, Ökoprofile, Leitbilder Nanotechnologies, hazards and resource efficiency: results from prospective technology assessment and design for sustainability Technology assessment deals with the predicted or to-be-anticipated positive or negative effects of technologies, processes, and products. It therefore uses a well-established set of methods, including cost-benefit 61
analysis, risk analysis, (eco-) toxicology, and life cycle assessment (LCA). All of these methods require a great deal of detailed information not only about the technology being investigated but also about the specific situation of application. In the case of an emerging technology such as nanotechnology, most of this information is lacking. Any assessment of selected nanotechnologies and of the corresponding opportunities and risks must therefore find ways to adequately address uncertainty (the yet unknown). Striving to meet this challenge, we developed a three-tiered approach: 1. Prospective TA 2. Eco-profiles 3. Extended precautionary risk management Keywords: Nanotechnology, risks, chances, sustainability, prospective technology assessment, eco-profiles, precautionary risk management
1. EINLEITUNG Für den anstehenden Umbau unseres Wirtschaftens im Sinne einer Nachhaltigen Entwicklung sind radikale Innovationen gefragt. Nanotechnologien bieten dafür durchaus Potenziale. Unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten interessiert uns jedoch nicht allein die Fähigkeit zur Innovation und die Innovationshöhe, sondern vor allem die Innovationsrichtung. Vom Standpunkt der Innovationsfähigkeit werden größtmögliche Freiheit und so wenig Restriktionen wie möglich gefordert. Dies führt aber zunächst zum Konflikt mit der Risikovorsorge. Aus deren Sicht muss die „breite Straße der Innovationen“ begrenzt werden. Diese Grenzen werden durch ethische Prinzipien und durch nicht akzeptierbare Gefährdungen oder Risiken bestimmt. Für die entsprechende Begrenzung des Suchraums im Innovationsprozess sind also Leitplanken nötig. Zusätzlich empfiehlt es sich, nicht darauf zu vertrauen, dass mehr Nachhaltigkeit als „Nebeneffekt“ eines im Wesentlichen von Marktchancen getriebenen Innovationsprozesses abfällt, sondern dieses Ziel auch bewusst anzustreben. Es ist Aufgabe der Forschung zur Technikbewertung und -gestaltung Grundlagen für Leitplanken und Leitbilder zu erarbeiten. Es stellt sich die Frage, was wir in einem so frühen Stadium der Technologieentwicklung über Chancen und Risiken schon wissen können. Diese sind nur zum Teil geprägt von den technischen Möglichkeiten, sondern auch vom spezifischen Anwendungskontext. Es steht im Raum, dass über „die Risiken“ „der Nanotechnologie“ keine Verallgemeinerungen getroffen werden können. Allenfalls Einzelfallbewertungen über ganz bestimmte Anwendungen seien möglich. Es ist völlig richtig, dass uns wesentliche Erkenntnisse fehlen. Für Erkenntnisse über die Wirkungen von Stoffen, Technologien, Prozessen und Produkten brauchen wir nicht nur Informationen über das Bewirkende (Agens) und über das Zielsystem (Target), in dem das Agens seine Effekte 62
NACHHALTIGKEITSPOTENZIALE UND RISIKEN VON NANOTECHNOLOGIEN
entfaltet, sondern auch ein Wirkungsmodell. Ein wissenschaftlich begründbares Modell davon, wie genau das Agens über Ursache-Wirkungsketten auf das Target einwirkt. In der Toxikologie brauchen wir also Wissen über die Substanz, über das Zielsystem, die Endpunkte und Wirkungsmodelle, wie z.B. krebserzeugend, fortpflanzungsschädigend oder sensibilisierend. Im Falle der Nanotechnologien fehlen uns die meisten dieser Informationen. Solange wir die Anwendungssysteme nicht kennen, ist eine Evidenz-basierte quantifizierende Risikoabschätzung nicht möglich. Es gibt starke Hinweise darauf, dass wir mit neuen Effekten (bisher unbekannten Wirkungsmodellen) rechnen müssen. Sowohl der Risikodiskurs als auch der Chancendiskurs enthält in dieser Phase notwendigerweise eine gehörige Portion Spekulation. Aus gesellschaftlicher Sicht können wir aber auf den frühen Chancendiskurs nicht verzichten. Ohne ein Versprechen auf „bessere Lösungen“ würden Innovationen nicht vorankommen. Aber auch ein „Evidenz-basiertes“ Risikomanagement, das erst einsetzt, wenn die Risiken vollständig „bewiesen“ und quantifiziert werden können, käme in der Regel zu spät. Das Vorsorgeprinzip verlangt nach Maßnahmen zur Minderung von Gefährdungen auch schon bevor das exakte Ausmaß möglicher Risiken bekannt ist. Deshalb stellt in der unternehmerischen und staatlichen Wirklichkeit das „Evidenzbasierte“ Risikomanagement eher die Ausnahme dar als die Regel. Gerade in Unternehmen mit einem entwickelten Risikomanagement wird aus gutem Grund sehr viel mehr Vorsorge-orientiertes als Evidenz-basiertes Risikomanagement betrieben. Es stellt sich somit die Frage nach einem möglichst vernünftigen Umgang mit dem Nicht-Wissen, mit Unsicherheiten hinsichtlich der erwartbaren Wirkungen von Technologien und nach den Wissensgrundlagen für solch einen „vernünftigen Umgang“. Anstelle einer nicht möglichen Risikoanalyse tritt also eine Gefährdungsanalyse. Unser Ansatz einer „prospektiven Technikbewertung und -gestaltung“ zur Ableitung von Aussagen über erwartbare Chancen und Gefährdungen durch einige Hauptlinien der Nanotechnologien besteht aus drei Elementen1: 1. Prospektive Innovations- und Technikanalyse Bewertung von Nanotechnologien und ihrer erwartbaren Wirkungen (Chancen und Gefährdungen) mit Hilfe einer „Charakterisierung der Technologie“ (ähnlich der Charakterisierung der Stoffeigenschaften in der Toxikologie) 1 Dieser Text basiert auf dem Projekt „Nachhaltigkeitseffekte durch Herstellung und Anwendung nanotechnologischer Produkte“ gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Auftragnehmer: Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) in Kooperation mit der Universität Bremen, asmec GmbH Dresden und Nanosolutions GmbH Hamburg.
A. VON GLEICH ET AL.
63
2. Öko-Profile Abschätzung erwartbarer Umweltentlastungs- und -belastungseffekte (insbesondere Öko- bzw. Ressourceneffizienzpotenziale) im Vergleich zu schon existierenden Lösungen mit Hilfe eines extrapolierenden Vorgehens in Anlehnung an die Ökobilanz 3. Erweitertes vorsorgeorientiertes Risikomanagement Technologieentwicklung und -gestaltung mit Hilfe von „Leitbildern“ sowie Integration der Gesundheits-, Sicherheits- und Umweltaspekte in ein die ganze Wertschöpfungskette übergreifendes Qualitätsmanagement. Wenn die konkreten Ausgestaltungen und Anwendungen einer Technologie noch nicht bekannt sind und – wie es bei den Nanotechnologien der Fall ist – es gute Gründe dafür gibt, dass mit neuen bisher unbekannten Effekten gerechnet werden muss, bleibt für eine eingehende Untersuchung vor allem die Technologie selbst. Es empfiehlt sich also, nicht von den Effekten, sondern vom Agens, d.h. von der Analyse und Charakterisierung einiger Hauptlinien der Nanotechnologien auszugehen. Darüber hinaus lassen sich in Anlehnung an die Ökobilanzmethodik durch Konzentration auf einige weit entwickelte potenzielle Einsatzbereiche extrapolierende Aussagen über erwartbare Nachhaltigkeitseffekte erarbeiten. Der Fokus der mit diesem Ansatz durchgeführten Vertiefungsstudien lag deshalb auf schon recht weit gediehenen Entwicklungen im Bereich der Nanomaterialien. Zum Abschluss wird der Blick dann noch einmal geweitet auf den Innovationsprozess als Ganzen. Technologien werden von bestimmbaren Akteuren entwickelt, die ihren jeweiligen Handlungslogiken folgen, ihre Einflussmöglichkeiten nutzen und in bestimmbaren „Innovationssystemen“ zusammenwirken. Neue Technologien werden also gestaltet und in diesen Gestaltungsprozessen spielen Leitbilder oft eine wichtige Rolle. Immerhin haben bei der Kommunikation über Nanotechnologien in die Öffentlichkeit hinein einprägsame Bilder und weit reichende Visionen von Anfang an eine besonders große Rolle gespielt. Es geht also um die Frage, ob bzw. inwieweit sich die Richtung der Entwicklung und die Gestaltung von auf Nanotechnologien aufbauenden Innovationen durch Leitbilder beeinflussen lassen. Der Fokus unseres zugegebenermaßen verengten Nachhaltigkeitsverständnisses lag dabei auf Optionen für eine Verbesserung der Ressourceneffizienz, der Ökoeffizienz sowie auf der Vermeidung bzw. Verringerung technischer, Gesundheits- und Umweltrisiken.
2. PROSPEKTIVE TECHNIKBEWERTUNG UND CHARAKTERISIERUNG DER NANOTECHNOLOGIE Da es sich bei den Nanotechnologien um ein breites, höchst heterogenes Technologiefeld handelt, existiert bis heute keine allgemein anerkannte De64
NACHHALTIGKEITSPOTENZIALE UND RISIKEN VON NANOTECHNOLOGIEN
finition. Wir schließen uns weitgehend Paschen et al. (2003) sowie Basler & Hofmann AG (2002) an. Mit Blick auf die Zeiträume, in denen sich das Potenzial verschiedener Typen von Nanotechnologien voraussichtlich entfalten wird, wurden von Roco (2002)2 folgende Fristen bzw. Generationen benannt: §
§
§
§ §
Vergangenheit und Gegenwart: „Zufällige“ Nutzung von Nanostrukturen, bspw. carbon black seit Jahrhunderten, speziellere isolierte Anwendungen (Katalysatoren, Komposite etc.) seit Anfang der 1990er Jahre. Erste Generation: Passive Nanostrukturen (ca. 2001). Anwendungsbereiche insbesondere bei Coatings, Nanopartikeln, Bulk Materials (nanostrukturierte Metalle, Polymere und Keramiken). Zweite Generation: Aktive Nanostrukturen (ca. 2005). Anwendungsbereiche: insbesondere bei Transistoren, Verstärkern, adaptiven Strukturen etc. Dritte Generation: 3D-Nanosysteme (ca. 2010) mit heterogenen Nanokomponenten und unterschiedlichen assembling-Techniken. Vierte Generation: Molekulare Nanosysteme (ca. 2020) mit heterogenen Molekülen, basierend auf biomimetischen Verfahren und neuem Design.
In der Nanometer-Dimension verhalten sich Strukturen oft völlig anders als ihre grobkörnigeren Pendants. So führt bspw. die große spezifische Oberfläche von Nanopartikeln in der Regel zu einer Steigerung der chemischen Reaktivität bzw. der katalytischen Aktivität. Die relativ geringe Anzahl von Atomen in Nanopartikeln führt auch zu abweichenden optischen, elektrischen und magnetischen Eigenschaften. Die Möglichkeiten der Gestaltung auf dieser Ebene und die neuen Effekte, die dort auftreten, sind nun die wesentlichen Informationen einer Technikcharakterisierung, aus der sich sowohl Chancen als auch Gefährdungen ableiten lassen. Für eine Gefährdungsanalyse sind neben den genannten Eigenschaften nanoskalierter (passiver) Strukturen insbesondere folgende Aspekte von Bedeutung: § § § § § § §
Mobilität in Umweltmedien und innerhalb des Organismus Lungengängigkeit Reaktionsfreudigkeit und -spezifität Phasenübergänge und Löslichkeiten (insb. Wasser- und Fettlöslichkeit) Carrier- bzw. Huckepackeffekte Agglomeration, Dispersion Bioakkumulierbarkeit 2
Anstelle von Roco (2002) hätten auch andere Autoren und Studien benannt werden können, die jeweils andere Zeitskalen zur Grundlage nehmen. Es ist für die Zwecke hier allerdings nicht entscheidend, da es vorrangig darum geht, die Zeit- und Entwicklungsdynamiken in den Blick zu nehmen. A. VON GLEICH ET AL.
65
Persistenz Naturfremdheit § sowie weitere Eigenschaften. § §
Sobald mehr über die Einsatzbedingungen und Anwendungskontexte bekannt ist, kommen noch weitere Aspekte hinzu, z.B.: Einsatzmengen und -dynamik Umweltoffene oder geschlossene Anwendung § Lebenszyklusaspekte wie Rohstoffverbrauch, Recyclierbarkeit etc. § §
Ausgehend von diesen Grundcharakteristika einiger Nanotechnologien können mögliche Chancen für neue Lösungen sowie erwartbare Gefährdungen „abgeleitet“ werden (Tabelle 1). Ein wichtiger Vorteil der Nutzung einer Technikcharakterisierung für die Technikfolgenabschätzung liegt darin, dass viele hierfür nötigen Informationen ohnehin schon vorhanden sind, weil sie ja zentrale Elemente der Tabelle 1. Nanoqualitäten und dadurch erwartbare positive ökologische Effekte und Potenziale bzw. Gefährdungen Nanoqualität
+
Positive ökologische Effekte und Potenziale
–
Probleme und Gefährdungspotenziale
Kleinheit und Mobilität der Partikel
+
Gezielte Nutzung für ressourcen- und ökoeffiziente Technik
–
Lungen- bzw. alveolengängig; Durchgang durch Zellmembranen; über Riechnerv direkt ins Gehirn; Mobilität, ggf. Persistenz und Löslichkeit als Indizien für Bioakkumulation und Umweltgefährdung
Definiertheit, Korn-/ Schichtgrößen, Reinheit, Reinraumtechnik
+
Gezielte Nutzung für ressourcen- und ökoeffiziente Technik
–
Erhöhter Herstellungsaufwand, höhere Stoff- und Energieströme, erhöhter Ressourcenverbrauch
Stoffqualität
+
Mögliche Verminderung oder Substitution gesundheits- und umweltgefährdender Stoffe
–
Gesundheits- und Umweltgefährdung durch problematische (seltene) Elemente oder Stoffgruppen im umweltoffenen Einsatz
66
Bewertungsansätze
Ökobilanz, Ausbreitungs- und Expositionsmodelle, (öko-) toxikologische Prüfung, Tierversuche, Epidemiologie
Ökobilanz, Entropiebilanz, Frage nach „ökologischer Amortisierung“
Toxikologie, Ökotoxikologie, Verhältnis zwischen „natürlichen“ und „anthropogenen“ Stoffumsätzen als Indiz
NACHHALTIGKEITSPOTENZIALE UND RISIKEN VON NANOTECHNOLOGIEN Tabelle 1 (Fortsetzung) Nanoqualität
+
Positive ökologische Effekte und Potenziale
–
Probleme und Gefährdungspotenziale
+
„Eigensicherheit“ durch Tendenz zur Adhäsion, Kohäsion und Agglomeration von Nanopartikeln, dadurch Verlust der Nanocharakteristika
–
Verhalten „freigesetzter“ Nanopartikel oder Nano-Fasern in der Umwelt; Mobilisierende und einschleusende Wirkung von Nanopartikeln auf Toxine oder Schwermetalle (Huckepack)
Neue chemische Effekte, veränderte toxikologische Spezifität
+
Nutzung der Effekte für ressourcenund ökoeffiziente Technik, z.B. Nutzung der katalytischen Wirkungen für effizientere chemische Prozesse oder im Umweltbereich
–
Veränderungen bei: Löslichkeit, Reaktivität, Selektivität, katalytische Wirkung, photokatalytische Wirkung, Temperaturabhängigkeit von Phasenübergängen lassen überraschende technische, chemische, toxische und ökotoxische Effekte erwarten
Neue physikalische Effekte, verändertes optisches, elektrisches, magnetisches Verhalten
+
Gezielte Nutzung der Effekte bzw. der veränderten Eigenschaften für ressourcen- und ökoeffiziente Technik, z.B. GMR-Effekt, TyndallEffekt, Quanten-Effekte, Tunneleffekt
–
Meist auf hochreine und hoch definierte „technische Umgebungen“ angewiesen. Dort sind (bei Nichteinhaltung) Überraschungen erwartbar (technisches Versagen)
Selbstorganisation, Selbstreplikation
+
Gezielte Nutzung für ressourcen-, ökoeffiziente und konsistente Technik
–
Gefahr unkontrollierter Entwicklungen, selbstreplizierende Nanobiostrukturen
Adhäsion, Kohäsion, Agglomeration
Bewertungsansätze
Ausbreitungs- und Expositionsmodelle, (öko-)toxikologische Prüfung, Tierversuche, Epidemiologie, Atmosphärenchemie, Risikoanalyse
Ökobilanz, Ausbreitungs- und Expositionsmodelle, (öko-)toxikologische Prüfung, z.B. auch auf Allergie/Sensibilisierung, Tierversuche, Epidemiologie, Atmosphärenchemie, Risikoanalyse Ökobilanz. Für technische Systeme: FMEA, Fehlerbaumanalyse
Risikoanalyse, Eingriffstiefe, Ökobilanz, Umweltverträglichkeitsprüfung, Szenariotechnik
Quelle: verändert nach Gleich (2004) und Steinfeldt (2003)
A. VON GLEICH ET AL.
67
Innovationspotenziale betreffen. Aus der Aufstellung wird aber auch deutlich, dass z.B. Informationen über die Mobilität von Nanopartikeln im Körper oder in der Umwelt darüber hinaus gezielt erhoben werden müssen. Auch für diese grundlegenden Informationen gilt allerdings, dass sie wesentlich einfacher zu erheben sind, als z.B. (öko)toxikologische Wirkungsdaten. Die bisherigen Ergebnisse sind allerdings, insbesondere dann wenn sie zu toxikologischen Wirkungsaussagen kommen wollen, nur vorläufig und manchmal widersprüchlich. Sie behandeln meist nur einen Ausschnitt der möglichen Effekte. Darüber hinaus konzentriert sich die Forschung noch auf humantoxische Fragen. Wir wissen noch fast nichts über Ökotoxizität und das Verhalten von Nanopartikeln in der Umwelt. Verallgemeinerungen und Klassifikationen von Nanopartikeln und deren humantoxischen Wirkungen scheinen erst in ein paar Jahren möglich zu werden. Trotzdem wird insbesondere in den betroffenen Unternehmen – ganz im Sinne des hier vertretenen vorsorgeorientierten Ansatzes – längst mit einem vorsorgeorientierten Risikomanagement reagiert.
2.1. RISIKOTYPEN UND DISKURSEBENEN Bisher bezieht sich die angelaufene Debatte über mögliche Gefährdungen von Nanotechnologien noch fast ausschließlich auf die von Roco (2002) so genannte „erste Generation passiver Nanosysteme“. Sie bewegt sich damit noch in dem konventionellen Rahmen der toxikologischen bzw. ökotoxikologischen Risikoanalyse. Der Risikosoziologie Ortwin Renn hat diesen mehr oder minder „konventionellen“ Diskursrahmen in einem Vortrag auf der Nano-Convention der EMPA am 23.6.2006 in Bern als „Frame one“ bezeichnet und bezog sich dabei auf ein White Paper des International Risk Governance Council, das er gerade zusammen mit Roco erabeitet hatte (vgl. IRGC 2006). Mit der Bewertung der weiter in der Zukunft liegenden „aktiven Nanosysteme“ der zweiten, dritten oder gar vierten Generation wird es nötig werden, diesen konventionellen toxikologischen Diskurs-Rahmen zu verlassen (Frame two). In diesem Diskursrahmen können zumindest seine prinzipiellen Voraussetzungen und Grundannahmen, das genaue Vorgehen sowie die zu beachtenden Wirkungsmodelle als weitgehend geklärt gelten (vgl. dazu z.B. Risikokommission 2003). Spätestens wenn der Umschlag von der Nutzung der Selbstorganisation, ggf. auch noch von Adaptivität und Selbstheilung, zur Selbstreplikation auf Nanoebene zur Debatte steht, wenn Nanotechnologie und molekulare Biotechnologie oder auch Nanotechnologie und Robotik tendenziell verschmelzen, ist der Diskursrahmen ein anderer (Frame three?). Mit der Fähigkeit zur Selbstreproduktion, wie sie z.B. auch gentechnisch veränderte Organismen besitzen, dürften auf je68
NACHHALTIGKEITSPOTENZIALE UND RISIKEN VON NANOTECHNOLOGIEN
den Fall neuartige Gesundheits- und Umweltgefährdungen eröffnet werden. Mit diesen Möglichkeiten einer Verselbständigung rückt man dichter an den Gentechnikdiskurs heran (beispielhaft an den Diskurs über die Freisetzung von genetisch modifizierten Organismen) mit seinen sehr viel umstritteneren Voraussetzungen und Wirkungsmodellen. Diesen Diskurs würden wir gerne (in Abweichung vom Vorschlag von Renn und Roco) mit „Frame two“ bezeichnen. Auch hier handelt es sich noch zu einem großen Teil um einen wissenschaftlichen Diskurs, der wesentlich von „Experten“ geprägt und geführt werden kann. Wobei sich diese aber sehr viel stärker auch über den Diskursrahmen verständigen müssen 3. Spätestens aber wenn von synthetischer Nanobiotechnik oder von einer grundlegenden Verbesserung der menschlichen Fähigkeiten die Rede ist, wie dies z.B. bei der Debatte über „converging technologies“ der Fall ist (und bei der Debatte z.B. über moderne Biotechnik bzw. Gentechnik am Menschen seit Jahrzehnten schon der Fall war), reicht auch diese Diskursebene für einen adäquaten Umgang mit der Problematik nicht mehr aus. Auf dieser dritten Diskursebene (die wir dann „Frame three“ nennen möchten) muss dann ein gesamtgesellschaftlicher partizipativer und öffentlicher Diskurs stattfinden, in dem es zunächst um die Klärung der Voraussetzungen, um Verständigung über das Wünschbare und das Zulässige geht. Die Nanodebatte würde damit wieder auf der Ebene anlangen, auf der sie schon einmal insbesondere mit den Publikationen von Drexler begonnen hatte (vgl. Drexler 1986 und 1992).
2.2. LEITPLANKEN Innovation und Risiko gehören untrennbar zusammen. Auch der Weg hin zum nachhaltigen Wirtschaften ist voller Risiken. Die Tatsache, dass eine Technik, ein Verfahren, ein Stoff neu ist, begründet allein für sich noch keine weit reichenden Maßnahmen nach dem Vorsorgeprinzip. Dazu sind weitere besorgniserregende Gründe erforderlich. Gründe, die vor allem die Charakterisierung der Technologie liefern kann und muss. Die Trial-andError-Methode, auf die wir so häufig zurückgeworfen sind, hat ihre Grenzen und ist nur für kleine – im großen Ganzen reversible – Schrittweiten angemessen. Wenn bei bestimmten Projekten, Techniken und Eingriffen von vornherein und begründet damit gerechnet werden kann, dass sie globale und irreversible (nicht rückholbare) Auswirkungen haben werden, ist diese Methode verantwortungslos. Die Einführung von FCKWs war z.B. ein sol3 Als markantestes Beispiel für eine missglückte Verständigung über den Diskursrahmen – durch eine strikte Reduktion der zugelassenen Argumente auf die Evidenzbasierte Risikoanalyse – und als Folge für einen gescheiterten Diskurs kann nach wie vor der vom WZB Berlin organisierte Diskurs über die Freisetzung herbizidresistenter Pflanzen gelten (vgl. van den Daele et al. 1996).
A. VON GLEICH ET AL.
69
cher Fall. Das Vorsorgeprinzip muss ins Spiel kommen, wenn es um hohe Eingriffstiefen und Wirkmächtigkeiten geht, d.h. um extrem große qualitative Schrittweiten bei einzelnen Innovationen, zudem bei sehr großen Mengen bzw. quantitativen Steigerungsraten vieler jeweils für sich kleiner Schritte (kumulative Effekte). Als zentrale Leitlinie für die Umsetzung des Vorsorgeprinzips kann somit „Behutsamkeit“ bei der Einführung von Innovationen hinsichtlich der Schrittweite bzw. Eingriffstiefe bestimmt werden sowie bezüglich der eingesetzten Quantitäten und der Einführungsdynamik. In der neuen Chemikaliengesetzgebung der EU (REACH – Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals) finden sich beide Ansätze zur Operationalisierung des Vorsorgeprinzips. So bestimmen zum einen die Quantitäten bei der Einführung einer Innovation (Substanz und/oder Anwendung) weitgehend den jeweils erforderlichen risikoanalytischen Aufwand. Die Intensität der Chemikalienprüfung bzw. der Umfang der jeweils geforderten Datensätze bestimmt sich nach den jeweiligen Produktionsmengen. Für große Mengen bzw. Volumina werden die umfangreichsten Datensätze verlangt, für kleinere Mengen deutlich weniger und für die in der Forschung gebräuchlichen Volumina fast gar keine. Auf der anderen Seite spielen aber auch die qualitativen Aspekte einer Innovation im Sinne der Eingriffstiefe eine weit reichende Rolle in diesem Neuansatz der Chemikalienregulation. Bestimmte Eigenschaften von Chemikalien wie z.B. Kanzerogenität, Mutagenität und Reproduktionstoxizität (CMR) determinieren schon sehr weitgehend die Erfordernisse des Risikomanagements und zwar noch vor einer genaueren Expositionsbetrachtung, als mindestens genauso wichtiges Element jeglicher Evidenz-basierter Risikoanalyse. Ein besonders interessantes Beispiel für die Umsetzung des Vorsorgeprinzips ist darüber hinaus der geplante Umgang mit sehr persistenten und sehr bioakkumulativen Chemikalien (very persistent, very bioaccumulative – vpvb). Da allein durch diese Eigenschaften eine hohe und irreversible Umweltexposition sehr wahrscheinlich ist (und zudem eine sehr rasche globale Exposition, falls noch die Eigenschaft Mobilität dazu kommt) müssen diese Stoffe einem staatlichen Zulassungsverfahren unterzogen werden und zwar ohne dass schon konkrete toxikologische oder ökotoxikologische Verdachtsmomente vorliegen müssen. Hier folgen also Maßnahmen des Risikomanagements direkt aus der „Charakterisierung des Stoffes“ (der Technologie), ohne dass schon ein wissenschaftliches Wirkungsmodell (ein (öko)toxikologischer Verdacht) oder gar eine abgeschlossene Evidenz-basierte Risikoabschätzung vorliegen.
70
NACHHALTIGKEITSPOTENZIALE UND RISIKEN VON NANOTECHNOLOGIEN
3. VERGLEICHENDE ÖKOPROFILE IN BESTIMMTEN ANWENDUNGSKONTEXTEN Mit dem Übergang zu den Ökoprofilen bewegen wir uns in Richtung auf die Evidenz- basierten quantifizierenden Methoden der Bewertung. Der Untersuchungsraum verengt sich dadurch auf die schon verwirklichten bzw. zumindest im Pilotmaßstab schon existierenden Nanotechnologieanwendungen. Als Bewertungsansatz orientieren sich die erstellten ökologischen Profilbetrachtungen an der Methodik der Ökobilanzierung (EN ISO 14040 Standard). Die Ökobilanz ist die am weitesten entwickelte und normierte Methode zur Abschätzung der mit dem gesamten Lebenszyklus eines Produkts verbundenen Umweltaspekte bzw. produktspezifischen potenziellen Umweltwirkungen. Ein Vorteil besteht darin, dass durch vergleichende Ökobilanzen insbesondere die (extrapolierende) Analyse von Ökoeffizienzpotenzialen im Vergleich zu bestehenden Anwendungen möglich ist. Mit dem extrapolierenden Verfahren gehen wir allerdings weit über den aktuellen Stand der Methode hinaus. Zudem muss betont werden, dass die Ökobilanzmethode – wie alle Methoden – charakteristische Defizite besitzt. So existieren nicht für alle möglichen ökologischen Wirkungen auch schon allgeTabelle 2. Übersicht der bearbeiteten Fallstudien Anwendungskontexte
Zielstellung
Ökoeffiziente Nanolacke
Darstellung des Ökoeffizienzpotenzials von Nanobeschichtungen in Form eines vergleichenden Ökoprofils (Nanolack auf Basis der Sol-Gel-Technologie im Vergleich zu Wasserlack, Lösemittellacken und Pulverlack)
Nanotechnologische Prozessinnovation der Styrolsynthese
Darstellung des Ökoeffizienzpotenzials von Nanotechnologie in einer katalytischen Anwendung in Form eines vergleichenden Ökoprofils (Nanotube-Katalysator im Vergleich zu Katalysator auf Eisenoxidbasis)
Nanoinnovationen im Displaybereich
Abschätzung möglicher Ökoeffizienzpotenziale von Display-Innovationen im Rahmen eines qualitativen Vergleichs (Organic Light Emitter Display und Nanoröhren-Feldemitterdisplays im Vergleich zu Kathodenstrahlröhre, Flüssigkristallbildschirm und Plasmabildschirm)
Nanoanwendungen im Lichtbereich
Darstellung des Ökoeffizienzpotenzials von Nanoanwendungen im Lichtbereich in Form eines vergleichenden Ökoprofils (Weiße LED und Quanten Dots im Vergleich zu Glühlampe und Kompaktleuchtstofflampe)
A. VON GLEICH ET AL.
71
mein akzeptierte Wirkungsmodelle und quantifizierbare Bewertungen. Dies ist insbesondere für die relevanten Kategorien der Human- und Ökotoxizität der Fall. So muss die Berücksichtigung der Belastung durch Feinstäube (das PM10-Risiko thematisiert bspw. ein mögliches Toxizitätspotenzial durch Partikel < 10 µm) in Ökobilanzen bei Nanotechnologieanwendungen allein schon durch ihren Bezug auf Stoffströme (ausgedrückt über das Gewicht) am Ziel vorbei gehen. Außerdem werden in Ökobilanzen technische Risiken sowie die Eingriffstiefe in Systeme und die Reichweite (Wirkmächtigkeit) von Eingriffen nicht betrachtet. Dies ist der Grund, warum Ökobilanzen in der Regel mindestes um eine (öko)toxikologische und eine Risikoanalyse ergänzt werde sollten. Aus dem Spektrum an nanotechnologischen Anwendungen wurden vier Fallbeispiele ausgewählt, bei denen auf Grundlage einer Vorabsichtung und qualitativen Bewertung besonders interessante Ökoeffizienzpotenziale zu erwarten waren. Eine weitere Einschränkung bei der Auswahl der Fallbeispiele ergab sich aus der Anforderung, dass nur Bereiche in Frage kommen, bei denen zumindest für die zum Vergleich herangezogenen „herkömmlichen“ Technologien bzw. Produkte schon ökobilanzielle Daten vorlagen. Die Fallstudie „Ökoeffiziente Nanolacke“ verdeutlicht eindrucksvoll, dass im Bereich Beschichtungen bei allen betrachteten Emissionen und Umweltwirkungen sehr hohe Ökoeffizienzpotenziale durch den Einsatz von
Abb. 1. Lack- und Chromatierungsmengen (g/m² lackierter Aluminium-Automobilfläche). Quelle: eigene Darstellung (Datenbasis: eigen, Harsch und Schuckert 1996)
72
NACHHALTIGKEITSPOTENZIALE UND RISIKEN VON NANOTECHNOLOGIEN
nanotechnologiebasierten Beschichtungen bestehen. Darüber hinaus ist der mögliche Verzicht auf die Chromatierung ein bedeutender Vorteil. Durch die erheblich geringere Beschichtungsdicke bei gleicher Funktionalität wird eine um den Faktor fünf höhere Ressourceneffizienz erreicht. Vorteile aus der Gebrauchsphase sind aufgrund von Gewichtseinsparungen insbesondere im Transportsektor zu erwarten. Neben der Automobilindustrie und Bahnindustrie würden sich diese Potenziale noch stärker in der Flugzeugindustrie auswirken. Weiteres Optimierungspotenzial besteht beim Nanolack noch darin, den Lösemittelanteil in der Lackapplikation zu senken. Im Rahmen der Fallstudie „Nanotechnologische Prozessinnovation der Styrolsynthese“ wurde exemplarisch das ökologische Potenzial von auf Nanotechnologie basierenden Katalyseanwendungen untersucht. Als konkretes Beispiel wurde der Einsatz eines nanostrukturierten Katalysators auf Basis von Nanotubes für den chemischen Prozess der Styrolsynthese betrachtet. Da noch keine detaillierten Ökobilanzdaten für die alternative Styrolsynthese zur Verfügung standen, wurden Ableitungen zum Energieverbrauch für diesen Prozess auf Basis der Technologiebeschreibungen vorgenommen. Für das alternative Verfahren zur Styrolsynthese auf Basis eines Nanotubes-Katalysators ergab sich somit auf der Prozessstufe der Styrolsynthese ein Energieeinsparpotenzial von knapp 50%. Zwei besondere Effekte führen zu dieser Effizienzsteigerung. Einerseits ist es gelungen, die bisher endotherme Reaktion in eine exotherme Reaktion zu überführen, andererseits konnte die Reaktionstemperatur bedeutend gesenkt, das Reaktionsmedium verändert und der Anlagenaufwand minimiert werden. Bezogen auf den gesamten Produktlebensweg bis zum Styrol bedeutet dies eine Effizienzsteigerung beim Energiebedarf von immerhin ca. 8–9%. Des Weiteren ermöglicht der neue Katalysator durch den Wegfall von Schwermetallen eine beträchtliche Reduktion von Schwermetallemissionen im Produktlebensweg. All diesen Vorteilen könnten allerdings auch mögliche Risikopotenziale durch den Einsatz von Nanotubes entgegenstehen. Sie müssten ggf. bei der Auslegung des Prozesses und der Konzeption der Anlagen entsprechend berücksichtigt werden. Die Fallstudie „Nanoinnovationen im Displaybereich“ hatte zum Ziel, mögliche Ökoeffizienzpotenziale durch den Übergang zu neuen, erst in der Entwicklung befindlichen nanotechnologiebasierten Produkten im Displaybereich zu untersuchen. Hierzu wurden OLEDs sowie CNT-FED mit den konventionellen Displays CRT und den modernen Displays LCD und Plasmadisplays verglichen. Auch in dieser Fallstudie spricht sehr viel für Steigerungen in der Material- und Energieeffizienz, obwohl die ermittelten Abschätzungen zu möglichen Ökoeffizienzpotenzialen auf Grund der unterschiedlichen Entwicklungsstände der Technologien mit einer gewissen Unsicherheit verbunden sind. Nach Überwindung der Probleme mit der Langzeitstabilität der orgaA. VON GLEICH ET AL.
73
nischen Leuchtstoffe könnten sich OLEDs gegenüber den vorherrschenden LCDs bspw. durch geringeren Herstellungsaufwand auszeichnen. Außerdem versprechen OLEDs eine höhere Energieeffizienz in der Gebrauchsphase (um den Faktor 2 besser als LCD). Wenn es gelänge, bei OLEDs diese sich abzeichnenden Möglichkeiten zur Steigerung der Material- und Energieeffizienz in einer Massenproduktion umzusetzen, wären beträchtliche Ökoeffizienzpotenziale erreichbar. Eine 20%ige Energieeinsparung gegenüber LCD über den gesamten Lebensweg erscheint mindestens möglich. Auch für CNT-FED lassen sich hohe Ökoeffizienzpotenzialen erschließen, wenn es gelingt, die Herstellungsphase, insbesondere die hochkomplexe Nanotube-Herstellung für Feldemitter, gegenüber bisherigen Herstellungsverfahren deutlich energieeffizienter zu gestalten. Risikopotenziale durch Nanotubes sind in der Herstellungs- und Entsorgungsphase zu bedenken, in der Gebrauchsphase sind sie eher unwahrscheinlich. Die Fallstudie „Nanoanwendungen im Lichtbereich“ hatte zum Ziel, mögliche Ökoeffizienzpotenziale durch den Einsatz von neuen nanotechnologischen Produkten im Lichtbereich zu untersuchen. Hierzu wurden Weiße LEDs mit den konventionellen Lichtquellen Glühlampe und Energiesparlampe verglichen und darüber hinaus auch Zukunftspotenziale von Quantenpunkten untersucht. Bei heutigen Leuchtmitteln entfallen 97–99% des lebenszyklusbezogenen Energieverbrauchs auf die Gebrauchsphase. Auch die Stoffumsätze fallen im Vergleich dazu deutlich weniger ins Gewicht. Zentraler Maßstab für die ökologische Beurteilung von Lichtquellen für Beleuchtungszwecke ist deshalb der Energieverbrauch in der Gebrauchsphase und die damit verbundenen Emissionen. Hierbei zeigt sich, dass die heutigen Weiße LEDs zwar gegenüber der klassischen Glühlampe besser abschneiden, aber gegenüber der Energiesparlampe noch um den Faktor 3 im Nachteil sind. Erst weiterentwickelte nanotechnologiebasierte Produkte mit bedeutend höheren Lichtausbeuten, d.h. Weiße LED mit Lichtausbeuten oberhalb von ca. 65 lm/W, können mit der Energiesparlampe hinsichtlich der Umweltwirkungen mithalten und für Beleuchtungsaufgaben mit wenig spezialisierten Anforderungen bzw. für die alltägliche Beleuchtung interessant werden. Durch die Nutzung von Quantenpunkten wird in Zukunft eine weitere Erhöhung der Energieeffizienz von Lichtquellen möglich werden. Es ist zu erwarten, dass Quantenpunkttechnologien langfristig einen festen Platz im Displaybereich finden werden, insbesondere in Kombination mit OLEDs. Der kommerzielle Produkteinsatz von Quantenpunkten wird aber noch einige Jahre auf sich warten lassen. Als Ergebnis aller ökobilanziellen Vergleiche ist festzuhalten, dass nanotechnologische Anwendungen nicht per se und durchweg mit hohen ökologischen Entlastungspotenzialen verbunden sind. Gleichwohl konnten für die Mehrzahl der – allerdings unter diesem Aspekt gezielt ausgewählten – Anwendungskontexte hohe Ökoeffizienzpotenziale ermittelt werden. 74
NACHHALTIGKEITSPOTENZIALE UND RISIKEN VON NANOTECHNOLOGIEN
4. GESTALTENDE ANSÄTZE FÜR EINE NACHHALTIGERE NANOTECHNOLOGIE Technologieentwicklung ist in modernen Gesellschaften nicht oder nur sehr begrenzt durch politische Interventionen steuerbar. Vielmehr ergibt sich aus dem Zusammenwirken unterschiedlichster Akteure oft ein vergleichsweise stabil verfolgter Technologiepfad, der gestaltend begleitet werden kann. Die Bedeutung von Pfadabhängigkeiten im Zeitverlauf und die damit sich eröffnenden Möglichkeiten für eine frühzeitige Identifikation adverser Effekte auf Umwelt und Gesundheit werden in der folgenden Graphik dargestellt. Die Abbildung verdeutlicht, dass entlang des gesamten Prozesses von der Grundlagenforschung über die angewandte Forschung, die Gestaltungs-, Nutzungs- bis hin zur Entsorgungsphase phasentypische Vorsorgeoptionen entwickelt und generiert werden können, die jeweils auf den Ergebnissen der Innovations- und Technikanalyse (Technikcharakterisierung, Ökoprofile) aufbauen und auf die ggf. mit Hilfe von Leitbildern Einfluss genommen werden kann. In den unterschiedlichen Phasen sind jeweils unterschiedliche Akteure (mit-)verantwortlich. Dies beginnt bereits in der Phase der Grundlagenforschung auf der Basis wissenschaftlicher Paradigmen, deren Ergebnisse in der Folge in Forschungs- und Entwicklungsbemühungen (Forschungsprogrammen) im Bereich der angewandten Forschung münden können. In diesen
Abb. 2. Zeitfenster der Gestaltung im Lebenszyklus (Quelle: verändert nach Rejeski 2003)
A. VON GLEICH ET AL.
75
frühen Phasen wissenschaftlich-technologischer Entwicklungen dürften die weit reichendsten und effizientesten Möglichkeiten liegen, potenzielle Umwelt- und Gesundheitsrisiken zu verringern bzw. zu vermeiden. Die folgenden Phasen der Gestaltung von Produktionsprozessen und Produkten sind bereits in dem Sinne präformiert, als sie die Prägungen aus der FuE-Phase zur Grundlage haben. Die Prozess- und Produktgestaltung hat gleichwohl noch relativ viele Freiheitsgrade, die entscheidend sein können für Gestaltungsaspekte wie z.B. „Eigensicherheit“ oder mögliche Umwelt- und Gesundheitsbelastungen in den Folgephasen. Die Gestaltungsoptionen sind begrenzter, gleichwohl in erheblichem Umfang noch vorhanden. Die Gestaltungsoptionen im Produktionsprozess, bei der Nutzung und schließlich in der Entsorgungs- bzw. Recyclingphase nehmen im Vergleich dazu dann deutlich ab. Oft können zu diesem Zeitpunkt nur noch additive Maßnahmen greifen, indem die Prozesse und Produkte bspw. entsprechend der Gefahrstoffklassen in den Sicherheitsdatenblättern gehandhabt oder Vorschriften bzgl. der Entsorgung eingehalten werden. Neben der wissenschaftlichen und technischen Paradigmen- bzw. Pfadausgestaltung ist zudem die Eigendynamik von Bedeutung, die durch zunehmende Pfadabhängigkeiten verstärkt wird, welche z.B. von den getätigten Investitionen sowie vom gebundenen Know-how und Wissen ausgehen. Entlang der Wertschöpfungskette agieren unterschiedlichste Institutionen, die jeweils für sich nur begrenzte Handlungsmöglichkeiten haben, diese durch Kooperationen aber ggf. erheblich ausweiten könnten. Im Grundsatz handelt es sich hier um ein typisches Governanceproblem, in welchem die Einflüsse und Einflussmöglichkeiten der unterschiedlichen Akteure im Gestaltungsprozess nicht eindeutig wahrgenommen werden bzw. zuzuordnen sind.
4.1. ORIENTIERUNG DURCH LEITBILDER Die Wissenschafts-, Technikgenese- und Innovationsforschung hat die Bedeutung von Leitbildern sowohl bei der Herausbildung von Paradigmen und technologischen Trajektorien (Pfaden), als auch für wissenschaftliche Revolutionen und technologische Pfadwechsel dargestellt. Zu den wichtigsten Voraussetzungen für die Wirksamkeit von Leitbildern gehören ihre Bildhaftigkeit und Emotionalität, ihre Leitfunktion sowie der Bezug zu Wünschen und Machbarkeiten gleichermaßen, kurz gesagt ihre Resonanzfähigkeit im Bewusstsein der Akteure und ihre Fähigkeit über ihren emotionalen und Wertegehalt motivierend und orientierend zu wirken. Leitbilder können also eine Steuerungswirkung entfalten und zur Orientierung bzw. Ausrichtung von Innovationen beitragen. Insofern liegt es nahe, die Möglichkeiten einer Beeinflussung von Innovationen in Richtung Nachhaltiges Wirtschaften mit Hilfe von Leitbildern auszuloten. 76
NACHHALTIGKEITSPOTENZIALE UND RISIKEN VON NANOTECHNOLOGIEN
Es ist damit noch nicht gesagt, dass Leitbilder „gezielt“ zur Beeinflussung von Innovationsprozessen eingesetzt werden können. Leitbilder sind auf Resonanz angewiesen und können deshalb nicht einfach von einzelnen Akteuren am grünen Tisch entworfen und dann „implementiert“ werden. Wie die Debatte über das Leitbild Kreislaufwirtschaft zeigte, können Leitbilder aber sehr wohl in einem öffentlichen Diskurs expliziert und konkretisiert werden, bis hin zur Fixierung in Gesetzen, wie das beim Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz der Fall war. Auch die Ergebnisse der Technikcharakterisierung sind für derartige Prozesse der Leitbildausgestaltung durchaus wertvoll. Wenn wesentliche Ursachen technologischer Gefährdungen durch die Technologiecharakterisierung erfasst wurden – z.B. eine bestimmte Kombination von Stoffeigenschaften wie xenobiotisch, persistent, mobil, löslich, bioakkumulativ usw. – können wir die mit Blick auf die Vermeidung etwaiger Umweltrisiken anzustrebenden Stoffeigenschaften klarer ausdrücken (eben: biologisch abbaubar, immobil z.B. niedrig siedend, ohnehin schon in größeren Mengen in der Biosphäre kreisend). Drei mögliche Leitbilder einer nachhaltigeren Nanotechnologie mit unterschiedlichen Reichweiten wurden im Projekt diskutiert: „Ressourceneffiziente Nanotechnologie“, „Konsistente und eigensichere Nanotechnologie“ Tabelle 3. Leitbilder einer nachhaltigeren Nanotechnologie Leitbild
Thema/Motto
Fokus
Beispiele
Ressourceneffiziente Nanotechnologie
Umweltentlastung, Umwelttechnik, geringer Ressourceneinsatz mit hohem Nutzen, geringer Verbrauch, geringer Schaden
Quantität der Energie- und Stoffströme (lebenszyklusbezogen) im Verhältnis zum gesellschaftlichen Nutzen
Verschleiß- und reibungsarme Oberflächen (Maschinenbau), Hochspezifische Membranen (Biotechnologie, Brennstoffzellen)
Konsistente und eigensichere Nanotechnologie
Gesundheitsverträglichkeit und Eingepasstheit in die Stoffwechselprinzipien und -kapazitäten der Natur, Eigensicherheit, geringe Eingriffstiefe, hohe Fehlerfreundlichkeit
Qualität (und Quantität) der Stoff- und Energieströme im Hinblick auf Umwelt, Gesundheit und technische Risiken
Schnelle Abbaubarkeit oder geschlossene Anwendungen; Recyclierbare Nanotubes im Leichtbau
Qualität der Technik (als Form des Umgangs mit Natur)
(Bio)Katalysatoren, Enzymtechnik in der Stoffumsetzung, Biomimetische Materialsynthese, künstliches Perlmutt
Nanobionik Technik nach dem Vorbild der Natur, Leben unterstützend, mit den Selbstorganisationsprinzipien der Natur kooperierend
A. VON GLEICH ET AL.
77
sowie das langfristig orientierte Leitbild „Nanobionik“. Die ersten beiden Leitbilder sind noch stark geprägt durch den Aspekt der Schadensvermeidung. Deshalb werden wir nur auf das weit darüber hinaus weisende Leitbild Nanobionik kurz näher eingehen.
4.2. NANOBIONIK Die Nanotechnologien stellen ein extrem heterogenes Feld dar. Dasselbe gilt im Übrigen auch für den Begriff der Bionik. Zwei Hauptentwicklungsrichtungen können im Sinne einer groben Strukturierung von Nanotechnologien unterschieden werden: Die „Top down“-Entwicklung, in der von der Makrowelt kommend die Ebenen und Werkzeuge der Kontrolle immer mehr verfeinert werden, bis hinein in den molekularen und atomaren Bereich. Dahinter steht das klassische Programm der Naturbeherrschung im Rahmen eines mehr oder minder mechanistischen Weltbildes („shaping the world atom by atom“). Die Herstellung integrierter Schaltkreise oder der aus Atomen konfigurierte Schriftzug „IBM“ sind prominente Beispiele dieser Richtung. Die „Bottom up“-Entwicklung startet hingegen auf dem atomaren und molekularen Level und landet eher bei der selbstorganisierenden Entwicklung komplexer Moleküle oder Nanosysteme. Dahinter stehen eher organismische bzw. systemtheoretische Weltbilder und Vorstellungen des Umgangs mit Natur. Self assembling monolayers (SAMs) oder Buckminster Fullerene bzw. Nanotubes sind Beispiele für diese Richtung. Die „Bottom up“-Entwicklung ist der technologische Ausgangspunkt des Leitbildes „Nanobionik“. „Bottom up“-Nanotechnologien eröffnen hochinteressante Perspektiven für ein „Wachsen lassen“ technologischer Strukturen. Sie finden damit Anschluss an alte (im Wesentlichen philosophisch tradierte) Leitbilder eines anderen Umgangs mit Natur und einer anderen Technik, in Abkehr vom Paradigma des „mechanistischen Weltbildes“ mit seinem universellen Kontroll- und Herrschaftsanspruch. Oder wie Ernst Bloch es z.B. ausdrückt, für eine „Allianztechnik“, in der die Produktivität der Natur mit der Produktivität des Menschen zusammen wirkt (Bloch 1957). Nanobionik ist damit ein Leitbild im Zusammenhang mit einer ganzen Reihe von Leitbildern, die sich eine bestimmte Sicht von der (belebten) Natur zum Vorbild nehmen. Zu den bekanntesten gehören die schon erwähnte Kreislaufwirtschaft, die Bionik, die Biomimetik und die „Sanfte Chemie“ bzw. „green chemistry“. Im Rahmen des vorliegenden Textes ist es nicht möglich, mehr ins Detail zu gehen (vgl. dazu Steinfeldt et al., im Erscheinen). Deshalb soll hier nur noch zur Illustration das Beispiel „künstliches Perlmutt“ skizziert werden, an dem aktuell an der Universität Bremen gearbeitet wird (Fritz et al. 2005). 78
NACHHALTIGKEITSPOTENZIALE UND RISIKEN VON NANOTECHNOLOGIEN
PERLMUTT – VORBILD FÜR NACHHALTIGERE WERKSTOFFE? Perlmutt ist ein hochinteressanter Werkstoff, der zwei Eigenschaften vereint, nämlich Bruchfestigkeit und Bruchzähigkeit. Schnecken und Muscheln realisieren diese Eigenschaftskombination durch eine Art „Bottom up-Nanotechnologie“, durch „Templat- gesteuerte Kristallisation“ formen sie einen Verbundwerkstoff aus Kalziumkarbonatplättchen, einigen Proteinen sowie Chitin (die letztgenannten mit unter 6 Gewichtsprozent). CaCO3 kristallisiert normalerweise in Nadeln und ist alles andere als bruchfest. Die Organismen steuern mit Hilfe der Template die Kristallisation, sodass sich im Selbstorganisationsprozess wohlgeordnete Schichten von Nanoplättchen bilden (vgl. die Abb. 3 und 4). Im Projekt geht es darum, diesen Prozess der templatgesteuerten Kristallisation für die Herstellung synthetischen Perlmutts zu nutzen. Die sich damit eröffnenden Anwendungspotenziale sind bei weitem noch nicht ausgelotet. Das erste kommerzielle Produkt könnte eine abriebfeste Kalkwandfarbe sein, bei der auf petrochemische Binde- und Lösemittel gänzlich verzichtet werden kann. Aspekte einer vorläufigen Nachhaltigkeitsbewertung dieser Wandfarbe zeigen (noch vorwiegend auf der Ebene der Technikcharakterisierung) auf der positiven Seite folgende Elemente: Der natürlich Materialstrom von Kalziumkarbonat in der Ökosphäre ist hoch und die (öko)toxikologischen Effekte sind gering; § Herstellung unter physiologischen Bedingungen, das bedeutet niedrige Temperaturen, keine supergereinigten Materialien und Produktionsbedingungen, keine hohen Drücke oder aggressiven Chemikalien; §
Abb. 3. Perlmutt des Seeohrs Haliotis laevigata (Foto: Fritz)
A. VON GLEICH ET AL.
79
Abb. 4. Rasterelektronenmikroskopaufnahme des Perlmutts (Foto: Fritz)
§
Nutzung von Selbstorganisationsprinzipien (Templat-gesteuerte Kristallisation), das bedeutet geringen Steuerungs- bzw. Kontrollaufwand und hohe Ressourceneffizienz.
Auf der kritischen Seite stehen: Keine hochwertige Form des Recyclings, keine Wiederverwendung, kein werkstoffliches Recycling; § Offene Fragen hinsichtlich der Herstellung der Template. §
Dies sind nur vorläufige Bewertungen. Darauf aufbauend müssen detaillierte ökobilanzielle Bewertungen im Vergleich mit existierenden technischen Lösungen folgen. Erste Ergebnisse liegen dazu auch schon vor (vgl. Fritz et al. 2005). Diese Skizze sollte deutlich machen, dass die Nanotechnologien nicht nur hochinteressante Perspektiven eröffnen, sondern dass sie womöglich auch ein interessantes Experimentierfeld abgeben können, in dem die Möglichkeiten einer Beeinflussung technologischer Entwicklungen durch Leitbilder getestet werden.
5. AUSBLICK Die möglichen Folgen von Innovationen auf Basis von Nanotechnologien sind, wie beschrieben, nur begrenzt vorhersehbar. Die Steuerungs- bzw. Einflussmöglichkeiten der Akteure bzw. Akteursgruppen werden durch die 80
NACHHALTIGKEITSPOTENZIALE UND RISIKEN VON NANOTECHNOLOGIEN
Eigenlogiken ihrer gesellschaftlichen Subsysteme und durch Pfadabhängigkeiten begrenzt. Es kommt also einerseits darauf an, die Subsysteme reflexiver zu gestalten, so dass sie weniger mit Abschottung reagieren, und andererseits gilt es, das gesamte Arsenal an Einflussmöglichkeiten für einen Umbau unseres Wirtschaftens in Richtung Nachhaltigkeit auszuschöpfen. Neben Leitbildern als möglichen Gestaltungsinstrumenten in der Technikentwicklung wurden in der Studie deshalb noch weitere Gestaltungsansätze und -instrumente angesprochen: die Integration von Sicherheits-, Gesundheits- und Umweltschutzaspekten in ein die Wertschöpfungsketten übergreifendes Qualitätsmanagement; § ein nachhaltigkeitsorientiertes Nanodesign in Forschung und Entwicklung in den Unternehmen; § staatliche Regulierungsansätze. §
Angesichts der enormen Prognoseprobleme, mit denen die Technikfolgenabschätzung zu kämpfen hat (selbst wenn die Ansätze aus der Technikcharakterisierung weitgehend ausgeschöpft wurden), muss insofern die Bedeutung der prozessbegleitenden Ansätze zur konkreten Ausgestaltung der Nanotechnologien bzw. der auf ihnen basierenden Produkte und Prozesse betont werden. Hierfür kommen auch weitere mit dem hier vorgestellten Vorgehen eng verwandte Verfahrensvorschläge wie z.B. das Constructive Technology Assessment (CTA, Rip 1995) oder die real-time TA (Guston und Sarewitz 2002) in Frage. Die durchaus viel versprechenden möglichen Beiträge der Nanotechnologien zu einem nachhaltigeren Wirtschaften werden uns nicht einfach in den Schoß fallen. Sie müssen aktiv diskursiv und gestaltend angestrebt und die entsprechenden Einflussmöglichkeiten müssen institutionell unterstützt bzw. abgesichert werden.
6. LITERATUR UND QUELLENHINWEISE Basler & Hofmann AG (2002) Nanotechnologie und Life Sciences. Zürich Bloch E (1957) Das Prinzip Hoffnung, Bd 2. Suhrkamp, Frankfurt, S 787f DIN EN ISO 14040 (1997) Umweltmanagement – Ökobilanz – Prinzipien und allgemeine Anforderungen. Berlin Drexler KE (1986) Engines of creation. The coming era of nanotechnology. Anchor Books, New York Drexler KE (1992) Nanosystems. Molecular machinery, manufacturing and computation. Wiley, New York Fritz M, Gleich A v, Grathwohl G, Kuntz M, Zinsmeister K (2005) Perlmutt – Vorbild für nachhaltig zukunftsfähige Werkstoffe. BMBF-Ideenwettbewerb „Bionik – Innovationen aus der Natur“. www.tecdesign.uni-bremen.de/FG10/dokumente/PerlmuttBericht.doc A. VON GLEICH ET AL.
81
Gleich Av (2004) Leitbildorientierte Technikgestaltung – Nanotechnologie zwischen Vision und Wirklichkeit. In: Böschen S, Schneider M, Lerf A (Hrsg) Handeln trotz Nichtwissen. Vom Umgang mit Chaos und Risiko in Politik, Industrie und Wissenschaft. Campus, Frankfurt New York Guston DH, Sarewitz D (2002) Real-time technology assessment. Technology in Culture 23 (4): 93.109 International Risk Governance Council (Renn O, Roco M) (2006) White paper on nanotechnology risk governance, Geneva 2006. www.irgc.org/irgc/_b/contentFiles/IRGC_ white_paper_2_PDF_final_version.pdf Harsch M, Schuckert M (1996) Ganzheitliche Bilanzierung der Pulverlackiertechnik im Vergleich zu anderen Lackiertechnologien. Sachbilanzebene. Institut für Kunststoffprüfung, Stuttgart Paschen H, Coenen C, Fleischer T, et al (2003) TA-Projekt Nanotechnologie. Arbeitsbericht Nr 92. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB), Berlin Rejeski D (2003) Welcome to the next industrial revolution. Presentation given to the National Science Foundation. http://es.epa.gov/ncer/publications/nano/pdf/Rejeski NSF(9.15.pdf, Zugriffsdatum: 20.6.2006 Rip A, Misa TJ, Schot JW (Hrsg) (1995) Managing technology in society. The approach of constructive technology assessment. Pinter, London Risikokommission (2003) Ad hoc-Kommission „Neuordnung der Verfahren und Strukturen zur Risikobewertung und Standardsetzung im gesundheitlichen Umweltschutz der Bundesrepublik Deutschland“: Abschlussbericht der Risikokommission, Salzgitter. www.bmu.de/files/bilder/allgemein/application/pdf/rk_abschluss.pdf, Zugriffsdatum 11.8.2006 Roco MC (2002) The future of national nanotechnology initiative. Präsentation vom 5/11/02: National Science and Technology Council. www.nsf.gov/home/crssprgm/ nano/roco_aiche_48slides.pdf, Zugriffsdatum: 19.3.2004 Steinfeldt M, Gleich Av, Petschow U, Haum R (2007) Nanotechnologies, Hazards and Resource Efficiency. Springer, Heidelberg (in Druck) Steinfeldt M (Hrsg) (2003) Nanotechnology and Sustainability. Prospective assessment of a future key technology. Schriftenreihe des IÖW 167/03, Berlin van den Daele W, Pühler A, Sukopp H, Bora A, Döbert R, Neubert S, Siewert V (1996) Grüne Gentechnik im Widerstreit – Modell einer partizipativen Technikfolgenabschätzung zum Einsatz transgener herbizidresistenter Pflanzen. VCH, Weinheim Wagner G (oJ) Nanotechnologie in modernen Beschichtungsmaterialien aus lackchemischer Sicht. www.phaenomen-farbe.de/pf_812_forschung_nano-2.htm, Zugriffsdatum: 19.6.2006
82
BEISPIELE FÜR NUTZEN UND RISIKO DER NANOTECHNOLOGIE AUS DER SICHT DER UMWELTGEOWISSENSCHAFTEN – WAS
WIR WISSEN UND WAS WIR LERNEN MÜSSEN F.
VON DER
K AMMER
UND
T. HOFMANN
In den Umweltwissenschaften wird seit mehr als drei Jahrzehnten intensiv an Prozessen in der aquatischen Umwelt geforscht, die ihren Ursprung in Bereichen der Nanoskala haben. Techniken und Methoden wurden entwickelt, um natürliche Partikel und Kolloide im Größenbereich ab 1 bis hin zu mehreren µm zu analysieren und zu charakterisieren sowie ihr Verhalten in der Umwelt und in relevanten Prozessen zu untersuchen. Ein Beispiel hierfür ist der kolloidgebundene Schadstofftransport. Die Berücksichtigung des µm-Bereiches ist bei aquatischen Kolloiden notwendig, da sie zu Aggregation neigen und µm-Partikel aus Nanopartikeln zusammengesetzt sein können. Die allgemeine Position der Wissenschaft ist, dass zwar ein erheblicher Fortschritt zu verzeichnen ist, die Methoden zur Analyse der Partikel jedoch weiterhin unzureichend sind und das Wissen über das Verhalten dieser natürlichen Nanopartikel bisher lückenhaft bleibt. Trotzdem können die verfügbaren Erkenntnisse eine grundlegende Basis liefern, um das Verhalten von industriellen Nanopartikeln (engineered nanoparticles: ENPs) zumindest abzuschätzen und Methoden zu entwickeln, die helfen können, das Verhalten in der Umwelt quantitativ vorherzusagen. Schlüsselworte: Nanogeowissenschaften, Nanopartikel, natürliche Kolloide, aquatische Umwelt, Analyse, Mobilität, Verhalten
83
Benefits and risks emerging from nanotechnology: the viewpoint of environmental geosciences – what we know and what we must learn For more than two decades the environmental sciences have been constantly gaining knowledge about processes in the aquatic environment which occur or originate from processes at the nanoscale. Methods were developed to analyse and characterize environmental particles with sizes from 1 to several µm; progress has been made in elucidating their behaviour in the environment in general or in specific processes such as contaminant transport. Micron-sized particles must be considered in aquatic systems because they can be aggregates of nanoparticles. The majority position of scientists is that, although much progress has been achieved, there is still a need for improvements in terms of detection methods and general understanding of processes. Nevertheless, the existing knowledge can serve as a basis to assess the behaviour of engineered nanoparticles (ENPs) in the aquatic environment and can help to develop suitable techniques to quantitatively predict ENP behaviour. Keywords: Nanogeosciences, nanoparticles, environmental colloids, aquatic environment, analysis, mobility, behaviour
1. EINLEITUNG Nanotechnologisch erzeugte Produkte erscheinen vielfach völlig neuartig. Dies bedeutet auch, dass die Bewertung ihrer Wirkungen auf den Menschen und die Umwelt völlig neue Denkweisen und Verfahren benötigt. Das rein stoffbezogene Denken (eine bestimmte chemische Verbindung ist toxisch, unabhängig von ihrer Erscheinungsform) ist bei der Bewertung nanotechnologischer Produkte – und hier vor allem der freien Partikel – sicher nicht ausreichend. Es ist jedoch durchaus möglich, aus vorhandenem Wissen im Bereich der nanoskaligen Partikel auf das Verhalten der neuartigen zu schließen. Dieser Beitrag soll aufzeigen, wie das Umweltverhalten von industriellen Nanopartikeln bereits mit heutigem Wissen abgeschätzt werden kann und welche Wissenslücken es nach derzeitigem Stand zu schließen gilt. Es ist unstrittig, dass industrielle Nanopartikel in die aquatische Umwelt emittiert werden können, sei es über direkten Eintrag, über Abwasser, Unfälle oder atmosphärische Deposition. Es müssen also mindestens folgende Fragen beantwortet werden: Wie werden Nanopartikel in wässrigen Systemen transportiert, verteilt, abgebaut und akkumuliert? § Wie (einzeln oder als Aggregate) erscheinen sie an dem Ort (Rezeptor), an dem sie eine bestimmte Wirkung entfalten können, und in welcher Konzentration? §
84
NUTZEN UND RISIKO DER NANOTECHNOLOGIE
Was sind die Wirkungen (Reaktionen), die sie in dieser spezifischen Erscheinungsform auslösen? § Wie können wir diese Partikel, ihre Erscheinungsform und Wirkungen in der Umwelt messen? §
Seit über hundert Jahren beschäftigt sich die Kolloid- und Grenzflächenchemie mit den Phänomenen im Bereich der Nanometer-Skala. Leistungsfähige Methoden sind entwickelt worden, um Prozesse in diesem Größenbereich zu untersuchen, sie zu beschreiben und technologisch nutzbar zu machen. Viele der in der ferneren Vergangenheit entwickelten Verfahren sind heute Stand der Technik und die Resultate dieser Entwicklungen finden sich schon lange in Alltagsprodukten wieder. Die Nanotechnologie birgt jedoch Möglichkeiten, die über die der bisherige Kolloid-, Grenzflächen- und Polymerforschung hinausgehen. Es geht hierbei um die gezielte Manipulation von Strukturen im Bereich unter 100 nm. Bestimmte Materialien bekommen hier bereits neue Eigenschaften, die sie im makroskopischen Bereich oberhalb von 1 µm nicht besitzen. Nanopartikel können mobil sein, also z.B. beweglich im Körper, und so zu bestimmten Bereichen dirigiert werden. Komposite, die wie eine Zwiebel besondere Oberflächenschichten in bestimmter Abfolge aufweisen und bestimmte Wirkstoffe im Innern enthalten, kann man gezielt an Orte im Körper schleusen, wo sie ihre Wirkung entfalten. So muss nicht der gesamte Organismus mit einem u.U. nebenwirkungsreichen Wirkstoff überflutet werden.
