Günter Dönges
Mylady keilt nach hinten aus Butler Parker saß am Steuer seines parkenden Wagens und wartete auf die Rüc...
11 downloads
415 Views
474KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Günter Dönges
Mylady keilt nach hinten aus Butler Parker saß am Steuer seines parkenden Wagens und wartete auf die Rückkehr Lady Agathas, die unterwegs war, um sich einen neuen Hut zu kaufen. Er wußte, daß es unter Umständen noch lange dauern konnte. Langeweile war ihm allerdings nicht anzusehen. Stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt, hielt er sich auf dem Sitz seines hochbeinigen Monstrums. Um sich die Zeit zu vertreiben, hatte er das Wagenradio eingeschaltet. Ein Vortrag über Futterpflanzen in Schottland war nicht geeignet, sein Interesse zu wecken. Auf einer anderen Welle verbreitete sich eine professorale Stimme über Metaphysik in der neuen Musik. Auf einer dritten Frequenz erzählte eine sympathische Frauenstimme ein Märchen, in dem ein Frosch die Hauptrolle spielte. Josuah Parker fühlte sich nicht angesprochen, suchte weiter und hörte dann eine leise, tränenerstickte Stimme, die von Selbstmord sprach…
Die Hauptpersonen: Dr. Harold Bushford betreut nicht nur Patienten. Kay Merlin betreut ihren Chef als Sprechstundenhilfe. Dorothy Winslow bringt sich unnötigerweise um. Duff Speaders installiert Wanzen aller Art. Jean Cavendish leidet nicht nur unter Depressionen. Joe Calster leidet unter Bluthochdruck. Marty Copeland könnte mehr sein als nur Innenarchitekt. Kathy Porter blufft mit einer Holzperlenkette. Lady Agatha Simpson läßt ihren Pompadour kreisen. Butler Parker läßt sich kurzfristig hereinlegen. Der Butler reagierte kaum, so echt und eindringlich diese Frauenstimme auch klang. Auch ein spannendes Hörspiel konnte ihn jetzt nicht in die richtige Wartestimmung versetzen. Ihm schwebte Musik vor, sanfte Weisen, die seine Nerven beruhigten. Inzwischen war der Butler nämlich leicht ungeduldig geworden. Der Hutkauf schien diesmal den Nachmittag zu füllen. Als Parker nach dieser Musik weitersuchen wollte, merkte er, daß er bereits das Ende der Skala erreicht hatte. Plötzlich wurde er hellhörig, drehte automatisch zurück und schaltete sich noch mal in die Frauenstimme ein, die in hemmungsloses Schluchzen übergegangen war. Parker kam der Verdacht, daß er hier auf eine private Sendung gestoßen war. Das Schluchzen klang zu echt, war einfach zu verzweifelt. Hinzu kam die Tatsache, daß so weit rechts auf der Skala kaum ein Sender zu empfangen war. Er regulierte noch mal fein nach und drückte dann einen Umschaltknopf, der unter dem Radio angebracht war. Er schnitt dieses Schluchzen mit und überspielte es auf eine Kassette. Sein Wagen war mit allen technischen Raffinessen ausgerüstet. Eine beruhigend klingende Männerstimme überlagerte nun das Schluchzen und redete eindringlich auf die Frau ein. Sie gab sich alle Mühe, der Frau den geplanten Selbstmord auszureden. Das Schluchzen wurde leiser und hörte endlich auf. Die Frau redete den Mann mit »Doktor« an und versprach schließlich, keine Dummheiten zu machen. Ihre Stimme klang endlich gefaßt und auch ein wenig zuversichtlich. Für Parker stand es inzwischen fest, daß er auf die Sendefrequenz einer sogenannten »Wanze« gestoßen war! Irgendwo im näheren Umkreis dieses Parkplatzes war solch ein Gerät installiert worden und übertrug Intimes aus der Praxis eines Arztes. Für den Butler war das ungeheuerlich. Wer konnte ein Interesse daran haben, solche Gespräche anzuzapfen? Diskret, wie Parker nun mal war, hätte er das Radiogerät am liebsten ausgeschaltet, doch nun ging es nicht mehr um sein Taktgefühl. Er hoffte herauszuhören, um welche Praxis es sich
handelte, welcher Arzt da abgehört wurde. Die Arbeit der »Wanze« mußte so schnell wie möglich abgestellt werden. Dieser Arzt mußte umgehend erfahren, welche Zeitbombe in seiner Praxis tickte. Was die Frau bedrückte, erfuhr Parker wenig später. Mit einer schon fast monoton zu nennenden Stimme erzählte sie von einem Seitensprung ihres Mannes und von dessen Freundin. Sie befürchtete, daß ihr Mann sie früher oder später verlassen würde, steigerte sich wieder in ihre Erregung hinein und weinte. Butler Parker verließ den Wagen, ohne das Gerät jedoch auszuschalten. Er drückte die Tür zu und schritt gemessen zwischen den abgestellten Wagen umher. Unauffällig spähte er nach dem Empfänger dieser Spezialübertragung aus. Seiner Schätzung nach befand er sich in einem der parkenden Wagen. Eine bessere Position dafür ließ sich kaum vorstellen. Hier vom Parkplatz aus konnte man die vielen Büro- und Geschäftshäuser an diesem Platz gut beobachten. Ein Risiko war so gut wie ausgeschlossen. Hinzu kam der ungestörte Empfang. Es gab keine störenden Hochhäuser oder Brandmauern. Parker hoffte, diesen heimlichen Empfänger bald zu finden. Er nahm sich vor, die Übertragung nachhaltig zu stoppen. Für ihn stand es bereits fest, daß er ausnahmsweise mal auf seine gute Erziehung verzichten würde. Nun, Josuah Parker entdeckte in wenigstens einem Dutzend Wagen männliche und weibliche Fahrer, die mehr oder weniger ungeduldig darauf warteten, endlich wieder starten zu können. Einige lasen Zeitung, einige rauchten und trommelten mit ihren Fingerspitzen ungeduldig auf den Lenkrädern herum, andere wieder hatten sich weit zurückgelehnt und genossen die wärmende Sonne dieses Nachmittags. Solch ein herrliches Wetter bot London schließlich nicht alle Tage. Butler Parker wechselte zur zweiten Parkgasse hinüber und wurde auf einen Morris aufmerksam, dessen Vordersitze besetzt waren. Es handelte sich um zwei Männer, die etwa fünfundzwanzig bis dreißig Jahre alt waren. Sie trugen Sonnenbrillen und reagierten auf den Butler recht merkwürdig. Der Mann vor dem Lenkrad wurde plötzlich von einer unerklärlichen Nervosität erfaßt, beugte sich vor und ließ den Motor anspringen. Sekunden später preschte er in verbotenem Tempo aus seiner Parklücke, bog mit kreischenden Reifen in die Gasse ein und jagte davon. Josuah Parker blieb stehen und zog einen seiner vielen Kugelschreiber aus der Westentasche. Er opferte das strahlende Weiß seiner linken Hemdmanschette und notierte sich sicherheitshalber das Wagenkennzeichen. Es konnte wirklich nicht schaden, sich nach dem Besitzer des Morris zu erkundigen. Parker behielt den Kugelschreiber in der Hand und ruinierte seine Manschette. Er notierte sich jetzt auch noch die Wagennummern, deren Fahrer oder Fahrerinnen ihm verdächtig vorgekommen waren. Das war eine reine Routinemaßnahme. Josuah Parker war schon immer ein eifriger Sammler von Informationen gewesen. Er näherte sich wieder seinem Wagen und stutzte. Er wußte genau, daß er die Tür geschlossen hatte, doch jetzt stand sie weit auf. Parker beschleunigte seine Schritte,
ohne dabei auch nur eine Spur seiner Würde zu verlieren, erreichte den Wagen und wußte Sekunden später, daß er bestohlen worden war. Die schmale Kassette im eingebauten Recorder war verschwunden. Während seiner Abwesenheit hatte ein Liebhaber sich für sie interessiert. Josuah Parker war drauf und dran, ein wenig aus der sprichwörtlichen Rolle zu fallen. Er ärgerte sich ungemein über seinen Leichtsinn, schalt sich einen Narren und verlor dann noch die Selbstkontrolle über sich, was in seinem Leben bisher kaum passiert war. Deutlicher Ausdruck dieses Sichgehenlassens war das Aufstoßen seines Universal-Regenschirms auf den Asphalt des Parkplatzes. Bruchteile von Sekunden später aber hatte Josuah Parker sich bereits wieder in der Gewalt, wie es seiner Art entsprach. *** »Nein, ich weigere mich, das zu glauben«, sagte Agatha Simpson und schüttelte hartnäckig den Kopf. »So etwas kann doch nur einem grünen Anfänger passieren, Mister Parker.« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit völlig zerknirscht«, entschuldigte Josuah Parker sich noch mal. Er hatte seiner Herrin gerade von dem Diebstahl berichtet, was ihm schwer genug gefallen war. Lady Agatha, eine große, stattliche Dame von etwa sechzig Jahren, schien das Mißgeschick ihres Butlers zu genießen. Spöttisch blitzten ihre wachsamen, dunklen Augen, ihre faltigen Wangen hatten sich rosa eingefärbt. Lady Agatha Simpson, passionierte Detektivin, trug ihr übliches Tweedkostüm, dessen Rock weit über die stämmigen Waden reichte. Ihre Füße befanden sich in bequemen, aber ausgetreten aussehenden Schuhen. An ihrem linken Handgelenk baumelte ein altertümlicher Pompadour, der mit Perlen bestickt war. Die Dame war eine majestätische Erscheinung, die man nicht übersehen konnte. Sie war immens reich und leistete sich Extravaganzen. Mit dem Blut- und Geldadel verschwistert, war sie in Gesellschaftskreisen gefürchtet. Sie nahm fast nie ein Blatt vor den Mund, war boshaft und ironisch. Ihre Spezialität war die ungeschminkte Wahrheit, die sie stets lautstark äußerte. »Ich kann es einfach nicht fassen«, redete Agatha Simpson grimmig weiter. »Da bietet sich nun ein wahrscheinlich sehr interessanter Kriminalfall an, aber Sie, Mister Parker, verspielen ihn leichtfertig.« »Mylady dürfen versichert sein, daß ich mich schäme«, gestand Josuah Parker. »Bestimmt wäre das auch ein Thema für meinen Bestseller gewesen«, erwiderte die ältere Dame aufgebracht. Sie suchte seit Jahr und Tag nach solch einem einmaligen Thema. Sie hatte sich nämlich vorgenommen, eine gewisse Agatha Christie in den Schatten zu stellen. Agatha Simpson war davon überzeugt, eines Tages die literarische Welt überraschen zu können. Sie brauchte diesen Bestseller nur noch zu Papier zu bringen, fand aber immer neue Ausflüchte, um sich an der Niederschrift vorbeizudrücken.
»Hoffentlich können Mylady mir noch mal verzeihen.« Josuah Parker deutete eine leichte Verbeugung an. »Zudem möchte ich andeuten, daß die Spuren erfreulicherweise nicht völlig verwischt wurden.« »Das möchte ich mir auch ausgebeten haben, Mister Parker.« Lady Simpson sah ihren Butler streng an. »Ich war so frei, mir die Kennzeichen einiger verdächtiger Wagen aufzuschreiben, Mylady.« »Das läßt hoffen, Mister Parker.« Agatha Simpson war versöhnungsbereit. »Meiner bescheidenen Ansicht nach müßte sich die Praxis des erwähnten Arztes in einem der diesen Parkplatz säumenden Häuser befinden..« »Das ist doch schon etwas«, stellte die ältere Dame erleichtert fest. »Handelt es sich Ihrer Ansicht nach um einen praktischen Arzt?« »Diese Frage, Mylady, wage ich nicht zu beantworten.« »Papperlapapp, Mister Parker. Das lasse ich nicht gelten. Da ist eine völlig verzweifelte Frau, die Ehekummer hat, weil ihr Mann eine Liaison hat. Diese Frau sprach von Selbstmord. Wird sie also zu einem praktischen Arzt gegangen sein?« »Diese Wahrscheinlichkeit, Mylady, dürfte recht gering sein.« »Eben, Mister Parker. Sie wird ihren Psychiater aufgesucht haben. Sie sollten sich angewöhnen, logisch zu denken.« »Sehr wohl, Mylady.« Parker hatte selbstverständlich an diese Möglichkeit gedacht, es aber Lady Simpson überlassen, zu diesem Schluß zu kommen. Die ältere Dame brauchte schließlich ihre Erfolgserlebnisse. »Der Fall wird immer einfacher«, freute sich Agatha Simpson. »Ja, er ist eigentlich schon fast gelöst.« »Wie Mylady meinen.« Parker war erheblich anderer Meinung, hütete sich jedoch, sie zu äußern. »Finden Sie diesen Psychiater«, verlangte die resolute Detektivin. »Das kann ja wohl nicht schwer sein, oder?« »Falls Mylady erlauben, werde ich mich sofort an die Ermittlungen machen«, antwortete Josuah Parker gemessen. »Sie werden aber möglicherweise etwas Zeit kosten.« »Nur, wenn Sie noch länger herumreden«, fand Parkers Herrin grimmig. »Fangen Sie dort drüben im Hampton House an! Da wimmelt es ja nur so von Ärzten.« »Mylady wollen hier im Wagen warten?« »Sie finden mich drüben in der Boutique«, schloß Lady Agatha Simpson und marschierte bereits los. »Vielleicht finde ich endlich den Hut, den ich mir vorstelle.« *** Josuah Parker hatte unwahrscheinliches Glück.
Er stand in der Halle des Hampton House. und orientierte sich an den vielen Hinweistafeln neben den beiden Fahrstuhltüren, als sich eine dieser Türen öffnete und eine schlanke, etwa fünfundvierzigjährige Dame heraustrat. Sie hielt ein Taschentuch in der Hand und tupfte sich gerade Tränen aus den geröteten Augenwinkeln. Der Butler war alarmiert. Die Frau, die er suchte, stand vor ihm. Für ihn gab es überhaupt keinen Zweifel. Sie hatte geweint, schien sich inzwischen beruhigt zu haben und kam sicher von ihrem Psychiater. Sie setzte sich jetzt eine Sonnenbrille auf und ging dicht an dem Butler vorbei. Parker hatte einen prüfenden Blick auf die Qualität ihres Jackenkleides geworfen. Es war sehr gut geschnitten und mußte teuer gewesen sein. Diese Dame stammte mit Sicherheit nicht aus ärmlichen Verhältnissen. Parker wechselte sofort seine Taktik. Der Psychiater, nach dem er suchte, hatte noch Zeit. Er mußte herausfinden, wer diese Frau war. Wahrscheinlich stand ihr Wagen drüben auf dem Parkplatz. Josuah Parker folgte ihr also gemessen und hatte erneut Glück. Sie ging tatsächlich zum Parkplatz hinüber und setzte sich an das Steuer eines kleinen italienischen Sportwagens. Parker bemühte noch mal seinen Kugelschreiber und die Manschette. Er notierte auch das Kennzeichen dieses Wagens. Der Dame mißfiel das offensichtlich. Temperamentvoll kletterte sie aus dem Wagen und kam mit schnellen, energischen Schritten auf ihn zu. Parker lüftete höflich seine schwarze Melone. »Was soll das?« fragte sie mit scharfer, unangenehm schriller Stimme. »Madam?« Parker tat ahnungslos. »Warum verfolgen Sie mich? Warum schreiben Sie sich meine Wagennummer auf?« Erfreulich klang ihre Stimme überhaupt nicht. Sie paßte so gar nicht zu dem sanften, leidenden Aussehen dieser Dame, auch nicht zu der Stimme, die Parker über die »Wanze« gehört hatte. Ihm kam ein schrecklicher Verdacht. Sollte sein Glück gar nicht so groß gewesen sein? »Ein Mißverständnis, Madam«, behauptete Parker, innerlich zum schnellen Rückzug entschlossen. »Dann scheren Sie sich zum Teufel! Oder soll ich die Polizei rufen?« »Auf keinen Fall, Madam«, bat Parker und lüftete erneut seine Melone. Er wußte inzwischen, daß er auf die falsche Spur gesetzt hatte. Er schien keinen sonderlich erfolgreichen Nachmittag zu haben. Die Dame, die in Parkers Augen keine war, musterte ihn noch mal empört durch ihre Sonnenbrille und wollte sich wieder in den Wagen setzen, wandte sich dann aber noch mal zu dem Butler um. Sie lächelte plötzlich, wodurch ihr Gesicht schief wirkte. »Was brauchen Sie, um mich zu vergessen?« fragte sie und bemühte sich um Sanftheit in ihrer Tonlage. »Ich fürchte, Madam nicht zu verstehen«, gab der Butler zurück.
»Nun sagen Sie schon, was Sie verlangen!« Die Stimme wurde wieder unangenehm. »Madam sehen einen ratlosen Menschen vor sich.« Im Gegensatz zu seiner Behauptung kam Parker ein Verdacht. Wahrscheinlich hielt sie ihn für einen Privatdetektiv, der sich auf ihre Spur gesetzt hatte. Diese Dame hatte etwas zu verbergen ... »Na, gut, rufen Sie mich an«, sagte sie scharf. »Es ist besser für Sie, wenn wir uns einigen. Denken Sie darüber nach! Sie erreichen mich ab zwanzig Uhr.« Sie tauchte in Ihren kleinen Sportwagen und fuhr scharf an. Josuah Parker hüstelte ein wenig und kam sich überfordert vor. Innerhalb der vergangenen halben Stunde war er mit Informationen förmlich überschüttet worden. Da war zuerst mal die Übertragung dieser »Wanze« gewesen, dann die auffällig hastige Flucht der beiden jungen Männer im Morris und nun auch noch diese Dame, die sich wohl bespitzelt gefühlt hatte. Das alles war kompliziert und vielversprechend zugleich. Parker kam sich vor, als habe er zu nachdrücklich in ein Wespennest gegriffen. Noch hatte sich zwar nichts getan, doch mit Stichen war mit Sicherheit zu rechnen. Er schüttelte die Gedanken daran aber erst mal ab. Noch hatte er den abgehörten Psychiater nicht gefunden. Agatha Simpson erwartete Resultate. Parker schritt zurück zum Hampton House, um seine eigentliche Suche fortzusetzen. Die Praxisschilder neben den beiden Fahrstühlen wiesen ja schließlich nur ein gutes Dutzend Namen auf. Ob er sich allerdings auch im richtigen Haus befand, stand noch längst nicht fest. Der geplante Hutkauf der Lady Agatha Simpson weitete sich zu einem neuen Fall aus, das stand für den Butler inzwischen unumstößlich fest. *** Agatha Simpson wartete sehr ungeduldig auf die Rückkehr ihres Butlers. Sie war in der Boutique gewesen, hatte dort aber nichts gefunden, was auf ihren Kopf paßte. Um sich die Zeit zu vertreiben, wechselte sie hinüber in ein angrenzendes kleines Ladenlokal, in dem antiquarische Bücher angeboten wurden. Die Detektivin schritt an den Regalen und Büchertischen vorüber und wußte selbst nicht, wonach sie suchte. Wie gesagt, es ging ihr nur darum, sich abzulenken. Das Antiquariat war ein langer Schlauch, der vollkommen unübersichtlich eingerichtet war. Querregale schufen eine Art Labyrinth. Im Halbdunkel des hinteren Drittels befanden sich die Bedienungstheke und die Kasse. Agatha Simpson fand schnell heraus, daß das Angebot an alten Büchern miserabel war. Es waren fast ausschließlich gebrauchte Taschenbücher und die Exemplare einiger bekannter Büchergemeinschaften ausgestellt. Normalerweise hätte Lady Agatha diesen Laden sofort wieder verlassen und dem Inhaber dieser Nichtigkeiten ein paar unverblümte Wahrheiten gesagt. Da sie jedoch auf ihren Butler wartete, verkniff sie sich diesen Wunsch, zumal sie in diesem Augenblick
auf einen Sammelband stieß, in dem sich Kurzgeschichten einer gewissen Agatha Christie befanden. Ein wenig herablassend blätterte die ältere Dame in dem Sammelband und wurde dann gegen ihren Willen von dem Beginn einer Kriminalgeschichte gefesselt. Nicht gerade begeistert räumte sie ein, daß diese Frau eigentlich doch recht interessant schrieb. Gewiß, sie war keine Wundererscheinung, wie die Kritik sie pries, aber sie ließ sich durchaus lesen. Agatha Simpson, die diese Schriftstellerin früher oder später völlig in den Schatten stellen wollte, ließ sich jedoch leicht ablenken. Ihr fiel auf, daß in dieser langen, schlauchartigen Buchhandlung erstaunlich viele Herren erschienen, die ihre Käufe sehr schnell tätigten. Sie betraten das Antiquariat, schlenderten an dem langen Regal rechts an der Wand entlang, griffen nach einem der Taschenbücher und bezahlten dann hinten an der Kasse. Der Umsatz an Taschenbüchern mußte beachtlich sein. Agatha Simpson war stets in Sorge, etwas verpassen zu können. Also wechselte sie den Standort und suchte sich an einem der Querregale einen Platz, von wo aus sie das Längsregal besser einsehen konnte. Dabei blätterte sie natürlich wieder scheinbar interessiert in einem Band, den sie sich aus dem Regal gegriffen hatte. Ein neuer Kunde erschien gerade. Agatha Simpson sah deutlich, daß dieser etwa vierzigjährige Mann wirklich wahllos nach einem Taschenbuch langte. Die Detektivin hatte Glück und konnte mit ihren guten Augen sogar den Titel erkennen. Demnach interessierte dieser neue Kunde sich für einen »Kurzen Abriß der Psychoanalyse.« Er ging weiter, ohne auch nur einen einzigen Blick auf den Titel dieses Taschenbuches zu werfen, verschwand fast im Dämmerlicht des hinteren Ladens und verhandelte dort mit dem Buchhändler. Nach wenigen Minuten erschien er wieder vorn in Lady Simpsons Höhe und tat etwas Erstaunliches. Der Kunde schob das Taschenbuch zurück ins Regal, zündete sich eine Zigarette an und verließ wieder das Antiquariat. Die Lady fragte sich unwillkürlich, was dieser Kunde dort hinten an der Kasse wohl bezahlt haben mochte. Sie hatte schließlich deutlich das Geräusch von gewechselten Münzen gehört. Und da erschien auch schon der nächste Kunde. Auch er hielt sich nicht lange vor dem Längsregal auf, griff wahllos nach irgendeinem Buch, verschwand nach hinten in Richtung Kasse und blieb dort vielleicht zwei oder drei Minuten, um dann wieder vorn zu erscheinen. Er nahm sein Taschenbuch jedoch mit. Dafür zeigten sich die beiden nächsten Kunden desinteressiert an einem Buchkauf. Auch sie bezahlten irgendeine Ware weit hinten im Antiquariat, kamen wieder zurück in Richtung Eingang, stellten ihre Bücher zurück ins Regal und gingen dann nach draußen. Agatha Simpson witterte ein Geheimnis.
Ihre Wangen färbten sich rosa, sie machte einen äußerst animierten Eindruck. Die ältere Dame ergriff nun ebenfalls ein Taschenbuch und ging nach hinten zur Kasse. »Sie haben was gefunden, Madam?« fragte der Buchhändler, den Lady Simpson jetzt endlich sah. Es handelte sich um einen etwa fünfzigjährigen, untersetzten und beleibten Mann mit schlauen Fuchsaugen. »Das hier«, sagte Agatha Simpson. »Oder kann ich noch etwas anderes bekommen?« »Sie brauchen nur zu wählen, Madam«, erwiderte der Beleibte geschmeidig. Er schien nur an Bücher zu denken. »Dann möchte ich das haben, was die Herren eben bekamen«, sagte die Detektivin. »Streiten Sie erst gar nicht ab, daß es das gibt! Ich habe schließlich Augen im Kopf.« »Was sollen die Kunden denn außer Büchern bekommen haben?« wollte der Buchhändler wissen. Seine schmalen Fuchsaugen verengten sich. »Darüber werde ich jetzt ausführlich mit Ihnen reden, junger Mann.« Agatha Simpsons Gesicht hatte einen grimmigen Ausdruck angenommen. Der Pompadour an ihrem linken Handgelenk geriet in verdächtige Schwingungen.. »Okay, Mylady, kommen Sie ins Büro«, schlug der Buchhändler vor. Agatha Simpson nickte gewährend und folgte dem gerissenen Fuchs in den Bau. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung, auf was sie sich da eingelassen hatte... *** Die resolute Detektivin sah sich zwei jungen Männern gegenüber, die sich mit einer großen Aktentasche befaßten. Sie mochten etwa dreißig Jahre alt sein und stammten aus jenem Morris, auf den Butler Parker aufmerksam geworden war. Doch davon wußte Lady Simpson nichts. Sie spürte nur, daß ihr die Gesichter der beiden jungen Männer nicht gefielen. »Die Alte schnüffelt im Laden rum«, sagte der Buchhändler in einem Ton, auf den die Detektivin sofort allergisch reagierte. »Schnappt sie euch und dreht sie mal durch den Wolf! Ich will wissen, wer sie ist...« »Ihr Ton ist äußerst rüde«, stellte Agatha Simpson streng fest. Der Pompadour an ihrem linken Handgelenk geriet in stärkere Schwingungen. »Halt bloß die Klappe, altes Mädchen«, wurde der Buchhändler ruppig. »Ihr Ton gefällt mir immer weniger«, warnte Lady Simpson. »Sie wissen wohl nicht, mit wem Sie es zu tun haben!« »Sie sind doch diese Alte, die dauernd in fremder Leute Angelegenheiten rumschnüffelt, oder?« erkundigte sich der erste junge Mann. »Und zwar zusammen mit diesem komischen Butler«,, fügte der zweite hinzu. »Eben aufm Parkplatz, da hat er sich auch schon rumgetrieben.« »Sie benehmen sich flegelhaft«, monierte Agatha Simpson grimmig.