1.1. KOLLOIDCHEMIE, NANOTECHNOLOGIE UND NANOGEOWISSENSCHAFTEN Neben der klassischen Kolloidforschung, die sich weitgehend auf vergleichbar „einfach“ strukturierte kolloidale Systeme beschränkt, hat sich seit etwa 25 Jahren ein Bereich herausgebildet, der in der aktuellen Terminologie am ehesten als Nanogeowissenschaften oder Nanoumweltwissenschaften zu bezeichnen ist. Hier werden Phänomene in der Umwelt untersucht, die ihren Ursprung in Prozessen auf der Nanometer-Skala haben. Die kolloidalen Systeme, die hier untersucht werden, sind sehr komplex und heterogen, da sie die gesamte Bandbreite an in der Natur vorkommenden Partikeln enthalten können (siehe Abb. 1). Für die Untersuchungen werden zum Teil Analyseverfahren eingesetzt, wie sie auch im Bereich der Nanotechnologie zum Einsatz kommen. Die Nanogeowissenschaften haben genauso wie die Nanotechnologie in ihrem wissenschaftlichen Fortschritt von der Weiterentwicklung dieser Verfahren profitiert. Aufgrund der Heterogenität und Komplexität natürlicher kolloidaler Systeme sind die Aussagen über Eigenschaften dieser Systeme häufig nicht eindeutig (was z.B. ist der Partikeldurchmesser eines irregulären Plättchens?). Es F. VON DER KAMMER UND T. HOFMANN
85
Abb. 1. Rasterelektronenmikroskopieaufnahmen von Kolloiden unterschiedlicher Herkunft. O.l.: aggregierte synthetische Platinkolloide (Sigma-Aldrich) mit einer nominellen Größe von 40–200 nm. O.r.: Kolloide und Mikropartikel kaltwasserextrahiert aus Quarzmehl. U.l.: Natürliche Kolloide im Regenwasserablauf einer Hauptstraße, abgefiltert auf Anopore Membran (0,02 µm Porengröße, Whatman). U.r.: natürliche Kolloide gewonnen durch Kaltwasserextraktion aus einem Grundwasserleiter und abfiltriert auf Whatman Anopore Membran. Alle schwarzen Balken entsprechen 1 µm
besteht Übereinkunft darin, dass (1) existierende Methoden nicht ausreichen, um alle Eigenschaften eines natürlichen Systems exakt zu ermitteln, ohne das System dabei nachhaltig zu stören und dass (2) meist mehrere Methoden parallel zur Analyse eingesetzt werden müssen (Hofmann et al. 2003a, b). Im Bereich der Nanogeowissenschaften und der Nanotechnologie existieren unterschiedliche Definitionen für ein Kolloid oder ein Nanopartikel. Abbildung 2 zeigt den Größenbereich natürlicher Partikel von 0,1 nm (Mo86
NUTZEN UND RISIKO DER NANOTECHNOLOGIE
leküle) bis zu 1 m (Steine). Der Bereich der natürlichen Kolloide erstreckt sich hier nach der gültigen Definition der International Union of Pure and Applied Chemistry (IUPAC) von 1 nm bis 1000 nm (1 µm). Diese Definition bezieht sich auf eine der drei Dimensionen des Partikels, die anderen beiden können außerhalb dieses Größenbereiches liegen. Dieser Ansatz ist auch bei der Definition von industriellen Nanopartikeln zu finden (Royal Society 2004). Danach sind technische Nanopartikel mit einer Dimension bis 100 nm Filme oder Beschichtungen, mit zwei Dimensionen bis 100 nm Stäbe oder Röhren und erst wenn alle drei Dimensionen unterhalb 100 nm liegen handelt es sich um Nanopartikel. Entscheidend ist, dass in den Nanogeowissenschaften der Bereich der natürlichen Kolloide (und so auch der natürlichen Nanopartikel) bis 1000 und nicht nur bis 100 nm reicht. Bedenkt man die Tatsache, dass es bereits in den bisherigen Untersuchungen zu natürlichen Kolloiden verschiedenste operationelle Definitionen gibt, die meist durch die jeweiligen Messverfahren oder Abtrennungsmethoden determiniert wurden (z.B. < 0,2 µm oder < 0,45 µm, je nach verwendetem Filtermaterial), so steht zu befürchten, dass es hier in Zukunft zu weiteren Verständigungsproblemen kommen wird.
Abb. 2. Größenspektrum natürlicher und anthropogener Bodenbestandteile. Der kolloidale Größenbereich reicht von 1 nm bis 1 µm. DOM: dissolved organic matter. (aus Hofmann et al. 2003, reproduziert mit Genehmigung Springer)
F. VON DER KAMMER UND T. HOFMANN
87
Der IUPAC-Definition folgend betrachten wir alle Objekte mit einer Dimension im Bereich von 1 bis 1000 nm als Kolloide und unterscheiden nicht zwischen Nanopartikeln und Kolloiden. Wir verwenden für natürliche Kolloide die Abkürzung NNP (natural nanoparticles), für anthropogene, aber nicht zielgerichtet erzeugte Kolloide ANP (antropogenic nanoparticles, z.B. Brems- und Reifenabrieb, Ruß) und für gezielt technisch hergestellte Nanopartikel ENP (engineered nanoparticles). Tabelle 1 gibt eine Übersicht über möglicherweise relevante ENPs, die entweder bereits in Produkten Verwendung finden, oder denen eine mögliche großtechnische Bedeutung zu geschrieben wird. Das Emissionspotenzial in die aquatische Umwelt stellt eine Schätzung auf Basis der derzeitigen Diskussion dar (Royal Society 2004, Lecoanet und Wiesner 2004a, b, Owen und Depledge 2005).
2. NATÜRLICHE UND INDUSTRIELLE NANOPARTIKEL Die Untersuchung von natürlichen Kolloiden (NNPs) und ihrem Verhalten im Grund- und Sickerwasser wurde hauptsächlich durch Beobachtungen beim Transport von Schadstoffen, in diesem Fall Radionukliden, stimuliert. Schadstoffe, die schwer wasserlöslich sind, lagern sich zum überwiegenden Anteil am immobilen Grundwasserleitermaterial an (Sorption) und werden daher nur sehr langsam mit dem Grund- und Sickerwasser verlagert (in der Größenordnung von mm pro Jahr). Man erkannte jedoch, dass diese Schadstoffe deutlich schneller transportiert wurden, wenn mobile NNPs anwesend waren (in manchen Fällen auch langsamer [Bekhit et al. 2006]). Es gibt Hinweise, dass diese im Grundwasser mobilen NNPs als Vehikel für die an ihnen stark sorbierten Schadstoffe fungieren können (Buddemeier und Hunt 1988, McCarthy und Zachara 1989, Penrose et al. 1990). Gegenüber der Rolle von NNPs im Grund- und Sickerwasser ist bei Oberflächengewässern seit langem bekannt, dass Partikel (> 1 µm) und NNPs einen Großteil zum Stofftransport und so auch zum Schadstofftransport beitragen (Förstner und Wittmann 1979). Diese suspendierten Feststoffe bestimmen weitgehend die Gewässerqualität und sind von herausragender Bedeutung für den Nährstoffkreislauf der Gewässer. Das Verhalten von suspendierten Partikeln und NNPs im Oberflächenwasser und speziell beim Übergang von Süß- zu Salzwasser und bei der Oxidation anoxischer Zuflüsse oder Porenwässer bzw. saurer Grubenwässer ist seit mehreren Jahren Gegenstand der Forschung (Atteia et al. 2001, Kimball et al. 1995, Schemel et al. 2000, v.d. Kammer et al. 2003). In marinen Systemen sind viele Metalle vorwiegend an Partikel und NNPs oder durch kolloidale organische Substanz gebunden (Wen et al. 1999, Wells et al. 1998). NNPs spielen hier nicht nur eine Rolle als potenzielle Schadstoffträger, sondern können die Bioverfügbarkeit von Nährstoffen (z.B. Eisen) beeinflussen (Chen et al. 2003). 88
NUTZEN UND RISIKO DER NANOTECHNOLOGIE Tabelle 1. Auflistung von künstlichen Nanopartikeln, die bereits jetzt oder in naher Zukunft in relevanten Mengen produziert werden können (Royal Society 2004), Beispiele typischer Anwendungen und Abschätzung des Emissionspotenzials in die aquatische Umwelt Art
Produkte (Beispiele)
Emissions- Bemerkungen potential
Anorganische ENPs SiO2
Zusätze (Polymere, Kosmetika)
niedrig – hoch
TiO2
Sonnencreme, Wasserbehandlung Katalysatoren
hoch
ZrO2
Zusätze (Beschichtungen)
niedrig
ZnO / ZnO2
Zusätze (Polymere, Kosmetika)
niedrig – hoch
Aluminiumoxide
Solarzellen
niedrig
CeO2
Kraftstoffzusatz
hoch
Iron-oxides
Pharmazeutika
hoch
zusätzlich redoxsensitiv, können reduktiv aufgelöst werden
Quantum dots
Fluoreszenzmarker Pigmente Pharmazeutika
mittel niedrig mittel
Verhalten in aquatischen Systemen unbekannt
Eisen(0)nanopartikel
Grundwassersanierung
hoch
Verhalten ist bekannt und wird gezielt manipuliert, um z.B. höhere Mobiltät im Grundwasser zu erreichen
Anorganische Fullerene (z.B. MoS2)
Schmiermittel
mittel
Verhalten in aquatischen Systemen unbekannt
Anorganische Nanoröhrchen
Wasserstoffspeicher
Glimmer
Metallic-Lacke
Verhalten in der aquatischen Umwelt z.T. bekannt
Natürliche und synthetische Tone
Zusatz in Kunststoffen und Lebensmitteln
Verhalten in der aquatischen Umwelt z.T. bekannt.
F. VON DER KAMMER UND T. HOFMANN
Diese Metalloxide sind gut beschrieben, ihr Verhalten in der aquatischen Umwelt z.T. bekannt. Es ist anzunehmen, dass sie sich ähnlich verhalten wie natürliche anorg. Kolloide
89
Tabelle 1 (Fortsetzung) Art
Produkte (Beispiele)
Emissions- Bemerkungen potential
Kohlenstoffbasierte ENPs Carbon-black
Zusätze, Pigmente
hoch, wenn frei vorliegend
Fullerene
Zusätze (Schmiermittel, Kosmetika)
hoch, wenn oberflächenmodifiziert
Nanoröhrchen
Zusätze (Polymere) Batterien Membranen Brennstoffzellen Impfstoffe
hoch, wenn frei vorliegend und oberflächenmodifiziert
Nanodrähte
Zusätze (Polymere) Katalysatorträger
niedrig niedrig
Verhalten in aquatischen Systemen unbekannt
Quantum dots
Fluoreszenzmarker Pigmente Pharmazeutika
mittel niedrig mittel
Verhalten in aquatischen Systemen unbekannt
Kern-Hülle Partikel
Pharmazeutika
hoch
können pH- und redoxsensitives Verhalten zeigen
Hinweise auf unterschiedliches Verhalten verglichen mit natürlichen Oxiden (Lecoanet und Wiesner 2004b)
Hybride
Beschichtete Pharmazeutika oder OberfläKontrastmittel chen-funktiona- Krebstherapeutika lisierte Partikel
hoch hoch hoch
Untersuchungen zum Einfluss von NNPs auf natürliche Prozesse und besonders zum Einfluss der Partikelgröße sind bisher praktisch nicht durchgeführt worden, jedoch fanden Madden und Hochella (2003), dass Eisenoxide in einem bestimmten Größenbereich (um 7 nm) Oxidationsreaktionen im Grundwasser beschleunigen können. Für die meisten Reaktionen in der Umwelt ist jedoch nicht bekannt, ob und wie sie durch ein bestimmtes Material in einer bestimmten Partikelgröße beeinflusst werden. Während das Transportverhalten von NNPs in der aquatischen Umwelt vergleichsweise 90
NUTZEN UND RISIKO DER NANOTECHNOLOGIE
gut untersucht ist, besteht für die Bedeutung von NNPs und somit auch ENPs in natürlichen biogeochemischen Reaktionen und Reaktionsketten ein klarer Forschungsbedarf. Entscheidend für das Verhalten und die Bedeutung von NNPs in der aquatischen Umwelt sind (Hofmann et al. 2003a): § § § § § §
Art der Kolloide Partikelgröße Oberflächenladung und räumliche Ladungsheterogenität Verhalten der Oberflächenladung gegenüber pH-Wert, Redoxpotenzial und oberflächenaktiven Substanzen Art und Konzentration der Wasserinhaltsstoffe (z.B. Ionenstärke) Wechselwirkung (Bindungsverhalten) mit Schadstoffen
Diese Parameter steuern die Aggregation der kolloidalen Partikel und ihre Abscheidung bzw. Immobilisierung im Boden oder an dem Grundwasserleitermaterial. Es ist anzunehmen, dass diese Grundsätze auf die meisten, vor allem aber die anorganischen ENPs übertragbar sind. Gerade Metalloxidkolloide wurden häufig als Modellsysteme verwendet, um den Transport und das Verhalten von natürlichen Kolloiden im Experiment zu simulieren (Kretzschmar und Sticher 1997, Kretzschmar et al. 1997, Lenhart und Saiers 2002). Somit lassen sich bereits heute die Ausbreitung und Verlagerung von einigen ENPs zumindest abschätzen (s. Tabelle 1). Es stellt sich die Frage, ob die Partikelgröße und spezifische Oberfläche als bedeutende Parameter für die Toxikologie der Partikel (Oberdörster et al. 1994, 2005, Nel et al. 2006) auch die Mastervariablen für die Verbreitung und bestimmte Reaktionen der ENPs in der Umwelt sein werden. Dies könnte bedeuten, dass z.B. Aggregate von Nanopartikeln ihre speziellen Wirkungen verlieren. Es muss aber auch untersucht werden, inwiefern natürliche Gewässerinhaltsstoffe bestimmte ENPs als Einzelpartikel stabilisieren können. Eine weitere Frage stellt sich in Bezug auf die Persistenz der ENPs: Werden sie in der Umwelt abgebaut oder umgewandelt? Welche Wirkungen haben hier die Zwischenprodukte?
3. VERWENDUNG VON ENPS IN DER UMWELTTECHNIK Als Chancen, die sich aus der Nanotechnologie für die Umwelt und den Umweltschutz ergeben, können umweltfreundlichere Produkte oder Produktionsverfahren gesehen werden, verbesserte Messtechniken oder auch verbesserte Verfahren zur Wasser-, Abwasser- und Abgasreinigung. In Bezug auf ENPs erhofft man sich z.B. von nanopartikulären elementarem Eisen eine effektivere und kostengünstigere Sanierung von kontaminierten Standorten (Zhang 2003). Diese Nanopartikel werden derzeit bereits in Feldversuchen eingesetzt und gehören somit zu den wenigen, die bereits im F. VON DER KAMMER UND T. HOFMANN
91
kg-Maßstab bewusst in die Umwelt eingebracht werden. Laborversuche haben gezeigt, dass der Abbau von vielen Schadstoffarten an der Oberfläche von elementarem Eisen (Fe(0)) deutlich beschleunigt wird und dass ENPs aus elementarem Eisen einige Vorteile gegenüber den µm- oder mm-großen Partikeln aufweisen (Zhang 2003, Nurmi et al. 2005). Allerdings wurden bisher nur Reaktivitätssteigerungen beobachtet, die linear mit der spezifischen Oberfläche der Partikel skalieren. Beobachtungen eines sprunghaften Anstiegs der Reaktivität oder besondere zusätzliche Eigenschaften, die der Nanoskaligkeit zuzuschreiben wären, fehlen bisher (Nurmi et al. 2005). In Laborversuchen wurden gute Resultate zum Abbau von chlorierten Kohlenwasserstoffen, organischen Farbstoffen, einigen Pestiziden und die Transformation von anorganischen Schadstoffen wie Perchlorat oder Dichromat erhalten (Zhang 2003). Die Fe(0)-Nanopartikel können als permeable reaktive Wand eingesetzt werden, wo sie vom kontaminierten Grundwasser durchströmt werden. Eine andere Möglichkeit ist die Injektion als Suspension in den Grundwasserleiter. Der Vorteil des In-situ Injektionsverfahrens ist, dass geringe Baukosten entstehen und Bereiche im Untergrund erreicht werden können, die sonst nur schwer zugänglich sind, z.B. unter
Abb. 3. Prinzip einer In-Situ-Sanierung mit Hilfe der Injektion einer Fe(0)-Nanopartikel Suspension in den kontaminierten Grundwasserleiter. Die Partikel wandern in die Schadstofffahne, wo sie bei Kontakt mit dem Schadstoff diesen zerstören (Abbau) oder so verändern, dass er weniger schädlich ist (z.B. Reduktion von Dichromat)
92
NUTZEN UND RISIKO DER NANOTECHNOLOGIE
Gebäuden. Abbildung 3 zeigt das Prinzip einer In-situ-Sanierung mit Hilfe der Injektion von Fe(0)-Nanopartikeln. Die Partikel wandern in die Schadstoffahne und bauen den Schadstoff hier effektiv ab. Probleme der Fe(0) Nanopartikel sind zum einen ihre geringe Mobilität im Grundwasser (Neigung zur Abscheidung, Aggregation und Filtration) und zum anderen die Alterung der Partikeloberflächen und die damit verbundene Verringerung der Reaktivität. Beiden Effekten versucht man mit Hilfe von Modifikationen an der Partikeloberfläche zu begegnen oder die reaktive Oberfläche auf spezielle Materialien wie Kohlenstoff-Nanopartikel aufzuziehen. Es werden auch bimetallische Partikel wie Fe/Pt, Fe/Ag, Fe/Ni, Fe/Co, Fe/Cu synthetisiert, die eine höhere Reaktivität und größere Stabilität gegen Passivierung zeigen können (Wang und Zhang 1997, Xu und Zhang 2000). Somit entstehen hier bereits Hybridpartikel zum direkten Einsatz im Grundwasser, die funktionelle Gruppen wie Polyacrylsäure oder katalytisch aktive Metalle wie Pt oder Pd an den Oberflächen tragen, um sie entweder im Grundwasser mobiler zu machen (Ponder et al. 2000, 2001; Schrick et al. 2002) oder ihre Effektivität zu erhöhen. Es kann derzeit nicht abgeschätzt werden, ob die Modifikationen generell notwendig für den Einsatz bei der Sanierung sein werden und ob die dadurch verursachten Kosten das Verfahren am Ende unwirtschaftlich machen. An den Kosten wird sich entscheiden, ob in Zukunft relevante Mengen dieser ENPs ins Grundwasser gelangen werden, oder ob es sich nur um eine Nischentechnik für spezielle Problemstellungen handeln wird.
4. VERBREITUNG VON POTENZIELLE RISIKEN
ENPS IN DER AQUATISCHEN UMWELT UND
Bisher wurde ein potenzielles Risiko durch ENPs für den Menschen hauptsächlich mit möglichen Emissionen an Arbeitsstätten und Forschungslabors assoziiert. Im Vordergrund stand zunächst die Exposition von Arbeitern und Angestellten und als primärer Transportweg der Luftpfad. Somit konzentrieren sich die Untersuchungen zu Exposition und Wirkung, sicher auch stimuliert durch die aktuelle Feinstaubdiskussion, auf die Atemwege (Oberdörster et al. 2005, Colvin 2003). Die zunehmende Verwendung von ENPs in alltäglichen Produkten rückt derzeit das Risiko für den Konsumenten ins Blickfeld und dies wird in der Öffentlichkeit zunehmend diskutiert (Miller et al. 2006). Die umfassende Betrachtung des potenziellen, durch ENPs induzierten Risikos steht aber erst am Anfang. Sie wird vor allem dadurch erschwert, dass derzeit kaum abzuschätzen ist, welche Arten von ENPs in der Zukunft in relevanten Mengen produziert werden und in welcher Form sie eingesetzt werden. Auffallend ist jedoch, dass sowohl der Wasserpfad als möglicher Transport- und Verteilungspfad für ENPs in die Umwelt, als auch generelle F. VON DER KAMMER UND T. HOFMANN
93
Auswirkungen von ENPs auf die Umwelt (und nicht nur auf den Menschen) zwar als sehr relevant erachtet werden (Oberdörster et al. 2005), in der derzeitigen Diskussion aber nur eine untergeordnete Rolle spielen. Es muss davon ausgegangen werden, dass ENPs, die z.B. in Kosmetika, Reinigungsmitteln und Arzneimitteln zum Einsatz kommen, primär in die aquatische Umwelt emittiert werden (Tabelle 1). Gleiches gilt für ENPs, die in Sanierungsverfahren eingesetzt werden. Im letzteren Fall findet die Emission aber räumlich begrenzt, kontrolliert und nachverfolgbar statt. Das Verhalten von homogenen, unmodifizierten Metalloxid-Nanopartikeln in Bezug auf Dispersion, Aggregation und Transport wird sich nicht grundlegend von dem der bekannten Oxide unterscheiden. Es ist anzunehmen, dass hohe Ionenstärken, Anwesenheit von mehrwertigen Kationen und ein pH-Wert in der Nähe des isoelektrischen Punkts der zu betrachtenden ENPs zu einer geringen Mobilität führen werden. Oberflächenaktive Substanzen wie z.B. Huminstoffe können die Mobilität wieder erhöhen (Ryan und Elimelech 1996). Lecoanet und Wiesner (2004b) fanden bei Säulenexperimenten zur Mobilität von ENPs im Grundwasser, dass auch organische Nanopartikel (z.B. Nanoröhren) ähnlich mobil waren wie SiO2-Kolloide und dass sich das Transportverhalten von Nanoröhren, Fullerol und nC60 Fullerenaggregaten bei hohen Transportgeschwindigkeiten von dem der Oxide (SiO2 und TiO2) unterschied. Die Wirkung von ENPs in der Umwelt ist derzeit kaum untersucht. Es muss hier unterschieden werden zwischen: einer Wirkung des Materials an sich, unabhängig von der Partikelgröße, besonderen Reaktionen, die mit der spezifischen Oberfläche und somit mit der Partikelgröße und Porosität skalieren, und § spezifischen Reaktionen, die u.U. nur unterhalb oder bei einer bestimmten Partikelgröße oder in einem Größenbereich auftreten. § §
Während die Untersuchung des ersten Punkts eher eine Aufgabe der klassischen Umweltchemie darstellt, sind für die Untersuchung der letzten beiden Punkte neue Ansätze notwendig. Nur in einigen Fällen kann von der Wirkung der jeweiligen ENPs auf potenzielle Gefahren für die Umwelt geschlossen werden. Es ist z.B. bekannt, dass Titandioxid-ENPs natürliche organische Substanzen, wie z.B. Huminstoffe, photokatalytisch schnell abbauen. Hierzu reicht natürliches Sonnenlicht als Strahlungsquelle aus. Unterschiedliche Produkte zeigen deutlich andere Reaktivitäten (Doll und Frimmel 2005). Gerade größere Moleküle der natürlichen organischen Substanz sorbieren stark an den Oberflächen der TiO2-ENPs (Doll und Frimmel 2005). Es ist derzeit unbekannt, ob TiO2-ENPs, die durch die Verwendung von z.B. Sonnencreme in Badegewässer eingetragen werden, den Abbau von organischer Substanz im Gewässer beeinflussen können und wie sie u.U. durch Sorption von organischer Substanz als Einzelpartikel stabilisiert werden. 94
NUTZEN UND RISIKO DER NANOTECHNOLOGIE
Abbildung 4 listet wichtige Punkte auf, die einer näheren Untersuchung für einzelne ENPs oder Partikelgruppen bedürfen. Im Bereich der Emissionspfade stellt sich die Frage des Transports und Verbleibs der ENPs, d.h. nach den Orten an denen sie eine spezifische Wirkung entfalten können (z.B. Abwasserbehandlung, Oberflächenwasser oder Sediment). Ebenso wichtig ist die Frage nach der Degradation durch Abbau oder Aggregation. Das Umweltverhalten beeinflusst wiederum direkt die Bedeutung der unterschiedlichen Emissions- und Transportpfade. Im Bereich der Umwelteffekte existieren große Wissenslücken.
5. FORSCHUNGSBEDARF Es ist mit zunehmendem Einsatz von ENPs auch mit einem vermehrten Eintrag in die Umweltmedien Boden, Wasser und Luft zu rechnen. Die Erkenntnisse über das Umweltverhalten von natürlichen oder anthropogenen Nanopartikeln sind nur zum Teil übertragbar. Für eine Bewertung des Risikos ist es von entscheidender Bedeutung, wie und in welcher Form ENPs emittiert und transportiert werden und letztendlich mit Mensch und Umwelt in Kontakt kommen. Ist eine bestimmte Klasse von ENPs identifiziert und Art, Menge und Ort der Emission abschätzbar, so muss mit möglichst einfachen Testmethoden ermittelt werden können, wie diese Partikel im Wasser vorliegen werden und welche Transformationen sie erfahren. Lecoanet und Wiesner (2004a, b) haben solche einfachen Tests, wie sie schon zur Untersuchung der Grundwassermobilität von natürlichen Kolloiden verwendet wurden, auf ENPs angewendet. Für das Verhalten von ENPs im Grund- und Oberflächenwasser sind Test-Matrizes denkbar, die die Dispersibilität und Wechselwirkung mit typischen Wasserinhaltsstoffen ermitteln. Die hieraus erhaltenen Informationen über die Größe, Form und Konzentration, in der ENPs tatsächlich im Wasser vorkommen, können von Ökologen und Toxikologen verwendet werden, um die Wirkungen der ENPs auf natürliche Prozesse oder deren Aufnahme und Wirkung in und auf Biota realistischer zu untersuchen. Es ist z.B. denkbar, dass ENPs schnell aggregieren und in dieser Form keine oder eine veränderte Wirkung entfalten. Gleichzeitig kann es sein, dass ENPs, die natürliche organische Substanz an der Oberfläche sorbieren, leichter von aquatischen Organismen aufgenommen werden. Entscheidend ist, dass sich die Untersuchung der Wirkung von ENPs hauptsächlich an solchen Erscheinungsformen orientiert, die in der realen Umwelt auch tatsächlich auftreten. Es muss auch bei toxikologischen Tests darauf geachtet werden, dass der Test und die verwendeten Medien die ENPs nicht so verändern, dass die relevante Form im Test gar nicht vorliegt. F. VON DER KAMMER UND T. HOFMANN
95
96 Abb. 4. Schematische Übersicht über ENP Emission, Verbleib und Effekte in der aquatischen Umwelt und mögliche Fragestellungen, die sich in der jeweiligen Stufe ergeben
NUTZEN UND RISIKO DER NANOTECHNOLOGIE
Solche Test-Matrizes müssen in Zusammenarbeit mit Herstellern und Toxikologen entwickelt werden und ein Set der für die Situation relevanten Bedingungen enthalten (pH, Ionenstärke, Hauptkationen, Hauptanionen, typische weitere Inhaltsstoffe) (s. Abb. 5). Eine der größten Herausforderungen bei der Klärung des Umweltverhaltens von ENPs liegt jedoch bereits in der Analytik begründet. Diese ist für den aquatischen Umweltbereich bisher nicht etabliert bzw. noch nicht einmal angedacht. Wie sollen ENPs, wenn sie einmal in die Umwelt gelangt sind, analytisch detektiert und quantifiziert werden? Eine physikalisch-chemische Analyse, wie man sie von klassischen Schadstoffen her kennt, ist hier kaum möglich, da diese substanzspezifisch arbeitet. Die Aufgabe wird darin bestehen zu analysieren, ob ENPs in einer toxikologisch relevanten Form vorliegen (z.B. Größe, Zusammensetzung, Oberflächenreaktionen). Eine Aufgabe, die sich vor dem Hintergrund der ubiquitären natürlichen Kolloide als sehr schwierig erweisen kann. Z.B. ist es derzeit außerordentlich schwierig partikuläres Platin, wie es aus Kfz-Katalysatoren emittiert wird und sich im Boden anreichert, korrekt in Bezug auf seine Erscheinungsform (ionisches Platin, partikuläres Platin, Platinmetall oder Platinverbindungen) im Boden zu analysieren. Die Ergebnisse zur Transformation des metallischen Platins sind immer noch widersprüchlich (Ravindra et al. 2004). Darüber hinaus ist es notwendig, die Beeinflussung von natürlichen Reaktionen durch ENPs zu untersuchen. Die Schwierigkeit besteht hier darin,
Abb. 5. Informationsfluss und Aufgabenverteilung unter Einbeziehung der Geound Umweltwissenschaften bei der Untersuchung von ENPs auf ihre Umweltrelevanz
F. VON DER KAMMER UND T. HOFMANN
97
in einem ersten Schritt mögliche Einflussfaktoren zu bestimmen. Hier ergeben sich Möglichkeiten z.B. über ökotoxikologische Tests überhaupt eine Wirkung zu erkennen. Diese zunächst unspezifische Information muss dann jedoch zum Urprungsmechanismus hin aufgeklärt werden, um klare Aussagen im Hinblick auf die jeweiligen ENPs zu gewinnen. Auch hier sollte beachtet werden, dass ENPs nur in den relevanten Erscheinungsformen getestet werden. ENPs könnten neben ihren unbestrittenen innovativen Materialeigenschaften und dem großen Potenzial in der Medizin- und Umwelttechnik auch als eine neue Klasse von Schadstoffen verstanden werden. Ihre Wirkungen und ihr physiko-chemisches Verhalten unterscheiden sich grundlegend von dem der klassischen Schadstoffe. Das Umweltverhalten wird am ehesten mit dem der stark partikelgebundenen Schadstoffe wie z.B. Blei, einigen Radionukliden oder Dioxinen vergleichbar sein. Die Nanotechnologie birgt eine große Chance für die Gesellschaft, vergleichbar sicher mit den Errungenschaften der „grünen Revolution“ in der Landwirtschaft. Aus Sicht der Autoren ist im Bereich der Nanotechnologie die Chance gegeben, flankierend zum technologischen Fortschritt zeitgleich das Umweltverhalten eingehend zu untersuchen und potenzielle Gefahren im Vorfeld zu identifizieren. Eine breite Akzeptanz der Nanotechnologie in der Gesellschaft kann nur dann erreicht werden, wenn den zukünftigen Nutzern und Konsumenten ersichtlich ist, dass Risiko und Nutzen auf einer breiten und fundierten wissenschaftlichen Basis abgewogen werden können und die Methoden zur Bewertung eines potenziellen Risikos die Eigenarten der neuen Produkte berücksichtigen. Die Untersuchung der Umweltrelevanz und des Umweltverhaltens von technischen (engineered) Nanopartikeln muss deshalb frühzeitig, vor dem großtechnologischen Einsatz erfolgen.
6. LITERATUR UND QUELLENHINWEISE Atteia O, Mondi C, Perret D (2001) Aggregation rates of natural particle populations. Water Res 35: 2429 Bekhit HM, Hassan AE, Harris-Burr R, Papelis C (2006) Experimental and numerical investigations of effects of Silica colloids on transport of Strontium in saturated sand columns. Environ Sci Technol 40: 5402–5408 Buddemeier RW, Hunt JR (1988) Transport of colloidal contaminants in groundwater: radionuclide migration at the Nevada test site. Appl Geochemistry 3: 535–548 Colvin VL (2003) The potential environmetal impact of engineered nanomaterials. Nature Biotechnol 21: 1166–1170 Doll TE, Frimmel FH (2005) Photocatalytic degradation of carbamazepine, clofibric acid and iomeprol with P25 and Hombikat UV100 in the presence of natural organic matter (NOM) and other organic water constituents. Water Res 39: 403–411 Förstner U, Wittmann GT (1979) Metal pollution in the aquatic environment. Springer, Berlin, S 486 98
NUTZEN UND RISIKO DER NANOTECHNOLOGIE Hofmann T, Baumann T, Bundschuh T, v d Kammer F, Leis A, Schmitt D, Schäfer T, Thieme J, Totsche K-U, Zänker H (2003a) Aquatische Kolloide I: eine Übersichtsarbeit zur Definition, zu Systemen und zur Relevanz. Grundwasser 4: 203–212 Hofmann T, Baumann T, Bundschuh T, v d Kammer F, Leis A, Schmitt D, Schäfer T, Thieme J, Totsche K-U, Zänker H (2003b) Aquatische Kolloide II: eine Übersichtsarbeit zur Probennahme, Probenaufbereitung und Charakterisierung. Grundwasser 4: 213–223 Kimball BA, Callender ER, Asefmann E (1995) Effects on colloids on metal transport in a river receiving acid mine drainage, upper Arkansas River. Appl Geochem 10: 285–306 Kretzschmar R, Barmettler K, Grolimund D, Yan YD, Borkovec M, Sticher H (1997) Experimental determination of colloid deposition rates and collision efficiencies in natural porous media. Water Res 33: 1129–1137 Kretzschmar R, Sticher H (1997) Transport of humic-coated iron oxide colloids in a sandy soil: influence of Ca2+ and trace metals. Environ Sci Technol 31: 3497–3504 Lecoanet HF, Wiesner MR (2004a) Laboraty assessment of the mobility of nanomaterials in porous media. Environ Sci Technol 38: 5164–5169 Lecoanet HF, Wiesner MR (2004b) Velocity effects on fullerene and oxide nanoparticle deposition in porous media. Environ Sci Technol 38: 4377–4382 Lenhart JJ, Saiers JE (2002) Transport of silica colloids through unsaturated porous media: experimental results and model comparisons. Environ Sci Technol 36: 769–777 Madden AS, Hochella MF (2005) A test of geochemical reactivity as a function of mineral size: manganese oxidation promoted by hematite nanoparticles. Geochim Cosmochim Ac 69: 389–398 Miller G, Archer L, Pica E, Bell D, Senjen R, Kimbrell G (2006) Nanomaterials, sunscreens and cosmetics: small ingredients – big risk. Friends of the Earth US and AUS, Report 2006, available in electronic form from www.foe.org Nel A, Xia T, Mädler L, Li N (2006) Toxic potential of materials at the nanolevel. Science 311: 622–627 Nurmi J, Traytnyek PG, Visarathy V, Bear DR, Amonette J, Wang C, Linehan JC, Matson DW, Penn RL, Driessen MD (2005) Characterization and properties of metallic iron nanoparticles: spectroscopy, electrochemistry, and kinetics. Environ Sci Technol 39: 1221–1230 Oberdörster G, Ferin J, Lehnert BE (1994) Correlation between particle size, in vivo particle persistence, and lung injury. Environ Health Perspect 102 [Suppl 5]: 173–179 Oberdörster G, Oberdörster E, Oberdörster J (2005) Nanotoxicology: an emerging discipline evolving from studies of ultrafine particles. Environ Health Perspect 113: 823–839 Owen R, Depledge M (2005) Nanotechnology and the environment: risk and rewards. Marine Pollution Bull 50: 609–612 Penrose WR, Polzer WL, Essington EH, Nelson DM, Orlandini KA (1990) Mobility of Plutonium and Americium through a shallow aquifer in a semiarid region. Environment Sci Technol 24: 228–234 Ponder S, Darab JG, Bucher, J, Caulder D, Craig, I, Davis L, Edelstein N, Lukens W, Nitsche H, Rao L, Shuh DK, Mallouk TE (2001) Surface chemistry and electrochemistry of supported zerovalent iron nanoparticles in the remediation of aqueous metal contaminants. Chem Mater 13: 479–486 Ponder SM, Darab JG, Mallouk TE (2000) Remediation of Cr(VI) and Pb(II) aqueous solutions using supported, nanoscale zero-valent iron. Environ Sci Technol 34: 2564– 2569 F. VON DER KAMMER UND T. HOFMANN
99
Ravindra K, Bencs L, Van Grieken R (2004) Platinum group elements in the environment and their health risk. Sci Total Environ 318: 1–43 Royal Society (2004) Nanoscience and nanotechnologies: opportunities and uncertainties. The Royal Society & The Royal Academy of Engineering, London, S 113 Ryan JN, Elimelech M (1996) Colloid mobilization and transport in groundwater. Colloids Surfaces A 107: 1–56 Schrick B, Blough J, Jones A, Mallouk TE (2002) Hydrodechlorination of trichloroethylene to hydrocarbons using bimetallic nickel-iron nanoparticles. Chem Mater 14: 5140– 5147 v d Kammer F, Baborowski M, Tadjiki S, v Tümpling jr W (2003) Colloidal particles in sediment pore waters: particle size distributions and associated element-size-distribution in anoxic and re-oxidized samples, obtained by FFF-ICP/MS coupling. Acta Hydrochim Hydrobiol 31: 400–410 Wang C, Zhang W (1997) Nanoscale metal particles for dechlorination of PCE and PCBs. Environ Sci Technol 31: 2154–2156 Wells ML, Kozelka PB, Bruland KW (1998) The complexation of ‚dissolved‘ Cu, Zn, Cd and Pb by soluble and colloidal organic matter in Narragansett Bay, RI. Mar Chem 62: 203–217 Wen LS, Santschi PH, Paternostro C, Gill G (1999) Estuarine trace metal distributions in Galveston Bay I: importance of colloidal forms in the speciation of the dissolved phase. Mar Chem 63: 185–212 Xu Y, Zhang W (2000) Subcolloidal Fe/Ag particles for reductive dehalogenation of chlorinated benzenes. Indus Eng Chem Res 39: 2238–2244 Zhang W (2003) Nanoscale iron particles for environmental remediation: an overview. J Nanoparticle Res 5: 323–332
100
RISIKOFORSCHUNG UND TOXIKOLOGISCHE BEWERTUNG VON NANOMATERIALIEN J. M. WÖRLE-KNIRSCH
UND
H. F. KRUG
Die Nanotechnologie, neuester technischer und politischer Hoffnungsträger, birgt gigantische wirtschaftliche Möglichkeiten, aber auch ebenso viele Unsicherheiten. Die unklare Bewertung dieser Materialien für Mensch und Umwelt macht sie für Forscher interessant und für Konsumenten riskant. Wie eine mögliche Risikobewertung aussehen könnte und was für eine Risikoabwägung noch getan werden muss, zeigen wir in diesem Bericht. Schlüsselworte: Nanotechnologie, Risikobewertung, Toxikologie, Nanopartikel
Toxicology and risk assessment of nanomaterials Nanotechnology is the latest technical and political carrier of hope. It holds huge economic promises and opportunities, but just as many uncertainties. An unclear assessment of potential nanotechnological risks for human health and the environment makes this science so interesting to researchers and so problematic for consumers. This contribution reports on what a possible risk assessment for nanomaterials could look like and what is missing for a complete survey. Keywords: Nanotechnology, risk assessment, toxicology, nanoparticle
101
1. EINLEITUNG In der Evolution von Stoffwechselprozessen sind die Grundlagen für komplexe Vorgänge auf molekularbiologischer und atomarer Ebene entstanden. Die Nanotechnologie versucht nun, diese Prozesse zu imitieren und in technische Produkte zu verwandeln, sei es um gezielt in Körperfunktionen eingreifen zu können, oder Computer schneller und Werkstoffe effizienter zu gestalten. Da dies, anders als in biologischen Systemen, nicht innerhalb von Zellen, sondern meist in großtechnischem Maßstab geschieht, besteht auch ein möglicher Kontakt für den Menschen und die Umwelt. Über mögliche Risiken und eine damit verbundene Risikobewertung nach heutigem Stand der Kenntnis berichten wir in diesem Beitrag. Dabei ist der Focus auf die äußerst schwierige Bewertung von Nanomaterialien anhand von Kohlenstoffnanoröhren (Carbon Nanotubes, CNT) gerichtet. Die Menge an produzierten und erforschten Nanomaterialien steigt jährlich kontinuierlich an (Maynard et al. 2004) und weltweit werden bereits große Zuwächse in der Anwendung verzeichnet. Daher werden eine mögliche Exposition und Kontamination von Mensch und Umwelt immer wahrscheinlicher. Nanoteilchen sind von extrem geringer Größe und können beispielsweise leicht mit der Atemluft in den Körper aufgenommen werden; daher ist die Lunge das Zielorgan Nummer 1 im menschlichen Körper. Größere Partikel werden über körpereigene Proteinstrukturen, das sogenannte Flimmerepithel, aus unserer Lunge entfernt, entweder direkt als Teilchen oder indirekt nach Aufnahme in Fresszellen (Makrophagen). Nanoteilchen bergen aber die Gefahr, von diesen „professionellen“ Fresszellen auf Grund ihrer geringen Größe übersehen zu werden (Oberdörster et al. 1992, Oberdörster et al. 1997), dann werden sie möglicherweise in tiefer gelegene Zellschichten transportiert, gelangen in den Blutkreislauf und richten systemischen Schaden, d.h. auch in weit entfernten Organen, an. Obwohl die Nanotechnologie zurzeit einen regelrechten Boom verzeichnet, steht diese Technik erst am Anfang ihrer Möglichkeiten. Es können noch keine Nanomaterialien hergestellt werden, die einen funktionellen Charakter (vgl. Maschinen) haben, sondern „lediglich“ aufgrund ihrer Größe von 1–100 nm besondere physikalische und chemische Eigenschaften aufweisen. Die wichtigsten Parameter für Nanopartikel sind ihre Größe, die chemische Zusammensetzung und ihre Oberflächenbeschaffenheit. So werden Nanopartikel aus Titandioxid (TiO2) in den neuentwickelten Sonnencremes eingesetzt, die uns damit allergikerfreundlich und lang anhaltend gegen Sonnenbrand schützen. Andere Nanomaterialien verändern Oberflächen so, dass sie nicht mehr beschlagen, verkratzen oder kein Licht mehr reflektieren. Abbildung 1 zeigt Beispiele solcher Teilchen (Kern et al. 2004). Dabei kann ihre Beschaffenheit genau so mannigfaltig sein wie deren Funktion.
102
RISIKOFORSCHUNG UND TOXIKOLOGISCHE BEWERTUNG VON NANOMATERIALIEN
Abb. 1. Elektronenmikroskopische Aufnahmen dreier unterschiedlich geformter und unterschiedlich großer ZnO Nanopartikel. Zinkoxid (ZnO) in Größen von 20 nm, 50 nm und 200 nm und unterschiedlicher Oberflächenbeschaffenheit sind als Teilchen nur unter dem Elektronenmikroskop sichtbar (Synthese: C. Feldmann Universität Karlsruhe, DFG-CFN)
Die wohl kleinsten bereits Verwendung findenden Teilchen sind die Quantum Dots (CdSe), kleinste Halbleiterkristalle, die mit einer Größe von bereits 1 nm nach UV-Anregung längerwelliges Licht emittieren. Damit können diese Teilchen als stabile Farbstoffe für biologische Markierungen verwendet werden. Andere funktionelle Teilchen sind die erwähnten 25– 90 nm großen TiO2-Partikel, die in Sonnencremes eingesetzt werden; weiter verkleinert (< 20 nm) sind sie photokatalytisch aktiv. Das heißt sie sind in der Lage, die Energie des Lichts zu verwenden, um andere Verbindungen zu spalten (Chen et al. 2004). Dabei kann reaktiver Sauerstoff oder aktives Chlor (Cl 2) entstehen (Zanoni et al. 2004). Diese neuen Eigenschaften eröffnen für die Entwicklung neuer Produkte vielfältige Möglichkeiten und Nanopartikel werden in vielen Anwendungen zu finden sein. Genauso überraschend wie die direkten Substanzeigenschaften kann sich aber möglicherweise auch ihr Verhalten in der Umwelt oder in lebenden Organismen ändern. Die große Herausforderung liegt darin, auch die möglichen unerwünschten Nebenwirkungen dieser neuen Technologie zu erforschen. Die Aufnahme in Zellen kann einerseits passiv durch Diffusion, andererseits aktiv durch Rezeptoren oder über Mechanismen erfolgen, die durch Bindungsproteine vermittelt werden. Beide Wege werden von uns unter Zuhilfenahme von fluoreszenz- und elektronenmikroskopischen Techniken untersucht. Dazu werden fluoreszierende Nanopartikel oder fluoreszenzmarkierte Antikörper eingesetzt. Letztere gehen eine Bindung mit den am Transport beteiligten Proteinen ein und ermöglichen so eine optische Verfolgung. Kommen Nanopartikel mit Zellen in Kontakt, dann können sie an die in der Membran verankerten Proteine andocken und werden in die Zelle eingeschleust. Dort besteht die Gefahr, dass diese Teilchen sich in den Organellen der Zellen (z.B. Kern oder Mitochondrien) anreichern und es zu J. M. WÖRLE-KNIRSCH UND H. F. KRUG
103
schwerwiegenden Störungen und Schäden kommt. Für mikrodimensionierte Partikel (Asbest, Quarzstaub) sind biologische Effekte beschrieben (Jaurand 1997, Flynn et al. 2003, Muhle et al. 2003), die durch Struktur und katalytische Eigenschaften zu oxidativem Stress bzw. Schäden im Erbgut führen und dadurch Krebs entstehen lassen. Wegen der bisherigen Erkenntnisse zur Wirkung von feinem Staub und der erhöhten Reaktivität der neuen Nanomaterialien besteht ein akuter Forschungsbedarf, um eine mögliche biologische Gefährdung durch diese Nanopartikel abzuklären.
2. TOXIKOLOGISCHE UNTERSUCHUNGEN VON NANOPARTIKELN AM BEISPIEL VON KOHLENSTOFFNANORÖHREN In der Nanotechnologie sind aktuell Kohlenstoffnanoröhren (CNT) für viele Entwicklungen von großem Interesse, da sie aufgrund ihrer herausragenden Eigenschaften, wie hoher Zugfestigkeit, großer Oberfläche, einzigartige elektronische Eigenschaften, auch ein hohes Potenzial für molekulare Adsorption aufweisen. Die Produktion der CNTs wird in Zukunft stark zunehmen, jedoch ist noch sehr wenig über potenzielle Gesundheitseffekte bekannt, die durch Einatmen der kleinen Fasern bei der Herstellung oder bei der Verwendung auftreten können. Mit Durchmessern von 1–50 nm und einer Länge bis zu mehreren Mikrometern sind diese Partikel inhalierbar und können bis in die kleinsten Verästelungen der Lunge vordringen. Abbildung 2 zeigt CNTs nach Aufnahme in menschliche Zellen. Das toxische Potenzial wurde kürzlich von uns durch in vitro Tests untersucht (Pulskamp et al. 2007, Wörle-Knirsch et al. 2006), wobei ultrafeine Kohlenstoffpartikel (Carbon Black) als Kontrolle verwendet wurden. Dabei zeigte sich, dass hergebrachte Testverfahren und Testmethoden bei Verwendung nanopartikulärer Materialien nicht immer valide Ergebnisse produzieren. In diesem vorliegenden Fall verfälschen CNTs die chemischen Messmethoden und suggerieren falsche Ergebnisse (Wörle-Knirsch et al. 2006). Bei der Behandlung von Alveolarmakrophagen der Ratte mit unterschiedlichen Partikeln zeigte sich bei gleicher Konzentration (50 µg/ml), dass die Vitalität der Zellen durch Nanoröhren stärker reduziert wird als durch Quarz, jedoch in gleichem Ausmaß wie durch Carbon Black. Nanoröhren führten auch zur Bildung von intrazellulären ROS (Reaktive Sauerstoffspezies) (Kagan et al. 2006, Pulskamp et al. 2007). Beide Effekte zeigten sich am stärksten bei den einwandigen Nanoröhren1 (Diabaté et al. 2004). Dies ist ein weiterer Hinweis auf die immer gleiche Beobachtung in vielen Unter1
Einwandige CNT bestehen theoretisch aus nur einer Lage Graphit, die zu einem Röhrchen zusammengerollt ist. Diese haben einen Durchmesser von ca. 1-3 nm; mehrwandige CNT bestehen aus mehreren Lagen übereinander und haben dadurch häufig einen Durchmesser von mehr als 20 nm. 104
RISIKOFORSCHUNG UND TOXIKOLOGISCHE BEWERTUNG VON NANOMATERIALIEN
Abb. 2. Transmissionselektronenmikroskopisches Bild von Kohlenstoffnanoröhren (CNT) in epithelialen Zellen der menschlichen Lunge. Die Pfeilspitzen zeigen bündelweise CNT-Einschlüsse in den Zellen, die hier auf einer Membran gezüchtet wurden (Bild: K. Pulskamp)
suchungen, dass die kleinen Partikel toxischer als die größeren sind (Oberdörster et al. 1994, Oberdörster 1996). Es konnte allerdings auch gezeigt werden, dass die akut toxischen Reaktionen, die durch CNTs ausgelöst werden, maßgeblich von den beim Produktionsprozess verbliebenen Katalysatormetallen herrühren (Kagan et al. 2006, Pulskamp et al. 2007, WörleKnirsch et al. 2006). In der Literatur wird ebenfalls beschrieben, dass inhalierte Kohlenstoffpartikel im Tierversuch mit Ratten zu beträchtlichen Lungenschäden führten, wobei das toxische Potenzial mit kleiner werdender Partikelgröße und größer werdender Partikeloberfläche stieg (Driscoll et al. 1996, Heinrich et al. 1995). Bei ersten Tierversuchen mit CNT wurden die Partikel in Flüssigkeit suspendiert und in die Atemwege von Ratten instilliert (Warheit et al. 2004). Die höchste Dosis von 5 mg einwandiger Nanoröhren pro Kilogramm Körpergewicht führte zu einer Mortalität von ca. 15% der exponierten Ratten. Die Ursache war allerdings eine Verstopfung der Hauptatemwege durch Partikel-Agglomerate und nicht die Toxizität der Partikel. Bei den Überlebenden wurde eine transiente Lungenentzündung 2 sowie die Bildung von multifokalen Granulomata3 beobachtet. Ähnliche Ergebnisse erhielten Lam et al. (2004) nach Experimenten mit drei Nano2 Bei den behandelten Tieren wurde eine transiente Lungenentzündung beobachtet, d.h. die Lungenentzündung ist nach längerer Beobachtungszeit wieder vollkommen abgeklungen. 3 Unter multifokalen Granulomata versteht man mehrzentrische Zellanhäufungen, die auf mehrere, in relativer Nachbarschaft liegende, Bündel von Nanoröhrchen zurückzugehen scheinen.
J. M. WÖRLE-KNIRSCH UND H. F. KRUG
105
röhren-Produkten, die sie in die Lungen von Mäusen instillierten. Es bleibt also festzuhalten, dass obwohl die akut toxischen Fälle nicht direkt auf die CNTs zurückzuführen sind, dennoch ein pathologisches (d.h. verändertes Zellwachstum) Erscheinungsbild auftritt.
3. CHANCEN UND THERAPEUTISCHER
RISIKEN VON NANOPARTIKELN IN ANWENDUNG
Seit einigen Jahren werden Nanopartikel auch im Bereich der Molekularbiologie und der Medizin angewendet. Auch in diesen Bereichen konnten durch verschiedene Applikationen von Nanopartikeln Fortschritte erzielt werden. Mit Hilfe der Partikel ist es gelungen, genetisches Material in Zellen einzubringen. So können mit DNA beladene Nanopartikel zur Impfung gegen Mikroorganismen wie Toxoplasma gondii eingesetzt werden (BivasBenita et al. 2003). Nanopartikel werden zur Pharmakotherapie verwendet, um Medikamente bei geringeren Nebenwirkungen gezielter an ihren Wirkort zu bringen. Solche Medikamente können bei Meningitis, Hepatitis C, allergischem Asthma, zur Insulingabe oder bei Augenerkrankungen angewendet werden. Bei Erkrankungen am Auge werden Nanopartikel aus Chitosan als Vehikel für Medikamente benutzt. Chitosan ist ein Polysaccharid, das eine gute Bioadhäsion aufweist, die Permeabilität erhöht und wenig toxisch ist. Dadurch kann eine selektive und verlängerte Therapie an der Schleimhaut des Auges erreicht werden (Alonso und Sanchez 2003). So werden einige Medikamente zur Krebstherapie an Nanopartikel gekoppelt, um sich in Tumorzellen anzureichern. Auch hierbei haben sich Chitosanpartikel wieder als nützlich erwiesen. Doxorubizin, ein weit verbreitetes Medikament gegen Krebs, das die Synthese von Nukleinsäuren in Krebszellen stört, hat eine verbesserte Wirksamkeit und geringere Nebenwirkungen, wenn es an Nanomaterialien gekoppelt wurde (Mitra et al. 2001). Die Diagnostik ist ein weiterer Bereich in dem Nanopartikel neue Dimensionen eröffnen. DNA-Fragmente, an welche Nanopartikel gekoppelt sind, werden hier als Detektoren verwendet (Cao et al. 2002). Implantate werden mit Biokeramiken, die auf Aluminium basieren und 50–250 nm groß sind, beschichtet, um eine bessere Verträglichkeit im Körper zu erreichen (Morsi et al. 2004). Die möglichen Gefahren, die von einer medizinischen Anwendung der Nanopartikel ausgehen, sind bis zum jetzigen Zeitpunkt unklar, da ihre Toxizität meist nicht untersucht wurde und auf Grund der besonderen chemischen und physikalischen Eigenschaften nur schwer vorherzusagen ist. Insbesondere zu Langzeitfolgen ist wenig bis gar nichts bekannt.
106
RISIKOFORSCHUNG UND TOXIKOLOGISCHE BEWERTUNG VON NANOMATERIALIEN
4. RISIKO-MANAGEMENT Der erste Schritt zum Risiko-Management ist die Identifizierung potenzieller Risiken und deren Ursachen. Eine vernünftige Risikoidentifizierung muss alle Bereiche einer Technologie einschließen, sowohl interne als auch externe Faktoren (Abb. 3). Dazu ist eine intensive Forschung notwendig, die sich mit den Belangen sowohl gesundheitlicher als auch umweltrelevanter Fragen beschäftigt (Aitken et al. 2004, Royal Society 2004): Partikelaufnahme durch lebende Organismen Akkumulation von Nanopartikeln in bestimmten Organen (z.B. Lunge, Leber, Milz, Gehirn, Fötus) § Spezifische Effekte von Nanopartikeln im Atemtrakt (z.B. Entzündung) § Verbleib und Verhalten der Nanomaterialien in der Umwelt (z.B. Mobilisierung von Schwermetallen, Bindung an/von toxischen Substanzen) § Akkumulation über die Nahrungskette § §
Abb. 3. Fragen zur Identifizierung einer Gefährdung durch Nanopartikel, die während des gesamten Lebenszyklus in der Umwelt auftreten können (nach: Helland 2004)
J. M. WÖRLE-KNIRSCH UND H. F. KRUG
107
Desorption/Adsorption überraschende Effekte § Biopersistenz § §
Ein sehr wichtiger Gesichtspunkt für die Abschätzung möglicher Risiken aus der Nanotechnologie liegt in der Unterscheidung zwischen freien Nanomaterialien, speziell nanoskaligen Partikeln, und fixierten Nanopartikeln, da hier große Unterschiede hinsichtlich der Mobilität bestehen. Weiterhin muss zwischen Partikeln und Materialien unterschieden werden, die als technische Produkte hergestellt werden und solchen, die unbeabsichtigt bei technischen Prozessen entstehen und in die Umwelt entlassen werden (z.B. Dieselruß, Flugasche, Katalysatorstaub, Kerzenruß, usw.). Letzteren, hauptsächlich aus Verbrennungsprozessen stammenden, ultrafeinen Partikeln (UFP), war und ist der Mensch seit Anbeginn seiner biologischen Entwicklung ausgesetzt gewesen. Waren es in früheren Zeiten Waldbrände, Vulkane oder Sand- und andere Sturmereignisse, so ist seit der industriellen Revolution und mit der Entwicklung des Straßenverkehrs ein dramatischer Anstieg der UFP in der Luft innerhalb des letzten Jahrhunderts zu verzeichnen. Mit der anzunehmenden sehr schnellen Progression auf dem Gebiet der nanotechnologischen Entwicklungen muss jetzt damit gerechnet werden, dass eine weitere Quelle für solche kleinsten Partikel entsteht, die über die Umwelt zum Menschen oder umgekehrt, d.h. von den Herstellerbetrieben in die Umwelt, gelangen. Die damit einhergehende Belastung des Menschen über Atmung, Nahrung und Haut, sowie die direkte Injektion von Nanopartikeln im medizinischen Bereich, könnte zu adversen Effekten führen (Krug und Diabaté 2003, Krug et al. 2004, Oberdörster 2004). Mit dem Wissen, dass neu synthetisierte Nanomaterialien völlig neue Eigenschaften im Hinblick auf chemische, physikalische und elektronische Anwendungen besitzen, können auch gänzlich neue Auswirkungen für lebende Systeme postuliert werden. Daher kann das Verhalten von Nanopartikeln in der Umwelt und in lebenden Organismen nicht einfach extrapoliert werden. Eine aussagefähige Vorhersage für die Toxizität von Nanopartikeln kann auf der Basis des Wissens über konventionelle Materialien nicht gemacht werden. Die Situation ist, zusätzlich zu den oben genannten neuen Auswirkungen, auch aus den folgenden Gründen nicht einschätzbar: § §
große Zahl verschiedener Substanzen und große Zahl unterschiedlicher Strukturen, Oberflächen und Größen.
Daher sind Informationen zur Sicherheit und zu den möglichen Gefährdungen durch Nanomaterialien dringend notwendig. Dabei kann durchaus von den bisherigen Studien zur Auswirkung ultrafeiner Stäube in der Umwelt profitiert werden, denn hier liegt bereits eine Vielzahl von Erkenntnissen vor. Seit dem Mittelalter und früher gibt es gut dokumentierte Fälle zur arbeitsplatzbezogenen Exposition mit gesundheitlichen Auswirkungen. Spe108
RISIKOFORSCHUNG UND TOXIKOLOGISCHE BEWERTUNG VON NANOMATERIALIEN
ziell die Kumpel in den Bergwerken sind längere Zeit ihres Lebens inhalativ gegenüber Staub in jeder Größe ausgesetzt, was zu Pneumokoniose und Fibrose der Lunge führen kann. Dabei hat sich gezeigt, dass gerade die Fraktion der ultrafeinen Partikel in der Luft zu den stärksten gesundheitlichen Einschränkungen führten (de Hartog et al. 2003, Eikmann und Seitz 2002, Heinrich et al. 1995, Kappos et al. 2004, Oberdörster 2000, Pekkanen et al. 2002, Peters et al. 1997).
5. SCHLUSSFOLGERUNGEN Auf der Basis des bisher aufgezeigten Wissensstandes können grundsätzlich 4 wichtige Überlegungen zum ökotoxikologischen Risikomanagement von Nanomaterialien angestellt werden: 1. Bei den bisherigen Untersuchungen zur Toxikologie von Nanomaterialien handelte es sich eher um eine Beschreibung der Symptome; es ist daher dringend notwendig, mehr über die Wirkmechanismen auf zellulärer und molekularer Ebene zu erfahren. 2. Die Weiterentwicklung von Modellen und Modellsystemen ist notwendig, um zelluläre und physiologische Prozesse besser erfassen und die Kommunikation zwischen den Zellen in die Untersuchungen mit einschließen zu können. 3. Es sollte eine Beziehung zwischen molekularen, zellulären und pathophysiologischen Endpunkten mit ökologischen Konsequenzen hergestellt werden können. 4. Eine präzisere vorbeugende Abschätzung möglicher schädigender Einflüsse von neuen Entwicklungen auf dem Gebiet der Nanotechnologie sollte durch eine verbesserte Datenlage möglich sein. Erst auf der Grundlage eines verbesserten Wissens um die möglichen Gefahren im gesamten Lebenszyklus der Produkte (vgl. Abb. 4) ist eine Risikoabschätzung möglich und können entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden, um eine Gefährdung zu reduzieren. Wie in Abb. 4 dargestellt, sind die größten möglichen Gefahren bei der Synthese und Verarbeitung von Nanomaterialien zu erwarten. Hier entstehen die Teilchen, werden transportiert und in Produkte eingearbeitet; in dieser Phase können sie über die Atemwege in den Körper der Arbeiter eindringen. Danach sinkt das Gefährdungspotenzial dieser Materialien drastisch ab, denn eine Herauslösung aus dem bestehenden Produkt ist nicht in großem Maße zu erwarten (Gebrauchsphase) und auch technisch nicht als sinnvoll zu erachten (der nanotechnologische Produktnutzen ginge verloren!). Eine Gefährdung des Konsumenten ist demnach zwar nicht auszuschließen aber gering. Zuletzt stellt sich noch die Frage nach der Entsorgung und möglichen Endlagerung auf Deponien. Hier ist besonders eine Risikogefährdung für J. M. WÖRLE-KNIRSCH UND H. F. KRUG
109
Abb. 4. Diagramm zur Darstellung eines möglichen Gefährdungspotenzials über die Zeit. Die größte Gefährdung von Nanomaterialien geht direkt bei oder nach der Synthese von diesen Partikeln aus. Sind sie erst einmal verarbeitet, sinkt diese Gefahr während der Gebrauchsphase stark ab und steigt erst wieder bei der Entsorgung bzw. Recycling
die Umwelt zu befürchten; Nanomaterialien lösen sich durch Korrosion aus dem Verbund heraus und gelangen in Grund- und Erdreich. Auch auf einem Workshop der NSF4 (National Science Foundation) und der EPA5 (Environmental Protection Agency) wurde dies deutlich. Dreher fasste das Ergebnis wie folgt zusammen (Dreher 2004): Gerade für produzierte Nanopartikel sind eine Reihe von kritischen Punkten zur Risikoabschätzung offen, die Gegenstand weiterer Untersuchungen sein müssen: 1. die valide Expositionsabschätzung, 2. die Toxizität, 3. die Extrapolation ihrer Toxizität aus existierenden Daten zu Partikeln und Fasern der Luft, 4. das Verhalten und der Verbleib in der Umwelt und in Organismen, ihr Transport, die Persistenz und die mögliche Transformation der Nanopartikel, 5. das Recycling und die Nachhaltigkeit der nanotechnologischen Produkte. Also bleibt die Frage offen, ob alle Nanomaterialien auch gleichzeitig Nanonoxen sind (Kern et al. 2004). Die gesamte Thematik zu Umwelt und 4 5
110
www.nsf.gov. www.epa.gov.