»Und Sie spielen mit dem Feuer, altes Mädchen«, sagte der Buchhändler warnend, »'ne kleine Lektion kann bestimmt nicht schaden.« Er sah die beiden jungen Männer an, die bösartig grinsten. Sie hatten den Buchhändler sofort verstanden, näherten sich drohend der älteren Dame und wollten sie ängstigen. Eine ernsthafte Gegnerin konnte diese Frau für sie natürlich niemals sein, wie sie sich einredeten. »Sie stehen einer Dame gegenüber«, warnte Agatha Simpson, »Die in der Zukunft schön in der Bude bleibt und stricken wird«, sagte der erste junge Mann. »Oder häkelt«, meinte der zweite. »Dann hat sie nämlich kapiert, wie gefährlich das Leben sein kann.« »Ich habe es ja mit Flegeln zu tun«, sagte die Detektivin grimmig und ... knallte dem ersten jungen Mann ihren Pompadour gegen die linke Kopfseite. Die Wirkung war geradezu verheerend. In dem bestickten Handbeutel befand sich Myladys Glücksbringer, ein echtes Hufeisen, das aus Gründen der Menschlichkeit mit einer dünnen Lage Schaumstoff umwickelt war. Der Getroffene verdrehte die Augen, blieb einen Moment wie erstarrt stehen und entwickelte dann den dringenden Wunsch, sich in dem hinter ihm stehenden Büroschrank zu verkriechen. Da die Schranktür jedoch geschlossen war, durchbrach er sie einfach und verhedderte sich anschließend in den Holztrümmern. Der zweite junge Mann stutzte noch, als ihn der Schlag mit dem Pompadour traf. Er stöhnte auf, grunzte ein wenig und verschwand dann unter dem Schreibtisch des Buchhändlers. Hier rollte der junge Mann sich zusammen und haderte mit seinem Schicksal, bevor er ohnmächtig wurde. Der Buchhändler hatte eigentlich noch gar nicht begriffen, als Agatha Simpson sich mit ihm befaßte. Er schaute gerade vom Schreibtisch zurück zum zertrümmerten Schrank, in dem der erste junge Mann es sich in einem Zwischenfach bequem gemacht hatte. Dann aber ging ihm ein Licht auf. Er begriff, daß hier irreguläre Dinge geschehen waren. Der beleibte Buchhändler riß beide Arme hoch und ergab sich. Wie hypnotisiert starrte er dabei auf den pendelnden Pompadour in Myladys Hand. »Was wird hier gespielt?« fragte die ältere Dame eindringlich. »Ich erwarte eine schnelle und ehrliche Antwort, Sie Lümmel!« »Wetten«, stammelte der Beleibte mit brüchiger Stimme. »Dachte ich es mir doch! Und für wen betreiben Sie diese Annahmestelle?« »Joe Calster«, lautete die prompte Antwort. »Lady, machen Sie sich nicht unglücklich! Vergessen Sie den Namen ganz schnell!« Der Beleibte machte einen unglücklichen Eindruck. Er hatte mit einiger Verspätung begriffen, daß er geplaudert hatte. Sein Gesicht war kreidebleich geworden. Er schaute ängstlich zu den beiden Männern hinüber, doch die hatten das wohl nicht mitbekommen. Sie machten immer noch einen äußerst schläfrigen und benommenen Eindruck.
»Wohin führt diese Tür?« Agatha Simpson deutete auf eine schmale Tür neben dem zertrümmerten Büroschrank. »Mantelablage«, stotterte der Beleibte. »Worauf warten Sie noch, Sie Lümmel?« Lady Simpsons Stimme trieb den Mann zur höchsten Eile an. Er jagte förmlich an ihr vorbei und warf sich in das kleine Gelaß, das Lady Simpson hinter ihm schloß. Sie kippte die Lehne eines Stuhls über den Drehknauf und widmete sich dann in aller Ruhe der Aktentasche. Sie enthielt eine Reihe kleiner versiegelter Päckchen, deren Inhalt Agatha Simpson jetzt nicht untersuchte. Das hatte Zeit und konnte von Josuah Parker erledigt werden. Mit solchen Kleinigkeiten gab die ältere Dame sich nicht gern ab. Nach einem letzten prüfenden Blick verließ sie das Büro und traf dann an der Theke zwei Männer, die bereits ungeduldig warteten und Agatha Simpson irritiert anschauten. »Die Annahmestelle ist geschlossen«, verkündete die resolute Dame mit rollender Baßstimme. »Die Polizei wird hier gleich erscheinen.« Die beiden Wettkunden entwickelten große Schnelligkeit im Verlassen des Antiquariats. Agatha Simpson folgte gelassen und ohne jede Hast. Ein vorzeitiges Erwachen der beiden jungen Männer befürchtete sie überhaupt nicht. Sie wußte, wie nachhaltig ihr »Glücksbringer« das Schlafbedürfnis eines Menschen förderte. *** »Mylady waren mit dem Einkauf zufrieden?« erkundigte sich Josuah Parker und musterte verstohlen und mißtrauisch die schwarze Aktentasche, die seine Herrin auf den Rücksitz des hochbeinigen Monstrums warf. Es handelte sich um ein ehemaliges Londoner Taxi, das nach Parkers Wünschen und Vorstellungen umgebaut worden war. Die äußeren Wagenkonturen waren dabei nicht verändert worden. Die technischen Raffinessen befanden sich unter dem Blechkleid, dieses wirklich sehr altertümlich aussehenden Wagens. Der Motor entsprach dem eines Tourenrennwagens, die Radaufhängung nicht weniger. Doch das war es nicht, was den Reiz dieses Wagens ausmachte. Er war im Lauf der Zeit zu einer wahren Trickkiste auf Rädern umgestaltet worden. Gangster aller Schattierungen hatten das bereits am eigenen Leib gespürt. Daß dieses hochbeinige Monstrum nicht zu fliegen vermochte, empfand Parker als einen echten Schönheitsfehler. »Nun, haben Sie den Psychiater gefunden?« fragte die ältere Dame, ohne auf die Bemerkung ihres Butlers einzugehen. »Es handelt sich um einen gewissen Doktor Harold Bushford«, meldete Josuah Parker gemessen, wobei er die schwarze Tasche nicht aus den Augen ließ. Geradezu aufreizend lag sie auf dem rückwärtigen Sitz des Wagens. »Lassen Sie sich gefälligst nicht jedes Wort aus der Nase ziehen«, raunzte die ältere Dame.
»Mylady haben eine Aktentasche erstanden, wenn ich fragen darf?« Josuah Parker witterte Schwierigkeiten. »Und wer ist die Dame, die Sie im Autoradio gehört haben?«- Erneut überging Agatha Simpson Parkers Frage. »Doktor Bushford sah sich leider außerstande, Mylady, den Namen der Dame zu nennen. Er berief sich auf seine ärztliche Schweigepflicht.« »Sie haben eben nicht nachdrücklich genug gefragt«, stellte die Detektivin grimmig fest und ließ den Pompadour bedrohlich pendeln. »Ich glaube, ich werde mich auch noch mal mit diesem Doktor Bushford unterhalten, Mister Parker.« »Mylady fanden Gefallen an der Aktentasche?« Parker wurde den schrecklichen Verdacht nicht los, daß seine Herrin wieder mal Unheil angerichtet hatte. Ihm entging zudem nicht, daß sie immer wieder hinüber zum Eingang eines Antiquariats schaute. »Fahren wir«, entschied Agatha Simpson, die den Blick ihres Butlers bemerkt hatte. »Ich verbitte mir übrigens Ihre hartnäckigen Fragen, Mister Parker. Ich kann mir immer noch kaufen, was ich will.« »Sehr wohl, Mylady! Erwarten Mylady vielleicht jene beiden jungen Herren dort in der Tür zur Buchhandlung?« »Nun fahren Sie schon endlich los!« Agatha Simpson konnte sich lebhaft vorstellen, daß die beiden Männer nicht besonders gut auf sie zu sprechen waren. Sie machten immer noch einen ramponierten Eindruck, doch erholt hatten sie sich inzwischen schon wieder. Sie hatten Agatha Simpson entdeckt, rannten über die Straße und hielten direkt auf das hochbeinige Monstrum des Butlers zu. »Mylady wollen Doktor Bushford erst zu einem späteren Zeitpunkt besuchen?« Parker hatte viel Zeit und öffnete sehr umständlich die hintere Wagentür. Inzwischen waren die beiden jungen Männer heran. Sie gingen langsam und näherten sich betont drohend dem Wagen. Sie sahen sogar sehr ramponiert aus, wie Parker fand. Er wußte sich darauf einen Vers zu machen. Agatha Simpsons Temperament schien wieder mal mit ihr durchgegangen zu sein. »Die Tasche«, sagte der erste Mann. »Und zwar ein bißchen plötzlich«, sagte der zweite. Dann schob er seine rechte Hand in die Tasche seines angerissenen Jacketts und machte deutlich, daß er noch über eine Schußwaffe verfügte. »Sind die Herren sicher, sich an die richtige Adresse gewandt zu haben?« erkundigte sich Parker, während seine Herrin einen grimmigen Eindruck machte. »Die Lady scheint die falsche Tasche erwischt zu haben«, sagte der erste Mann jetzt vermittelnd. »Etwas plötzlich, sonst ist hier gleich der Teufel los«, drohte der zweite Mann gereizt. »Man wird Ihre Wünsche möglicherweise respektieren«, gab Josuah Parker würdevoll zurück und musterte die beiden Männer, die ihm sehr bekannt vorkamen. »Gehe ich recht in der Annahme, Sie in einem Morris gesehen zu haben?«
»Die Tasche her!« Der erste Mann verlor die Geduld. »Oder seid ihr scharf auf blaue Bohnen?« erkundigte sich der zweite Mann. »Mitnichten«, erwiderte Josuah Parker höflich und ... wurde dann sehr aktiv. Drohungen dieser Art konnte er nicht vertragen. Er sah sich zu seinem Leidwesen gezwungen, erzieherische Maßnahmen zu ergreifen. Sein altväterlich gebundener Universal-Regenschirm wurde in Sekundenbruchteilen zu einer gefährlichen Waffe. Der erste Mann quiekte betroffen, als die stählerne Zwinge sich in seine empfindliche Magenpartie bohrte. Bevor der zweite Mann reagieren konnte, machte er Bekanntschaft mit dem Bambusgriff, der mit Blei gefüllt war. Die Kinnlade des Mannes knirschte, worauf der Mund sich schief stellte. Anschließend taumelte der Mann zurück und hatte das Pech, in die Reichweite der älteren Dame zu gelangen. Er hätte sich besser für eine andere Richtung entschieden ... Agatha Simpson ließ sich die Möglichkeit nicht entgehen. Ihr Pompadour schwang hoch und legte sich auf die Brust des vorkippenden Mannes. Der Getroffene wurde zurückgeworfen und setzte sich entgeistert auf seinen Hosenboden. Er wollte noch etwas sagen, doch erst jetzt stellte sich die volle Wirkung des im Pompadour befindlichen »Glücksbringers« ein. Der Mann schloß daraufhin die Augen und verzichtete auf jede Diskussion. Der von der Schirmzwinge Getroffene litt immer noch unter Luftschwierigkeiten und verbeugte sich unwillkürlich in Richtung Lady Simpson. Parker trat höflich zurück und lüftete seine schwarze Melone. »Ich möchte Mylady nicht vorgreifen«, sagte der Butler dazu in seiner unnachahmlichen Art. »Was ich mir auch ausgebeten haben möchte!« Agatha Simpson sah den Butler kurz, aber streng an, um ihren Pompadour dann noch mal in Pendelschwingungen zu versetzen. Der zweite Mann setzte sich neben den ersten und bereute seine Unhöflichkeiten. »Eine Erziehung haben diese jungen Leute von heute! Es ist einfach nicht zu glauben.« Agatha Simpson war entrüstet, maß die beiden Männer mit einem strafenden Blick und bestieg dann den Wagen, dessen Tür Parker höflich schloß. Dann setzte er sich ans Steuer und verließ den Parkplatz. »Wissen Mylady möglicherweise, was sich in der Aktentasche befindet?« erkundigte sich Parker, als er die Straße erreicht hatte. Ein Blick in den Rückspiegel hatte ihm gezeigt, daß der kleine Zwischenfall auf dem Parkplatz von der Öffentlichkeit nicht bemerkt worden war. Dazu war erfreulicherweise alles zu schnell geschehen. »In der Tasche befindet sich wahrscheinlich Wettgeld«, erwiderte die Detektivin animiert. »Sagt Ihnen der Name Joe Calster etwas, Mister Parker?« Der Butler bemühte sich ehrlich, sein tiefes Luftholen nicht zu zeigen, doch es gelang ihm nur recht unvollkommen.
»Joe Calster«, wiederholte Agatha Simpson noch mal, aber bedeutend lauter. »Schnaufen Sie nicht, antworten Sie lieber!« »Mister Joe Calster, Mylady, gilt in eingeweihten Kreisen als der Chef einer Bande, die sich mit verbotenem Wettspiel befaßt«, erklärte der Butler, der sich wieder unter Kontrolle hatte. »Besagter Joe Calster soll ein äußerst bedenkenloser, ja, fast brutaler Gangster sein.« »Dann wird es höchste Zeit, diesem Subjekt gute Manieren beizubringen«, entschied Agatha Simpson unternehmungslustig und rückte sich wohlig auf dem Sitz zurecht. »Ein guter Nachmittag, Mister Parker, finden Sie nicht auch?« *** Dr. Harold Bushford war groß, schlank und elegant, ein Mann von etwa fünfundvierzig Jahren. Er sah gereizt auf, als Agatha Simpson sich in seine Ordination schob, kniff dann ratlos die Augen zusammen und wußte mit der majestätischen Erscheinung der älteren Dame nichts anzufangen. Vielleicht hatte er sofort erkannt, daß diese Frau ganz sicher keine psychiatrische Hilfe brauchte, dazu sah sie einfach zu dynamisch aus. »Wer hat Sie hereingelassen?« fragte er, nachdem er sich von seiner Überraschung erholt hatte. »Ich habe keine Sprechstunde mehr. Hat meine Sprechstundenhilfe Ihnen das nicht gesagt? Miß Merlin! Miß Merlin, wo stecken Sie denn?« Kay Merlin erschien. Die Sprechstundenhilfe des Psychiaters war eine adrette Blondine von etwa dreißig Jahren, ein wenig mollig wirkend. Sie machte einen leicht verstörten Eindruck und sorgte dafür, daß sie nicht zu nahe an Agatha Simpson herankam. »Miß Merlin ist unschuldig«, raunzte die Detektivin den Psychiater an. »Sie hätte mich niemals aufhalten können, Doktor. Ich habe nämlich mit Ihnen zu sprechen.« »Das ist Lady Simpson, Doktor«, flüsterte die Sprechstundenhilfe beeindruckt. »Ich habe meine festen Sprechstunden«, gab Dr. Bushford zurück. »Bitte, Mylady, machen Sie mit meiner Sprechstundenhilfe einen passenden Termin aus! Ich bin überbeschäftigt.« »Sie suchen nach der >Wanze<, nicht wahr?« Agatha Simpson schloß vor Kay Merlins Nase die Tür und marschierte zum Schreibtisch, hinter dem Dr. Bushford stand. »Sie wissen?« Der Psychiater sah die ältere Dame überrascht an. »Mein Butler war schon bei Ihnen«, erklärte sie und ließ sich in dem Besuchersessel nieder. »Sie waren sehr zurückhaltend, Doktor, was den Namen Ihrer Patientin betrifft.« »Den kann ich nicht nennen, Mylady«, schränkte der Psychiater ein. »Ich müßte vorher mit ihr reden und ihr Einverständnis einholen.«
»Haben Sie die Dame bereits informiert, Doktor?« Agatha Simpson sah den Mann scharf an. »Wie komme ich eigentlich dazu, Ihre Fragen zu beantworten?« brauste Dr. Bushford auf. »Dieser Fall geht nur die Polizei etwas an.« »Haben Sie sie bereits verständigt, Doktor?« »Ich habe jetzt keine Zeit mehr, Mylady.« Dr. Bushfords Stimme klang eisig. »Aber ich«, stellte die Detektivin kriegerisch fest. »Obwohl Sie wissen, daß sich hier in Ihrer Ordination eine >Wanze< befindet, haben Sie noch nichts unternommen. Ich nenne das Dummheit und Fahrlässigkeit.« »Unsinn. Wer sagt denn, daß es diese >Wanze< tatsächlich gibt? Das ist doch nur eine Behauptung Ihres Butlers.« »Der Sie zumindest nachgehen sollten, Doktor. Haben Sie denn noch immer nicht begriffen, um was es geht? Ihre Patienten breiten ihr Seelenleben vor Ihnen aus, Doktor, sprechen über die intimsten Dinge. Gleichzeitig aber wird das alles von einer >Wanze< nach draußen übertragen und abgehört. Geht Ihnen jetzt endlich ein Licht auf, Doktor? Haben Sie nun kapiert?« »Worauf wollen Sie hinaus, Mylady?« Harold Bushford machte nun doch einen betroffenen Eindruck, zumal die Tonart der Dame nicht gerade seinem Naturell entsprach. »Du lieber Himmel, Doktor, sind Sie begriffsstutzig«, wunderte sich Agatha Simpson und maß den Psychiater mit einem verweisenden Blick. »Haben Sie das Wort Erpressung schon mal gehört? In welchem Jahrhundert leben Sie eigentlich? Mit den Informationen, die die >Wanze< liefert, lassen sich tolle Geschäfte machen. Muß ich noch ausführlicher werden, junger Mann?« »Wer... wer sollte diese >Wanze < denn bei mir angebracht haben?« Dr. Bushford war inzwischen ein Licht aufgegangen. Er wurde nervös und machte einen bestürzten Eindruck. »Das werde ich selbstverständlich noch herausfinden«, erklärte Lady Agatha Simpson. »Jetzt möchte ich erst mal wissen, wer die verzweifelte Dame in Ihrer Praxis war, die Selbstmord begehen wollte?« »Ich... ich werde sie sofort anrufen.« »Dort steht das Telefon, Doktor.« »Also gut, ich rufe an, Mylady.« Dr. Bushford baute sich vor dem Apparat auf, daß die Detektivin nicht sehen konnte, welche Nummer er wählte. Es dauerte einen Moment, bis auf der Gegenseite abgehoben wurde. Dr. Bushford nannte seinen Namen, wandte sich plötzlich nach Lady Simpson um, schluckte und wirkte sehr bestürzt. »Ich bin der Psychiater von Missis Dorothy Windlow«, sagte er dann. »Wie bitte? Selbstmord? Nein, das kann doch nicht wahr sein, Superintendent. Ja, natürlich, ich stehe Ihnen zur Verfügung. Ja, ich werde hier in meiner Praxis auf Sie warten, Sir.« Dr. Bushford ließ den Hörer in die Gabel fallen und machte einen völlig verstörten Eindruck.
»Sie hat Selbstmord begangen«, sagte er schließlich. »Missis Windlow ist tot.« »Ahnen Sie endlich, was diese >Wanze< alles anrichten kann?« fragte Agatha Simpson streng. »Was ... was hat dieser Selbstmord mit der >Wanze< zu tun?« Dr. Bushford sah die ältere Dame geistesabwesend an. »Wahrscheinlich ist diese Missis Windlow erpreßt worden«, antwortete die Detektivin in einem Ton, als sei das bereits eine erwiesene Tatsache. »Weil ihr Mann sie betrügt?« Dr. Bushford hatte sich wieder gefaßt und schüttelte den Kopf. »Nun ja, immerhin.« Agatha Simpson geriet ein wenig aus dem Konzept, denn dieses Motiv schied tatsächlich als Grund für einen Selbstmord aus. »Ich werde alles Weitere mit der Polizei besprechen«, sagte der Psychiater. »Ich werde natürlich meine ganze Praxis nach verborgenen >Wanzen< untersuchen lassen, Mylady.« Agatha Simpson vermißte gerade in diesem Augenblick ihren Butler, den sie nicht mitgenommen hatte. Sie selbst wußte nicht weiter. Es fielen ihr keine Fragen mehr ein. Sie kam sich ein wenig ausgebootet vor, worüber sie sich natürlich ärgerte. »Sie werden noch von mir hören«, sagte sie also grimmig, um sich einen guten Abgang zu verschaffen. Dann trat sie den Rückzug an und suchte nach einem geeigneten Objekt, wo sie ihren Ärger ablassen konnte. *** »Wenn man Sie mal braucht, sind Sie natürlich nicht da«, knurrte sie ihren Butler an, der im langen Korridor des Bürohauses auf sie gewartet hatte. »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit zerknirscht«, antwortete Josuah Parker. »Darf ich dennoch hoffen, daß Mylady erfolgreich waren?« »Natürlich! Was dachten denn Sie?« Die Detektivin sah Parker fast empört an. »Missis Dorothy Windlow hat den angekündigten Selbstmord begangen, wenn Sie das meinen.« »Handelt es sich um jene Dame, deren verzweifelte Stimme ich im Wagen hörte, Mylady?« »Warum bringt solch eine Frau sich um? Nur, weil ihr Mann sie betrügt?« Agatha Simpson schüttelte verständnislos den Kopf. »Sind das die Männer überhaupt wert?« »Dazu möchte ich aus verständlichen Gründen keine Stellung nehmen, Mylady, zumal meine Antwort subjektiv gefärbt sein könnte. Mylady wissen, um welche Dame es sich handelt?« »Muß ich denn alles allein tun?« Agatha Simpson warf ihrem Butler einen gereizten Blick zu. »Mit solchen Kleinigkeiten gebe ich mich nicht ab, Mister Parker. Für Routinedinge sind Sie zuständig.«
Sie ärgerte sich natürlich, daß sie Dr. Bushford nicht nach der Adresse gefragt hatte, und überspielte das wie üblich durch Ruppigkeit. Josuah Parker wollte sich schon in Bewegung setzen, als seine Herrin ihn plötzlich mit einem erstaunlich harten Griff am Oberarm in ein Zimmer schob, dessen Tür sie geöffnet hatte. Parker setzte diesem Griff keinen Widerstand entgegen. Er hatte sofort begriffen, daß Agatha Simpson zusammen mit ihm von der Bildfläche verschwinden wollte. »Bushford und seine Sprechstundenhilfe«, flüsterte die ältere Dame ihm erklärend zu. »Solch eine Gelegenheit kommt nicht wieder.« »Guten Tag«, sagte der Butler und lüftete grüßend seine schwarze Melone in Richtung eines Mannes, der erstaunt um seinen Schreibtisch herumkam und seine beiden Besucher abwartend ansah. Der Mann machte einen irritierten Eindruck, da die Dame ihm den Rücken zuwandte und durch den Türspalt nach draußen in den Korridor schaute. »Kann ich etwas für Sie tun?« erkundigte sich der Mann und kam vorsichtig näher. »Mit einiger Sicherheit, Sir«, erwiderte der Butler und warf einen schnellen Blick ins Büro. Er wollte herausfinden, welchem Beruf dieser schlanke, etwa fünfzigjährige Mann nachging. »Mit wem habe ich das Vergnügen?« wollte der Inhaber des Büros wissen und beobachtete Agatha Simpson, die keine Anstalten machte, sich nach ihm umzuwenden. »Sie sind der Anlageberater Miller?« erkundigte sich Parker höflich. Diese Berufsbezeichnung war ihm gerade eingefallen. Das Büro gab keinen Aufschluß über den Beruf des Mannes. »Ich heiße Frankers und bin Grundstücksmakler«, erwiderte der Mann irritiert. »Darf ich unterstellen, daß dieser Beruf Ihnen Freude macht?« fragte der Butler. »Ja, natürlich.« Der Grundstücksmakler wußte nun überhaupt nicht mehr, woran er mit seinem Besuch war. «Dann möchte ich es nicht versäumen, Ihnen zu gratulieren, Sir.« Parker lüftete seine schwarze Melone und folgte seiner Herrin, die jetzt wieder in den Korridor ging. »Vielen Dank«, sagte der Grundstücksmakler und zog ein glückliches Gesicht. Dann starrte er auf die Tür, die sich hinter Agatha Simpson und Josuah Parker gerade schloß. Er strich sich über die Stirn, ging zum Schreibtisch zurück und blieb dann jäh stehen. Mit erheblicher Spätzündung ging ihm auf, daß er irgendwie genarrt worden war. Er lief zur Tür zurück und hielt Ausschau nach diesem seltsamen Paar, doch es war bereits im Treppenhaus oder mit dem Fahrstuhl verschwunden. Der Mann saß anschließend noch lange vor seinem Schreibtisch und grübelte darüber nach, wer diese beiden Besucher wohl gewesen sein mochten. Er kam überhaupt nicht auf die Idee, daß sein Büro nur als improvisiertes Versteck benutzt worden war. Es war vor allen Dingen die Figur dieses Mannes, der wie ein Butler aussah.
Dieser Mann war bestimmt nicht aus Zufall in sein Büro gekommen. Grundstücksmakler Frankers war solch ein Mann erst vor kurzer Zeit per Telefon beschrieben worden. Er entschloß sich also, einen Anruf zu tätigen und wählte die Nummer einer Frau, die einen kleinen italienischen Sportwagen fuhr. *** »Worauf warten Sie noch?« Agatha Simpson sah ihren Butler ungeduldig an und deutete dann in die Ordination des Psychiaters. »Mylady haben einen bestimmten Wunsch?« »Natürlich«, antwortete die ältere Dame energisch. Dann erlaube ich mir, auf Myladys Befehle zu warten.« »Muß man Ihnen denn jede Einzelheit vorbeten«, entrüstete sich Agatha Simpson. Im Grunde wußte sie selbst nicht, was man hier in der Ordination des Psychiaters suchen sollte. Sie hatte nur die Gelegenheit genutzt, da Dr. Bushford und seine Sprechstundenhilfe gegangen waren. Agatha Simpson hatte wieder mal sehr spontan gehandelt. Josuah Parker nahm plötzlich den Kopf herum, lauschte einen Moment und deutete dann mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf einen Paravent, der schräg vor einer bequemen Ledercouch stand. »Man scheint zurückzukommen«, sagte er zu seiner Herrin. »Hoffentlich fällt Ihnen eine gute Ausrede ein«, antwortete Agatha Simpson und beeilte sich, hinter dem großen Wandschirm zu verschwinden. Parker folgte ihr gemessen und hatte sich gerade in Sicherheit gebracht, als er bereits einen Schlüssel im Schloß der Vorzimmertür hörte. Sekunden später erschien ein etwa vierzigjähriger, rundlicher und gemütlich aussehender Mann in der Ordination, der einen äußerst sicheren Eindruck machte. Dieser Mann wußte genau, was er wollte. Er langte nach einem Stuhl und trug ihn hinüber zum Fenster. Dann stieg er hinauf auf die Sitzfläche und griff mit seinen ausgestreckten Armen nach der oberen Kante der Jalousette. Er war sich seiner Sache sicher und kam gar nicht auf den Gedanken, daß er beobachtet wurde. Er fingerte im linken Fensterwinkel nach einem Gegenstand, der sich im Moment noch nicht erkennen ließ. Parker wußte bereits Bescheid. Man hatte es mit dem Mann zu tun, der die »Wanze« installiert hatte. Er wollte dieses Abhörgerät jetzt entfernen und alle Spuren verwischen. Gerade durch die »Wanze« mußte er bemerkt haben, daß sein »Privatsender« entdeckt worden war. Wie ein Gangster sah dieser Rundliche nicht aus. Er erinnerte mehr an einen kleinen Gauner, wozu auch sein schlecht sitzender Anzug beitrug. Dieser Rundliche hatte inzwischen gefunden, wonach er suchte. Er ächzte ein paarmal auf, als er die »Wanze« aus ihrem Versteck löste, stieg dann wieder vom Stuhl und trug ihn zurück an seine ursprüngliche Stelle.