RISIKOFORSCHUNG UND TOXIKOLOGISCHE BEWERTUNG VON NANOMATERIALIEN
Gesundheit wird sehr anschaulich in einem aktuellen Übersichtsartikel dargestellt, der sich mit den möglichen Wegen von Nanopartikeln in der Umwelt sowie den Aufnahmepfaden durch Organismen beschäftigt (Oberdörster et al. 2005). An dieser Stelle bleibt festzuhalten, dass für eine realistische Abschätzung von Exposition, Gefährdung und dem einhergehenden Risiko die gegenwärtige Datenlage nicht ausreicht. Daher sind derzeit auch spezifische regulatorische Maßnahmen nicht möglich, da völlig unklar ist, worauf diese eigentlich abzielen sollten. Dennoch sollte dem Umgang mit Nanomaterialien sowohl bei der Entwicklung im Forschungslabor als auch bei der großtechnischen Herstellung erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt werden, da die einzigartigen Eigenschaften der neuen Materialien nicht nur technisch, sondern auch biologisch Wirkung zeigen können und das Verhalten der Nanopartikel gegenüber den BulkMaterialien sicher verändert sein wird. Dies ist inzwischen auch von den Förderinstitutionen erkannt worden, denn sowohl die europäischen als auch die deutschen Fördergremien haben entsprechende Ausschreibungen und Projekte initiiert (IMPART6 , NANOCARE7). In diesen Projekten wird auch der Tatsache Rechnung getragen, dass das Feld der Nanotoxikologie nur multidisziplinär anzugehen ist, d.h. neben der Industrie und den Behörden sind hier vor allem Chemiker, Physiker, Materialwissenschaftler, Ingenieure, Mediziner, Biologen, Toxikologen, Ökologen, Statistiker und weitere Fachrichtungen gefragt, die sich mit allen Auswirkungen der Nanotechnologie bis hin zu ethischen Fragestellungen und der Betrachtung der Nachhaltigkeit dieser Technologie befassen müssen.
6. ZUSAMMENFASSUNG Aufgrund der sich als äußerst schwierig gestaltenden Risikoerfassung und wegen zahlloser Interaktionen von Nanomaterialien mit chemischen Nachweisverfahren und der sehr dünnen Datenlage zu diesen neuen Materialien ist eine vollständige Risikobewertung sehr schwierig. Dennoch zeigt sich, dass Nanomaterialien nicht nur technisch, sondern auch toxikologisch sehr ernst zu nehmen sind. Neben nützlichen und wünschenswerten Quanteneffekten in der Physik deuten sich auch für gewisse Materialien ebensolche Phänomene in der Biologie (Toxikologie) an. Nanomaterialien sollten daher weiterhin eingehend auf ihre möglichen negativen Folgen für Mensch und Umwelt untersucht werden, um eine abschließende Risikobewertung nach hergebrachten Mustern und Verfahren durchführen zu können, wie wir sie heute bereits von Chemikalien her kennen.
6 7
www.impart-nanotox.org. www.nanopartikel.info.
J. M. WÖRLE-KNIRSCH UND H. F. KRUG
111
7. LITERATUR UND QUELLENHINWEISE Aitken RJ, Creely KS, Tran CL (2004) Nanoparticles: an occupational hygiene review. Health and Safety Executive 274. Crown Copyright, Norwich. HSE Books Alonso MJ, Sanchez A (2003) The potential of chitosan in ocular drug delivery. J Pharm Pharmacol 55: 1451–1463 Bivas-Benita M, Laloup M, Versteyhe S, Dewit J, De Braekeleer J, Jongert E, Borchard G (2003) Generation of toxoplasma gondii GRA1 protein and DNA vaccine loaded chitosan particles: preparation, characterization, and preliminary in vivo studies. Int J Pharmaceutics 266: 17–27 Cao YWC, Jin RC, Mirkin CA (2002) Nanoparticles with Raman spectroscopic fingerprints for DNA and RNA detection. Science 297: 1536–1540 Chen GG, Luo GS, Yang XR, Sun YW, Wang JD (2004) Anatase-TiO2 nano-particle preparation with a micro-mixing technique and its photocatalytic performance. Materials Science and Engineering A-Structural Materials Properties Microstructure and Processing 380: 320–325 de Hartog JJ, Hoek G, Peters A, Timonen KL, Ibald-Mulli A, Brunekreef B, Heinrich J, Tiittanen P, van Wijnen JH, Kreyling WG, Kulmala M, Pekkanen J (2003) Effects of fine and ultrafine particles on cardiorespiratory symptoms in elderly subjects with coronary heart disease: the ULTRA study. Am J Epidemiol 157: 613–623 Diabaté S, Pulskamp K, Krug HF (2004) Carbon nanotubes induce oxidative stress, inflammatory responses and cell death in pulmonary epithelial cells and macrophages. Signal Transduct 3–4: 116 Dreher KL (2004) Health and environmental impact of nanotechnology: toxicological assessment of manufactured nanoparticles. Toxicol Sci 77: 3–5 Driscoll KE, Carter JM, Howard BW, Hassenbein DG, Pepelko W, Baggs RB, Oberdörster G (1996) Pulmonary inflammatory, chemokine, and mutagenic responses in rats after subchronic inhalation of carbon black. Toxicol Appl Pharmacol 136: 372– 380 Eikmann T, Seitz H (2002) Klein, aber oho! Von der zunehmenden Bedeutung der Feinstäube. Umweltmed Forsch Prax 7: 63–64 Flynn MR, Susi P (2003) Engineering controls for selected silica and dust exposures in the construction industry – a review. Appl Occup Environ Hyg 18: 268–277 Heinrich U, Fuhst R, Rittinghausen S, Creutzenberg O, Bellmann B, Koch W, Levsen K (1995) Chronic inhalation exposure of Wistar rats and 2 different strains of mice to diesel-engine exhaust, carbon-black, and titanium-dioxide. Inhal Toxicol 7: 533–556 Helland A (2004) Nanoparticles: a closer look at the risks to human health and the environment. IIIEE Reports 2004: 5. Lund University, Lund Jaurand MC (1997) Mechanisms of fiber-induced genotoxicity. Environ Health Perspect 105: 1073–1084 Kagan VE, Tyurina YY, Tyurin VA, Konduru NV, Potapovich AI, Osipov AN, Kisin ER, Schwegler-Berry D, Mercer R, Castranova V, Shvedova AA (2006) Direct and indirect effects of single walled carbon nanotubes on RAW 264.7 macrophages: role of iron. Toxicol Lett 165: 88–100 Kappos AD, Bruckmann P, Eikmann T, Englert N, Heinrich U, Hoppe P, Koch E, Krause GH, Kreyling WG, Rauchfuss K, Rombout P, Schulz-Klemp V, Thiel WR, Wichmann HE (2004) Health effects of particles in ambient air. Int J Hyg Environ Health 207: 399–407
112
RISIKOFORSCHUNG UND TOXIKOLOGISCHE BEWERTUNG VON NANOMATERIALIEN Kern K, Wörle-Knirsch JM, Krug HF (2004) Nanonoxes: nanoparticle uptake, transport and toxicity. Signal Transduct 3–4: 149 Krug HF, Diabaté S (2003) Ultrafeine Partikel: Gesundheitsrisiko versus Therapiechance!? Umwelt Medizin Gesellschaft 16: 250–255 Krug HF, Kern K, Diabaté S (2004) Toxikologische Aspekte der Nanotechnologie. Versuch einer Abwägung. Technikfolgenabschätzung: Theorie und Praxis 13: 58–64 Lam CW, James JT, McCluskey R, Hunter RL (2004) Pulmonary toxicity of single-wall carbon nanotubes in mice 7 and 90 days after intratracheal instillation. Toxicol Sci 77: 126–134 Maynard AD, Baron PA, Foley M, Shvedova AA, Kisin ER, Castranova V (2004) Exposure to carbon nanotube material: aerosol release during the handling of unrefined single-walled carbon nanotube material. J Toxicol Environ Health A 67: 87–107 Mitra S, Gaur U, Ghosh PC, Maitra AN (2001) Tumour targeted delivery of encapsulated dextran-doxorubicin conjugate using chitosan nanoparticles as carrier. J Control Release 74: 317–323 Morsi K, Keshavan H, Bal S (2004) Processing of grain-size functionally gradient bioceramics for implant applications. J Mat Sci Mat Med 15: 191–197 Muhle H, Mangelsdorf I (2003) Inhalation toxicity of mineral particles: critical appraisal of endpoints and study design. Toxicol Lett 140–141: 223–228 Oberdörster E (2004) Manufactured nanomaterials (Fullerenes, C-60) induce oxidative stress in the brain of juvenile largemouth bass. Environ Health Perspect 112: 1058– 1062 Oberdörster G (1996) Significance of particle parameters in the evaluation of exposuredose-response relationships of inhaled particles. Inhal Toxicol Suppl 8: 73–89 Oberdörster G (2000) Toxicology of ultrafine particles: in vivo studies. Philos Trans R Soc Lond Ser A-Math Phys Eng Sci 358: 2719–2739 Oberdörster G, Cox C, Gelein R (1997) Intratracheal instillation versus intratrachealinhalation of tracer particles for measuring lung clearance function. Exp Lung Res 23: 17–34 Oberdörster G, Ferin J, Gelein R, Soderholm SC, Finkel (1992) Role of the alveolar macrophage in lung injury: studies with ultrafine particles. Environ Health Perspect 97: 193–199 Oberdörster G, Ferin J, Lehnert BE (1994) Correlation between particle size, in vivo particle persistence, and lung injury. Environ Health Perspect 102 Suppl 5: 173–179 Oberdörster G, Oberdörster E, Oberdörster J (2005) Nanotoxicology: an emerging discipline evolving from studies of ultrafine particles. Environ Health Perspect 113: 823–839 Pekkanen J, Peters A, Hoek G, Tiittanen P, Brunekreef B, de Hartog J, Heinrich J, IbaldMulli A, Kreyling WG, Lanki T, Timonen KL, Vanninen E (2002) Particulate air pollution and risk of ST-segment depression during repeated submaximal exercise tests among subjects with coronary heart disease: the Exposure and Risk Assessment for Fine and Ultrafine Particles in Ambient Air (ULTRA) study. Circulation 106: 933– 938 Peters A, Wichmann HE, Tuch T, Heinrich J, Heyder J (1997) Respiratory effects are associated with the number of ultrafine particles. Am J Respir Crit Care Med 155: 1376–1383 Pulskamp K, Diabaté S, Krug HF (2007) Carbon nanotubes show no sign of acute toxicity but induce intracellular reactive oxygen species in dependence on contaminants. Toxicol Lett 168: 58–74 J. M. WÖRLE-KNIRSCH UND H. F. KRUG
113
Royal Society (2004) Nanoscience and nanotechnologies: opportunities and uncertainties. The Royal Society and The Royal Academy of Engineering, London Warheit DB, Laurence BR, Reed KL, Roach DH, Reynolds GA, Webb TR (2004) Comparative pulmonary toxicity assessment of single-wall carbon nanotubes in rats. Toxicol Sci 77: 117–125 Wörle-Knirsch JM, Pulskamp K, Krug HF (2006) Oops they did it again! Carbon nanotubes hoax scientists in viability assays. Nano Lett 6: 1261–1268 Zanoni MVB, Sene JJ, Selcuk H, Anderson MA (2004) Photoelectrocatalytic production of active chlorine on nanocrystalline titanium dioxide thin-film electrodes. Environ Sci Technol 38: 3203–3208
114
CHEMIKALIENRECHT UND REGULATORISCHE TOXIKOLOGIE – PRÜFUNG AUF NANO-TAUGLICHKEIT A. FISCHER
UND
D. HIRMANN
Industriell hergestellte Nanomaterialien sind Produkte der chemischen Industrie und fallen definitionsgemäß in das Zuständigkeitsgebiet des Chemikalienrechts, welches seinerseits zur Regulierung von makroskopischen Stoffen konzipiert wurde. Aktuelle und zukünftige gesetzliche Regelwerke für den sicheren Umgang mit Chemikalien werden in diesem Bericht hinsichtlich ihrer Eignung zur Regulierung von Nanostoffen unter die Lupe genommen. Außerdem wird die Problematik bei der Risikobewertung von Nanomaterialien erörtert. Schlüsselworte: Altstoffe, Neustoffe, Risikobewertung, REACH Chemicals legislation and regulatory toxicology: appropriateness for nanomaterials Manufactured nanomaterials are products of the chemical industry which by definition should be regulated by chemicals legislation. Chemicals legislation, however, was originally developed and designed to regulate macroscopic substances. Here, we analyse current and future legal frameworks for the safe handling of chemicals regarding their appropriateness for the regulation of nanosized manufactured substances. We also report on the difficulties in assessing the risks arising from nanomaterials. Keywords: Existing substances, new substances, risk assessment, REACH 115
1. EINLEITUNG Die Produkte der chemischen Industrie spielen eine wichtige Rolle in unserem täglichen Leben. Reinigungsmittel, Kunststoffe, Farbstoffe und viele weitere Erzeugnisse aus Chemikalien oder chemisch behandelten Materialien sind praktisch allgegenwärtig. Um einen sicheren Umgang mit Chemikalien zu gewährleisten, bedarf es einer umfassenden Gesetzgebung und regulatorischer Maßnahmen. Das oberste Ziel ist dabei der Schutz der Gesundheit des Menschen und der Umwelt. Nano leitet sich von dem griechischen Wort für Zwerg (nánnos) ab und ist die Vorsilbe für Maßeinheiten wie zum Beispiel dem Nanometer (nm), welcher ein Millionstel von einem Millimeter beträgt. Der Sammelbegriff „Nanotechnologie“ umfasst eine vielfältige Auswahl an Technologien, die sich der Erforschung, Bearbeitung und Produktion von Gegenständen und Strukturen widmen, die in mindestens einer Dimension kleiner als 100 nm sind. Nanopartikel sind schon jetzt in vielen Verbrauchsgütern vorhanden und werden in Zukunft wahrscheinlich genauso wenig aus unserem Leben wegzudenken sein wie heutzutage die oben erwähnten Produkte der chemischen Industrie. Da Nanomaterialien auch unter das Chemikalienrecht fallen, erfolgt an dieser Stelle ein kurzer Exkurs durch die allgemeinen Grundpfleiler des Chemikalienrechts und der regulatorischen Toxikologie, bevor konkret auf gesetzliche Rahmenwerke und deren Eignung zur Gewährleistung eines sicheren Umgangs mit Nanomaterialien eingegangen wird.
2. ALLGEMEINE EINFÜHRUNG IN DIE REGULIERUNG VON CHEMIKALIEN Ein zentrales Element der Chemikaliensicherheit ist das Erkennen von möglichen Gefahren, die von Chemikalien ausgehen. Dabei beschäftigt sich das Fachgebiet der Toxikologie mit der Untersuchung und Bewertung von Effekten oder schädlichen Auswirkungen von Chemikalien auf die Gesundheit und die Ökotoxikologie mit Effekten auf die Umwelt. Zusätzlich werden auch die gefährlichen physikalisch-chemischen Eigenschaften von Substanzen erfasst, wie zum Beispiel explosionsgefährlich oder brandfördernd. Anhand der gefährlichen Eigenschaften von Stoffen1 oder Zuberei1 Stoffe sind chemische Elemente und ihre Verbindungen in natürlicher Form oder hergestellt durch ein Produktionsverfahren, einschließlich der zur Wahrung der Produktstabilität notwendigen Zusatzstoffe und der bei der Herstellung unvermeidbaren Verunreinigungen, mit Ausnahme von Lösungsmitteln, die von dem Stoff ohne Beeinträchtigung seiner Stabilität und ohne Änderung seiner Zusammensetzung abgetrennt werden können.
116
CHEMIKALIENRECHT UND REGULATORISCHE TOXIKOLOGIE Tabelle 1. 15 Gefahrenklassen zur Einstufung und Kennzeichnung von Stoffen und Zubereitungen Physikalisch-chemische Eigenschaften
Explosionsgefährlich, Brandfördernd, Hochentzündlich, Entzündlich, Leicht entzündlich
Toxische Eigenschaften
Sehr giftig, Giftig, Gesundheitsschädlich, Ätzend, Reizend, Sensibilisierend, Krebserzeugend, Erbgutverändernd, Fortpflanzungsgefährdend
Auswirkungen auf die Umwelt
Umweltgefährlich
tungen 2, die in Form von 15 Gefahrenklassen definiert sind (Tabelle 1), erfolgt deren Einstufung und Kennzeichnung (Anhang VI der Stoffrichtlinie3). Die Kenntnis der gefährlichen Eigenschaften einer Chemikalie ist Voraussetzung für den angemessenen Umgang damit, sei es am Arbeitsplatz oder im Haushalt. Daher sind die Hersteller und Vertreiber verpflichtet, eine sachgerechte Produktkennzeichnung vorzunehmen. Die dafür vorgesehenen Kennzeichnungselemente sind Piktogramme (z.B. der Totenkopf auf gekreuzten Langknochen, das Andreaskreuz, das Symbol für ätzend etc.) und Kennbuchstaben (z.B. T+, T, Xn etc.), sowie standardisierte Gefahrenhinweise (R-Sätze) und Sicherheitsratschläge (S-Sätze). Den zweiten Schritt in der Regulierung von Chemikalien stellt die Risikobewertung dar. Unter Risiko versteht man die Wahrscheinlichkeit des Eintretens von schädlichen Auswirkungen. Die Abschätzung des Risikos erfolgt im Wesentlichen durch den Vergleich der Dosis oder Konzentration, bei der im Test noch keine oder bereits erste Auswirkungen der gefährlichen Eigenschaften eines Stoffes („Effekte“) auftreten, mit jener Dosis oder Konzentration, welcher Mensch und Umwelt tatsächlich ausgesetzt sind („Exposition“). Hierbei sei das toxikologische Grundprinzip erwähnt, dass die Giftwirkung eine Funktion der Dosis bzw. Konzentration ist, oder wie Paracelsus es bereits im Jahre 1538 formulierte: „Alle Dinge sind Gift … Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.“ Demnach ist erst ab einem gewissen Ausmaß der Exposition ein Effekt einer als gefährlich eingestuften Substanz zu erwarten. Durch Messungen und unter Umständen auch durch Schätzungen mittels Rechenmodellen wird für jene Bevölke2 Zubereitungen sind Gemenge, Gemische und Lösungen, die aus zwei oder mehreren Stoffen bestehen. 3 Richtlinie 67/548/EWG des Rates vom 27. Juni 1967 zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe.
A. FISCHER UND D. HIRMANN
117
rungsgruppen (Arbeitnehmer, Konsumenten, über die Umwelt indirekt exponierte Bevölkerung) und Umweltkompartimente (Wasser, Sediment, Boden, Luft), die vermutlich exponiert sind, die Höhe der Exposition ermittelt und unter Berücksichtigung von Sicherheitsabständen (durch Einberechnung so genannter Sicherheitsfaktoren) das Risiko charakterisiert. Falls die Risikobewertung ergibt, dass ein Risiko vorhanden ist, werden als dritter Schritt Maßnahmen zur Risikoreduktion erarbeitet und eingeleitet (z.B. vorgeschriebene Schutzkleidung am Arbeitsplatz, Beschränkungen, Verbote). Generell erfolgt die Regulierung von Chemikalien auf EU-Ebene. Ende der 1970er Jahre wurde beschlossen, alle Chemikalien am Markt systematisch aufzuarbeiten und alle neuen, ab 1981 auf den Markt gebrachten Chemikalien einem Anmeldeverfahren zu unterziehen. Damit kam es zu einer Einteilung in so genannte Altstoffe und Neustoffe, denen zurzeit zwei unterschiedliche gesetzliche Regelwerke zugrunde liegen. Als Altstoffe sind jene chemischen Stoffe definiert, die im Europäischen Altstoffverzeichnis EINECS4 enthalten sind und die bis 18. September 1981 im Europäischen Wirtschaftsraum in Verkehr waren. Alle anderen Stoffe, die erst nach diesem Datum in Verkehr gesetzt wurden und daher nicht im EINECS stehen, werden als Neustoffe bezeichnet.
3. CHEMIKALIEN IM NANOMETERBEREICH Theoretisch können Nanopartikel aus nahezu jedem chemischen Stoff als Ausgangsmaterial hergestellt werden. Tatsächlich ist es so, dass ein beträchtlicher Anteil der in Verwendung befindlichen Nanopartikel aus Altstoffen hergestellt wird und damit die gleiche chemische Zusammensetzung und Struktur wie diese besitzt, welche die Grundlagen der Stoffdefinition darstellen. Allerdings unterscheiden sich die Eigenschaften von Materialien im Nanometerbereich von denen derselben Stoffe in gröberer Form (auf Englisch auch „Bulk“ genannt) aus zwei Gründen: Erstens haben Nanomaterialien eine verhältnismäßig stark vergrößerte Oberfläche verglichen zum Bulk-Material. Diese resultiert in einer erhöhten chemischen Reaktivität, was soweit gehen kann, dass chemisch inerte Bulk-Materialien nur in ihrer Nanoform reaktiv sind (z.B. Gold und Platin). Zweitens lösen ab einer Größe von unter 50 nm die Gesetze der Quantenphysik jene der klassischen Physik ab, wodurch sich völlig neue optische, elektrische und magnetische Eigenschaften für Nanopartikel ergeben. Diese Eigenschaften sind oftmals erwünscht und werden technisch genützt und umgesetzt. Aus regulatorischer Sicht werfen sie jedoch viele ungelöste Fragen auf. 4
118
European Inventory of Existing Commercial Chemical Substances.
CHEMIKALIENRECHT UND REGULATORISCHE TOXIKOLOGIE
Da für Neustoffe und Altstoffe unterschiedliche gesetzliche Regelwerke gelten, lautet eine prinzipielle Frage, ob Nanopartikel als Neustoffe oder als Altstoffe behandelt werden sollen. Bei Nanopartikeln, die nicht im EINECS stehen, wie zum Beispiel die Kohlenstoff-Allotrope C60 -Fulleren oder Kohlenstoff-Nanoröhren, erübrigt sich die Frage von selbst. Diese sind definitionsgemäß Neustoffe. Bei Nanopartikeln, die es in gleicher chemischer Zusammensetzung und Struktur auch in Bulk-Form gibt und diese im EINECS stehen, ist es schon komplizierter. Chemisch gesehen ist es der gleiche Stoff, ob in Nano- oder in Bulk-Form, aber in ihren gefährlichen Eigenschaften können sie erhebliche Unterschiede aufweisen. Dies führte zur Empfehlung der UK Royal Society and the Royal Academy of Engineering, Chemikalien in Nano-Form rechtlich prinzipiell als Neustoffe zu behandeln (The Royal Society and Royal Academy of Engineering 2004). Im Frühjahr 2006 wurde von der Europäischen Kommission schließlich beschlossen, dass als einziges Kriterium zur Einteilung von Nanomaterialien in Neu- und Altstoffe der Eintrag des Stoffes im EINECS heranzuziehen sei. Unterschiedliche Eigenschaften allein seien nicht ausreichend, um einen Nanostoff als einen „neuen“ Stoff und somit Neustoff zu betrachten.
4. NEUSTOFFANMELDUNG Neu entwickelte Chemikalien müssen vor ihrer Markteinführung (erste InVerkehr-Setzung) angemeldet werden. Zur Anmeldung ist die Vorlage einer umfangreichen Datensammlung erforderlich, insbesondere die Durchführung einer Reihe von Tests zur Ermittlung etwaiger gefährlicher Eigenschaften, wobei das Ausmaß der angeforderten Tests von der hergestellten oder importierten Menge des Stoffes, also vom Tonnagenlevel, abhängig ist (siehe Artikel 7 und 8, sowie Anhang VII und VIII der Stoffrichtlinie). Das Anmeldeverfahren ermöglicht eine sehr gute Dokumentation und Beurteilung der stoffinhärenten gefährlichen Eigenschaften. Nanomaterialien, die nicht im EINECS stehen, können entweder anmeldungspflichtige Neustoffe sein, wie zum Beispiel C60 -Fullerene, oder als neuer Verwendungszweck eines bereits angemeldeten Neustoffs gemeldet werden. Nanopartikel haben per se eine sehr geringe Masse und werden in Produkten oft nur in geringen Mengen zugesetzt. Dementsprechend sind auch die Produktions- oder Importmengen der meisten Nanomaterialien sehr gering. Dadurch „entkommen“ anmeldungspflichtige Nano-Neustoffe einer ausführlichen toxikologischen und ökotoxikologischen Prüfung. Eine weitere Besonderheit von Nanopartikeln ist die Tatsache, dass für sie das grundlegende Paradigma der Toxikologie „Allein die Dosis macht die Wirkung“ nur noch eingeschränkt gültig ist, weil Nanopartikel weniger eine Dosis (oder Konzentrations)-Wirkungsbeziehung zeigen als viel mehr eine A. FISCHER UND D. HIRMANN
119
Gesamtoberflächen-Wirkungsbeziehung (Oberdörster et al. 2005). So kann beispielsweise die gleiche Dosis (Einheit: mg pro kg Körpergewicht bei oraler Aufnahme) oder Konzentration (Einheit: mg pro m 3 Luft bei Aufnahme durch die Atmung) eines Stoffes unterschiedlich schwerwiegende Effekte verursachen, abhängig davon ob der Stoff in gröberer Form oder als Nanopartikel zugeführt wurde. Das heißt, die Wirkung korreliert nicht mit der Masse, wie es sonst in der Toxikologie gültig ist, dafür aber mit der Anzahl bzw. der Gesamtoberfläche aller Partikel. Das Problem daran ist, dass die derzeit übliche Methode zur Risikobewertung auf der Masse eines Stoffes beruht (z.B. mg/l) und nicht auf Parameter wie Oberfläche oder Partikelanzahl eingegangen wird.
5. ALTSTOFFPROGRAMM Die über 100.000 im EINECS enthaltenen Altstoffe sind keiner Anmeldepflicht unterworfen. Damit bestehen keine Verpflichtungen zur Durchführung von Prüfungen oder zur Sammlung von Daten vor der In-VerkehrSetzung. Das Wissen über diese Stoffe ist daher uneinheitlich und großteils sehr lückenhaft. Ende der 1980er Jahre führte die Besorgnis über das potenzielle Risiko von am Markt befindlichen Chemikalien zum sogenannten Altstoffprogramm. Um die wesentlichsten Informationslücken zu schließen, wurde 1993 die EU-Altstoffverordnung5 verabschiedet, welche die Bewertung und Kontrolle der Risiken durch Altstoffe zum Ziel hat, vorrangig für Stoffe, die in großen Mengen hergestellt werden. Demzufolge wurden alle Unternehmen, die einen Altstoff in Mengen über 10 Tonnen pro Jahr herstellten oder in die EU importierten, verpflichtet, alle verfügbaren Daten und Berichte an das Europäische Chemikalienbüro (ECB) zu übermitteln. Diese Daten wurden und werden in einer Datenbank (IUCLID6) gesammelt mit der Absicht, diese Altstoffe durch detaillierte Risikobewertungen und erforderlichenfalls durch Strategien zur Risikoreduktion aufzuarbeiten. Die Aufarbeitung der Bewertungen der Altstoffe ist extrem aufwändig und ineffizient. Bisher wurden nur ungefähr 60 Altstoffbewertungen abgeschlossen, weshalb das Altstoffprogramm der EU als gescheitert angesehen werden muss. Das war mitunter ein wesentlicher Beweggrund dafür, eine Reform der Chemikalienpolitik zu veranlassen (mehr dazu im Kapitel REACH). Nanopartikel, die von Altstoffen abstammen, sollten laut der Arbeitsgruppe der Europäischen Kommission für Nanomaterialien (Doc: JM/06/ 2006) als neuer Verwendungszweck derselben betrachtet werden, da allein 5
Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates vom 23. März 1993 zur Bewertung und Kontrolle der Umweltrisiken chemischer Altstoffe. 6 International Uniform ChemicaL Information Database – enthält derzeit Daten zu ungefähr 10.400 Altstoffen. 120
CHEMIKALIENRECHT UND REGULATORISCHE TOXIKOLOGIE
das Auftreten neuer oder veränderter Eigenschaften im Nanometerbereich eine Behandlung als Neustoff nicht rechtfertige. Für solche Nano-Altstoffe gelte Artikel 7 der EU-Altstoffverordnung zur „Aktualisierung der übermittelten Information und Verpflichtung zur unaufgeforderten Vorlage bestimmter Informationen“. Allerdings gibt es in Bezug auf diesen Artikel einige Beschränkungen und Probleme, welche eine adäquate Erfassung von Nanomaterialien eher in Frage stellen. Nach Artikel 7.1 müssen Hersteller und Importeure, die gemäß Artikel 3 und 4 Angaben über einen Stoff vorgelegt haben, die der Kommission übermittelten Daten auf dem neuesten Stand halten. Artikel 3 und 4 betrifft nur Stoffe, die in Mengen über 10 Tonnen pro Jahr hergestellt oder in die EU importiert werden, womit diese Vorschrift auf nur ca. 10% aller Altstoffe zutrifft. Insbesondere haben sie neue Verwendungszwecke mitzuteilen, die die Exposition des Menschen und der Umwelt wesentlich ändern. Der Nachteil dieser Anforderung ist, dass die Kategorien für Verwendungszwecke so breit formuliert sind, dass in den meisten Fällen die spezifischen neuen Anwendungen von Nanopartikeln nicht als neuer Verwendungszweck durch eine weitere Kategorie erfasst würden. Nach Artikel 7.2 haben Hersteller und Importeure eines Altstoffs, die Kenntnis davon erfahren, dass der fragliche Stoff eine ernste Gefährdung für Mensch oder Umwelt darstellen könnte, diese Information unverzüglich weiterzuleiten. Aufgrund der zurzeit sehr beschränkten Informationen über toxikologische und ökotoxikologische Auswirkungen von Nanopartikel ist auch diese Vorschrift nur wenig effektiv. Obwohl die gegenwärtige Gesetzeslage im Allgemeinen als adäquat für das Risikomanagement von Nanomaterialien angesehen wird (Doc: JM/06/2006), gibt es in den rechtlichen Rahmenwerken für Chemikalien gewissermaßen Schlupflöcher für Nanomaterialien: Nano-Neustoffe werden aufgrund ihrer geringen Produktionsmengen nicht ausreichend getestet und Nano-Altstoffe tarnen sich hinter ihren ohnehin nur lückenhaft dokumentierten Bulk-Verwandten.
6. BEZEICHNUNG UND IDENTIFIKATIONSMÖGLICHKEITEN FÜR NANOPARTIKEL Wenn Nanopartikel eines Stoffes unterschiedliche Eigenschaften in biologischen Systemen zeigen als der gleiche Stoff in grober Form, so bedarf die Nanoform einer eigenen speziellen Kennzeichnung der Gefahren und Warnungen. Zu einigen Metallen gibt es bereits jetzt unterschiedliche Einstufungen bezüglich ihrer gefährlichen Eigenschaften, je nachdem ob sie in ihrer massiven Form oder in Pulverform vorliegen (z.B. Zink). Die Unterscheidung erfolgt durch den Zusatz „Pulver“ oder auch „Staub“. Eine (einheitliche) A. FISCHER UND D. HIRMANN
121
Beschreibung, um zwischen dem Stoff als Nano- oder Bulkmaterial unterscheiden zu können, sollte angestrebt werden. Beispielsweise könnten eigene CAS7-Nummern vergeben oder ein zusätzlicher Code (z.B. CAS-NP50) zu einer bereits bestehenden CAS-Nummer verwendet werden (SCENIHR 2005). Weiters besteht auch ein dringender Bedarf nach einer einheitlichen harmonisierten Nomenklatur/Terminologie zur Definition der physikalischen Charakteristika von Nanopartikeln und ihrer Eigenschaften. Das spielt vor allem auch deshalb eine Rolle, weil Größe, Form und natürlich die chemische Zusammensetzung inklusive der Oberflächeneigenschaften (wie z.B. der Ladung) und der gebundenen Schadstoffe einen wesentlichen Einfluss auf das Verhalten und die Auswirkungen von Nanopartikeln haben. Das Fehlen einer harmonisierten Terminologie zur Spezifikation von Nanopartikeln erschwert derzeit massiv vergleichende Literaturstudien.
7. IST MIT DEN HEUTIGEN METHODEN EINE RISIKOBEWERTUNG FÜR NANOPARTIKEL DURCHFÜHRBAR? Im Zuge des Aufrufs des Europäischen Rates zu einer sicheren, nachhaltigen, verantwortungsvollen und sozial verträglichen Entwicklung und Anwendung der Nanotechnologie gab es den Auftrag an die Expertengruppe SCENIHR8 , die Eignung der bestehenden Risikobewertungsmethoden zur Beurteilung der Sicherheit von Nanotechnologie und Nanoprodukten zu erörtern und die Hauptlücken im derzeitigen Wissensstand aufzuzeigen (SCENIHR 2005).
7.1. E XPOSITION Man sollte sich dessen bewusst sein, dass Mensch und Umwelt schon immer Nanopartikeln ausgesetzt waren, die durch natürliche Prozesse wie Vulkanausbrüche und Brände entstehen. Auch durch viele menschliche Aktivitäten, wie zum Beispiel den Autoverkehr, werden laufend unbeabsichtigt Nanopartikel (Ultrafeinstaub) in die Umwelt emittiert. Einen der wesentlichsten Punkte in der Risikobewertung von Nanopartikeln stellt daher die zusätzliche und in Zukunft weiter zunehmende Exposition durch industriell hergestellte Nanoprodukte dar, da diese voraussichtlich in immer größerem Ausmaß hergestellt werden. Außerdem gewinnen durch die neuen Anwendungen und Einsatzgebiete andere Aufnahmewege an Bedeutung. Bei natür7
Chemical Abstract Service – Die CAS-Nummer ist die international gültige Registriernummer des „Chemical Abstracts Service“, bei der es sich um eine eindeutige Codierung für jeden Stoff und seine Struktur handelt. 8 Scientific Committee on Emerging and Newly Identified Health Risks. 122
CHEMIKALIENRECHT UND REGULATORISCHE TOXIKOLOGIE
lichen und unbeabsichtigt emittierten Nanopartikeln ist der einzig relevante Aufnahmeweg die Atmung, wohingegen bei Nanoprodukten auch die orale Aufnahme und die Aufnahme über die Haut an Bedeutung zunehmen werden. Bei medizinisch eingesetzten Nanoprodukten kommen unter Umständen noch weitere Expositionswege hinzu, wie z.B. Injektionen oder Implantate. Es ist bis heute nicht klar, wie signifikant die Exposition gegenüber Nanopartikeln aufgrund von neuen Produkten zugenommen hat. Bei Nanopartikeln muss man prinzipiell zwei Arten unterscheiden: freie Nanopartikel und solche Nanostrukturen, die als feste Bestandteile von größeren Strukturen in diese eingebaut oder an sie gebunden sind. Beispiele für letztere sind die Verbesserung der Festigkeit von Stahl durch Zusatz von Nanopartikeln oder ultradünne Beschichtung auf Silberbasis für heizbare Windschutzscheiben (Nanoforum Report 2004). Die meisten Sicherheitsbedenken beziehen sich auf freie Nanopartikel, wohingegen die Exposition gegenüber Partikeln aus Nano-hältigen Verbundstoffen eher als vernachlässigbar angesehen wird. Dennoch kann es auch aus diesen durch physikalischen, chemischen oder biologischen Abbau zum Freisetzen von Nanopartikeln kommen, weshalb vor allem die Risikoanalysen für die Umwelt eine Bewertung des gesamten Lebenszyklus solcher Produkte beinhalten sollte. Auch die Löslichkeit von Nanopartikeln beeinflusst stark die Toxizität, da sofort lösliche Nanopartikel ihre Partikel-spezifischen Eigenschaften verlieren und damit nur noch Bulk-Eigenschaften zeigen. Unlösliche hingegen zeigen eine höhere Tendenz zur Persistenz, was zu Langzeit-Exposition und Nanopartikel-spezifischen Effekten führen kann. Es gibt derzeit noch keine klare Vorstellung, welche Parameter zur Expositionsbewertung am geeignetsten sind und gemessen werden sollen (Masse, Partikelanzahl, Gesamtoberfläche). Die Messung und Bewertung der Exposition wird außerdem behindert durch Schwierigkeiten bei der Probennahme sowie dem Zählen und Messen von Partikeln in Größenordnungen unterhalb der Detektionsgrenze von Lichtmikroskopie. Die erhältlichen transportablen Instrumente zur Routinemessung sind nicht geeignet für die Messung von Nanopartikeln. Neue Techniken zur Probennahme und Strategien zur Expositionsmessung am Arbeitsplatz und in der Umwelt müssen daher entwickelt werden. Leider gibt es keine historischen Daten zur Exposition gegenüber Nanopartikel, was zum Vergleich und zur Beurteilung von Trends bedeutungsvoll wäre.
7.2. TOXIKOLOGISCHE UND ÖKOTOXIKOLOGISCHE EFFEKTE Generell kann man davon ausgehen, dass Chemikalien in Nanoform eine höhere Reaktivität aufweisen und daher tendenziell toxischer sind. Experten sind sich einig, dass sich die Eigenschaften von Bulk- und Nanoform eines A. FISCHER UND D. HIRMANN
123
Stoffes eklatant voneinander unterscheiden können. Dennoch ist zurzeit unklar, in welchem Ausmaß sich die Toxikokinetik9 von Nanopartikeln anhand der Kenntnis ihrer physikalisch-chemischen Eigenschaften vorhersagen lässt. Daher ist zurzeit eine systematische Ableitung der toxischen und ökotoxischen Effekte der Nanomaterialien von den Eigenschaften der gleichen Stoffe in Bulk-Form nicht möglich (Dreher 2004). Die Effektbewertung von Nanomaterialien muss von Fall zu Fall ermittelt werden. Die Nanotoxikologie ist ein sehr junges Forschungsgebiet, weshalb die entsprechende Literatur noch eher fragmentarisch ist. Die meisten Studien über Verhalten und Toxizität von Nanopartikeln beziehen sich auf die Aufnahme über die Atmung. So entwickelten beispielsweise Ratten, die Titandioxid-Nanopartikeln über die Atemluft ausgesetzt waren, schwerwiegendere Entzündungen der Bronchien und der Lunge als Tiere, die etwas gröbere Titandioxid-Partikeln einatmeten (Oberdörster et al. 2000). Mehrere weitere Studien bestätigen, dass die vergrößerte Oberfläche von Nanopartikeln pathologische Reaktionen der Lunge hervorruft (Donaldson und Stone 2003, Zhang et al. 2003). Aber auch die chemische Zusammensetzung spielt eine wesentliche Rolle, da z.B. Nickel-Nanopartikel im Experiment toxischer waren als Kobalt-Nanopartikel, welche aber immer noch toxischer waren als Titandioxid-Nanopartikel (Zhang et al. 1998). Auch die Form der Partikel dürfte eine Rolle spielen, da faserförmige Kohlenstoff-Nanoröhren10 in vivo Lungengranulome hervoruften (Warheit et al. 2004). Zusätzlich zu den respirationstoxischen Effekten gibt es auch Berichte über systemische Toxizität. Das bedeutet, dass der gefährliche Stoff seine schädlichen Auswirkungen nicht nur am Ort des Kontaktes (lokal) zeigt, sondern über den Blutkreislauf im Körper verteilt wird (systemisch verfügbar ist) und an anderen Zielorganen Schäden verursacht. So führten über den Atemtrakt verabreichte Nanopartikel zur Bildung von Thrombosen (Nemmar et al. 2003), und ultrafeiner Schwebstaub in verschmutzter Luft erhöhte die Levels an Entzündungsmediatoren in Gehirnen von Mäusen (Campbell et al. 2005). Der primäre Mechanismus auf zellulärer Ebene, welcher der Toxizität von Nanopartikeln zugrunde liegen dürfte, ist die Induktion von oxidativem Stress. Dieser kann bekannterweise zu Entzündungen und Gewebsschädigung bis hin zu DNA-Schäden führen. Es gibt auch experimentelle Hinweise auf ökotoxikologische Effekte. Beispielsweise führte die Exposition von C60 -Fullerenen bereits in sehr geringen Konzentrationen beim Wasserfloh Daphnia magna zu Mortalität und beim Forellenbarsch zu Gewebsschädigung im Gehirn (Lovern und Klaper 2006, Oberdörster 2004). 9
Die Toxikokinetik beschreibt die Bioverfügbarkeit, die Verteilung in eventuelle Zielorgane, den Metabolismus und die Ausscheidung eines Stoffes. 10 Single-wall carbon nanotubes (SWCNT). 124
CHEMIKALIENRECHT UND REGULATORISCHE TOXIKOLOGIE
Man unterscheidet in der Toxikologie kurzfristige (akute) von langfristigen (chronischen) Effekten, die sich ganz erheblich voneinander unterscheiden können. So gibt es Stoffe, die akut großen Schaden anrichten können, aber chronisch verabreicht zu Anpassungen (Adaptationen) des Organismus führen und daher besser vertragen werden. Andererseits gibt es Substanzen, die vor allem chronische Effekte verursachen, wie es zum Beispiel bei vielen krebserzeugenden Stoffen der Fall ist. Auch Nanopartikel müssen auf langfristige Effekte getestet werden. Nicht-Abbaubarkeit von Stoffen in der Umwelt bedeutet Persistenz, und Nicht-Ausscheidbarkeit aus Organismen resultiert in Akkumulation. Das könnte vor allem dann zum Problem werden, wenn Nanopartikel erst einen gewissen Schwellenwert in einem Organ oder einem Organismus erreichen müssen, um einen Effekt zu verursachen. Dann könnte eine Effektbewertung möglicherweise erst nach langer Expositionszeit realisierbar sein. Das ist im Moment noch alles rein hypothetisch und zeigt, dass es hier noch großer Forschungsbedarf besteht. Obwohl sich die konventionellen toxikologischen und ökotoxikologischen Testmethoden bereits als geeignet erwiesen haben, um einige der von Nanopartikeln ausgehenden Effekte zu detektieren, gehen Experten davon aus, dass sie dennoch nicht ausreichen, um alle Gefahren zu erfassen. Vor allem sollten diese Tests relevante Expositionsszenarien reflektieren, was unmöglich ist, solange die aktuelle Exposition von Mensch und Umwelt nicht bekannt ist. Einige Tests benötigen Modifikationen, andere müssten überhaupt erst entwickelt werden. Man sollte auch die Möglichkeit nicht ausschließen, dass es gefährliche Eigenschaften von Nanopartikeln gibt, die wir mit unserem derzeitigen Wissensstand noch nicht entdeckt haben und die folglich in den 15 Gefahrenklassen zur Einstufung und Kennzeichnung von Stoffen (Tabelle 1) nicht enthalten sind.
8. WISSENSLÜCKEN Trotz der vielen in letzter Zeit publizierten wissenschaftlichen Artikel, die sich der Nanotechnologie widmeten, herrschen auf dem Gebiet der Risikobewertung von Nanomaterialien noch immer große Wissenslücken (SCENIHR 2005), von denen die wichtigsten hier angeführt sind: Die Mechanismen und die Kinetik der Freisetzung von Nanopartikeln aus einer Reihe von Produktionsprozessen, Rezepturen und durch Anwendung der Endprodukte müssen aufgeklärt werden. § Es gilt zu erforschen, ob es möglich ist, das toxikologische Profil von Stoffen in makroskopischer Form auf den gleichen Stoff im Nanometerbereich zu extrapolieren und gegebenenfalls die entsprechenden Gesetzmäßigkeiten zu erarbeiten. §
A. FISCHER UND D. HIRMANN
125
Die Expositionslevels, die aus dem Gebrauch von Nanoprodukten gegenüber Mensch und Umwelt resultieren, müssen erfasst werden. Dafür müssen Methoden und Geräte zur Routinemessung von Nanopartikeln etabliert bzw. entwickelt werden. § Informationen über den Zustand und die Entwicklung der Gesundheit von Arbeitern, die in der Herstellung von Nanopartikeln oder Nanohältigen Produkten beschäftigt sind, werden benötigt, da diese Gruppe den industriell hergestellten, freien Nanopartikeln am stärksten ausgesetzt ist. § Um mögliche toxische Effekte von Nanopartikeln auf die menschliche Gesundheit beurteilen zu können, müssen Toxikokinetik, Zielorgane, Dosis-Wirkungsbeziehung, sowie mechanistische Effekte auf zellulärer Ebene aufgedeckt werden. § Informationen und Messungen bezüglich des Schicksals von Nanopartikeln in der Umwelt (Verteilung, Persistenz, Bioakkumulation) werden für eine Bewertung der Effekte auf die Umwelt benötigt. §
9. DAS ZUKÜNFTIGE CHEMIKALIENREGIME REACH Die Europäische Kommission hat die Einführung des neuen, einheitlichen Rechtssystems REACH beschlossen, welches im Sommer 2007 in Kraft treten soll. Dieses wird für alle Chemikalien, nämlich Altstoffe und Neustoffe, gleichermaßen gültig sein. REACH ist das Akronym für Registration, Evaluation and Authorisation of CHemicals – auf Deutsch Registrierung, Bewertung und Zulassung von Chemikalien. REACH sieht die Erfassung aller Chemikalien in einer zentralen Datenbank vor, welche in Mengen über einer Tonne pro Jahr und Hersteller in der EU erzeugt oder importiert werden. Ohne vorherige Registrierung dürfen die ca. 30.000 derzeit auf dem EU-Markt befindlichen Stoffe nicht weiter verwendet werden, nach dem Motto „no data no market“ (ohne Daten kein Markt). Erst ab einer Menge von 10 Tonnen pro Jahr ist eine Stoffsicherheitsbeurteilung vorgesehen, was voraussichtlich ca. 15% der erfassten Chemikalien betreffen wird. In der derzeitigen Fassung von REACH wird die Partikelgröße nicht speziell berücksichtigt. Nanopartikel, die aufgrund der vermutlich geringen Produktionsmengen die genannten Mengenschwellen nicht überschreiten, werden so weder erfasst noch bewertet. Besonders besorgniserregende Chemikalien11 sollen über ein so genanntes Zulassungsverfahren geregelt werden. Nur wenn der Einsatz dieser Stof11 Krebserzeugend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend (CMR), Kategorien 1 oder 2; persistent, sich im Körper anreichernd und giftig (PBTs; persistent, bioaccumulative, toxic) oder sehr persistent und hohe Anreicherung im Körper (vPvBs; very persistent, very bioaccumulative); andere gefährliche Eigenschaften, wie zum Beispiel eine den Hormonhaushalt beeinflussende (endokrine) Wirkung.
126
CHEMIKALIENRECHT UND REGULATORISCHE TOXIKOLOGIE
fe zu rechtfertigen ist, soll der Stoff für den Markt eine Zulassung erhalten. Dies könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn sozioökonomische Analysen ergeben, dass der Nutzen für Mensch und Wirtschaft gegenüber den Risiken immer noch überwiegt und wenn man aufgrund fehlender oder noch schädlicherer Alternativen auf den Stoff nicht verzichten kann. Unter diesen Umständen könnten unter REACH Nanomaterialien trotz einer Bestätigung von gefährlichen Eigenschaften für die Verwendung zugelassen werden. Auf der anderen Seite besteht die Möglichkeit, die Herstellung, die Verwendung oder das Inverkehrbringen von Stoffen zu beschränken oder zu verbieten, wenn der Stoff ein unannehmbares Risiko für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellt. Hierbei gibt es keine Mengenschwelle, d.h. Beschränkungen können auch bei Produktionsmengen unter einer Tonne pro Jahr und Hersteller verhängt werden. Aus regulatorischer Sicht ist es schwierig, den Einsatz von Nanomaterialien zu „regeln“, weil derzeit die Methoden für eine Risikobewertung noch fehlen und somit nicht festgestellt werden kann, ob tatsächlich ein Risiko im Umgang dieser neuen Materialien vorliegt. Aufgrund des derzeit noch mangelnden Wissensstandes über Nanomaterialien sind diese in der derzeit gültigen Fassung von REACH nicht speziell berücksichtigt. Laut dem „Nanowissenschaften und Nanotechnologie“-Aktionsplan der EU für die Jahre 2005 bis 2009 benötigt die weitere Entwicklung der Nanotechnologie einen sicheren, ganzheitlichen und verantwortungsvollen Ansatz. Regulation und damit mehr Rechtssicherheit liegt auch im (wirtschaftlichem) Interesse der Firmen.
10. ZUSAMMENFASSUNG Experten sind sich einig, dass derzeit mögliche schädliche Wirkungen von Nanopartikeln nicht vorhergesagt werden können. Von den bekannten toxikologischen Eigenschaften derselben Stoffe in makroskopischer Form, welche den Gesetzen der klassischen Physik gehorchen, können diese nicht abgeleitet werden. Weder die aktuelle Gesetzgebung für Alt- und Neustoffe noch das zukünftige Chemikalienregime REACH in seiner derzeitigen Fassung12 können einen vollständigen Schutz für Mensch und Umwelt gewährleisten, sollte ein von Nanomaterialien ausgehendes unannehmbares Risiko bestehen. Die derzeit angewandte Methode zur Risikobewertung basiert auf Masse ohne Rücksichtnahme auf die Partikelgröße. Der Gebrauch von Dosis oder Konzentration im Sinne von Masse allein scheint jedoch für die Risikobewertung von Nanopartikeln ungeeignet zu sein, da die Effekte besser mit der Anzahl bzw. der Gesamtoberfläche aller Partikel korrelieren. Dadurch 12
Gemeinsamer Standpunkt vom 27. Juni 2006.
A. FISCHER UND D. HIRMANN
127
könnte es zu einer schwerwiegenden Unterschätzung des von Nanopartikeln ausgehenden, potenziellen Risikos kommen. Bezüglich der regulatorischen Erfordernisse einer adäquaten Risikobewertung fehlen geeignete und standardisierte Tests für Nanomaterialien. Für eine erfolgreiche Risikobewertung müssen neue Testmethoden entwickelt oder vorhandene zumindest angepasst werden. Da heutzutage sowohl die Kenntnis der schädlichen Auswirkungen von Nanopartikeln mangelhaft ist als auch die entsprechenden Expositionsmessungen/-schätzungen fehlen, ist eine Risikobewertung, wie sie normalerweise für Chemikalien durchgeführt wird, zurzeit nicht möglich. Aus Mangel an ausreichenden und verlässlichen Informationen sollte im Sinne des Vorsorgeprinzips gehandelt werden. Das gilt vor allem für jene freien, nicht löslichen Nanopartikel, bei denen Grund zur Annahme besteht, dass sie sich in der Umwelt und letztlich im Menschen aufgrund von persistenten und bioakkumulierenden Eigenschaften anreichern. Gleichzeitig sollte aber vermieden werden, voreilig in der Öffentlichkeit das Bild der Nanotechnologie negativ zu besetzen, da die aus dieser neuen Technologie resultierenden Vorteile und Möglichkeiten schon heute evident sind.
11. LITERATUR UND QUELLENHINWEISE Altstoffverordnung: Verordnung (EWG) Nr 793/93 des Rates vom 23. März 1993 zur Bewertung und Kontrolle der Umweltrisiken chemischer Altstoffe Campbell A, Oldham M, Becaria A, Bondy SC, Meacher D, Sioutas C, Misra C, Mendez LB, Kleinman M (2005) Particulate matter in polluted air may increase biomarkers of inflammation in mouse brain. Neurotoxicology 26 (1): 133–140 Doc: JM/06/2006: 13th Joint Meeting of the Competent Authorities for the Implementation of Directive 67/548/EEC (New Substances) and Council Regulation 793/93/EEC (Existing Substances) – Recommendation from the Working group on Nanomaterials. European Commission, Brussels Donaldson K, Stone V (2003) Current hypotheses on the mechanisms of toxicity of ultrafine particles. Ann Ist Super Sanita 39 (3): 405–410 Dreher KL (2004) Health and environmental impact of nanotechnology: toxicological assessment of manufactured nanoparticles. Toxicol Sci 77: 3–5 Lovern SB, Klaper R (2006) Daphnia magna mortality when exposed to titanium dioxide and fullerene (C60) nanoparticles. Environ Toxicol Chem 25 (4): 1132–1137 Nanoforum Report: benefits, risks, ethical, legal and social aspects; 4th Report, June 2004 Nemmar A, Hoylaerts MF, Hoet PH, Vermylen J, Nemery B (2003) Size effect of intratracheally instilled particles on pulmonary inflammation and vascular thrombosis. Toxicol Appl Pharmacol 186 (1): 38–45 Oberdörster E (2004) Manufactured nanomaterials (fullerenes, C60) induce oxidative stress in the brain of juvenile largemouth bass. Environ Health Perspect 112 (10): 1058–1062 Oberdörster G, Finkelstein JN, Johnston C, Gelein R, Cox C, Baggs R, Elder AC (2000) Acute pulmonary effects of ultrafine particles in rats and mice. Res Rep Health Eff Inst 96: 5–74 128
CHEMIKALIENRECHT UND REGULATORISCHE TOXIKOLOGIE Oberdörster G, Oberdörster E, Oberdörster J (2005) Nanotoxicology: an emerging discipline evolving from studies of ultrafine particles. Environ Health Perspect 113: 823–839 REACH: Regulation (EC) No 1907/2006 of the European Parliament and of the Council of concerning the Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals (REACH), establishing a European Chemicals Agency, amending Directive 1999/45/EC of the European Parliament and of the Council and repealing Council Regulation (EEC) No 793/93 and Commission Regulation (EC) No 1488/94 as well as Council Directive 76/769/EEC and Commission Directives 91/155/EEC, 93/67/ EEC, 93/105/EC and 2000/21/EC Royal Society (2004) Nanoscience and nanotechnologies: opportunities and uncertainties. Chapter 8, Regulatory issues, S 71. The Royal Society and The Royal Academy of Engineering, London. www.nanotec.org.uk/finalreport.htm SCENIHR (2005) Opinion on the appropriateness of existing methodologies to assess the potential risks associated with engineered and adventitious products of nanotechnologies. European Commission, Brussels. http://europa.eu.int/comm/health/ph_risk/ committees/04_scenihr/scenihr_cons_01_en.htm Stoffrichtlinie: Richtlinie 67/548/EWG des Rates vom 27. Juni 1967 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe Warheit DB, Laurence BR, Reed KL, Roach DH, Reynolds GA, Webb TR (2004) Comparative pulmonary toxicity assessment of single-wall carbon nanotubes in rats. Toxicol Sci 77 (1): 117–125 Zhang Q, Kusaka Y, Sato K, Nakakuki K, Kohyama N, Donaldson K (1998) Differences in the extent of inflammation caused by intratracheal exposure to three ultrafine metals: role of free radicals. J Toxicol Environ Health A 53 (6): 423–438 Zhang Q, Kusaka Y, Zhu X, Sato K, Mo Y, Kluz T, Donaldson K (2003) Comparative toxicity of standard nickel and ultrafine nickel in lung after intratracheal instillation. J Occup Health 45 (1): 23–30
A. FISCHER UND D. HIRMANN
129
NANOTECHNOLOGIE
UND LEBENSMITTELPRODUKTION A. G. HASLBERGER, J. SCHUSTER
UND
A. GESCHE
Die äußerst diversen Anwendungsmöglichkeiten der Nanotechnologie in der Lebensmittelproduktion umfassen Bereiche der Landwirtschaft und Industrie, Verpackung, Anzeige- und Abgabesysteme und besonders Analysemöglichkeiten. Während bei Systemen, welche z.B. sicherheitsrelevante Faktoren anzeigen, der Nutzen für Konsumenten und Konsumentinnen klar ersichtlich ist, muss sich der Bedarf in anderen Bereichen erst zeigen. Bei der Abschätzung des Risikos zeigen sich noch beträchtliche Lücken im Verständnis toxikologischer und gesundheitsrelevanter Konsequenzen sowie im landwirtschaftlichen Bereich auch für die Umwelt. Diese Unsicherheiten in der Risikobewertung könnten, ähnlich wie bei der Gentechnik, zu einer öffentlichen Diskussion über Anwendungen und Entwicklung führen. Aufgrund der vielseitigen Anwendungsformen müssen sicherheitsrelevante Regelungen den allgemeinen internationalen und nationalen Bestimmungen der Lebensmittelsicherheit folgen, aber auch spezifische Elemente zur Nanotechnologie beinhalten. Konsequenzen eines „precautionary approaches“ bei der Entwicklung der Technologie sollten eine proaktive und integrierte Risikobewertung sowie ein allgemein befürworteter ethischer Kodex zur adäquaten Involvierung relevanter Stakeholder sein. Schlüsselworte: Nanotechnologie, Lebensmittelproduktion, Risikobewertung, Ethik-Kodex
131
Nanotechnology in food production The highly diverse uses of nanotechnology in food production include methods in agriculture, industry, packaging, sensors and releases, and especially analytical possibilities. Whereas the advantages for consumers in monitoring food safety and quality is evident, evidence for such advantages for consumers needs to be established in other areas. In risk assessments of the different particle uses, considerable gaps are evident in our scientific understanding of toxicological mechanisms; in the field of agriculture, environmental consequences remain unclear. These uncertainties may trigger a broader public discussion, as observed for molecular biotechnology in food production. Because of the diverse uses of nanotechnology, food safety-relevant regulations must be based on existing international and national regulatory elements of food safety, whereby additional nanotechnology-specific elements may be necessary. The consequences of a precautionary approach in developing nanotechnological uses should be a proactive and integrated risk assessment as well as a generally agreed ethical code for appropriate involvement of relevant stakeholders. Keywords: Nanotechnology, food production, uction, risk assessment, code of ethics
1. ANWENDUNGSBEREICHE Die Nanotechnologie hat das Potenzial, sowohl die Lebensmittelindustrie als auch die Landwirtschaft maßgeblich zu beeinflussen. Der Markt für Nanotechnologieprodukte in diesen Gebieten scheint mit 2,6 Milliarden Dollar bereits jetzt sehr lukrativ zu sein und könnte bis 2010 ein Volumen von mehr als 20,4 Milliarden Dollar erreichen (Helmut Kaiser Consultancy 2004). Die Hauptbeweggründe für die Lebensmittelindustrie und die Landwirtschaft sich mit dieser revolutionären Technik zu beschäftigen, liegen vor allem in der Verbesserung der Sicherheit von Lebensmitteln während Herstellung, Lagerung und Transport, aber auch in der Veränderung der Qualität und Zusammensetzung. Es gibt eine große Vielfalt von Nanomaterialien bzw. -techniken, die in den unterschiedlichsten Gebieten der Lebensmittelindustrie bzw. Landwirtschaft eingesetzt werden oder werden könnten (Tabelle 1).
1.1. NANOTECHNOLOGIE IN DER L ANDWIRTSCHAFT Eine ganze Reihe von internationalen Projekten beschäftigt sich mit dem Einsatz von Nanotechnologien in der Landwirtschaft, wobei nicht nur wie 132
NANOTECHNOLOGIE UND LEBENSMITTELPRODUKTION Tabelle 1. Nanomaterialien und -techniken in der Lebensmittelindustrie und Landwirtschaft Einsatzgebiete Landwirtschaft
Saatgut, Bodenbeschaffenheit, Abgabe von Düngerbestandteilen, Bindung von Pestiziden, Tierzucht, Tiertransporte, Impfung
Lebensmittelindustrie
Produktion, Verarbeitung, Konservierung, Verpackung, Qualitätskontrolle, Transport (ExportImport); Veränderung von Geschmack, Farbe und Aufnahmeeigenschaften von Inhaltsstoffen
Nanomaterialien und Anzeigesysteme
Nanokomposite, Nanoschlamm, Nanoröhren, Nanosensoren, Nanochips
Nanotransport- und Abgabesysteme
Nanokapseln, Nanochochleate, Nanobälle, Nanomaschinen, Nanoeinheiten, Colloidisome
Anwendungsformen
Emulsionen, Gele, Schäume, Liposomen
in den Jahren technologischer Entwicklungen davor der Einsatz von Pestiziden im Vordergrund steht, sondern Fragen, wie z.B. die Steigerung der Photosynthese von Pflanzen, die Verbesserung der Keimung von Saatgut und ein optimiertes Bodenmanagement (ETC Group 2004). Auch die Europäische Union (EU) unterstützt Nanotechnologieprojekte im landwirtschaftlichen Bereich. So wird das EU-Verbundprojekt „NANOIMPRINT“ mit über 3 Mio. Euro gefördert (Fink 2005). Ein Partner dieses Projektes, das Institut für Technologie und Biosystemtechnik der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft Braunschweig, beschäftigt sich mit Expertisen im Bereich der Verkapselung, Oberflächenbeschichtung und Biokonversion. Es sollen Materialien entwickelt werden, in denen mit neuartigen Methoden „Abdrücke“ von bestimmten Molekülen hergestellt werden. Schadstoffe, wie z.B. Pestizide, könnten dadurch abgefangen werden. Für die genetische Modifikation von Pflanzen bzw. Saatgut haben sich die Wissenschaftler vom Oak Ridge National Laboratory (US Department of Energy lab) ein revolutionäres System ausgedacht. Sie lassen KohlenstoffNanofasern auf Silikon-Chips wachsen (McKnight et al. 2003, Dalke 2003). An den Nanofasern ist synthetisch hergestellte DNS angebracht. Lebende Zellen werden nun gegen diese Fasern wie gegen eine Art „Nagelbrett“ geschleudert und aufgespießt. Dadurch, dass die DNS fest an die Nanofasern gebunden ist, kann die Information zwar abgelesen und die gewünschten Proteine erzeugt werden, es ist jedoch – nach Aussage der Wissenschaftler – äußerst unwahrscheinlich, dass diese Erbinformation in das Genom der Pflanze aufgenommen und weitervererbt wird. A. G. HASLBERGER ET AL.
133
Mit so genannten „Buckyballs“ (Buckminster-Fulleren)1 könnten Düngemittelkomponenten wie z.B. Ammoniak in den Boden eingebracht werden. So könnte z.B. die Keimung von Tomatensamen durch Besprühen mit einer Lösung aus Eisen-Nanopartikeln verbessert werden (Prochorov et al. 2001). Eisen-Nanopartikel könnten aber auch eine bedeutende Rolle bei der Entfernung von Schwermetallen oder PCB2 aus verseuchtem Erdreich spielen (Sun et al. 2006). Ein interessantes Anwendungsgebiet von Nanotechniken ist die Tierzüchtung. Durch Laser-unterstützte Mikroströmungstechniken können Spermien mit männlichem und weiblichem Erbgut getrennt werden, was eine gezielte Nachzucht von männlichen bzw. weiblichen Pferden, Rindern, Schafen und Schweinen ermöglicht (Garner 2001). Mit einer Weiterentwicklung dieser Technik können die Bedingungen für die Befruchtung von Eizellen und somit die Produktion von Embryonen in vitro – also außerhalb des Tierkörpers – optimiert werden (Clark et al. 2005). Die Fischzucht ist eine der am stärksten wachsenden Landwirtschaftszweige. Auch hier steht eine kleine Nanotechnologierevolution vor der Tür. Eisen-Nanopartikel sollen für ein schnelleres Wachstum von Karpfen und Stören sorgen (Prochorov et al. 2002). Für die Massenimpfung von Fischen wurde ebenfalls ein auf Nanotechnologien beruhendes System entwickelt. Nanokapseln mit kurzen DNS-Fragmenten werden dem Wasser des Fischteichs zugesetzt, wo diese von den Zellen der Fische aufgenommen werden. Durch Ultraschall werden die Kapseln zum Platzen gebracht, wodurch die DNS freigesetzt und das Immunsystem der Fische aktiviert wird (Clear Springs Foods 2002). Für die Reinigung von Fischteichen plant man den Einsatz von speziellen Nanopartikeln auf Lanthan3-Basis, den so genannten „NanoChecks“. Diese Partikel sollen überschüssiges Phosphat aus dem Wasser entfernen und somit ein verstärktes Algenwachstum verhindern (Anonymous 2004). Zum Teil bereits in der Humanmedizin eingesetzt, sollen nun auch in der Landwirtschaft Biochips die genetischen Eigenschaften und die Gesundheit 1 Mit Fulleren (Pl.: Fullerene) wird ein sphärisches Molekül aus Kohlenstoffatomen (C2n) bezeichnet, das die dritte Element-Modifikation des Kohlenstoffs (neben Diamant und Graphit) darstellt. Das mit Abstand am besten erforschte ist C 60 , das zu Ehren des Architekten Buckminster Fuller Buckminster-Fulleren genannt wurde, da es den von ihm konstruierten geodätischen Kuppeln ähnelt. Da ein Fußball die gleiche Struktur hat, wird es auch Fußballmolekül (oder auf Englisch „Buckyball“) genannt. 2 Als Polychlorierte Biphenyle (PCB) wird eine Gruppe giftiger Substanzen bezeichnet, die bis in die 1980er Jahre vor allem in Transformatoren, elektrischen Kondensatoren, in Hydraulikanlagen sowie als Weichmacher in Lacken, Dichtungsmassen und Kunststoffen verwendet wurde. 3 Lanthan ist ein chemisches Element im Periodensystem der Elemente mit dem Symbol La und der Ordnungszahl 57. Obwohl die Gruppenbezeichnung Lanthanide vom Lanthan abgeleitet ist, gehört es ungeachtet ähnlicher Eigenschaften nicht zu ihnen. Das Element wird den Metallen der seltenen Erden zugeordnet.
134
NANOTECHNOLOGIE UND LEBENSMITTELPRODUKTION
von Tieren und Pflanzen überprüfbar machen. Biochips sind winzigste Testplatten, auf denen eine Vielzahl von bestimmten DNS-Stücken, Antikörpern oder auch Rezeptoren aufgebracht sind und mit deren Hilfe Körperflüssigkeiten wie Blut und Harn, aber auch Extrakte aus Lebensmitteln getestet werden können. Sucht man nun in diesen Testsubstanzen bestimmte Moleküle (Bakterienproteine, Boten-RNS, Proteine bei bestimmten Erkrankungen oder genetischen Veränderungen, genetisches Material von Viren etc.) werden diese durch ihre Rezeptoren oder passenden DNS-Stücke auf dem Chip festgehalten. Durch eine unterschiedliche, farbliche Markierung (z.B. Fluoreszenz) beider Partnermoleküle kann man im Mikroskop einen Nachweis der gesuchten Moleküle führen (Jain 2004, International Consortium on Ticks and Tick-borne Diseases (ICTTD)/EMBO 2003). Nanosensoren könnten bei der Herdenhaltung und beim Tiertransport hilfreich sein. Die Sensoren übertragen medizinische Informationen und den geographischen Standort an einen Computer. Diese Sensoren könnten ebenfalls mit Nanoapparaten gekoppelt werden, die auf bestimmte Signale hin z.B. Medikamente aus Nanokapseln entlassen (ETC Group 2004). Möglicherweise sind diese Materialien im Vergleich zu Metall oder Plastik auch verträglicher für lebendes Gewebe (Catledge et al. 2002).
1.2. NANOTECHNOLOGIE IN DER LEBENSMITTELINDUSTRIE Kann Nanotechnologie also bei der Zucht und Pflanzung unserer zukünftigen Nahrungsmittel eine große Rolle spielen, so stehen in der weiterführenden Lebensmittelproduktion vor allem Verpackungs- und Qualitätsmanagementprobleme einer Nanotechniklösung gegenüber. Die Verpackungsindustrie stellt einen sehr großen Markt dar und trägt die Verantwortung für eine sichere Konservierung unserer Lebensmittel. Das Pharmaunternehmen Bayer produziert transparente Plastikfilme (Durethan), die Nanopartikel aus Schlamm beinhalten. Diese können Sauerstoff, CO2 und Feuchtigkeit blockieren und machen das Plastik leichter, fester und hitzeresistenter (Moraru et al. 2003). Nanokomposite 4 sollen eine haltbare und geschmacksneutrale Verpackung von Bier in Plastik ermöglichen, Nanokristalle das Entweichen von Sauerstoff aus Plastikflaschen verhindern (Gardner 2003). Kodak hat spezielle antimikrobielle Folien auf Nanotechnologie-Basis entwickelt (Brody 2005, Stark 2004). Wissenschaftler und Verpackungstechniker arbeiten auch an einer „elektronischen Zunge“. Sensoren, die in Nanopartikelfilmen oder anderen Verpackungen eingebettet sind, geben dem Konsumenten durch eine Farbänderung bekannt, ob eine Kontaminierung mit Keimen stattgefunden hat (Gardner 2002). Intelligente Verpackungen könnten aber auch durch nano4
Nanokomposite sind Verbundmaterialien mit eingebetteten Nanopartikeln.
A. G. HASLBERGER ET AL.
135
technische „Bioschalter“ bei beginnendem Verderb Konservierungsstoffe in das Lebensmittel abgeben (Moore 2004). Für viele Herstellungsprozesse von Lebensmitteln und deren Transport wären so genannte „Nanobarcodes“ von Interesse. Diese Markierungen funktionieren ähnlich wie die bekannten UPC-Codes. Die speziellen Nanopartikel bestehen aus Metallstreifen, wobei kleinste Variationen (Länge, Breite, Anzahl, Metallzusammensetzung) in diesen Streifen als Kodierung dienen (Bailey 2004, Natan 2004). Auf Nanopartikeln basierende DNS-Biosensoren verfolgen jedoch ganz andere Ziele, nämlich die Verwendung von genetisch veränderten Pflanzen oder Tieren in Lebensmitteln nachzuweisen (Kalogianni et al. 2006). Mit nanostrukturierten Goldpartikeln markierte Detektions-DNS-Sonden erkennen spezielle DNS-Terminatorsequenzen, die in den meisten transgenen Pflanzen vorkommen. Nanomaterialien, die Geschmacksstoffe, Vitamine oder aber auch Medikamente beinhalten, könnten den Markt der funktionellen Lebensmittel (Functional Food) bereichern. Erwünscht ist, dass durch die Verpackung in Nanocontainern die Löslichkeit und Bioverfügbarkeit der zugesetzten Substanzen sowie deren gerichteter Transport zu den Zielorganen optimiert wird (Vogel 2006b). Die Lebensmittelindustrie fasst in der Zukunft aber auch die Möglichkeit von neuartigen Konzepten, wie z.B. „interaktiven Getränken“ oder „Shake-Drinks“ ins Auge (El Amin 2005, Vogel 2006a). Durch verschiedene Auslöser (z.B. Schütteln, Licht oder Ultraschall) könnten so z.B. die Farbe und der Geschmack eines Getränks vom Konsumenten beeinflusst werden. Nanopartikel können die Fließeigenschaft von Lebensmitteln beeinflussen, wie z.B. Siliciumdioxid (SiO2)-Nanopartikel (pyrogenes SiO2 bzw. Kieselsäure) im Ketchup (Schmid 2005). In Österreich beschäftigt sich bereits die Lebensmittelbehörde mit möglichen gesundheitlichen Effekten von Nanosilicium, welches unter anderem die Feuchtigkeitsbindung in einer speziellen Brotsorte verbessern soll. Neue Zellkultur-Testverfahren haben bislang allerdings nur gezeigt, dass SiO2-Nanopartikel in Lungenzellen keinen Schaden anrichten (Peter 2006). In Israel wird bereits ein spezielles Rapsöl mit in Nanocontainern verpackten Phytosterolen angeboten, welche die Aufnahme von Cholesterin im Darm hemmen. Mineralstoffe können aber auch auf Nanopartikel-Größe zermahlen werden, was laut Hersteller eine raschere Aufnahme durch den Körper bewirkt. Interessant ist auch ein mit Thunfisch-Öl hergestelltes Brot (George Weston Foods). Die Omega-3-Fettsäuren sind in Nanokapseln verpackt und werden erst im Magen geöffnet. Dadurch schmeckt das Brot nicht nach Fisch.
136
NANOTECHNOLOGIE UND LEBENSMITTELPRODUKTION
2. RISIKOABSCHÄTZUNG, WISSENSCHAFTLICHE UNSICHERHEITEN UND IDENTIFIZIERTE RISIKEN Der Einsatz von Nanomaterialien in der Agrar- und Lebensmittelindustrie wird die betreffenden Behörden aber auch die Politik vor eine große Herausforderung stellen. Im Vergleich zu dem gigantischen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Aufwand in der Nanotechnologieforschung erscheint das Wissen um mögliche gesundheitliche Risiken von Nanomaterialien zu Zeit noch dürftig. So ist etwa über die Aufnahme von künstlichen Nanopartikeln durch den menschlichen bzw. tierischen Organismus noch relativ wenig bekannt. Ein neuer Forschungszweig scheint sich jedoch zu etablieren – die Nanotoxikologie (Oberdörster et al. 2005). Gerade der mögliche enge Kontakt mit Schleimhaut-, Epithel- und Immunzellen bei Anwendungen der Nanotechnologie in der Lebensmittelproduktion macht die toxikologischen Aspekte der Aufnahme in Zellen wissenschaftlich besonders interessant. Tabelle 2 gibt einen Überblick über mögliche Risiken der Nanotechnologie.
2.1. KONTAKT MIT NANOPARTIKELN Nanopartikeln sind wir schon seit Anbeginn der Menschheit ausgesetzt (z.B. Vulkanstäube). Was die neuartigen, künstlich erzeugten Moleküle jedoch von den natürlichen unterscheidet, ist der komplexe chemische Aufbau und der evolutionär gesehen sehr kurze Zeitraum, der den Organismen zur Gewöhnung zur Verfügung steht. Um mögliche Gefahren, die von diesen Nanopartikeln ausgehen könnten, zu verstehen und erkennen zu können, muss auch einiges über deren Aufnahme in den tierischen bzw. menschlichen Organismus bekannt sein. Obwohl Nanopartikel sehr klein sind, ist deren reaktive Oberfläche im Vergleich zu größeren Partikeln sehr groß. Diese Eigenschaft ist zwar für Tabelle 2. Mögliche Risiken von Nanotechnologie in der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion Gesundheitliche Schäden durch Nanopartikel am Konsumenten bzw. an den Personen in der Lebensmittelherstellung Umweltschäden durch Nanopartikel oder deren transportierte Inhaltsstoffe (z.B. Düngemittel, Antibiotika) Bindung der Landwirtschaft an spezielles Nanotechnologiesaatgut (siehe oben). Gewollter oder zufälliger Einfluss auf den Ernteertrag durch Aktivierung von Nanokapseln oder Sensoren Durch Herstellung von speziellen Nanofasern könnte z.B. die Baumwoll- oder Kautschukindustrie schwere Einbußen erleiden (ETC Group 2004)
A. G. HASLBERGER ET AL.
137
die technische Anwendung gewünscht, könnte aber im Organismus zu unerwünschten Reaktionen führen. Nanopartikel können prinzipiell über die Lunge, den Verdauungstrakt und über die Haut aufgenommen werden. Die meisten Untersuchungen über den Kontakt mit Nanopartikeln gibt es im Bereich des Atmungsapparates. Inhalierte Partikel werden zuerst an den Schleimhäuten abgelagert (International Commission on Radiological Protection 1994). Der primäre Mechanismus um Partikel zu entfernen besteht in deren Aufnahme (Phagozytose) durch alveolare Makrophagen (Fresszellen). Das scheint für Nanopartikel nur bedingt Gültigkeit zu haben. Phagozytose dürfte nur zu ca. 20% bei der Entfernung eine Rolle spielen (Ferin und Oberdörster 1991). Nanopartikel können aber auch direkt durch Epithelzellen oder Zellzwischenräume (Interstitium) in den Organismus eindringen und somit vorerst der Eliminierung entgehen (Ferin et al. 1992). Das Durchschleusen durch Epithelzellen kann mittels verschiedener Mechanismen, wie Phagozytose, Makropinozytose, Clathrin- oder Caveolar-vermittelter Endozytose passieren (Rejman et al. 2004). Wenn Nanopartikel mit Albumin oder Phospholipiden ausgestattet wurden, erfolgt deren Aufnahme noch schneller und leichter (Kato et al. 2003). Nanopartikel können so auch durch Nervenzellen aufgenommen werden und wandern entlang der Axone zum Gehirn. Erste Untersuchungen an Forellenbarschen haben gezeigt, dass C60 Fullerene („Buckyballs“) durchaus oxidativen Schaden an den Gehirnzellen dieser Fischen anrichten können (Oberdörster 2004). Wie reagiert nun die Zelle auf Nanopartikel? Obwohl genauere Untersuchungen noch ausständig sind, gibt es bereits Hinweise, wie Stress bzw. Entzündungsprozesse entstehen könnten (Donaldson und Stone 2003, Donaldson und Tran 2002). Die Partikeloberfläche, Metallionen, aber auch der Kontakt der Partikel mit den Mitochondrien der Zelle können einen oxidativen Stressimpuls auslösen, der zu einer Erhöhung des intrazellulären Calcium-Spiegels und zu einer Genaktivierung führt. Man ist mittlerweile auch bestrebt Zellkultur-Testverfahren zu entwickeln, um die gesundheitlichen Risken von Nanopartikeln rascher abschätzen zu können (Peter 2006).
2.2. REGELUNGSANSÄTZE UND ASPEKTE FÜR REGULATORISCHE KONZEPTE Die zunehmende öffentliche Diskussion von Anwendungen der Nanotechnologie hat bereits zu kontroversiellen Debatten über die Notwendigkeit gesetzlicher Regelungen geführt. Aber bereits eine kurze Übersicht über die vielen diversen Gebiete der Nanotechnologie macht klar, dass eine technologiespezifische Regelung noch schwieriger als etwa im Bereich der Gentechnologie sein wird. Dies um so mehr, als die uneinheitlichen Definitionen der Nanotechnologie physikalische, biochemische oder biologische 138
NANOTECHNOLOGIE UND LEBENSMITTELPRODUKTION
Partikel mit höchst unterschiedlichen Anwendungen und Gefährdungen umfassen. Ebenso wie bei der Gentechnologie stehen auch bei nanotechnologischen Anwendungen die Fragen der Gesundheit und der Lebensmittelsicherheit im Zentrum des Interesses. Während die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA und auch die Europäische Kommission für Anwendungen der Nanotechnologie im Lebensmittelbereich noch keine Absichten für Regelungen ankündigten, haben in England Berichte wissenschaftlicher Komitees bereits zu ersten Reaktionen von Behörden geführt. Ein Bericht der UK-Food Standard Agency (FSA 2006) resümiert. Während prinzipiell alle Lebensmittelsicherheits-relevanten Anwendungen der Nanotechnologie gesetzlich erfasst sind, könnten Fragen von Partikelgrößen zu Unsicherheit bei Sicherheitsbewertung und gesetzlichen Konsequenzen führen. Besonders jene Substanzen, die nicht durch ihre Neuartigkeit unter europäische „Novel-Food“Gesetze fallen, aber in Partikelgrößen unter 100 nm angewandt werden, könnten Prüf- und Zulassungsanforderungen entkommen. Jene Anwendungen, die unter die gesetzlichen Anforderungen von Lebensmittelzusatzstoffen fallen, werden von den WHO-CODEX Richtlinien erfasst und sind damit etwa den sehr spezifischen amerikanischen und europäischen Prüfanforderungen und Zulassungsbestimmungen unterworfen. Ähnliches gilt für Regelungen im Bereich von Verpackungsmaterialien5, die umfassend genug sind, um Szenarien einer Freisetzung von Partikeln in die Lebensmittelkette zu berücksichtigen. Partikel dürfen nicht in Mengen in die Lebensmittelkette gelangen, welche die Gesundheit gefährden oder die Lebensmittelzusammensetzung bzw. den Geschmack verändern können. Im Falle einer beabsichtigten Freisetzung von Partikeln in die Lebensmittelkette darf das nur geschehen, um die Haltbarkeit oder die Qualität zu erhalten oder zu verbessern bzw. derartige Kriterien zu überwachen. Auch sollen Kennzeichnungsregelungen die sachlich richtige Information der Konsumenten und Konsumentinnen gewährleisten. Erfahrungen mit gesetzlichen Vorgaben für Partikelgrößen gibt es im Lebensmittelbereich noch kaum. Bei Zusatzstoffen gibt es etwa auf Grund von Unsicherheiten bei der Risikoabschätzung eine Beschränkung in der Kleinheit der Partikel von mikrokristalliner Zellulose, welche auf Grund des Mangels spezifischer Verdauungsenzyme beim Menschen bei kalorienreduzierten Lebensmitteln häufig eingesetzt wird (Anonymous 1999, Kotkoskie et al. 1996). Unsicherheiten für die Risikoabschätzung nanotechnologischer Anwendungen im Lebensmittelbereich entstehen gemäß dem UK-Report auch be5
Diesbezügliche europäische Regelungen: Commission Directive 2002/72/EC relating to plastic materials and articles intended to come into contact with foodstuffs, Regulation (EC) No 1935/2004 on materials and articles intended to come into contact with food and repealing Directives 80/590/EEC). A. G. HASLBERGER ET AL.
139
sonders durch limitierte Erfahrungen und Kenntnisse über die chemische Migration von Bestandteilen in die Lebensmittelkette.
2.3. DER UMGANG MIT DEM NICHT-WISSEN Bereits das Beispiel der Mikrozellulose zeigt: Der Umgang mit den zwangsläufig unvollständigen wissenschaftlichen Kenntnissen bei der Risikoabschätzung und der gesellschaftliche Umgang mit Restrisiken werden im Zentrum der Diskussion bei der Weiterentwicklung und Anwendung der Nanotechnologie im Lebensmittelbereich stehen. Spätestens hier treffen Erfahrungen aus der Gentechnikdiskussion auf Entwicklungen der Diskussion im Bereich der Nanotechnologie. Bei der Gentechnik haben vornehmlich wissenschaftliche Unsicherheiten der Anwendung neuer molekularbiologischen Methoden, zumeist die Abschätzung sicherheitsrelevanter Konsequenzen bei der Insertion der Vektoren in die Erbinformation der Empfängerorganismen bei der Herstellung von lebensmittelrelevanten Organismen, zur öffentlichen Debatte geführt. Bei nanotechnologischen Anwendungen finden wissenschaftliche Unsicherheiten bei der Risikoabschätzung der Migration von Nanopartikel in die Lebensmittelkette und deren mögliche, unbekannte toxikologische Effekte auf menschliche Zellen öffentliches Interesse. Im Laufe der Gentechnikdebatte wurde argumentiert, dass die angesprochenen Wissenslücken und die damit verbundenen Sicherheitsbedenken nicht nur gentechnische, sondern auch viele andere – öffentlich kaum diskutierte – Methoden der modernen Züchtung betreffen. Im Zuge der Nanotechnologiediskussion ist zu erwarten, dass auch hier konventionelle Anwendungen, etwa von Lebensmittelzusatzstoffen, im Lichte neuer Aspekte der Risikoabschätzung einer öffentlichen Re-Evaluierung unterzogen werden. Eines der grundsätzlichen Probleme aus dieser Analyse ist also der Umgang mit den Konsequenzen von wissenschaftlichen Unsicherheiten der Risikoabschätzung. Diese Diskussion füllt mittlerweile Bibliotheken, ohne im Widerstreit zwischen Innovationfreudigkeit und Sicherheitsvorsorge sowie naturwissenschaftlicher Methodik bzw. Limitation und gesellschaftspolitischer Verantwortung zu resümieren (Jardine et al. 2003, Levidow 2003). So wurde der häufige Fluchtreflex von verantwortlichen Politikern in Richtung rein naturwissenschaftlicher Entscheidungsfindung (Torgersen 2000) erstmals durch eine FAO Ethikkommission durchbrochen: Von der Naturwissenschaft können keine endgültigen Sicherheiten erwartet werden. Der Wissenstand ist oftmals „tentative“6 und gesellschaftorientierte Aspekte müssten ebenfalls in die Entscheidung einfließen (FAO Expert Con6 Tentative (Englisch; adj.): provisorisch, vorläufig, vorsichtig vorantastend, probierend.
140
NANOTECHNOLOGIE UND LEBENSMITTELPRODUKTION
sultation on Food Safety: Science and Ethics, Rome, Italy, 3–5 September 2002). Ein Element, das besonders in der Lebensmittelsicherheit in politischen Widerstreit geriet, ist das Vorsorgeprinzip, das von der Europäischen Kommission als Konsequenz des schwierigen Umgangs mit naturwissenschaftlicher Unsicherheit bei der Risikoabschätzung entwickelt und formuliert wurde. Von vielen als höchst plausibles Sicherheitselement anerkannt, von anderen als handelspolitisches Hemmnis verdammt, in mittlerweile wichtigen nationalen und internationalen Gesetzen verankert, in unzähligen wissenschaftlichen Publikationen divers interpretiert (Morris 2002), wurde dieses Prinzip unlängst durch die UNESCO nach Meinung einiger Arbeitsgruppenteilnehmer eher pragmatisch interpretiert. Als Grundlage legaler wie ethischer Entscheidungen sowie risikorelevanter Kosten-Nutzen-Überlegungen müssten Plausibilität und Probabilität abgewogen werden.7 Obwohl auch diese Überlegungen kritisiert wurden (Myskja und Myhr 2006), kann die entsprechende UNESCO-Übereinkunft doch als wichtiger Fortschritt gesehen werden, besonders da auch Wesen und Wichtigkeit der Resilienz8 von Systemen als ein Ziel definiert wird. Gerade die Resilienz ist nämlich für die Erhaltung der Artenvielfalt notwendig und somit ein zentrales Anliegen der „Convention on Biological Diversity“ (CBD)9. Die Diskussion des UNESCO-Papiers wird somit für Entwicklungen der Nanotechnologie in der Lebensmittelproduktion eine Grundlage bilden. Wie schon zuvor für die Gentechnologie sind auch im Bereich Nanotechnologie ein „proaktiver Ansatz“ (frühzeitiges initiatives Handeln) und eine integrierte Risikoabschätzung zu fordern. Besonders aufgrund der Einschränkungen einer rein naturwissenschaftlichen Risikobewertung dürfte dies nicht erst am Ende einer technologischen Entwicklung erfolgen. Schon gar nicht erst bei der gesetzlichen Zulassung, wenn bereits lange Entwicklungsarbeit geleistet und beträchtliche Ressourcen eingesetzt worden sind. Risikobewertung und Risikomanagement müssen ab Beginn einer technologischen Entwicklung bedacht und umgesetzt werden (Kapuscinski et al. 2003). Die Forderung nach einer integrierten Risikobewertung wurde im Lebensmittelbereich erstmals für Anwendungen von Modern Food Biotechnology formuliert. Ein entsprechender WHO-Report fordert die integrierende Berücksichtigung von Lebensmittelsicherheits- und Umweltaspekten sowie von sozioökonomischen und ethischen Aspekten (WHO 2006). Wissen7
http://portal.unesco.org/shs/en/ev.php-url_id=8050&url_do=do_topic&url_section=201.html. 8 Resilienz: Widerstands-, Anpassungsfähigkeit. Fähigkeit eines lebenden Systems Abweichungen (Fehler) auszugleichen. 9 „Convention on Biological Diversity“ (CBD) – Biodiversitätsabkommen: 1992 beim Umweltgipfel in Rio vereinbartes, völkerrechtlich verbindliches internationales Abkommen zum Schutz der Biodiversität. A. G. HASLBERGER ET AL.
141
schaftliche Argumente belegen zudem, wie wenig zielführend isolierte Lebensmittelsicherheitsprüfungen sind (Haslberger 2006).
2.4. CODE OF ETHICS Technikfolgenabschätzung in der Lebensmittelproduktion entwickelt sich mit diesen Forderungen nach Berücksichtigung fachübergreifender Aspekte, der Involvierung vieler Stakeholder und der Bedachtnahme auf lokale Hintergründe zu einem komplexen Prozedere, in dem zur Zeit noch geeignete Strukturen und Ansätze fehlen. Die Berücksichtigung zentraler Aspekte und Interessen versucht das Konzept eines Code of Ethics, vor dem Hintergrund oftmals unterschiedlichen Informationsstandes und Einflussmöglichkeiten von unterschiedlichen Stakeholdern (Gesche et al. 2004, Gesche und Haslberger 2006). In diesem Code werden auf Grundlage der Erfahrungen mit allgemein und international akzeptierten ethischen Elementen bei klinischen Prüfungen (Beauchamp und Childress 2001) ein ähnlicher Ansatz für die Bewertung von neuen Technologien im Lebensmittelbereich vorgeschlagen. Dazu gehören insbesondere die Prinzipien der Wohltätigkeit (Benefience) und der Schadensvermeidung (Non-Maleficience), das Prinzip von Gerechtigkeit und Fairness und das Prinzip der Sicherung von Wahlmöglichkeit und Selbstbestimmung. Ein Ethik-Kodex (Code of Ethics) setzt sich aus zwei Teilen zusammen, den allgemeinen ethischen Prinzipien und dem auf sie aufbauenden Verhaltenskodex, einem System praktischer, detailierter Mindestrichtlinien, die die Standards ethisch-verantwortlichen Handelns aufführen. Ein Ethik-Kodex ist das Grundgerüst, das alle kommunikativen und praktisch-theoretischen Handlungen von Anfang an ideell begleitet und moralisch untermauert. Von Befürwortern des Kodex wird erwartet, dass sie die Prinzipien und Richtlinien in all ihren Handlungen einhalten. Diese Prinzipien sind dazu geeignet, bei vorgegebenen potenziellen Problemen in einem ausgewogenen Prozess der Interpretation, Konkretisierung und wohlbegründeten Abwägung eine praktische, ethisch-moralische Fundierung anzubieten. Für den Bereich der sich entwickelnden Hochtechnologien ist eine solche Vorgehensweise aus mehreren Gründen besonders zu empfehlen. Zunächst einmal, ähnlich wie zuvor bei der Biotechnologie, entwickelt sich auch die Nanotechnologie in einem internationalen, eng verknüpften Forschungsumfeld, das von einem kapitalstarken, geballten Kommerzialisierungsfokus gesteuert wird. Ein solcher Fokus könnte sich je nach örtlicher Begebenheit durch erhebliche Macht- und Wirtschaftsdifferenziale auszeichnen, was leicht zu ungleichen Verhandlungsvoraussetzungen und suboptimalen, unausgewogenen Ergebnissen führen könnte. Ein Code of Ethics steuert einer solchen Entwicklung entgegen, vorausgesetzt, alle Verhandlungspartner sind von Anfang an dazu bereit, sich von seinen Prämissen 142
NANOTECHNOLOGIE UND LEBENSMITTELPRODUKTION
leiten zu lassen. Eine Ausrichtung an den ethischen Prinzipien hat noch weitere Vorteile. So verbessert sie zum Beispiel die Transparenz, weil ein gegebener Fall oder ein besonderes Problem mit Hilfe der vier Prinzipien offener und umfassender dargestellt wird. Ein solches Vorgehen kann durch eine ethische Matrix (Mepham 2000) erleichtert und systematisiert werden. Eine ethische Matrix ist ein „Arbeitswerkzeug“, das spezifische, komplexe Fragestellungen systematisiert, Meinungen auf deren moralische Vertretbarkeit überprüft und zu ausgewogeneren und umsichtigeren Entscheidungen beiträgt. In ihrer Konstruktion ist die Matrix eine zweidimensionale Anordnung von Werten in Tabellenform, die die oben vorgeschlagenen ethischen Prinzipien der Wohltätigkeit, der Schadensvermeidung, der Gerechtigkeit und Fairness sowie der Sicherung von Wahlmöglichkeit und Selbstbestimmung systematisch zu möglichen Auswirkungen pro Stakeholdergruppe in Beziehung setzt. Die ethische Matrix ermöglicht so, die für Stakeholdergruppen wichtigsten ethischen Implikationen pro Prinzip herauszuarbeiten und für alle Teilnehmer schematisch zusammenfassend sichtbar werden zu lassen. Dieses Vorgehen erlaubt einerseits eine demokratische, gleichwertige und transparente Gegenüberstellung und Erörterung der ethisch relevanten Probleme, andererseits ermöglicht es, dass die in der Diskussion vorkommenden Argumente normativ überprüft und gegeneinander abgewogen werden können, sollte dies die Zielsetzung sein. Die Kombination von Code of Ethics und ethischer Matrix, beide auf den gleichen ethischen Prinzipien aufgebaut, fördert eine harmonisierende, demokratische Entwicklung der Technologie and trägt zu gegenseitigem Vertrauen bei, indem Stärken, Schwächen und etwaige Alternativen gleichzeitig und systematisch aufgezeigt und diskutiert werden können. Es ist anzunehmen, das eine einheitliche gemeinsame, ethisch-moralische Plattform und eine integrierte Risikountersuchung abgerundeter, umsichtiger und ausgewogener ausfallen wird und bewusst macht, das die Verantwortung für eine gesunde Lebensmittelproduktion und deren nachhaltige Zukunft gemeinsam getragen werden kann und sollte.
3. SCHLUSSFOLGERUNGEN Viele Anwendungen der Nanotechnologie lassen Nutzen für eine gesunde Ernährung, eine Verbesserung der Produktionsbedingungen hinsichtlich Naturschutz und Gesundheit, aber auch wirtschaftliche Chancen erkennen. Der Nutzen für die Gesundheit der Konsumenten und Konsumentinnen hinsichtlich Ernährungsvorteile und Produktionsverbesserungen muss jedoch von Fall zu Fall geprüft werden. Für eine anzustrebende integrierte Risikoabschätzung und international harmonisierte Regelungen bedarf es einer Präzisierung der Definition und der Anwendungsbereiche der Nanotechnologien. Regelungen im LebensmitA. G. HASLBERGER ET AL.
143
telbereich müssen spezifische Elemente enthalten, aber auch den bestehenden für z.B. Zusatzstoffe, Verpackung etc. entsprechen. Im Bereich der naturwissenschaftlichen Kenntnisse, welche für die Risikoabschätzung unabdingbar sind, müssen derzeitige Lücken, besonders was den Übertritt in die Lebensmittelkette und toxikologische Wirkmechanismen anbelangt, geschlossen werden. Inwieweit beim Umgang mit derartigen Ungewissheiten hinsichtlich Technologieentwicklung aus den Erfahrungen der Gentechnik-Lebensmitteldiskussion gelernt wurde, bleibt abzuwarten. In jedem Fall ist eine integrierte Sicherheitsbewertung unabdingbar. Bei der Entwicklung von Anwendungen im Lebensmittelbereich sollte die Frage des Nutzens für die Verbraucher und den Naturschutz unter Bedachtnahme alternativer Möglichkeiten im Vordergrund stehen.
4. LITERATUR UND QUELLENHINWEISE Anonymous (1999) Evaluation of certain food additives and contaminants. Forty-ninth report of the Joint FAO/WHO Expert Committee on Food Additives. World Health Organ Tech Rep Ser 884: i–viii, 1–96 Anonymous (2004) Altair nanotechnologies’ algae prevention treatment confirmed effective in testing. Altair Press Release, March 11 Bailey P (2004) Interview with Michael Natan, CEO of Nanoplex Technologies, by Pamela Bailey. http://news.nanoapex.com/modules.php?name=content&pa=showpage &pid=14, Zugriffsdatum 28.7.2006 Beauchamp TL, Childress JF (2001) Principles of biomedical ethics, 5th edn. Oxford University Press, Oxford, S 454 Brody A (2005) ESL packaging: the secret to long life. www.brandpackaging.com/content. php?s=BP/2005/04&p=13, Zugriffsdatum 24.7.2006 Catledge SA, Fries MD, Vohra YK, Lacefield WR, Lemons JE, Woodard S, Venugopalan R (2002) Nanostructured ceramics for biomedical implants. J Nanosci Nanotechnol 2 (3–4): 293–312 Clark SG, Haubert K, Beebe DJ, Ferguson CE, Wheeler MB (2005) Reduction of polyspermic penetration using biomimetic microfluidic technology during in vitro fertilization. Lab Chip 5 (11): 1229–1232 Clear Springs Foods (2002) Development of an Ultrasoundmediated Delivery System for the Mass Immunization of Fish. USDA Grant 2002-00349, Idaho, US Dalke K (2003) Inside information: nanofibers deliver DNA to cells. Genome News Network. www.genomenewsnetwork.org/articles/06_03/nano.shtml, Zugriffsdatum 28.7.2006 Donaldson K, Stone V (2003) Current hypotheses on the mechanisms of toxicity of ultrafine particles. Ann Ist Super Sanita 39: 405–410 Donaldson K, Tran C-L (2002) Inflammation caused by particles and fibers. Inhal Toxicol 14: 5–27 El Amin A (2005) FoodProductionDaily.com. www.primidi.com/2005/06/20.html, Zugriffsdatum 20.7.2006 ETC Group (2004) Down on the farm. www.etcgroup.org/documents/ETC_DOTFarm 2004.pdf, Zugriffsdatum 23.7.2006 144
NANOTECHNOLOGIE UND LEBENSMITTELPRODUKTION Ferin J, Oberdörster G (1992) Translocation of particles from pulmonary alveoli into the interstitium. J Aerosol Med 5: 179–187 Ferin J, Oberdörster G, Soderholm SC, Gelein R (1991) Pulmonary tissue access of ultrafine particles. J Aerosol Med 4 (1): 57–68 FSA (2006) INT 06/04/01 – Draft FSA regulatory review on nanotechnology. www.food. gov.uk/multimedia/pdfs/int060401a.pdf, Zugriffsdatum 26.7.2006 Fink M (2005) Nano-Biotechnologie für die Landwirtschaft. www.innovations-report.de/ html/berichte/agrar_forstwissenschaften/bericht-50372.html, Zugriffsdatum 22.7.2006 Garner DL (2001) Sex-sorting mammalian sperm: concept to application in animals. J Androl 22 (4): 519–526 Gardner E (2002) Brainy food: academia, industry sink their teeth into edible nano. Small Times, June 21 Gardner E (2003) Companies want to use nanocomposites to keep food fresh, vehicles roadworthy. Michigan SmallTech. www.michigansmalltech.com/news/ detail.asp?NT =23&ContentId=94B72A21-9BA6-4C93-A9ED-94E5C13F55D3, Zugriffsdatum 24.7. 2006 Gesche AH, Haslberger A (2006) Governing sustainable food and farming production futures using integrated risk assessment approaches. In: Kaiser M, Lien ME (Hrsg) Ethics and the politics of food. www.wageningenacademic.com/ books/foodethics_ contents.pdf Gesche A, Haslberger A, Entsua-Mensah, REM (2004) Towards a global code of ethics for modern foods and agricultural biotechnology. Preprints of the 5th congress of the European Society for Agricultural and Food Ethics, 2–4 September (Catholic University of Leuven, Belgium), S 125–128 Haslberger AG (2006) Need for an „integrated safety assessment“ of GMOs, linking food safety and environmental considerations. J Agric Food Chem 3 54 (9): 3173–3180 Helmut Kaiser Consultancy (2004) Study: nanotechnology in food and food processing industry worldwide: 2003-2006-2010-2015 (on line). www.hkc22.com/nanofood.html, Zugriffsdatum 19.7.2006 International Commission on Radiological Protection (1994) Human respiratory model for radiological protection. Ann ICRP 24: 1–300 International Consortium on Ticks and Tick-borne Diseases (ICTTD)/EMBO (2003) Integrated molecular diagnostics for tick-borne pathogens using RLB hybridization and microarray based biochips. University of Pretoria, Department of Veterinary Tropical Diseases, Onderstepoort, South Africa Jain KK (2004) Applications of biochips: from diagnostics to personalized medicine. Curr Opin Drug Discov Devel 7 (3): 285–289 Jardine C, Hrudey S, Shortreed J, Craig L, Krewski D, Furgal C, McColl S (2003) Risk management frameworks for human health and environmental risks. J Toxicol Environ Health B Crit Rev 6 (6): 569–720 Kalogianni DP, Koraki T, Christopoulos TK, Ioannou PC (2006) Nanoparticle-based DNA biosensor for visual detection of genetically modified organisms. Biosens Bioelectron 21 (7): 1069–1076 Kato T, Yashiro T, Murata Y, Herbert DC, Oshikawa K, Bando M, Ohno S, Sugiyama Y (2003) Evidence that exogenous substances can be phagocytized by alveolar epithelial cells and transported into blood capillaries. Cell Tiss Res 311: 47–51 Kapuscinski AR, Goodman RM, Hann SD, Jacobs LR, Pullins EE, Johnson CS, Kinsey JD, Krall RL, La Vina AG, Mellon MG, Ruttan VW (2003) Making „safety first“ a reality for biotechnology products. Nat Biotechnol 21 (6): 599–601 A. G. HASLBERGER ET AL.
145
Kotkoskie LA, Butt MT, Selinger E, Freeman C, Weiner ML (1996) Qualitative investigation of uptake of fine particle size microcrystalline cellulose following oral administration in rats. J Anat 189 (Pt 3): 531–535 Levidow L (2003) Precautionary risk assessment of Bt maize: what uncertainties? J Invertebr Pathol 83 (2): 113–117 McKnight TE, Melechko AV, Griffin GD, Guillorn MA, Merkulov VI, Serna F, Hensley DK, Doktycz MJ, Lowndes DH, Simpson ML (2003) Intracellular integration of synthetic nanostructures with viable cells for controlled biochemical manipulation. Nanotechnology 14 (5): 551–556 Mepham B (2000) A framework for the ethical analysis of novel foods: the ethical matrix. J Agricultural Environ Ethics 12: 165–176 Moore G (2004) What does nanotechnology mean for you? At „Future of bioNanomaterials“ Conference, 29 June 2004 Moraru CI, Panchapakesan CP, Qingrong H, Takhistov P, Sean L, Kokini JL (2003) Nanotechnology: a new frontier in food science. Food Technol 57 (12): 24–29 Morris J (2002) The relationship between risk analysis and the precautionary principle. Rev Toxicol 181–182: 127–130 Myskja B, Myhr AI (2006) A critical appraisal of the UNESCO version of the precautionary principle. In: Kaiser M, Lien ME (Hrsg) Ethics and the politics of food. www. wageningenacademic.com/books/foodethics_contents.pdf, Zugriffsdatum 24.7.2006 Natan M (2004) CEO of nanoplex, „nanotechnology to track and protect packs“, at „Future of Nanomaterials“ Conference, 29 June 2004 Oberdörster E (2004) Manufactured nanomaterials (fullerenes, C60) induce oxidative stress in brain of juvenile largemouth bass. Environ Health Perspect 112: 1058–1062 Oberdörster G, Oberdörster E, Oberdörster J (2005) Nanotoxicology: an emerging discipline evolving from studies of ultrafine particles. Environ Health Perspect 113: 823–839 Oberdörster G, Sharp Z, Atudorei V, Elder A, Gelein R, Kreyling W, Cox C (2004) Translocation of inhaled ultrafine particles to the brain. Inhal Toxicol 16 (6/7): 437–445 Peter M (2006) Mögliche Gefahren der Nanopartikel auf der Spur. Medienmitteilung. www.empa.ch/plugin/template/empa/*/49546/---/l=1, Zugriffsdatum 13.8.2006 Prochorov AM, Pavlov GV, Okpattah GAC, Kaetanovich AV (2001) The influence of very minute doses of nano-disperse iron on seed germination. Presentation given at the Ninth Foresight Conference on Molecular Nanotechnology Prochorov AM, Pavlov GV, Okpattah GAC, Kaetanovich AV (2002) The effect of nanodisperse form of iron on the biological parameters of fish. Presented at Tenth Foresight Conference on Molecular Nanotechnology, Bethesda, USA Rejman J, Oberle V, Zuhorn IS, Hoekstra D (2004) Size-dependent internalization of particles via the pathways of clathrin- and caveolae-mediated endocytosis. Biochem J 377: 159–169 Schmid G (2005) Nanotechnologie: Schlüsseltechnologie des neuen Jahrhunderts? Metallnanopartikel als Einelektronenschalter. Chem Unserer Zeit 39: 8–15 Stark D (2004) Nanotechnology today: real life examples of nano applications, at „Future of Nanomaterials“ Conference, 29 June 2004 Sun YP, Li XQ, Cao J, Zhang WX, Wang HP (2006) Characterization of zero-valent iron nanoparticles. Adv Colloid Interface Sci 120 (1–3): 47–56 The Sunshine Project, Backgrounder (2004) Export controls: impediments to technology transfer under the convention on biological diversity. www.sunshine-project.org, Zugriffsdatum 26.7.2006 146
NANOTECHNOLOGIE UND LEBENSMITTELPRODUKTION Thrall L (2006) Study links TiO2 nanoparticles with potential for brain-cell damage. Technology News June 7, 2006. http://pubs.acs.org/subscribe/journals/esthag-w/2006/ jun/tech/lt_nanoparticles.html, Zugriffsdatum 25.7.2006 Torgersen H (2000) Wissenschaftliche oder politische Risikobeurteilung; ITA. www. oeaw.ac.at/ita/ebene5/HTBern.pdf, Zugriffsdatum 24.7.2006 WHO (2006) Modern food biotechnology. www.who.int/foodsafety/ biotech/who_study/en/index.html, Zugriffsdatum 24.7.2006 Vogel B (2006a) Industrie entwickelt bereits nanotechnologisch veränderte Lebensmittel. www.kommunikationssystem.de/news/cl.soziales.gesundheit/Fw:_%5Bbeobachter. ch%5D_Industrie_entwickelt_bereits_nanotechnologisch_veraenderte_Lebensmittel_ 21718.html, Zugriffsdatum 13.8.2006 Vogel B (2006b) Nanofood – Zwergenfutter. WOZ die Wochenzeitung. www.woz.ch/artikel/2006/nr23/wissen/13450.html, Zugriffsdatum 25.7.2006
A. G. HASLBERGER ET AL.
147
NANOTECHNOLOGIE
IN DER
W. BAUMGARTNER
MEDIZIN
UND
B. JÄCKLI
Die Nanotechnologie gilt als die Zukunftstechnologie schlechthin, indem sie auf die konstruktive Beherrschung von Größenordnungen zielt, die den kleinsten funktionellen biologischen Strukturen entsprechen. Auch wenn sie noch ganz am Anfang steht, ist schon heute absehbar, dass sie vor allem in der Medizin eine große Zukunft haben wird. Damit stellt sich automatisch die Frage nach den möglichen Auswirkungen einer solchen Entwicklung, welche die Grenze zwischen lebender und toter Materie zusehends in Frage stellt, nach der ethisch-moralischen Dimension, aber auch nach den Möglichkeiten, diese Entwicklung vielleicht so zu „steuern“, dass allfällige negative Auswirkungen bestmöglich abgefangen werden könnten. Das ist das Thema einer vor rund drei Jahren abgeschlossenen Studie, die im Auftrag des schweizerischen Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung durchgeführt wurde. Basierend auf einer Technologie-Prognose wurden die möglichen Auswirkungen der Nanotechnologie in der Medizin untersucht. In diesem Artikel werden die Methodik und einige Resultate dieser Studie vorgestellt – ergänzt durch einen aktualisierten Ausblick. Schlüsselworte: Nanotechnologie, Technologie-Prognose, Technologiefolgen-Abschätzung, Nanomedizin, Therapeutika, Diagnostika, Medikamentengabe
Nanotechnology in medicine Nanotechnology is considered to be the technology of the future in that it aims to constructively control structures of a magnitude corresponding to the smallest functional biological structures. Although this tech149
nology is only at the very beginning, it is already clear that a great future can be expected of nanotechnology, especially in medicine. This automatically raises questions concerning a) the possible effects of a development that increasingly challenges the boundary between living and dead matter, b) issues in the ethical-moral dimension, and c) the possibilities of „steering“ this development in a way that best counters any negative effects. Precisely this subject was examined in a study commissioned three years ago by the Swiss Center for Technology Assessment. Based on a technology forecast, it investigated the possible effects of nanotechnology in the field of medicine. The methods and some results of the study are presented in this article – together with an updated outlook. Keywords: Nanotechnology, technology forecast, technology assessment, nanomedicine, therapeutics, diagnostics, drug delivery
1. EINLEITUNG Schon seit einigen Jahren wird die Nanotechnologie als die Zukunftstechnologie überhaupt bezeichnet. Anfänglich eher als Science Fiction abgetan, hat sie sich in den letzten Jahren zu einem boomenden Unternehmen entwickelt. Eine unabsehbare Zahl von Forschungsgruppen ist weltweit mit nanotechnologischen Fragestellungen beschäftigt, und es gibt bereits entsprechende Hochschulabschlüsse und zahlreiche Produkte, die als „nanotechnologisch“ gelten oder dies zu sein beanspruchen. Unter „Nanotechnologie“ wird gemeinhin eine Vielzahl von (möglichen) Technologien und (möglichen) Produkten verstanden, deren gemeinsames Charakteristikum in der außerordentlichen Kleinheit der maßgeblichen Größenverhältnisse besteht. Nanotechnologie zielt auf die konstruktive Beherrschung von Größenordnungen, die den kleinsten funktionellen biologischen Strukturen entsprechen, d.h. nur noch Dimensionen von einigen Nanometern aufweisen. Damit stößt die Nanotechnologie bis an die Grenzen des deterministisch Konstruierbaren vor. Dass damit technisch ungeahnte Möglichkeiten erschlossen werden, ist offensichtlich und dass die möglichen Auswirkungen auf fast alle Bereiche unseres Lebens enorm werden dürften, genau so. Die Nanotechnologie steht aber – gemessen an ihrem Anspruch – noch am Anfang. Dennoch ist absehbar, dass die Nanotechnologie vor allem auch in der Medizin eine große und nicht allzu ferne Zukunft haben wird, etwa in der Sensorik oder in der Schaffung von bioverträglicheren Oberflächen für Prothesen und Organe. Längerfristig dürften völlig neuartige Diagnoseund Therapiekonzepte entstehen, die denjenigen der „klassischen“ Medizin in vielen Fällen weit überlegen sein werden. Vor allem in der Krebsdiagnose und -therapie werden erhebliche Fortschritte erwartet (vgl. z.B. Panchapakesan 2005). Damit stellt sich die Frage nach den möglichen Auswirkungen 150
NANOTECHNOLOGIE IN DER MEDIZIN
einer solchen Entwicklung, welche die Grenzen zwischen lebender und toter Materie zusehends in Frage stellt, nach der ethisch-moralischen Dimension, aber auch nach den Möglichkeiten, diese Entwicklung vielleicht so zu „steuern“, dass allfällige negative Auswirkungen bestmöglich abgefangen werden könnten. Das war das Thema einer vor bald drei Jahren abgeschlossenen Technologiefolgen-Abschätzung, an der die beiden Autoren dieses Artikels maßgeblichen Anteil hatten (Baumgartner 2003). Die Studie, die im Auftrag des schweizerischen Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung durchgeführt wurde, sollte die mutmaßlichen Auswirkungen der Nanotechnologie in der Medizin untersuchen – mit einem Zeithorizont von rund 20 Jahren. Selbstverständlich war dies nicht die erste Technikfolgen-Abschätzung für die Nanotechnologie in Bezug auf die Medizin und schon gar nicht in Bezug auf die Nanotechnologie im Allgemeinen (vgl. z.B. NSET 2001). Speziell war der methodische Ansatz, aber auch der Versuch, eine Art Gesamtschau anzustreben, die von der „nanotechnologischen Tagesaktualität“ nicht gleich überholt sein würde.1 Im Wesentlichen ging es darum, die drei folgenden Fragen zu beantworten, bzw. erste Hinweise auf mögliche Antworten zu geben. § § §
Welche nanotechnologischen Anwendungen wird es in der Medizin bis 2020 geben? In welchem Umfang werden diese Möglichkeiten genutzt? Welche Auswirkungen werden diese Anwendungen auf die Medizin, auf das Individuum und auf die Gesellschaft haben?
Methodisch ist man bei der Untersuchung der Nanotechnologie im Sinne einer Technologiefolgen-Abschätzung mit drei besonderen Schwierigkeiten konfrontiert: §
Die Nanotechnologie betrifft die Spitzenforschung in sehr vielen, völlig verschiedenen Wissenschaftsbereichen, die sich bislang in großen Teilen weitgehend unabhängig entwickelt haben. Im Wesentlichen sind dies: Quantenphysik, Materialwissenschaften, Elektronik, Informatik, Chemie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie und natürlich die klinische Medizin selbst. Die Fachsprachen dieser Disziplinen unterscheiden sich erheblich, genauso wie die jeweiligen Arbeits- und Denkweisen. Damit ist schon die Kommunikation zwischen diesen Bereichen nicht einfach; erst recht schwierig wird die Kommunikation mit einem breiteren Publikum, wenn es darum geht, über Nanotechnologie zu informieren. 1
Soweit uns bekannt ist, stellt die hier dargestellte Untersuchung, mindestens im deutschsprachigen Raum, bislang immer noch die einzige Technologiefolgen-Abschätzung dar, die das Thema in dieser synthetischen Art aufgearbeitet hat. W. BAUMGARTNER UND B. JÄCKLI
151
§
§
Damit zusammenhängend: Bei der Nanotechnologie handelt es sich eher um eine Art „Konvergenzprogramm“ von zahlreichen Einzelwissenschaften als um eine einzelne, relativ wohl definierte „Technologie“, die gegenüber anderen (alternativen) Technologien gut abgegrenzt und im Rahmen einer Technologiefolgen-Abschätzung untersucht werden könnte – wie etwa die Atomenergie gegenüber anderen Energieformen. Und selbst wenn dieses Abgrenzungsproblem nicht bestehen würde: Nanotechnologie meint primär eine künftige, heute erst in Ansätzen inhaltlich absehbare Technologie.
Deshalb musste zunächst die Frage geklärt werden, worum es bei der Nanotechnologie in technischer Hinsicht in den nächsten 20 Jahren überhaupt gehen könnte. Dies war die Aufgabe der Technologie-Prognose (technology forecast). Dazu gehörte auch die Beantwortung der Frage, welche dieser Technologien in welchem Ausmaß dann auch in der Medizin Anwendungen finden könnten. Erst darauf basierend konnte dann die Auswirkungsanalyse, die eigentliche Technologiefolgen-Abschätzung (technology assessment), an die Hand genommen werden. Mit der so genannten „Delphi-Methode“ wurde ein Untersuchungsansatz gewählt, der von Anfang an Synthese-Charakter aufweisen sollte. Die Grundidee eines Delphis besteht darin, einschlägige Fachleute zu einem Thema nicht nur einmal zu befragen, sondern die Antworten aus einer ersten Befragungsrunde den gleichen oder anderen Fachleuten zur Stellungnahme bzw. zur weiteren Analyse vorzulegen. Ein solches Verfahren wird in der Regel dreistufig durchgeführt und liefert gut abgestützte Konsensmeinungen oder klar definierte „Meinungsblöcke“. In den ersten zwei Runden ging es um die „Technologie-Prognose“, in der dritten um die „Technologiefolgen-Abschätzung“. Gesamthaft wurden über 70 Experten und Expertinnen befragt (eine Liste der Befragten und weitere Informationen zur Methodik finden sich in der Originalpublikation, a.a.O. S. 95ff). Die Qualität eines solchen Untersuchungsansatzes steht und fällt natürlich mit der Auswahl dieser Experten. Da bei einem Delphi die üblichen Repräsentativitätskriterien versagen, kann die Qualität der Ergebnisse eigentlich nur an den Ergebnissen selbst gemessen werden. Unseres Erachtens sind diese plausibel und als Ganzes ergibt sich ein konsistentes Bild. Diese Einschätzung kann auch drei Jahre nach Abschluss der Untersuchung bestehen bleiben. Im Folgenden werden einige Resultate der Technologie-Prognose dargestellt. Was die Auswirkungen auf den Einzelnen und die Gesellschaft als Ganzes betrifft sowie die darauf basierenden Überlegungen sei auf die Originalpublikation verwiesen (a.a.O., S. 58ff).
152
NANOTECHNOLOGIE IN DER MEDIZIN
2. MÖGLICHE ANWENDUNGEN IN DER MEDIZIN 2.1. WERKZEUGKASTEN Im vorigen Abschnitt ist darauf hingewiesen worden, dass Nanotechnologie nicht einfach eine wohl definierte „Technologie“ meint, sondern eher so etwas wie ein „Konvergenz-Programm“, welches die unterschiedlichsten Techniken und Vorgehensweisen einbezieht. Natürlich gibt es bereits eine ganze Reihe von Anwendungen von nanotechnologischen Verfahren oder Produkten, die schon (oder bald) kommerziell genutzt werden. Daraus lässt sich leider kein konsistentes (mögliches) Bild für die Zukunft ableiten, denn diese Beispiele sind alles in allem doch sehr punktuell. Genau so punktuell und verschiedenartig sind denn auch die heutigen Forschungsanstrengungen und die möglichen Anwendungen. Eine gewisse prognostische Ordnung wurde in der Untersuchung dadurch erreicht, dass in der ersten Delphirunde zunächst eine Art nanotechnologischer „Werkzeugkasten“2 für die Medizin zusammengestellt wurde. Die Idee dabei war nicht, im Einzelfall „richtig“ zu liegen, sondern den Grundzug der Gesamtentwicklung einigermaßen zutreffend einzufangen. Der „Werkzeugcharakter“ der Nanotechnologie sollte in unserem Verständnis dadurch zum Ausdruck kommen, dass sie für bestimmte Zwecke „angewendet“ werden kann, so in der Medizin für diagnostische oder therapeutische Zwecke. Es wurden fünf Typen von Werkzeugen unterschieden, welche die Gesamtheit der nanotechnologischen Möglichkeiten abdecken sollten: §
§ § § §
Partikel (eher einfach strukturierte „Teilchen“, die über das Konzept eines Moleküls hinausgehen, aber von den Lineardimensionen her zur „Nanowelt“ gehören) Strukturen (eher komplex strukturierte Teilchen oder Systeme von verbundenen Teilchen) Oberflächen (ausgedehnte flächige Strukturen) Devices (hochkomplexe Strukturen mit mechanisch, chemisch oder elektrisch aktiven funktionellen Einheiten) Methoden (Untersuchungs- und Verarbeitungsmethoden in der Nanotechnologie)
Natürlich sind die Übergänge zwischen den verschiedenen Typen fließend und die Zuordnung ist nicht immer eindeutig. Dennoch hat sie sich nach unserer Einschätzung recht gut bewährt. Tabelle 1 zeigt, wie nach Ansicht der befragen Fachleute der Werkzeugkasten etwa bestückt sein könnte (a.a.O. S. 23ff). Dabei hat man sich von 2 Der Begriff „Werkzeug“ darf nicht allzu wörtlich verstanden werden, indem „Nanotechnologie“ ja eine Vielzahl von Produkten, Methoden und Verfahrensweisen bedeutet.
W. BAUMGARTNER UND B. JÄCKLI
153
Tabelle 1. Nanotechnologischer Werkzeugkasten mit möglichen Anwendungen in der Medizin (Auswahl; Erläuterung a.a.O. S. 25ff) Typ
Kurzcharakterisierung
Zeithorizont
Partikel
Optische Quantenpunkte als Marker an Antikörper für Diagnose anheften Einsatz von Quantenpunkten für die Gensequenzierung und -identifikation Magnetische Nanopartikel als Marker an Antikörper anheften Magnetische Nanopartikel in der Krebstherapie
2005 bis 2008
Gezielte Medikamentenabgabe (drug targeting) mit magnetischen Nanopartikeln Separation von Zellen mit magnetischen Nanopartikeln Kopplung von Nanoshells (kugelförmige Gebilde mit einem Kern aus Siliziumdioxid und einer metallenen Oberfläche, oft Gold) an Antikörper, die sich spezifisch an Tumorzellen anlagern Kopplung von Nanoshells an wärmeempfindliche Polymere mit Wirkstoffen Strukturen
Oberflächen
Nanostrukturierte Matrix zur Unterstützung des Knochenwachstums Chemische Sonden mit Nanoröhren Hyperempfindliche Sensoren mit Nanoröhren Mechanische Anwendungen von Nanoröhren in der Medizin Nanostrukturierte Materialien für die Dialyse Nanostrukturierte Materialien für künstliche Lungen und andere Anwendungen Nanobasierte biokompatible Materialien
Nanosizing (Verkleinern von Partikeln bis zur Größe mit den gewünschten reaktiven Eigenschaften) Devices
154
Nanosensoren für die Diagnose Prothesen für Auge und Ohr Neuronale Prothesen Minimalinvasive Chirurgie Mechanisch kontrollierte lokalisierte Medikamentenabgabe Künstliche Organe bzw. Organteile
Bis 2010 2008 bis 2013 Klinisch einsetzbare Therapien 2008 bis 2013 Ab 2013 klinisch verfügbar Im Labormaßstab ab 2005 2010 bis 2015
Nach 2010 Ab heute bis 2020 Bis 2010 Bis 2010 Ab 2020 Bis 2015 In vivo ab 2020 Je nach Anwendung 2003 bis 2020 2005 bis 2010
2005 bis 2010 Nach 2010 Nach 2020 Nach 2010 Ab 2005 Nach 2020
NANOTECHNOLOGIE IN DER MEDIZIN Tabelle 1 (Fortsetzung) Devices
Nanorobotische Systeme
Weit nach 2020 oder gar nicht*
Methoden
Rastersondenmikroskop mit optischen Pinzetten Rastersondenmikroskop für die GenSequenzierung und Gen-Identifikation Rastersonden-Mikroskop zum Nachweis biochemischer Funktionen Einzel-Molekül-Chemie
Ab 2005 2005 bis 2010 Ab 2005 Ab 2005
* Die Meinungen der befragten Experten und Expertinnen streuten sehr stark. Das Spektrum reichte von „in einigen Jahren“ bis „gar nicht“. Diese Streuung hat wohl nicht nur mit einer unterschiedlichen Einschätzung darüber zu tun, wie schwierig es ist, einen Nanoroboter herzustellen, sondern auch, was darunter zu verstehen ist.
Beginn an auf die Anwendungen in der Medizin beschränkt. Chancen und Möglichkeiten wurden thematisiert, auch mögliche (medizin-)technische Probleme angesprochen. Spezielles Gewicht wurde auf eine zeitliche Verortung gelegt: Bis wann könnte man damit rechnen, dass die jeweiligen Anwendungen wissenschaftlich bewiesen und praktisch verfügbar sind? Der Werkzeugkasten zeigt, dass eine Vielzahl von Ansätzen und Methoden für die unterschiedlichsten Anwendungen z.T. mit paralleler Zielsetzung verfolgt werden. Auch wenn vieles nicht realisiert oder sehr viel später als vorausgesehen realisiert würde, wird klar, dass die Nanotechnologie in der Medizin in vielfältigster Weise Einzug halten wird. Die einzelnen Anwendungen sind für sich allein genommen – von Ausnahmen abgesehen – zwar nicht sonderlich spektakulär, als ganzes „Paket“ wird die Nanotechnologie aber einen erheblichen Einfluss auf die Medizin haben. Vergleicht man die in Tabelle 1 angedeutete zeitliche Verortung einzelner Werkzeuge mit den Fortschritten der letzten Jahre, so scheint die tatsächliche Entwicklungs-Dynamik eher größer zu sein (für einen längerfristigen Ausblick vgl. auch Roco [2006]). Beispielsweise sind bei der zielgenauen nanobasierten Medikamentengabe schon erhebliche Fortschritte erzielt worden (Lecommandoux 2006 oder Sawant 2006). Auch werden seit einiger Zeit Liposome und Fulleren-basierte Derivate in der Krebsmedizin verwendet (Allen 2002, Park 2002, Panchapakesan 2005). Die klinische Prüfung der Krebsbekämpfung mit nanometergroßen Eisenoxid-Partikeln ist bereits im Gange (www.magforce.de). Der Einsatz von Dendrimeren zum Schutz vor HIV-Infektionen („VivaGel“, www.starpharma.com) soll noch in diesem Jahrzehnt die Zulassung erhalten. Gemäß Mauro Ferrari (2005) werden zur Zeit allein für die Bekämpfung von Krebs Tausende von Nanovektoren W. BAUMGARTNER UND B. JÄCKLI
155
(nanobasierte Gebilde als Träger von Wirksubstanzen) geprüft und stehen in der Pipeline für klinische Tests. Und schon gibt es ausführliche Listen von neuen Produkten (z.B. jene der ETC-Group, zusammengestellt anlässlich des „Dialogue on nanotechnology“ 2004 in Washington DC, Moghimi 2005).