Anschließend benahm er sich zusätzlich unvornehm. Er öffnete die Schublade des Schreibtisches und wühlte in ihr herum. Er grinste fast glücklich auf als er einige Banknoten entdeckte, die er schamlos einsteckte. Anschließend interessierte er sich noch für eine goldene Taschenuhr, die er in der Lade fand. Der Mann war bester Laune. Er summte ein Lied, kam wieder um den Schreibtisch herum und geriet in die Nähe des Wandschirms. Er blieb einen Moment stehen und widmete sich dann dem weißlackierten Karteischrank, in dem sich wohl die Krankengeschichten der Patienten- des Dr. Bushford befanden. Er versuchte, eine der Laden zu öffnen, doch sie waren verschlossen. Das schreckte den heimlichen Besucher jedoch nicht ab. Er griff in seine Hosentasche und holte ein Schlüsselbund hervor. Er entschied sich für eine Art Dietrich, schob ihn in das Zentralschloß und versuchte sein Glück. Parker geriet in Unruhe, warf seiner Herrin einen warnenden Blick zu und hatte genau den richtigen Zeitpunkt getroffen. Der Pompadour löste sich bereits von ihrem linken Handgelenk und pendelte sehr nachdrücklich in der Rechten. Agatha Simpson ließ sich durch Parkers Blick beschwichtigen, nickte verstehend und schob den Einsatz ihres »Glücksbringers« noch etwas hinaus. Der rundliche Mann hatte es inzwischen geschafft und zog die erste Karteilade auf. Er blätterte in den Mappen herum und schien nichts Bestimmtes zu suchen. Dann aber beugte er sich plötzlich vor, summte wieder und griff nach einer Mappe. Er trug sie hinüber zum Schreibtisch und zog einige Blätter hervor. Agatha Simpson war in jüngeren Jahren eine recht beachtliche Sportlerin gewesen. Tennis, Golf und Sportbogenschießen waren Selbstverständlichkeiten für sie. Ihre Armmuskeln waren jetzt auch noch trainiert und gut ausgebildet. Um dieser impertinenten Indiskretion ein Ende zu bereiten, schleuderte sie den Pompadour auf den ahnungslosen Dieb und Wanzenbesitzer. Der Mann merkte überhaupt nichts. Erst als der Glücksbringer auf seinem Hinterkopf landete, muckte der Eindringling unterdrückt auf, wandte sich erstaunlich schnell um, riß die Augen weit auf und legte sich dann mit dem Oberkörper über den geöffneten Karteikasten. Danach rührte er sich nicht mehr. »Ein guter Wurf, Mylady, wenn ich mir die Bemerkung gestatten darf«, ließ der Butler sich vernehmen. »Lassen Sie diese unnötigen Schmeicheleien, Mister Parker«, gab die Detektivin zurück und marschierte um den Wandschirm herum. »Sehen Sie endlich nach, wer dieser neugierige Flegel ist! Eine Frechheit, in Privaträume einzudringen! Die Menschen haben einfach keinen Takt mehr.« *** »Dort kommt dieser Lümmel«, sagte Agatha Simpson und verzog spöttisch ihr Gesicht. Sie meinte den »Wanzenbesitzer«, der aus dem Bürohaus taumelte und noch offensichtlich unter den Nachwirkungen des »Glücksbringers« litt.
Agatha Simpson und Josuah Parker warteten erst seit wenigen Minuten auf diesen Mann. Daß er bereits auftauchte, deutete darauf hin, daß der Mann nach seinem Erwachen aus der Vollnarkose schleunigst das Weite gesucht hatte. Er riß sich zusammen und eilte zu einem am Straßenrand parkenden VW, der einen angejahrten Eindruck machte. Parker notierte sich sicherheitshalber das Kennzeichen und benutzte dazu wieder seine Hemdmanschette, auf der es vor Notierungen inzwischen nur so wimmelte. »Rekapitulieren Sie noch mal!« verlangte Agatha Simpson später, als sie in Parkers hochbeinigem Monstrum saßen. »Man hat es mit einem gewissen Duff Speader zu tun, Mylady«, antwortete Josuah Parker gemessen, während er den Wagen durch die Innenstadt steuerte. »Besagter Mister Speader ist laut Ausweisen und Papieren, die sich in seiner Tasche befinden, Privatdetektiv. Büroadresse und Wohnung sind identisch und bekannt, Mylady. Mister Duff Speader dürfte als der Besitzer jener >Wanze< anzusehen sein, die er in der Ordination des Doktor Bushford abmontierte. Sie befand sich in einer seiner Taschen und wurde von meiner bescheidenen Wenigkeit sichergestellt.« »Wir hätten diesen Lümmel gleich an Ort und Stelle verhören sollen«, sagte Agatha Simpson nachdenklich. »Dabei hätte man von dem zurückkehrenden Doktor Bushford überrascht werden können, Mylady. Ich erlaube mir, noch mal darauf hinweisen zu dürfen.« »Sagen Sie lieber, daß Sie Ihren Dickkopf wieder mal durchsetzen wollten, Mister Parker«, antwortete die ältere Dame mißmutig. »Hoffentlich haben Sie keinen Fehler begangen. Hoffentlich!« »Darf ich Mylady darauf aufmerksam machen, daß man sich auf dem Weg zu Mister Speaders Büro und Wohnung befindet?« »Und wenn er schneller ist? Oder wenn er gar nicht dorthin fährt?« »Nach einem solchen Zwischenfall bedarf Mister Speader wahrscheinlich der Ruhe und Erholung, Mylady.« Agatha Simpson drückte sich tief in die Polster und überlegte. Josuah Parker widmete sich dem Verkehr, der an diesem späten Nachmittag geradezu chaotisch war. Er dachte über diesen Duff Speader nach, der die »Wanze« in der Ordination des Psychiaters angebracht und vor einer halben Stunde wieder abmontiert und geborgen hatte. In wessen Auftrag mochte Duff Speader dieses elektronische Abhörgerät betrieben haben? Die Frage war, ob es um den Psychiater ging, oder aber um dessen Intimgespräche mit seinen Patienten. Parker war klar, daß er sich mit dem Privatleben des Psychiaters noch etwas ausführlicher zu beschäftigen hatte. Daraus ließen sich dann schon die ersten Rückschlüsse ziehen. »Wie hieß noch die Patientin, für deren Karteiblätter sich dieser Lümmel interessierte?« ließ Agatha Simpson sich vernehmen. Auch sie hatte sich mit dem Fall befaßt.
»Es handelt sich um eine gewisse Missis Jean Cavendish, Mylady, deren Adresse auf den Karteikarten leider nicht verzeichnet war.« »Je mehr ich über diesen Namen nachdenke, desto bekannter kommt er mir vor«, stellte Agatha Simpson fest. »Jean Cavendish ... Jean Cavendish! Ich komme einfach nicht drauf. Vielleicht bemühen auch Sie sich endlich mal, Mister Parker. Muß ich mir denn immer den Kopf zerbrechen?« »Mylady denken sicher an einen gewissen Paul Cavendish, dessen Name in den Gesellschaftsnotizen der großen Massenblätter erwähnt wird.« »Das sage ich doch die ganze Zeit«, behauptete die ältere Dame unverfroren und nickte nachdrücklich. »Paul Cavendish. Das ist doch dieser aufdringliche Theaterproduzent, nicht wahr?« »Mylady trafen soeben den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf«, sagte Butler Parker und wußte im gleichen Moment, wer die Frau aus dem kleinen italienischen Sportwagen war. Es handelte sich um Jean Cavendish, die Frau dieses Theaterproduzenten. Sie hatte ihn bestechen wollen und erwartete sein Erscheinen oder seinen Anruf ab zwanzig Uhr. Parker war innerlich froh, daß Agatha Simpson ihn auf diese Spur gebracht hatte, die er allein wahrscheinlich nicht gefunden hätte. Er sagte ihr jedoch nichts davon, um die ältere Dame nicht noch zusätzlich in Stimmung zu bringen. Für sein Gefühl war sie schon aktiv genug. Da gab es schließlich immer noch eine schwarze Aktentasche, die mit Geld voll gefüllt war und immerhin einem gefährlichen Gangsterchef gehörte. *** Duff Speader sperrte die Tür zu seinem Detektivbüro auf und warf die Tür hinter sich ins Schloß. Er fingerte nach der dicken Beule an seinem Hinterkopf und fühlte sich schlecht. Der Privatdetektiv grübelte immer noch, konnte sich aber nicht vorstellen, wer ihn in der Ordination dieses Psychiaters außer Gefecht gesetzt hatte. Bis auf seine Papiere und die »Wanze« hatte man ihm alles belassen. Um einen »normalen« Überfall konnte es sich also unmöglich gehandelt haben. Duff Speader war kein As in seinem Beruf. Er hielt sich recht und schlecht über Wasser, arbeitete für Scheidungsanwälte und hin und wieder mal für eine Firma aus der Warenhausbranche. An wirklich fette Aufträge war er bisher noch nie herangekommen. Jetzt war ihm das zwar gelungen, aber schon hatte er sich Schwierigkeiten eingehandelt. Duff Speader war kein Held. Unannehmlichkeiten ging er stets aus dem Weg. Nach der bösen Überraschung in der Ordination des Dr. Bushford stand für ihn fest, daß er diesen Auftrag zurückgeben würde. Die dicke, schmerzende Beule am Hinterkopf empfahl ihm das sehr nachdrücklich.
Er öffnete einen Rollschrank hinter seinem Schreibtisch und holte eine Flasche Brandy hervor, schraubte den Verschluß auf, setzte die Flasche an den Mund und trank erst mal. Der Alkohol wärmte seinen Magen. Nach einem zweiten Schluck griff er nach dem Telefonapparat und wählte eine Nummer, die er sehr gut im Kopf hatte. Es dauerte nur wenige Freizeichen lang, bis auf der Gegenseite abgehoben wurde. »Hier Duff Speader«, meldete er sich. »Spreche ich mit Missis Bushford? Ja? Sehr gut, Madam. Nein, ich habe keine Neuigkeiten. Das heißt, in gewissem Sinn vielleicht doch. Ich gebe nämlich den Auftrag zurück! Ja, Sie haben mich richtig verstanden, Missis Bushford, ich steige aus. Die Sache ist mir zu heiß ... Wieso? Persönliche Gründe. Hören Sie, es hat keinen Sinn, mich umstimmen zu wollen. Nein, nein, ich steige aus. Da wäre noch etwas. Ihre Anzahlung reicht natürlich nicht aus, mich voll zu bezahlen. Ich bekomme noch für eine Woche mein Honorar. Wie, bitte? Sie wollen nicht zahlen. Hören Sie, Madam, das würde ich mir an Ihrer Stelle aber verdammt überlegen. Ich müßte mich sonst an Ihren Mann wenden. Ich wette, der reagiert ziemlich sauer, wenn er erfährt, daß Sie ihn bespitzeln lassen. Stop, keine Beleidigungen! Ich mache Schluß und bekomme von Ihnen noch fünfzig Pfund, damit das klar ist. Ende!« Duff Speader warf den Hörer zurück in die Gabel und genehmigte sich einen weiteren Schluck. Das war erledigt! Weitere Schwierigkeiten brauchte er nicht mehr zu erwarten. Als er die Flasche absetzte, öffnete sich plötzlich die Tür, die in seine kleine schäbige Wohnung führte. Duff Speader sah die eintretende Person völlig entgeistert an. Sie erinnerte ihn an einen Film-Butler. Und dieser Mann lüftete gerade höflich und gemessen seine schwarze Melone, trat näher und musterte ihn aus kühlen Augen, die Speader für grau hielt. »Ein lobenswerter Entschluß, Mister Speader, diesen Auftrag gekündigt zu haben«, sagte dieser Butler dann. »Wer sind denn Sie? Wie kommen denn Sie hier rein?« Duff Speader bekam es sofort wieder mit der Angst zu tun. »Mein Name ist Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor und deutete eine mehr als knappe Verbeugung an. »Falls ich Ihr Gespräch richtig interpretiere, haben Sie im Auftrag von Missis Bushford deren Ehemann beobachtet, nicht wahr?« »Was ... was geht das Sie an?« Duff Speader machte den fast schon rührend zu nennenden Versuch, Stärke zu zeigen. Es mißlang ihm gründlich. »Ist es so oder nicht?« »Ich ... ich rufe die Polizei an, wenn Sie nicht sofort verschwinden.« »Besagte Polizei wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach für die elektronische >Wanze< interessieren, die Sie in Doktor Bushfords Ordination installierten.« »Hat Bushford Sie auf mich gehetzt?«
»Seit wann arbeiten Sie bereits für Missis Bushford? Was sollten Sie herausfinden?« Der Butler ging auf Speaders Frage überhaupt nicht ein. »Im Interesse eines guten Gesprächsklimas rate ich Ihnen dringend zur Offenheit, Mister Speader.« »Soll... soll das eine Drohung sein?« Duff Speaders Stimme klang belegt. »In der Tat«, lautete Parkers knappe Antwort. »Ich warte auf Ihre Erklärung.« »Was ... was bekomme ich denn für diese Auskunft?« Duff Speader versuchte zu retten, was noch zu retten war. »Man wird Sie angemessen für Ihre Auskünfte entlohnen«, versprach Josuah Parker. »Seit wann arbeiten Sie für Missis Bushford? Was sollten Sie eruieren und seit wann befand die elektronische Wanze sich in der Ordination?« »Seit knapp vierzehn Tagen«, erklärte Speader. Er resignierte und leistete keinen Widerstand. »Ich sollte rausfinden, ob Doktor Bushford seine Frau mit dieser Sprechstundenhilfe betrügt. Das ist auch schon alles.« »Und?« lautete Parkers nächste Frage. »Missis Bushford bildet sich da was ein«, redete Speader weiter. »Da ist überhaupt nichts; aber das habe ich natürlich nicht sofort serviert. Ich wollte noch eine Woche oder so an Honorar rausschlagen.« »Wann hörten Sie die elektronische Wanze ab, Mister Speader? Gab es dafür bestimmte Zeiten? Das Modell ist nicht gerade neu zu nennen. Es arbeitete ja noch mit einer Kleinstbatterie.« »Die Batterien habe ich immer wieder ersetzt, verstehen Sie? War nicht schwer. Ich hab mich einfach in die Praxis reingestohlen. Ja, und abgehört hab ich Bushford eigentlich nur immer nach dessen Dienstschluß, wenn er die Krankengeschichten mit Miß Merlin aufarbeitete. So heißt seine Sprechstundenhilfe.« »Sie konnten demnach das Diktat der jeweiligen Krankengeschichten mitabhören?« »Gehört hab ich das Zeug schon, aber nicht verstanden. Wer kennt sich schon in diesem Fachchinesisch aus? Da wimmelt's ja nur so von Fremdwörtern. Nee, da mußte ich passen.« *** »Sind Sie sicher, Mister Speader?« Parker wirkte imponierend. Seine würdevolle, gemessene Art ließ keinen Widerspruch aufkommen. Er war eine Autorität. »Und warum interessierten Sie sich nun gerade heute für eine ganz bestimmte Krankengeschichte, Mister Speader? Sagt Ihnen das Stichwort Cavendish etwas?« »Ha ... haben Sie mich etwa niedergeschlagen?« Während er das sagte, duckte der Privatdetektiv sich, als erwarte er Prügel. »Die Antwort«, erinnerte Parker höflich, aber kühl. »Stichwort Cavendish.«
»Na ja, ich hab sie mal gesehen, als sie zu Bushford ging. Da stand ich draußen auf dem Korridor. Und heute dachte ich mir, ich sollte mal... Ich habe nie was eingefädelt, wenn Sie das meinen! Niemals!« , »Bleibt noch eine wahrscheinlich letzte Frage«, meinte Josuah Parker gemessen. »Warum bauten Sie ausgerechnet heute das Abhörgerät aus? Gab es dazu einen zwingenden Grund?« »Aber sicher. Und was für einen! Ich hatte doch am Transistor mitbekommen, daß die >Wanze< entdeckt worden war. Da war einer bei Doktor Bushford und hat davon geredet. Einer mit einer dunklen Baßstimme. Da hab ich gewußt, daß ich Fliege machen mußte und hab das Ding schleunigst aus der Praxis geholt. So was kostet schließlich ein kleines Vermögen.« Er meinte wahrscheinlich Lady Simpsons Stimme, doch der Butler ging darauf nicht näher ein. »Es ergibt sich doch noch eine Zusatzfrage«, ließ Parker sich wieder vernehmen. »Sagt Ihnen der Name Dorothy Windlow etwas?« »Nee, kann ich nichts damit anfangen. Sagen Sie, haben Sie mir das Ding verpaßt?« »Ich werde mich mit einem eindringlichen und wahrscheinlich auch guten Rat verabschieden«, meinte der Butler und verzichtete erneut darauf, die Frage zu beantworten. »Vergessen Sie schleunigst diesen Auftrag und auch das elektronische Abhörgerät. Es könnte sonst sein, daß Sie in die Schußlinie von Menschen geraten, denen Höflichkeiten fremd sind. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt, Mister Speader?« »Mein Bedarf ist bereits gedeckt.« Er fingerte vorsichtig nach seiner Beule. »Wollten Sie mir nicht so eine Art Honorar zahlen?« Parker öffnete die Brieftasche, nachdem er sie mit gemessener Bewegung hervorgeholt hatte. Er entnahm ihr eine Banknote und legte sie auf den Schreibtisch. Privatdetektiv Duff Speader starrte sie an und schluckte vor Aufregung. Mit solch einem Honorar hatte er nicht gerechnet. Er griff nach dem Geldschein und studierte ehrfürchtig die Einzelheiten auf ihm. Er bekam überhaupt nicht mit, daß sein Besucher das kleine Büro längst verlassen hatte. »Sind Sie sicher, Mister Parker, daß dieses Subjekt Sie nicht nach Strich und Faden betrogen hat?« fragte Agatha Simpson, nachdem der Butler Bericht erstattet hatte. Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und befand sich auf dem Weg zu einer gewissen Jean Cavendish. Nach Lage der Dinge wollte er nicht bis zwanzig Uhr warten, um sich mit der Besitzerin des kleinen italienischen Sportwagens . zu unterhalten. »Mister Speader ist sicher nicht vertrauenswürdig zu nennen, Mylady«, räumte der Butler ein, »auf der anderen Seite glaube ich fest daran, daß er die Wahrheit gesagt hat. Er ist nicht der Typ des raffinierten Erpressers. Ich darf zudem darauf verweisen, daß er noch vor meinem bescheidenen Erscheinen ganz von sich aus
den Auftrag kündigte. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit steht fest, daß er die elektronische >Wanze< einbaute, um Doktor Bushford abzuhören.« »Ich bin sehr enttäuscht«, antwortete Agatha Simpson grimmig. »Sie nehmen mir alle Illusionen. Ich dachte schon, wir seien auf einen interessanten Fall mit Erpressungen gestoßen.« »Ich fürchte, Mylady, daß man diese Illusionen aufgeben muß.« »Das gefällt mir aber gar nicht. Nun, wir haben ja immer noch den Selbstmord dieser Dorothy Windlow. Vielleicht gibt der noch etwas her.« »Auch in diesem Fall, Mylady, möchte ich den sprichwörtlichen Wermut in den Wein tröpfeln. Ihr Selbstmord dürfte mit der bereits mehrfach erwähnten >Wanze< nichts zu tun haben. Er ist das Resultat einer seelischen Kurzschlußhandlung.« »An der ganzen Pleite sind nur Sie allein schuld«, ärgerte sich die ältere Dame. »Mylady sehen mich zerknirscht.« »Ohne Sie und Ihre Spielereien am Autoradio hätten wir von der Existenz dieser >Wanze< überhaupt nichts erfahren. Und ich hätte mich nicht unnötig gefreut.« »In Zukunft werde ich das Autoradio so wenig wie möglich einschalten, Mylady.« »Allerdings will ich die Hoffnung noch nicht ganz aufgeben«, beruhigte sich die Detektivin, der ein Gedanke gekommen war. »Ob diese Jean Cavendish etwas hergeben wird?« »Ich fürchte sehr, Mylady, daß auch Missis Cavendish recht unergiebig sein wird«, entgegnete der Butler gemessen. »Ohne den Propheten spielen zu wollen, möchte ich mir erlauben, anzunehmen, daß es sich auch hierbei um eine banale Eifersuchtsgeschichte handelt.« »Sie hat etwas zu verbergen«, meinte Parkers Herrin weiter. »Warum hätte sie Sie sonst kaufen wollen?« »Eine Antwort darauf läßt sich möglicherweise schon in der nächsten halben Stunde finden, Mylady. Darf ich mir aber die Freiheit nehmen, auf die schwarze Aktentasche zu verweisen?« »Richtig!« Agatha Simpson atmete förmlich befreit auf. »Die schwarze Aktentasche aus dem Antiquariat. Ich hatte sie schon fast vergessen.« »Mister Joe Calster wird sie auf keinen Fall vergessen, Mylady.« Die Warnung in Parkers Stimme war nicht zu überhören. »Überschätzen Sie diesen Lümmel Calster nicht etwas, Mister Parker?« »Mitnichten, Mylady«, gab Josuah Parker zurück. »Er wird inzwischen wissen, daß Mylady seine beiden Kuriere in die gebotenen Schranken verwies. Da Mylady nicht gerade unbekannt sind, muß Mister Calster annehmen, Mylady wolle sich mit ihm anlegen.« »Sehr schön«, freute sich die resolute Dame. »Demnach ist dieser Tag nicht ganz verloren.« »Mister Joe Calster, wenn ich mir erlauben darf, dies noch mal zu wiederholen, gilt als brutaler und gewissenloser Gangster, Mylady.«
»Ausgezeichnet, Mister Parker. Sie glauben, daß er sich das Wettgeld zurückholen wird?« »Nicht nur das, Mylady! Er wird sich auch für die erlittene Schmach rächen wollen.« »Das möchte ich aber auch sehr hoffen«, gab die Detektivin animiert zurück. »Falls er aber kneifen sollte, Mister Parker, werden Sie dafür sorgen, .daß er etwas unternimmt. Lassen Sie sich dazu was einfallen! Mit solchen Nichtigkeiten gebe ich mich nicht ab.« *** Es war die Dame aus dem kleinen italienischen Sportwagen. »Missis Jean Cavendish?« erkundigte sich Josuah Parker jedoch sicherheitshalber noch mal und lüftete höflich seine schwarze Melone. »Ich hatte zwanzig Uhr gesagt«, fuhr sie ihn an. Sie selbst hatte die Tür geöffnet, trug einen Hausanzug und hatte sich das Haar zu einer modischen Frisur hochgesteckt. »Ich kann Ihren Unmut durchaus verstehen, Madam«, entschuldigte sich Josuah Parker. »Mylady bestanden darauf, jetzt und sofort zu Ihnen zu fahren.« »Mylady?« Erst jetzt wurde Jean Cavendish auf Agatha Simpson aufmerksam, die sich von der Hausseite her in den Türbereich schob. Sie starrte die ältere Dame überrascht und unruhig an. »Wollen Sie mich etwa an der Tür abfertigen?« schnaubte Lady Agatha gereizt. Ohne Jean Cavendishs Reaktion abzuwarten, marschierte die ältere Dame ins Haus. Daß sie Jean Cavendish dabei förmlich niederwalzte, schien sie nicht zu bemerken. Mrs. Cavendish sprang im letzten Moment zur Seite und wußte nicht, wie sie reagieren sollte. »Sie kennen mich zumindest vom Ansehen her«, begann Agatha Simpson und entschied sich in der kleinen Halle des Hauses für einen bequemen Sessel. »Halten wir uns also nicht mit unnötigen Höflichkeiten auf, Missis Cavendish.« »Lady Simpson, nicht wahr?« Jean Cavendish zeigte Wirkung. Sie wußte sehr genau, welche Rolle ihre Gesprächspartnerin in der höchsten Gesellschaft spielte. »Warum wollten Sie meinen Butler bestechen? Warum verwechselten Sie ihn offensichtlich mit einem Privatdetektiv?« Agatha Simpsons Fragen waren präzise und ließen keine Ausrede zu. »Das geht nur mich allein etwas an. Wie komme ich dazu, Ihnen Rede und Antwort zu stehen?« Jean Cavendish versuchte es noch mal mit abweisendem Ton. »Dann eben nicht.« Die Detektivin stand schon wieder auf und nickte Butler Parker grimmig zu. »Dann hat mein Butler die Erlaubnis, diesen Zwischenfall und dieses Angebot zu kolportieren.«
»So... so warten Sie doch, Lady Simpson.« Jean Cavendish lenkte ein. Sie wußte nur zu gut, welchen Einfluß die ältere Dame in der sogenannten guten Gesellschaft hatte. »Sie kennen meine Fragen, ich warte auf Ihre Antwort, Kindchen!« Agatha Simpson blieb scheinbar versuchsweise stehen und wirkte ungeduldig und gereizt. »Ich war bei einem Doktor Bushford«, begann Jean Cavendish zögernd. »Wer ist das?« Agatha Simpson tat so, als sei dieser Name ihr völlig unbekannt. »Ein ... ein Psychiater«, redete Jean Cavendish weiter. »Warum lassen Sie sich von ihm behandeln?« »Ich komme einfach nicht mehr mit, verstehen Sie? Ich meine, was den Kreis meines Mannes angeht. Ich steh da rum wie eine Provinzgans. Ich merke, daß man sich über mich lustig macht. Ich bin mit den Nerven fertig.« »Sie haben das Gefühl, minderwertig zu sein?« Agatha Simpson sah Jean Cavendish etwas wohlwollender an. »Genau, Lady Simpson.« Jean Cavendish nickte und schien plötzlich Zutrauen gefaßt zu haben. »Früher, als Paul noch ein kleiner Hungerleider war, da haben wir uns prima verstanden, doch dann wurde alles anders. Er machte Karriere, und ich blieb auf der Strecke. Ich weiß nicht, ob eine Frau wie Sie das verstehen kann. Er spricht plötzlich eine ganz andere Sprache, wir haben uns nichts mehr zu sagen. Er behandelt mich wie eine Angestellte. Nicht, daß ich von ihm kein Geld bekäme. Das ist es nicht. Zum Teufel mit dem verdammten Geld! Darauf kann ich verzichten. Früher hatten wir kaum was zu beißen, aber unsere Ehe klappte. Jetzt ist alles ganz anders.« »Aus diesem Minderwertigkeitsgefühl heraus gingen Sie also zu Doktor Bushford?« »Ich war verzweifelt und hab Tabletten genommen. Mal welche zum Aufputschen, dann wieder welche zum Ruhigwerden, verstehen Sie. Ich hatte Weinkrämpfe. Ich wußte, daß ich früher oder später vor die Hunde ging. Ja, und da wollte ich mich von Bushford seelisch wieder aufrichten lassen. Mein Mann hat davon natürlich nichts gewußt. Er hätte mich ja doch nur ausgelacht und durch den Kakao gezogen.« »Weshalb fühlten Sie sich bespitzelt?« »Darf ich hinzufügen, Madam, daß Sie zur Zeit unserer Begegnung nicht bei Doktor Bushford gewesen sein konnten«, schaltete der Butler sich ein. Er spielte damit auf die Szene an, die sich auf dem Parkplatz zugetragen hatte. Die Wanze hatte Dorothy Windlows Stimme übertragen. Wo also hatte Jean Cavendish sich in der Zwischenzeit aufgehalten? Wo hatte sie geweint und warum? Das alles meinte der Butler mit seiner Frage, die Jean Cavendish sofort verstand. »Also gut«, seufzte sie und holte tief Luft. »Warum sollten Sie nicht alles wissen? Es hat ja ohnehin keinen Sinn mehr. Ich war bei einem Freund! Das ist die Wahrheit. Ich lernte ihn zufällig kennen, als ich wieder mal zu Bushford ging. Und da ich glaubte, daß mein Mann Verdacht geschöpft hat und nur eine Gelegenheit
sucht, mich loszuwerden, habe ich eben geglaubt, Ihr Butler hätte mich in seinem Auftrag bespitzelt.« »Sie sitzen ganz hübsch in der Tinte, Kindchen«, stellte die ältere Dame erfreut fest. »Aber geben Sie die Hoffnung nicht auf. Wenn Sie wollen, helfe ich Ihnen da heraus.« »Ich glaube, daß ich verspielt habe, Lady Simpson.« »Darf ich aus Gründen der Vollständigkeit den Namen Ihres werten Freundes erfahren?« ließ der Butler sich vernehmen. »Marty Copeland«, lautete die prompte Antwort. »Er hat sein Büro im Hampton House.« »Darf ich weiterhin unterstellen, daß er einem Beruf nachgeht?« wollte der Butler wissen. »Marty Copeland ist Innenarchitekt«, lautete die Antwort. »Er besorgt auch Bühnenausstattungen.« Agatha Simpson machte zwar oft einen grimmigen Eindruck, doch sie besaß sehr viel Herz. Ein wenig mitleidig schaute sie auf die ratlose und verzweifelte Frau. Parker hingegen war mit den Auskünften noch immer nicht zufrieden. »Ich möchte auf keinen Fall aufdringlich erscheinen«, sagte er, »aber werden Sie erpreßt, Missis Cavendish?« »Wo... woher wissen Sie denn das?« reagierte Jean Cavendish nervös-überrascht und sah den Butler an. »Von wem?« Die Detektivin setzte nach und musterte Jean Cavendish wieder streng. »Das... das weiß ich nicht«, kam kläglich die Antwort. »Was verlangt man von Ihnen?« fragte der Butler. »Und nach welchem Modus müssen sie zahlen?« »Ich habe bisher fast tausend Pfund gezahlt«, bekannte Jean Cavendish verzweifelt. »Ich mußte das Geld immer in einem Antiquariat einzahlen. In einem verschlossenen Umschlag.« »Ein Antiquariat?« Agatha Simpsons Augen funkelten animiert. »Ist es der lange Schlauch neben dem Hampton House?« »Das ist der Buchladen«, bestätigte Jean Cavendish und nickte. »Wie das weitergehen soll, weiß ich nicht. Langsam geht mir das Bargeld aus. Ich habe kaum noch eine Ausrede, wenn ich meinen Mann um Geld angehe. Irgendwann wird er mir auf die Schliche kommen.« »Verlassen Sie sich auf mich, Kindchen«, tröstete Agatha Simpson die Frau. »In ein paar Tagen wird der ganze Spuk vorüber sein. Nicht wahr, Mister Parker?« »Wie Mylady befehlen«, erwiderte der Butler gemessen. »An meiner bescheidenen Wenigkeit soll es auf keinen Fall liegen, wenn ich mich so ausdrücken darf.« ***
»Pessimismus, Mylady, liegt mir fern«, sagte der Butler eine halbe Stunde später, als sie wieder den Parkplatz vor dem Hampton House erreichten. »Mir scheint jedoch, daß sich im Antiquariat einige irreguläre Dinge abgespielt haben müssen.« Agatha Simpson verzichtete auf eine Antwort. Der Wagen des Butlers rollte noch langsam aus, als sie bereits energisch die Tür öffnete und ausstieg. Anschließend marschierte sie auf ihren stämmigen Beinen grimmig und entschlossen zum Antiquariat hinüber. Vor dem Laden standen zwei Polizeifahrzeuge, ein Privatwagen und leider auch ein Rettungswagen. Parker, der Mylady folgte, glaubte bereits im vorhinein zu wissen, was sich im Antiquariat abgespielt hatte. Er ließ sich ein wenig Zeit, damit seine Herrin etwaige Hindernisse aus dem Weg räumen konnte. Und wie sie es konnte! Sie wurde von einem Constabler gestoppt, als sie den Kreis der neugierigen Zuschauer durchbrach. Es handelte sich um einen noch recht jungen Beamten, der noch nicht mal ahnte, mit welcher Naturgewalt er es zu tun bekam. Die Detektivin war nämlich nicht aufzuhalten. Eher hätte man einem tropischen Wirbelsturm Einhalt gebieten oder ihn umleiten können. Die resolute Dame funkelte den verdutzten Constabler grimmig an, besann sich auf ihre Baßstimme und fuhr gereizt fort. Der junge Constabler wich unwillkürlich zurück, was Agatha Simpson sofort nutzte. Sie marschierte an ihm vorbei und hielt auf den Eingang des Antiquariats zu. Der Constabler beging die Unvorsichtigkeit, Mylady nachzueilen, erreichte sie auch mit wenigen Schritten und wollte sie bremsen. Er wußte nichts von dem Glücksbringer im Pompadour. Agatha Simpson ließ ihn zurückpendeln und traf die Hüfte des Mannes, der daraufhin glaubte, von einem Pferd getreten worden zu sein. Er knickte ein, humpelte und sah der älteren Dame nach, die bereits in der Buchhandlung verschwand. »Oh, Lady Simpson!« Die Stimme des untersetzten, ebenfalls grimmig aussehenden Mannes klang leicht bestürzt. Er stand knapp hinter der Tür und musterte die Dame aus nervös wirkenden Augen. »Superintendent McWarden«, antwortete Agatha Simpson zufrieden. »Endlich ein vernünftiger Mann!« »Vielen Dank, Mylady.« McWarden kannte Agatha Simpson schon seit geraumer Zeit und wußte auch, daß sie der Polizei zusammen mit Butler Parker schon manch wertvollen Dienst erwiesen hatte. Er wußte aber auch, wie unberechenbar und spontan diese resolute Dame war. Ihr Erscheinen machte ihn sofort vorsichtig und hellhörig. Er konnte sich vorstellen, daß sie wieder mal mehr wußte als er, was in der Vergangenheit schon häufig der Fall war. »Was geht hier vor?« verlangte Agatha Simpson in einem Ton zu wissen, als leite sie die Polizei von London.
»Ein Mord, Mylady«, erwiderte Superintendent McWarden respektvoll. »Sie sind zufällig vorbeigekommen?« »Natürlich nicht. Und das wissen Sie auch!« »Sie kennen den Inhaber des Antiquariats?« »Kennen oder kannten?« »Kannten, Mylady. Er ist erschossen worden.« »Den Mörder kennen Sie natürlich nicht, wie?« »Können Sie mir vielleicht einen Tip geben, Mylady?« »Natürlich, McWarden.« Agatha Simpson hatte keine Veranlassung, dem Superintendenten etwas zu verschweigen. »Dieser Buchhändler betrieb eine getarnte Wettannahmestelle für Joe Calster. Ich hoffe, Sie können mit diesem Namen etwas anfangen.« Superintendent McWarden schnappte diskret nach Luft. Beide Dinge waren ihm bisher allerdings nicht bekannt gewesen. Er versuchte, sich das nicht anmerken zu lassen. »Sie hatten keine Ahnung!« Agatha Simpson ließ sich nicht täuschen und lächelte grimmig. »Und jetzt möchte ich den Toten sehen. Kommen Sie!« »Er bietet keinen schönen Anblick, Mylady«, warnte der Superintendent. »Papperlapapp, McWarden, ich bin mit Sicherheit kein jungfräuliches Mädchen mehr. Zieren Sie sich also nicht!« Nach wenigen Minuten sah Mylady sich in dem ihr bereits bekannten Büro dem beleibten Buchhändler gegenüber. Er lag vor seinem Arbeitstisch, getötet von zwei Schüssen, die seine Brüst zerrissen hatten. »Das ist er«, meinte die Detektivin sachlich. »So, und jetzt beweisen Sie Joe Calster mal, daß er für diesen Mord verantwortlich ist, McWarden. Viel Chancen gebe ich Ihnen nicht!« *** »Sie haben viel versäumt, Kindchen«, meinte Agatha Simpson anderthalb Stunden später, als ihre Sekretärin und Gesellschafterin sich im Haus in Shepherd's Market einfand. Kathy Porter, groß, schlank und langbeinig, war eine Schönheit, die allerdings stets ein wenig schüchtern wirkte. Sie wurde von der älteren Dame wie eine Tochter gehalten und hatte sich im Lauf der Zeit auf das etwas skurrile Wesen der Agatha Simpson eingestellt. Kathy Porter hatte sich für diesen Tag frei genommen und war in Windsor bei einer Bekannten gewesen. Sie sah es der Lady an der Nasenspitze an, daß es wieder mal Verwirrung gegeben hatte. Agatha Simpson hatte sich von Parker einen sogenannten Kreislaufbeschleuniger servieren lassen. Es handelte sich dabei um einen doppelten Kognak. »Gibt es einen neuen Fall?« erkundigte sich Kathy Porter. Sie nickte dankend, als Butler Parker ihr Tee servierte.
»Er ist herrlich kompliziert«, freute sich Agatha Simpson. »Und wir haben bereits einen Selbstmord und einen echten Mord. Zudem wird sich inzwischen ein Gangsterchef mit uns befassen, nicht wahr, Mister Parker?« »Das steht in der Tat zu erwarten, Mylady«, erwiderte der Butler gemessen. »Meiner bescheidenen Ansicht nach dürfte Mister Joe Calster noch in dieser Nacht versuchen, sich für seine Niederlage zu rächen.« »Ich verstehe kein Wort«, meinte Kathy Porter lächelnd. »Trösten Sie sich, Kindchen, auch mir sind manche Dinge noch sehr unklar«, gestand die Detektivin und nahm einen äußerst herzhaften Schluck aus dem großen Kognakschwenker. »Lassen Sie sich alles von Mister Parker auseinandersetzen!« »Wie Mylady wünschen.« Parker baute sich seitlich neben dem großen, hochlehnigen Sessel auf, in dem seine Herrin saß. Dann führte er Kathy Porter in das komplizierte Thema ein. »Haben Sie alles verstanden?« erkundigte sich Agatha Simpson später bei ihrer Gesellschafterin. »Es scheint sich um zwei Fälle zu handeln, Mylady«, erklärte Kathy Porter. »Sie sagen es, Kindchen.« Agatha Simpson nickte, um dann ihrem Butler einen schnellen Blick zuzuwerfen. »Sind es zwei Fälle?« »Nun, Sie, Lady Simpson, sind per Zufall auf diesen Buchhändler gestoßen, der für den Gangster Joe Calster eine verbotene Wettannahmestelle betrieb. Sie haben zwei jungen Gangstern eine schwarze Aktentasche weggenommen, die bereits kassierte Wettgelder aus anderen verbotenen Annahmestellen enthielt.« »Superintendent McWarden zählte rund achttausend Pfund, Kindchen«, warf Agatha Simpson stolz ein. »Zudem waren die einzelnen Päckchen mit Absendern versehen. Inzwischen dürfte McWarden schon rund zehn geheime Wettbüros ausgehoben haben.« »Mister Parker hingegen kam durch Zufall auf die Sendung einer elektronischen >Wanze<«, faßte Kathy Porter weiter zusammen. »Sie befand sich in der Ordination des Doktor Bushford. Diese >Wanze< wurde von einem Privatdetektiv namens Duff Speader installiert, was er ja bereits zugegeben hat.« »Sie haben eine recht gute Aufnahmefähigkeit«, lobte Agatha Simpson vorsichtig. »Duff Speader war von Doktor Bushfords Frau beauftragt worden, die eheliche Treue ihres Mannes zu überwachen. Diese von Speader installierte >Wanze< ist inzwischen abmontiert worden.« »Hat sie was übersehen?« erkundigte sich die Detektivin bei ihrem Butler. »Keineswegs, Mylady«, gab der Butler zurück. »Meine Schule«, freute sich Lady Agatha. Sie nickte Kathy Porter wohlwollend zu. »Durch mich hat sie gelernt, was Logik ist.« »Bleibt der Selbstmord von Dorothy Windlow«, führte Kathy konzentriert weiter aus. »Darüber weiß ich zu wenig, um ihn einordnen zu können.« »Geht mir ebenso, Kindchen«, räumte die ältere Dame ein. »Überlassen wir das aber Mister Parker. Er braucht seine Hände ja nicht ununterbrochen in den Schoß
zu legen. Weiter, Kindchen, weiter! So, wie Sie es darstellen, ist alles ganz einfach. Daran sollten Sie sich mal ein Beispiel nehmen, Mister Parker.« »Sehr wohl, Mylady«, ließ der Butler sich gemessen vernehmen. Die feine Andeutung eines Schmunzelns war in seinem Gesicht zu erkennen, während Kathy Porter unverhohlen lächelte. »Nun werden Sie nicht gleich albern, Kindchen«, mahnte Agatha Simpson energisch. »Und Sie, Mister Parker, sollten das schamlose Lachen unterlassen.« »Mister Parker stieß ferner auf eine Missis Jean Cavendish, die sich in psychiatrischer Behandlung von Doktor Bushford befindet«, redete Kathy Porter also weiter. »Missis Jean Cavendish wird nach ihren eigenen Worten erpreßt. Sie hat die erpreßten Gelder an den Buchhändler gezahlt, der erschossen wurde.« »Und der gleichzeitig für Joe Calster eine geheime Wettannahmestelle leitete«, fiel die Detektivin ihrer Sekretärin ins Wort. Sie richtete sich auf und strafte ihren Butler mit einem fast vernichtenden Blick. »Wie kommen Sie dazu, Mister Parker, von zwei Fällen zu reden? Das ist doch ganz klar und eindeutig ein Fall!« »Diesem Aspekt wird man nachgehen müssen, Mylady«, sagte der Butler. »Darf ich bei der Gelegenheit anregen, die Unterhaltung zu verschieben? Falls das hauseigene Warnsystem nicht täuscht, müßte sich auf dem Dach Besuch eingestellt haben.« Während Parker noch redete, deutete er hinüber auf das Fernsehgerät neben dem Kamin. Auf dem Bildschirm waren zwei drahtig aussehende Gestalten zu erkennen, die sich an einem Dachfenster vergnügten und es gerade öffneten... Agatha Simpsons Stadthaus war ein alter Fachwerkbau, der an einem kleinen Platz in Shepherd's Market lag. Es fügte sich nahtlos in die übrigen Häuser ein, die diesen Platz säumten. Agatha Simpson hatte diesen ganzen Komplex schon vor vielen Jahren in ihren Besitz gebracht und sich geweigert, auch nur einen einzigen Balken davon zu verkaufen. Sie liebte diesen Platz mit seinen Häusern. Inmitten der Riesenstadt war das hier eine Oase der Ruhe. Bis auf zwei Häuser links und rechts von ihrem Stadthaus hatte sie alle übrigen Häuser vermietet. Nach außen hin und für die Öffentlichkeit galt das auch für diese beiden Nachbarhäuser, doch in Wirklichkeit gehörten sie zur eigentlichen Stadtwohnung. Aus Gründen ihrer persönlichen Sicherheit waren die Nachbarhäuser dem Haupthaus zugeordnet und ließen sich durch recht geschickt angebrachte Geheimtüren betreten oder verlassen. Nachdem Josuah Parker in die Dienste der Lady getreten war, erfolgten einige Umbauten. Agatha Simpson, eine durchaus romantische Natur, hatte Parker dabei völlig freie Hand gelassen. Der Butler hatte also das Haupthaus und die beiden benachbarten Häuser in eine übergroße Trickkiste verwandelt. Ihm war es darum gegangen, den Leichtsinn seiner Herrin ein wenig zu kompensieren. Seitdem die stets kriegerische Dame sich vehement in die Verbrechensbekämpfung eingeschaltet hatte, war sie natürlich auch zum erklärten Ziel von Gaunern und Gangstern geworden. Wie richtig Parkers bauliche Vorsichtsmaßnahmen waren, hatte sich in der Vergangenheit bereits mehr als
einmal bewiesen. Agatha Simpsons Stadthaus war zu einer raffiniert ausgebauten Festung geworden, an der sich selbst Spezialisten schon die Schneidezähne ausgebissen hatten. Jetzt saßen also zwei junge, drahtige Männer auf dem Dach und verschafften sich Einlaß. Es handelte sich übrigens um die beiden Geldboten, die von Agatha Simpson mit dem Pompadour bearbeitet worden waren. Joe Calster hatte sie auf den Weg geschickt, und sie brannten darauf, sich zu rehabilitieren. Nach eingehender Prüfung waren sie zu dem Schluß gekommen, daß ein heimlicher, nächtlicher Einstieg in dieses Haus nur auf dem Umweg über das Dach erfolgen konnte. Die Erfahrung hatte die beiden jungen Gangster gelehrt, daß man Türen und Fenster sicherte, doch daß man auf Dächer und deren Sicherung kaum Wert legte. Wie richtig sie mit ihrer Vermutung waren, schien sich bereits erwiesen zu haben. Sie waren von der rückwärtigen Gasse aus über die hohe Mauer gestiegen und dann auf das spitzgiebelige Dach geklettert. Viele Schornsteine und Kaminessen boten ausgezeichnete Deckung und Halt. Sie redeten nicht miteinander, waren aufeinander eingespielt. Mike, der etwas Stämmigere der beiden Gangster, zog gerade die Dachluke hoch und nickte seinem Freund Larry triumphierend zu. Larry schaltete seine Taschenlampe ein und leuchtete durch die geöffnete Dachluke nach innen. Es war ein unaufgeräumter Speicher mit viel altem Gerumpel, mit Spinnweben und einer dicken Staubschicht auf dem Boden. Sie ließen sich nacheinander durch die schmale Dachluke nach unten und orientierten sich. Natürlich hatten sie keine Ahnung, daß sie bereits elektronisch geortet und überwacht wurden. Ein Josuah Parker hätte die Sicherheit des Dachbodens nie vergessen. »Dort hinten ist die Bodentür«, flüsterte Mike seinem Freund zu. »In ein paar Minuten lassen wir die Alte tanzen«, versprach Larry nachdrücklich. Er hatte es eilig, Lady Simpson zum Tanz aufzuspielen, griff in die Innentasche seines Jacketts und zog einen kurzläufigen Revolver hervor, auf dessen Mündung er einen Schalldämpfer modernster Bauart geschraubt hatte. Sie blieben dicht hintereinander, als sie sich zur schmalen Tür hinüberbewegten. Für diese beiden jungen Gangster war die Sache bereits gelaufen. Was jetzt noch kam, war reine Routine. Larry leuchtete den Stahlrahmen der Tür ab und suchte nach irgendwelchen Sicherungskontakten. »Nichts«, flüsterte er beruhigt. »Hätte mich auch gewundert.« »Wie ist das mit der Tür? Verschlossen?« Mike stand dicht hinter seinem Partner. »Nee, offen.« »So ein Leichtsinn«, spöttelte Mike leise und wartete, bis Larry sich durch die schmale Tür geschoben hatte. Dann folgte er und zog die Bodentür hinter sich zu.
Larry leuchtete den viereckigen Raum ab, in dem sie sich jetzt befanden. Er war ziemlich klein und enthielt eine zweite Tür, die sich allerdings als zugesperrt erwies. Larry untersuchte kurz das Schloß und schnaufte fast verächtlich. Das Ding ließ sich innerhalb weniger Sekunden knacken, Es war schon fast eine Beleidigung, ihm so etwas vorzusetzen. Er zog ein Schlüsselbund aus der Hosentasche und führte seinen Spezialschlüssel in das Schloß ein. »Haben wir gleich«, sagte er dazu. »Kunststück«, gab Mike zurück. Er lehnte sich gegen die Wand, leuchtete seinem Partner und wartete geduldig. »Komisches Schloß«, sagte Larry nach einer Weile. »Was ist denn?« »Faßt überhaupt nicht.« »Gibt's doch nicht, Larry. Versuch's noch mal!« »Tu' ich ja schon, packt aber nicht.« Ein wenig wütend und gereizt klang Larrys Stimme. So etwas war ihm noch nie passiert. Er konnte das nicht verstehen. Mit äußerstem Feingefühl bewegte er den Nachschlüssel und suchte nach dem erwarteten und notwendigen Widerstand, doch er fühlte immer noch nichts. »Sieht so aus, als ob da überhaupt kein Schloß drin wäre«, meinte er schließlich und richtete sich wieder auf. »Ausgeschlossen«, sagte Mike, seinen Partner beruhigend, um im gleichen Moment auch seine bisherige Ruhe zu verlieren. Unwillkürlich suchte er an der glatten Wand nach Halt, als der Boden unter seinen Füßen förmlich wegsackte. Larry mußte das gleiche Gefühl gehabt haben, denn er stieß einen leisen Schrei aus und fiel gegen seinen Partner Mike. Auch unter seinen Füßen schien der Boden zu entschwinden. »Wie ... wie in 'nem Fahrstuhl«, flüsterte Mike überrascht. »Haargenau«, gab Larry zurück. »Wir sind in 'nem Fahrstuhl, Mike! Wir sind in 'nem Fahrstuhl!« »Aus ... ausgeschlossen«, stotterte Mike, der in Panik geriet. »Nichts wie raus«, rief Larry und warf sich herum. Automatisch griff er nach der Klinke jener Tür, die sie eben erst geöffnet hatten. Doch sie war fest verschlossen und ließ sich nicht mehr bewegen. »Das ist 'ne Falle«, stellte Mike jetzt sehr hellsichtig fest. »Los, wir müssen die Tür aufbrechen«, schlug Larry vor. »Mach schon, Mike! Wir sitzen in 'ner Falle!« »Endlich hat dieser Lümmel begriffen«, meinte Agatha Simpson. Sie saß in ihrem Sessel und beobachtete den Bildschirm, auf dem die beiden Einbrecher im Bild deutlich zu sehen waren. Eine in der Kammer versteckt angebrachte Miniaturkamera lieferte diese wirklich gestochen scharfe Übertragung. »Es sind die beiden Geldboten Mister Calsters«, stellte Josuah Parker fest. »Galgenvögel«, antwortete Agatha Simpson. »Sehen Sie nur, Kindchen, einer von ihnen hat sogar eine schallgedämpfte Schußwaffe bei sich. Die Sitten der Unterwelt verrohen mehr und mehr.«
»Was haben Sie mit den beiden Männern vor, Mylady?« erkundigte sich Kathy Porter. »Was haben wir mit diesen beiden Flegeln vor, nun, Mister Parker?« Agatha Simpson wandte sich ihrem Butler zu. »Darf ich vorschlagen, sie Superintendent McWarden zu übergeben?« »Gut, aber das hat noch Zeit, Mister Parker. Wir sollten die beiden Subjekte erst noch ein wenig verwirren.« »Wie Mylady befehlen.« Parker schritt gemessen auf die holzgetäfelte Wand links vom großen Kamin zu, manipulierte am altertümlichen Schnitzwerk herum und öffnete dann eine der Holzkassetten in der Wand. Eine Art Armaturenbrett wurde sichtbar, das mit Kipphebeln und Knöpfen bedeckt war. Josuah Parker legte seinen Zeigefinger auf einen der Knöpfe und trat dann zurück. Er schaute zum Fernsehgerät hinüber und verfolgte auf dem Bildschirm die seltsamen Kapriolen der beiden Gangster. Die enge Kabine, in der sie sich befanden und die sie für einen Korridor gehalten hatten, hatte sich in einen überdimensional großen Mixbecher verwandelt. Die Kabine rotierte langsam, drehte sich um die Mittelachse und untergrub so die Standfestigkeit der beiden Männer. Sie versuchten verzweifelt, sich auf den Beinen zu halten, schafften es jedoch nicht, da die Rotation der Kabine bereits schneller wurde. Sie lagen auf ihren Rücken, strampelten mit den Beinen in der Luft herum, setzten zum Kopfstand an, schafften ihn, wenn auch leicht verunglückt, und glitten dann an der wieder sich hochschiebenden Kabinenwand nach unten. Die enge Kabine drehte sich schon wesentlich schneller. Der übergroße Mixbecher ließ ihnen keine Chance. Schon nach knapp dreißig Sekunden wurden die beiden Gangster durcheinandergewirbelt, als seien sie Haselnußkerne. Man hörte deutlich ihr Stöhnen und Keuchen, ihr Fluchen und schließlich ihre Schreie. »Nicht, daß ich schadenfroh wäre«, ließ Agatha Simpson sich vernehmen, »aber ich muß sagen, daß diese Übertragung mir doch sehr gefällt Immerhin waren sie nicht eingeladen und wollten sicher ordinär werden.« »Darf es vielleicht eine kleine Verschnaufpause sein?« sagte Parker, der sich wieder an das Schaltbrett herangeschoben hatte. »Aber nicht zu lange, sonst werden diese beiden Lümmel wieder übermütig«, warnte die ältere Dame. »Bevor wir sie an McWarden weiterreichen, sollten wir uns aber noch mit ihnen unterhalten, Mister Parker.« »Sehr wohl, Mylady.« Parker minderte die Rotation des »Mixbechers« und ließ ihn dann anhalten. Die beiden Gangster lagen erschöpft auf dem Boden der kleinen Kabine und litten unter Gleichgewichtsstörungen. Parker fand, daß sie bereits in der richtigen Stimmung sein mußten, um etwas aus ihrem Leben zu erzählen. Agatha erklärte sich nur recht widerwillig bereit, die Behandlung schon jetzt abzubrechen. Sie hätte die beiden Subjekte, wie sie sie nannte, gern noch etwas durchgerührt.