2.2. ANWENDUNGSPOTENZIALE IN SIEBEN KRANKHEITSGRUPPEN Für welche Krankheiten könnten, vom Krebs abgesehen, nanobasierte Therapien überhaupt geeignet sein? Und in welchem Ausmaß? Ausgehend von den Resultaten der ersten Delphi-Runde wurden sieben Krankheitsgruppen identifiziert, für die die Nanotechnologie bis ins Jahr 2020 therapeutisch grundsätzlich eine gewisse Bedeutung erlangen könnte. Es sind gleichzeitig jene Krankheitsgruppen, die in den Industrieländern mit Abstand die häufigsten Todesursachen darstellen: § § § § § § §
Krebs Kardiovaskuläre Krankheiten Bakterielle Infektionen Virale Infektionen Alzheimersche Krankheit Autoimmunkrankheiten Stoffwechselkrankheiten
In einem ersten Schritt wurden die Experten gefragt, wie groß wohl die therapeutischen Potenziale von nanobasierten Therapien bis 2020 sein könnten, wenn man sie mit heute praktizierten Therapien vergleicht. Die vorgegebene Skala reichte mit vier Zwischenwerten von „vernachlässigbar“ bis „sehr groß“. In einem zweiten Schritt wurde nach der Wahrscheinlichkeit gefragt, dass diese Potenziale realisiert werden könnten (in der gleichen Skala). Abbildung 1 zeigt das Resultat. Eingetragen sind die jeweiligen Medianpositionen. Grob gesprochen lassen sich drei Gruppen unterscheiden. Am vielversprechendsten sind nanotechnologische Verfahren in der Krebstherapie, sowohl bezüglich des erwarteten Potenzials wie auch bezüglich der Realisierungswahrscheinlichkeit. Beides wird von den Fachleuten im Sinne des Medians als „groß“ angesehen. Im mittleren Bereich (sowohl bezüglich der Potenziale wie auch bezüglich der Realisierungswahrscheinlichkeiten) liegen die Infektionskrankheiten, die kardiovaskulären Krankheiten, die Autoimmunkrankheiten wie auch die Stoffwechselkrankheiten. Am wenigsten dürfte die Nanotechnologie nach Einschätzung der Experten für die Alzheimer’sche Krankheit bringen, sowohl bezüglich des Potenzials wie auch bezüglich der Realisierungswahrscheinlichkeiten. Diese Einschätzung erklärt sich daraus, dass über die Ätiologie dieser Krankheit noch sehr wenig bekannt ist. 156
NANOTECHNOLOGIE IN DER MEDIZIN
Abb. 1. Therapiepotenzial und Realisierungswahrscheinlichkeiten der Nanotechnologie in sieben Krankheitsfeldern bis 2020 (Medianwerte, N = 31)
2.3. RISIKEN Obwohl die Nanotechnologie erst in ihren Anfängen steckt, hat sich bereits eine intensive Risiko-Diskussion entfacht, sei es in populärwissenschaftlicher Form, wie z.B. bei Kleiner und Hogan (2003), sei es als breit abgestützte Untersuchung, wie z.B. jene der Europäischen Kommission (SCENIHR 2005, modifiziert 2006). Darüber hinaus haben sich kritische Gruppen gebildet, wie etwa die ETC-Group in Kanada (www.etcgroup.org). Und bereits seit August 2005 existiert eine Datenbank über Gesundheitsrisiken (International Council on Nanotechnology, www.icon.rice.edu/research.cfm). Die Debatte dreht sich vor allem um die Gefahren der Nanotoxizität und der Nanopollution. Bei der Nanotoxizität geht es u. a. darum, dass allein schon die Kleinheit der Nanopartikel zu toxischen Reaktionen führen kann. Denn durch die im Verhältnis zur Masse sehr große Oberfläche sind Nanopartikel sehr reaktionsfreudig, was die Bildung von hochreaktiven Radikalen begünstigen kann (vgl. z.B. Moghimi 2005). Von diesen ist bekannt, dass sie das Körpergewebe schädigen und u.a. auch an der Entstehung von Tumoren beteiligt sein können. Ein neues in vitro Screening-Verfahren, das die Effekte solcher Radikale anhand menschlichen Lungen- und Darmzellen erfassen W. BAUMGARTNER UND B. JÄCKLI
157
kann, wurde erst kürzlich von B. J. Panessa-Warren (2006) präsentiert. So genannte „rohe“, nicht modifizierte Nanoröhren waren toxisch für die Testzellen. Deren Membrane werden durch freie Radikale und Lipidperoxidation geschädigt. Nanopartikel verfügen zudem (mindestens zum Teil) über eine hohe Mobilität und könnten über die Haut, die Lunge oder den Magen-Darm-Trakt in den Körper eindringen und sich über die Blutbahn oder das Lymphsystem ausbreiten. Je länger sie sich in der Blutbahn aufhalten, desto größer könnte die Wahrscheinlichkeit sein, dass sie in andere Organe eindringen können, etwa in Herz, Nieren, Muskelgewebe oder Gehirn (über den Riechnerv). Letzteres verlangt deshalb besondere Aufmerksamkeit, weil die Blut-HirnSchranke als sehr undurchlässig gilt. Mit der Nanopollution ist die mögliche Verschmutzung der Umwelt durch gegebenenfalls toxische oder sonst wie schädlich wirkende Nanopartikel gemeint. Insbesondere wird dabei an mögliche Inkorporationswege über die Nahrungskette oder über die Atemluft gedacht. Kritiker der Nanotechnologien betonen, dass über potenzielle Schädlichkeit der Nanopartikel je nach Partikelart im Einzelnen (noch) nichts oder nur wenig bekannt sei. Entsprechend vorsichtig müsse man im Umgang mit diesen Partikeln sein, vor allem dann, wenn deren Produktion und Anwendung aus dem gesicherten Laborumfeld in einen industriellen Maßstab übergeführt würde. Die ETC-Group forderte bereits vor zwei Jahren ein Moratorium für die Produktion von Nanoteilchen (www.etcgroup.org) und hat diese Forderung erst vor wenigen Monaten bekräftigt. Die Befragung der Experten und Expertinnen beschränkte sich im Wesentlichen aber auf jene Risiken, wie sie aus der Nanotechnologie in der medizinischen Anwendung selbst entstehen könnten. Tatsächlich gehen die Fachleute im Durchschnitt von einem gewissen toxikologischen Risiko bei medizinischen Anwendungen der Nanotechnologie aus (a.a.O. S. 42ff). Dabei geht es z.B. um folgende Effekte: Wenn Nanopartikel nicht stabil sind, könnten unerwartete Sekundäreffekte auftreten. Umgekehrt könnten dauerhafte Partikel zu Problemen führen, wenn sie nicht ausgeschieden werden können, denn deren Abbauprodukte könnten wiederum unvorhergesehene Wirkungen haben (Moghimi 2005). Größere Partikel oder deren Aggregate im Mikrometerbereich könnten Thrombosen in den Kapillaren auslösen. Auch neuartige Reaktionen und Synergismen sind in lebenden Systemen denkbar. Ein Team um Arnaud Magrez (EPFL Schweiz) postuliert, dass die hochreaktiven „dangling bonds“ freier C-Atome verantwortlich für die Schädlichkeit von Kohlenstoff basierten Nanomaterialien sein können. Die Konsequenzen der Interaktionen von Immunsystem, Zellkern (DNS Schäden) oder Mitochondrien (s. z.B. Oberdörster in SCENIHR 2005) und Nanopartikeln sind offen. Unvorhergesehene katalytische Prozesse könnten durch Nanopartikel ausgelöst werden. So wird beispielsweise Gold normalerweise als chemisch inaktiv betrachtet, aber bei Partikeln mit Durchmes158
NANOTECHNOLOGIE IN DER MEDIZIN
sern kleiner als 10 Nanometer wird Gold katalytisch sehr aktiv, besonders in Kombination mit Metalloxiden oder aktiviertem Kohlenstoff (Haruta 2003). Die Einschätzung der Fachleute bezüglich der möglichen Risiken zeigt auf, dass diese nicht einfach unter den Tisch gekehrt werden dürfen – erst recht nicht vor dem Hintergrund der hier nur angedeuteten neuesten Forschungsergebnisse. Insofern diese Risiken toxischen Charakter haben, müssen die entsprechenden Nanopartikel wie gewöhnliche Medikamente behandelt werden, d.h. die möglichen Nebenwirkungen müssten genauestens untersucht werden, bevor an einen klinischen Einsatz gedacht werden kann. Die Berichte der Europäischen Kommission (SCENIHR 2005, 2006) sowie derjenige von Moghimi (2005) fassen die Risiken und den Forschungsbedarf zusammen. Kommerzielle Unternehmen wie Nanotox.org bieten bereits professionelle Toxizitätsprüfungen sowie gesetzliche Abklärungen von neuen Nanomaterialien an. Der dringende Bedarf an toxikologischer Begleitforschung wurde z.B. im „Launch of the European Technology Platform on NanoMedicine: Presentation of the Vision Paper at the EuroNanoForum2005 Conference“ (6. September 2005) formuliert.
3. MÖGLICHE AUSWIRKUNGEN IN DER MEDIZIN Im Folgenden werden die möglichen Auswirkungen getrennt nach den Praxisfeldern „Forschung“, „Diagnose“ und „Therapie“ skizziert.
3.1. MEDIZINISCHE FORSCHUNG Die Bedeutung der Nanotechnologie für die medizinische Forschung wird bis 2020 als groß bis sehr groß eingeschätzt. Nach Meinung der befragten Experten ist hier also mit spektakulären Durchbrüchen dank nanotechnologischer Methoden zu rechnen. Wesentliche Fortschritte in der medizinischen Forschung sind in folgenden Bereichen zu erwarten: (a.a.O. S. 48): §
§ § § § §
Untersuchung lebender (Zell-)Strukturen, was viel „authentischere“ Einsichten in die molekularen Prozesse ermöglicht als die heutigen Ansätze in vitro; damit wird das molekulare Verständnis von Gesundheit und Krankheit des Menschen massiv zunehmen Beiträge zur Entdeckung neuer Wirkstoffe/Medikamente Gezieltere und effizientere Gen- und Krebstherapien Beschleunigung der Forschung in der Proteomik Neue Möglichkeiten im Bereich der Gehirnforschung Unterstützung der Forschung im Bereich der Oberflächenbehandlung von implantierten Materialien zur Verbesserung der Biokompatibilität
W. BAUMGARTNER UND B. JÄCKLI
159
§
Verbesserung der Diagnostik in vivo bis hin zu implantierten Diagnoseelementen u.a.
3.2. DIAGNOSE Die künftige Rolle der Nanotechnologie in der Diagnose wird von den befragten Experten und Expertinnen nur unwesentlich tiefer eingeschätzt als jene für die medizinische Forschung. Anwendungsmöglichkeiten werden vor allem beim Ersatz und der Verbesserung bestehender Diagnosetechniken gesehen. Speziell eröffnet sich über die Nanotechnologie die Möglichkeit, medizinische Bildgebungsverfahren bis zur molekularen Auflösung zu steigern. So hat z.B. die Brustkrebs-Forschung das Ziel, Tumore schon ab einer Größe von 100 bis 1000 Zellen zu diagnostizieren – die heutige Mammographie kann das erst ab etwa einer Million Zellen (Ferrari 2005). Auch wird die Möglichkeit gesehen, gewissermaßen am Patientenbett mit „Handgeräten“ auch komplizierte Diagnosen durchführen zu können (z.B. über Blutanalysen oder die Analyse der Ausatmungsluft). Diagnostische Fortschritte werden auch darin gesehen, dass eine Vielzahl von Substanzen auch in kleinsten Mengen gleichzeitig analysiert bzw. detektiert werden können und so komplexe Diagnoseprofile möglich werden. Und last but not least ist natürlich die Entdeckung von emergenten (neuen) Krebszellen bei Krebspatienten nach einer erfolgreichen Therapie ein großes Thema. Darüber hinaus waren die Experten klar der Meinung, dass nanobasierte Diagnoseverfahren bis 2020 die Regel und nicht die Ausnahme sein werden (a.a.O. S. 49). In welchem Sinn würde sich der durchschnittliche „diagnostische Akt“ im Vergleich zu heute verändern? Die Experten waren sich weitgehend einig, dass nanobasierte Diagnosen technisch einfacher sein werden als vergleichbare heutige Diagnosetechniken (a.a.O. S. 50). Nicht nur das: Diese Verfahren werden auch sehr viel schneller Resultate liefern (a.a.O. S. 51). Der Hauptgrund für diese Einschätzung ist klar: Es können sehr viel stärker als bisher verschiedene Items gleichzeitig überprüft werden. Ein wichtiges Argument für nanobasierte Diagnosen ist deren sehr viel größere Spezifität als sie klassische Verfahren aufweisen. Auch hierfür ergibt sich unter den Experten eine breite Zustimmung (a.a.O. S. 51), was nicht überrascht, wenn man z.B. das nanobasierte Targeting als breit anwendbare Querschnittstechnologie voraussetzt. Wegen der größeren Spezifität nanobasierter Diagnosen glauben die befragten Fachleute auch, dass damit z.B. Krankheiten schon im Frühstadium, ev. gar vor Ausbruch der Krankheit, entdeckt werden könnten (a.a.O. S. 52). Und die gesundheitsökonomische Gretchenfrage: Wird unser Gesundheitssystem durch den Einsatz von Nanotechnologie billiger werden? Hier streuen die Meinungen sehr stark (a.a.O. S. 52ff). Insgesamt gesehen scheinen die großen diagnostischen Möglichkeiten der Nanotechnologie nicht mit 160
NANOTECHNOLOGIE IN DER MEDIZIN
einer Verbilligung einherzugehen. Man wird in diesem Bereich zwar deutlich mehr können, aber viel billiger wird es für den einzelnen diagnostischen Akt nicht werden.
3.3. THERAPIE Nach Meinung der Experten dürfte die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Nanotechnologie auch das Therapiegeschehen schon bis ins Jahr 2020 maßgeblich beeinflussen wird, relativ groß sein (a.a.O. S. 53ff). Wenn das aber so ist, was hätte dies für Konsequenzen für einen einzelnen therapeutischen Akt? Auch hierzu wurden verschiedene Ergänzungsfragen gestellt. Könnten nanobasierte Therapien technisch (d.h. in der praktischen Anwendung) einfacher werden? Diesbezüglich sind sich die Experten ziemlich uneins (a.a.O. S. 54). Eine Erklärung dafür könnte darin bestehen, dass die „technische Einfachheit“ nicht nur eine intrinsische Eigenschaft der Methode darstellt, sondern auch davon abhängt, wie verbreitet eine bestimmte Therapieform bzw. wie viel „Handlingserfahrung“ darin enthalten ist. Nach der allgemeinen Einschätzung der befragten Fachleute zeichnet sich – trotz einiger Skeptiker – recht eindeutig ab, dass ein einzelner therapeutischer Akt auch sehr viel wirksamer sein wird (a.a.O. S. 55). Ein Grund für diese Einschätzung liegt darin, dass die nanobasierte Medikamentenabgabe sehr viel zielgenauer erfolgen kann und damit z.B. weniger Tumorzellen „übersehen“ werden. Was die Nebenwirkungen betrifft sind mehr als zwei Drittel der Experten und Expertinnen der Meinung, dass diese durch verbessertes Targeting mit großer oder sehr großer Wahrscheinlichkeit geringer sein werden als bei konventionellen Therapien mit systemischen Medikamenten. Da z.B. viele Krebsmedikamente darauf abzielen, die krankhaften Krebszellen zu zerstören, sind viele davon „an sich“ toxisch – für gesunde Zellen bloß weniger. Durch gezieltes Targeting gelangen weniger giftige Substanzen an gesundes Gewebe. Darin sehen die befragten Fachleute einen der Grundvorzüge nanotechnologischer Therapien. Allerdings muss in diesem Zusammenhang auf die schon erwähnten unerwarteten Nebenwirkungen hingewiesen werden. Einige Nanovektoren können Immunreaktionen hervorrufen: Antikörperreaktionen auf Fullerene (C60) werden bereits untersucht, Protein-Dendrimer-Konjugate (Verbindungen von Eiweißen mit verästelten Polymeren) weisen starke Immunreaktionen auf (Lee [2004]). Eine spezifische Modifikation der Oberflächen solcher Nanovektoren könnten diese Probleme aber z.T. lösen. Wird es pro therapeutischem Akt billiger werden? Nach Ansicht der Experten ist die Wahrscheinlichkeit dafür eher klein (a.a.O. S. 56). Dies ist umso bedeutsamer, als die Zahl der therapeutischen Eingriffe ja ansteigen dürfte – nicht zuletzt wegen der zunehmenden Therapiemöglichkeiten und wegen der diagnostischen Fortschritte. W. BAUMGARTNER UND B. JÄCKLI
161
4. AUSWIRKUNGEN IN SIEBEN KRANKHEITSFELDERN Die oben skizzierte generelle Einschätzung der nanotechnologischen Auswirkungen in Bezug auf Forschung, Diagnose und Therapie wird anhand der sieben ausgewählten Krankheitsfelder vertieft. Zur Vereinfachung wurde dabei die Forschung weggelassen, dafür aber die Diagnose aufgeteilt in Frühdiagnose, (eigentliche) Diagnose und posttherapeutische Diagnose (gewissermaßen entlang einem typischen „Krankheitsprozess“). Für jede der 4 mal 7 Kombinationsmöglichkeiten gaben die Experten an, welche Auswirkungen die Nanotechnologie bis 2020 zeitigen könnte – verglichen mit den heute üblichen Prozeduren. Das Resultat zeigt Abb. 2 in Form eines Netzdiagramms. Je weiter außen eine Marke liegt, desto größer sind die Auswirkungen in den entsprechenden Krankheitsfeldern einzuschätzen. Im statistischen Sinne signifikant ist ein Positionsunterschied dann, wenn er dem Abstand zweier konzentrischer Netzlinien entspricht (a.a.O. S. 56ff).
Abb. 2. Mögliche Auswirkungen (implications) der Nanotechnologie bis 2020 in sieben ausgewählten Krankheitsfeldern (a.a.O. S. 56ff)
5. ZUSAMMENFASSENDE SCHLUSSFOLGERUNGEN Die Ergebnisse der Untersuchung lassen sich thesenartig wie folgt zusammenfassen (a.a.O. S. 85ff): Die Nanotechnologie wird die Medizin bereits in den nächsten 20 bis 30 Jahren deutlich verändern, sowohl in der medizinischen Forschung, in der 162
NANOTECHNOLOGIE IN DER MEDIZIN
Diagnose wie auch in der Therapie. Diagnosen werden schneller, können deutlich stärker zur Prävention eingesetzt werden, liefern spezifischere und genauere Resultate. Nanobasierte Therapien werden neue Therapiemöglichkeiten eröffnen, werden wirksamer sein als konventionelle Therapien und weniger Nebenwirkungen aufweisen. Zahlreiche Entwicklungshindernisse (u.a. wissenschaftliche, technische, regulatorische, soziale) dürften das Tempo der Entwicklung zwar verlangsamen, aber nicht aufhalten. Vor allem bei Tumorerkrankungen und bei viralen Erkrankungen sind erhebliche Fortschritte zu erwarten. Längerfristig dürfte die krankheitsarme Lebensspanne zunehmen, dürften sich Verschiebungen in den Todesursachen und eine Vergrößerung der Lebenserwartung ergeben. Die Tendenz zum „gläsernen“ Bürger wird zunehmen. Wissen über individuelle Krankheitsdispositionen, physiologische Besonderheiten usw. dürfte, von gesetzlichen Beschränkungen abgesehen, frei verfügbar werden. Es dürfte zusehends schwieriger werden, das verfügbare Wissen vor sich selbst aber auch vor der Gesellschaft zu verbergen. Das Recht auf „Nichtwissen“ wird zur Debatte stehen. Missbrauchsrisiken werden zunehmen. Die Fortschritte der Nanotechnologie in der Medizin dürften mindestens mittelfristig kaum eine Entlastung bei den Gesundheitskosten bringen; und der Trend zur Zweiklassenmedizin dürfte verstärkt werden. Bestehende Konfliktpotenziale, wie sie sich vor allem im Zusammenhang mit der Gentechnologie bzw. ihren direkten und indirekten Anwendungen in der Diagnose und der Therapie gezeigt haben, werden sich verstärken. Neue Konfliktpotenziale zeichnen sich bezüglich der möglichen Gefahren der „Nanotoxizität“ und der „Nanopollution“ (insbesondere bezüglich der ungewollten Aufnahme von Nanopartikeln über die Umwelt und deren Integration in die Nahrungskette) und längerfristig um Befürchtungen zur ungenügend unkontrollierten Selbstreplikation von Nanostrukturen ab. Noch hat die Frage danach, was wir als Menschen sind und was wir als Menschen sein wollen, einen eher philosophischen Zug. Mit den Fortschritten der Nanotechnologie in ihrer Anwendung auf den Menschen werden diese Fragen aber eine immer „praktischere“ Bedeutung erlangen. Man wird sich nicht vor der Beantwortung dieser Fragen dispensieren können. Denn sie werden schließlich entscheidend dafür sein, ob man eine bestimmte Forschung, eine bestimmte Anwendung erlauben will oder nicht.
6. LITERATUR UND QUELLENHINWEISE Allen TM (2002) Ligand-targeted therapeutics in anti-cancer therapy. Nature Rev Cancer 2: 750–763 Baumgartner W, Jäckli B, Schmithüsen B, Weber F (2003) Nanotechnologie in der Medizin. Studie des Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung. TA-SWISS, Bern W. BAUMGARTNER UND B. JÄCKLI
163
Ferrari M (2005) Cancer nanotechnology: opportunities and challenges. Nature Rev Cancer 5: 161–171 Haruta M (2003) When gold is not noble: catalysis by nanoparticles. Chem Rec 3 (2): 75–87 Kleiner K, Hogan J (2003) How safe is nanotech? New Scientist (29. März 2003) Lecommandoux, S, Sandreb O, Chécota F, Perzynskic R (2006) Smart hybrid magnetic self-assembled micelles and hollow capsules. Progr Solid State Chemistry 34 (2–4): 171–179 Lee SC, Parthasarathy R, Botwin K et al (2004) Biochemical and immunological properties of cytokines conjugated to dendritic polymers. Biomed Microdevices 6: 191–202 Moghimi S et al (2005) Nanomedicine: current status and future prospects. The FASEB J 2005 (19): 311–330 NSET, Roco MC, Bainbridge WS (Hrsg) (2001) Social implications of nanoscience and nanotechnology. National Science Foundation, Arlington, Virginia. www.wtec.org/ loyola/nano/NSET.societal.implications/nanosi.pdf Panchapakesan B (2005) Nanotechnology. Part 2: tiny technology – tremendous therapeutic potential. Oncology Issues Nov/Dec 2005: 20–23 Panessa-Warren BJ, Warren JB, Wong SS, Misewich JA (2006) Biological cellular response to carbon nanoparticle toxicity. J Phys Condens Matter 18: S2185–S2201 Park JW (2002) Liposome-based drug delivery in breast cancer treatment. Breast cancer Res 4: 95–99 Roco MC (2006) Nanotechnology’s future. Forum, Scientific American, August 2006 Sawant RM, Hurley JP, Salmaso S, Kale A, Tolcheva E, Levchenko TS, Torchilin VP (2006) „SMART“ drug delivery systems: double-targeted pH-responsive pharmaceutical nanocarriers. Bioconjugate Chem 17 (4): 943–949 SCENIHR (2005, modified 2006) The appropriateness of existing methodologies to assess the potential risks associated with engineered and adventitious products of nanotechnologies. Scientific Committee on Emerging and Newly Identified Health Risks (European Commission). http://ec.europa.eu/health/ph_risk/committees/04_scenihr/ docs/scenihr_o_003b.pdf
164
GESUNDHEITSRISIKEN
DURCH
NANOPARTIKEL?
H. MOSHAMMER
UND
P. WALLNER
Die Nanotechnologie eröffnet faszinierende Möglichkeiten für Wissenschaft, Medizin und Industrie. Das nötige Kontrollinstrumentarium muss aber noch entwickelt werden, um Risiken für Umwelt und Gesundheit nach Möglichkeit zu vermeiden. Ein öffentlicher Diskurs, an dem auch informierte Vertreter der Öffentlichkeit teilnehmen, ist daher unabdingbar. Diese Arbeit zeigt die Lücken im derzeitigen Wissen auf, die einer ausführlichen Risikobewertung entgegenstehen. Diese reichen vom Verhalten der Nanoteilchen in der Umwelt, insbesondere was deren Persistenz unter verschiedenen Bedingungen betrifft, bis hin zu ihrem Schicksal im Organismus. Schlüsselwörter: Nanotechnologie, Umweltverhalten, Toxikokinetik, Toxikodynamik Health risks due to nano-materials? Nanotechnology provides fascinating prospects for science, medicine and industry. The necessary public control instruments still remain to be established to prevent threats to the environment and health. A public debate involving informed representatives of the civil society is therefore crucial to a sustainable future of this technology. In this paper we point out gaps of knowledge that forestall an extensive risk assessment. These range from the environmental fate of nanomaterials, including their persistence in various media, to their behavior in the human organism. Keywords: Nanotechnology, environmental fate, toxicokinetics, toxicodynamics 165
1. EINLEITUNG Als im Umweltbereich tätige Ärzte interessieren wir uns einerseits besonders für die Auswirkungen der Umweltbelastungen und der technisierten Umwelt auf die menschliche Gesundheit, andererseits für die Auswirkungen der Medizin(technik) auf die Umwelt. Beide Bereiche werden auch von der relativ jungen Nanotechnologie berührt: Sowohl die Frage der Gesundheitsrisiken durch Nanopartikel ist zu stellen, als auch jene nach den (ökotoxikologischen) Gefahren durch Nanopartikel in der medizinischen Anwendung. Für Aufsehen sorgten in der letzten Zeit Vergiftungsfälle durch die Anwendung von „Nano-Versiegelungssprays“ für Bad und WC. Schon der toxikologisch geschulte Hausverstand legt nahe, dass die Freisetzung von reaktiven Chemikalien in engen geschlossenen Räumen als Aerosol mit atembarer Teilchengröße mit Vorsicht erfolgen sollte. An Arbeitsplätzen finden derartige Vorgänge in der Regel unter Luftabzug oder mit Atemschutz statt. Auch in der Heimanwendung gab es bereits früher, z.B. durch Lederimprägniersprays, warnende Beispiele. Als „kinderleicht“ und „problemlos anwendbar“ wurden zwei „Nano-Versiegelungssprays“ beworben, die Oberflächen in Bad und WC wasser- und schmutzabweisend machen sollten. Bereits im Herbst 2005 warnte Frau Dr. Brüske-Hohlfeld (GSFForschungszentrum für Umwelt und Gesundheit, Neuherberg) in ihrem Vortrag beim deutschen Umweltministerium vor dieser Entwicklung (Brüske-Hohlfeld 2005). Innerhalb kurzer Zeit wurden den deutschen Giftinformationszentralen dutzende Vergiftungsfälle zum Teil mit Lungenödem nach Anwendung der Sprays gemeldet. Letztlich wurden über 100 Fälle gezählt. „Es ist nicht bekannt, ob über die beiden genannten Produkte hinaus weitere, mit nanotechnologisch hergestellten Bestandteilen versehene, Treibgas enthaltende Produkte (z.B. Schuhpflegemittel, Imprägniermittel, Nässeblocker etc.) im Verkehr sind und Gesundheitsgefahren bergen könnten“, vermerkte das Bundesamt für Risikobewertung lakonisch weiter in seiner Aussendung (Bundesamt für Risikobewertung BfR, 31.3.06). Ein vom BfR organisiertes Fachgespräch am 7.4.2006 konnte keine Klärung des Vergiftungsherganges bringen: „Der Vertreiber der beiden Versiegelungssprays konnte wegen fehlender Informationen seiner Vorlieferanten keine vollständige Rezeptur vorlegen“ (BfR, 12.4.06). Im Mai dann erfolgte die „Entwarnung“: „Die Produkte enthalten laut Angaben der Hersteller und nach chemischen Untersuchungen, die das BfR veranlasste, keine Partikel in NanoAbmessungen“ (BfR, 26.5.06). Weiter unbestritten aber blieb, dass die Sprays zu Lungenödemen führten. Es mussten also Tröpfchen oder Partikel in alveolengängiger Größe (kleiner 1 µm) bei bestimmungsgemäßem Gebrauch freigesetzt worden sein. Ob diese der geläufigen Definition von „Nanopartikeln“ (Partikel kleiner 100 nm) entsprachen, ist eher zweitrangig. Der Fall zeigt hingegen mehrerlei: Erstens kann Konsumentenschutz nicht allein den 166
GESUNDHEITSRISIKEN DURCH NANOPARTIKEL
Herstellern überlassen werden, sondern es müssen entsprechende Kontrollmechanismen vorgesehen werden. Zweitens ist es bedenklich, wenn ein Hersteller zwei Monate braucht, um seine eigene Rezeptur in Erfahrung zu bringen. Drittens scheint „nano“ immer noch einen „magisch guten“ Ruf zu haben, wenn das Wort auch Produkten verliehen wird, die keine Nanoteilchen enthalten. Und zuletzt wird wieder eindrücklich bestätigt, dass chemisch reaktive Aerosole nicht eingeatmet werden sollen. Letzteres gilt sicher auch für viele der „echten“ Nanomaterialien.
2. GESUNDHEITSRISIKO Das Ausmaß eines Gesundheitsrisikos durch eine Umweltbelastung lässt sich letztendlich nur mittels epidemiologischer Methoden bestimmen, da nur hier die „Real-World-Situation“ mit Kombinationsbelastungen auch empfindlicher Bevölkerungsgruppen beobachtet wird. Doch epidemiologische Daten können erst gewonnen werden, wenn bereits eine (länger dauernde) Exposition der Bevölkerung vorgelegen hat. In nennenswertem Ausmaß bestand bisher nur die Exposition gegenüber unbeabsichtigt produzierten Nanopartikeln, zumeist aus Verbrennungsvorgängen, auf inhalativem Wege. Die Forschungen auf diesem Gebiet fasst Manfred Neuberger in seinem Kapitel in diesem Buch zusammen. Auch auf diesem Gebiet ist die Aussagekraft der Studien beschränkt. Die individuelle Expositionsabschätzung ist oft mangelhaft, wodurch es eher zu einer Unterschätzung des wahren Risikos kommen dürfte. In Summe belegen die Studien aber, dass Teilchengröße (Wichmann et al. 2000), chemische Zusammensetzung (Ghio und Delvin 2001) und Quelle (Heinrich und Wichmann 2004, Lanki et al. 2006) des Feinststaubes für dessen gesundheitliche Auswirkungen entscheidend sind. Insbesondere oxidativer Stress und inflammatorische Reaktionen nehmen mit der aktiven (reaktiven) Stauboberfläche zu, welche bei gleicher Teilchenmasse mit kleinerem Teilchendurchmesser überproportional wächst (Oberdörster et al. 2005). Wegen des bedeutenden Einflusses der chemischen Zusammensetzung auf die biologische Wirksamkeit der Staubteilchen sind aber direkte quantitative Schlüsse auf industrielle Nanopartikel nicht möglich. In Ermangelung belastbarer epidemiologischer Daten zu den neuen absichtlich erzeugten Nanoteilchen muss eine Risikobeurteilung daher auf den klassischen Prinzipien von (toxikologischem) Schädigungspotenzial und Expositionsabschätzung beruhen. Bereits bei der Expositionsabschätzung ergeben sich große Hindernisse. Nicht einmal für bereits auf dem Markt befindliche Nanopartikel reicht das Wissen über deren Umweltpersistenz, um verlässliche langfristige Expositionsszenarien zu berechnen. Wie verhält sich das Nanoteilchen, das als Bestandteil eines Kosmetikums auf die Haut aufgetragen wurde? Wird es, wenn es abgewaschen und in die Kanalisation gelangt ist, in der Kläranlage abgebaut? Wird es durch UV-Strahlung verändert und H. MOSHAMMER UND P. WALLNER
167
damit unschädlich, oder aber langfristig sogar gefährlicher gemacht? Wie verhalten sich komplexere Teilchen, die durch eine Hülle (Coating) stabilisiert wurden? Wird diese Hülle unter UV-Einwirkung zerstört, so dass etwa aktive Nanometalle freigesetzt werden? Oft fehlen selbst die nötigen Messtechniken, um individuelle Nanostrukturen zu bestimmen und zu messen: Entweder man untersucht die chemische Zusammensetzung einer Probe, dann weiß man nichts darüber, in welcher Korngröße die jeweilige Substanz vorliegt, oder man misst die Korngrößen und weiß nichts über deren Chemie (Kuhlbusch und Fissan 2005). Wie verhalten sich Nanopartikel in Flüssigkeiten (Fortner et al. 2005)? Unter welchen Umständen können sie wieder aus der Flüssigkeit (einzeln) freigesetzt werden? Viele dieser Fragen hat auch die Royal Society des UK (2004) in ihrem bahnbrechenden Bericht aufgeworfen. Die zukünftige Belastung durch Nanoteilchen über verschiedene Umweltmedien und den Nahrungspfad lässt sich also noch kaum abschätzen. Nur zur inhalativen Aufnahme am Arbeitsplatz sind eventuell bereits jetzt vernünftige Angaben möglich. Wie sieht es mit dem zweiten Standbein einer Risikobeurteilung, der Beschreibung eines Schädigungspotenzials, aus? Diese Beschreibung teilt sich wieder in zwei Teilfragen: „Wie kann die Substanz aufgenommen werden?“ und: „Wie wirkt sie im Organismus?“
3. TOXIKOKINETIK 3.1. INHALATIVE AUFNAHME Die inhalative Aufnahme von Nanopartikeln ist bisher am besten erforscht. Vorbilder boten die Umweltbelastung mit Feinststaub und Ultrafeinstaub sowie Belastungen am Arbeitsplatz, aber auch die topische (gezielte) Applikation in therapeutischer Absicht (Asthmasprays). Die Internationale Strahlenschutzkommission (ICRP) hat 1994 ein ausführliches Modell vorgelegt, um die Aufnahme von Strahlendosen (über die Inhalation radioaktiver Teilchen) abzuschätzen. Es handelt sich dabei um ein Rechenmodell, das die Strömungsverhältnisse im menschlichen Atemtrakt simuliert, und das in Tierversuchen kalibriert wurde. Es gibt an, wie viel Prozent der eingeatmeten Teilchen in Abhängigkeit von ihrem aerodynamischen Durchmesser in verschiedenen Abschnitten des Atemtraktes abgeschieden werden. Tatsächlich hängt die Deposition aber auch von weiteren physikochemischen Eigenschaften der Teilchen (insbesondere ihrer Ladung) sowie von der individuellen Anatomie (Kinder!) und (Patho-)Physiologie (Asthma, Emphysem, obstruktive Bronchitis, vertiefte Atmung bei Anstrengung!) der Atemwege ab. Jedenfalls darf als weitgehend gesichert gelten, dass Partikel erst unterhalb eines Durchmessers von 10 µm in nennenswertem Umfang in den Kehlkopf und tiefer vordringen. Insgesamt erreicht die Deposition im Nano168
GESUNDHEITSRISIKEN DURCH NANOPARTIKEL
Abb. 1. Prozentuelle Aufnahme von Teilchen im Atemtrakt in Abhängigkeit von deren Durchmesser (bei Nasenatmung), frei und vereinfacht nachgezeichnet nach ICRP (1994)
bereich (unter 100 nm) ihr Maximum, wobei in diesem Größenbereich sowohl in den oberen als auch in den unteren Atemwegen ein hoher Prozentsatz abgeschieden wird (Abb. 1). Entscheidend ist jedoch die mit fallendem Durchmesser höhere Deposition im Alveolarbereich, da hier die Lungenreinigung über das Flimmerepithel nicht mehr wirksam ist und von den Lungenbläschen ein direkter Übergang der Nanoteilchen in Lymphe und Blut erfolgt. Dies ist allerdings nicht nur von der Größe, sondern auch von den chemischen Eigenschaften der Teilchen abhängig (Oberdörster et al. 2005). Die Verweilzeit von (Schad-) Stoffen im Organismus ist jedenfalls bedeutend länger, sobald sie den Alveolarraum erreicht haben. Hierbei existieren große Unterschiede zwischen den Tierspezies, so dass die Ergebnisse von Tierversuchen zur inhalativen Toxizität mitunter nicht sehr aussagekräftig für die humane Toxikologie sind.
3.2. WEITERLEITUNG ÜBER NERVENFASERN Dieser Mechanismus wurde bisher nur bei Exposition über die Atemluft gezeigt, wobei sowohl über die Riechnerven, aber auch über andere sensible (und eventuell vegetative) Nerven des Atemtraktes ein Transport von Nanoteilchen einerseits zu den Riechkolben und weiter zu den Hirnkernen des H. MOSHAMMER UND P. WALLNER
169
limbischen Systems, andererseits zu den entsprechenden Ganglien des peripheren Nervensystems beobachtet wurde (de Lorenzo 1970, Hunter und Dey 1998, Hunter und Undem 1999, Oberdörster et al. 2004). Dieser Transportweg ist unter anderem deshalb von Interesse, weil damit die Blut-HirnSchranke umgangen wird. Es werden direkt und ohne Vorschaltung der Detoxifikationsleistung der Leber eventuell sensible nervöse Strukturen getroffen. Als biologisches Vorbild für diesen Aufnahmepfad können Viren z.B. der Herpes-Gruppe dienen, die sich, ebenfalls Nanopartikel, über Nervenfasern im Körper bewegen (Kennedy und Chaudhuri 2002, Terasaki et al. 1997). Das gleiche Phänomen wurde bereits früh experimentell für PolioViren gezeigt (Bodian und Howe 1941). Es bleibt zu klären, inwieweit Nervenfasern in anderen Organsystemen (Haut, Magendarmtrakt) für die Aufnahme und den Transport von Nanopartikeln bedeutsam sein könnten.
3.3. DERMALER KONTAKT Nanopartikel finden bereits seit längerem in Kosmetika Anwendung, z.B. in Form von Titandioxid (TiO2) als UV-Filter in Sonnenschutzmitteln. Daher sollte erwartet werden, dass zur Aufnahme von Nanopartikeln über die Haut bereits ein umfangreiches Datenmaterial existiert. Diese Erwartung wird nicht gänzlich erfüllt. Während die gesunde glatte Haut eine relativ gute Barriere gegen das Eindringen von Partikeln bietet, beklagte die Royal Society (2004), dass über die Wirksamkeit dieser Barriere im Falle von Hauterkrankungen und Entzündungen (z.B. Sonnenbrand) keine Daten vorlägen. Bereits mechanische Beanspruchung der Haut kann die Passage von Nanopartikeln erleichtern. Dies wurde beschrieben beim barfuß Laufen, wobei sogar größere – bis Mikrometer-große – Erdpartikel in die regionalen Lymphknoten vordrangen (Corachan et al. 1988, Blundell et al. 1989) und für das Dehnen und Stauchen der Haut über Gelenken (Tinkle et al. 2003). Die Möglichkeit einer Aufnahme über freie Nervenendigungen wurde bereits weiter oben angesprochen.
3.4. ORALE AUFNAHME Selbst mit der Atemluft aufgenommene Partikel landen, so sie auf den mit Flimmerepithel ausgekleideten Teilen des Atemtraktes sedimentieren, letztendlich im Magendarmtrakt. Bereits jetzt finden sich Nanomaterialien in Designerfood und mit dem wachsenden Einsatz von Nanopartikeln ist es abzusehen, dass diese auch ungewollt über verschiedene Umweltpfade in die Nahrungskette gelangen. Trotzdem ist das Wissen um die Resorption der Nanoteilchen aus dem Darm äußerst lückenhaft. Generell dürfte es so sein, 170
GESUNDHEITSRISIKEN DURCH NANOPARTIKEL
dass die Aufnahme bei den kleineren Teilchen in größerem Ausmaß erfolgt (Jani et al. 1990), aber noch stärker hängt die Aufnahmerate wohl von den chemischen Eigenschaften der Teilchen wie deren Fettlöslichkeit ab. Tatsächlich wurde die Darmresorption bisher jedoch wenig an praktisch relevanten Nanoteilchen untersucht, sondern an radioaktiv markiertem Iridium (Semmler et al. 2004) oder Polystyrol (Jani et al. 1990). Lediglich Studien mit Titandioxid (Jani et al. 1994) und mit Fullerenen (Yamago et al. 1995) befassten sich mit derzeit bedeutsamen Nanopartikeln. Entscheidend ist sicher auch der Zustand des Darms, dessen Resorptionsverhalten sich in der Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen oder während Phasen der Mangelernährung oder unter Krankheit drastisch ändern kann. Neuere Techniken umgeben Nanoteilchen mit einer Hülle (Coating), um so ihr Verhalten in der Umwelt zu modifizieren oder sie genauer an ihr Ziel zu bringen. Es wäre zu klären, wie sich diese Hülle im Darmtrakt oder bereits zuvor in der Nahrungskette verändert und ob hinsichtlich der Resorbierbarkeit Studien an den nackten oder den umhüllten Teilchen aussagekräftiger sind.
3.5. ANDERE APPLIKATIONSFORMEN Hier ist vor allem an die parenterale (insbesondere intravenöse) Verabreichung zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken zu denken. Entsprechende Systeme, bei denen Nanopartikel als Träger dienen, um z.B. gezielt Tumorgewebe zu erreichen, sind bereits in Erprobung. Es ist offensichtlich, dass damit eine weitgehend vollständige Aufnahme angestrebt und wohl auch erzielt wird.
4. MÖGLICHE SCHADMECHANISMEN Die Nanotechnik ist keine menschliche Erfindung. Die Natur ist uns auch hier bereits lange zuvorgekommen. Ein schönes Beispiel für hochkomplexe Nanoteilchen in unserer Umwelt (mit großer Bedeutung für die Ökosysteme, aber auch mit bedeutsamen Gesundheitsgefahren) stellen die Viren dar, deren Ausgefeiltheit unsere stolze Technik noch lange nicht voll nachahmen kann. Im Organismus selbst tun „Nanoroboter“ seit alters her ihren Dienst: sei es extrazellulär als Stütz- oder Transportproteine, sei es in den Zellen, von denen eigentlich jede als wahre „Nanofabrik“ bezeichnet werden kann: Angefangen von den Ribosomen über Fibrillen und Tubuli bis hin zu Transport- und Rezeptormolekülen in diversen Membranen und den Enzymen handelt es sich durchwegs um Nanostrukturen. Ein wichtiger Gedanke hinter dem Einsatz von Nanotechnologie in der Medizin liegt ja gerade in dieser „Naturähnlichkeit“ der künstlichen Nanoteilchen. Damit – so hofft man – werden sie fälschlich als körpereigen aufgenommen, so dass eine auf H. MOSHAMMER UND P. WALLNER
171
bestimmte Zellstrukturen oder Gewebe gezielte Therapie und Diagnostik ermöglicht wird. Vielfach sollen die naturähnlichen Nanoteilchen nur als Transportmittel dienen, um die wirksame Substanz an ihren Zielort (z.B. die Krebszelle) zu bringen. Über das weitere Schicksal des von seiner Last befreiten Vehikels ist bisher wenig bekannt; außer, dass es im Tierversuch keine akut toxischen Effekte auslöst.
4.1. OXIDATIVER STRESS Oxidativer Stress dürfte einen wichtigen Mechanismus darstellen, wie Nanopartikel schädigend wirken (Rushton et al. 2005, Rancan et al. 2002, Sayes et al. 2004). Dabei hängt die Fähigkeit der Teilchen, reaktive Sauerstoffspezies zu generieren, wesentlich von ihrer chemischen Zusammensetzung und den lokalen Bedingungen ab, wie z.B. der Einwirkung von UV-Licht (Derfus et al. 2004). Die Größenverhältnisse sind aber insofern von Bedeutung, als Nanopartikel mit subzellulären Strukturen reagieren können und so z.B. von Mitochondrien aufgenommen werden (Foley et al. 2002) und mit Enzymen der Atmungskette reagieren können. Simeonova et al. (2005) exponierten Mäuse mittels Trachealsonde gegenüber Nanotubes und fanden systemische entzündliche Veränderungen und mitochondriale DNS-Schäden an der Mäuseaorta. Diese Beobachtung spricht für oxidativen Stress, der die Entstehung von Arteriosklerose begünstigen könnte. Oberdörster (2005) stellt die Hypothese auf, dass Nanopartikel auf dem Wege des neuronalen Transportes auch im Zentralnervensystem zu oxidativem Stress führen können und so ein Risiko für neurodegenerative Erkrankungen darstellen. Creek und McCawley (2005) meinen, dass die dermale Aufnahme von Nanopartikeln (am Arbeitsplatz) eine wichtige Route für die Auslösung von Autoimmunerkrankungen wie Systemischer Lupus erythematodes darstellt.
4.2. WIRKUNGEN IM ATEMTRAKT Nachdem im Tierversuch erhöhte Mortalität nach Inhalation von Nanotubes geschildert worden war (Lam et al. 2004), wurde ursprünglich vermutet, dass es sich dabei um ein Artefakt bzw. ein Overload-Phänomen (also ohne Relevanz für umwelt- oder arbeitsplatzrelevante Konzentrationen) handeln könne. Warheit et al. (2004) schrieben, dass die massiv inhalierten bzw. instillierten Fasern zu derartigen Aggregaten verpacken, dass sie zum mechanischen Verschluss der Atemwege führten. Mercer et al. (2005) exponierten Mäuse gegenüber Nanotubes und fanden eine Fibrose der Lunge, die im Wesentlichen von den Einzelstrukturen im Nano-Größenbereich und nicht von den in weit höherer Masse inhalierten größeren Aggregaten ausgelöst 172
GESUNDHEITSRISIKEN DURCH NANOPARTIKEL
wurde. Unter anderem berichteten auch Shvedova et al. (2005) über fibrotische Reaktionen ohne ausgeprägte entzündliche Reaktionen und Pinkerton et al. (2004) beobachteten eine verzögerte Zellproliferation im Atemtrakt neugeborener Ratten. Doch auch entzündliche Reaktionen werden bei verschiedenen Nanoteilchen beobachtet, wobei hier wie bei der Bildung reaktiver Sauerstoffspezies neben der chemischen Zusammensetzung der Teilchen deren Größe bzw. die reaktive Oberfläche bedeutsam zu sein scheint. So zeigte sich etwa bei Titandioxid, dass dessen entzündungsauslösende Potenz (pro Masseneinheit) stärker ist, je kleiner die Teilchen sind (Beck-Speier et al. 2001). Auch in vivo sind kleine Teilchen (20 nm) potenter als große (5 µm), wie Zhang et al. (2003) zeigten. Das Alter der Tiere sowie kombinierte Belastungen (mit Ozon und/ oder Bakterientoxin) modulieren den Effekt der Nanoteilchen (Elder et al. 2000), die Teilchen beeinflussen die Potenz von Viren (Lambert et al. 2003).
4.3. DIREKTE (MUTAGENE) WIRKUNGEN AM ZELLKERN Nicht nur mit Zellorganellen, wie den Mitochondrien, wurden direkte Interaktionen beobachtet. Auch direkt im Zellkern wurden Nanopartikel beobachtet und Effekte beschrieben (Rahman 2002). Zytotoxizität und Apoptosis (Zelltod) können direkte Folge sein (Hoshino 2004, Derfus et al. 2004). So können Nanoteilchen in direkter Interaktion mit der DNS mutagene Schäden setzen. In einem weiteren Schritt potenzieren Entzündung und oxidativer Stress die Schäden am Zellkern, indem sie als Tumorpromotoren wirken. Karzinome sind somit primär am unmittelbaren Ort der Einwirkung zu erwarten. Inhalative Noxen führen daher in erster Linie zu Tumoren an den Atemwegen. So können verschiedenste auch sogenannte „inerte“ Stäube am Arbeitsplatz unspezifische Schäden am Atemtrakt setzen, die mit einem erhöhten Lungenkrebsrisiko einhergehen (Moshammer und Neuberger 2004). In dieser Untersuchung fand sich aber auch ein erhöhtes Magenkrebsrisiko, das wohl auf die Wirkung verschluckter Stäube zurückzuführen ist. Asbest ist ein natürlicher Stoff, der der Definition eines Nanoteilchens (mindestens in einer Dimension kleiner 100 nm) entspricht. Auch für Asbest sind nicht nur kanzerogene Effekte am Atemtrakt (Bronchialkarzinom und Mesotheliom) beschrieben, sondern es werden seit Jahren auch vergleichbare Wirkungen am Verdauungstrakt mit einem erhöhten Risiko für Lymphome (Ross et al. 1982) und epitheliale Tumoren (Kanget et al. 1997, Kjaerheim et al. 2005) diskutiert. Zwar sind diese Effekte des Asbest am Verdauungstrakt unsicher und nicht so deutlich ausgeprägt wie an den Atemwegen. Dennoch unterstreichen diese Beobachtungen, dass eine bekannte inhalative Noxe auch bei anderem Expositionspfad kritisch gesehen werden sollte. Wenn also bisher kaum Studien zu Wirkungen von (künstlichen) Nanoteilchen am H. MOSHAMMER UND P. WALLNER
173
Verdauungstrakt vorliegen und nicht einmal die Frage der Resorption im Darm restlos geklärt ist, so sollten doch diese wenigen Hinweise zur Vorsicht mahnen, bevor künstliche Nanoteilchen in großer Zahl in die Nahrungskette eingebracht werden.
5. ÖKOTOXIKOLOGIE Während sich Nanotechnik in medizinischen Anwendungen noch im Experimentierstadium befindet, hat sie schon ausgiebig in der Kosmetik Eingang gefunden (Miller 2006). Eine bereits weit verbreitete Anwendung ist die von TiO2 in Sonnenschutzcremes. Die optimale Größe der Teilchen für diese Anwendung (keine sichtbare Verfärbung, aber guter UV-Schutz) liegt in der Größenordnung von etwa 100 nm. Toxikologisch auffällige Effekte (Induktion von oxidativem Stress, entzündliche Reaktionen und Zytotoxizität) wurden erst bei TiO2-Teilchen kleinerer Korngröße gefunden (Beck-Speier et al. 2001, Rahman et al. 2002). Gerade Sonnenschutzprodukte werden häufig vor dem Baden verwendet und daher oft auch rasch wieder abgewaschen und gelangen so direkt in Oberflächengewässer. Andere derzeit gebräuchliche Rezepturen, die den hohen Sonnenschutzfaktor durch photoaktive Chemikalien oft mit endokriner Wirksamkeit erzielen (Schlumpf et al. 2002), sind diesbezüglich wohl auch aus ökotoxikologischer Sicht kritischer als TiO2 zu bewerten. Es sei jedoch die prinzipielle Frage erlaubt, ob insgesamt so viel Sonnenschutz benötigt wird? Vielfach täte es zum Beispiel ein Hut mit Krempe und ein Hemd genauso bzw. besser, nachhaltiger und umweltverträglicher. Welche Nebenwirkungen auf Mensch und Umwelt die Nanotechnik in der Medizin haben wird, lässt sich heute noch nicht mit Sicherheit vorhersehen. Ein alter, weiser Spruch der Pharmakologie besagt, dass alles, was wirkt, auch Nebenwirkungen hat. In der Abwägung des Nutzens und angesichts des individuellen Leidens sind Ärzte oft bereit, gewisse Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen. Doch gerade was die Nebenwirkungen von Pharmaka etc. in Ökosystemen anbelangt, sind Ärzte oft recht ignorant und selbst die Wissenschaft beginnt erst langsam, diese Aspekte zu erforschen (Erbe et al. 1998, Kümmerer 2000 und 2005). Selbst die Messung von Pharmaka und Desinfektionsmitteln in der Umwelt kommt erst langsam in Schwung und deren Persistenz ist nur unzulänglich erforscht (Scharf et al. 2002). Lehren von „herkömmlichen“ medizinischen Präparaten werden ohne weiteres auch für zukünftige Präparate gelten können, die der Nanotechnik entspringen. Besondere Sorgen für Ökosysteme bereiten derzeit Desinfektionsmittel und Antibiotika, weil Mikroorganismen wichtige Aufgaben in vielfältigen Systemen erfüllen, nicht zuletzt in der biologischen Stufe von Kläranlagen, in die diese Stoffe fallweise in hohen Wirkkonzentrationen gelangen. Auch die Nanotechnik wird wohl bald im Kampf gegen „böse“ 174
GESUNDHEITSRISIKEN DURCH NANOPARTIKEL
Bakterien eingesetzt werden. Die Zugabe von Silberteilchen zu Wasser zur Bekämpfung von Legionellen ist schon Stand der Technik. Die optimale Teilchengröße liegt im Nanobereich, damit sie von Protozoen aufgenommen werden und so die parasitisch (intrazellulär) lebenden Pathogene erreichen. Fullerene bilden wasserlösliche Kristalle mit bakteriziden Eigenschaften (Fortner et al. 2005) und werden bereits für eine Verwendung als Desinfektionsmittel erprobt (Yamakoshi et al. 2003). Haben wir inzwischen aus den Lehren der Vergangenheit gelernt? Der Umweltpersistenz von Wirkstoffen kommt bei möglicher Resistenzbildung und Störung von Ökosystemen eine wesentliche Bedeutung zu.
6. SCHLUSSFOLGERUNGEN Die Nanotechnologie ist eine faszinierende neue Wissenschaftsdisziplin. Es muss allerdings Sorge getragen werden, dass Wissenschaft und Industrie die notwendige Vorsicht nicht vergessen. Die Vorteile, die aus deren Anwendung erwachsen (Petschow 2005), sollen nicht verheimlicht werden: Dadurch, dass erwünschte Effekte mit geringem Materialaufwand (eben mit Nanostrukturen) und sehr gezielt erreicht werden können, ergibt sich eine mögliche Einsparung an Energie und Rohstoffen. Nanotechnologie wird sicher ihren Platz in der Zukunft haben. Doch vielfach zeichnet sich ab, dass diese Technik nicht eingesetzt wird, um berechtigte Bedürfnisse auf sparsame Weise zu decken, sondern um neuen Bedarf für Produkte zu schaffen, ohne die wir bisher auch recht gut ausgekommen sind. In letzterem Fall ist es nur billig, wenn zuvor die möglichen Folgen bedacht und geprüft werden. Die Kontrollfunktion kann aus naheliegenden Gründen nicht allein der Industrie überlassen werden. Staatliche und internationale Stellen sind noch damit beschäftigt zu prüfen, ob und auf welche Weise nanotechnische Produkte durch bereits bestehende Gesetze und Regelungsinstrumente abgedeckt sind, oder ob für diese Technologie ein neues Regelwerk geschaffen werden muss. Da ist es beruhigend zu wissen, dass Umweltschutzorganisationen in den Diskurs eingestiegen sind und bereits wichtige Beiträge leisten (z.B. Balbus 2005, Miller 2006). Doch auch die Versicherungswirtschaft ist hellhörig geworden (Hett et al. 2004). Der gesellschaftliche Diskurs und die wissenschaftliche Grundlagenforschung zur Risikobewertung sind unabdingbare Voraussetzungen für eine umwelt-, sozial- und gesundheitsverträgliche Entwicklung der neuen Technologie.
7. ZUSAMMENFASSUNG Die Nanotechnologie verspricht neue Materialeigenschaften und Anwendungen in verschiedensten Bereichen von der Medizin und Kosmetik über H. MOSHAMMER UND P. WALLNER
175
die Messtechnik und den Umweltschutz bis hin zu Bedarfsgegenständen des täglichen Gebrauchs und in der industriellen Produktion. So vielfältig wie die Anwendungen und die Eigenschaften stellen sich die möglichen Risiken für Gesundheit und Umwelt dar. Überraschenderweise ist eine begleitende Technikfolgenabschätzung aber nur sehr unzureichend entwickelt. Gesundheitsrisiken können derzeit weitgehend nur aus Analogieschlüssen abgeschätzt werden. Derartige Analogien bieten sich in zweierlei Hinsicht an: Einerseits gibt es in zunehmendem Ausmaß umweltmedizinische Erkenntnisse über die inhalative Toxizität ultrafeiner Teilchen. Im Gegensatz zu den absichtlich erzeugten und auf spezifische Eigenschaften hin optimierten Nanopartikeln sind die ultrafeinen Teilchen als Luftschadstoffe zumeist ungewollten Ursprungs. Sie entstehen aus Verbrennungsvorgängen sowie anderen chemischen Prozessen, teilweise auch aus gasförmigen Vorläufersubstanzen. Zumindest hinsichtlich der inhalativen Aufnahme erwies es sich, dass Feinstaub bei Abnahme des Teilchendurchmessers und gleichbleibender Gesamtmasse der Teilchen eine deutliche Toxizitätssteigerung erfahren kann bzw. dass bestimmte systemische, toxische und inflammatorische Effekte erst unterhalb einer kritischen Teilchengröße und weitgehend unabhängig von der chemischen Struktur der Teilchen auftreten. Systemische Entzündungsreaktionen wären daher eventuell auch bei anderen Expositionspfaden denkbar. Die inhalative Aufnahme von Nanopartikeln sollte jedenfalls kritisch gesehen werden. Andererseits findet das Schicksal von Pharmaka in der Umwelt zunehmendes Interesse. Wie Nanopartikel sind Medikamente Produkte eines hochtechnologischen Produktionsprozesses mit dem Ziel, größtmögliche und spezifische Wirkung mit geringsten Mengen zu erzielen. Während die Wirkungen und Nebenwirkungen am primären Zielobjekt (Patient) einem ausführlichen Prüfverfahren unterzogen sind, herrscht über das weitere Schicksal noch vielfach Unklarheit. Anreicherung der ursprünglichen Wirksubstanzen, aber auch von Metaboliten mit oft wenig erforschtem Wirkprofil z.B. in Klärschlämmen, aber auch in diversen anderen Umweltmedien wurden gezeigt. Wenigstens für hormonaktive Medikamente konnten Auswirkungen auf die Biologie im Vorfluter gezeigt werden, Antibiotika und Desinfektionsmittel beeinflussen die Klärleistung von Kläranlagen, Zytostatika in der Umwelt werden als Problem erkannt. Zusammenfassend stellen wir somit fest, dass hochaktive Stoffe mit sehr spezifischen Eigenschaften produziert und wenigstens langfristig auch in die Umwelt eingebracht werden, über deren Persistenz und Nebenwirkungen bzw. über deren Effekte bei nicht bestimmungsgemäßem Gebrauch kaum Unterlagen zu finden sind. In manchen Fällen finden sich enge strukturelle Analogien zu bekanntermaßen schädlichen natürlichen Produkten (z.B. Nanotubes – Asbest), welche eine besonders kritische Betrachtung nahelegen.