Der Butler betätigte einen weiteren Schalter auf dem Armaturenbrett, worauf die Kabine sich absenkte und ihre Fracht nach unten beförderte. Josuah Parker brauchte die Gäste des Hauses nur noch vorn in der Halle abzuholen. *** Mike und Larry krochen auf allen vieren aus dem Fahrstuhl und kippten immer wieder seitlich um. Ihr Gleichgewichtsgefühl war nachhaltig gestört. Keiner der Burschen dachte daran, nach der Schußwaffe zu greifen. Wahrscheinlich hatten sie die Existenz dieser Waffen vergessen. Josuah Parker stellte sie sicher und verpaßte den beiden Gangstern Handschellen. Dann bugsierte er sie in den großen Wohnraum, was einige Zeit dauerte. Mike und Larry hechelten und greinten. Sie zweifelten an der Gerechtigkeit dieser Welt und fühlten sich äußerst schlecht behandelt. »Nun reißen Sie sich mal zusammen«, herrschte die resolute Dame sie grimmig an. »Mir ist schlecht«, murmelte Mike. »Ich fühl mich hundeelend«, sagte Larry. »Ich bin kein Unmensch«, ließ die Detektivin sich vernehmen. »Reichen Sie diesen Lümmeln eine kleine Erfrischung, Mister Parker.« Der Butler versorgte die beiden Gangster mit Whisky, doch sie hatten echte Schwierigkeiten, die Gläser an den Mund zu führen. »Nun zur Sache«, begann Agatha Simpson ungeduldig. »Was Sie hier wollten, ist ja klar. Ihre Absichten wurden in Bild und Ton festgehalten. Mister Parker, die Übertragung bitte!« Josuah Parker führte den beiden sehr beeindruckten Gangstern das Videoband vor, auf dem ihre Aktionen zu sehen waren. Die technische Einrichtung dieses Hauses war schließlich perfekt. Larry und Mike sahen sich Sekunden später bereits auf dem Bildschirm, hörten sich und erlebten noch mal mit, wie der riesige »Mixbecher« sie durchschüttelte. »Falls Sie noch mal in den Fahrstuhl wollen, brauchen Sie es nur zu sagen«, schickte Agatha Simpson nach erfolgter Übertragung voraus und sah Larry und Mike erwartungsvoll an. »Sie können aber auch reden. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.« »Wir... wir wollten nur klauen«, behauptete Larry. »Silber und Schmuck«, fügte Mike hinzu. Er gab sich treuherzig. »Mister Parker, Sie wissen, was Sie zu tun haben!« Agatha Simpson sah die beiden Gangster empört an. »Ich habe keine Lust, mir diese Lügen anzuhören. Ich denke, Sie sollten diese Flegel noch mal gründlich durchschütteln.« »Nein, bitte!« stöhnte Larry. »Nicht noch mal, das bringt mich um«, sagte Mike entsetzt, »Also, wer hat Sie geschickt? Die Antwort dürfte nur eine Formsache sein.« »Joe Calster, Madam«, erwiderte Larry mutlos.
»Wir sollten nur die Aktentasche zurückholen«, fügte Mike hinzu und gab sich erneut treuherzig. »Und wer ermordete den Buchhändler?« »Welchen Buchhändler?« Larry schien tatsächlich nichts zu wissen. Er sah die ältere Dame irritiert an. »Ich meine den Mann, durch den wir miteinander bekannt wurden«, erläuterte Lady Agatha grimmig. »Stellen Sie sich nicht dümmer an, als Sie es ohnehin schon sind!« »Er ist tot?« wunderte sich Mike nun ebenfalls. Auch ihm schien diese Tatsache unbekannt zu sein. Vielleicht waren die Gangster aber auch nur sehr gute Schauspieler. Agatha Simpson blieb skeptisch. »Die Herren kassierten doch nicht nur Wettgelder«, schaltete der Butler sich jetzt ein. »Was holten Sie sonst noch bei dem erwähnten Buchhändler ab?« »Nichts sonst. Nur die Wettgelder«, lautete Larrys Antwort. »Wir sind doch nur ganz kleine Fische«, bewertete Mike sich und seinen Partner. »Wir haben immer nur die Wettgelder abgeholt.«. »Ihre Offenheit ist geradezu erstaunlich«, sagte Parker. »Sie geben also zu, für Joe Calster Wettgelder in verschiedenen verbotenen Wettbüros abgeholt zu haben. Ist das richtig?« Mike und Larry nickten. »Befürchten Sie nicht, daß Mister Joe Calster Sie wegen Ihrer Angaben früher oder später zur Rede stellen wird?« »Wir sagen ja unter Druck aus«, meinte Larry. »Vor Gericht widerrufen wir alles«, fügte Mike wie selbstverständlich hinzu. »Ist der Buchhändler wirklich ermordet worden?« »Warum sollten wir das getan haben?« fragte Larry jetzt. »Wir sind doch genauso reingelegt worden wie er. Es gab überhaupt keinen Grund, ihn abzuservieren.« Zu dieser Erkenntnis war auch Josuah Parker bereits gekommen, doch er äußerte das nicht. »Seit wann befaßt Ihr Bandenchef Calster sich mit Erpressungen?« fragte Parker beiläufig. »Nee, Sir, das sitzt bei ihm nicht drin«, antwortete Mike sofort und schüttelte den Kopf. »Das ist nicht unser Stil«, reagierte Larry fast angewidert. »Wie kommen Sie überhaupt darauf, daß Calster in Erpressung macht? Das sitzt nicht drin.« »Fest steht, daß der erwähnte Buchhändler Erpressungsgelder kassierte.« »Dieses Miststück«, wunderte sich Mike und schüttelte den Kopf. »Dann muß er da 'ne Privatsache aufgezogen haben.« »Und wenn er wirklich umgelegt worden ist, dann von einem, den er unter Druck gesetzt hat«, sagte Larry fachmännisch. »Was sagen Sie dazu, Mister Parker?« Agatha Simpson wandte sich an ihren Butler.
»Ich möchte Mylady auf keinen Fall vorgreifen«, sagte Josuah Parker gemessen. »Vielleicht bietet es sich an, Mister Joe Calster einen Höflichkeitsbesuch abzustatten.« »Und wo findet man dieses Subjekt?« »Ich bin sicher, Mylady, daß die beiden Herren mit einer entsprechenden Auskunft dienen werden«, sagte Parker. »Is' doch überhaupt kein Geheimnis, wo Calster um diese Zeit steckt«, schaltete Larry sich schnell ein. »Im Gardena Club natürlich«, fügte Mike hinzu. »Wir können Sie hinbringen.« »Danke, die Lage dieses Clubs ist bekannt«, erwiderte der Butler abweisend. »Aber Fremde kommen da nicht rein«, warnte Larry. »Das is' nämlich 'n Privatclub.« »Überlassen Sie das gefälligst mir«, raunzte die resolute Dame die beiden Gangster an. »Sie warten hier, bis wir zurück sind. Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause!« »Sie wollen uns festhalten?« staunte Mike. »Das ist ungesetzlich«, warnte Larry eindringlich. »Wir lassen Ihnen glatt 'ne Klage ins Haus flattern.« »Wir verlangen, von der Polizei verhaftet zu werden«, sagte Mike aufgebracht. »Wir leben doch schließlich in 'nem Rechtsstaat!« »Entfernen Sie diese beiden Lümmel«, forderte Lady Agatha ihren Butler auf. »Ich könnte mich sonst vielleicht ein wenig vergessen.« *** »Der Gardena Club, Mylady.« Josuah Parker öffnete die hintere Tür seines hochbeinigen Monstrums und wies auf ein vierstöckiges Reihenhaus, das in einer schmalen Seitenstraße stand. Links und rechts dieser Straße drängten sich die geparkten Wagen. Die Straße machte einen ruhigen Eindruck, ja, sie wirkte fast abweisend. »Sind Sie sicher, daß wir hier richtig sind?« Lady Simpson stieg aus und musterte das Haus. Nichts an ihm deutete darauf hin, daß sich hinter den grauen Mauern ein Privatclub befand. Nicht mal die Andeutung von Musik war zu hören. »Es handelt sich um einen sehr privaten Club, Mylady«, beantwortete Josuah Parker die Frage seiner Herrin. »Und was spielt sich darin ab?« »Man kann dem Glücksspiel frönen, Mylady.« »Das läßt die Polizei zu?« wunderte sich Lady Agatha. »Einige unerwartete Razzien blieben ohne Erfolg«, gab Parker zurück. »Die Clubleitung scheint sehr tüchtig zu sein.« »Der Gardena Club gehört diesem Subjekt Calster?« »Sehr wohl, Mylady. Dieser Club ist sozusagen seine Basis. Mister Joe Calster bewohnt das oberste Stockwerk.«
»Dann sorgen Sie mal dafür, daß man uns reinläßt«, verlangte Agatha Simpson unternehmungslustig und ließ den perlenbestickten Pompadour am Handgelenk pendeln. »Hoffentlich haben Sie sich den richtigen Trick einfallen lassen.« »Man wird Mylady und meine bescheidene Wenigkeit wahrscheinlich mit übergroßer Freude und freiwillig einlassen«, gab der Butler zurück. »Sie sind im Club bekannt, Mister Parker?« Agatha Simpson sah Parker fast streng an. »Treiben Sie sich in Ihrer Freizeit etwa in solchen Clubs herum?« »Mylady haben möglicherweise übersehen, daß Mister Calster an einer Begegnung sehr interessiert sein dürfte.« Auf die Frage seiner Herrin ging Parker erst gar nicht ein. »Natürlich, Mister Parker. Wahrscheinlich glaubt dieses Subjekt nicht in seinen kühnsten Träumen daran, daß wir hier freiwillig erscheinen werden.« »Dies, Mylady, wollte ich damit zum Ausdruck bringen.« Parker ging voraus und hielt auf den Hauseingang zu, der völlig normal wirkte. Nur Eingeweihte konnten wissen, daß sich hinter dieser schwarzlackierten Tür ein Privatclub befand. Parker pochte mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines UniversalRegenschirms gegen das Türholz. Man brauchte nicht lange zu warten. Schon nach wenigen Sekunden öffnete sich eine kleine Klappe in Augenhöhe. Das Gesicht eines Mannes war zu sehen. »Melden Sie Lady Simpson für Mister Calster«, sagte Parker. »Aber beeilen Sie sich, wenn ich bitten darf.« Die kleine Klappe in der Tür schloß sich. Es dauerte wirklich nur zwanzig Sekunden, bis die Tür dann weit aufschwang. Zwei stämmige Männer, jeder von ihnen etwa fünfunddreißig Jahre alt, nahmen die beiden neuen Gäste in Empfang. »Mister Calster erwartet Sie in seiner Wohnung«, sagte einer der beiden Stämmigen äußerst höflich. »Wir bringen Sie mit dem Fahrstuhl nach oben.« »Mylady erwartet Mister Calster in den regulären Clubräumen«, antwortete Josuah Parker. »Worauf warten Sie eigentlich noch?« Lady Agathas Stimme grollte wie ein heranziehendes Unwetter. Die beiden Stämmigen tauschten einen blitzschnellen Blick und wollten dann zur Tat schreiten. Sie glaubten, sich so etwas leisten zu können, da man noch im Vorraum stand, der erst in die eigentliche Empfangshalle führte. Man war also noch unter sich. . Der erste Stämmige, wahrscheinlich der Mann, der die Entscheidungen hier unten zu treffen hatte, langte schnell mit seiner Hand hinauf zur Innentasche seines Smokingjacketts. Was diese Hand dort suchte, war selbstverständlich klar. Sie wollte eine Schußwaffe hervorholen und damit den Wunsch der älteren Dame umfunktionieren. Parker rührte sich kaum, dennoch war er recht effektvoll. Die bleigefütterte Bambuskrücke seines Regenschirms legte sich über das Armgelenk und zog die Hand nach unten. Der Stämmige war völlig verdutzt, denn
mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet. Als er ärgerlich werden wollte, vielleicht sogar ausfallend, schob der Butler den bleigefütterten Bambusgriff noch etwas-höher. Er landete auf der linken Seite des Unterkiefers des Mannes. Der Stämmige ächzte daraufhin gequält, verdrehte die Augen und rutschte anschließend an der Wand zu Boden. Der zweite Stämmige, der sich bereits halb zum Fahrstuhl gewendet hatte, quiekte plötzlich, als etwas Scharfes und Spitzes in seine rechte Gesäßhälfte gerammt wurde. Er wollte nach der Schußwaffe greifen, doch der Schmerz im Gesäß war einfach zu groß. Er riß seine Hände herunter und griff nach der schmerzenden Stelle. Gleichzeitig stierte er entgeistert auf die lange Hutnadel in Lady Agathas rechter Hand. »Nein«, stöhnte er dann mit gequetschter Stimme. »Doch«, widersprach die resolute Dame und legte ihm ihren Pompadour auf den Kopf. Dann nickte sie ihrem Butler zu, stieg über den bereits am Boden liegenden Mann und betrat die kleine Empfangshalle. Um den gestochenen Mann kümmerte sie sich nicht weiter. Er existierte für sie schon nicht mehr. Parker zog den zweiten inzwischen auch am Boden liegenden Mann mit dem Griff seines Regenschirmes vom Teppich herunter und folgte dann Lady Agatha. Irgendwie war er stolz auf sie, doch er sagte und zeigte es nicht. Ein Butler wie er hätte sich zu solchen Äußerungen niemals hinreißen lassen. *** »Der Privattisch Mister Calsters«, verlangte Parker. »Mylady werden erwartet.« Der geschniegelte Oberkellner verbeugte sich tief und schritt voraus. Lady Agatha sah sich im ersten Raum um und verzog verächtlich das Gesicht. Die etwas schwül-plüschige Ausstattung war nicht ihr Geschmack. Das Publikum war bei dem schwachen Licht kaum zu erkennen. Es unterschied sich auf den ersten Blick durch nichts von dem Publikum, das man auch in anderen Privatclubs traf. Es schien sich um gutbetuchte Damen und Herren zu handeln, die unter sich sein wollten. Im zweiten Raum spielte man Bridge. Alles ging recht leise und gesittet zu. Der Oberkellner marschierte weiter und führte Agatha Simpson in einen dritten, wesentlich kleineren Raum, der fast ohne Gäste war. Er dienerte um die ältere Dame herum und rückte ihr den Sessel vor dem Kamin zurecht. »Ist das hier ein Museum?« erkundigte sich Agatha Simpson und deutete auf die Waffensammlung an den Wänden. »Mister Calsters Steckenpferd, Mylady«, erwiderte der Oberkellner geschmeidig. »Mister Calster lebte lange Zeit in Australien und Afrika.« »Behandeln Sie mich gefälligst nicht wie eine gichtkranke, alte Frau«, raunzte die Detektivin den Oberkellner an, der sie unbedingt in den Sessel bugsieren
wollte. »Ich will mir die Waffen ansehen. So etwas interessiert mich. Lassen Sie uns jetzt allein! Sie stören nur!« Der Oberkellner zog beleidigt ab, während Parkers Herrin sich den Waffenschmuck an den Wänden anschaute. Da gab es Bumerangs, Jagd- und Kampfbogen mit den dazugehörigen Pfeilen, da waren Jagdspeere und Streitäxte. »Billiger Plunder«, meinte Agatha Simpson verächtlich. Sie war fachkundig, denn sie hatte diese Herkunftsländer tatsächlich ausgiebig bereist. Sie griff nach einem recht solide aussehenden Jagdbogen und nach einem Lederköcher, in dem sich gut ein Dutzend Pfeile befanden. Josuah Parker beobachtete mit einiger Sorge, daß Lady Agatha einen dieser Pfeile aus dem Köcher zog und ihn auf die Sehne legte. Dann spannte sie versuchsweise den Bogen. Es zeigte sich, daß die ältere Dame überraschend sachkundig und kräftig war. Sie spannte ohne jede Schwierigkeit den großen Bogen und richtete den Pfeil in Richtung Vorhang, der die Eingangstür zu diesem Raum halb verdeckte. »Vorsicht!« Die Stimme des Mannes, die diesen Warnruf ausstieß, klang bestürzt und entsetzt. »Mister Calster?« erkundigte sich Agatha Simpson, ohne den Bogen zu senken. Sie richtete ihre Frage an einen etwa fünfzigjährigen Mann, der einen Smoking trug. Dieser Mann war mittelgroß, kompakt und trug einen beeindruckenden Schnauzbart. Der Mann duckte sich unwillkürlich ab und wich zur Seite aus. Daß es Joe Calster war, ließ sich leicht erkennen. Er war nicht allein. Hinter ihm tauchte ein junger und schlanker Mann auf, den Josuah Parker auf knapp dreißig Jahre schätzte. Dieser junge Mann erinnerte irgendwie an ein geschmeidiges Raubtier. Er reagierte schnell und fast schon automatisch. Er sah Joe Calster bedroht und griff blitzschnell nach seiner Schußwaffe. Seine Armbewegung war anders überhaupt nicht zu deuten. Dieser junge Mann war darauf trainiert, seinen Herrn und Meister zu schützen, rücksichtslos und auch brutal. Josuah Parkers Regenschirm lag auf der Lehne eines Sessels. Die Spitze des Schirms wies zur Tür hinüber. Kein Mensch wäre auf den Gedanken gekommen, daß dieser Regenschirm, der dazu noch altväterlich gebunden war, eine raffinierte Waffe darstellte. Mittels einer Kohlensäurepatrone konnte der Butler damit Blasrohrpfeile verschießen, deren Spitzen mit einem wirkungsvollen chemischen Präparat bestrichen waren. Die Pfeile wurden während ihres Fluges durch kleine bunte Federn stabilisiert. Sie waren etwa so lang wie normale Kugelschreiber und nicht dicker als Stopfnadeln. Das geschmeidige Raubtier wollte gerade die Waffe aus der Schulterhalfter ziehen, als der Blasrohrpfeil sich in seinen Unterarm senkte. Der Leibwächter blieb wie erstarrt stehen und war keiner Reaktion fähig. Mit solch einer Waffe war dieser
Mann noch nie in seinem Leben konfrontiert worden. Nacktes Grauen erfaßte ihn. Er vergaß seine Absicht, seine Pflichten Calster gegenüber, er vergaß seine Waffe und seine bisher gezeigte Kälte. Er stierte nur entgeistert auf den bunt gefiederten Miniaturpfeil und dachte unwillkürlich an Pfeilgift und Tod. Ihm fehlte der Mut und die Kraft, den kleinen Pfeil aus dem Unterarm zu ziehen. Er stierte und merkte nicht, daß er bereits sehr hinfällig und müde wurde. Joe Calster hatte mitbekommen, daß es hinter ihm nicht so klappte, wie er es gewöhnt war. Er wandte sich hastig um, sah das bereits schweißnasse Gesicht seines besten Leibwächters, dessen fast aus den Höhlen quellenden Augen und trat hastig zur Seite, als dieser Mann auf die Knie fiel. Und nun erst entdeckte Calster den Blasrohrpfeil im Unterarm seines Gorilla. »Sind Sie festgewachsen?« herrschte die ältere Dame Joe Calster an. »Ihrem jungen Mann wird nichts weiter passieren. Kommen Sie endlich! Ich habe mit Ihnen zu reden!« . Sie hatte das letzte Wort noch nicht ausgesprochen, als ihr ein peinliches Mißgeschick passierte. Die gespannte Sehne glitt aus ihren Fingern, und der Pfeil sirrte kraftvoll in Richtung Calster, der plötzlich vor den Spitzen seiner wahrscheinlich handgefertigten Lackschuhe einen Jagdpfeil im Teppich entdeckte. Joe Calster hüpfte daraufhin aus dem Stand etwa dreiundzwanzig Zentimeter senkrecht in die Luft, landete wieder und rutschte dabei auf dem Teppich aus. Parker war mit wenigen schnellen, aber dennoch gemessenen Schritten bei ihm und half ihm hoch. »Es handelt sich nur um ein paar Fragen, die Lady Simpson an Sie zu richten hat«, sagte er höflich, während er den völlig verdutzten Gangsterchef zum Tisch führte. Daß Calster dabei den Browning verlor, der in seiner linken Jackettasche steckte, bekam der Gangsterboß vor lauter Aufregung überhaupt nicht mit. Es konnte allerdings auch sein, daß Parkers Geschicklichkeit die eines professionellen Taschendiebes weit übertraf. »Setzen Sie sich, junger Mann!« Tief und grollend klang Myladys Stimme. »Vergeuden wir unsere Zeit nicht mit unnötigen Höflichkeiten. Sie wären in Ihrem Fall auch gar nicht angebracht. Sie beantworten mir jetzt ein paar Fragen, haben Sie mich verstanden? Und wenn Sie sich zieren, werde ich mich wahrscheinlich aufregen.« *** »Und vor diesem Gemütszustand möchte ich doch dringend warnen«, schaltete sich Josuah Parker höflich ein. »Falls Myladys Blutdruck steigt, werden Mylady stets ein wenig unwirsch.« Joe Calsters Gesicht war dunkelrot angelaufen! So etwas war diesem Gangsterboß noch nie passiert. In seiner eigenen Hochburg mußte er solch eine Behandlung über sich ergehen lassen. Der Mann schäumte innerlich vor Wut,
riskierte aber nichts. Sein Leibwächter lag schnarchend an der Tür und war im Augenblick nicht mehr zu verwenden. Joe Calster sah sich Agatha Simpson zum erstenmal in seinem Leben gegenüber. Vom Hörensagen wußte er, wer diese Frau war und welchem Hobby sie sich verschrieben hatte. Er hatte die Dame nie so richtig ernst genommen und seine Branchenfreunde verspottet, wenn sie von ihr ausgetrickst worden waren. Auch mit dem Butler hatte er direkt noch nichts zu tun gehabt. Für ihn waren die Berichte über Parker nette Märchen gewesen. Ein Laie wie dieser komisch aussehende Butler konnte doch niemals ein ernsthafter Gegner sein! So wenigstens hatte er bisher gedacht. Nun aber stand er diesem skurrilen Duo gegenüber und war mittlerweile zu einem anderen Schluß gekommen. »In Myladys Auftrag habe ich Ihnen mitzuteilen, Mister Calster, daß Ihre beiden Mitarbeiter Mike und Larry ein wenig indisponiert sind«, begann Josuah Parker würdevoll. »Es geht ihnen gut, was ich beiläufig festgestellt wissen möchte.« »Wer... wer sind Mike und Larry?« erkundigte sich Joe Calster und tat so, als habe er diese Namen noch nie gehört. »Benehmen Sie sich gefälligst wie ein normaler Erwachsener«, fauchte die Detektivin. »Ich meine die beiden Lümmel, die in mein Stadthaus eindringen wollten. Sie sollten die schwarze Aktentasche und achttausend Pfund zurückholen. Haben Sie immer noch nicht kapiert? Muß ich Ihrem Gedächtnis erst nachhelfen?« Es war wohl reiner Zufall, daß Lady Agatha einen Bumerang in Händen hielt und ihn prüfend wog. Joe Calster mußte diese Bewegung mißverstehen. Er zog unwillkürlich den Kopf ein, schielte nach dem Krummholz und hatte das Gefühl, daß seine resolute Gesprächspartnerin jeden Moment zulangte. »Die erwähnten achttausend Pfund befinden sich inzwischen in Händen der zuständigen Behörden«, warf der Butler höflich ein. »Als ordentlicher Staatsbürger mußte diese Fundsache natürlich abgeliefert werden.« »Fundsache?« Joe Calster erwärmte sich an diesem Thema. »Das Geld ist mir gestohlen worden.« »Noch eine Frechheit dieser Art, . junger Mann, und Sie werden mich von einer unfreundlichen Seite kennenlernen«, grollte die ältere Dame. »Ihre beiden Lümmel Mike und Larry wollten mich - eine wehrlose, alte Frau - in diesem Antiquariat beleidigen. Als ich entsetzt weglief, nahm ich die Aktentasche aus Versehen mit.« »Ich sehe das verdammt anders«, beschwerte sich Joe Calster. »Warum spionieren Sie meinen Leuten nach? Warum befassen Sie sich mit meinen Geschäften? Wissen Sie, daß inzwischen zehn Agenturen von mir geschlossen wurden?« »Superindentent McWarden teilte das Mylady inzwischen mit«, antwortete der Butler. »Nach Lage der Dinge dürften Sie dennoch kaum unter Anklage gestellt werden, nicht wahr?« »Natürlich nicht.« Joe Calster nickte. »Ich glaube nicht, daß all diese Leute mich belasten werden.«
»Die Angst ist ein guter Ratgeber«, sagte Josuah Parker und nickte zustimmend. »Ein entsprechendes Exempel haben Sie ja bereits statuieren lassen.« »Ich verstehe kein Wort.« »Der Inhaber des Antiquariats ist erschossen worden. Mit anderen Worten, der Leiter eines Ihrer Wettbüros ist tot. Das dürfte für die übrigen Agenturleiter sehr abschreckend wirken.« »Ja, ich weiß davon.« Joe Calster nickte. »Aber mit diesem Mord habe ich nichts zu tun. Auch meine Leute nicht. Ob Sie mir das abnehmen oder nicht, spielt keine Rolle. Dieser Mord geht nicht auf mein Konto.« »Einer Ihrer Mitarbeiter ist vielleicht ein wenig überrascht gewesen«, vermutete der Butler. »Ich wiederhole noch mal, daß meine Firma mit diesem Mord absolut nichts zu tun hat.« Joe Calsters Stimme wurde scharf. »Warum hätte ich so etwas veranlassen sollen? Die Trottel waren doch Mike und Larry! Der Buchhändler hatte mit dem Verschwinden der Aktentasche nichts zu tun. Wo wäre also das Motiv für seine Ermordung?« »Durch diesen Mann hätte Ihr Zusatzgeschäft verraten werden können, junger Mann!« Agatha Simpson spielte wieder sehr nachdrücklich mit dem Bumerang. »Zusatzgeschäft? Wovon reden Sie denn jetzt?« Calster schien wirklich ahnungslos zu sein. »Erpressung, um den technisch richtigen Ausdruck zu nennen«, schaltete sich der Butler ein. »Erpressung? Sind Sie verrückt? Damit gebe ich mich doch nicht ab! Der Buchhändler soll erpreßt haben?« »Er hat, junger Mann.« Lady Agatha hieb mit dem Krummholz in die Luft. »Er empfing über eine >Wanze< bestimmte Informationen und machte sie zu Geld.« »Dann hat er das auf eigene Rechnung getan! Noch einmal, Lady, mit solchen Dingen gebe ich mich nicht ab. Wen hat er denn abgehört? Und seit wann?« »Lassen wir das«, meinte die Detektivin. »Ob Sie die Wahrheit gesagt haben, wird sich ja noch herausstellen.« »Sie drücken ganz schön auf die Tube«, warnte Joe Calster wütend. »Haben Sie überhaupt begriffen, mit wem Sie's zu tun haben? Wegen der achttausend Pfund und der Schließung meiner Agenturen ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.« »Wollen Sie mir Angst einjagen?« Agatha Simpsons Gesicht verzog sich zu einem freudigen Lächeln. »Ich will die Dinge nicht auf die Spitze treiben«, redete Joe Calster weiter. Er hatte das Aufleuchten» in Agatha Simpsons Augen übersehen. »Sie zahlen mir die achttausend Pfund zurück. Und darüber hinaus noch fünftausend Pfund pro Agentur, die durch Sie schließlich geschlossen wurden.« »Und dann, junger Mann?« »Will ich den ganzen Vorfall vergessen«, schloß Calster großmütig. »Mister Parker, ich merke deutlich, wie mein Blutdruck steigt«, sagte die ältere Dame zu ihrem Butler.