176
GESUNDHEITSRISIKEN DURCH NANOPARTIKEL
8. LITERATUR UND QUELLENHINWEISE Balbus JM (2005) Protecting workers and the environment: an environmental NGO’s perspective. Vortrag beim „2nd International Symposium on Nanotechnology and Occupational Health“, Minneapolis, 3.–6.10.2005 Beck-Speier I, Dayal N, Karg E, Maier KL, Roth C, Ziesenis A, Heyder J (2001) Agglomerates of ultrafine particles of elemental carbon and TiO2 induce generation of lipid mediators in alveolar macrophages. Environ Health Persp 109: 613–618 Blundell G, Henderson WJ, Price EW (1989) Soil particles in the tissues of the foot in endemic elephantiasis of the lower legs. Ann Trop Med Parasitol 83: 381–385 Bodian D, Howe HA (1941) The rate of progression of poliomyelitis virus in nerves. Bull Johns Hopkins Hosp 69: 79–85 Brüske-Hohlfeld I (2005) Epidemiologie synthetischer Nanopartikel am Arbeitsplatz. Vortrag beim Workshop: Dialog zur Bewertung von Nanopartikeln in Arbeits- und Umweltbereichen, Bonn, 11.–12.10.2005 Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) Vorsicht bei der Anwendung von „Nano-Versiegelungssprays“ mit Treibgas! Presseaussendung 8/2006, 31. März 2006 Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) Ursache für Vergiftungsfälle mit Nano-Spray noch nicht vollständig aufgeklärt. Presseaussendung 10/2006, 12. April 2006 Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) Nanopartikel waren nicht die Ursache für Gesundheitsprobleme durch Versiegelungssprays! Presseaussendung 12/2006, 26. Mai 2006 Corachan M, Tura JM, Campo E, Soley M, Traveria A (1988) Poedoconiosis in Aequatorial Guinea. Report of two cases from different geological environments. Trop Geogr Med 40: 359–364 Creek K, McCawley M (2005) Skin exposure to ultrafine particulate and the link to autoimmune disorders. Vortrag beim „2nd International Symposium on Nanotechnology and Occupational Health“, Minneapolis, 3.–6.10.2005 de Lorenzo AJ (1970) The olfactory neuron and the blood-brain barrier. In: Wolstenholme G, Knight J (Hrsg) Taste and smell in vertebrates. Churchill, London, S 151–176 Derfus AM, Chan WCW, Bhatia SN (2004) Probing the cytotoxicity of semiconductor quantum dots. Nano Lett 4: 11–18 Elder AC, Gelein R, Finkelstein JN, Cox C, Oberdörster G (2000) Pulmonary inflammatory response to inhaled ultrafine particles is modified by age, ozone exposure, and bacterial toxin. Inhal Toxicol 12 Suppl 4: 227–246 Erbe T, Kümmerer K, Gartiser S, Brinker L (1998) Röntgenkontrastmittel, Quelle für die AOX-Belastung durch Krankenhäuser. RöFo Fortschr Röntgenstr 169: 420–423 Foley S, Crowley C, Smaihi M, Bonfils C, Erlanger BF, Seta P, et al (2002) Cellular localisation of a water-soluble fullerene derivative. Biochem Biophys Res Commun 294: 116–119 Fortner JD, Lyon DY, Sayes CM, Boyd AM, Falkner JC, Hotze EM, et al (2005) C60 in water: nanocrystal formation and microbial response. Environ Sci Technol 39 : 4307– 4316 Ghio AJ, Delvin RB (2001) Inflammatory lung injury after bronchial instillation of air pollution particles. Am J Respir Crit Care Med 164: 704–708 Heinrich J, Wichmann HE (2004) Traffic related pollutants in Europe and their effect on allergic disease. Curr Opin Allergy Clin Immunol 4: 341–348 Hett A et al (2004) Nanotechnologie. Kleine Teile – große Zukunft. Schweizerische Rückversicherungsanstalt (Swiss Re), Zürich H. MOSHAMMER UND P. WALLNER
177
Hoshino A, Fujioka K, Oku T, Suga M, Sasaki YF, Ohta T, et al (2004) Physicochemical properties and cellular toxicity of nanocrystal quantum dots depend on their surface modification. Nano Lett 4: 2163–2169 Hunter DD, Dey RD (1998) Identification and neuropeptide content of trigeminal neurons innervating the rat nasal epithelium. Neuroscience 83: 591–599 Hunter DD, Undem BJ (1999) Identification and substance P content of vagal afferent neurons innervating the epithelium of the guinea pig trachea. Am J Respir Crit Care Med 159: 1943–1948 International Commission on Radiological Protection (ICRP) (1994) Human respiratory model for radiological protection. Ann ICRP 24: 1–300 Jani P, Halbert GW, Langridge J, Florence AT (1990) Nanoparticle uptake by the rat gastrointestinal mucosa: quantitation and particle size dependency. J Pharm Pharmacol 42: 821–826 Jani PU, McCarthy DE, Florence AT (1994) Titanium dioxide (rutile) particle uptake from the rat GI tract and translocation to systemic organs after oral administration. Int J Pharm 105: 157–168 Kang SK, Burnett CA, Freund E, Walker J, Lalich N, Sestito J (1997) Gastrointestinal cancer mortality of workers in occupations with high asbestos exposures. Am J Ind Med 31: 713–718 Kennedy P, Chaudhuri A (2002) Herpes simplex encephalitis. J Neurol Neurosurg Psychiatry 73: 237–238 Kjaerheim K, Ulvestad B, Martinsen JI, Andersen, A (2005) Cancer of the gastrointestinal tract and exposure to asbestos in drinking water among lighthouse keepers (Norway). Cancer Causes Control 16: 593–598 Kuhlbusch TAJ, Fissan H (2005) Messtechnische Möglichkeiten und Grenzen der Bestimmung von Nanopartikeln. Vortrag beim Workshop: Dialog zur Bewertung von Nanopartikeln in Arbeits- und Umweltbereichen, Bonn, 11.–12.10.2005 Kümmerer K (2000) Drugs, diagnostic agents and disinfectants in waste water and water – a review. In: Water, Sanitation and Health. Resolving conflicts between drinking water demands and pressures from society’s wastes. Schriftenreihe des Vereins für Wasser-, Boden- und Lufthygiene, Berlin, 105: 59–71 Kümmerer K (2005) Ecopharmacology – a new important topic for pharmacovigilance. Drug Safety 28: 945–946 Lam CW, James JT, McCluskey R, Hunter RL (2004) Pulmonary toxicity of single-wall carbon nanotubes in mice 7 and 90 days after intratracheal instillation. Toxicol Sci 77: 126–134 Lambert AL, Mangum JB, DeLorme MP, Everitt, JI (2003) Ultrafine carbon black particles enhance respiratory syncytial virus-induced airway reactivity, pulmonary inflammation, and chemokine expression. Toxicol Sci 72: 339–346 Lanki T, de Hartog JJ, Heinrich J, Hoek G, Janssen NAH, Peters A, et al (2006) Can we identify sources of fine particles responsible for exercise-induced ischemia on days with elevated air pollution? The ULTRA Study. Environ Health Perspect 114: 655–660 Mercer RR, Scabilloni J, Kisin E, Shvedova AA, Castranova V (2005) Diffuse fibrotic response due to deposition of submicron single walled carbon nanotubes. Vortrag beim „2nd International Symposium on Nanotechnology and Occupational Health“, Minneapolis, 3.–6.10.2005 Miller G (2006) Nanomaterials, sunscreens and cosmetics: small ingredients, big risks. A report prepared for Friends of the Earth Australia and Friends of the Earth United States, May 2006. http://nano.foe.org.au 178
GESUNDHEITSRISIKEN DURCH NANOPARTIKEL Moshammer H, Neuberger M (2004) Lung cancer and dust exposure: results of a prospective cohort study following 3260 workers for 50 years. Occup Environ Med: 157– 162 Oberdörster G (2005) Neuronal translocation of inhaled nanoparticles to the brain: cause for concern? Vortrag beim „2nd International Symposium on Nanotechnology and Occupational Health“, Minneapolis, 3.–6.10.2005 Oberdörster G, Sharp Z, Atudorei V, Elder A, Gelein R, Kreyling W, et al (2004) Translocation of inhaled ultrafine particles to the brain. Inhal Toxicol 16: 437–445 Oberdörster G, Oberdörster E, Oberdörster J (2005) Nanotoxicology: an emerging discipline evolving from studies of ultrafine particles. Environ Health Perspect 113: 823–839 Petschow U (2005) Umweltentlastungspotenziale und Nachhaltigkeitsaspekte von Nanotechnologien. Vortrag beim Workshop: Dialog zur Bewertung von Nanopartikeln in Arbeits- und Umweltbereichen, Bonn, 11.–12.10.2005 Pinkerton KE, Zhou YM, Teague SV, Peake JL, Walther RC, Kennedy IM, et al (2004) Reduced lung cell proliferation following short-term exposure to ultrafine soot and iron particles in neonatal rats: key to impaired lung growth? Inhal Toxicol 16 Suppl 1: 73–81 Rahman Q, Lohani M, Dopp E, Pemsel H, Jonas L, Weiss DG, et al (2002) Evidence that ultrafine titanium dioxide induces micronuclei and apoptosis in syrian hamster embryo fibroblasts. Environ Health Persp 110: 797–800 Rancan F, Rosan S, Boehm F, Cantrell A, Brellreich M, Schoenberger H, et al (2002) Cytotoxicity and photocytotoxicity of a dendritic C(60) mono-adduct and a malonic acid C(60) tris-adduct on Jurkat cells. J Photochem Photobiol B 67: 157–162 Ross R, Dworsky R, Nichols P, Paganini-Hill A, Wright W, Koss M, et al (1982) Asbestos exposure and lymphomas of the gastrointestinal tract and oral cavity. Lancet 2 (8308): 1118–1120 Royal Society (2004) Nanoscience and nanotechnologies: opportunities and uncertainties. The Royal Society and The Royal Academy of Engineering, London. www.nanotec. org.uk/finalreport.htm Rushton EK, Oberdörster G, Finkelstein J (2005) Nanoparticles are capable of producing reactive oxygen species, upregulation of inflammatory cytokine expression and causing increased cytotoxicity. Vortrag beim „2nd International Symposium on Nanotechnology and Occupational Health“, Minneapolis, 3.–6.10.2005 Sayes C, Fortner J, Guo W, Lyon D, Boyd AM, Ausman KD, et al (2004) The differential cytotoxicity of water-soluble fullerenes. Nano Lett 4: 1881–1887 Scharf S, Gans O, Sattelberger R (2002) Arzneimittelwirkstoffe im Zu- und Ablauf von Kläranlagen. Umweltbundesamt Wien, Bericht BE-201 Schlumpf M, Conscience M, Cotton B, Durrer S, Maerkel K, Fleischmann I, et al (2002) Hormonaktive Chemikalien im Wasser am Beispiel UV-Filter. Ökoskop 2/02: 4–9 Semmler M, Seitz J, Erbe F, Mayer P, Heyder J, Oberdörster G, et al (2004) Long-term clearance kinetics of inhaled ultrafine insoluble iridium particles from the rat lung, including transient translocation into secondary organs. Inhal Toxicol 16: 453–459 Shvedova AA, Kisin ER, Mercer R, Murray AR, Johnson VJ, Potapovich AI, et al (2005) Unusual inflammatory and fibrogenic pulmonary responses to single-walled carbon nanotubes in mice. Am J Physiol Lung Cell Mol Physiol 289: L698–L708 Simeonova PP, Li Z, Luster MI, Shvedova A, Salmen R, Hulderman T (2005) Carbon nanotube exposure and cardiovascular outcomes. Vortrag beim „2nd International Symposium on Nanotechnology and Occupational Health“, Minneapolis, 3.–6.10.2005 H. MOSHAMMER UND P. WALLNER
179
Terasaki S, Kameyama T, Yamamoto S (1997) A case of zoster in the 2nd and 3rd branches of the trigeminal nerve associated with simultaneous herpes labialis infection – a case report. Kurume Med J 44: 61–66 Tinkle SS, Antonini JM, Rich BA, Roberts JR, Salmen R, DePree K, et al (2003) Skin as a route of exposure and sensitization in chronic beryllium disease. Environ Health Perspect 111: 1202–1208 Warheit DB, Laurence BR, Reed KL, Roach DH, Reynolds GAM, Webb TR (2004) Comparative pulmonary toxicity assessment of single-wall carbon nanotubes in rats. Toxicol Sci 77: 117–125 Wichmann H-E, Spix C, Tuch T, Wolke G, Peters A, Heinrich J, et al (2000) Daily mortality and fine and ultrafine particles in Erfurt, Germany. Part I: role of particle number and particle mass. Res Rep Health Eff Inst 98: 5–86 Yamago S, Tokuyama H, Nakamura E, Kikuchi K, Kananishi S, Sueki K, et al (1995) In vivo biological behavior of a water-miscible fullerene: C14 labeling, absorption, distribution, excretion and acute toxicity. Chem Biol 2: 385–389 Yamakoshi Y, Umezawa N, Ryu A, Arakane K, Miyata N, Goda Y, et al (2003) Active oxygen species generated from photoexcited fullerene (C60) as potential medicines: O2-* versus 1O2. J Am Chem Soc 125: 12803–12809 Zhang Q, Kusaka Y, Zhu X, Sato K, Mo Y, Kluz T, et al (2003) Comparative toxicity of standard nickel and ultrafine nickel in lung after intratracheal instillation. J Occup Health 45: 23–30
180
UMWELTEPIDEMIOLOGIE UND TOXIKOLOGIE VON NANOPARTIKELN (ULTRAFEINSTAUB) UND FEINSTAUB M. NEUBERGER
Quellen, Pfade, Toxikokinetik und -dynamik von Umweltaerosolen hängen von ihrer Korngröße ab. Von ernsten Gesundheitsschäden durch kleine Partikel sind das Herz-Kreislauf-System und die Atmungsorgane betroffen. Da keine Wirkschwellen existieren, muss die Belastung in allen dichter besiedelten Gebieten reduziert werden, unabhängig von der Ausgangskonzentration. Gegenwärtig wird die Belastung unserer Atemluft durch Verbrennungsprozesse dominiert, vor allem durch KfzVerkehr und Tabakrauch. Zukünftige Belastungen durch neue Technologien könnten die bestehenden Risken erhöhen. Schlüsselworte: Nanopartikel, Feinstaub, Umwelt, Epidemiologie, Toxikologie
Environmental epidemiology and toxicology of nano(ultrafine) and fine particles Sources, pathways, tokicokinetics and toxicodynamics of environmental aerosols differ with size. Serious health effects of small particles have been found on the cardiovascular and respiratory system. Because defined thresholds for effects of fine particulate matter are lacking, population-weighted reductions are necessary everywhere, irrespective of initial concentrations. Current exposures are dominated by combustion sources, in particular motor vehicle traffic and tobacco smoke. Future exposures from new technologies could add to present risks. 181
Keywords: Nanoparticle, fine particulate matter, environment, epidemiology, toxicology
1. HERKUNFT, UMWANDLUNG UND AUFNAHME Als Ultrafeinstaub (UF) wird ein Aerosol mit Korngrößen bis zu einem aerodynamischen Durchmesser von 100nm bezeichnet. UF ist im Feinstaub (bis 2,5 µm), dieser ist im Thoraxstaub (lungengängiger Staub, bis 10 µm) und dieser wiederum im Gesamtschwebstaub (TSP, inhalierbarer Staub, bis ca. 30 µm) enthalten. In der Natur gibt es keine scharfen Abgrenzungen der Fraktionen. Denn aus den Nanopartikeln, die durch Nukleation und Kondensation aus der Gasphase oder bei Verbrennungsvorgängen und chemischen Reaktionen entstehen, koagulieren die Feinstäube. Grobstäube (> 2,5 µm) in unserer Atemluft entstehen eher durch mechanische Zerkleinerung, Erosion, Aufwirbelung und Windverfrachtung von Erdkrustenbestandteilen, Sedimentstaub, Seesalz, Pollen, Pilzsporen etc. Der Massenanteil des UF in unserer Atemluft beträgt nur etwa 0,7%, macht aber ca. 73% der Teilchenzahl aus. Die Lebenszeit der meisten UFTeichen beträgt nur Minuten, während sie nach ihrer Akkumulation zu Feinstaub eine Lebenszeit von Wochen haben. Etwa 61% der Partikelmasse und 27% der Partikelzahl findet sich im Bereich zwischen 100 und 500 nm. Je kleiner ein Teilchen, desto größer ist der Anteil der Oberflächenmoleküle an seiner Gesamtmolekülzahl. Diese Oberflächenmoleküle können am leichtesten mit Zellmembranen und anderen biologischen Strukturen in Kontakt treten. Belebte Nanopartikel, gegen die schon unsere tierischen Vorfahren Abwehrmechanismen entwickeln mussten, sind die Viren. Abgesehen von Vulkanausbrüchen und Waldbränden bescherte uns aber erst die Zähmung des Feuers eine Belastung mit UF aus Verbrennungsprozessen, gegen die wir in der entwicklungsgeschichtlich kurzen Zeit noch kein gutes Abwehrsystem entwickelt konnten. Dagegen entstand schon in vormenschlicher Zeit ein potentes Abwehrsystem gegen die weitverbreiteten Erosionsstäube. Diese Grobstäube sind nur kurz schwebefähig, dringen auch weniger tief in die Atemwege vor und werden nach ihrer Deposition auf der Schleimhaut innerhalb von 24 Stunden auf einem durch Flimmerhärchen bewegten Schleimteppich aus den Atemwegen entfernt. Dagegen dringt der lange schwebefähige UF (z.B. Dieselruß oder Tabakrauch) tiefer in die Atemwege und bis in die Lungenbläschen vor, die kein Flimmerepithel besitzen und nur langsam von Makrophagen1 gereinigt werden können. Während gröbere Stäube im Nasenrachenraum (Oberfläche 0,05 m²), Luftröhre und Bronchien (Ober1 Fresszelle, die Fremdpartikel aufnimmt und auf dem Atem-, Blut- oder Lymphweg abtransportiert.
182
UMWELTEPIDEMIOLOGIE UND TOXIKOLOGIE VON NANOPARTIKELN
fläche 0,27 m²) abgeschieden werden, kommt UF in den Bronchiolen mit 7,5 m² Schleimhaut in Kontakt und in den Lungenbläschen mit fast 100 m² einer nur zweilagigen Zellschicht, die direkt ins Blut und von dort in alle Organe führt, ohne dass – wie bei Resorption im Darm – ein Leberfilter zur Entgiftung vorgeschaltet wäre. Am Rezeptor ist beim Grobstaub die Masse für die Toxizität ausschlaggebend, bei unlöslichen Feinstäuben die Oberfläche und bei UF die Teilchenzahl. Bei Faserstäuben wie Asbest wird die Gefährlichkeit deshalb schon lange nicht mehr durch Wägung der Masse, sondern durch Zählung der Partikel bestimmt. Bei nicht-faserförmigen Stäuben fehlen dzt. noch Routineverfahren der Überwachung, welche die Teilchenzahl oder ihre aktive Oberfläche erfassen. Während das Depositionsmaximum im Alveolarbereich um 20 nm und im Tracheobronchialbereich um 5 nm liegt, werden im Nasenrachenraum und Kehlkopf die kleinsten und die größten Partikel am effizientesten abgeschieden (Depositionsminimum um 50 nm). Selbst im Nasenrachenraum können sehr kleine Partikel das Gewebe durchdringen und auf dem Blutweg in alle Organe oder direkt entlang der Riechnerven ins Gehirn gelangen. Partikel um 50 nm werden nur gering im Nasenrachenraum abgeschieden, sind aber auf Grund ihrer Oberflächenreaktivität und Migrationsfähigkeit trotz ihrer geringen Masse besonders gefährlich. Feste Partikel werden in der Atemluft zwar meist als Agglomerate gefunden, die weniger gefährlich sind als die Einzelpartikel, diese werden aber nur durch Van der Waals- Kräfte zusammengehalten und können im Organismus leichter dissoziieren als Aggregate durch chemische oder Sinterbindungen. In der Lunge sind vor allem durch unlöslichen UF Spätfolgen zu erwarten. So kommt es z.B. nach Asbeststaubinhalation zu Asbestose und Lungenkrebs und – nach jahrzehntelanger Latenz – zu Rippen- und Bauchfellkrebs, letzteres vor allem durch Amphibolasbeste (Krokydolith, Amosit), die säurebeständig und lungenpersistent sind (Neuberger 1989). Am Arbeitsplatz entsteht UF durch hohe Temperaturen (z.B. Aluminiumschmelzer, Schweißer), wobei die Zeit von einer Schicht bis zur nächsten oft für die Koagulation von UF mit gröberen Stäuben nicht ausreicht und die Gefahr kumulativer Anreicherung von UF in der Atemluft besteht. UF in der Umwelt hat mehr Zeit mit Feinstaub und gröberen Stäuben zu koagulieren, wird nur bei spezieller Produktionstechnik (wie am Arbeitsplatz) tagelang verweilen und wird daher meist nur quellnahe (z.B. an Straßen, neben Rauchern etc.) als UF eingeatmet. Bei der Staubbekämpfung in der Umwelt ist damit zu rechnen, dass die (technisch einfachere) Entfernung von Grobstäuben zunächst zu einer Zunahme der UF-Konzentration führt, weil Grobstaub als Adsorber von UF wegfällt. Im Gegensatz zu den bisher anthropogen verursachten polydispersen Nanopartikeln kommt es bei den monodispersen Produkten der modernen Nanotechnologie nicht schon bei der Produktion zur Aggregation, sondern die Agglomeration findet erst in der Atmosphäre statt. Besonders M. NEUBERGER
183
problematisch sind Nanotechnologien, die Agglomerationen durch Beschichtungen verhindern, aus Kataysatoren und Radikalbildnern bestehen (z.B. Übergangsmetalle) und die in Publikumsprodukten in die Atemluft gelangen (z.B. Autoreifenabrieb, Waschmaschinen mit Nanosilber, 2 Sprays etc.).
2. TIEREXPERIMENTELLE BEFUNDE Schon Timbrell et al. (1988) hatten die Oberfläche verschiedener Asbestfasern als die für chronische Entzündung und Fibrose entscheidende Eigenschaft bezeichnet. Erst in jüngster Zeit werden auch Oberflächenmessungen zur Beurteilung der Gefährlichkeit nicht-faserförmiger Stäube eingesetzt (Moshammer et al. 2004). Tierversuche zeigten eine starke Zunahme der pulmonalen Entzündungsfolgen (Leukozytenvermehrung in der Lungenspülflüssigkeit) mit Abnahme der Partikelgröße von TiO2 von 200 auf 20 nm, aber gleichstarke Entzündung bei gleicher Partikeloberfläche (Oberdörster), wiesen aber auch auf zusätzliche Einflüsse der Kristallinität u.a. physikochemischer Eigenschaften hin (zum Beispiel die starke Bildung von O2-Radikalen und die Makrophagenaktivität durch Cu-Nanopartikel). Fresszellen werden durch sehr kleine Partikel kaum chemotaktisch angelockt, sodass ihre Verweilzeit in den Atemwegen länger ist und sie leichter ins Zwischengewebe der Lunge und ins Blut gelangen. Die Oberfläche der Partikel ist für ihren Weitertransport im Organismus entscheidend. Kunststoffpartikel (Polystyren) werden z.B. erst nach Beschichtung mit Lezithin auf bestimmte Blutzellen übertragen. Auch eine Translokation ins Gehirn kann durch Beschichtung ermöglicht werden. Selbst unbelebte Nanoteilchen können (wie Poliomyelitis- oder Herpesviren) entlang von Nervenscheiden wandern und in die Zellen und sogar bis in den Zellkern eindringen. Besonders die Wanderung von Nanoteilchen entlang der Riechnerven bis in den Bulbus olfactorius des Gehirns wurde an Affen für Gold und an Ratten für 13C und Mangandioxid nachgewiesen. Beim Morbus Parkinson der Schweißer als Berufskrankheit dürfte zwar die pulmonale Mn-Aufnahme über das Blut ins Gehirn eine Rolle spielen, aber allgemein ist davon auszugehen, dass die Umgehung der Blut-Liquor- und Blut-Hirn-Schranke bei Aufnahme über die Riechnerven zu höheren Schadstoffbelastungen im Gehirn führt (Elder et al. 2006). Eine weitere, direkte Eintrittsstelle für Nanopartikel ins Gehirn ist das Auge. Ein Versuch mit 55Au <39 nm beweist das Eindringen in den Zellkern, wo sich 1,4 nm kleine Goldteilchen irreversibel in die Erbsubstanz einlagerten (Tsoli et al. 2006). Tierexperimente mit konzentrierter Umgebungsluft, wiesen auf Vanadium und Lanthan als Indikatoren für biologisch aktive Komponenten anorganischer Stäube hin (Gordon) und ein hoher Anteil elementaren Koh2
184
www.strategiy.com/printer.asp?cat=news&id=20051019075848.
UMWELTEPIDEMIOLOGIE UND TOXIKOLOGIE VON NANOPARTIKELN
lenstoffs unter Einfluss von Dieselabgas wurde mit einer stärkeren immunologischen Wirkung und IgE-Vermehrung in einem Mausmodell in Zusammenhang gebracht (Gilmour). Chemisch gleichartige Stäube verhielten sich in Bezug auf die Freisetzung von IL-63 entsprechend ihren Oberflächen (Schwarze), allerdings nicht in ihrer Wirkung auf die Apoptose (programmierter Zelltod), wobei z.B. eine stärkere Wirkung von nichtkristallinem Mikroquarz beobachtet wurde. Bei höheren Anteilen von Bremsabrieb (Ba, Cu) waren entzündliche Wirkungen des Feinstaubs und cytotoxische des Grobstaubs stärker (Cassee). Allerdings hing die Entzündung eher vom Gehalt an Übergangsmetallen ab. Die relativ hohe Zytotoxizität von Stäuben aus Prag wurde mit ihrem hohen Gehalt an UF sowie Indikatoren der Kohleverbrennung (As) und Ölverbrennung (Ni, V) in Zusammenhang gebracht, aber die inflammatorische Wirkung von Stäuben aus Barcelona und Athen war größer, wo aus EC und Zn auf hohen Verkehrsanteil geschlossen wurde und wo vielleicht Organica in Gegenwart katalytischer Metalle oxidiert werden (Salonen). Eine Hemmung der Acetylcholin-induzierten Relaxation der Aorta (bei Erhalt der NO-Wirkung), Abnahme der Blutungszeit, Thrombozytenvermehrung und sP-Selectin-Zunahme sowie Zunahme der Größe eines artifiziellen Infarktes (Cascio) wurde in Zusammenhang mit oxidativem Stress diskutiert, wobei jedenfalls Fehlfunktionen der Gefäßinnenauskleidung und die Aktivierung von Gerinnungsfaktoren eine zentrale Rolle bei UF-Wirkungen auf das Herz-Kreislaufsystem spielen und auch chronische Wirkungen auf das Renin-Angiotensin-System4 nicht auszuschließen sind. McDonald fand tierexperimentell eine stärkere Inhalationstoxizität verdünnter Kfz-Abgase im Vergleich zu Holzrauch u.a. Stäuben. Besonders toxische Emissionen produzierte der Kaltstart. Beim Ottomotor verschwand die inflammatorische Wirkung durch Filterung nicht, war also durch die Gasphase verursacht. Dagegen ließ sich durch Filterung die Reduktion der Bakterienabwehr und die Leukozytose in der Lungenspülflüssigkeit z.T. aufheben und die Eosinophilie verschwand völlig. Beim Diesel standen kardiovaskuläre und Gerinnungswirkungen der Partikelphase im Vordergrund. Kleinman untersuchte tierexperimentell je 400 µg/m³ von PM2.5 und PM0.15 aus Los Angeles (konzentrierte Umgebungsluft, gesammelt nahe Stadtautobahnkleeblatt mit starkem LKW-Verkehr) und fand nur durch straßennahe gesammelten Feinstaub (in 50 m, nicht aber in 150 m Entfernung von der Straße in Windrichtung) eine Erhöhung von Granulozyten, Immunglobulin G1 und Interleukin-5, wobei letztere eine Dosis-Wirkungsbeziehung mit elementarem und organischem Kohlenstoff zeigten. Kleinman führte die Unterschiede auf einen nicht massenabhängigen toxischen Faktor zurück, der sehr mobil ist und zwischen 50 und 150 m verschwindet. 24–26 Monate alte Ratten zeigten zu3 4
Ein Zytokin oder Botenstoff. Hormon-System zur Blutdruckregulation.
M. NEUBERGER
185
sätzlich einen Anstieg von Herzfrequenz und Blutdruck, mehr freie Radikale in Makrophagen und mitogenaktivierte Proteinkinase im Lungenhomogenisat. Bei Hunden mit artifizieller Koronarstenose kam es durch Atmung von konzentrierter Umgebungsluft zu EKG-Veränderungen wie bei drohendem Infarkt (Wellenius et al. 2003). Langzeitexperimente mit schlecht löslichen Stäuben hatten bei Ratten zu Lungentumoren geführt, wobei die Teilchengröße eine entscheidende Rolle spielte (Heinrich). So verursachten z.B. 20 nm große TiO2-Partikel viel mehr Tumore als 200nm große. Bei Tumoren im Tierversuch spielt die Inflammation eine zentrale Rolle. Amorphes SiO2 (im Gegensatz zu kristallinem Quarz) führt deshalb nur in sehr hoher Dosis und nach langer Latenzzeit zu Tumoren. Während 0,4 mg/m³ von Dieselruß, dessen C-Kerne für Sauerstoffradikalbildung, DNA-Oxidation und -nitrierung verantwortlich sind, bei der Ratte noch keine Metaplasie5 im Bronchialepithel auslöst, scheint die krebsauslösende bzw. -fördernde Dosis beim Menschen deutlich geringer zu sein, da bei seiner langen Lebenszeit viel mehr Zellen betroffen sind und die karzinogene Wirkung nicht – wie bei den hohen Dosen der Ratte – überwiegend auf chronisch entzündliche Vorgänge, sondern auch auf direkt in Epithelzellen aufgenommene Rußteilchen zurückführbar sein dürfte. Dabei scheint es zu überadditiven Kombinationswirkungen der Träger-Rußkerne mit oberflächlichen Polyaromaten – PAH zu kommen, besonders mit Dinitro-PAH und dem dieselspezifischen 3-Nitrobenzanthron, das ein potentes Mutagen ist. Noch ist unklar, ob die Katalysatoren die karzinogene Dieselrußwirkung vermindern (durch Reduktion der PAH) oder erhöhen (durch höheren UF-Anteil, der in Epithelzellen gelangt) und ob neben dem Ruß auch Stickstoffdioxid (NO2) und die Kondensationsaerosole des Dieselabgases reduziert werden müssen, um krebsfördernde Wirkungen zu verhindern. Mutagene und Karzinogene wie das ubiquitäre Benzo(a)pyren sind in Nano-Dosen und das im Dieselabgas enthaltene 3-Nitrobenzanthron schon in Pico-Dosen pro m³ Umgebungsluft wirksam. Der Grenzwert der U.S. Umweltschutzbehörde für Dieselabgas von 5 µg/ m³ ist aus nichtkarzinogenen Wirkungen an der Ratte (Entzündung) abgeleitet, denn das Krebsrisiko des Menschen wäre aus den Rattenversuchen nicht ableitbar und wird sich an Ergebnissen der epidemiologischen Forschung orientieren müssen. Das Lungenkrebsrisiko des Menschen durch Dieselabgas erwies sich bei Studien an belasteten Arbeitsplätzen bei vergleichbarer Dosis als mindestens 7-mal höher als das der Ratte. Unbefriedigend geklärt ist bisher die Frage der Kombinationswirkung mit Tabakrauch und andere Begleitexpositionen des Menschen. PAH bzw. daraus im Stoffwechsel gebildete Epoxide scheinen jedenfalls essenziell zu sein, um Mutationen durch Rußpartikel auszulösen (Schins), die aber großteils wieder 5
186
Reversible Gewebsumwandlung als Vorstufe der Krebsentstehung.
UMWELTEPIDEMIOLOGIE UND TOXIKOLOGIE VON NANOPARTIKELN
repariert werden. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass ein Teil der lungenunlöslichen Dieselrußpartikel – ähnlich wie z.B. Asbestpartikel – nicht nur zur Entzündung, sondern auch zu oxidativen DNA-Schäden führt, die nicht vollständig repariert werden. Kritisch könnten vor allem Partikel sein, die zu bleibenden Mutationen führen (z.B. Eisensulfatpartikel über OH-Radikale). Neben der DNA-Reparatur sind aber auch die Apoptose (programmierter Zelltod) oder der Stillstand des Zellzyklus in der Lage, die Krebsentstehung nach DNA-Schäden zu verhindern. Sauerstoff- und Stickstoffradikale führen nicht nur zu DNA-Schäden, sondern auch zur Zellproliferation. Die besondere Wirkung von Tabakrauch dürfte nicht nur mit der Mischung von etwa 60 Karzinogenen zusammenhängen, sondern auch mit Nikotin, das die Apoptose hemmt und die Zellproliferation fördert (Parzefall et al. 2005). Bei Titandioxid, das in weißglänzenden Farbpigmenten, Kosmetika (UVLippenschutz), Kunststoffen, Papier, Lebensmitteln etc. Verwendung findet, wird – wie bei anderen schlecht löslichen Partikeln mit geringer Toxizität – die Entzündungsreaktion und Tumorrate durch die Oberfläche bestimmt (Dankovic). Bei Ratten traten Lungentumore nach 10 mg UF/m³ auf (bzw. 250 mg Feinstaub/m³). Extrapoliert man die Entzündungsschwelle bei der Ratte, erhält man als äquivalente Lungendosis beim Menschen 1 bis 6 mg Feinstaub/m³ und 0.1 bis 0.6 mg UF/m³. Extrapoliert man die Tumordosis bei der Ratte, erhält man als äquivalente Lungendosis im linearen Modell 15–30 mg Feinstaub/m³ pro m²/g Lunge und eine Schwellendosis von 0.1– 0.2 mg/m³; im Mehrstadienmodell ergab sich 0.2 mg/m³ (mit einem unteren 95% Vertrauensintervall von 0.014) für Feinstaub und für UF 1/10 davon. Als Grenzwert hat NIOSH 1.5 ng Feinstaub/m³ in Aussicht gestellt (Entwurf). Die evt. stärkere Wirkung beschichteter Titandioxid-Partikel ist dabei noch ebenso wenig berücksichtigt wie epidemiologische Befunde (Boffetta fand erhöhte Lungenkrebsraten beim Menschen: SMR 1.13, KI 1.10–1.38, aber ohne Dosisabhängigkeit). Von der Internationalen Krebsforschungsagentur (IARC) wurde Titandioxid in „2B“ (möglicherweise krebsfördernd für den Menschen) eingestuft, weil die Studien von Boffetta (2004) und Fryzek (2003) einander widersprachen und im Tierversuch nur Epitheliome, aber keine Malignome gefunden wurden (Baan). Auch durch faserförmiges p-Aramid (Kevlar ®) entstanden im Tierversuch derartige Tumore, von denen noch nicht endgültig geklärt ist, ob sie sich bei der längeren Lebenszeit des Menschen in Plattenepithelkarzinome des Bronchus weiterentwickeln könnten. Andere organische Fasern wurden noch gar nicht in einem Langzeit-Inhalationsversuch getestet, obwohl sie bereits weitverbreitete Verwendung finden und in der Lunge ebenso persistent sind wie Asbest. Spezielle Glasfasern und keramische Fasern, für die noch keine ausreichenden Erfahrungen beim Menschen vorliegen und die im Tierversuch zu Krebs führten, sind unter „2B“ eingestuft, ebenso die (nicht-faserförmigen) Kohlenstoffpartikel, die in der Gummi- und Reifenindustrie Verwendung finden. DaM. NEUBERGER
187
gegen gibt es für lungengängige Kohlenstoff- und Graphitfasern 6 , Fullerene und Nanoröhren noch keine Bewertung der IARC. Kohlenstoffnanoröhren erwiesen sich im Tierversuch als besonders lungenschädigend (Tsuji et al. 2006). Parallelen zu Asbest- oder Keramikfasern zeigten sich bei oxidativem Stress, Entzündung und Lungenfibrose und auch die nach Inhalation von Kohlenstoffnanoröhren entstehenden Lungengranulome sind Anlass zur Sorge (Donaldson et al. 2006).
3. EXPERIMENTELLE BEFUNDE AM MENSCHEN Beim Menschen nimmt die Deposition von UF in den Atemwegen mit der Atemtiefe zu und mit der Atemfrequenz ab. Bei Arbeit nahm sie von 62 auf 82% zu (Utell). Kleinere Teilchen werden insgesamt stärker deponiert, besonders in zentralen Atemwegen. Patienten mit Asthma oder chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen weisen eine höhere Depositionsrate auf. Fraglich erscheint noch die nach Atmung von Technetium-markierten 5–20 nm Kohlenstoffteilchen (Technegas®) beschriebene Partikelwanderung (Nemmar et al. 2002) mit Anreicherung im Blut (Aktivität über Leber und Milz), da die Partikel überwiegend über Lunge und Blase detektiert wurden (Mills et al. 2006). Nach Tierversuchen von Oberdörster (2002) wird auch für inhalierte Kohlenstoffasern eine Translokation in die Leber vermutet. UF enthält mehr polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAH), die zum Teil karzinogen sind und die durch Turbulenz und Impaktion besonders an den Verzweigungsstellen des Bronchialbaumes abgeschieden werden. UF schädigt Mitochondrien stärker als Feinstaub. UF hat akut keine Reizwirkung auf die Schleimhäute des Atemtraktes, die Lungenfunktionsstörungen sind gering und die Verminderung des Transferfaktors (21 h nach 50 µg C pro m³) wird nicht auf eine Diffusionsstörung, sondern auf eine Verteilungsstörung durch die endotheliale Dysfunktion mit geringerer Perfusionssteigerung bei Belastung zurückgeführt (Utell). Ausschlaggebend ist die Verminderung der NO-Wirkung, die sich als Abnahme des venösen Nitrats 0–45 Std nach UF-Inhalation nachweisen lässt. Möglicherweise ist auch die Abnahme der ICAM-1-Expression der Monozyten darauf zurückzuführen, dass nach UF-Inhalation weniger Leukozyten die Lunge passieren, da sie schwerer durch die Kapillaren kommen (Utell). Die Inhalation von UF führt akut beim Menschen nicht wie bei der Ratte zu einer Inflammation der Lunge, sondern hat primär extrapulmonale Folgen, besonders am Herzen (Abb. 1) sowie über Blut und Leber am Gerinnungssystem. Pekkanen wies z.B. bei Koronarpatienten EKG-Veränderungen (ST-Strecken-Senkung als Ischämiezeichen) bei körperlicher Belastung und UF-Inhalation nach. Atemschutzmasken können die garantierten 6
188
www.inchem.org/documents/ehc/ehc/ehc151.htm.
UMWELTEPIDEMIOLOGIE UND TOXIKOLOGIE VON NANOPARTIKELN
Abb. 1. Mögliche akute und chronische Mechanismen zwischen partikulärer Luftbelastung und kardiovaskulären Krankheiten; modifiziert nach Brook et al. (2004) und Fromme et al. (2005)
Abscheideraten nur bei sehr gutem Maskensitz einhalten (z.B. nach Entfernung eines Bartes). Samet testete konzentrierte Umgebungsluft (20-fache Anreicherung von UF, Fein- und Grobstaub) an jungen Nichtrauchern. Nach Grobstaub blieb die Lungenfunktion (inkl. Transferfaktor) unverändert, aber in der Lungenspülflüssigkeit stiegen die Granulozyten und das Gesamtprotein fiel. Feinstaub führte zum Abfall von Atemspitzenfluss, Anstieg von Segmentkernigen und Monozyten in der Lungenspülflüssigkeit und Abfall von IL-8. Im Plasma stieg das Fibrinogen. UF führte zu keinen Veränderungen von Lungenfunktion und Lungenspülflüssigkeit, aber geringfügigen Kreislaufreaktionen. Kurze UF Expositionen ohne gasförmige Begleitschadstoffe an M. NEUBERGER
189
jungen, gesunden Probanden hatten also nur geringe Wirkungen ohne erkennbare Dosis-Wirkungs-Beziehung. Auch bei 2-stündiger Einatmung von Kohlenstoffpartikeln (10–50 µg UF/m³) unter Belastung und 21 Stunden nach Belastung wurden an gesunden Probanden keine Symptome, Lungenfunktionsstörungen, Entzündungszeichen oder EKG-Veränderungen nachgewiesen (Frampton), sondern nur eine Zunahme der Adhäsionsmoleküle auf Leukozyten (L-Selektin, P-Selektin). Die physiologische Zunahme von CD54 bei Arbeit wurde ab 10 µg UF/m³ vermindert, was auf eine verlängerte Lungenpassage der Monozyten zurückzuführen sein dürfte. Nach 50 µg UF/m³ und Okklusion der Armarterie kam es zu einer Verminderung der physiologischen Reaktion auf Arbeit bzw. NO. Diese Experimente an Gesunden mit artifiziellem UF können nicht ausschließen, dass es bei Asthmatikern (größere Deposition) bzw. Verwendung von Umweltstäuben zu stärkeren Reaktionen kommt. Mills fand bei 15 gesunden Nichtrauchern, dass verdünntes Dieselabgas (300 µg/m³) die Erweiterung der Armarterie durch Na-Nitroprussid und Bradykinin hemmt. Dagegen zeigten 12 Patienten mit ischämischen Herzkrankheiten im Vergleich zu 12 gesunden Nichtrauchern diesen Effekt nicht, nachdem sie konzentrierte Umgebungsluft (190 µg PM10/m³) geatmet hatten. Allerdings war die für diese Versuche 10-fach konzentrierte Luft in Edinburgh gesammelt worden, wo das Aerosol einen relativ hohen NaCl-Gehalt hat, woraus nicht auf Reaktionen in Städten mit hohem Verkehrs- und Dieselanteil geschlossen werden kann. Als Pathomechanismus der beeinträchtigten Gefäßerweiterung wurden Zunahme von O2-Radikalen und NO-Verbrauch diskutiert. 6–24 h nach Inhalation von Dieselabgas scheint es zur Entzündung (in der Lunge, aber nicht systemisch) zu kommen, wobei allerdings auch die endogene Fibrinolyse gestört sein könnte. Diaz-Sanchez fand in Kammerexperimenten vergleichbare Veränderungen von IL-6, IL-8, GM-CSF, TNF-Alpha, Tryptase, Zellzahl in der Nasenspülflüssigkeit und Lungenfunktion (FEV1) nach Dieselabgas (100 µg/ m³) und Passivrauchen (5 Zigaretten, 2 Std, < 5 ppm CO). Er weist darauf hin, dass individuell unterschiedliche IgE-Antworten auf Dieselabgas noch nach Jahren reproduzierbar sind. Nach Xiao et al. (2003) sind diese Wirkungen von Dieselabgas und Tabakrauch über oxidativen Stress erklärbar und die größere Empfindlichkeit durch die geringere Ausstattung mit Phase-2-Enzymen, die Chinone in weniger toxische Hydrochinone umwandeln. 30–50% der Menschen soll das protektive GSTM1 fehlen, was nach Kabesch et al. (2004) auch eine größere Empfindlichkeit beim Passivrauchen mit sich bringt. Weiters wurde die größere Empfindlichkeit dieser Menschen gegenüber Katzenallergen nach Provokation mit Dieselabgas nachgewiesen. David et al. (2003) beschreiben eine Rolle beim Asthma von Kindern, die noch mit geringerer Abwehr durch Antioxidantien ausgestattet sind. Sobald diese Abwehr überwältigt ist, kommt es zur Inflammation. Als Gegenmittel nennt Diaz-Sanchez Sulforophan (Broccoli essen), das in Nasenschleimhautzellen 190
UMWELTEPIDEMIOLOGIE UND TOXIKOLOGIE VON NANOPARTIKELN
die Expression von Phase-2-Enzymen steigert und die Dieselwirkung (Cytokin-Expression und IgE-Abfall) hemmt.
4. EPIDEMIOLOGISCHE STUDIEN Akute Auswirkungen der Feinstaubbelastung auf Morbidität und Mortalität in Großstädten und Industriegebieten wurden ursprünglich dem Schwefeldioxid (SO2) zugeschrieben. Neuberger et al. (1987) unterschied in Wien schon Einflüsse der Luftverunreinigung von denen der Kälte und der Grippe, fand aber 1972–83 noch engere Beziehungen der täglichen Sterberate an Herzkreislauf- und Atemwegserkrankungen mit SO2 als mit Schwebstaub. Die tägliche SO2-Konzentration sagte in den 1970er Jahren die tägliche Sterberate gut voraus und war gleichzeitig ein Surrogat für Feinstaub. Aber als Österreich in den 1980er Jahren unter allen Signatarstaaten des HelsinkiProtokolls die höchste SO2-Reduktion erzielte, verlor SO2 hier seine Bedeutung als gesundheitsrelevanter Indikator und wurde vom Feinstaub abgelöst, der heute allerdings eine andere chemische Zusammensetzung hat. Besonders biologisch aktiv scheinen Feinstäube aus Verbrennungsprozessen zu sein, während mineralische Komponenten des Stadtluftaerosols vergleichsweise geringere Reaktionen auslösen. Dzt. werden die engsten Zusammenhänge zwischen PM2.57 und täglichen Spitalsaufnahmen bzw. vorzeitigen Sterbefällen gefunden (Neuberger et al. 2004, Neuberger et al. 2005), und das obwohl die Gesamtschwebstaubbelastung in den letzten Jahrzehnten stark abnahm. Welche Rolle dabei dem UF zukommt, ist dzt. noch nicht klar, weil meist nur PM108 , an wenigen Stationen PM2.5 und nur für Forschungsprojekte PM19 bzw. UF gesondert überwacht wird. Neuberger et al. (2004) fanden Anstiege der täglichen Spitalsaufnahmen wegen Atemwegserkrankungen nach Zunahme von PM2.5 und bei Kindern auch nach Zunahme von PM1, wobei allerdings PM2.5 und PM1 hoch korreliert waren. Neben den Zusammenhängen mit Feinstaub (Dominici et al. 2006) zeigen aktuelle Zeitreihenstudien auch solche mit NO2, was für die Bedeutung des Kfz-Verkehrs als Verursacher spricht (Neuberger und Rabczenko 2006). Interaktionen zwischen PM und NO2 könnten in Städten wie Wien (mit sehr hohem Dieselanteil an der Fahrzeugflotte) von besonderer Bedeutung sein. Peters et al. (2004) fanden in Augsburg akute Wirkungen der Verkehrsabgas-Exposition auf die Herzinfarktrate und Schulz et al. (2005) brachten Veränderungen der Herzrhythmussteuerung, Blutviskosität und -gerinnung 7 Partikel, die einen größenselektierenden Lufteinlass passieren, der für einen aerodynamischen Durchmesser von 2,5 µm eine Abscheidewirksamkeit von 50% aufweist (1999/30/EG). 8 … (wie oben) … Durchmesser von 10 µm … 9 … (wie oben) … Durchmesser von 1 µm …
M. NEUBERGER
191
auch mit UF in Zusammenhang. In europäischen Städten zeigten Nachuntersuchungen von rund 1000 Überlebenden nach Herzinfarkt auf Gerinnungs- und Entzündungsindikatoren (Fibrinogen, CRP, IL-6) und Single Nucleotid Polymorphismen in Genen, die der Regulation der Entzündung dienen, keine Wirkungsmodifikation durch die Teilchenzahl, wohl aber durch PM2.5 und am stärksten durch NO2 (Peters). Für die chronische Wirkung von PM2.5 spricht u.a. eine Studie von Künzli et al. (2005), die eine Verdickung der Hirnschlagader zeigte, besonders bei nichtrauchenden Frauen über 60 und bei Patienten mit blutfettsenkenden Medikamenten. Pope leitete aus 12 Zeitreihenstudien eine akute Mortalitätszunahme von 0,4–1,5% pro 10 µg PM2.5 (bzw. pro 20 µg PM10) im m³ ab. Dem steht eine 6–17% Mortalitätszunahme pro 10 µg PM2.5 in Kohortenstudien gegenüber, die chronische Wirkungen und Spätfolgen erfassen. Auch bei diesen dominieren die Herzkreislauferkrankungen. Zusätzlich zeigt sich eine Dosis-Wirkungsbeziehung für Lungenkrebs, die im niedrigen Konzentrationsbereich viel steiler ist als bei den hohen Feinstaubexpositionen am Arbeitsplatz und bis herunter auf etwa 7 µg PM2.5/m³ signifikant (Pope et al. 2002). Auch wenn man nur die Konzentrations-Wirkungsbeziehung für den Bereich von 7 bis 50 µg/m³ berücksichtigt (und davor und danach keinen Anstieg annimmt), übertrifft PM2.5 die Wirkung aller anderen Außenluftkarzinogene. Ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko für Staubarbeiter der Metall-, Glas-, Keramik- und Steinindustrie (im Vergleich zu einer Kontrollkohorte mit gleichen Rauchgewohnheiten und ohne berufliche Staubexposition) wurde erstmals in Wien nachgewiesen (Neuberger 1979). Zu Dieselruß (als Bestandteil von PM2.5 und UF) ergab sich aus der Eisenbahner-Kohortenstudie von Garshick (2004) ein relatives Risiko für Bronchuskarzinom von 1,4 (1,3–1,5). Ähnliche Risken fanden Fall-Kontrollstudien (Bhatia 1998). Dieselruß ist für etwa 20% der PM2.5-Belastung und auf Lebenszeit für etwa 50 Lungenkrebsfälle pro 100.000 Stadtbewohner verantwortlich (LAI 1992). Seine karzinogene Wirkung wird nur von Luftverunreinigungen übertroffen, denen wir in Innenräumen ausgesetzt sind: die Radontöchter in der Feinstaubfraktion und der Tabakrauch (Passivrauchen). Die lungenkrebsfördernde Wirkung des Feinstaubs wird durch seine Wirkung auf das Herzkreislaufsystem übertroffen, weshalb auf jeden Lungenkrebsfall durch Passivrauchen etwa 8 bis 10 Todesfälle durch Herzkreislauferkrankungen kommen. Auch bei diesen Feinstaubinhalationsfolgen ist anzunehmen, dass es keine Wirkungsschwelle gibt. Unklar ist noch, welche der in Abb.1 dargestellten Störungen eher durch UF und welche durch Partikel im Korngrößenbereich 0,1–2,5 µm ausgelöst werden. Insgesamt ist jedenfalls durch die gegenwärtige Außenluftbelastung mit Feinstaub in allen dichter besiedelten Gebieten Europas mit einem Lebenszeitverlust von etwa einem Jahr zu rechnen. Allein durch den großflächigen Einsatz von Parti192
UMWELTEPIDEMIOLOGIE UND TOXIKOLOGIE VON NANOPARTIKELN
kelfiltern berechnete Wichmann (2004) eine durchschnittliche Verlängerung der Lebenserwartung von ein bis drei Monaten. Dazu käme die Abnahme von Krankheiten und die Zunahme der Lebensqualität. Eine Studie an Linzer Schulkindern zeigte, dass sich das Wachstum der Lungenfunktion nur dort verbessert, wo neben Gesamtschwebstaub auch NO2 reduziert wird (Neuberger et al. 2002), das mit Feinstäuben aus dem Kfz-Verkehr assoziiert ist. Mit Zunahme der aktiven Stauboberfläche (die durch Feinstaub dominiert wird) nahm bei gesunden Volksschülern die Lungenfunktion (FVC, FEV1, MEF50) auch akut ab und bei Kindern mit Asthma oder vorbestehenden Erkrankungen kleiner Atemwege kam es dadurch zu einer Zunahme ihrer Symptome (Neuberger et al. 2004). Aus bisher zu Feinstaub und UF vorliegenden epidemiologischen Befunden leiten sich lineare Dosiswirkungsbeziehungen ohne Schwellenwert ab. Das daraus resultierende Minimierungsgebot für anthropogene Feinstäube sollte zu einer kontinuierlichen Absenkung der risikobevölkerungsgewichteten Feinstaubbelastung nach dem Stand der Technik führen, d.h. zu einer Schadstoffreduktion in Abhängigkeit von der Bevölkerungsdichte und dem Anteil empfindlicher (z.B. Kinder) oder vorgeschädigter (z.B. alter) Personen (und das unabhängig von der Ausgangskonzentration). Dazu wird es nötig sein, den Hausbrand zu zentralisieren und den motorisierten Individualverkehr in Ballungszentren einzuschränken. Die Luftqualität in Innenräumen, in denen sich der moderne Städter in 80% der Lebenszeit oder länger aufhält, wird nicht nur durch die von außen eindringenden Schadstoffe bestimmt. Feinstaubbelastungen entstehen hier durch eigene Quellen wie die Zigarette, Heiz- und Kochstellen und durch Wiederaufwirbelung bei mangelnder Hygiene. Ein Experiment in einem 60 m³ großen Raum zeigte, dass 3 in einer halben Stunde verglimmende Zigaretten für über eine Stunde 10-fach höhere Feinstaubkonzentrationen verursachen als ein gleich lang laufender Dieselmotor (Invernizzi et al. 2005). An Arbeitsplätzen wie Gaststätten wird die Feinstauboberfläche durch Tabakrauch dominiert (Moshammer et al. 2004). Beim Vergleich von 7 EULändern fanden sich in österreichischen Diskotheken und Jugendlokalen die höchsten Tabakrauchbelastungen (Nebot et al. 2005). Patienten mit Erkrankungen der Herzkranzgefäße sind schon bei kurzem Aufenthalt in einem verrauchten Lokal gefährdet (Barnoya und Glantz 2005). Langzeitstudien zeigten, dass chronische Auswirkungen der Feinstaubbelastung noch größer sind als akute und dass die Wirkungen des Aktivrauchens nicht so dominieren, dass sie Auswirkungen der allgemeinen Luftverunreinigung auf Raucher maskieren, sondern dass überadditive Effekte von Rauchen und atmosphärischer Feinstaubbelastung vor allem das Herz schädigen (Pope et al. 2004). Aber auch die alleinige Feinstaubbelastung durch Passivrauchen kann zu Herzinfarkt, Schlaganfall und Lungenkrebs führen10. 10
www.aerzteinitiative.at/_Nichtraucher_1.htm.
M. NEUBERGER
193
5. ZUSAMMENFASSUNG Physikalische Eigenschaften wie Größe und Oberflächeneigenschaften bestimmen die Lebenszeit von Nanopartikeln in der Atemluft und ihre Aufnahme in verschiedene Kompartimente des menschlichen Organismus. Nach der Aufnahme können lungenunlösliche Partikel lange persistieren, wobei Nanopartikel beim Menschen zwar weniger entzündliche Abwehrreaktionen auszulösen scheinen als größere Partikel, dafür aber biologische Membranen leichter überwinden. Besonders bedenklich ist ihre Aufnahme über die Lunge ins Blut sowie entlang von Nerven ins Gehirn. Ultrafeine Umweltpartikel könnten für das Herz gefährlicher sein als für die Lunge. Am Rezeptor ist bei unlöslichen Feinstäuben die Oberfläche und bei UF die Teilchenzahl für die Toxizität entscheidender als die Masse. Umweltepidemiologische Studien sollten der Stauboberfläche mehr Beachtung schenken. Zurzeit können die Wirkungen von Feinstaub von dem in ihm enthaltenen Ultrafeinstaub noch nicht verlässlich unterschieden werden. Jedenfalls dominieren dzt. die Feinstaub-Schäden durch Passivrauchen in Innenräumen und durch allgemeine Verunreinigung der Atemluft in Städten mit Verbrennungsaerosolen, besonders aus dem Kraftfahrzeugverkehr.
6. LITERATUR UND QUELLENHINWEISE Barnoya J, Glantz SA (2005) Cardiovascular effects of secondhand smoke: nearly as large as smoking. Circulation 111: 2684–2698. http://circ.ahajournals.org/cgi/content/abstract/111/20/2684 Bhatia R, Lopipero P, Smith AH (1998) Diesel exhaust exposure and lung cancer. Epidemiology 9: 84–91. www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez/query.fcgi?cmd=Retrieve&db=Pub Med&list_uids=9430274 Boffetta P, Soutar A, Cherrie JW, Granath F, Andersen A, Anttila A, Blettner M, Gaborieau V, Klug SJ, Langard S, Luce D, Merletti F, Miller B, Mirabelli D, Pukkala E, Adami HO, Weiderpass E (2004) Mortality among workers employed in the titanium dioxide production industry in Europe. Cancer Causes Control 15: 697–706 Brook RD, Franklin B, Cascio W, Hong Y, Howard G, Lipsett M, Luepker R, Mittleman M, Samet J, Smith SC, Tager I (2004) Air pollution and cardiovascular disease: a statement for healthcare professionals from the Expert Panel on Population and Prevention Science of the American Heart Association. Circulation 109: 2655–2671. http://circ. ahajournals.org/cgi/content/abstract/109/21/2655 David GL, Romieu I, Sienra-Monge JJ, Collins WJ, Ramirez-Aguilar M, Rio-Navarro BE, Reyes-Ruiz NI, Morris RW, Marzec JM, London SJ (2003) Nicotinamide adenine dinucleotide (phosphate) reduced:quinone oxidoreductase and glutathione s-transferase m1 polymorphisms and childhood asthma. Am J Respir Crit Care Med 168: 1199–1204. http://ajrccm.atsjournals.org/cgi/ijlink?linkType=ABST&journalCode=aj rccm&resid=168/10/1199 Dominici F, Peng RD, Bell M, Pham L, McDermott D, Zeger J, Samet J (2006) Fine particulate air pollution and hospital admission for cardiovascular and respiratory diseases. J Am Med Assoc 295: 1127–1134 194
UMWELTEPIDEMIOLOGIE UND TOXIKOLOGIE VON NANOPARTIKELN Donaldson K, Aitken R, Tran L, Stone V, Duffin R, Forrest G, Alexander A (2006) Carbon nanotubes: a review of their properties in relation to pulmonary toxicology and workplace safety. Toxicol Sci 92 (1): 5–22 Elder A, Gelein R, Silva V, Feikert T, Opanashuk L, Carter J, Potter R, Maynard A, Ito Y, Finkelstein J, Oberdörster G (2006) Translocation of inhaled ultrafine manganese oxide particles to the central nervous system. Environ Health Perspect 114: 1172–1178. www.ehponline.org/members/2006/9030/9030.pdf Fromme H, Bolte G, Roscher E (2005) Materialien zur Umweltmedizin Band 11 – Umweltmedizinische Bedeutung von Dieselruß und Feinstaub. www.umweltministerium. bayern.de/application/eshop000005?sid=1260650945&actionxsessxshowpic(bildxkey: stmugv-ges-00075,bildxclass:artikel,bildxtype:pdf)=x Fryzek JP, Chadda B, Marano D, White K, Schweitzer S, McLaughlin JK, Blot WJ (2003) A cohort mortality study among titanium dioxide manufacturing workers in the United States. J Occup Environ Med 45: 400–409 Garshick E, Laden F, Hart JE, Rosner B, Smith TJ, Dockery DW, Speizer FE (2004) Lung cancer in railroad workers exposed to diesel exhaust. Environ Health Perspect 112: 1539–1543. www.pubmedcentral.gov/articlerender.fcgi?artid=1247618 Invernizzi G, Ruprecht A, Mazza R, De Marco C, Boffi R (2004) Particulate matter from tobacco versus diesel car exhaust: an educational perspective. Tobacco Control 13: 219–221. http://tc.bmjjournals.com/cgi/content/extract/13/3/319 Kabesch M, Hoefler C, Carr D, Leupold W, Weiland SK, von Mutius E (2004) Glutathione S transferase deficiency and passive smoking increase childhood asthma. Thorax 59: 569–573. http://ajrccm.atsjournals.org/cgi/ijlink?linkType=ABST&journalCode= thoraxjnl&resid=59/7/569 Künzli N, Jerrett M, Mack WJ, Beckerman B, LaBree L, Gilliland F, Thomas D, Peters J, Hodis HN (2005) Ambient air pollution and atherosclerosis in Los Angeles. Environ Health Persp 113: 201–206. www.ehponline.org/members/2004/7523/7523.html LAI – Länderausschuss für Immissionsschutz (1992) Krebsrisiko durch Luftverunreinigungen. Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft NRW, Düsseldorf Mills NL, Amin N, Robinson SD, Anand A, Davies J, Patel D, de la Fuente JM, Cassee FR, Boon NA, MacNee W, Millar AM, Donaldson K, Newby DE (2006) Do inhaled carbon nanoparticles translocate directly into the circulation in humans? Am J Respir Crit Care Med 173: 426–431. http://ajrccm.atsjournals.org/cgi/content/short/173/4/ 426 Moshammer H, Neuberger M, Nebot M (2004) Nicotine and surface of particulates as indicators of exposure to environmental tobacco smoke in public places in Austria. Int J Hyg Environ Health 207 (4): 337–343. www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez/query.fcgi? cmd=retrieve&db=pubmed&dopt=citation&list_uids=15471097 Nebot M, Lopez MJ, Gorini G, Neuberger M, Axelsson S, Pilali M, Fonseca C, Abdennbi K, Hackshaw A, Moshammer H, Laurent AM, Salles J, Georgouli M, Fondelli MC, Serrahima E, Centrich F, Hammond SK (2005) Environmental tobacco smoke exposure in public places of European cities. Tobacco Control 14: 60–63. http://tc.bmjjournals.com/cgi/content/full/14/1/60 Nemmar A, Hoet PHM, Vanquickenborne B, Dinsdale D, Thomeer M, Hoylaerts MF, Vanbilloen H, Mortelmans L, Nemery B (2002) Passage of inhaled particles into the blood circulation in humans. Circulation 105: 411–414. http://circ.ahajournals.org/cgi/ reprint/105/4/411?ijkey=b7a2a3b4c80c91c3550d31342bd0e2945b31dcea Neuberger M (1979) Neue Wege zur Risikobewertung von Luftschadstoffen. Facultas, Wien M. NEUBERGER
195
Neuberger M (1989) Cancer in men from fibrous and non-fibrous mineral particles. J Aerosol Sci 20: 1349–1351 Neuberger M, Moshammer H, Hauch H, Kundi M, Rabczenko D, Schimek MG (2005) Zeitreihenstudie zur atmosphärischen Feinstaubbelastung und spezifischen Mortalität und Morbidität in Österreich. Forum Arbeitsmedizin 03/05: 5–7 Neuberger M, Moshammer H, Kundi M (2002) Declining ambient air pollution and lung function improvement in Austrian children. Atmospheric Environ 36 (11): 1733–1736. www.ingentaconnect.com/content/els/13522310/2002/00000036/00000011/art00179 Neuberger M, Rabczenko D (2006) Fine particulates and cardiopulmonary incidents in Vienna. 10th International Inhalation Symposium, Airborn particulate matter 44, Hannover Neuberger M, Rutkowski A, Friza H, Haider M (1987) Grippe, Luftverunreinigung und Mortalität in Wien. Forum Städtehygiene 38: 7–11 Neuberger M, Schimek MG, Horak F Jr, Moshammer H, Kundi M, Frischer T, Gomiscek B, Puxbaum H, Hauck H (2004) Acute effects of particulate matter on respiratory diseases, symptoms and functions. Epidemiological results of the Austrian Project on Health Effects of Particulate Matter (AUPHEP). Atmospheric Environ 38 (24): 3971– 3981. www.oeaw.ac.at/krl/projekte/aktuell/auphep/data/M10_acute_effects.pdf Oberdörster G, Sharp Z, Atudorei V, Elder A, Gelein R, Lunts A, Kreyling WG, Cox C (2002) Extrapulmonary translocation of ultrafine carbon particles following wholebody inhalation exposure of rats. J Toxicol Env Health A 65: 1531–1543. http://epswww.unm.edu/facstaff/zsharp/rats.pdf Pekkanen J, Peters A, Hoek G, Tiittanen P, Brunekreef B, de Hartog J, Heinrich J, IbaldMulli A, Kreyling WG, Lanki T, Kirsi L, Timonen KL, Vanninen E (2002) Particulate air pollution and risk of ST-segment depression during repeated submaximal exercise tests among subjects with coronary heart disease. The Exposure and Risk Assessment for Fine and Ultrafine Particles in Ambient Air (ULTRA) study. Circulation 106: 933–938. circ.ahajournals.org/cgi/content/full/106/8/933 Parzefall W, Schulte-Hermann R, Neuberger M (2005) Die Karzinogene des Tabakrauchs. Krebs:hilfe! 2: 25–28. www.aerzteinitiative.at/karzinogene05.pdf Peters A, von Klot S, Heier M, Trentinaglia I, Hormann A, Wichmann HE, Löwel H (2004) Exposure to traffic and the onset of myocardial infarction. N Engl J Med 351: 1721–1730. www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez/query.fcgi?cmd=retrieve&db=pubmed&d opt=abstract&list_uids=15496621&query_hl=11 Pope CA, Burnett RT, Thun MJ, Calle EE, Krewski D, Ito K, Thurston GD (2002) Lung cancer, cardiopulmonary mortality,and long-term exposure to fine particulate air pollution. J Am Med Assoc 287: 1132–1141 Pope AC, Burnett RT, Thun MJ, Calle EE, Krewski D, Ito K, Thurston GD (2004) Cardiovascular mortality and long-term exposure to particulate air pollution. Circulation 109: 71–77. http://jama.ama-assn.org/cgi/content/abstract/287/9/1132 Schulz H, Harder V, Ibald-Mulli A, Khandoga A, Koenig W, Krombach F, Radykewicz R, Stampfl A, Thorand B, Peters A (2005) Cardiovascular effects of fine and ultrafine particles. J Aerosol Med 18: 1–22. www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez/query.fcgi?cmd= retrieve&db=pubmed&dopt=Abstract&list_uids=15741770&query_hl=3 Timbrell V, Ashcroft T, Goldstein B et al (1988) Relationships between retained amphibole fibres and fibrosis in human lung tissue specimens. Inhaled particles VI. Ann Occup Hyg 32 (S1): 323–340 Tsoli M, Kuhn H, Brandau W, Esche H, Schmid G (2006) Cellular uptake and toxicity of Au55 clusters. Small 1: 841–844. www3.interscience.wiley.com/cgi-bin/abstract/ 110553308/abstract?cretry=1&sretry=0 196
UMWELTEPIDEMIOLOGIE UND TOXIKOLOGIE VON NANOPARTIKELN Tsuji JS, Maynard AD, Howard PC, James JT, Lam C, Warheit DB, Santamaria AB (2006) Research strategies for safety evaluation of nanomaterials, part iv: risk assessment of nanoparticles. Toxicol Sci 89: 42–50 Wellenius GA, Coull BA, Godleski JJ, Koutrakis P, Okabe K, Savage ST, Lawrence JE, Murthy GK, Verrier RL (2003) Inhalation of concentrated ambient air particles exacerbates myocardial ischemia in conscious dogs. Environ Health Perspect 111: 402–408. www.ehponline.org/members/2003/5775/5775.html Wichmann HE (2004) Positive gesundheitliche Auswirkungen des Einsatzes von Partikelfiltern bei Dieselfahrzeugen – Risikoabschätzung fur die Mortalitat in Deutschland. Umweltmedizin in Forschung und Praxis 9: 85–99. www.scientificjournals.com/sj/ ufp/abstract/artikelId/6602 Xiao GG, Wang M, Li N, Loo JA, Nel AE (2003) Use of proteomics to demonstrate a hierarchical oxidative stress response to diesel exhaust particles in a macrophage cell line. J Biol Chem 278: 50781–50790. www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez/query.fcgi?cmd= retrieve&db=pubmed&list_uids=14522998 Die im Text nicht mit einer Jahreszahl gekennzeichneten Literaturzitate zur gegenwärtigen (Ultra-)Feinstaubbelastung und seinen Wirkungen stammen alle aus 2006 und sind im 10. Internationalen Inhalationssymposium (INIS, Hannover) zusammengefasst. Die Abstracts sind über www.item.fraunhofer.de erhältlich. Ausgewählte Originalarbeiten werden in der Zeitschrift „Inhalation Toxicology“ veröffentlicht werden.
M. NEUBERGER
197
NEUE WEGE
DER
EUROPA SETZT AUF DIALOGE: (RISIKO-)KOMMUNIKATION FÜR NANOTECHNOLOGIEN A. GROBE
Umfragen zu Nanotechnologien zeigen, dass der Grad der Informiertheit bei den Bürgerinnen und Bürgern kontinuierlich wächst. Die Mehrheit ist positiv oder neutral gegenüber den neuen Technologien eingestellt. NGO-Gruppen beginnen gerade sich international zu positionieren und weisen auf kritische Forschungsergebnisse zur Toxizität und fehlende Langzeitstudien hin. Generelle Verdachtsmomente sind aber genauso wenig angezeigt wie generelle Euphorie. Die Ergebnisse des deutschen Nano-Delphis zeigen, dass für jedes Produkt die spezifischen Materialeigenschaften und Verarbeitungsverfahren geprüft werden müssen. Für die Risikobewertung und den verantwortlichen Umgang mit Nanomaterialien setzt Europa auf Dialoge zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Behörden. NGOs und Verbraucher sollten intensiv in diese Debatten einbezogen werden, damit die positive Grundeinstellung nicht umschlägt und eine differenzierte Debatte gemeinsam geführt werden kann. Schlüsselworte: Umfragen zur Risikowahrnehmung von Nanotechnologien, Medienanalyse, Experten-Delphi, Dialoge zu Nanotechnologien in Europa Europe favours dialogue: new approaches to (risk) communication in the field of nanotechnology Public surveys on nanotechnologies show an increasing level of information. The public attitude is either positive or indifferent towards the new technology. NGOs have just begun to present their position in the inter199
national arena. Their focus is on critical toxicological results and missing long-term research. General suspicion is as inappropriate as general euphoria. The German Expert-Delphi on Nanotechnologies indicates that specific properties and production processes must be examined for every single material and product. For risk assessment and responsible care of nanomaterials, stakeholder dialogues have been established in Europe – mainly between science, industry and public authorities. They have to be expanded to include NGOs and consumers in order to enable a differentiated debate. Otherwise the positive attitudes could change. Keywords: Surveys on risk perception of nanotechnologies, media analysis, Expert-Delphi, dialogues on nanotechnologies in Europe
1. NANO – HIER KOMMT DIE ZUKUNFT „Nano – hier kommt die Zukunft“, so wird auf Konferenzen für die interessierte Öffentlichkeit getitelt (Hessische Landesregierung 2006) und unter diesem Motto lässt sich seit 2002 ein Großteil der Kommunikationsstrategien rund um die Nanotechnologien zusammenfassen. Dies trifft vor allem auf Aktivitäten zu, die Experten aus Behörden, Industrie und Wissenschaft für „die Öffentlichkeit“ konzipieren. Der Begriff „Nano“ ist zum Symbol geworden. Kurz und prägnant verspricht er Hightech, Innovation, faszinierende Wissenschaft und natürlich wirtschaftliches Wachstum. Dazu gibt es faszinierende Bilder, die den Vorstoß in die Dimension des Allerkleinsten vierfarbig und in 3-D veranschaulichen. Nicht zufällig heißt der iPod von Apple „nano“, trägt ein trendiges Wissenschaftsmagazin und eine populäre Kinderfigur, welche die Wunderwelt des Körpers vermittelt, diesen Namen. „Nano“ ist zum Sammelbegriff für innovative Naturwissenschaft geworden und zum Werbeträger eines neuen integrierten Ansatzes in Schulen und Universitäten, der Chemie, Physik und Biologie vereint. Eine Vielzahl von Broschüren (BMBF 2004, European-Commission 2004) und interaktiven Medien für Unterricht und Einführungsvorlesungen (VCI 2005), OnlinePlattformen (www.nanoreisen.de) oder der „nanoTruck“ (nanoTruck 2006) bringen insbesondere der jungen Generation die Vielfältigkeit von Nanotechnologien nahe und lösen eine kaum gekannte Begeisterung für Naturwissenschaften aus. Gut aufbereitetes, didaktisches Material ist in vielen europäischen Ländern wie Großbritannien, den Niederlanden, Dänemark, Finnland oder der Schweiz erhältlich und stärkt eine derzeit gut messbare, positive Grundhaltung der Öffentlichkeit gegenüber den Nanotechnologien.
2. „NANO“ IN DER ÖFFENTLICHKEIT Die intensive Öffentlichkeitsarbeit scheint also Früchte zu tragen, denn Nanotechnologien werden von Verbraucherinnen und Verbrauchern über200
NEUE WEGE DER (RISIKO-)KOMMUNIKATION FÜR NANOTECHNOLOGIEN
wiegend positiv wahrgenommen. Dieses zeigt ein Vergleich von Umfrageergebnissen aus den Jahren 2002–2005. Der Grad der Informiertheit wächst kontinuierlich, das Nicht-Wissen sinkt (Grobe 2006a) (siehe Abb. 1). Diese Entwicklung verläuft in den USA und in Europa nahezu parallel. Das stimmt vor allem jene optimistisch, die mit Nanotechnologien arbeiten oder arbeiten wollen, denn die positiven Einstellungen zu Innovationen erweisen sich vor allem im deutschsprachigen Raum als stabil. Die sogenannte „Risikowahrnehmung“ ist derzeit eindeutig eine „Chancenwahrnehmung“. Allerdings steigt seit 2004 der Anteil derer, die Chancen und Risiken in einem ausgeglichenem Verhältnis sehen und eine ambivalente Haltung zeigen, korrespondierend zum ansteigenden Wissen. Im Vergleich zu anderen Technologien, wie z.B. der Gentechnologie oder der Atomtechnik, ist aber vor allem darauf hinzuweisen, dass der Anteil derer, die mehr Risiken als Chancen für Nanotechnologien erwarten, konstant unter 20% bleibt (Abb. 2) (vergleiche zu beiden Abbildungen: Cobb und Macoubrie 2004, Royal Society & Royal Acadamy Nanotechnology Working Group 2004, komm.passion 2004 und Macoubrie 2005).
Abb. 1. Grad der Informiertheit zu Nanotechnologien in der Öffentlichkeit. Internationale Surveys im Vergleich
Abb. 2. Chancen und Risikowahrnehmung von Nanotechnologien in der Öffentlichkeit. Internationale Surveys im Vergleich
A. GROBE
201
Werden die Verbraucher gefragt, woher sie ihre Informationen beziehen, so sind an erster Stelle die verschiedenen Medien wie Zeitungen, Zeitschriften oder das Fernsehen zu nennen. Ein Blick auf die Medienanalysen des Vergleichzeitraums in den Printmedien zeigt, dass die Berichte sehr eindeutig im positiven Bereich liegen.
3. NANOTECHNOLOGIEN IN DEN MEDIEN 2001 bis 2005 wurden in der Medienanalyse der Stiftung Risiko-Dialog, St. Gallen, 249 Artikel aus 48 deutschsprachigen Organen regionaler und überregionaler Tages- und Wochenzeitungen ausgewertet. Eine zweite Referenzstudie (Sample 2) erfasste noch einmal 190 Artikel aus vier überregionalen Organen (Frankfurter Allgemeine Zeitung, Neue Züricher Zeitung, Die Zeit, Financial Times Deutschland). In beiden Untersuchungen zeigen sich fast identische Ergebnisse (Grobe et al. 2005). Nur etwa 10% der Artikel stellen in diesem Zeitraum Risiken in den Vordergrund. Die Zeiten, in denen die Science-Fiction-Visionen von selbst replizierenden Nano-Robotern kritisch diskutiert wurden, sind seit 2003 vorbei. Im Mittelpunkt des medialen Interesses stehen leistungsstarke NanoChips oder Displaytechnologien für die Informations- und Kommunikationsbranche, Krebstherapien und pharmazeutische Produkte mit deutlich weniger Nebenwirkungen sowie Easy-to-Clean-Oberflächen für Krankenhäuser, Badezimmer, Fenster und Fassaden. Autolacke, Kosmetika und funktionelle Textilien erweitern diese Positiv-Liste, die einen hohen Nutzen
Abb. 3. Darstellung von Nanotechnologien als Chance und Risiko in den Medien
202
NEUE WEGE DER (RISIKO-)KOMMUNIKATION FÜR NANOTECHNOLOGIEN
für den Verbraucher versprechen. Hinzu kommen Berichte zu Umwelttechnologien, bei denen erneuerbare Energien, alternative Antriebstechnologien und Speichermedien im Vordergrund stehen, welche die Abhängigkeit vom Öl beenden könnten sowie sauberes Trinkwasser für Länder der Dritten Welt ermöglichen sollen. Nanotechnologien erweisen sich in diesem Zusammenhang als zukunftsorientierte Technologien, die wichtige gesellschaftliche Probleme lösen. Risikofragen wurden bis 2005 eher im Nebensatz oder unspezifisch gestellt. Viele Beiträge enthalten den vagen Hinweis, dass die möglichen Risiken einen intensiveren Forschungsaufwand erfordern. Dennoch bleibt der Eindruck, dass Nanotechnologien als „Alleskönner“ den Weg in eine rosige Zukunft weisen und ganz nebenbei den Wirtschaftsstandort stärken, Arbeitplätze sichern und Forschungsinnovationen vorantreiben.
4. ERSTE NANO-SKANDALE IM SPIEGEL DER MEDIEN Seit dem Frühjahr 2006 nehmen Artikel, die Risikothemen behandeln, infolge zweier „Nano“-Skandale zu, die, wie sich in beiden Fällen herausstellte, im Grunde nicht wirklich auf Risiken von Nanomaterialien zurückzuführen sind. Im Februar 2006 geriet ein Nahrungsergänzungsmittel der Firma „Neosino“ in den Mittelpunkt des medialen Interesses, das mit Prominenten des Fußballclubs Bayern München und einer Empfehlung des Deutschen Fußball-Bundes für Leistungssteigerungen, Gesundheit und Wohlbefinden warb. Das frisch börsennotierte Unternehmen hatte seinen Wert gerade auf 200 Millionen Euro steigern können, als ihm vorgeworfen wurde, das Produkt enthielte überhaupt keine wirksamen Nanomaterialien (Sucher 2006, FAZ 2006). Gutachten und Gegengutachten wurden öffentlich diskutiert. Die Börsenaufsicht strengte ein Verfahren wegen Anlegerbetrugs an. Nach einem vorübergehenden Kursverlust erholte sich das Unternehmen, denn es konnte nachweisen, dass tatsächlich Nanomaterialien enthalten sind und sich die Unternehmensleitung außerdem auf sachverständige Expertenmeinungen verlassen hatte. Weder wurden die Anleger wissentlich getäuscht noch hatten die Manager Unterlassungsfehler begangen. Das Verfahren wurde eingestellt (Finanznachrichten 2006). Offen blieb aber die Frage, ob die Wirksamkeit des Präparates und die klinische Unbedenklichkeit angemessen belegt wurden, denn beides ist vom Gesetzgeber für Nahrungsergänzungsmittel dieser Art nicht vorgesehen. Genau dieses aber wurde von den kritischen Stimmen gefordert. Als Resümee aus dem ersten „Nano-Skandal“ könnte also abgeleitet werden, dass das eigentliche Problem womöglich eher in verschiedenen Erwartungshaltungen gegenüber den gesetzlichen Bestimmungen liegt, die bisher nicht vorsehen, einen spezifischen Test auf Wirksamkeit und Verträglichkeit bei Nahrungsergänzungsmitteln im nanoskaligen Bereich durchzuführen. A. GROBE
203
Der zweite „Nano-Skandal“ in den Medien ist insofern von größerer Relevanz, als dass er international eine enorme Beachtung erfuhr und einige Umwelt- und Verbraucherverbände zu starken Reaktionen veranlasste. „Magic Nano“ ist der Name eines Oberflächen-Versiegelungsspray für Glas und Keramik, das zur schnellen und leichten Reinigung einen schmutzabweisenden Schutzfilm aufbauen sollte (Grobe 2006b). Bereits einen Tag nach Verkauf der ersten Aktionsprodukte durch die „Penny“-Märkte der Handelskette REWE traten in Deutschland über 100 Fälle mit teils massiven Atembeschwerden bis hin zu Lungenödemen auf. Bis Ende März 2006 wurden 110 zum Teil schwere Fälle von Gesundheitsstörungen den Giftinformationszentren gemeldet. Das Produkt wurde in einer konzertierten Aktion vom Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin (BfR), den Länderzentralen und dem Handel sofort vom Markt genommen. Landesweit gingen Produktrückrufe durch die lokalen Medien. Trotz der über 4000 verkauften Sprays konnte so die Zahl der Betroffenen begrenzt werden. Der Fall erregte international großes Aufsehen. Die Washington Post (Weiss 2006) und der Economist (2006) widmeten dem ersten „Nano-Skandal“ lange Artikel. Die internationale Umweltorganisation ETC-Group forderte daraufhin erneut ein Moratorium für Nanoprodukte und titelte ihre Kampagne „Is the magic gone?“ (ETC Group 2006). Andere Umweltorganisationen wie z.B. Friends of the Earth USA und Australien folgten und beriefen sich in einer Studie zu Nanomaterialien in Kosmetik und in einer Petition (ICTA et al. 2006) an die amerikanischen Aufsichtsbehörden auf den „Magic Nano-Fall“ als Beweis für die Gefahren von Nanoprodukten. „Magic Nano“ wurde zum allgemeinen Symbol und zum Schlüsselbegriff in der Risikodebatte. Erstaunlicherweise berichteten die Journalisten im deutschsprachigen Raum eher verhalten. Die großen Publikumsmedien stiegen auf den Fall gar nicht ein. Sie taten gut daran, denn wenige Wochen später stellte sich heraus, dass nicht Nanopartikel die Ursache für die Gesundheitsprobleme waren. Die Sprays enthielten überhaupt gar keine Partikel im nanoskaligen Bereich. Tatsächlich zählen die verwendeten Silane, die einen nanometerdünnen Film erzeugen können, nicht zu den Nanomaterialien, da sie im Ausgangsmaterial größer als 100 Nanometer sind. Warum die verwendete Rezeptur als Aerosol in Treibmittel-Sprayflaschen toxische Effekte verursachte, aber seit Jahren als Pumpspray unproblematisch verwendet wird, wird in weiteren Studien geklärt. Bisher gibt es Hinweise, dass in der Produktionskette wichtige Informationen zum Umgang mit Einzelkomponenten nicht ausreichend berücksichtigt wurden. „Magic Nano“ ist vermutlich auf ein internes Kommunikationsproblem zwischen kleinen und mittelständischen Unternehmen zurückzuführen – mit negativen gesundheitlichen Auswirkungen für die Betroffenen. Dies ist ein symbolhaftes Beispiel dafür, dass kleine Ursachen große Folgen und auch für die produzierenden Unternehmen existenzbedrohliche Wirkungen haben können. Der Fall betont die Notwendigkeit, gerade in kleinen und mittelständischen Unternehmen an einer Verbesserung 204
NEUE WEGE DER (RISIKO-)KOMMUNIKATION FÜR NANOTECHNOLOGIEN
der Kommunikation über Produkt- bzw. Komponenteneigenschaften zu arbeiten. „Magic Nano“ ist also eher ein Kommunikations-Skandal mit wenig nanospezifischen Komponenten (Grobe 2006b). In Sachen internationaler Medienresonanz bleibt anzumerken, dass die Untersuchungsergebnisse des BfR, wonach Nanomaterialien nicht die Ursache für die Vergiftungserscheinungen bei „Magic Nano“ waren, keine Aufnahme in Medienberichte fanden. Dennoch häufen sich seitdem sowohl national wie international die kritischen Berichte, denn in den Redaktionen ist das Aufmerksamkeitspotenzial für diese Themen gestiegen. Bei Veranstaltungen, die sich eher im Nebensatz auch mit Risiken befassen, werden genau diese in den Mittelpunkt der Berichterstattung gestellt. Die Medien haben das Thema „Risiken von Nanotechnologien“ für sich entdeckt und ein Zuwachs von kritischen Artikeln aufgrund verschiedener Veröffentlichungen und Bürger-Konferenzen zu Risikofragen lässt sich leicht prognostizieren.
5. GENERALISIERUNGEN UND GEGENGENERALISIERUNG Möglicherweise ist dies die absehbare Gegenbewegung zur positiven Überzeichnung der Jahre 2002–2005. Derzeit häufen sich kritische Anmerkungen in den Medien und in Expertenkreisen, dass die Erwartungen zu hoch geschraubt würden. Der Hype um die Nanotechnologien in den Medien erinnert an das Entstehen der „New Economy-Blase“ (Grobe 2006c). Problematisch ist in der Tat, dass sich die Vielzahl der positiven Anwendungen zu einem Gesamtbild fügt, das Nanotechnologien als strahlenden Innovationsmotor und Heilsbringer für alle wichtigen gesellschaftlichen Fragen präsentiert. Diese Rhetorik muss Misstrauen erzeugen. Die Aussicht auf generell positive Entwicklungen zieht die Frage nach generellen Risiken nach sich, wie die Proteste von NGOs in Frankreich zeigen, die in Grenoble mehr Transparenz und Kontrolle nanoproduzierender Unternehmen forderten. Das gleiche generelle Misstrauen zeigt sich in verschiedenen Veröffentlichungen der ETC-Group oder im Beispiel des Friends of the Earth Reports zur Kosmetik (FOE 2006). Generelle Fragen nach Risiken von Nanotechnologien lassen sich aber derzeit nicht beantworten. Genauso wenig können wissenschaftlich haltbare Vergleiche zwischen verschiedenen Materialien, Aggregatzuständen (Aerosole, flüssige Nanomaterialien, Nanomaterialien in einer festen Matrix gebunden) oder Größenbereichen getroffen werden. Derzeit wird der Wissensstand zu den möglichen Risiken von Behörden, Wissenschaftlern, Verbraucherorganisationen und Umweltverbänden gleichermaßen als zu niedrig eingeschätzt. Gerade erst wurden wichtige Forschungsfragen identifiziert (BAuA, BfR, Umweltbundesamt 2006). Die Risikoforschung und die Debatte um ethische, soziale und Regulierungsfragen hinken den Entwicklungen am Markt bereits um Jahre hinterher. Das macht vor allem die Expertengemeinschaft in Europa nervös. A. GROBE
205
6. EXPERTEN DISKUTIEREN ÜBER RISIKEN Während Verbraucher wie auch Medien eine entspannte bis positive Haltung zeigen, wächst bei europäischen Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Behörden und Umweltorganisationen die Wahrnehmung von Risikothemen kontinuierlich seit 2004. Es sind also keineswegs nur die Umwelt- oder Verbraucherorganisationen, die sich mit diesen Themen auseinandersetzen. Im Gegenteil, der Wissensstand und die Beschäftigung mit Risikothemen hat insbesondere in der Industrie und in Teilen der Wissenschaft schneller einen höheren Grad erreicht als in den Umweltorganisationen. Qualitative Interviews an den Universitäten Stuttgart und St. Gallen aus den Jahren 2004– 2006 zeigen deutlich den unterschiedlichen Wissensstand (Grobe et. al. 2007b). Bei allen Expertengruppen finden sich gleichermaßen Argumentationsstrukturen, in denen die Gen-Debatte als warnendes Beispiel für eine mangelnde Verbraucherakzeptanz angeführt wird, verbunden mit der Warnung, dass dieses Schicksal auch den Nanotechnologien drohen könnte. Ein zweites Muster, das sich in allen Stakeholder-Gruppen findet, sind Vergleiche mit Asbest bezüglich eines möglichen langfristigen Schadenpotenzials, das zur Zeit der Inverkehrbringung noch nicht bekannt war. Bei den Expertinnen und Experten zeigen sich also Risikothemen sehr viel präsenter als in den Medien oder bei den Verbrauchern. Dementsprechend haben die Konferenzen zu Risikothemen national wie auf EU-Ebene in den letzten Jahren stark zugenommen. Im Mittelpunkt stehen Fragen von Toxizität und Expositionsmöglichkeiten, die grundlegend beantwortet werden müssten, vermutlich aber nur im Einzelfall wissenschaftlich belegt werden können, denn die Variablen, die für eine Bewertung von Nanomaterialien herangezogen werden müssen, sind zu verschieden. Nach aktuellem Kenntnisstand reicht eine Betrachtung der Toxizität von Stoffen oder Stoffgruppen im Verhältnis zur Menge bzw. ihrer Exposition nicht aus. Einfache, orientierende Aussagen, ob und wenn ja Nanomaterialien „gefährlich“ sind, können so nicht getroffen werden. Eine gemeinsame Nomenklatur oder gar eine Klassifizierung sind in weiter Ferne. Bei Nanomaterialien müssen vermutlich für jeden einzelnen Stoff Aspekte wie das Oberflächenvolumen und die dadurch veränderte Reaktivität, Eigenschaften wie z.B. Toxizität in verschiedenen Größenbereichen und in Abhängigkeit von der vorliegenden Morphologie, dem verwendeten Aggregatzustand und den besonderen Eigenschaften der Formulierung geprüft werden. Wie diese komplexe Materie in eine handhabbare Regulierung oder wenigstens in Leitfäden zum verantwortlichen Umgang mit Nanomaterialien in Unternehmen überführt werden soll, ist noch offen. Dass sich um diese Fragen intensive nationale Debatten und eine noch komplexere europäische bzw. internationale Diskussion entwickeln wird, lässt sich dagegen leicht vorhersagen.
206
NEUE WEGE DER (RISIKO-)KOMMUNIKATION FÜR NANOTECHNOLOGIEN
7. DELPHI-BEFRAGUNG ZUR WISSENSGENERIERUNG Als traditionelle Kommunikationsform zur Generierung von Experten-Wissen in Situationen mit hohem Unsicherheitspotenzial haben sich Delphi-Befragungen etabliert. Für Anwendungen der Nanotechnologien in den Bereichen Nahrungsmittel, Kosmetik, Textilien und Oberflächenbeschichtungen wurde 2006 im Auftrag des Deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung ein Experten-Delphi mit einhundert Befragten aus Industrie, Wissenschaft, Behörden, Umwelt- und Verbraucherorganisationen, Gewerkschaften, Versicherern und Netzwerkorganisationen der Technikfolgenabschätzung durchgeführt (Grobe et al. 2007c). Ziel des deutschsprachigen Delphis war es, durch die Expertenbewertung frühzeitig unproblematische Anwendungen und mögliche Gefahrenbereiche zu identifizieren. Gefragt wurde nach der Toxizität von verschiedenen Nanomaterialien in verschiedenen Aggregatzuständen und Größen, nach Wirkmechanismen und Auswirkungen bei verschiedenen Expositionswegen (inhalativ, dermal, oral). Einig waren sich die Expertinnen und Experten vor allem darin, dass eine Risikobewertung beim jetzigen Kenntnisstand einzelfallspezifisch zu erfolgen habe. Auch bezüglich der Bewertung von verschiedenen Stoffen zeigten die Experten überwiegend Einigkeit. Es konnte eine Spitzengruppe von Materialien identifiziert werden, die als Aerosole für problematisch eingeschätzt wurden. Weniger problematisch galten Nanomaterialien in flüssigem oder festen Zustand. Von 30 abgefragten Anwendungsbeispielen konkreter Produkte aus den Bereichen Lebensmittel, Kosmetik, Textil und Oberflächen zeigte kein einziges nach Meinung der Mehrheit der Experten ein hohes toxisches Potenzial für die Verbraucher. Risikopotenziale scheinen demnach deutlich auf den Bereich der Herstellung eingrenzbar zu sein, wo eine Exposition mit freien Nanomaterialien vorkommen kann. Ausnahmen im Verbraucherbereich bilden die Verwendung von Nano-Silberpartikeln, die für verschiedene Anwendungen nach Ansicht der Experten ein „geringes toxisches Potenzial“ aufweisen sowie der Einsatz von Fullerenen in der Kosmetik, denen sogar ein „mittleres toxisches Potenzial“ bescheinigt wurde. Gravierende Unterschiede in der Bewertung der Stakeholder zeigten sich nicht bei der naturwissenschaftlichen Einschätzung von toxischen Potenzialen, sondern vielmehr in der Bewertung gesellschaftlich relevanter Forderungen aus der aktuellen Nano-Debatte. Während die Industrie z.B. die vorhandene Regulierung durchaus für ausreichend hielt, war die Mehrheit der übrigen Stakeholder der Ansicht, dass Ergänzungen vorzunehmen seien. Deutlicher wurden die Unterschiede zwischen Industrie auf der einen Seite und Wissenschaft, Behörden und NGOs auf der anderen Seite in der Frage nach der Kennzeichnung von Nanoprodukten und in der Frage, ob BürgerDialoge für sinnvoll erachtet werden oder nicht. In beiden Fällen wies die Industrie signifikant niedrigere Bedeutungen zu als alle übrigen Stakeholder. Insgesamt verhielt sich die Industrie-Gruppe aber stark heterogen. A. GROBE
207
Für die kommunikativen Beziehungen der Stakeholder bergen die Ergebnisse des Delphis einige Überraschungen: Auf den nationalen wie auch europäischen Konferenzen zu Risikothemen sind in den vergangenen Jahren vor allem diejenigen Unternehmen aufgetreten, die sich gut in den Wertekontext der übrigen Stakeholder eingefügt haben und eine hohe Sensibilität im Umgang mit gesellschaftlichen Themen zeigten. Dass diese Einstellungen nicht gerade als repräsentativ für die gesamte Industrie, sondern eher als vorbildliche Einzelfälle gelten können, zeigen die Auswertungen sehr klar. Das bedeutet natürlich auch, dass neben aller Einigkeit der Stakeholder, die Nanotechnologien voranzubringen, um positive Potenziale zu nutzen, die Auseinandersetzung um Fragen des „Wie“, Fragen der Transparenz für Verbraucher und Regulatoren sowie Fragen eines verantwortlichen Umgangs im Detail noch verhandelt werden müssen. Die eigentliche Aufgabe besteht darin, dieses möglichst früh zu tun, den Austausch und die Abstimmung innerhalb der einzelnen Gruppen zu verbessern und bei den Gesprächen systematisch die nationalen wie auch internationalen Ebenen zu berücksichtigen, denn ähnliche Effekte und Themen werden nicht nur im deutschsprachigen Raum beobachtet. Wird dieses versäumt, so trifft sich auf den Dialogveranstaltungen eine bereits handverlesene, gut assimilierte Expertengemeinschaft, welche die Konfliktpotenziale zwischen den Stakeholdergruppen nicht mehr ausreichend reflektieren kann. Das gilt zum einen für die Rückübersetzung bzw. Verbesserung der Kommunikation innerhalb der eigenen Stakeholdergruppen, als auch für den Austausch zwischen nationalen Dialogen und der EU als koordinierender Instanz für Forschung und Regulierung. Eine Ausweitung der Dialoge in beiden Dimensionen ist dringend angezeigt.
8. EUROPÄISCHE STAKEHOLDER-DIALOGE ZUR WISSENSGENERIERUNG Dialogische Ansätze, Risikofragen frühzeitig anzugehen, bevor eine Mehrheit der Verbraucher oder Medien eine kritische Position bezogen haben, lassen sich in vielen europäischen Ländern beobachten. Projekte zur gemeinsamen Risikobewertung mit Beteiligung von Industrie, Wissenschaft, Behörden und Umweltorganisationen finden auch in Großbritannien, den Niederlanden, Dänemark, Finnland, Österreich, Litauen oder der Schweiz statt. Europaweit hat sich eine Dialogkultur etabliert, die sich proaktiv mit Risikofragen auseinander setzt. Der aktuelle Stand toxikologischer Studien, Fragen des Arbeitsschutzes, des Verbraucherschutzes und des Umweltschutzes wurden und werden auf verschiedenen Ebenen diskutiert. Offene Forschungsfragen konnten identifiziert, Netzwerke geprüft, ergänzt oder neu aufgebaut werden. Allen voran organisiert in Großbritannien das dortige Umweltministerium, die DEFRA, regelmäßige Stakeholder-Treffen zu Ri208
NEUE WEGE DER (RISIKO-)KOMMUNIKATION FÜR NANOTECHNOLOGIEN
sikofragen. Das Rathenau-Institut in den Niederlanden, ebenso wie das Danish Board of Technology veranstalteten Expertenhearings. In den übrigen Ländern fanden große Stakeholder-Konferenzen zu Risiko- und Regulierungsfragen statt. Während in Großbritannien, den Niederlanden und Dänemark staatliche oder neutrale Forschungsinstitute zunächst ExpertenDialoge nach dem Vorbild von gemischten Focus-Gruppen veranstalteten, war es in Deutschland interessanter Weise die Industrie, die z.B. mit dem VCI-Dialog zum Arbeitsschutz frühzeitig einen Stakeholder-Dialog initiierte (Stiftung Risiko-Dialog 2005). Als Dialogergebnis wurde eine gemeinsame Befragung von Industrie und Behörden (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) vereinbart, um eine valide Datenlage zu erstellen, wie viel und welche Nanomaterialien von wem mit welchen Verfahren hergestellt werden. Erhoben wurden außerdem, ob bereits epidemiologische Befunde der Arbeitsmediziner zum Umgang mit Nanomaterialien vorliegen. Eine ähnliche Erhebung mit fortlaufender Aktualisierung initiierte die englische DEFRA, die seit 2006 regelmäßig Daten aus der Industrie vertraulich erhebt und auswertet. Auf EU-Ebene wurden große Forschungsprojekte, wie z.B. NANOSAFE 1 und 2, IMPART-NANOTOX und NANODERM initiiert, die offene Risikofragen klären. Erste Ergebnisse liegen bereits vor. Die NANODERM-Studie (Butz 2006) belegt z.B. dass entgegen der Medienberichte und einiger Veröffentlichungen von Umweltgruppen, wie Friends of the Earth (FOE 2006), nanoskalige Titandioxidpartikel in Sonnencremes nicht durch die gesunde Haut eindringen, sondern vielmehr einen durchaus wirksamen UV-Schutzfilm auf der Hautoberfläche bilden. Die Studien zur Anwendung auf verletzter Haut werden ebenfalls in Kürze abgeschlossen. Das Deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung investiert zusätzlich im Projekt NANOCARE fünf Millionen Euro in die Erforschung von Auswirkungen der Nanotechnologien auf Gesundheit und Umwelt. Hinzu kommen EU-Projekte wie die Experten-Befragung NANOLOGUE, die ebenfalls wichtige Forschungsthemen und Fragestellungen rund um die Nanotechnologien identifizierte. Die vielfältigen Aktivitäten werden national zunehmend koordiniert. Parallel zum Arbeitsschutz-Dialog der Industrie fand 2005 ein Dialog zu Nanopartikeln, initiiert vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, dem Umweltbundesamt und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, statt (IKU 2005), bei dem wichtige Forschungsfragen für die Behörden identifiziert wurden. Inzwischen ist hieraus eine behördenübergreifende Initiative für eine abgestimmte Forschungsstrategie entstanden. Ein länderübergreifendes privat finanziertes Dialog-Beispiel ist das Projekt CONANO zwischen Novartis International AG, Ciba Specialty Chemicals Inc., den Öko-Instituten aus Freiburg und Wien sowie der schweizerischen Stiftung Risiko-Dialog. Hier verglichen die Stakeholder abbaubare A. GROBE
209
und nicht-abbaubare Nano-Delivery-Systeme für kosmetische oder pharmazeutische Anwendungen mit konventionellen Mikro-Delivery-Systemen. Geprüft wurden mögliche Risikopotenziale für alle Stufen des ProduktLebenszyklus (Grobe et al. 2007a).
9. EXPERTEN-DIALOGE ALS EUROPÄISCHER TREND Diese Fülle von Experten-Dialogen zu Risikofragen der Nanotechnologien kann tatsächlich als europäischer Trend beschrieben werden. Spannend ist, dass der Grundtenor weniger technisch kritisch als vielmehr innovationsbegleitend ausfällt. Kennzeichen fast aller Veranstaltungen – insbesondere aber auch der kritischen – ist eine neue, gemeinsame Aufbruchstimmung, die von Industrie, Behörden und einem Teil der NGOs mitgetragen wird. NanoInnovationen sollen im Sinne der Nachhaltigkeit frühzeitig in eine Richtung gelenkt werden, bei der Risikopotenziale vermieden und frühzeitig Wettbewerbsvorteile für Europa herausgearbeitet werden. Es geht dabei nicht um ein Bremsen der Innovationskraft, sondern vielmehr um eine gezielte Förderung des verantwortlichen Umgangs mit Nanomaterialien durch einen frühen Wissensaufbau auch zu Risikofragen. Das Generieren von Wissen kann in diesem Zusammenhang nur über enge Kooperationen zwischen forschender und produzierender Industrie, Wissenschaft, Behörden und NGOs gelingen. Es ist zu hoffen, dass die neuen Kooperationen Früchte tragen. Auffällig ist nämlich, dass bisher nur wenige Verbraucher- und Umweltorganisationen zu aktiven Dialogpartnern geworden sind. Die Präsenz auf den nationalen und internationalen Konferenzen nimmt zwar zu, aber eine systematische Teilnahme an der sich immer stärker ausdifferenzierenden Debatte bleibt schwierig. Schwierig zum einen deshalb, weil viele NGOs auf ehrenamtlicher Basis arbeiten und die zeitlichen wie finanziellen Ressourcen begrenzt sind. Möglichkeiten eines Fundings auf EU-Ebene sind ebenso im Gespräch wie akzeptable Finanzierungsmodelle durch neutrale Stiftungen oder Industriefonds, die Reisekosten und Aufwandsentschädigungen zahlen könnten. Das Grundproblem, dass das Ressourcen-Ungleichgewicht eine ausgewogene Nano-Debatte verhindert, sollte in jedem Fall bearbeitet werden. Gelingt dieses nicht, so kann kaum erwartet werden, dass ein ähnliches Differenzierungsniveau bei den verschiedenen Interessengruppen erreicht wird.
10. VERBRAUCHERKONFERENZEN UND BÜRGER-DIALOGE Angesichts der Vielzahl von Dialogen und Forschungsprojekten zu Risikothemen bleibt den kritischen Stimmen wenig zu fordern übrig, zumal sie häufig direkt beteiligt sind. Dennoch scheinen sich die Experten-Dialoge 210
NEUE WEGE DER (RISIKO-)KOMMUNIKATION FÜR NANOTECHNOLOGIEN
bereits ein wenig verselbstständigt zu haben. Dieses lässt sich sichtbar machen am Stand der Veröffentlichungen der NGOs in den USA oder Australien, die nicht in wissensgenerierende Experten-Dialoge eingebunden sind. Hier spiegelt sich weniger der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Debatte als vielmehr ein generelles Unbehagen mit der schnellen Entwicklung der Nanotechnologien und den damit möglicherweise einhergehenden Risiken wider. Auch in Frankreich oder Spanien, also überall dort in Europa, wo weniger Dialoge geführt werden, zeigen sich ähnliche Tendenzen. Interessant ist, dass in den Veröffentlichungen der NGO’s weitere Fragestellungen im Mittelpunkt stehen, denen in den deutschen oder europäischen Experten-Dialogen bisher wenig Beachtung geschenkt wurde. Es geht um die Transparenz der Forschung, insbesondere der militärischen Forschung sowie um die Transparenz der Produkte im Sinne einer Kennzeichnungspflicht. Die Rückholbarkeit von Nanomaterialien in der Umwelt sowie die Durchdringung von Nanomaterialien in den verschiedensten Produktbereichen sind weitere Diskussionspunkte. Genau diese Punkte wurden im Experten-Delphi extrem unterschiedlich von den verschiedenen Expertengruppen bewertet und auch von den verschiedenen europäischen Bürger- und Verbraucherkonferenzen als besonders relevant identifiziert. Insbesondere die Kennzeichnung lag den Bürgerinnen und Bürgern der englischen Citizens Juries, der schweizerischen Publifocus-Gruppen und der deutschen Verbraucherkonferenz gleichermaßen am Herzen. Die Argumente, die NGOs und Bürger mit hoher Priorität in den Dialog einbringen, sind aus der Gen-Debatte gut bekannt. Hinzu kommen noch zusätzliche thematische Überschneidungen durch den Einsatz von Nanotechnologien in Lebensmitteln und der Landwirtschaft. Die Gegner dieser Debatte stehen bereits fest und kennen sich seit Jahren. Auch die Journalisten sind bereits eingearbeitet, so dass ein Anstieg der Berichterstattung in diesem Bereich zu erwarten ist. Darüber hinaus entwickelt sich derzeit eine Debatte in NGO-Kreisen und den Medien um Wertefragen, die sich um die Anwendung von pharmakologischen Substanzen oder elektronischen Hilfen jenseits der medizinisch notwendigen Fälle entspinnt. Gemeint sind Beispiele von Gehirn-Doping durch nanoskalige Medikamente, die die Blut/Hirn/Schranke überwinden können, oder Chipimplantaten, die ebenso eine Verbesserung des Menschen, das so genannte „Human enhancement“ bezwecken. Die Bürgerinnen und Bürger diskutieren diese Zukunftsvisionen ebenfalls. Auch wenn diese Fragen noch nicht im Mittelpunkt der Stakeholder-Dialoge in Europa stehen, sollte die Wichtigkeit der Fragen nicht unterschätzt werden. Bisher hatten die aktiven NGOs ein ausnehmend gutes Gespür dafür, welche Themen die Menschen bewegen und genügend Tragkraft für eine Kampagne besitzen. Soll das bisher vorherrschende entspannte Verhältnis zwischen Industrie, Behörden und NGOs auf die Verbraucherinnen und Verbraucher ausgedehnt A. GROBE
211
werden, so sollten diese Wertefragen dringend eine höhere Aufmerksamkeit erhalten.
11. RISIKO-KOMMUNIKATION AUF DREI VERSCHIEDENEN EBENE Ein Blick auf das Drei-Ebenen-Modell von Matthias Haller (Haller 1995) zeigt, dass Risiko-Debatten zu neuen Technologien auf drei Ebenen ablaufen (Abb. 4). Das gilt, wie vorher schon für die Atom-Debatte und die Gentechnologie, nun auch für die Nanotechnologien. Während die Experten-Dialoge in der Regel auf die naturwissenschaftlich technische Risikobewertung orientiert sind, sprechen Verbraucherinnen und Verbraucher sowie einige NGOs eher Hoffnungen oder Ängste an und diskutieren gesellschaftliche Fragestellungen, wie z.B. die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher, die Frage, wie wir in Zukunft leben oder uns ernähren wollen, oder Fragen der Nachhaltigkeit auch für kommende Generationen. Dieses geschieht für die Nanotechnologien teilweise zeitversetzt durch die Trennung von Experten- und Bürger-Dialogen. Teilweise treffen die verschiedenen Perspektiven aber auch gleichzeitig und dann unvermittelt aufeinander, wenn Experten der NGOs die naturwissenschaftlichen Argumentationsstrukturen um Wertefragen ergänzen. Wichtig wäre es, für eine Integration der verschiedenen Ebenen zu werben und das dialogische Engagement von Verbrauchern und Experten enger zu verknüpfen.
Abb. 4. Drei Ebenen-Modell der Risiko-Debatte und Risikokommunikation (nach Haller/Allenspach 1995)
212
NEUE WEGE DER (RISIKO-)KOMMUNIKATION FÜR NANOTECHNOLOGIEN
Europa hat bisher erfolgreich auf Dialoge gesetzt und die Kommunikation über Nanotechnologien zwischen Chancenförderung und RisikoDebatte ausbalanciert. Die großen Kontroversen blieben bisher aus. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Erfolgsrezept weiter geführt wird und der Integrationsprozess sowohl in Richtung aller drei Ebenen, als auch im Sinne einer Rückübersetzung in die einzelnen Stakeholdergruppen und zwischen EUBehörden und den Aktivitäten der Länder gelingt.
12. LITERATUR UND QUELLENHINWEISE Bainbridge W (2002) Public attitudes toward nanotechnology. J Nanoparticle Res 4 (6): 461–470 Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Bundesinstitut für Risikobewertung, Umweltbundesamt (Hrsg) (2006) Nanotechnologie: Gesundheits- und Umweltrisiken von Nanopartikeln, Entwurf einer Forschungsstrategie, August 2006 BMBF (2004) Nanotechnologie. Innovation für die Welt von morgen. Berlin Bonn Butz T (2006) Die Haut als Barriere für Nanopartikel. Das Nanoderm Projekt. Präsentation auf dem Expertengespräch im Bundesinstitut für Risikobewertung, Berlin 28. März 2006, abgerufen am 28.8.06 unter www.bfr.bund.de/cm/232/die_haut_als_barriere_fuer_nanopartikel.pdf Cobb M, Macoubrie J (2004) Public perceptions about nanotechnology: risks, benefits and trust. J Nanoparticle Res 6 (4): 395–405 ETC Group (2006) Nanotech product recall underscores need for nanotech moratorium: is the magic gone? News Release ETC Group, April 7, 2006 European-Commission (2004) Nanotechnology. Innovation for tomorrow’s world. General Information, Directorate-General for Research, Brussles FAZ (2006) Neosino unter Betrugsverdacht. FAZ Nr 60, 11.3.2006, S 21 Finanznachrichten (2006) Neosino: Staatsanwaltschaft hat Ermittlungsverfahren eingestellt, zitiert nach DPA-AFX vom 10.5.2006, gefunden unter www.finanznachrichten. de/nachrichten-2006-05/artikel-6406969.asp Friends of the Earth (2006) Nanomaterials, sunscreens and cosmetics: small ingredients – big risks, Report May 2006 Greenpeace Environmental Trust (2003) Future technologies, today’s choice. London, July 2003 Grobe A (2006a) Harmonie auf Zeit. Nanotechnologie im Dialog. Politische Ökologie 101, Nanotechnologie, S 46–49 Grobe A (2006b) Konsequenzen aus dem Fall „Magic Nano“. In: Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung (Hrsg) NanoKommunikation, Leitfaden zur Kommunikation von Chancen und Risiken der Nanotechnologien für kleine und mittelständische Unternehmen in Hessen, S 15 Grobe A (2006c) Nano als Risiko-Thema für Experten? Prognosen für die zukünftige Debatte. Punkt um, Oktober 2006, S 3–4 Grobe A, Eberhard C, Hutterli M (2005) Nanotechnologie im Spiegel der Medien: Medienanalyse zur Berichterstattung über Chancen und Risiken der Nanotechnologie. Stiftung Risiko-Dialog, St. Gallen Grobe A et al (2007a) CONANO: A Stakeholder Dialogue Project. Vergleichende Nutzen-Risiko-Analysen von abbaubaren und nicht abbaubaren Nano-Delivery-ProA. GROBE
213
dukten sowie konventionellen Mikro-Delivery-Produkten in pharmazeutischen und kosmetischen Anwendungen. St. Gallen Grobe A et al (2007b) Chancen und Risikowahrnehmung von Nanotechnologien bei Expertinnen und Experten. Qualitatives Forschungsprojekt der Universitäten St. Gallen und Stuttgart 2004 bis 2006, Arbeitspapier Grobe A, Jäger A, Riede M, Schetula V, Veller M, Zimmer R (2007c) Experten-Delphi zu Risiken nanotechnologischer Anwendungen in den Bereichen Lebensmittel, kosmetischen Erzeugnisse und Verbraucherprodukte, in: UMID, Umweltmedizinischer Informations Dienst, Nr. 1–07 Haller M, Allenpach M (1995) Kompetent – Inkompetent? Zur Objektivität des Urteils über Grösstrisiken. In: Thommen J-P (Hrsg) Management-Kompetenz. Zürich, S 196– 235 Hessische Landesregierung (2006) Hessen im Dialog: Nano – Hier ist die Zukunft. Ganztägiger Jahreskongress der Hessischen Landesregierung am 9. November 2006, Kongresshalle Gießen ICTA (International Center for Technology Assessment) et al (2006) Petition requesting FD amend its regulations for products compoposes of engineered nanoparticles generally and sunscreen drugs products composed of engineered nanoparticles specifically IKU (2005) Synthetische Nanopartikel. Abschlussbericht im Auftrag Umweltbundesamtes, November 2005 komm.passion GmbH (2004) Wissen und Einstellungen zur Nanotechnologie. Düsseldorf Macoubrie J (2005) Informed public perceptions of nanotechnology and trust in government, Woodrow Wilson International Center for Scholars, embargoed until September 8, 2005 NanoTruck (2006) Homepage nanoTruck. Reise in den Nanokosmos. Die Welt kleinster Dimensionen. Gefunden unter www.nanotruck.net am 29.11.06 Stiftung Risiko-Dialog (2005) Nanomaterialien am Arbeitsplatz. Stakeholder-Dialog zum Arbeitsschutz, Dialogdokumentation, Frankfurt, 26.9.2005 Sucher J (2006) Wirbel um Neosino-Aktie. Manager-Magazin, 10.3.2006 The Economist (2006) Has all the magic gone? A nanotechnology product is recalled in Germany after health concerns, April 12, 2006 The Royal Society & The Royal Academy of Engineering, Nanotechnology Working Group (2004) Nanotechnology: views of the general public VCI – Fonds der Chemischen Industrie (2005) Nanobox. Informationsserie Wunderwelt der Nanomaterialien incl. Schulfilm-DVD und Schulversuche, Frankfurt Weiss R (2006) Nanotech product recalled in Germany. Washington Post, April 6 2006, S A02
214
ENTFLECHTUNG – ANSÄTZE ZUM ETHISCHGESELLSCHAFTLICHEN UMGANG MIT DER NANOTECHNOLOGIE A. NORDMANN
Der Versuch, sich die Nanotechnologie als ein einheitliches Forschungsund Entwicklungsprogramm vorzustellen, überfordert das Denken und Handeln. Der Allgemeinbegriff muss daher in spezifische und handhabbare Projekte herunter gebrochen werden. Hierzu wird ein Programm zur Entflechtung der Nanotechnologie empfohlen. Es handelt sich dabei um einen ethischen und politischen Ansatz, der von der ansonsten eher deskriptiven Nanowissenschaftsforschung verfolgt werden kann. Drei Beispiele verdeutlichen das Wechselspiel von Verflechtung und Entflechtung. Das erste betrifft die Definition der Nanotechnologie selbst, das zweite weist eine rhetorische Strategie auf, die ganz unterschiedliche Akteure im Feld der Medizintechnik vereinigen soll, das dritte hinterfragt den Begriff eines im Prinzip unbegrenzten Anwendungspotenzials in Bezug auf die Umwelt. Schlüsselworte: Nanotechnologie, Nanoethik, Begriffspolitik, Medizintechnik, Potenziale
Disentangling nanotechnology All attempts to envision nanotechnoloy as a unified program of technological research and development overtax our abilities to comprehend and take action. The unified conception of “nanotechnology“ therefore needs to be broken down into particular and manageable projects. To this end, disentangling nanotechnology is presented as an ethical and 215
political activity to be performed by philosophers, historians, and by sociologists of nanoscience and technology. Three examples demonstrate the interplay of entanglement and disentanglement. The first concerns the very definition of nanotechnology, the second considers a particular rhetorical strategy that unites different actors and interests in the field of medical technology, and the third questions the notion of an unbounded potential of nanotechnological applications for the environment. Keywords: Nanotechnology, nanoethics, conceptual analysis, medical technology, potentials
1. EINE AUFGABE FÜR DIE NANOWISSENSCHAFTSPHILOSOPHIE Während sich Physik, Chemie, Materialforschung und Biologie auf definierbare Problemstellungen und Phänomenbereiche beziehen, ist „Nanotechnologie“ vor allem eine soziale Konstruktion, die heterogene Problemstellungen und Phänomenbereiche zusammenfassen soll. Damit ist nicht gemeint, dass sie sich bloßer Willkür verdankt und eine Modeerscheinung ist, die auch sofort wieder verschwinden könnte. Gemeint ist auch nicht, dass ihre theoretischen Voraussetzungen und praktischen Ergebnisse keine allgemeine Gültigkeit hätten. Gemeint ist vielmehr, dass sich die „nanotechnologische“ Zusammenfassung durchaus heterogener Forschungsansätze in Physik, Chemie, Materialforschung und Biologie aus der Verflechtung vielfältiger Forscher und Geldgeber, Interessen und Erwartungen, Bilder und Programme, Labore und Fertigkeiten ergibt – einschließlich einer kontinuierlichen, bis heute nicht abbrechenden Definitionsarbeit aller beteiligten Akteure (vgl. Decker et al. 2004). In Anlehnung an den Wissenschaftsphilosophen Bruno Latour lässt sich vielleicht sagen, dass der Nanotechnologie eine handlungsfähige Koalition von Molekülen, Sondenmikroskopen, (ehemaligen) Chemikern, Visionären, (nervösen) Investoren, sogar Ethikern und Wissenschaftsphilosophen entspricht. Dass diese Koalition zustande kam, ermöglicht Forschungen und Entwicklungen, die anders vermutlich nicht stattfinden würden. Nicht nur Geld, vor allem viel gemeinsame Arbeit ist in die Nanotechnologie investiert und hat sie ganz buchstäblich verwirklicht – denn wo so viel wissenschaftliche und gesellschaftliche Wirklichkeit drin steckt, da muss auch Wirkliches herauskommen. Dass diese handlungsfähige Koalition zustande kam, bedeutet aber auch eine Schwierigkeit für die philosophische Reflektion und den politischen Umgang mit der Nanotechnologie. Das Knäuel der Interessen, Projekte und Programme ist unhandlich und verwickelt, vor allem undurchschaubar. Als Ganzes jedoch wollen wir das Knäuel nicht annehmen oder ablehnen müssen. Gebraucht wird also ein Entflechtungsprogramm und dieses Programm 216
ETHISCH-GESELLSCHAFTLICHER UMGANG MIT DER NANOTECHNOLOGIE
möchten die folgenden Überlegungen anhand beispielhafter Untersuchungen empfehlen.1 Die hier gemeinte „Entflechtung“ soll zunächst also dazu beitragen, dass die Nanotechnologie politikfähig wird. An die Stelle eines allgemeinen, nicht verhandelbaren Innovationsversprechens treten konkrete wissenschaftlichtechnische Projekte, jedes mit eigenen Risiken und Versprechen. Erreicht werden kann dieses Ziel aber nur, wenn wir Entflechtung wörtlich nehmen als eine Aktivität, die Fingerspitzengefühl erfordert. Mit Sorgfalt muss ein Knäuel entwirrt werden, damit der Faden nicht reißt. Auf die Nanotechnologie bezogen entspräche das der Forderung, ihre visionäre Überhöhung beispielsweise als der nächsten industriellen Revolution zugunsten nanomedizintechnischer, nanoelektronischer, nanomaterialwissenschaftlicher Programme aufzulösen, ohne dadurch die heuristische Kraft, das kreative Potenzial oder die interdisziplinäre Ausstrahlung der Nanotechnologie zu zerstören. Wenn hier also von Sorgfalt oder Fingerspitzengefühl die Rede ist, so ist eine ethische Qualität des Entflechtens angesprochen, die einer wesentlich anspruchsvolleren Nanoethik vorausgeht. Während nämlich die meisten nanoethischen Fragestellungen auf eine mehr oder weniger unbestimmte Zukunft bezogen sind, bewirkt die Entflechtungsstrategie eine Vergegenwärtigung der Problemstellungen: Statt zu fragen, was aus den nanotechnologischen Forschungen herauskommen wird und wie wir damit umgehen sollen, fragt sie nach den Annahmen und Erwartungen, die in diese Forschungen einfließen, ob es vertretbare Annahmen und angemessene Erwartungen sind. Dies wiederum setzt voraus, dass mit dem genauen historischen, philosophischen oder soziologischen Blick der Wissenschaftsforschung zunächst einmal analysiert wird, welche Annahmen und wessen Erwartungen spezifische nanotechnologischen Forschungsprogramme überhaupt motivieren. Was sich hier gleichermaßen unbescheiden, abstrakt und in aller Kürze als Entflechtungsprogramm präsentiert, soll nun nicht weiter hergeleitet, gar mit anderen wissenschaftsphilosophischen oder nanoethischen Ansätzen verglichen werden. 2 Nach dem Motto „the proof of the pudding is in the 1
Gebraucht wird somit auch eine Nanowissenschaftsforschung, die lange vor den Fragen nach Konsequenzen der Nanotechnologie einsetzt. Wissenschaftsphilosophische, erkenntnistheoretische, technikhistorische, wissenssoziologische, bildwissenschaftliche Untersuchungen müssen hiernach das „Phänomen Nanotechnologie“ aufklären, um es einem ethisch-politischen Diskurs überhaupt erst zugänglich zu machen. Hierfür argumentiert dieser Beitrag wenigstens implizit. 2 Hier soll auch nicht thematisiert werden, inwieweit Philosophen, Ethiker, Technikfolgenabschätzer mit der Nanotechnologie verflochten sind und ihrerseits wesentlich zur Stützung der sozialen Konstruktion beitragen. Insofern die Entflechtungsstrategie nicht nur zerstören, sondern das heuristische Potenzial erhalten soll, verharrt auch die mit der Entflechtung befasste Wissenschaftsforschung im Bannkreis nanotechnologischer Forschung und gewinnt allenfalls größere Klarheit über ihre eigene PositionieA. NORDMANN
217
eating“ wird zunächst am Begriff „Nanotechnologie“ vorgeführt, wozu dessen Entflechtung gut sein kann. Ein zweites Beispiel kann verdeutlichen, wie sich verschiedenste Akteure auch über eine nur scheinbar geteilte Vision verbünden dürfen. Nachdem diese Verflechtung ihre Arbeit getan und ein medizintechnisches Programm auf den Weg gebracht hat, wäre allen Akteuren und der Technikentwicklung selbst durch Entflechtung ihrer Interessen gedient. Ein letztes Beispiel wendet sich dem Verhältnis von Nanowissenschaft und Umwelt zu und will die Vorstellung eines unendlichen Potenzials möglicher Anwendungen auf kleinere, überschaubare, gegenwartsbezogene Schritte herunterbrechen.
2. DEFINITIONEN DER NANOTECHNOLOGIE Schon die Definition der Nanotechnologie ist kein unschuldiges Unterfangen. 3 Je nach dem, wie wir definieren, ergeben sich machtloses Staunen und hilflose Spekulation, kritische Distanz und politische Gestaltbarkeit. Und je nach dem, wie wir definieren, steht uns entweder eine Revolutionierung aller Lebenszusammenhänge bevor oder es geht um eine ganz gewöhnliche, trotzdem folgenreiche Modeerscheinung. Schließlich hängt von unserer Definition ab, ob wir es mit einer noch nicht absehbaren Zukunftstechnologie zu tun haben oder mit einer gegenwartsbezogenen Programmatik. Unschuldig ist auch keineswegs der normale Weg der Definition, nämlich erst einmal den kleinsten gemeinsamen Nenner nanotechnologischer Forschungen ausfindig zu machen. Dieser kleinste gemeinsame Nenner ist nämlich für unser Denken und Handeln immer noch viel zu groß. Dies gilt sogar für die enorme Anstrengung einer Arbeitsgruppe der Europäischen Akademie, diesen kleinsten Nenner möglichst klein zu halten (Schmid et al. 2004, 2006). In all diesen Definitionen wird nämlich nur der Gegenstand der Nanoforschung festgelegt. Die Nanotechnologie erscheint dann darüber hinaus als das schier unendliche Potenzial der Anwendungsmöglichkeiten, die sich aus diesem Gegenstandsbereich ergibt (Royal Society 2004, S. 5). So heißt es typischerweise, die Nanotechnologie nutze Eigenschaften, die erst in der molekularen Größenordnung von 1 bis 100 Nanometern (10 –9 bis 10 –7 Metern) auftreten und die gegenüber makroskopischen Erscheinungen diskontinuierlich sind. Als Beispiel hierfür wird gern das Gold angeführt, dessen Farbe, dessen chemische Inaktivität und darum Gesundheitsverträglichkeit wohl bekannt sind. Wenn nun aber die chemische Zusammensetzung beibehalten und das Gold nur auf die Größe eines Nanopartikels verkleinert rung. Eine von Prinzipien geleitete philosophische Kritik der Nanoforschung, bzw. ihres metaphysischen Programms ist im Wechselspiel von Verflechtung und Entflechtung nicht möglich und findet darum auch viel zu selten statt (vgl. aber Dupuy 2005). 3 Die folgenden Überlegungen wurden zuerst für die Zeitschrift Politische Ökologie entwickelt (Sonderheft zur Nanotechnologie, Nr. 101, Oktober 2006, S. 20–23). 218
ETHISCH-GESELLSCHAFTLICHER UMGANG MIT DER NANOTECHNOLOGIE
wird, verändern sich diese Eigenschaften. Die Nanotechnologie wäre nun all das, was sich derlei Veränderungen zunutze macht. Und was könnte dies sein? Hier werden durch die Definition keine Grenzen gesetzt. Wenn Kohlenstoff-Nanoröhrchen interessante optische Eigenschaften besitzen, wären dann nicht ganz andere Computer denkbar, die nicht mehr binär elektronisch arbeiten, sondern mit dem Farbspektrum photonisch? Wenn nanoskalige Fasern besonders leicht und stark sind, könnten wir nicht ein Seil aus ihnen winden, an dem ein Fahrstuhl in den Weltraum fährt? Wenn zu den neuen Eigenschaften die Selbstorganisationsprozesse der Natur gehören, können wir uns dann nicht Nanosysteme, sogar kleine Roboter vorstellen, die sich von selbst produzieren und reproduzieren? Undsoweiter. Keine dieser hypothetischen Behauptungen ist ganz unsinnig, jede wird tatsächlich aufgestellt und noch viele andere mehr. Soll die Nanotechnologie nun die Summe all dieser Aussagen umfassen, so haben wir es mit fantastischen Möglichkeiten, aber auch beängstigenden Aussichten zu tun. So oder so staunen wir dann machtlos vor dem immensen Potenzial und suchen beispielhaft Orientierung an dieser oder jener Spekulation. So oder so trauen wir dann der Nanotechnologie alles zu und starren gebannt auf eine ferne oder nahe Zukunft, in der nichts so bleiben muss, wie es ist. Damit entzieht sich die Nanotechnologie der Vorstellungskraft, ist dem kritischen Denken und politischen Handeln unverfügbar. Sie bleibt ein Spielball vager Ahnungen. Wer gegenüber der Technik insgesamt positiv eingestellt ist, hat auch nichts gegen Nanotechnik, und wer gegenüber der technischen Entwicklung Vorbehalte hat, traut auch den nanotechnologischen Versprechungen nicht (Gaskell et al. 2004). Nun lässt sich aber „Nanotechnologie“ ganz anders definieren, nämlich als politisches Konstrukt, das heterogene Forschungsentwicklungen zusammenfasst. Natürlich haben diese Entwicklungen etwas gemeinsam. Von allen wird die Erschließung neuer Märkte erwartet und alle manipulieren Eigenschaften von Strukturen im Bereich von 1 bis 100 Nanometern. Aber vielleicht kommt es nicht so sehr auf diese Gemeinsamkeiten an, sondern auf die spezifischen Programme, die hier zusammenfließen. Zumindest – wie im folgenden Überblick – lassen sich grob vier nanotechnologische Programme oder Tendenzen unterscheiden.
2.1. MINIATURISIERUNG Die erste dieser vier Tendenzen ist zugleich die bekannteste. Sie führt von der Mikro- zur Nanotechnologie. Als Triebkraft ist die scheinbar unaufhaltsame Miniaturisierungstendenz nicht zu unterschätzen. Hinter ihr steht nämlich ein „Gesetz“, das manch einer für ein Naturgesetz der Technikentwicklung halten will, das sich die Chiphersteller jedenfalls zur Zielvorgabe gemacht haben. Nach „Moore’s Law“ soll sich die Technikentwicklung imA. NORDMANN
219
mer weiter beschleunigen, weswegen insbesondere die Halbleitertechnik in den Nanobereich vordringen muss.4 Dabei stößt sie an physikalische Grenzen, die neue nanotechnische Bausteine erforderlich machen. Die Vision einer molekularen Elektronik umfasst deshalb beispielsweise die Vorstellung eines Drahts, der aus einem einzigen Molekül besteht und den Durchmesser eines Atoms hat. Ob sie sich als realisierbar erweist oder nicht, scheint diese Vision jedenfalls nur ein stereotypes Immer-Kleiner, Immer-Schneller und Immer-Billiger zu beschwören. Wenn hier etwas grundlegend Neues entstehen sollte, dann darum, weil die permanente Verkleinerung ja für etwas gut sein muss. Ganze Computer auf einem Chip, verteilte Prozessoren in intelligenten Umwelten, nicht mehr wahrnehmbare und mit der Luft eingeatmete Sensoren würden solche diskontinuierlichen Anwendungsfelder darstellen, die unser Selbst- und Weltverhältnis grundlegend verändern könnten. Tatsächlich mag gerade die nanotechnologische Fortführung der an sich langweiligen Miniaturisierungstendenz den größten gesellschaftlichen Umbruch zeitigen.