»Das ist schlimm, Mylady«, konstatierte der Butler. »Ich muß etwas tun, sonst ersticke ich!« Agatha Simpson stand auf und drehte sich um. Dabei geriet ihr Pompadour in Schwingungen. Der darin befindliche »Glücksbringer« landete auf der Brust des Gangsterchefs. Joe Calster erlitt prompt einen mittelschweren Hustenanfall und bekam gleichzeitig Gleichgewichtsstörungen Er fiel zusammen mit dem Sessel, in dem er saß, nach hinten. Als er sich wieder hochgerappelt hatte, war sein Gesicht kalkweiß geworden. »Mylady hat Ihnen folgenden Vorschlag zu unterbreiten«, ließ der Butler sich vernehmen und überging vornehm diesen kleinen peinlichen Zwischenfall. »Sie werden die achttausend Pfund auf Unkosten verbuchen. Ebenfalls auch den Ausfall Ihrer zehn Wettagenturen. Dafür werden Mylady die beiden Herren Mike und Larry in die Freiheit entlassen. Sollten Sie dieses hochherzige Angebot nicht annehmen oder später brechen, werden Mylady äußerst ungnädig reagieren.« Joe Calster tat so, als höre er zu, in Wirklichkeit aber schielte er hinüber zum Vorhang. Ihm war nicht entgangen, daß dort die Tür vorsichtig geöffnet worden war. In voller Größe war jetzt ein Mann zu sehen, der zum Hauspersonal gehörte. Vielleicht war er durch die Schnarchtöne des Leibwächters alarmiert worden. Der Mann schaute auf den Leibwächter hinunter, stutzte, wußte nicht, wie er sich verhalten sollte, warf einen Blick auf Calster und stürmte dann in den Raum. Joe Calster sah seine Stunde gekommen. »Los!« brüllte er seinem Mann zu, griff in die Tasche des Smokings und wollte den Browning ziehen. Während seine Hand ins Leere griff, hetzte der Mann heran. Auch er war schnell und durchtrainiert. Agatha Simpsons dunkle Augen zeigten einen deutlichen Schimmer von Vorfreude. Sie warf den Bumerang in den Raum und verfolgte dann den Flug dieses Krummholzes. Er beschrieb einen leichten Bogen, stieg dabei ein wenig an und kurvte dann plötzlich auf den anstürmenden Mann ein. Bevor der Sportler überhaupt merkte, was sich da tat, landete der Bumerang auf seinem Hals. Nach einem mißglückten halben Salto knallte der Sportler auf den Teppich und vollführte einige sinnlose Schwimmbewegungen mit Armen und Füßen. »Muß ich unterstellen, daß Sie Ihren Browning suchen?« erkundigte sich Josuah Parker inzwischen bei Joe Calster. »Sie wollen die Dinge doch hoffentlich nicht auf die sprichwörtliche Spitze treiben, Mister Calster? Ich würde das in Ihrem eigenen Interesse ungemein bedauern.« Joe Calsters Gesicht hatte sich inzwischen wieder dunkelrot gefärbt. Er starrte auf Lady Agatha, die sich einen der langen Jagdspeere von der Wand gegriffen hatte und ihn gekonnt in der Hand ausbalancierte. »Er liegt gut in der Hand«, stellte sie fest. »Tut das gut, sich wieder mal sportlich abreagieren zu können, Mister Parker. Man sollte sich bedeutend öfter trimmen!«
*** »Ich komme rein zufällig vorbei«, sagte Superintendent McWarden am anderen Morgen. Er war von Parker ins Haus gelassen und in den großen Wohnsalon geführt worden. Agatha Simpson saß am Kamin und trank ihren Morgentee. »Sie lügen fast so schamlos wie ich«, erwiderte die resolute Dame. »Trinken Sie eine Tasse Tee?« Parker servierte bereits das Gedeck und versorgte den Gast. »Lassen Sie schon die Katze aus dem Sack«, ermunterte Agatha Simpson ihn. »Hat Ihr Schlag gegen die Calster-Agenturen sich gelohnt?« »Das war eine reine Freude«, antwortete McWarden und nickte dankbar. »Und wegen Calster bin ich hier, Mylady .« »Sie wollen mich vor diesem Lümmel warnen, nicht wahr?« »Das auch, Mylady. Calster wird ziemlich wütend auf Sie sein und sich rächen wollen.« »Gegen eine kleine Abwechslung habe ich nichts einzuwenden, Superintendent.« »Sie waren in der vergangenen Nacht bei ihm im Club?« »Ihr Nachrichtendienst funktioniert ausgezeichnet, McWarden.« »Es muß ziemlich turbulent zugegangen sein. »Ging es turbulent zu, Mister Parker?« Die ältere Dame wandte sich an ihren Butler. »Es handelte sich um eine angeregte Unterhaltung, Sir«, meldete der Butler in seiner höflich-zurückhaltenden Art. »Man schied, wenn ich es so ausdrücken darf, in freundlichem Einverständnis.« »So kann man es auch nennen!« McWarden hüstelte leicht. »Ich hätte gern gewußt, worüber Sie sich mit ihm unterhielten.« »Worüber wohl, McWarden?« Agatha Simpson sah ihren Gast lächelnd an. »Ich habe ihn gefragt, seit wann er mit Wanzen und Erpressungen arbeitet.« »Und er hat Ihnen natürlich die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt, nicht wahr?« »Mylady sind der Ansicht, daß Mister Calster sich tatsächlich an die Wahrheit hielt«, schaltete der Butler sich ein. »Ich bin so frei, diesen Standpunkt zu teilen.« »Machen Sie sich die Dinge nicht zu leicht«, warnte der Superintendent und schüttelte den Kopf. »Ich bin Ihnen ja so dankbar für die bisher gelieferten Hinweise, aber sie bringen uns nicht recht weiter.« »Das wundert mich überhaupt nicht«, stellte die Detektivin boshaft fest. »Da ist nämlich ein völlig neuer Gesichtspunkt aufgetreten«, redete McWarden unbeirrt weiter. »Ich halte es für fair, Sie darüber zu informieren. Darf ich erwarten, auch von Ihnen noch einige Dinge zu erfahren, die wir übersehen haben könnten?« »Sie dürfen«, entschied die ältere Dame. »Und nun zu den neuen Gesichtspunkten, McWarden.«
»Sie erzählten mir von diesem Privatdetektiv Duff Speader«, schickte der Superintendent voraus. »Sie wissen, als wir uns im Antiquariat trafen.« »Ich leide nicht gerade unter Arteriosklerose, McWarden. Mister Parker und ich haben Ihnen alle Karten auf den Tisch gelegt und kaum etwas verschwiegen.« »Duff Speader bleibt dabei, daß er die Wanze nur im Zusammenhang mit der Überwachung Doktor Bushfords angebracht hat. Missis Bushford hat diesen Auftrag inzwischen bestätigt und sich zu ihm bekannt.« »Das möchte ich ihr auch geraten haben«, sagte Agatha Simpson. »Wo bleibt der neue Gesichtspunkt?« »Gleich, Mylady, gleich! Ich glaube übrigens ebenfalls, daß dieser kleine Privatdetektiv nichts mit Erpressungen zu tun hat.« »Wie rücksichtsvoll von Ihnen, McWarden.« »Dennoch wird eine Patientin des Doktor Bushford erpreßt«, berichtete der Superintendent weiter. »Ich meine...« «... Missis Jean Cavendish«, warf der Butler ein. »Richtig, Mister Parker. Jean Cavendish! Ich selbst habe mich mit ihr unterhalten. Ich habe ihr unsere volle Diskretion zugesagt, worauf sie Einzelheiten nannte. Sie wird seit etwa acht Wochen erpreßt.« »Interessant«, ließ der Butler sich prompt vernehmen. »Der Privatdetektiv aber arbeitet erst seit vierzehn Tagen für Missis Bushford. Diese zeitliche Differenz wollen Sie doch besonders herausstellen, nicht wahr, Sir?« »Ich verstehe kein Wort«, grollte die Detektivin, die von unnötigen Kombinationen nicht viel hielt. »Sofort«, bat McWarden. »Ich wiederhole noch mal. Vor vierzehn Tagen brachte dieser Privatdetektiv Speader seine Wanze in Doktor Bushfords Ordination an, aber seit acht Wochen wird Missis Jean Cavendish erpreßt. Und zwar mit Interna, die nur aus Bushfords Praxis stammen können. Die Frage erhebt sich also, woher Missis Cavendishs Erpresser diese intimen Einzelheiten haben?« »Von Doktor Bushford natürlich«, behauptete Lady Agatha spontan. »Ich will Ihnen mal etwas sagen, McWarden: Dieser Doktor Bushford ist der wirkliche Erpresser!« »Wie bitte?« Der Superintendent sah seine Gesprächspartnerin völlig entgeistert an. Auch Josuah Parker erlaubte sich einen andeutungsweise skeptischen Blick. »Begreifen Sie denn nicht?« Agatha Simpson sah die beiden Männer fast strafend an. »Doktor Bushford ist durch seine Praxis im Besitz von sagenhaftem Material. Oder wollen Sie das vielleicht abstreiten? Ich hätte mich auch sehr gewundert, Also, er benutzt seine Kenntnisse, um gewisse Patienten wie die Weihnachtsgänse auszunehmen. Diese Lösung bietet sich doch geradezu von selbst an, oder? So werde ich das auf jeden Fall in meinem geplanten Bestseller bringen. Ich glaube, das ist das Thema, auf das ich die ganze Zeit über gewartet habe.« »Sehr wohl, Mylady«, sagte der Butler höflich. »Ihre Theorie hat einen Schönheitsfehler«, meinte McWarden. »Und das ist bereits der neue Gesichtspunkt, von dem ich gesprochen habe.«
»Den Mylady aber noch immer nicht kennen«, erinnerte Josuah Parker diskret. »Wegen der Zeitdifferenz, von der ich eben gesprochen habe, ließ ich Doktor Bushfords Praxis noch mal genau abklopfen«, erklärte der Superintendent. »Ich darf noch mal erinnern, die >Wanze< dieses Privatdetektivs Speader kann die Interna hinsichtlich Missis Cavendishs nicht übertragen haben. Also ging ich davon aus, daß noch eine zweite >Wanze< existiert.« »Natürlich«, raunzte Lady Agatha, als sei das für sie die selbstverständlichste Sache der Welt. In Wirklichkeit grübelte sie darüber nach, was McWarden wohl gerade gemeint haben könnte. »Sie wurden fündig, Sir, wenn ich es so umschreiben darf?« fragte der Butler. »Und ob!« McWarden nickte triumphierend. »Wir fanden eine zweite, sehr moderne >Wanze<, Mister Parker. Sie befand sich ebenfalls in Doktor Bushfords Ordination. Sie sendete auf einer anderen Frequenz und stammt wahrscheinlich von dem Erpresser, den wir jetzt zu suchen haben!« *** »Dieser Erpresser, Sir, dürfte dann auch den Buchhändler ermordet haben«, führte der Butler aus. »Vorausgesetzt, daß Calster mit diesem Teil des Falls überhaupt nichts zu tun hat.« »Davon bin ich eben noch nicht restlos überzeugt, Mister Parker. Stimmt es übrigens, daß Sie in der vergangenen Nacht Besuch hatten?« »Zwei Flegel, die durch die Dachluke einsteigen wollten«, schaltete die ältere Dame sich schnell ein. »Sie konnten im letzten Moment gerade noch entwischen.« »Ich denke, wir sollten diesen Zwischenfall nicht weiter vertiefen«, meinte Superintendent McWarden. »Sie glauben mir nicht?« Agatha Simpson flammte ihren Besucher an. »Hören Sie, McWarden, ich sage fast immer die Wahrheit. Diese beiden Lümmel dürften zudem auch uninteressant sein und Ihnen früher oder später doch mal ins Netz gehen.« »Diese Hoffnung versöhnt mich«, antwortete McWarden und grinste. »Ich möchte lieber noch mal auf den ermordeten Buchhändler zurückkommen. Man könnte davon ausgehen, daß er ohne Calsters Wissen ein privates Nebengeschäft aufgezogen hat. Und zwar zusammen mit dem Erpresser, der diese zweite >Wanze< installiert hat.« »Diese Möglichkeit bietet sich an, Sir«, entgegnete der Butler. »Weiß man inzwischen mehr über diesen Mann?« »Sein Name ist Herbert F. Crozers. Der Mann ist mehrfach vorbestraft wegen Erpressung, Nötigung und Betrug.« »Das paßt doch ausgezeichnet ins Bild«, sagte Lady Agatha, die sich endlich von ihrer Überraschung erholt hatte. »Dieser Lümmel hat sich einen Partner ausgesucht oder sogar auf eigene Faust gearbeitet. Nein, ich hin mehr für einen Partner, wer
hätte ihn sonst ermorden sollen, nicht wahr? Das heißt, eines seiner Opfer kann das natürlich getan haben.« »Haargenau, Mylady.« Superintendent McWarden nickte. »Für Ihre Version spricht die Tatsache, daß wir in seinem Büro einen modernen Transistor fanden, der genau die Empfangswelle besitzt, auf der die zweite >Wanze< gesendet hat. Die Frequenz war haargenau eingestellt.« »War das der Transistor auf dem Schrank?« wollte die Detektivin wissen. »Er stand auf seinem Schreibtisch«, korrigierte McWarden höflich. »Falls der Mann also von einem seiner Opfer umgebracht wurde, dann wird es sehr schwierig. Wir kennen den Kreis der von ihm erpreßten Personen ja nicht.« »Na, hören Sie, Superintendent«, fuhr die ältere Dame dazwischen und sah McWarden kopfschüttelnd an. »Es muß einer von Doktor Bushfords Patienten sein. Einfacher geht's doch wirklich nicht.« »Sein Patientenkreis ist sehr groß und teilweise sehr exklusiv«, meinte McWarden unglücklich. »Es wird Wochen dauern, bis wir eine erste Umfrage durchgeführt haben. Dabei ist noch fraglich, ob Doktor Bushford die Namen seiner Patienten überhaupt preisgeben muß. Vielleicht muß sich da erst ein Gericht einschalten. Ärztliche Schweigepflicht ist kaum zu durchbrechen.« »Worüber man im Prinzip äußerst glücklich sein sollte«, meinte Josuah Parker. »Ich möchte Mylady auf keinen Fall vorgreifen, aber mir scheint, daß in diesem Fall nur noch offizielle Dienststellen weiterkommen werden.« Agatha Simpson wollte automatisch protestieren, doch dann schnappte ihr Mund plötzlich zu. Die Lippen preßten sich fest aufeinander. Sie hatte den schnellen, warnenden Blick ihres Butlers noch rechtzeitig bemerkt. »Ich will nicht länger stören«, sagte McWarden und erhob sich. »Ich freue mich, daß Sie den Fall so sehen, Mylady. Jetzt hilft keine Intuition mehr, sondern nur noch geduldige Polizeiroutine. Ich bedanke mich auf jeden Fall für die erstklassige Vorarbeit. Ohne sie wären wir auf diesen komplizierten Fall nie aufmerksam geworden.« »Rühren Sie mich bloß nicht zu Tränen, McWarden«, entgegnete die ältere Dame grimmig. »Sie sind doch heilfroh, daß wir auf der Strecke bleiben, geben Sie es schon zu!« »Dann müßte ich schon lügen, Mylady.« McWarden schmunzelte. »Darf ich mir erlauben, Sie zur Tür zu geleiten, Sir?« Parker verbeugte sich und brachte den Superintendent zur Haustür. Hier blieb McWarden kurz stehen und wandte sich an Parker. »Mal eine Frage im Vertrauen, Mister Parker. Glauben Sie, daß Calster mit dieser Wanzengeschichte etwas zu tun hat? Ich erwarte eine ehrliche Antwort.« »Nach Lage der Dinge hat Mister Calster damit nichts zu tun, Sir«, gab Josuah Parker zurück und meinte es ehrlich. »Die entscheidende Frage ist, ob der Antiquar, Mister Herbert F. Crozers, auf eigene Faust arbeitete, oder aber mit einem Partner liiert war, der ihn schließlich umgebracht hat.« »Und woran glauben Sie, Mister Parker?«
»Das, Sir, wage ich nicht endgültig zu sagen«, schloß Parker gemessen und verbeugte sich andeutungsweise. »Wenn Sie erlauben, werde ich mir darüber Gedanken machen.« *** »Man hat diesem Buchhändler den Transistor ins Büro geschmuggelt«, sagte Agatha Simpson triumphierend, als ihr Butler wieder im großen Wohnraum erschien. »Hoffentlich hat dieser schusselige McWarden nichts gemerkt.« »Mylady sind hinsichtlich dieses Transistors sicher?« wollte der Butler wissen. Er hätte ohnehin nach diesem Radioapparat gefragt, denn die Frage der Lady hatte in seinen Ohren etwas zu betont beiläufig geklungen. »Ich habe doch Augen im Kopf, Mister Parker.« Agatha Simpson war aufgestanden und marschierte auf ihren stämmigen Beinen unternehmungslustig über den Teppich. »Ich weiß genau, daß solch ein Gerät nicht im Büro war, als diese beiden jungen Flegel Mike und Larry mich dort empfingen. Dieser Transistor ist vom Mörder ins Büro geschmuggelt worden, Mister Parker. Denken Sie an meine Worte!« »Wie Mylady befehlen.« »Der Mörder will damit von sich ablenken und den Anschein erwecken, als habe der Buchhändler Crozers allein und auf eigene Rechnung gearbeitet. Aber dieses Subjekt hat nicht mit meiner Beobachtungsgabe gerechnet.« »Zu der man Mylady nur beglückwünschen darf.« »Es gibt also einen Mörder, der seinen Opfern nach wie vor die Daumenschrauben ansetzen kann«, erwärmte die Detektivin sich weiter an diesem Thema. »Als Mörder kommt eines der Opfer nicht in Betracht. Nein, nein, Mister Parker, dieser Mörder ist im Grund der Haupttäter, was die Erpressungen angeht.« »Ein äußerst geschickt vorgehender Täter, Mylady!« »Ich tippe auf Doktor Bushford, Mister Parker!« »Mylady, warum, wenn ich fragen darf, sollte er sich eine >Wanze< installiert haben?« »Sie stellen manchmal Fragen, Mister Parker, die einem die Schuhe ausziehen«, gab die resolute Dame grimmig zurück. »Dieser Mann kann sich doch kein besseres Alibi ausdenken! Geht das denn nicht in Ihren Kopf hinein? Können Sie sich das gar nicht vorstellen? Angenommen, eines der Opfer redet eines Tages und die Polizei schaltet sich ein. Der Verdacht würde doch zuerst mal auf Doktor Bushford fallen oder etwa nicht?« »Das möchte ich auf keinen Fall ausschließen, Mylady.« »Und solch ein Verdacht bricht in sich zusammen, wenn man die >Wanze< findet, die er selbst angebracht hat.« »Damit wäre zu rechnen, Mylady.« »Also, bitte! Könnte man die Ermittlungen noch besser abwürgen? Das ist genial, Mister Parker.«
»Ich muß gestehen, daß Mylady meine bescheidene Wenigkeit beeindruckt haben.« »Hängen Sie sich diesem Doktor Bushford an die Fersen«, ordnete Agatha Simpson an. »Versuchen Sie herauszubekommen, ob er in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt und so weiter. Ich muß Ihnen ja nicht wieder mal alles vorkauen. Tun Sie endlich etwas!« »Sehr wohl, Mylady.« Der Butler war tatsächlich beeindruckt. Die Kühnheit der von Agatha Simpson dargelegten Theorie war bestechend. »Ich habe noch eine Idee«, ließ die ältere Dame sich vernehmen. Sie funkelte Parker an. »Schicken wir diesem Doktor Bushford Kathy auf den Hals! So als Patientin. Lassen Sie sich etwas dazu einfallen! Kathy soll diesem Doktor Bushford auf den Zahn fühlen und sich als neues Opfer aufdrängen. Stellen wir diesem Bushford eine Falle, Mister Parker. Ich bin sicher, daß er hineintappt. Erpresser sind geldgierig und vergessen ihre Vorsicht, wenn sie einen Schnitt machen können.«
Butler Parker war mit dem Vorschlag Agatha Simpsons überhaupt nicht einverstanden. Seiner Ansicht nach war es sinnlos, Kathy Porter bei Dr. Bushford einzuschmuggeln. Wenn der Psychiater tatsächlich mit dem Haupterpresser identisch war, dann würde er sich hüten, neue Opfer an sich zu ziehen. Bis Kathy Porters Einsatz sich auszahlte, konnten unter Umständen Wochen vergehen. Nein, der Butler hatte eine andere Idee. Sie hing mit seinem Oberhemd zusammen, genauer gesagt mit der Hemdmanschette. Nicht umsonst hatte er sich auf dem Parkplatz einige Autokennzeichen notiert. Es handelte sich um Wagen, deren Fahrer zur Zeit der ersten »Wanzenübertragung« in ihren Wagen gewesen waren. Parker hoffte, daß einer dieser Fahrer diese Sendung aufgenommen hatte. Hinzu kam die Tatsache, daß man ihm die Tonbandkassette aus seinem Privatwagen gestohlen hatte. Viel Zeit hatte der Dieb mit Sicherheit nicht gehabt. Er hatte blitzschnell reagieren und handeln müssen. Nach den Berechnungen des Butlers mußte der Dieb aus einem dieser parkenden Wagen gekommen sein. Der Butler begab sich ins Souterrain des Hauses, wo seine privaten Räume lagen. Er verfügte über einen Wohnraum, einen Schlafraum und über eine reichhaltig ausgestattete Bastelstube. Hier fertigte der Butler seine technischen Überraschungen an. In seiner Freizeit war er fast so etwas wie ein Dauererfinder. Er hatte das bewußte Hemd aufbewahrt, schrieb die Wagenkennzeichen auf ein Stück Papier und griff dann nach dem Telefonapparat. Er wählte die Nummer eines hohen Beamten beim Yard, der für einen Gefallen immer gut war, da Parker diesem Mann schon recht häufig wertvolle Hinweise geliefert hatte. Parker gab die Kennzeichen durch und bat um die Namen und Adressen der Wagenbesitzer. Zu erklären brauchte er nicht viel. Der Gegenseite war natürlich
klar, daß Josuah Parker mit diesen Auskünften nichts Ungesetzliches unternehmen würde. Es dauerte etwa zwanzig Minuten, bis der Apparat sich wieder meldete. Parker notierte sich die Namen und Adressen, die sein Gewährsmann durchgab und verzog keine Miene, als darunter auch ein ihm bekannter Name war. Er bedankte sich umständlich und höflich, legte auf und unterstrich dann den Namen, der ihn hatte stutzig werden lassen. Er lautete Marty Copeland! Mit diesem Namen wußte Parker einiges anzufangen. Marty Copeland war der Innenarchitekt und Freund von Jean Cavendish, die ja erpreßt wurde. Warum hatte dieser Marty Copeland vor dem Hampton House in seinem Wagen gesessen? Parker konnte sich natürlich nicht mehr an das Aussehen dieses Mannes erinnern, doch darauf kam es gar nicht an. Warum hatte der Innenarchitekt sich nicht in seinem Studio aufgehalten? Woher war Jean Cavendish gekommen, als er, Josuah Parker, sie mit verweinten Augen das Haus verlassen sah? Warum hatte Marty Copeland sich nicht gezeigt? Er hatte seine Freundin Jean Cavendish doch mit Sicherheit sehen müssen. Parker überlegte, ob er seine Herrin verständigen sollte. Einiges sprach dagegen. Lady Agatha neigte zu spontanen Handlungen und bevorzugte nur zu oft die Technik des Brecheisens. Es war wohl besser, sie erst mal aus dem Spiel zu lassen. Josuah Parker kam zu dem Entschluß, die Detektivin auf Dr. Bushford anzusetzen. Agatha Simpson mißtraute dem Psychiater ohnehin. Falls der Mörder die Aktivitäten der älteren Dame heimlich beobachtete, sollte er ruhig annehmen, daß sie auf einer völlig falschen Spur war. Parker konnte sich einfach nicht mit dem Gedanken anfreunden, daß Dr. Bushford selbst die zweite »Wanze« angebracht hatte, um gewisse geldschwere Patienten auf diesem geschickten Umweg zu erpressen. Diese Vorstellung schien ihm doch zu weit hergeholt. Er erhob sich, als er Schritte vor der Tür zu seinem Wohnraum hörte. Es klopfte an, dann erschien Agatha Simpson auf der Bildfläche und sah ihn sehr mißtrauisch an. Sie erspähte das Hemd, die bekritzelte Manschette und maß den Butler mit empörtem Blick. »Gestehen Sie«,- raunzte sie. »Sie sind dabei, sich eine eigene Suppe anzurühren, nicht wahr?« »Ein Süppchen, Mylady, um der Wahrheit die Ehre zu geben.« »Pfui, Mister Parker, schämen Sie sich bei Gelegenheit!« »Wenn Mylady gestatten, werde ich das sofort tun«, antwortete Parker zerknirscht. »Sie denken wohl, ich sei verkalkt, wie?« »Mylady, solche Gedanken würde ich mir niemals erlauben.« »Lenken Sie nicht ab! Was ist mit den Wagenkennzeichen? Sie haben eine neue Spur, nicht wahr?«
Josuah Parker sah sich genötigt, seine Herrin zu informieren. Er packte auch gleich seine Bedenken hinsichtlich des Einsatzes, von Kathy Porter mit ein. »Sieh an, Marty Copeland«, sagte Lady Agatha, als Parker seine Beichte geendet hatte. »Da ergeben sich ja recht nette und neue Möglichkeiten, Mister Parker.« »Mylady geben den Verdacht gegen Doktor Bushford auf?« »Aber nein, Mister Parker, überhaupt nicht. Warum sollen Bushford und dieser Innenarchitekt nicht gemeinsame Sache machen? Das ist ja noch viel reizvoller.« »Möglich ist natürlich vieles, Mylady. Darf ich aber davon ausgehen, daß Miß Porter nicht auf Doktor Bushford angesetzt wird?« »Sie dürfen, Mister Parker, Sie dürfen. Wir werden das Kind auf diesen Copeland ansetzen. Wie, das ist Ihre Sache. Für Doktor Bushford bin ich jetzt zuständig. Ich werde diesem Psychiater die Hölle heiß machen.« *** Kathy Porter hatte sich modisch zurechtgemacht. Sie war eine Verwandlungskünstlerin. In nichts mehr erinnerte sie an das scheue Reh, das sie sonst darstellte. Sie trug Stiefel, einen langen, schwingenden Rock und eine weichfallende, faltige Bluse, die ihre Formen umschmeichelte. Kathy Porter betrat die Halle des Hampton House und hatte eine dicke, lange Papprolle unter dem linken Arm. Sie wußte, daß sie von Marty Copeland erwartet wurde. Paul Cavendish hatte dafür gesorgt, ohne allerdings zu wissen, welches Spiel da gespielt wurde. Paul Cavendish war einfach glücklich, einem seiner Geldgeber einen Gefallen zu erweisen. Dieser Geldgeber wiederum war von Lady Simpson entsprechend motiviert worden. Die Beziehungen zahlten sich also wieder mal aus. »Ja, doch, kommen Sie rein!« Marty Copeland schien nicht besonders begeistert darüber zu sein, daß er sich die Entwürfe einer angehenden Bühnenbildnerin ansehen sollte. Seine Stimme klang ruppig und ungeduldig. Kathy Porter öffnete schwungvoll die Tür und betrat das Studio von Marty Copeland. Er saß vor einem Zeichenbrett und skizzierte irgend etwas. Er wandte sich noch nicht mal zu seinem Besuch um und schien ungemein viel zu tun zu haben. Kathy setzte sich in einen Stahlrohrsessel und schaute sich im Studio um. Es handelte sich um zwei ineinander gehende große Räume, die wenig aufgeräumt wirkten. An den Wänden waren Zeichnungen und Entwürfe aller Art befestigt worden. Auf Stellagen lagen Zeichenrollen und standen Miniaturentwürfe aus Karton und Gips. Marty Copeland schien gut im Geschäft zu sein. In der Sitzecke entdeckte Kathy Porter an der Wand eine große Anzahl von Fotos. Sie sah bekannte Gesichter von Film, Funk und Bühne, Szenenfotos und
reine Bühnendekorationen. Auf fast allen Aufnahmen war ein junger, etwa fünfunddreißigjähriger Mann zu sehen, der recht gut und lässig aussah. Wenige Sekunden später wußte sie, daß dieser junge Mann Marty Copeland war. Er hatte sich endlich zu ihr umgedreht, musterte sie ungeniert, stand auf und baute sich breitbeinig vor ihr auf. »Donnerwetter«, sagte er dann. »Warum haben Sie nicht gleich gesagt, daß Sie so aussehen.« »Ich ... ich bin Kathy Porter«, stellte sie sich vor. »Hoffentlich störe ich nicht, Mister Copeland.« »Sie können mich immer stören«, erwiderte Copeland und lächelte verschmitzt. »Sie sind also meine neue Kollegin?« »Das dürfte stark übertrieben sein«, gab Kathy zurück. »Ich bin eine Anfängerin.« »Hoffentlich nicht auf allen Gebieten«, sagte er direkt heraus. »Nein, nein, Kathy, lassen Sie die Zeichnungen und Entwürfe erst mal stecken! Erzählen Sie mir was von sich! Warten Sie, ich werde uns einen Drink holen.« »Mister Cavendish ist ein Bekannter meiner Familie«, schickte Kathy voraus. »Er hat mich an Sie verwiesen.« »Ich weiß, Kathy. Ich darf Sie doch so nennen, oder? Unter Kollegen ist das üblich. Natürlich werde ich mich um Sie kümmern. Ist doch klar.« Er ging, um den Drink zu besorgen, blieb vor einem kleinen Wandtisch stehen und mixte. Dabei wandte er Kathy Porter den Rücken zu. Agatha Simpsons Gesellschafterin hatte sich erhoben und schlenderte zum großen Arbeitstisch des Innenarchitekten hinüber. Sie hatte dort einen kleinen modernen Kassettenrecorder und ein Transistorradio entdeckt. Verbindungskabel deuteten darauf hin, daß Marty Copeland vor ihrem Eintritt wohl eine Radiosendung mitgeschnitten hatte. »Ich brauche noch Eis«, rief Marty Copeland ihr zu. »Haben wir gleich, Kathy. Einen Moment, bitte!« Er ging zu einer Tür, die sich an der Stirnseite des zweiten Studioraumes befand. Wenig später war er verschwunden. Hinter der Tür befand sich wahrscheinlich eine Pantry, in der er sich kleine Mahlzeiten zubereiten konnte. Kathy Porter nutzte selbstverständlich ihre Chance. Sie hielt sich genau an die Abmachung, die sie mit Josuah Parker vereinbart hatte. Kathy schaltete den Transistor ein, ohne an der Senderskala etwas zu verändern. Sie hörte die Stimme einer Frau, die schnell und verzweifelt etwas sagte, was Kathy nicht genau identifizieren konnte, weil ihr der Zusammenhang fehlte. In diesem Moment schwang auch schon wieder die Tür auf. Marty Copeland kam mit einer Kristallschale zurück, in der sich Eiswürfel befanden. »Ich wollte etwas Musik machen«, sagte Kathy gespielt arglos. »Fein«, sagte Copeland und nickte. »Suchen Sie sich was Passendes aus, Kathy!« »Verstelle ich auch nichts, was Sie interessiert?«
»Ach was«, gab er lächelnd zurück. »Ich habe ein Hörspiel aufgenommen. Läuft wohl noch. Die Hauptdarstellerin spielt in einer meiner nächsten Dekorationen. Ich wollte mich durch ihre Stimme in Schwingung versetzen lassen, klappte aber nicht.« »Eine bekannte Darstellerin?« Sie sah ihn bewundernd an. »Hazel Dopkins. Die Frau ist Klasse, aber verflixt schwierig.« »Darf ich noch mal reinhören, Mister Copeland?« »Für Sie, Kathy, heiße ich Marty. Wie gesagt, unter Kollegen sollten wir auf unnötige Förmlichkeiten verzichten. Kommen Sie, unterhalten wir uns lieber! Die Dopkins zählt jetzt nicht.« Er reichte ihr das Glas und prostete ihr zu. Kathy hatte plötzlich Bedenken, von diesem Drink zu kosten. Aber sie mußte gute Miene zum bösen Spiel machen. Sie hob das Glas, nahm einen winzig kleinen Schluck und hatte das Gefühl, dabei von Marty Copeland irgendwie belauert zu werden. *** »Schnell, Mister Parker! Folgen Sie dem blauen Ford!« Lady Agatha Simpson war ein wenig außer Atem. Sie hatte gerade Parkers hochbeiniges Monstrum erreicht, das auf dem Parkplatz vor dem Hampton House stand. Parker öffnete die hintere Wagentür und ließ seine Herrin einsteigen. Als er vor dem Steuer saß, wandte er sich mit fragender Miene um. »Kathy kann sich allein helfen«, entschied Agatha Simpson. »Sie ist ja kein Kind mehr. Ich habe eine heiße Spur entdeckt. Eine sehr heiße sogar, Mister Parker.« »Ist es erlaubt, Fragen zu stellen, Mylady?« »Fragen Sie, aber lassen Sie sich von dem blauen Ford nicht abhängen. Worauf warten Sie denn noch?« Parker ließ sein hochbeiniges Monstrum anrollen und folgte dem kleinen Wagen, an dessen Steuer ein Mann saß, der etwa vierzig Jahre alt war. »Wie dieser Mann heißt, weiß ich nicht«, erklärte die Detektivin, als Parker die Straße erreicht hatte. »Er ist Vertreter für eine pharmazeutische Firma.« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit ratlos.« »Na und? Das sind Sie doch oft, Mister Parker. Geht Ihnen denn kein Licht auf?« »Ich fürchte bedauern zu müssen, Mylady.« »Er ist pharmazeutischer Vertreter, Mister Parker. Er war oben in Doktor Bushfords Praxis. Und er war auch in anderen Praxen. Solch ein Mann könnte doch mit Leichtigkeit sich die Ärzte aussuchen, deren Patienten interessant für ihn sind.« »Mylady glauben, in diesem Mann dort den gesuchten Mörder gefunden zu haben?«
»Glauben? Ich weiß es, Mister Parker! Diese Erkenntnis hat mich wie ein Blitzstrahl getroffen. Verziehen Sie bloß nicht Ihr Gesicht! Ich habe deutlich gesehen, daß Sie sich über mich mokieren.« »Mylady müssen sich täuschen.« »Papperlapapp! Lassen Sie sich nicht abhängen! Wir sind auf der richtigen Spur.« »Mylady verdächtigen Doktor Bushford nicht mehr, wenn mir diese Frage gestattet ist?« »Sie haben keine Phantasie, Mister Parker«, tadelte die resolute Sechzigerin. »Mylady treffen mich sehr.« »Dieser Erpresser und Mörder lebt davon, seine Kenntnisse in Geld umzumünzen. Kommen Sie mit, Mister Parker?« »Durchaus logisch, wenn ich das konstatieren darf.« »Wäre ich dieser Erpresser«, führte seine Herrin weiter aus, »würde ich meine Anzapfstellen schon aus Gründen der Sicherheit streuen. Haben Sie jetzt begriffen?« »Mylady denken daran, daß der Erpresser und Mörder ! verschiedene Arztpraxen anzapft?« »Nicht nur Arztpraxen«, sagte Agatha Simpson fast ungeduldig. »Aber bleiben wir erst mal dabei. Das Risiko, entdeckt zu werden, schrumpft dadurch. Pflichten Sie mir bei?« »Eine bestechende Theorie, Mylady.« »Ein Vertreter für pharmazeutische Präparate hat in allen Praxen Zutritt«, folgerte die Detektivin weiter. »In vielen Fällen dürfte sogar ein freundschaftliches Verhältnis zu den betreffenden Ärzten bestehen. Nun, dieser Lümmel dort im Ford baldowert die geeigneten Ärzte aus, schleicht sich während der Nacht zurück in die Praxen und bringt seine Abhörwanzen an. Muß ich noch deutlicher werden?« »Ich erlaubte mir bereits zu sagen, daß ich Myladys Theorie für bestechend halte.« »Neidisch sind Sie, daß ich darauf gekommen bin«, behauptete Parkers Herrin und schmunzelte selbstzufrieden. »Ich habe wenigstens Phantasie, Mister Parker! Nun geben Sie doch Gas! Soll dieses Subjekt uns entwischen?« Parker kam der Aufforderung nach. Insgeheim bewunderte er schon fast die Sechzigjährige, die immer wieder mit neuen Theorien aufwartete. Jetzt hatte sie sich also für einen pharmazeutischen Vertreter entschieden. Parker musterte das Kennzeichen und erhielt fast einen elektrischen Schlag. Er verfügte über ein erstklassiges Gedächtnis. Diese Nummer hatte auf seiner Hemdmanschette gestanden. Der blaue Ford war also zu der Zeit auf dem Parkplatz vor dem Hampton House gewesen, als die elektronische »Wanze« die Übertragung aus Dr. Bushfords Praxis gesendet hatte. War das nun mehr als nur ein Zufall? Sollte Agatha Simpson durch Intuition wieder mal auf der richtigen Spur sein? Parker erwärmte sich plötzlich für die Verfolgung des blauen Ford.
Sie endete übrigens nach einer Viertelstunde in einer schmalen Seitenstraße, in der sich Büro- und Geschäftshäuser befanden. Der pharmazeutische Vertreter stieg aus dem Wagen, holte eine große, braune Ledertasche hervor, schloß den Wagen ab und verschwand in einem der Häuser, neben dessen Eingang einige Arztschilder angebracht waren. »Sehen Sie sich das Kassettengerät an, Mister Parker«, sagte Agatha Simpson zufrieden. »Ich weiß, daß er so was eingebaut hat. Wir haben unseren Mann gefunden. Wir brauchen ihn nur noch zu überführen!« *** Mike und Larry, Joe Calsters Geldabholer nickten sich zu und stiegen aus ihrem Mini-Cooper. Sie waren die ganze Zeit über hinter dem hochbeinigen Monstrum hergefahren. Sie hatten einen einfachen, aber sehr nachdrücklich geäußerten Auftrag erhalten. Joe Calster wollte Lady Simpson und Butler Parker unbedingt noch mal wiedersehen. Der Gangsterchef, der sich eine dicke Scheibe aus dem verbotenen Wettgeschäft herausgeschnitten hatte, sann immer noch auf Rache und Vergeltung. Joe Calster konnte seine Niederlage nicht vergessen. Für die Reparatur seines Selbstgefühls brauchte er eine Aktion. »Schnapp du dir die Alte«, sagte Larry zu Mike. »Ich werde mir den Butler vorknöpfen.« »Mir ist gar nicht besonders wohl«, räumte Mike ein. »Was soll denn schon passieren?« fragte Larry gespielt munter und tat überlegen. »Wir kennen die Tricks von dem komischen Duo. Noch mal legen die uns nicht rein.« Sie hatten ihren Mini hinter einem Lieferwagen geparkt, dessen hohe Aufbauten erstklassige Deckung boten. Mike und Larry waren sicher, von den Insassen des hochbeinigen Wagens nicht entdeckt worden zu sein. Sie hatten sich wirklich große Mühe mit dieser Verfolgung gegeben und alle Tricks angewendet, die man ihnen beigebracht hatte. Sie brannten natürlich ebenfalls darauf, eine Retourkutsche zu fahren, denn sie konnten die Erinnerung an den Mixbecher nicht loswerden. Für sie zählte es kaum, daß sie von diesem Butler immerhin wieder auf freien Fuß gesetzt worden waren. Dankbarkeit lag diesen beiden jungen Gangstern überhaupt nicht. Sie blieben in Deckung des Lieferwagens und pirschten sich näher an ihre Opfer heran. Im Grund bedauerten sie es, nicht einfach schießen zu dürfen. Hier in dieser schmalen und kaum belebten Straße wäre ein Doppelmord kaum aufgefallen. Doch ihr Chef hatte anders entschieden, und sie hüteten sich, auf eigene Faust zu handeln. Mike näherte sich auf leisen Sohlen der alten Fregatte, wie er Agatha Simpson insgeheim nannte. Blitzschnell stand er hinter ihr und räusperte sich. Larry duckte
sich, lief an dem hochbeinigen Monstrum vorbei und hatte auch schon den Butler erreicht, der gerade das Innere eines blauen Ford inspizierte. »Wenn Sie schreien, knall' ich los«, warnte Mike die ältere Dame. Agatha Simpson drehte sich fast gemächlich um und musterte den jungen Gangster. »Lümmel«, stellte sie dann fest. »Ich möchte nicht weiter belästigt werden.« »Kannst du haben, altes Mädchen«, drohte Mike, dessen Hand in der Tasche des Jacketts steckte. »Was soll denn das?« fragte Agatha Simpson grimmig. »Mister Calster will Sie sehen: tot oder lebendig! Suchen Sie sich aus, wie Sie's haben wollen!« »Manieren sind das!« Lady Simpson schüttelte fast entsetzt den Kopf. »Rein in den Wagen! Aber ein bißchen plötzlich!« Agatha Simpson besaß ein gutes Gefühl für echte Gefahr. Sie beugte sich der Situation und stieg in den Fond des hochbeinigen Monstrums. Mike blieb an der geöffneten Tür stehen und sah verstohlen zu seinem Partner Larry hinüber, der sich gerade mit dem Butler unterhielt. Auch dort schien alles bestens zu klappen. Dieser komische Butler marschierte bereits sehr steif heran und leistete keinen Widerstand. »Sie setzen sich ans Ruder«, befahl Larry aufgekratzt und versetzte dem Butler einen Stoß. »Und ganz schön langsam fahren. Wir wollen doch nicht auffallen, oder? Den Weg kennst du ja, wie?« »Ich beuge mich der Gewalt«, protestierte Parker, während er hinter dem Steuer Platz nahm. Larry und Mike schlüpften in den Fond zu Lady Simpson und nahmen die etwas ärgerliche Dame in die Mitte. Bei der Gelegenheit schob sich die schwarze Panzerglasscheibe zu, die den Fahrgastraum des ehemaligen Taxis vom Fahrerteil trennte. Das bekamen die beiden jungen Männer allerdings nicht mit, so schnell und geräuschlos ging das vonstatten. Parker fuhr langsam an und dachte über das nach, was er im blauen Ford gesehen hatte. Agatha Simpson war keinem Irrtum erlegen. Der pharmazeutische Vertreter hatte sich tatsächlich einen Kassettenrecorder im Wagen einbauen lassen. Nun, so etwas besaßen inzwischen schon sehr viele Autofahrer, um unabhängig vom Radioprogramm zu sein. Hier aber erhielt diese Tatsache ein zusätzliches Gewicht. Wegen der beiden ungebetenen Gäste im Fond des Wagens machte der Butler sich keine Sorgen. Sein hochbeiniges Monstrum war ja schließlich nicht umsonst eine Trickkiste auf Rädern. Butler Parker suchte im Rückspiegel den Blick seiner Herrin und schloß kurz die Augen. Mylady reagierte genauso und gab damit zu verstehen, daß sie angriffsbereit war. Sie sorgte anschließend dafür, daß die beiden zusätzlichen Fahrgäste in die richtige Position gerieten. Sie plusterte sich auf, machte sich breit
und schob die jungen Kerle, die links und rechts von ihr saßen, weit nach außen gegen die Seiten. Josuah Parker, der inzwischen wieder auf der Durchgangsstraße war, suchte mit seinem freien Fuß einen kleinen, kaum erkennbaren Knopf auf dem Bodenbrett des Wagens. Dann trat er sehr nachdrücklich darauf und wartete. Der Erfolg war frappierend. Mike und Larry zuckten synchron zusammen, als seien sie von einem Insekt gestochen worden. Im übertragenen Sinn stimmte das auch. Aus den Armlehnen, gegen die ihre Körperseiten durch Myladys Fülle gepreßt wurden, waren feine, dünne Hohlnadeln hervorgetreten und hatten sich in ihre Hüften getrieben. Der Schmerz war nicht besonders groß, er irritierte nur. »Was war'n das?« fragte Larry arglos und rückte sich zurecht. »Alter Schlitten«, murmelte Mike verächtlich. »Da kommen ja schon die Federn durch.« »Rutschen Sie gefälligst nicht so herum«, beschwerte sich Agatha Simpson grimmig. »Schnauze, Mädchen«, sagte Larry. »Klappe, Oma«, fügte Mike hinzu und wunderte sich gleichzeitig, daß er von einer seltsamen Schwäche befallen wurde. Sie war nicht unangenehm, nein, das nicht. Eine heitere Müdigkeit breitete sich in seinem Körper aus. Er lehnte den Kopf zurück und gähnte herzhaft und ausgiebig. Larry hatte das Gefühl, als wandele er auf Wolken. Ein fast schon versonnenes Lächeln umspielte seine Lippen. Er hörte Melodien, summte sie mit und lehnte sich dann gegen die Schulter der älteren Dame. Innerhalb weniger Sekunden war er dann auch schon tief und fest eingeschlafen. »Nun sehen Sie sich das an, Mister Parker«, beschwerte sich Agatha Simpson und schob ihre Ellbogen energisch auseinander, worauf Larry und Mike zur Seite befördert wurden. »Sehr lästig, diese Lümmel!« »Haben Mylady besondere Wünsche hinsichtlich der beiden Individuen?« erkundigte sich Parker über die Bordsprechanlage, die es ermöglichte, trotz der geschlossenen Panzerglasscheibe miteinander zu sprechen. »Haben Sie vergessen, daß Calster uns sprechen möchte?« fragte Agatha Simpson unternehmungslustig zurück. »Tun wir diesem Subjekt doch den Gefallen.« »Sehr wohl, Mylady! Übrigens befindet sich im blauen Ford die von Mylady vermutete Anlage.« Parker legte geschickt einen Köder aus. »Natürlich, das ist doch klar. Hatten Sie etwas anderes erwartet, Mister Parker? Calster hat noch Zeit. Fahren Sie zurück! Ich werde mich noch ein wenig mit diesem Arzneimittelvertreter befassen. Ich möchte wissen, was auf den Tonkassetten ist.« ***
»Trinken Sie doch aus«, forderte Marty Copeland seinen Gast auf. »Oder schmeckt's Ihnen nicht?« »Alkohol vertrage ich nicht«, wehrte Kathy Porter ab. »Trinken Sie aus!« Marty Copelands Stimmlage änderte sich, wurde hart und drohend. Gleichzeitig präsentierte er Kathy Porter eine Automatik plus Schalldämpfer. »Ich... ich verstehe nicht«, stotterte Kathy und tat beeindruckt. Innerlich triumphierte sie. Marty Copeland hatte seine Maske schnell fallen lassen. »Austrinken«, forderte Copeland noch mal. »Ist da Gift drin?« fragte Kathy, um Zeit zu gewinnen. Sie überlegte blitzschnell, wie sie sich verhalten sollte. Welchen Wert besaß sie für diesen Mann? Warum legte Marty Copeland seine Karten auf den Tisch? Fühlte er seine Verfolger schon zu dicht auf den Fersen? Kathy entschloß sich zur Gegenwehr. Sie wollte das Risiko nicht eingehen, das Glas zu leeren. Sie hatte es schließlich mit einem Mörder zu tun. Sie hob das Glas, führte es an den Mund und ... trat dann mit ihrem linken Fuß blitzschnell zu. Marty Copeland wurde völlig überrascht. Mit solch einer Reaktion hatte der Mann nicht gerechnet. Die Schußwaffe wurde ihm aus der Hand gerissen. Sie segelte unter den Arbeitstisch und blieb dort erst mal unerreichbar für ihn. Kathy Porter stand bereits in geduckter Haltung vor dem Mann, der die Fäuste geballt hatte und sie niederschlagen wollte. Er zuckte zurück, als Kathy ihre gespreizten und angewinkelten Hände kreisen ließ. Irgendwie mußte er solche Bewegungen schon mal gesehen haben. Zumindest ahnte Copeland, daß diese Haltung etwas mit Karate zu tun hatte. Er versuchte es mit einem Fußtritt, aber er erlebte eine Katastrophe. Kathy faßte blitzschnell zu, als das Bein den größten Streckpunkt erreicht hatte. Sie kippte es hoch und brachte den Mann zu Fall. Krachend landete er auf dem Boden und blieb hier wie betäubt liegen. Kathy Porter zog sich zur Tür zurück, ließ den Mann aber nicht aus den Augen. Sie traute diesem Copeland noch eine Menge zu. Sein Liegenbleiben war mit Sicherheit nur ein Trick, um sie in Sicherheit zu wiegen. Sie hatte die Tür fast erreicht, als sie plötzlich ein Geräusch hinter sich hörte. Bevor sie reagieren konnte, erhielt sie einen harten Schlag gegen den Hals. Sie wollte sich noch umwenden, um herauszubekommen, wer sie da überrascht hatte, doch sie brach in sich zusammen und spürte, daß starke Arme sie festhielten, bevor sie haltlos zu Boden sank. Wie lange sie bewußtlos gewesen war, konnte sie nicht sagen. Sie war fast zögernd aus ihrer Ohnmacht erwacht, spürte die stechenden Schmerzen an der Halsseite und merkte, daß man sie an Händen und Füßen gefesselt hatte. Es dauerte eine Weile, bis ihre Augen sich an das schwache Dämmerlicht gewöhnt hatten. Langsam unterschied sie jetzt Einzelheiten und Gerüche.