2.2. MOLEKULARE WELTGESTALTUNG Während die Miniaturisierungstendenz so bekannt klingt und schon so lange anhält, dass sie bereits als bescheidene Vision gelten kann, verdient das zweite nanotechnologische Programm eine ehrgeizige Überschrift wie die der „molekularen Weltgestaltung“. So trat die US-amerikanische National Nanotechnology Initiative mit der Broschüre „Shaping the World Atom by Atom“ an die Öffentlichkeit (Amato 1999). Für diese Vision der Nanotechnologie gilt, dass offiziell kein besonnener Forscher daran glaubt, dass sie im Hintergrund aber doch äußerst wirkmächtig ist. Unglaubwürdig ist diese Vision, weil es außerordentlich schwierig und auch nicht sonderlich effizient wäre, erst Moleküle und dann die ganze Welt Atom für Atom zusammenzusetzen. Und doch spielt diese Vision in die vier berühmtesten Gründungsmomente der Nanoforschung hinein. Da ist zunächst der 1959 von Richard Feynman gehaltene Vortrag „There’s Plenty of Room at the Bottom“ (Feynman 2001). Fast vierzig Jahre lang wurde er ignoriert, jetzt gilt als visionär, wie Feynman die Möglichkeit beschreibt, einzelne Atome mit Hilfe eines Hebelsystems mechanisch zu bewegen. Auch Eric Drexler, der spekulativste und womöglich einflussreichste aller Nanovisionäre, setzt auf präzise Konstruktion von Gangschaltungen und Zahn4 Es gibt unterschiedliche Formulierungen von „Moore’s Law“. Es gilt als Arbeitsprogramm und erfolgreiche Vorhersage für die Halbleitertechnik, der zu Folge sich Speicherkapazität und Rechengeschwindigkeit von Computerchips alle 18 Monate verdoppeln, in jedem Zeitraum von 18 Monaten also sehr viel größere Schritte vollzogen werden, als in jedem vorhergehenden.
220
ETHISCH-GESELLSCHAFTLICHER UMGANG MIT DER NANOTECHNOLOGIE
rädern, die aus einzelnen Atomen willkürlich zusammengebaut werden sollen. Obwohl sich die meisten Nanoforscher von Drexlers Visionen distanzieren, halten sie die endlich gelungene willkürliche Bewegung einzelner Atome für den entscheidenden Durchbruch der Nanotechnologie. Er kam mit der Erfindung des Rastertunnelmikroskops und schließlich der legendären Buchstabierkunst Don Eiglers und Erhard Schweizers, die 1990 aus 35 Xenon Atomen den Schriftzug „IBM“ erzeugten (Eigler und Schweizer 1990). Alle Beteiligten wissen natürlich: Was Eigler und Schweizer unter extremen Bedingungen und Ausschaltung vieler Kräfte auf einer ebenen Fläche gelang, ist Lichtjahre entfernt von der Konstruktion eines dreidimensionalen Moleküls. Wenn die im Schriftzug „IBM“ ausgeübte Kontrolle dennoch vorbildlich bleibt, dann hat das mit weitreichenden Vorurteilen zu tun, die tief in der Forschung verankert sind. Hier verbindet sich ein naturwissenschaftlich-reduktionistisches mit einem mechanisch-technischen Weltbild, dem zu Folge die Natur auch nur ein Ingenieur ist (Nordmann 2006c). Da wir uns nun angeblich ihre Konstruktionsprinzipien zu eigen machen können, sehen wir überall nur noch Maschinen – in den menschlichen Zellen einerseits, in den Produkten der Nanotechnologie andererseits. Für manche bedeutet dies, dass die Nanotechnologie dann die größten Auswirkungen haben wird, wenn unsere herkömmlichen Maschinen durch nanotechnische ersetzt werden. Unter dem Stichwort „molecular manufacturing“ stellen sich diese Visionäre die Abschaffung abfallproduzierender Fabriken vor. An ihre Stelle trete eine Produktionsweise, die globalen Überfluss und die Lösung aller Umweltprobleme verspricht: Beliebiges Material wird in ein Gerät gelegt, das so ähnlich wie ein Mikrowellenherd aussehen soll. Die Umwandlung des molekularen Materials wird programmiert und aus Erde wird zielgenau Gold, aus Dreck ein essbares Nanoschnitzel. Kein seriöser Forscher glaubt daran, aber mit dem Gedanken wird trotzdem gerne gespielt – vom sogenannten „Center for Responsible Nanotechnology“ bis hin zum Münchner Nanoforscher Wolfgang Heckl (Treder und Phoenix 2006, Bayrischer Rundfunk 2003). Zwischen den Zeilen findet es sich auch in Stellungnahmen der europäischen Kommission (European Commission 2004, S. 10).
2.3. NANOSTRUKTURIERTE MATERIALIEN Die Beharrlichkeit der Maschinenfantasien ist auch darum interessant, weil die tatsächlichen Erfolgsgeschichten der Nanoforschung in die entgegengesetzte Richtung weisen. Die programmatische Suche nach neuen Materialien mit neuen Eigenschaften verfährt nämlich keineswegs mit atomarer Präzision und nach mechanischen Bauplänen. Hier war es der Saarbrücker Nanoforscher Herbert Gleiter, der schon 1981 den Weg für Nanomaterialien, A. NORDMANN
221
neue Oberflächenbeschichtungen und neue Produktionsmethoden für Nanopartikel ebnete. Das hierfür entscheidende Stichwort ist „Nanostrukturierung“: Neue Materialeigenschaften ergeben sich schon, wenn im Material eine Art nanoskaliger Unordnung entsteht. So ist eine bekannte Tatsache, dass Metall durch Hämmern gehärtet werden kann, wobei das Hämmern Defekte in das Material einbaut, die seine Verformung erschweren. In manchen Nanomaterialien wird dieses Prinzip auf die Spitze getrieben, so dass sie gewissermaßen nur noch aus Defekten bestehen. Dies wäre ein Paradebeispiel dafür, dass neue Eigenschaften dort entdeckt und nutzbar werden, wo nanoskalige Strukturen dominieren. Die Suche nach neuen Materialeigenschaften entspricht also besonders gut der allgemeinen Definition, die als kleinster gemeinsamer Nenner angeboten wird, und sie hat bisher auch die größten wirtschaftlichen Erfolge zu verbuchen. Schmutzabweisende Oberflächen, kratzfeste Gläser, reibungsfreiere Golfund Bowlingbälle sind dementsprechend die derzeit bekanntesten kommerziellen Nanoprodukte. Doch so wie noch nicht realisierte Geräte und Maschinen ein höheres technisches Prestige genießen als bloße Materialien, so verschwinden auch Herbert Gleiter und die Materialwissenschaft aus den Gründungsgeschichten der Nanotechnologie (Nordmann 2006a). Dieses Vorurteil spiegelt sich auch auf der Ebene ethischer und gesellschaftlicher Reflektion auf die Nanotechnologie wider. Den molekularen Maschinenfantasien mag es an wissenschaftlich-technischer Glaubwürdigkeit mangeln, aber ihr revolutionäres Potenzial erweist sich als fruchtbar für aufregende Spekulationen über die Zukunft der Menschheit. Dabei wird schnell übersehen, wie sich die Lebensqualität auf unserem Planeten durch die Einführung neuer Materialien wie Plastik oder Asbest verändern konnte (Meikle 1995, Gee und Greenberg 2002).
2.4. IDEALE KÖRPER Zur Definition der Nanotechnologie muss abschließend kurz auf eine letzte nanotechnische Tendenz eingegangen werden, die sich auf einfache Bauelemente bezieht, welche neue Konstruktionsweisen ermöglichen sollen. Drähte, Schalen, Nanoröhrchen und Buckybälle sind solche idealen Körper. Insbesondere letztere sehen so harmonisch strukturiert aus, dass sie gemacht und schon als nanotechnisches Produkt erscheinen. Das nur von der Struktur her „most beautiful molecule“ kommt jedoch natürlich vor – und zwar ausgerechnet im Ruß. Während Nanoforscher solche exponierten Strukturen zu kontrollieren lernen, denken sie sich mögliche Anwendungsmöglichkeiten aus. Kohlenstoff-Nanoröhrchen könnten als Fasern zur Materialverstärkung dienen oder als Komponenten einer neuen Chiparchitektur. Vielleicht können sie Medikamente gezielt zum Krankheitsherd im Körper transportieren oder 222
ETHISCH-GESELLSCHAFTLICHER UMGANG MIT DER NANOTECHNOLOGIE
Flüssigkristalle in Flachbildschirmen ablösen. Wozu sie wirklich gut sind, muss sich aber noch erweisen. Vor allem mit derlei Bauelementen stellt sich die Nanotechnologie als so genannte Schlüsseltechnologie oder „enabling technology“ dar. Sie erarbeitet technische Angebote, für die es noch keine Anwendungen oder Nachfrage gibt. Wozu die Kohlenstoff-Nanoröhrchen gut sind, liegt nicht allein in ihrer Struktur und ihren Eigenschaften begründet, sondern hängt auch davon ab, was für Probleme wir mit ihrer Hilfe vorrangig lösen wollen. Indem sie sich als Schlüsseltechnologie präsentiert, öffnet sich die Nanotechnologie somit auch schon gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen. Angesichts dieser vier grob skizzierten Ansätze, wer wollte da noch von „der Nanotechnologie“ im Singular sprechen? Statt auf Vereinheitlichung zu drängen, regt jedes dieser Programme kritische Nachfragen und weitere Differenzierungen an. Gerade die vagen ökologischen Versprechungen der Nanotechnologie und die mit ihr verbundenen ähnlich vagen ökologischen Bedenken bedürfen solcher Differenzierungen, damit sie greifbar werden und die nanotechnologischen Programme beim Wort genommen werden können.5
3. EFFIZIENZ DER NANOMEDIZINTECHNIK Ein zweites Beispiel soll über die vornehmlich begriffliche Entflechtung hinausgehen. Hier geht es um die Entflechtung verschiedener Interessen und Akteure, deren Widerstreit für die Entwicklung der Nanotechnologie fruchtbarer sein könnte als deren Verflechtung. Als Ausgangspunkt dient ein durchaus typischer Text über Nutzen und Risiken, ethische, rechtliche und soziale Aspekte der Nanotechnologie. 6 Den Patienten wird diese nahe am Patienten orientierte [„lab-on-achip“] Diagnostik eine optimierte Therapie mit weniger medikamentösen Nebenwirkungen ermöglichen. Die gezielte oder personalisierte Medizin reduziert Medikamentenkonsum und Therapiekosten und bewirkt somit einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen durch Kostenreduktion in öffentlichen Gesundheitssystemen. [...] Sowohl die Gesamtverabreichung von Medikamenten wie auch ihre Nebenwirkungen können wesentlich gemindert werden, wenn die Wirkstoffe nur in den befallenen Regionen deponiert werden und dort nur in der nötigen Dosierung. Dieser höchst selektive Ansatz reduziert Kosten und menschliches Leiden (Malsch 2004, S. 19f.). 5
Natürlich kann „die Nanotechnologie“ auch anders entflochten und nur von sehr spezifischen Nanotechnologien gesprochen werden. 6 Die folgenden Überlegungen erschienen zuerst in Nordmann 2006b. A. NORDMANN
223
Hier wird das Versprechen einer besonders effizienten Medizin formuliert. Auch wenn sich Ärzte und Patienten einerseits, Wissenschaftler andererseits und drittens Gesundheitspolitiker jeweils etwas anderes unter Effizienz vorstellen, werden alle drei Personengruppen gleichzeitig angesprochen. Ärzten und Patienten wird eine effizientere Behandlungsmethode angekündigt, die in geringer Dosierung, gezielter Verabreichung, weniger Nebeneffekten, maximaler Ausnutzung des Wirkstoffs und Minimierung des Eingriffs besteht. Somit kann die Nanotechnik Ärzten helfen, das Leiden der Patienten zu reduzieren und mittels ihrer Verschreibungen nicht etwa selbst Schaden zu verursachen. An die Wissenschaft appelliert das Versprechen auf ganz anderer Ebene. Effizient soll die Nanomedizintechnik darum sein, weil sie Erkrankungen an ihrer biochemischen Wurzel packt. Hier geht es um Verstehen und technische Kontrolle auf molekularer und zellulärer Ebene, was dem klassisch naturwissenschaftlichen Impuls entgegenkommt, Krankheit und Gesundheit auf physiologische Fragen zu reduzieren. Ein drittes Effizienzversprechen wird Gesundheitspolitikern gemacht, dass nämlich genauere Diagnostik und weniger Redundanz zu sparsameren, also kostengünstigeren Behandlungsmethoden führt. Die Nanomedizintechnik biete somit die dringend benötigte Antwort auf steigende Gesundheitskosten. Es bedarf keiner genauen Analyse, um der Spannungen zwischen all diesen Versprechen gewahr zu werden. Es kann mit erheblichen Kostensenkungen verbunden sein, wenn beispielsweise Diabetiker symptomatische Blutwerte mit einfachen instrumentellen Verfahren selbst erheben und sich dem entsprechend auch selbst behandeln können. Hier fällt erhöhte individuelle Lebensqualität tatsächlich mit einem gesamtgesellschaftlichen Nutzen zusammen, weil eine Vereinfachung der Verfahren erreicht wurde. Wenn aber die Diagnostik auf die individuelle Konstellation zahlreicher Messungen und womöglich auf das Genom der Patienten zielt, wenn Medikamente spezifisch auf befallene Zellen abgestimmt werden, dann klingt das keineswegs nach Vereinfachung oder Kostenersparnis. Die Behandlung bliebe bei allem wissenschaftlich-technischen Einsatz weiterhin symptomatisch, nur sehr vieler lokaler auf isolierbare zelluläre Prozesse beschränkt. Nun können alle angesprochenen Personengruppen, aber auch das Forschungsprogramm „Nanomedizintechnik“ selbst geradezu befreit werden, wenn die enge Verstrickung dieser verschiedenen Effizienzversprechen entflochten wird. So ist der Gesundheitspolitik mit falschen Erwartungen auf Kostenreduktion durch Forschungsinvestitionen nicht geholfen. Besser wäre ein explizites Bekenntnis auch zu einer kostenintensiven Medizin als positivem Wirtschaftsfaktor. Die Nanomedizintechnik kann ihr kreatives Potenzial nur in einem therapieintensiven Zusammenhang entfalten. In dieser Hinsicht gleichen sich stärker individualisierte Diagnostik, die vom Patienten selbst dosierte Verabreichung von Medikamenten, oder etwa eine sehr viel besser im Körper integrierte, intelligente und sensible Prothetik: Patienten, Physio224
ETHISCH-GESELLSCHAFTLICHER UMGANG MIT DER NANOTECHNOLOGIE
therapeuten, Psychologen, Ärzte müssen zusammenarbeiten, um die neuen technischen Möglichkeiten in jedem Einzelfall wirklich verfügbar zu machen. Rahmenbedingung für die fruchtbare Entwicklung der Nanomedizintechnik ist somit ein klares Verständnis des gesellschaftlichen Nutzens, des Kosten- und Wirtschaftsfaktors Nanotechnologie in einem europäischen Wirtschaftsmodell. Die medizinisch begrüßenswerte Entwicklung der „künstlichen Hand“ wird dort vermutlich scheitern, wo sie entweder zu Kostenersparnis im Gesundheitswesen oder gar zu marktwirtschaftlich ertragreichen Massenkonsumgütern führen soll. Auch die medizinische Praxis wird erleichtert, wenn sie aus der geradezu bedrohlichen Verstrickung der verschiedenen Effizienzversprechen befreit wird. Bedrohlich daran ist die implizite Behauptung, dass diese Nanomedizintechnik so oder so kommt, dass sich dadurch alles ändern wird und die medizinische Praxis sich nurmehr auf diese Veränderungen einstellen muss. Hier wird ein Innovationsschub heraufbeschworen, also die Entwicklung technischer Angebote („technology push“), denen wir uns nicht entziehen können. Im Zuge dieser Veränderungen soll beispielsweise die personalisierte Medizin gerade das persönliche Verhältnis zwischen Arzt und Patienten überflüssig machen, weitgehend auch das Krankenhaus als eine soziale Einrichtung, in der das Individuum Zuwendung und Wertschätzung erfährt. Dies bedeutet nicht nur, dass sich die angeblich kostensparende personalisierte Medizin eines mächtigen und letztlich kostengünstigen Plazeboeffekts beraubt, insofern nämlich die ärztliche Betreuung an sich schon heilsam ist. Es bedeutet vor allem den Verzicht auf kreative Gestaltung der Nanomedizintechnik nach den Bedürfnissen von Ärzten und Patienten. Anstatt den stereotyp auf Effizienz orientierten Innovationsschub abzuwarten, sollte dem „technology push“ ein „demand pull“, dem Angebot eine spezifische Nachfrage entgegengesetzt werden. Natürlich lässt die Kombination von Nano- und Mikrotechnologie eine engere Vernetzung von Patientendaten erwarten, die es automatisierten Expertensystemen ermöglicht, gesundheitliche Krisen früher zu identifizieren und die richtige Hilfe zu rufen. Neben dieser relativ langweiligen, weil so leicht vorhersehbaren Entwicklung, lassen sich aber auch multifunktionale Systeme vorstellen, die den Patienten keine Entscheidungen abnehmen, sondern neue Möglichkeiten der Kommunikation und Eigenverantwortung an der Schnittstelle von Diät, „Fitness“, Gesundheit und ärztlicher Betreuung eröffnen. Letztere Systeme lassen sich aber nur entdecken und erfinden, wo die technische Entwicklung nicht schon nach dem Schema der Effizienz vorgezeichnet ist. Drittens profitiert auch die medizinische Forschung, wenn sie nicht ganz in den Bann der Nanotechnologie gerät. Zu einseitig ist nämlich die reduktionistische Vorstellung, dass die Nanomedizintechnik das Problem von Krankheit und Gesundheit an der zellulären oder molekularen Wurzel packt. Dies ist nicht nur eine Frage der Weltanschauung. Zahlreiche wissenschaftliche Einsichten der letzten Jahrzehnte weisen Grenzen des Reduktionismus A. NORDMANN
225
nach. Stichworte hierfür sind evolutionäre Medizin und Anthropologie, zelluläre Umwelteinflüsse auf eine nicht allein von den Genen gesteuerte Proteinsynthese, von Kommunikation und Sprachgebrauch ausgehende Bewusstseinstheorien und natürlich alles, was die psycho-sozialen Ursachen von Krankheit und Gesundheit betrifft. Auch wer das heuristische Potenzial der Nanotechnologie fruchtbar machen will, darf diese anti-reduktionistischen Einsichten nicht verdrängen. Nanotechnische Forschung muss daher mit sozialwissenschaftlichen Ansätzen verbunden werden, wie auch die Suche nach nanomedizintechnischen Lösungen in einen Wettbewerb mit politischen Optionen oder der Einflussnahme auf kulturelle Verhaltensmuster treten sollte. Sicher lassen sich in den Körper integrierte Expertensysteme denken, die dem Problem der Fettleibigkeit Einhalt gebieten. Und doch will es uns scheinen, dass die Suche nach alternativen, politisch und kulturell vertretbaren Umgangsweisen mit diesem Problem noch längst nicht erschöpft sind. Nur wenn sich Politik, Medizin und Forschung nicht auf ein gemeinsames Efffízienzversprechen einschwören, sondern ihre ganz unterschiedlichen Probleme und Interessen in die Technikentwicklung einbringen, wird die Nanomedizintechnik ihr kreatives Potenzial entfalten. Was wir dann zu sehen bekommen, wird vielleicht eine weniger spektakuläre, dafür umso einfallsreichere Nanotechnologie sein.
4. UNENDLICHES VERSPRECHEN Nicht alle Verflechtungen werden in mühsamer Definitionsarbeit konstruiert oder durch rhetorische Verwirrungskunst suggeriert. Ein letztes Beispiel befördert Entflechtung dort, wo auf den ersten Blick gar keine Verflechtung vorliegt, da wir scheinbar mit einer bloßen Auflistung konfrontiert sind. Listen wie die folgende kommen in vielen Präsentationen der Nanotechnologie vor, wenn etwa belegt werden soll, was die Nanotechnologie zur Lösung unserer Umweltprobleme beitragen kann: 1) Durch molekulare Fabrikationsmethoden kann produziert werden, ohne Abfall zu erzeugen; 2) die zunehmende Miniaturisierung ermöglicht verteilte Netzwerke von Sensoren zur Umweltdiagnostik; 3) feinste Filter werden erstmals Öl und Wasser trennen können; 4) nanotechnologische Produktentwicklung kann von vornherein mit biokompatiblen Baustoffen arbeiten; 5) nanobiotechnologisch erzeugte künstliche Bakterien werden Giftstoffe abbauen; 6) der Energieund Ressourcenverbrauch wird insgesamt reduziert; 7) Möglichkeiten der Gewinnung und Speicherung von Sonnenenergie lassen sich steigern; undsoweiter. In der Auflistung tauchen einzelne Anwendungsperspektiven auf, deren Verflechtung spätestens durch das „Undsoweiter“ verdeutlicht wird. Die Bestandteile dieser Liste sollen jeweils nur das schier unbegrenzte Potenzial 226
ETHISCH-GESELLSCHAFTLICHER UMGANG MIT DER NANOTECHNOLOGIE
der Nanotechnologie bezeugen. Um die einzelnen Punkte geht es auf der Liste gar nicht – wesentlich ist hingegen, dass all dies und viel mehr möglich sein wird. Gerade an diesem Beispiel lässt sich nun besonders gut verdeutlichen, wie Entflechtung funktioniert und was sie bewirkt. Wir müssen nur das explizite und implizite „Undsoweiter“ streichen und die verbleibende Liste nicht als Zeugnis dafür lesen, was die Nanotechnologie alles kann. Wenn wir sie stattdessen als einen Katalog von Vorschlägen oder Maßnahmen lesen, findet die Entflechtung schon statt. Für jeden Vorschlag auf der Liste lässt sich nun fragen, wie aussichtsreich er ist, ob er zur nachhaltigen Lösung eines technisch lösungsbedürftigen Problems beiträgt, wie entschieden der vorgeschlagene Weg mit Investition von Geld und Arbeit beschritten werden soll.7
5. VERGEGENWÄRTIGUNG Bei der Bewertung der Nanotechnologie stehen wir vor dem Dilemma, dass ethische Reflektion und öffentliche Diskussion nämlich doppelt gefährdet sind. Angesichts fantastischer Spekulationen über die nanotechnische Zukunft übersehen wir womöglich die ganz banalen, darum nicht unwichtigen gesellschaftlichen Herausforderungen hier und jetzt. Umgekehrt könnte die Bemühung, gesellschaftliche Fragen in der gegenwärtigen Situation realistisch zu verankern, den Blick verstellen für die radikalen Veränderungen in der (nicht so?) fernen Zukunft – somit könnten wir die Chance verpassen, uns darauf vorzubereiten. Die hier vorgeschlagene Entflechtungsstrategie geht mit diesem Dilemma um, indem sie sich weigert, bloße unbegrenzte Potenziale zu berücksichtigen, andererseits aber auch nicht nur konkrete Forschungsergebnisse betrachtet. Stattdessen schaut sie sich die Wünsche und Programme an, die sich im öffentlichen Diskurs, in der spielerischen Fantasie von Visionären, aber auch in Projektausschreibungen und -anträgen ausdrücken. Damit bereitet die Entflechtungsstrategie das Problemfeld so zu, dass eine Einschätzung von Visionen möglich wird („vision assessment“, Grin und Grunwald 2000). Armin Grunwald betont zu Recht, dass die Nanotechnologie eine Chiffre der Zukunft ist und als Folie dient, vor der wir Entwürfe unserer technischen Zukunft und des zukünftigen Menschen diskutieren (Grunwald 7 Hieraus ergibt sich auch eine praktische Umgangsweise mit typisch überblicksartigen Einführungsvorträgen in die Nanotechnologie. Nachdem im Laufe des Vortrags eine Vielzahl möglicher Anwendungen erwähnt wurde, könnte die Diskussion eine andere, interessante Wendung bekommen, wenn das Publikum nun aufgefordert wäre, sich darüber zu verständigen, was aus all diesen Angeboten mit welcher Dringlichkeit und in welcher Variante eigentlich wünschenswert ist.
A. NORDMANN
227
2006 und in diesem Band). Das Entflechtungsprogramm interveniert in diese Diskussion und will ihre Vergegenwärtigung bewirken. Es geht schließlich nicht darum, uns eine Zukunft auszusuchen, sondern an gegebenen Problemen, Wertvorstellungen, Ressourcen und Kapazitäten eine Korrektur der Gegenwart zu versuchen. So sollte sich schließlich entscheiden, welche Beiträge hierzu von nanotechnologischen Forschungsprogrammen geleistet werden.
6. LITERATUR UND QUELLENHINWEISE Amato I (1999) Nanotechnology. Shaping the world atom by atom. National Science and Technology Council, Washington Bayrischer Rundfunk (2003) Das Nanoschnitzel – Vision und Wirklichkeit in der Nanotechnologie. Fernsehdokumentation Decker M, Fiedeler U, Fleischer T (2004) Ich sehe was, was Du nicht siehst ... zur Definition der Nanotechnologie. Technikfolgenabschätzung. Theorie und Praxis 13 (2): 10–14 Dupuy J-P (2005) The philosophical foundations of nanoethics. Arguments for a method. Vortrag bei der Nanoethics Tagung, University of South Carolina, 2.–5. März 2005 Eigler D, Schweizer E (1990) Positioning single atoms with a scanning tunneling microscope. Nature 344: 524–526 European Commmission (2004) Communication from the commission. Towards a European strategy for nanotechnology. Office for Official Publications of the European Communities, Luxemburg Feynman R (2001) Da unten ist jede Menge Platz. Es ist so einfach. Vom Vergnügen, Dinge zu entdecken. Piper, München, S 153–179 Gaskell G, Ten Eyck T, Jackson J, Veltri G (2004) Public attitudes to nanotechnology in Europe and the United States. Nature Mat 3: 496 Gee D, Greenberg M (2002) Asbestos: from ‚magic‘ to malevolent mineral. In: Harremoes P, Gee D, MacGarvin M, Stirling A, Keys J, Wynne B, Guedes Vaz S (Hrsg) The precautionary principle in the 20th century. Late Lessons from early warnings. Sage, London, S 49–63 Grin J, Grunwald A (Hg) (2000) Vision assessment: shaping technology in 21st century society. Springer, Heidelberg, S 33–52 Grunwald A (2006) Nanotechnologie als Chiffre der Zukunft. In: Nordmann A, Schummer J, Schwarz A (Hrsg) Nanotechnologien im Kontext. Akademische Verlagsgesellschaft, Berlin, S 49–80 Malsch I (Hg) (2004) Benefits, risks, ethical, legal and social aspects of nanotechnology. 4th Nanoforum Report. nanoforum.org Meikle J (1995) American plastic. A cultural history. Rutgers University Press, New Brunswick Nordmann A (2006a) Unsichtbare Ursprünge. Herbert Gleiter und der Beitrag der Materialwissenschaft. In: Nordmann A, Schummer J, Schwarz A (Hrsg) Nanotechnologien im Kontext. Akademische Verlagsgesellschaft, Berlin, S 81–96 Nordmann A (2006b) Personalisierte Medizin? Zum Versprechen der Nanomedizintechnik. Hessisches Ärzteblatt 67 (5): 331–333 228
ETHISCH-GESELLSCHAFTLICHER UMGANG MIT DER NANOTECHNOLOGIE Nordmann A (2006c) Vor-Schrift – Signaturen der Visualisierungskunst. In: Krohn W (Hrsg) Ästhetik in der Wissenschaft. Interdisziplinärer Diskurs über das Gestalten und Darstellen von Wissen. Felix Meiner, Hamburg, S 117–129 Phoenix C, Treder M (Hrsg) (2006) More essays on nanotechnology implications. Nanotechnology Perceptions 2, Nr 1b Royal Society (2004) Nanoscience and nanotechnologies. Opportunities and uncertainties. The Royal Society and The Royal Academy of Engineering, London Schmid G, Decker M, Ernst H, Fuchs H, Grünwald W, Grunwald A, Hofmann H, Mayor M, Rathgeber W, Simon U, Wyrwa D (2003) Small dimensions and material properties. A definition of nanotechnology. Graue Reihe Nr 35. Europäische Akademie Bad Neuenahr-Ahrweiler GmbH Schmid G, Ernst H, Grünwald W, Grunwald A, Hofmann H, Janich P, Krug H, Mayor M, Rathgeber W, Simon B, Vogel V, Wyrwa D (2006) Nanotechnology – perspectives and assessment. Springer, Berlin Heidelberg
A. NORDMANN
229
AUTORENVERZEICHNIS
Günter ALLMAIER Univ.-Prof. Mag. pharm. Dr.; Jahrgang 1956, Diplomstudium Pharmazie und Diplomarbeit (1980) am Institut für Phamazeutische Chemie, Universität Wien, Österreich; Doktorat Analytische Chemie (1983) auf dem Gebiet der Pestizidanalytik in Wasser und Boden am Institut für Analytische Chemie, Universität Wien; Forschungsaufenthalt (1984–85) am Department of Chemistry, MIT, Cambridge, MA, USA bei Prof. K. Biemann und G. Khorana auf dem Gebiet der Massenspektrometrie von Bacteriorhodopsin; Universitätsassistent (1985–1993) am Institut für Analytische Chemie, Universität Wien; Assistenzprofessor (1993–2003) am Institut für Analytische Chemie, Universität Wien; Forschungsaufenthalte am Department of Molecular Biology, University of Southern Denmark, Odense, Dänemark, bei Prof. P. Roepstorff und am Center of Molecular Biology, Universidad Autonoma de Madrid, Spanien, bei Prof. M. A. de Pedro; Habilitation (1995) im Fach Analytische Chemie (Massenspektrometrie von Biopolymeren); Berufung (2003) auf den Lehrstuhl für Analytische Chemie am Institut für Chemische Technologien und Analytik, TU Wien. Fritz-Pregl-Preis der Österr. Gesellschaft für Analytische Chemie und Heribert-Michl-Preis der Gesellschaft Österr. Chemiker. Mitglied der Austrian Proteom Association, der American Society of Mass Spectrometry, der Association of Biomolecular Resource Facilities der Österr. Gesellschaft für Analytische Chemie und der Österr. Pharmazeutischen Gesellschaft. 231
Forschungsdivision Instrumentelle Analytische Chemie, Institut für Chemische Technologien und Analytik, TU Wien, Tel. +43 (0)1 58801-15160,
[email protected] Walter BAUMGARTNER Dipl. phys. ETH, Dr. sc. nat.; Jahrgang 1952, Mitinhaber der Basics AG (privatwirtschaftlich geführtes Beratungsunternehmen), Studium der theoretischen Physik an der ETH Zürich, Promotion 1982 bei Prof. W. Hunziker; 1981–1983 Journalist beim Züricher Tages-Anzeiger; 1984–1987 wissenschaftlicher Mitarbeiter beim schweizerischen Bundesamt für Energiewirtschaft, Dienst Energiepolitik; 1987– 1990 leitender Wissenschafter bei Basler & Hofmann, Ingenieure und Planer AG, Zürich, Leitung des Bereichs Risiko/ Sicherheit; 1990–1994 Seniorpartner der Interdisziplinären Berater- und Forschungsgruppe IBFG AG sowie Leitung des Forschungsprogramms „Sozio-ökonomische Energieforschung“; ab 1995 Mitinhaber der Basics AG; Mitgliedschaften bei EVAL Schweizerische Evaluationsgesellschaft, SPG Schweizerische Physikalische Gesellschaft, Basel, SRA Society for Risk Analysis, McLean (USA), SSS Schweizerische Statistische Gesellschaft, Bern, VDI Verein Deutscher Ingenieure, Düsseldorf; Arbeitsschwerpunkte: Technology forecasting, energiewirtschaftliche Untersuchungen, Modellierung von dynamischen Systemen, Technologiefolgen-Abschätzungen, empirische Sozialforschung (Marktforschung, Evaluationen u.a.), Bildungsprojekte; Mitautor der Studie des Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung, TA-SWISS, Bern: „Nanotechnologie in der Medizin“ (2003). Basics AG, Zürich, Tel. +41 44 362 75 35,
[email protected] Alexandra FISCHER Dr. rer. nat.; Jahrgang 1977, Studium der Humanbiologie mit Schwerpunkt Genetik, Doktoratsstudium der Molekularbiologie, postgradueller Hochschullehrgang für Toxikologie, dreieinhalbjährige Forschungstätigkeit am Institut für Krebsforschung in Wien; bis September 2006 Anstellung als Toxikologin in der Abteilung Chemikalien am Umweltbundesamt Wien; derzeit Toxikologin in der Bewertung und Zulassung von Pflanzenschutzmitteln in der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) Wien; Arbeitsschwerpunkte: Chemikalienrecht, Einstufung und Kenn232
AUTORENVERZEICHNIS
zeichnung gefährlicher Stoffe, Risikobewertung von Chemikalien und Pflanzenschutzmitteln, Expertin für Toxikologie (Effekte auf die menschliche Gesundheit). AGES Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH, Tel. +43 (0)50 555-33435, alexandra.fi
[email protected] Torsten FLEISCHER Diplom-Physiker; Jahrgang 1965, Studium der Physik (Diplom) an der Humboldt-Universität Berlin; seit 1991 wissenschaftlicher Mitarbeiter des ITAS. Zwischen 1995 und 2000 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag; seit 2003 Projektleiter Nanotechnologie am ITAS. Arbeitsschwerpunkte: Technikfolgenabschätzung und Innovationsforschung bei Neuen Materialien und Nanotechnologie und ihren Anwendungen, vor allem in der Energietechnik. Methoden und Verfahren der Technikfolgenabschätzung und der Wissenschaftskommunikation. ITAS, Forschungszentrum Karlsruhe, Tel. +49 (0)7247 82-4571, torsten.fl
[email protected] Astrid H. GESCHE Dr.; Dozentin für Angewandte Ethik und Dozentin für Deutsch, Queensland University of Technology, Brisbane, Australien; Direktorin: Multimedia Australia Pty Ltd (IT Company). Abgeschlossene Studien (postgraduiert) in Immunologie und Mikrobiologie (University of Adelaide); Deutsche Sprache und Literatur (University of Adelaide); History of Ideas (Australian National University) und Pädagogik (University of Southern Queensland). Laborleiterin (Immunologie): Rodenwaldt Institut, Koblenz und Peverill’s Pathology, Cairns; Forschungspositionen: Institut für Immunologie, Universität Mainz; Menschliche Physiologie, Flinders University; Experimentelle Hämatologie, Australian National University; Angewandte Ethik, Queensland University of Technology. Arbeitsschwerpunkte: ethische Fragestellungen in der Biotechnologie, Nanotechnologie und Informatik, insbesondere in der Lebensmittelproduktion (Biotechnologie und Nanotechnologie) und in den Bereichen Gen-Tests, genetische Datenbanken, Biometrik, Datenschutz und 233
ethische Rahmenrichtlinien. Publikationen: unter anderem ethisch-soziale Risikobeurteilung in der Biotechnologie und Nanotechnologie; ethische Rahmenrichtlinien; ethische und soziale Aspekte im Hinblick auf Gen-Tests und Datenbanken. School of Humanities and Human Services, Queensland University of Technology, Tel. +61 7 3138 4380,
[email protected] Arnim von GLEICH Prof. Dr. phil.; Jahrgang 1949, Hochschullehrer an der Universität Bremen im Fachbereich Produktionstechnik, Leiter des Fachgebiets Technikgestaltung und Technologieentwicklung, Studium der Biologie und Sozialwissenschaften an der Universität Tübingen. Mitarbeiter beim Deutschen Bundestag. Mitarbeiter und danach viele Jahre Mitglied des Vorstandes des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung Berlin (IÖW) gGmbH; von 1994 bis Ende 2002 Professor für Technikbewertung am FB Maschinenbau und Produktion der Fachhochschule Hamburg; seit 2003 Professor für Technikgestaltung und Technologieentwicklung im FB Produktionstechnik der Universität Bremen; Mitglied des Ausschusses für Gefahrstoffe beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales; davor u.a. Mitglied der EnqueteKommission „Schutz des Menschen u. der Umwelt“ des 13. Deutschen Bundestages; Mitglied der von den Bundesministerien für Umwelt und Gesundheit eingesetzten Risikokommission; Forschungsprojekte zu Umweltwirkungen Neuer Werkstoffe, Nachhaltige Metallwirtschaft, Gefahrstoffsubstitution, Bionik u. Nanotechnologie; Arbeiten zu Kriterien der Technik- und Stoffbewertung, technische Risiken u. Operationalisierung des Vorsorgeprinzips (Chemie, Bio- und Gentechnik, Nanotechnologie), Stoffstrommanagement, Industrial Ecology, Bionik, regionale Innovationssysteme, Nachhaltigkeitsstrategien in Kooperation mit Unternehmen. Fachbereich Produktionstechnik, Universität Bremen, Fachgebiet Technikgestaltung und Technologieentwicklung, Tel. +49 (0)421 218-2844 oder -2681 (Sekretariat),
[email protected]
234
AUTORENVERZEICHNIS
Antje GROBE Dr. oec. M.A.; Jahrgang 1967, Studium der Kommunikationswissenschaft, Wirtschaftswissenschaft und Politikwissenschaft an der Universität-GHSEssen, Deutschland; 1995–1997 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Risiko-Dialog im Bereichen Energie-Dialog; 1997–1998 Ausbildung in Gruppendynamik und Konfliktmanagement am Institut für angewandte Philosophie, St. Gallen/ Wien und Co-Moderatorin in der Führungskräfteausbildung/Unternehmensberatung; 1998–2004 Projektleiterin für den Bereich Gentechnologie an der Stiftung Risiko-Dialog, St. Gallen, später für den Bereich der Stammzellenforschung; 2000 Promotion am Institut für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen, Schweiz; seit 2003 Dozentin und Lehrbeauftragte der Universität St. Gallen auf der Assessment- und Bachelorstufe („Dialog-Management“ und „Innovation und Verantwortung“); seit 2004 Dozentin für Dialog-Management an der Universität Stuttgart sowie Leitung des Bereichs Nanotechnologie an der Stiftung RisikoDialog und Vertretung der Stiftung in Deutschland; seit 2006 zusätzlich Projektleiterin bei ZIRN, Zentrum für Interdisziplinäre Risikoforschung und Nachhaltige Technikentwicklung an der Universität Stuttgart; begleitende Wissenschaftlerin des „Impulskreis Nanowelten“, einer Initiative der „Partner für Innovation“. Zentrum für interdisziplinäre Risikoforschung und nachhaltige Technikentwicklung, Universität Stuttgart, Tel. +49 (0)711 6858 3971,
[email protected] Armin GRUNWALD Prof. Dr. rer. nat.; Jahrgang 1960, seit 1999 Leiter des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse des Forschungszentrums Karlsruhe (ITAS) und Professor an der Universität Freiburg; seit 2002 auch Leiter des Büros für TechnikfolgenAbschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB); Studium von Physik, Mathematik und Philosophie an den Universitäten Münster und Köln; Berufstätigkeiten in der Industrie (1987–1991), im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (1991–1995) und als stellvertretender Direktor der Europäischen Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen (1996–1999); Sprecher des HelmholtzProgramms „Nachhaltige Entwicklung und Technik“ sowie Koordinator 235
„Systemanalyse“ in der Helmholtz-Gemeinschaft; Mitherausgeber der Zeitschrift Gaia, Mitglied im Advisory Board des International Journal of Foresight and Innovation Policy und von Poiesis&Praxis – International Journal of Science Ethics and Technology Assessment. Arbeitsschwerpunkte: konzeptionelle und methodische Fragen der Technikfolgenabschätzung und der Ethik in der Technikgestaltung, Nachhaltigkeit und Technik. ITAS, Forschungszentrum Karlsruhe, Tel. +49 (0)7247 82-2500,
[email protected] Alexander G. HASLBERGER Univ.-Doz. Dr.; Jahrgang 1956, Studium der Biologie bei Prof. R. Riedl und M. Haider in Wien. Post doc und Laborleiter im Sandoz Forschungsinstitut im Bereich Mikrobiologie, Immunologie, Wien; Forschungsaufenthalte an der Univ. of Michigan, USA, Univ. of San Francisco, USA, Univ. of Davis, USA. Habilitation für Mikrobiologie, Univ. Wien; Arbeiten für das Sandoz Forschungsinstitut, Wien, das BM für Gesundheit, Wien, die WHO, Genf, das Inst. für Mikrobiologie und Genetik, Univ. Wien, die Univ. of Minnesota, USA und das EPA, Washington, USA; UN-, EU- und österreichische Forschungsprojekte im Bereich horizontaler Gentransfer von GVOs, Sicherheit und sozio-ökonomische Aspekte von biotechnologischer Lebensmittelproduktion, Millennium Ecosystem-Assessment; bakterielle Gemeinschaften in Lebensmittel bei unterschiedlicher landwirtschaftlicher Produktion; bakterielle Gemeinschaften im GI-Trakt immunsupprimierter Menschen, Ernährung, Nachhaltigkeit, Klimawandel, ESSP 2006; Vorstandsmitglied des Forums Österreichischer Wissenschafter für Umweltschutz, Mitglied des österr. Monitoring-Komitées für Biopatente und der Europäischen Kommission für WTO-Konflikte bei GVOs. Zentrum für Ökologie, Universität Wien, Tel. +43 (0)699 12211212,
[email protected]
236
AUTORENVERZEICHNIS
Doris HIRMANN Dr. DI.; Jahrgang 1974, Studium der Chemie, Doktoratsstudium der Biotechnologie, dreijährige Forschungstätigkeit in der Abteilung für Umweltbiotechnologie am IFA-Tulln, dreijährige Tätigkeit als Expertin für Ökotoxikologie in der Abteilung Chemikalien am Umweltbundesamt Wien. Arbeitsschwerpunkte: Anmeldung und Risikobewertung von Neustoffen (Effekte auf die Umwelt), Teilnahme an den Experten-Arbeitsgruppen der Kommission zur Einstufung und Kennzeichnung von gefährlichen Stoffen (Umwelt) und Identifikation von PBT und vPvB Stoffen, REACH-Expertin, Projektmanagement, Schulungen (Twinnings); seit Oktober 2006 Vertragsbedienstete der Europäischen Kommission mit dem Arbeitsschwerpunkt: Vorbereitungen zum Aufbau der Europäischen Chemikalienagentur in Helsinki, Erstellung von Leitfäden für die neue Chemikalienverordnung REACH, Ökotoxikologie. Europäische Kommission, JRC Ispra, Italien, IHCP/ECB – REACH Group, Tel. +39 0332783004,
[email protected] Thilo HOFMANN Univ.-Prof., Dr. rer. nat. habil.; Jahrgang 1967; seit Jänner 2006 Vorstand des Departments für Umweltgeowissenschaften der Universität Wien; Universitätsprofessor für Umweltgeowissenschaften an der Universität Wien (seit Feb. 2005), 2002–2005 Hochschuldozent an der Universität Mainz, Habilitation an der Johannes Gutenberg Universität Mainz (2002), Gastprofessor an der Stanford Universität (WS 2001/2002), Gastprofessor an der Hoh Chi Minh Universität (SoSe 2001), Assistent an der Universität Mainz, Fakultät für Angewandte Geowissenschaft (1999), Doktorat an der Universität Bremen (1995), M.Sc. in Geologie an der Technischen Universität Berlin (Spezialgebiete Hydrogeologie und Ingenieurgeologie; 1995), B.sc. in Geologie an der Freien Universität Berlin (1991). Zahlreiche Publikationen, insbesondere zum Thema Kolloide in der aquatischen Umwelt, Schwermetallverlagerung, organische Umweltschadstoffe. Dept. für Umweltgeowissenschaften, Universität Wien, Tel. +43 (0)1 4277-53320,
[email protected]
237
Barbara JÄCKLI Dipl. sc. nat. ETH (Biologin); Jahrgang 1953, stellv. Dozentin für Fachdidaktik der Biologie an der ETH Zürich, Studium der Biologie an der ETH Zürich, Höheres Lehramt an der ETH Zürich und Paläontologie an der Universität Basel; Arbeitsschwerpunkte: Fachdidaktik der Biologie, Mittelschulbiologie (auf Deutsch und Englisch), naturwissenschaftliche Fachübersetzungen DeutschEnglisch; Mitautorin der Studie des Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung, TA-SWISS, Bern: „Nanotechnologie in der Medizin“ (2003).
[email protected] Frank von der KAMMER Dr. rer. nat., M.A.; Jahrgang 1966, Studium an der Universität Lüneburg; Promotion an der Technischen Universität Hamburg-Harburg; stellvertretender Leiter des Departments für Umweltgeowissenschaften der Universität Wien, Leiter der Nachwuchsgruppe Nano-Geowissenschaften, Vorsitzender des Arbeitskreises „Aquatic Nanosciences & Nanotechnology“ in der Deutschen Wasserchemischen Gesellschaft. Arbeitsschwerpunkte: Umweltprozesse auf der Nanoskala, Stofftransport an Nanopartikeln, Charakterisierung natürlicher Nanopartikel, Umwelteinflüsse von industriellen Nanopartikeln. Dept. für Umweltgeowissenschaften, Universität Wien, Tel. +43 (0)1 4277-53380,
[email protected] Harald F. KRUG Prof. Dr. rer. nat; Jahrgang 1952, seit 1996 Leiter der Abteilung für molekulare Umwelttoxikologie im Institut für Toxikologie und Genetik am Forschungszentrum Karlsruhe und seit dem 1. Januar 2007 Leiter der Abteilung „Materials-Biology Interaction“ an der Empa (St. Gallen) in der Schweiz; Studium der Chemie und Biologie an der Universität Kassel, Promotion an der Universität Göttingen 238
AUTORENVERZEICHNIS
zum Thema Regulation der circadianen Rhythmizität, Postdoc am GSF Forschungszentrum (1983–86) in München, als Gruppenleiter zum Forschungszentrum Karlsruhe, Habilitation an der Universität Karlsruhe im Gebiet der Umwelttoxikologie. Zum Januar 2007 nahm er einen Ruf an die EMPA in der Schweiz an. Vorlesungen, Seminare und Praktika an der Fridericiana Universität Karlsruhe seit WS 1989/90 in den Bereichen der molekularen Umwelt-, Metall-, und Nanomaterialtoxizität; Sprecher des NanoCare Konsortiums (2006–2009), einer Kooperation aus 13 Industrie-, Forschungs- und Universitätspartnern zur grundlegenden Klärung Nanomaterial-abhängiger Schadwirkungen gefördert durch das BMBF. Mitglied in folgenden Gesellschaften bzw. Mitwirkung bei diesen Aktivitäten: DFGCentre for functional Nanostructures (CFN), Deutsche Gesellschaft für Zellbiologie (DGZ), Society of Hygiene, Environmental and Public Health Sciences – GHUP (formerly: Society for Hygiene and Environmental Medicine – GHU), Signal Transduction Society (STS), Environmental Mutagen Society (GUM), Deutsche Gesellschaft für Biochemie und Molekularbiologie (GBM), DECHEMA Working Group „Responsible production and use of nanomaterials” (inkl. Fachsektion Nanotechnologie), Nanobotschafter für das „Deutsche Museum München“; Gutachter für internationale wissenschaftliche Zeitschriften und verschiedene Förderinstitutionen. Arbeitsschwerpunkte: Molekulare Wirkmechanismen von Nanomaterial (inkl. Flugasche), neue Testmodelle (3D Zellmodell) sowie Toxikologie der Schwermetalle und bromierter Kohlenwasserstoffe. Empa – Materials Science & Technology, St. Gallen, Tel. +41 (0)71 2747-274,
[email protected] Wolfgang LUTHER Dr. rer. nat.; Jahrgang 1968, Chemiestudium an der TU Braunschweig, Dipl.-Wirtschaftschemiker Fernuniversität Hagen, Promotion an der HU Berlin; seit 1999 als Technologieberater bei der VDI Technologiezentrum GmbH in Düsseldorf in den Bereichen Innovations- und Technikanalyse und TechnologieMonitoring; seit 2003 Koordination der innovationsbegleitenden Maßnahmen des VDI TZ zur Nanotechnologie im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in Deutschland. Arbeitsschwerpunkte bilden hierbei die Analyse von Chancen- und Risikopotenzialen sowie Kommerzialisierungs- und Förderstrategien im Bereich der Nanotechnologie. VDI TZ GmbH, Düsseldorf, Tel. + 49 (0)211 62 14-582,
[email protected]
9 3 2
Hanns MOSHAMMER Dr. med.; Jahrgang 1960, Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie, Vorstandsmitglied des Vereins „Ärztinnen und Ärzte für eine gesunde Umwelt“ (ÄGU) und dessen internationalen Dachverbandes „International Society Doctors for the Environment“ (ISDE) sowie des Vereins „Medizin und Umweltschutz“ (MUS), Mitarbeiter am Institut für Umwelthygiene der Medizinischen Universität Wien. Arbeitsschwerpunkte: Einflüsse der Luftverschmutzung auf die Gesundheit und andere umwelt-epidemiologischen Fragestellungen. Publikationsliste unter www.meduniwien.ac.at/user/hanns.moshammer/publik.htm abrufbar. Mitglied des Editorial Board von „Umwelt-Medizin-Gesellschaft“ (Bremen), Mitarbeit in diversen internationalen (europäischen) Projekten, wie insbesondere PINCHE (www.pinche.hvdgm.nl/), PATY (Pollution and the Young) und das Projekt „Verkehrsbedingte Gesundheitseffekte unter besonderer Berücksichtigung von Kindern“ im Rahmen des „Pan-European Program on Transport, Health, and Environment“. Institut für Umwelthygiene (ZPH), Medizinische Universität Wien, Tel. +43 (0)1 4277-64711,
[email protected] Manfred NEUBERGER Univ.-Prof. Dr., Jahrgang 1946, Ordinarius für Umwelthygiene an der Medizinischen Universität Wien. Dr. med. (1971), Facharzt für Innere Medizin (1977), Facharzt für Hygiene und Präventivmedizin (1980), Facharzt für Arbeitsmedizin (1997). Habilitation mit dem Buch „Neue Wege zur Risikobewertung von Luftschadstoffen“ (1980). Stv. Vorstand am Universitätsinstitut für Umwelthygiene, stv. ärztlicher Leiter des Instituts für Umweltmedizin der Stadt Wien (1989–99); seit 1992 Leiter der Abt. für Allg. Präventivmedizin am Institut für Umwelthygiene der Universität Wien. Konsulent der WHO (IARC, IPCS, ECEH), UNDP, ILO, EU (DG 12, ENSP, ENYPAT), österreichischer Ministerien, Sanitätsrat, ÖBIG, Chemikalien- und Umweltschutzkommissionen. Vorstandsmitglied diverser wissenschaftlicher Gesellschaften (GHUP, IUAPPA, ÖGHMP, GAMED, ASTOX, u.a.). 374 Publikationen in Fachjournalen und -büchern mit Schwerpunkt Umwelt- und Präventivmedizin; www.meduniwien.ac.at/user/manfred.neuberger/daten/LIST.htm. Institut für Umwelthygiene (ZPH), Medizinische Universität Wien, Tel. +43 (0)1 4277-64701,
[email protected] 240
AUTORENVERZEICHNIS
Alfred NORDMANN Univ.-Prof. Dr.; Jahrgang 1956, seit 2002 Professor für Philosophie und Geschichte der Wissenschaften an der Technischen Universität Darmstadt. Studium der Philosophie, Neuere Deutsche Literatur und Wissenschaftsgeschichte, Promotion 1986 in Hamburg mit einer Arbeit zur Grundlegung der Wissenschaftsforschung.; von 1988 bis 2002 Lehrtätigkeit an der University of South Carolina, Vorsitzender der Lichtenberg Gesellschaft; Berichterstatter der EU Expertengruppe „Converging Technologies – Shaping the Future of European Societies“ (2004), mit Davis Baird und Joachim Schummer Herausgeber von „Discovering the Nanoscale“ (Amsterdam: IOS Press, 2004), mit Joachim Schummer und Astrid Schwarz „Nanotechnologien im Kontext“ (Berlin: Akademische Verlagsgesellschaft, 2006); mit weiteren Aspekten der Nanotechnologie setzen sich drei Aufsätze auseinander: „Shaping the World Atom by Atom: Eine nanowissenschaftliche WeltBildanalyse“ (in A. Grunwald, Hg.: Technikgestaltung zwischen Wunsch und Wirklichkeit, Berlin: Springer, 2003, S. 191–199), „Noumenal Technology: Reflections on the Incredible Tininess of Nano“ (Techné 8:3, 2005), „Wohin die Reise geht: Zeit und Raum der Nanotechnologie“ (in G. Gamm und A. Hetzel [Hrsg] Unbestimmtheitssignaturen der Technik, Bielefeld: transcript, 2005, S. 103–123). Institut für Philosophie, Technische Universität Darmstadt, Tel. +49 (0)6151 162995,
[email protected] Ulrich PETSCHOW Diplom-Volkswirt; Jahrgang 1952, Forschungsfeldleiter Umweltökonomie und -politik am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) gGmbH; Studium der Volkswirtschaftslehre in Mannheim, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fachhochschule für Wirtschaft, Berlin; Arbeitsschwerpunkte: Innovation und Nachhaltigkeit; neue Technologien, Governance. Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) gGmbh, Tel. +49 (0)30 884 59 4-0,
[email protected]
241
Judith SCHUSTER-KOLBE Mag. Dr.; Jahrgang 1967, Diplomarbeit an der Technischen Universität Wien, Institut für Biochemische Technologie und Mikrobiologie, Abteilung für Mikrobielle Biochemie; Dissertation an der Universität für Bodenkultur Wien, am Zentrum für Ultrastrukturforschung und Ludwig-Boltzmann-Institut für Molekulare Nanotechnologie; Studienkoordinator und Research Assistant am Wilhelminen-Krebsforschungsinstitut des Österreichischen Forums gegen Krebs an der 1. Medizinischen Abteilung Wilhelminenspital, Zentrum für Hämatologie und Onkologie; zahlreiche wissenschaftliche Publikationen im Bereich der Charakterisierung von bakteriellen S-layern und in Bereichen der Carcinogenese. Tel. +43 (0) 660 4643431,
[email protected] Michael STEINFELDT Diplomingenieur; Jahrgang 1961, Studium Verfahrenstechnik/Umweltschutztechnik an der Technischen Universität Dresden, Diplomingenieur für Verfahrenstechnik (1987), Ingenieur in der Abteilung Prozesstechnologie bei der „Werk für Fernsehelektronik GmbH“, Berlin (1987–1991), Fortbildung im Bereich Betriebliches Umweltmanagement beim bfe e.V. Bildungspark, Nürnberg (1991–1992), wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter im Bereich Ökologische Unternehmenspolitik am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), gGmbH, Berlin (1992–2004), freiberuflicher Wissenschaftler im Bereich der unternehmensbezogenen Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung (2005–2006), seit 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der Universität Bremen. Lehrtätigkeit an Berliner Hochschulen (TU, FU, TFH, FHW) im Bereich Betriebliches Umweltmanagement. Arbeitsschwerpunkte: Sustainability Assessment, Nanotechnologie und Nachhaltigkeit, Umweltmanagement, ökologisch-ökonomische Bewertung von Produkten und Technologien, Ökobilanzen. Universität Bremen, FG Technikgestaltung und Technologieentwicklung, Tel. +49 (0)421 218 8766,
[email protected]
242
AUTORENVERZEICHNIS
Wladyslaw Witold SZYMANSKI Ao. Univ. Prof. Dr.; Jahrgang 1952, Doktoratsstudium und Doktorat (1982) in Experimentalphysik an der Universität Wien, Österreich. Forschungsaufenthalt und Lehrtätigkeit (1983–1985) an der University of Minnesota, Particle Technology Laboratory, Minneapolis, USA. Arbeitsgebiet: Aerosoltechnologie mit industriellen Applikationen, Mechanik und Optik von Aerosolen; seit 1984 Vortragender bei Short Courses on Aerosol and Particle Measurement, University of Minnesota, USA. Universitätsassistent (1985– 1992) am Institut für Experimentalphysik, Universität Wien; Habilitation (1992) im Fach Aerosolphysik (Aerosoloptik und Mehrfachlichtstreuung in dispersen Systemen); Forschungsaufenthalte an der Technischen Universität Warschau, Polen; Research Institute for Solid State Physics and Optics, Ungarische Akademie der Wissenschaften; National Chiao-Tung University, Taiwan; Kasetsart University, Thailand; über 60 wissenschaftliche Beiträge, 3 Patente; Smoluchowski-Preis der Europäischen Gesellschaft für Aerosolforschung. Ao.Univ.Prof. (1995) am Institut für Experimentalphysik, Universität Wien, Mitglied der Gesellschaft für Aerosolforschung, American Association for Aerosol Research und Chinese Association for Aerosol Research. Fakultät für Physik, Aerosol-, Bio- und Umweltphysik, Universität Wien, Tel. +43 (0)1/4277-51109,
[email protected] Peter WALLNER Dr. med.; Jahrgang 1960, freier Wissenschafter und Wissenschaftspublizist. Studium der Medizin in Wien, 1987 Promotion, 1989–1992 am Institut für Umweltmedizin der Stadt Wien, seither freiberuflich tätig, u.a. als ständiger Mitarbeiter von „Ärztewoche“ und „Zahnarzt“; Vorstandmitglied der Ärztinnen und Ärzte für eine gesunde Umwelt, Mitglied der interdisziplinären ExpertInnengruppe MUS (Medizin und Umweltschutz), Mitglied des Arbeitskreises Innenraumluft im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Chefredakteur „Ökobiotikum“; Arbeitsschwerpunkte: Auswirkungen von Innenraumluft und Außenraumluft sowie von elektromagnetischen Feldern auf die Gesundheit; Risikowahrnehmung. Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen, Zeitungsartikel und Pressetexte zu umweltmedizinischen Themen. Mitarbeit an Büchern 243
und Broschüren – zuletzt u.a. „Auto und Gesundheit“ (Hrsg.: ÄrztInnen für eine gesunde Umwelt). Tel. +43 (0)1 403 96 40,
[email protected] Jörg M. WÖRLE-KNIRSCH Diplom-Biologe, Dr. rer. nat.; Jahrgang 1974, Studium der Biologie und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Tübingen und an der Mount Allison University, New Brunswick, Kanada. Bis Juli 2004 begleitete er die bundesweite Informationskampagne „Nanotruck“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung; danach Wechsel als Nachwuchswissenschaftler ins Institut für Toxikologie und Genetik am Forschungszentrum Karlsruhe im Bereich Nanotoxikologie; Arbeitsschwerpunkte: Molekulare Wirkmechanismen von Nanomaterial-induzierten toxischen Reaktionen in menschlichen Zellsystemen. School of Biotechnology, Esslingen, Tel. +49 (0)178 9833271,
[email protected]
244
SACHVERZEICHNIS
Aerosolphysik 23 Altstoffe 119 Altstoffprogramm 120 ANP – anthropogenic nanoparticles 88 Anwendungsfelder 42 Asbestfasern 184 Atemtrakt, Aufnahme und Transport 168 Atemtrakt, Wirkungen 172 Biodiversitätsabkommen 141 Blut-Hirn-Schranke 170, 184 Code of Ethics 142 Condensation Particle Counter (CPC) 29 Converging technologies 8 Delphi-Befragung 207 Delphi-Methode 152 Dermaler Kontakt 170 Diagnose 160 Dialoge, Experten 210 Dialoge, Stakeholder 208 Effekte, ökotoxikologische 123 Effekte, toxikologische 123 ENP – engineered nanoparticles 88, 89, 93 ENP, Verbreitung 93 ENP, Verwendung 91 ENP, Wirkung 94
Epidemiologische Studien 191 Eurobarometer 16 Exposition 122 Feinstaub 192 Flugzeitanalysator, linearer (TOF, time-of-flight) 32 Gefahrenklassen, Stoffe und Zubereitungen 117 Gesundheitsrisiken 166 „grey goo“ Szenario 12 Ideale Körper 222 Innovationshemmnisse 56 Innovationspotenziale 4 Internationaler Strahlenschutz (ICRP), Modell 169 Kennzeichnung 121 Kohlenstoffnanoröhren, toxisches Potenzial 104 Kohlenstoffnanoröhren, lungenschädigend 188 Kontingenz 15 Krankheitsgruppen 156 Landwirtschaft 132 Lebensmittelindustrie 135 Lebenszyklus 109 Leitbilder 76 Leitplanken 69 Lungenfibrose 172, 188
245
Marktvolumen 51 Massenspektrometrie 31 Matrix, ethische 143 Matrixunterstützte Laserdesorption/ Ionisation (MALDI) 34 Medien 202 Medizinische Forschung 159 Messmethoden 25 Miniaturisierung 219 Mobilitätsanalysator, nano-differentieller (Nano-DMA) 26 Mobilitätsanalysator, parallel-differentieller (PDMA) 30 Molekulare Weltgestaltung 220 Mutagenität 173 Nanoaerosol-Dualflugzeitmassenspektrometer 34 Nanobionik 78 Nanobiotechnologie 7 Nano-divide 11 Nano-Elektrospray-Generatoren (NanoESI) 27 Nanogeowissenschaften, Forschungsbedarf 95 Nanomedizintechnik 223 Nanoparticle Sampler (NPAS) 30 Nano-Phänomene 40 Nanoqualitäten 66 Nano-Skandale 203 Nanotechnologie, Definition 24, 218 Nanotechnologie, Definition, IUPAC 87 Nanotechnologie,Definition, pragmatische 2 Nanotoxizität 157 Nanowissenschaften 85 Nanowissenschaftsphilosophie 216 Nervenfasern, Transport von Nanopartikeln 169 Neustoffanmeldung 119 Neustoffe 119 NNP – natural nanoparticles 88, 91
246
Öffentlichkeit 17, 200 Ökoprofile 71 Orale Aufnahme 170 „prey“ Szenario 13 Prinzipien, ethische 142 Produkte, nanotechnologische 49 REACH 126 Reduktionismus, atomarer 15 Risikobewertung 117 Risikokommunikation 212 Risikomanagement 107 Risikotypen 68 Risikowahrnehmung 201 Sekundärionenflugzeitmassenspektrometer (SIMS-TOF-MS) 33 Silicia-Nanopartikel 29 Stress, oxidativer 172, 188 Technikbewertung, prospektive 64 Therapie 161, 106 Titandioxid, Toxizität 187 Toxikokinetik 168 Toxikologie, experimentelle Befunde am Menschen 188 Toxikologie, tierexperimentelle Befunde 184 Transmission Electron Microscopy (TEM) 29 Ultrafeinstaub 182 Umwelttechnik 91 Verbraucherkonferenzen 211 Verteilungsgerechtigkeit 11 Vorsorgeprinzip 10 Werkzeugkasten, nanotechnologischer 153 Wirtschaftliche Umsetzung 49 Zukunftsvisionen 13