Ja, es waren vor allen Dingen diese, seltsamen Gerüche, die ihr auffielen. Es roch nach Schminke, nach Parfüms und nach Schweiß, dann nach Staub und scharfen Desinfektionsmitteln. Kathy Porter richtete sich auf, versuchte ihre Umgebung zu identifizieren und stutzte. Sie war nicht allein. Nicht weit von ihr entfernt standen etwa ein Dutzend junger Frauen herum, die alle fast einheitlich gekleidet waren.. Sie trugen tief ausgeschnittene Charleston-Kostüme und hatten Ponyfrisuren. Sie rührten sich nicht. Schweigend und regungslos standen sie und schauten ins Dämmerlicht. Natürlich, das waren Kleiderpuppen! Kathy Porter nickte unwillkürlich. Unheimlich war dieser Anblick schon. Von diesen Puppen ging eine Bedrohung aus, die sie fast körperlich spürte. Die Gesichter dieser Modepuppen wirkten boshaft und wissend. Kathy lauschte auf Geräusche und fragte sich, wohin man sie wohl verschleppt hatte. Diese Umgebung, wahrscheinlich ein Kostümfundus, deutete auf Copeland hin. Er hatte ja mit Dekorationen und Ausstattungen zu tun. Wer aber mochte sein Partner sein, die Person, von der sie an der Tür überrascht und niedergeschlagen worden war? Kathy verlor keine Zeit. Sie machte sich sofort daran, Hände und Füße frei zu bekommen. Wenn Copeland wieder erschien, mußte sie sich wehren können. Daß ihr Tod eine beschlossene Sache war, konnte sie sich leicht ausrechnen. *** Der blaue Ford stand noch vor dem Haus. Josuah Parker stieg aus seinem hochbeinigen Monstrum und öffnete die hintere Wagentür. Er reichte Agatha Simpson die Hand und geleitete sie aus dem Fond. Die beiden jungen Gangster lagen inzwischen auf dem Wagenboden übereinander. Parker hatte sie sicherheitshalber mit Handschellen aneinander befestigt. Er wollte jede weitere Belästigung Myladys im Keim ersticken. »Der Besitzer des Wagens, Mylady«, sagte Parker und sah in die Richtung des pharmazeutischen Vertreters, der aus dem Haus kam und einen völlig unbefangenen Eindruck machte. »Überlassen Sie das mir, Mister Parker«, verlangte die Sechzigjährige energisch. »In wenigen Minuten wissen wir mehr.« Auf strammen Beinen marschierte sie dem jungen Mann entgegen und traf mit ihm am blauen Ford zusammen. Der Mann - immerhin war er etwa vierzig, für die ältere Dame aber noch verboten jung - sah Lady Simpson irritiert an. »Ich weiß alles«, raunzte Lady Agatha. »Leugnen ist sinnlos, junger Mann. Versuchen Sie es erst gar nicht!« »Ich... ich verstehe nicht, Madam«, war die Antwort. »Seit wann betreiben Sie dieses miese Geschäft?« fragte die Detektivin grimmig. »Wovon reden Sie eigentlich? Ach so, jetzt begreife ich! Sie meinen Rosy, nicht wahr? Sie sind mit ihr verwandt?«
»Öffnen Sie den Wagen!« »Sind Sie verrückt?« beschwerte sich der pharmazeutische Vertreter. »Wenn Sie wollen, werden Sie gleich Ihren Skandal haben, junger Mann«, prophezeite Agatha Simpson. »Ich werde behaupten, daß Sie mich unsittlich belästigt und beleidigt haben.« »Warum sollte ich, Madam?« Der Arzneimittelvertreter geriet ins Schwitzen. Als er das entschlossene Gesicht und das Funkeln der Augen sah, sperrte er mit zitternder Hand die Wagentür auf. »Spielen Sie die Kassetten ab«, forderte Agatha Simpson den Mann auf, der nun überhaupt nicht mehr wußte, was er machen sollte. »Sind Sie verrückt?« erkundigte er sich noch mal. »Ich rufe die Polizei! Das alles hat mir nicht gefallen.« Er beging den Kardinalfehler, Lady Agatha mit seinen Armen zurückdrängen zu wollen. Dabei verlor die ältere Dame ein wenig das Gleichgewicht. Ihr rechter Fuß schnellte vor und traf das Knie des aufkeuchenden Vertreters. Bevor der Mann überhaupt begriff, was eigentlich passierte, befand er sich bereits im Wagen. Lady Simpson verabreichte ihm einen derben Stoß mit ihrem Ellbogen und erstickte damit den letzten Widerstand. »Spielen Sie mir die Kassetten vor«, verlangte Lady Simpson nachdrücklich. »Und reizen Sie mich nicht weiter!« Der Vertreter für Arzneimittel wimmerte leise und hatte das Gefühl, daß ihm wenigstens zwei Rippen angebrochen waren. Doch er riß sich zusammen und veranstaltete für die Sechzigjährige eine Art Wunschkonzert. Er schob eine Kassette nach der anderen in den Schlitz des eingebauten Recorders und erfreute Mylady mit Musik aller Art. Es stellte sich heraus, daß er für seichte Schlager schwärmte. »Ist das alles?« fragte Agatha Simpson schließlich verärgert. »Wo sind die Spezialaufnahmen, junger Mann? Mich können Sie nicht täuschen.« »Im ... im Handschuhfach, Madam. Aber... aber sie sind nichts für Damenohren.« »Wird's bald?« Wieder funkelten die Augen, und der verwirrte Mann beeilte sich, das Handschuhfach zu öffnen. Zögernd griff er nach zwei Tonkassetten. »Sie... sie sind etwas anzüglich. Herrenwitze, Madam.« »Brauchen Sie etwa noch eine Ermunterung?« erkundigte sich Agatha Simpson. Nein, er brauchte sie nicht. Der Pharmazievertreter schob die erste Spezialkassette in den Schlitz und schloß leicht beschämt die Augen. Er hatte nicht gelogen. Das Band lieferte mehr als gepfefferte und sehr anzügliche Herrenwitze. Josuah Parker, der in achtungsvoller Entfernung, dennoch aber einsatzbereit hinter dem Wagen stand, spitzte plötzlich die Ohren. Er hörte das explosionsartige, dröhnende Lachen seiner Herrin und sah, wie der blaue Ford in seinen Federn und Stoßdämpfern hüpfte und tanzte. »Sie sind ein kleines Ferkel, junger Mann«, hörte er dann Agatha Simpson sagen, als sie sich endlich aus dem blauen Ford schob. »Doch zugegeben, die Witze
waren nicht schlecht. Fahren Sie weiter und kommen Sie mir nicht wieder unter die Augen!« Der blaue Ford schoß wie eine Rakete los und verschwand mit kreischenden Pneus um die nächste Straßenecke. Parker näherte sich gemessen Lady Agatha, die sich die Lachtränen aus den Augen wischte. »Mylady haben sich von der Unschuld des Herrn überzeugt?« erkundigte sich Parker würdevoll. »Unschuld ist gut, Mister Parker.« Lady Simpson lachte. »Sie hätten die Witze hören müssen! Es waren einige darunter, die ich noch gar nicht kannte.« »Mylady glauben, daß der Herr als Mörder und Erpresser nicht näher in Betracht kommt?« »Natürlich nicht«, lautete die Antwort der Detektivin. »Ich habe Ihnen ja gleich gesagt, daß Sie auf die falsche Karte, gesetzt haben, Mister Parker. Aber Sie müssen natürlich immer alles besser wissen!« *** »Und nun zu diesem Lümmel von Calster«, befahl Agatha Simpson. Parker ließ sein hochbeiniges Monstrum wieder durch die Straßen rollen. »Ich befinde mich in erstklassiger Stimmung, Mister Parker.« »Darüber sollten Mylady nicht Miß Porter vergessen«, erwähnte Josuah Parker. »Papperlapapp, Mister Parker. Sie wird schon kein unnötiges Risiko eingehen. Erledigen wir erst die Unterhaltung mit Calster. Dieses Subjekt muß endlich begreifen, daß man mich nicht reizen darf.« Vor dem Gardena-Club angekommen, stieg Parker aus dem Wagen und ging zur Eingangstür. Er läutete diskret und wartete darauf, daß die kleine viereckige Öffnung aufgesperrt wurde. Das war nach knapp zehn Sekunden der Fall. Parker, der einen seiner Patent-Kugelschreiber in der rechten, schwarz behandschuhten Hand hielt, drückte auf den Clip und nahm den Kopf dabei etwas zur Seite, um seine Atemorgane zu schützen. Daran hatte der Besitzer des Gesichtes im Türeinschnitt nicht gedacht. Er wurde voll von dem Spray erwischt, der aus der Spitze des Kugelschreibers hervorsprühte. Der Mann hustete, röchelte und bellte. Er interessierte sich nicht mehr weiter für die Tür, setzte sich auf den Boden und bekam überhaupt nicht mit, daß sich durch die viereckige Türöffnung der Bambusgriffeines Regenschirms schob. Dieser Bambusgriff wurde sehr geschickt geführt und entriegelte mit nachtwandlerischer Sicherheit die Eingangstür. Parker trat zur Seite und lüftete seine schwarze Melone, als die ältere Dame an ihm vorbei in die Vorhalle rauschte. Agatha Simpson deutete auf den Mann, der sich gerade keuchend erhob und Anstalten traf, nach seiner Schulterhalfter zu greifen.
»Eine vorübergehende Konditionsschwäche, Mylady«, meldete Parker gemessen. »Sie scheint sich inzwischen ihrem Ende zuzuneigen.« »Nicht doch«, raunzte die Detektivin und legte ihm ihren Pompadour auf den Kopf. Der Mann blökte leise und streckte sich wieder auf dem Boden aus. Parker stellte die Schußwaffe sicher und ging dann hinüber zur Wand, an der ein Haustelefon angebracht war. »Mister Calster für Lady Simpson«, sagte er, nachdem er abgehoben hatte. Er legte wieder auf und ging zum Fahrstuhl, dessen Signalknöpfe aufflammten. Die Lichterfolge zeigte unmißverständlich an, daß der Fahrstuhl sich nach unten bewegte. Nach Parkers Schätzung näherten sich Hilfskräfte des Gangsterchefs, um die Lage hier unten am Eingang zu bereinigen. Parker wußte sich auch jetzt zu helfen. Nicht umsonst verfügte er im Haus der Lady Agatha Simpson über eine erstklassig ausgestattete Bastelstube. Er holte einen zweiten Spezial-Kugelschreiber aus einer seiner vielen Westentaschen und verdrehte die beiden Schreiberhälften gegeneinander. Er schob die Spitze dieses teuflischen Geräts in den Spalt zwischen Fahrstuhltür und Rahmen, nickte seiner Herrin zu und wandte sich dann zusammen mit ihr ab. Es wurde ungemein hell im Vorraum. Aus der Spitze des seltsamen Kugelschreibers schoß eine Feuerzunge, die von Thermit gespeist wurde. Hohe Hitzegrade entwickelten sich, die in der Lage waren, einen dicken Schweißpunkt zu setzen. Innerhalb weniger Sekunden war die Tür unten arretiert. Während dieses Schweißvorgangs gab es ein reißendes Krachen im Fahrstuhlschacht. Dann erloschen die Signallichter neben der Fahrstuhltür. »Mister Calster wird möglicherweise auf Schadenersatz klagen, Mylady«, sagte Josuah Parker. »Im Augenblick jedoch dürfte er dazu nicht in der Lage sein, falls er sich im Fahrstuhl befand. Die Kabine steckt fest, wenn ich es so banal umschreiben darf.« »Sie dürfen«, beruhigte ihn Agatha Simpson. »Ich hoffe aber, daß Calster noch erscheint.« »Ich könnte nach ihm Ausschau halten, Mylady.« »Er ist schon da«, hörte man in diesem Moment eine scharfe und gereizte Stimme im ersten Clubraum. Lady Simpson und Butler Parker drehten sich um und sahen sich Joe Calster gegenüber. Er war allein und hielt einen kurzläufigen Revolver in der Hand, dessen Mündung auf Parker gerichtet war. »Was soll denn das?« ärgerte sich die ältere Dame und deutete auf die Schußwaffe. »Sind Sie lebensmüde?« »Mylady sieht es nicht besonders gern, Mister Calster, wenn man eine Waffe auf Mylady richtet«, gab Parker zu bedenken. »Aber ich! Und jetzt bin ich am Drücker!« Calster hätte eigentlich Überlegenheit zeigen müssen, doch er wirkte verunsichert. Immer wieder schaute er zum Fahrstuhl hinüber und schnupperte. Der Brandgeruch der Thermitladung lag
schwer im Vorraum. Es gab da auch noch einige kleinere Rauchwolken, die nur langsam abzogen. »Sie haben mir schon wieder diese beiden Lümmel nachgeschickt«, beschwerte sich die Detektivin grimmig. »Ich betrachte das als eine Belästigung.« Bevor Joe Calster antworten konnte, war das Klopfen und Hämmern von wütenden Fäusten zu hören. Diese Geräusche kamen aus dem arretierten Fahrstuhl. Die Insassen wollten sich offensichtlich bemerkbar machen. Joe Calster schielte wieder zum Fahrstuhl hinüber und schluckte nervös. »Falls Sie es wagen, mich noch mal zu belästigen oder belästigen zu lassen, Sie Flegel, werde ich Ihren Club offiziell besuchen«, sagte die resolute Dame inzwischen grimmig. »Schreiben Sie sich das hinter die Ohren! Und nehmen Sie endlich das Spielzeug weg, sonst werde ich ärgerlich!« Joe Calster grübelte Wochen später noch darüber nach, warum er die Waffe hatte sinken lassen. »Öffnen Sie die Tür und holen Sie sich Ihre traurigen Figuren ab«, befahl Agatha Simpson dann im Kommandoton. »Worauf warten Sie noch?« Joe Calster grübelte ebenfalls noch Wochen später darüber nach, warum er diesem Befehl nachgekommen war. *** »Sieh sie dir an, Harold«, sagte Marty Copeland zu Dr. Bushford und deutete auf Kathy Porter, die neben den Schaufensterpuppen auf dem staubigen Boden lag. Dr. Bushford lächelte neutral. »Hast du nicht etwas vorschnell reagiert?« fragte er dann. »Es bestand überhaupt kein Grund, die Kleine aus dem Verkehr zu ziehen. Jetzt wissen diese Alte und der Butler Bescheid.« »Warum tauchte sie in meinem Studio auf?« meinte Copeland achselzuckend. »Möglich, daß ich übervorsichtig bin, aber sicher ist sicher. Ich gehe nicht gern ein unnötiges Risiko ein.« »Sie sind es bereits eingegangen«, schaltete sich Kathy Porter ein und hob mühsam den Kopf an. »Mister Parker und Lady Simpson wissen, wer die Erpresser sind.« »Na, bitte!« Marty Copeland nickte, während er Dr. Bushford musterte. »Das ist doch nur ein Bluff! Woher sollen Sie etwas wissen?« Bushford schüttelte skeptisch den Kopf. »Sie haben vielleicht einen Versuchsballon hochgelassen, mehr nicht.« »Wie sind Parker und die Lady darauf gekommen?« wollte Copeland wissen. »Lady Simpson ist davon überzeugt, daß Sie, Doktor Bushford, die zweite >Wanze< installiert haben.« Kathy rückte sich auf dem Boden zurecht. »Sie sollte Ihnen ein Alibi verschaffen.« »Vermutungen, aber doch noch keine Beweise.« Dr. Bushford lächelte mokant.
»Der Beweis ist doch jetzt erbracht«, antwortete Kathy. »Sie sind hier, Doktor Bushford.« »Ja, glauben Sie denn wirklich, daß wir Sie noch mal weglassen?« wunderte sich der Psychiater. »Lady Simpson konnte sich erinnern, daß sich im Büro des Buchhändlers kein Transistorradio befand«, redete Kathy Porter weiter, um Zeit zu gewinnen. »Nach seiner Ermordung stand es auf dem Tisch. Der Mörder wollte damit von sich ablenken. Es sollte so aussehen, als habe der Buchhändler auf eigene Faust gehandelt. Sie haben nur übersehen, Doktor Bushford, daß sich auf dem Transistor Fingerabdrücke befanden.« »Aber nicht von mir«, sagte der Psychiater spontan und schaute dann Copeland an. »Haben Sie etwa nicht aufgepaßt, Marty?« »Natürlich habe ich aufgepaßt«, widersprach Copeland wütend. »Ich bin doch kein Anfänger.« »Na, ich weiß nicht«, spöttelte Dr. Bushford, um sich dann wieder Kathy zuzuwenden. »Reden Sie weiter! Wie will man mir je etwas beweisen? Meine Position ist vollkommen dicht. Die kann nicht geknackt werden.« »Mister Copeland wird dafür schon sorgen«, sagte Kathy Porter. Sie hoffte, die beiden Männer aufeinanderhetzen zu können. »Agatha Simpson ist übrigens der Ansicht, daß Mister Copeland den Buchhändler erschossen hat. Ihnen, Doktor Bushford, traut sie so etwas nicht zu.« »Wie man sich irren kann!« Während Dr. Bushford noch redete, riß er einen Browning aus der Tasche und war schneller als Copeland, der seinerseits auch ziehen wollte. Besonders laut klang der Schuß eigentlich nicht. Copelands Augen nahmen einen völlig überraschten Ausdruck an, dann fiel er auf die Knie und rollte seitlich auf den Boden. Dr. Bushford vergewisserte sich mit seiner Unken Schuhspitze, daß Copeland für ihn keine Gefahr mehr war und wandte sich dann wieder Kathy zu. Sein Gesicht war zu einer bösartigen Maske geworden. »Später wird man aus gewissen Spuren schließen, daß Sie sich mit Copeland ein Feuergefecht geliefert haben«, sagte er seltsam ruhig und gelassen. »Aus gewissen Spuren?« »Das hier ist der Fundus einer kleinen Bühne«, erklärte Dr. Bushford. »Das Lager liegt gleich hinter dem Hampton House und ist von Copeland gemietet worden. Er hat dieses Zeug für seine Dekorationen gebraucht. Dieses kleine Lager wird abbrennen, verstehen Sie? Später wird eine schlaue Polizei zwei Leichen finden: Copeland und Sie! Und beide Leichen werden Schußwaffen in ihren Händen halten. Oder in dem, was davon noch zu erkennen ist. Haben wir uns verstanden?« »Warum haben Sie Ihre Patientinnen erpreßt, Doktor Bushford?« fragte Kathy und zwang sich zur Ruhe. Sie hatte diesem Scheusal jedes Wort abgenommen. Dieser Mann bluffte nicht.
»Warum wohl? Weil ich Geld nicht schneller und leichter verdienen kann«. Dr. Bushford lächelte fast abwesend. »Ihre alte Lady ist gerissen. Das mit der zweiten >Wanze< hat sie also herausgefunden oder herausgespürt, wie?« »Früher oder später wird man Sie doch erwischen, Doktor Bushford.« »Unsinn, wie denn? Für die Behörden wird Copeland der Mann sein, der mit dem Buchhändler zusammengearbeitet hat. Die beiden Leichen hier im Fundus reden dann eine deutliche Sprache.« »Etwas amüsiert mich, Doktor.« »Schön, daß Sie Ihren Humor nicht verlieren.« »Sie sind über eine zweite >Wanze< gestolpert, von der Sie nichts wußten.« »Das stimmt allerdings. Das ist ein toller Zufall, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Von wem stammte sie eigentlich?« »Das wissen Sie nicht?« Kathy tat erstaunt. »Von einem Privatdetektiv, den Ihre Frau engagierte.« »Zu komisch.« Dr. Bushford lächelte überhaupt nicht, und vergewisserte sich mit seiner Schuhspitze noch mal, daß Copeland ihm nicht mehr gefährlich werden konnte. »Ich denke, wir bringen es hinter uns.« »Sie wissen hoffentlich, daß unsere Unterhaltung übertragen wurde, oder?« Dr. Bushford ließ die erhobene Hand, die den Browning hielt, wieder sinken und starrte Kathy entgeistert an. »Mit elektronischen >Wanzen< müßten gerade Sie sich doch auskennen«, redete Kathy Porter weiter. »Was halten Sie von meiner Holzperlenkette, Doktor Bushford?« »Das ... das ist nicht wahr!« »Sie werden es noch früh genug merken, Doktor Bushford.« Der Psychiater wußte nichts von Kathys Fähigkeiten. Sie mit der Waffe bedrohend, beugte er sich zu ihr hinunter und griff mit der freien Hand nach der dicken Holzperlenkette. Bruchteile von Sekunden später brüllte er auf. Kathy hatte ihr linkes Knie eingesetzt, schleuderte den Mörder zurück und rollte sich geschickt auf die Seite. Das ihr zugedachte Geschoß landete im splitternden Holzboden. Und dann war Kathy auch schon im Halbdunkeln verschwunden. »Ich erwische dich«, keuchte Dr. Bushford wütend. »Ich erwische dich! Ich weiß genau, wo du steckst!« Kathy hielt eine kleine Kupfervase in der Hand und schleuderte sie in Richtung Schaufensterpuppen. Sie hatte Glück und traf zwei der stummen Gestalten. Die beiden Puppen gerieten, aus dem Gleichgewicht, fielen gegeneinander und stürzten dann zu Boden. Dr. Bushford feuerte Schuß auf Schuß, bis er merkte, daß er nur getäuscht worden war. Kathy warf ein leichtes Regal um, sorgte so für weitere Verwirrung und weitere Schüsse, die ziellos abgefeuert wurden. Kathy Porter war eiskalt.
Solche Situationen brachten sie nicht in Verlegenheit. Sie war von einem gewissen Josuah Parker erstklassig geschult worden. Sie hatte sich in die Mentalität dieses Dr. Bushford versetzt und wußte, wie verwirrt dieser Mörder sein mußte. Sein ganzes Kartenhaus war in sich zusammengestürzt. Der Mann dachte nur noch an wilde Rache. Und das mußte seine Reflexe und Reaktionen mindern. Kathy entdeckte neben sich eine Schneiderpuppe, die auf einem hölzernen Dreibein stand. Sie griff nach ihr, holte weit aus und beförderte sie dann schwungvoll an einem querstehenden Regal vorbei auf Dr. Bushford zu. Er reagierte falsch, wie Kathy es erwartet hatte. Der Mörder glaubte, Kathy würde sich auf ihn hechten. Er fuhr herum und feuerte den letzten Schuß aus dem Magazin. Kathy hatte genau mitgezählt. Bevor Dr. Bushford wieder feuerbereit war, mußte er erst ein neues Magazin einsetzen. Diese Zeit nutzte sie. Kathy legte sich flach auf den Boden, kroch um ein Regal herum und stand dann neben zwei Schaufensterpuppen. Sie versetzte ihnen einen Stoß und ließ sie auf Bushford kippen. Der Mörder schrie überrascht auf, schlug wie wild um sich, glaubte sich angegriffen und verhedderte sich in den Kunststoffgliedmaßen der seelenlosen Puppen. Genau in diesem Augenblick erschienen Lady Agatha und ihr Butler auf der Bildfläche. Agatha Simpson hatte sich mit einem Feuerwehrschlauch ausgerüstet und wollte mit dem starken Strahl den Mörder von den Beinen fegen. Als sie jedoch den Hebel zur Seite bewegte, tat sich überhaupt nichts. Kein Tropfen Wasser kam aus der Schlauchspitze. »Ich fürchte, Mylady, den Haupthahn nicht aufgedreht zu haben«, bekannte der Butler, als ihn ein ärgerlicher Blick seiner Herrin traf. »Darf ich damit rechnen, daß meiner bescheidenen Wenigkeit noch mal verziehen wird?« Agatha Simpson wurde abgelenkt. Sie nickte wohlgefällig, als Kathy Porter plötzlich zwischen den noch stehenden Schaufensterpuppen auftauchte und sich mit Dr. Bushford befaßte. Sie besorgte das kurz und gründlich. *** »Wenn Sie mich nicht hätten, McWarden«, sagte Agatha Simpson und reichte Parker ihren Kognakschwenker. »Noch einen Kreislaufbeschleuniger, Mister Parker.« »Ich gebe zu, daß der Fall ungewöhnlich schnell geklärt worden ist«, räumte der Superintendent ein. Er befand sich in Lady Simpsons Stadthaus und wollte den Schlußbericht überbringen.
»Mister Copeland lebt also noch«, stellte der Butler fest, während er seine Herrin mit der Kreislaufmedizin versorgte. »Und wird überleben«, versprach McWarden. »Er hat ein erstes Teilgeständnis abgelegt.« »Hat er zugegeben, daß er den Buchhändler erschossen hat?« schaltete sich Kathy Porter ein. »Natürlich. Er weiß ja, daß die ganze Unterhaltung per >Wanze< übertragen wurde. Das ist ja auch mit ein Grund dafür, daß Doktor Bushford geredet hat. Er hatte wohl eingesehen, daß er keine Chance mehr hatte.« »Diese teuflischen kleinen >Wanzen<«, stellte Agatha Simpson fest. »Ich würde gern die Aufzeichnung dieser Unterhaltung mitnehmen«, redete McWarden weiter. »Welche Aufzeichnung?« fragte die Detektivin. »Die von der Wanze in Miß Porters Holzperlenkette. Davon redete Doktor Bushford ja ununterbrochen. Er kann nicht begreifen, daß ihm so etwas passierte.« »Wanze? Holzperlenkette? Kindchen, wissen Sie, wovon der Superintendent spricht?« Lady Simpson wandte sich an Kathy, die lächelte. »Ich weiß es schon, Mylady«, entgegnete sie dann. »Aber diese Wanze in meiner Holzperlenkette war nur ein Bluff! Sie existiert überhaupt nicht!« McWarden schüttelte den Kopf und schluckte. »Dann verstehe ich nicht, wieso Sie, Mylady, zusammen mit Mister Parker das Versteck fanden, in dem man Miß Porter festhielt? Sind Sie Hellseher!« »Sie sagen es, McWarden!« Agatha Simpson nickte nachdrücklich. »Sie nehmen mich auf den Arm, Lady Simpson.« »Keineswegs, McWarden. Wir sahen nicht gerade hell, dafür aber kleine rote Korallenstücke, die zu Miß Porters Handkettchen paßten. Sie wiesen uns durch Copelands Pantry und die Hintertreppe den Weg in das kleine Lager.« »So einfach ist das?« »Dieser Fall war überhaupt mehr als einfach«, faßte Lady Agatha zusammen. »Ja, er langweilte mich bereits, McWarden. Ich wußte doch von Anfang an, daß Doktor Bushford dieses Subjekt ist, das in Erpressungen machte.« »Ja, woher denn, Mylady?« »So etwas ist Gefühlssache.« Agatha Simpson nickte lächelnd. »Die beiden >Wanzen< in Doktor Bushfords Ordination haben mich alarmiert. Eine >Wanze< allein wäre vielleicht in Ordnung gewesen, aber zwei...? Eine davon mußte von Bushford angebracht worden sein, der besonders schlau und gerissen ist.« »Eine ungewöhnliche Beweisführung, Mylady.« »Dazu gehört eben Phantasie, McWarden. Und die haben Sie noch nie gehabt!« »Mylady sind in der Lage, ungewöhnlich schnell die Spreu vom Weizen zu trennen«, ließ der Butler sich vernehmen. »Falls das ironisch gemeint ist, Mister Parker, werden wir uns darüber gleich noch privat unterhalten«, sagte die Sechzigjährige sich zu Parker um wendend. »Man irrt natürlich auch mal, oder?«
»Sehr wohl, Mylady.« Parker deutete eine Verbeugung an. »Und Hauptsache, daß dieser Fall geklärt ist, McWarden. Jetzt möchte ich nur noch wissen, warum Missis Windlow sich umgebracht hat. Sie brachte den Stein ja ungewollt ins Rollen.« »Ein Verbrechen liegt nicht vor, soviel wissen wir«, lautete die Antwort McWardens. »Ihr Selbstmord wird ein Geheimnis bleiben. Vielleicht kann Doktor Bushford eines Tages mehr dazu sagen. Sie war ja seine Patientin.« »Sie wollen schon gehen?« fragte die Detektivin, als McWarden aufstand. »Auf mich warten noch andere Fälle«, erwiderte der Superintendent bedauernd. »Auf uns hoffentlich auch«, meinte Lady Agatha hoffnungsfroh. »Man kommt ja sonst vor Langeweile um. Was glauben Sie, Mister Parker, wird Calster sich noch mal mit uns anlegen? Ich hätte nichts dagegen.« »Aber Mister Calster mit Sicherheit, Mylady«, gab der Butler würdevoll zurück. »Mylady sollten sich in der Hinsicht keine unnötigen Hoffnungen machen. Mister Calster dürfte inzwischen wissen, wer Mylady sind.« »Was ich ihm auch geraten haben möchte«, antwortete Lady Agatha grimmig. »Vielleicht sollte man doch noch mal bei ihm vorbeifahren, wie?« »Wie Mylady befehlen«, erwiderte Josuah Parker gemessen. »Nach meinen bescheidenen Informationen, die ich vor einer knappen halben Stunde erhielt, hat Mister Calster allerdings London mit unbekanntem Ziel verlassen.« »Man kann sich aber auch auf nichts mehr verlassen«, seufzte Lady Agatha. »Dieser Flegel scheint kneifen zu wollen, wie?« »Sie sagen es, Mylady!« Parker nickte bedauernd. »Möglicherweise ergibt sich aber schon in den kommenden Tagen ein neuer Fall.« »Darauf einen Kreislaufbeschleuniger«, sagte die alte Dame optimistisch und funkelte ihren Butler erfreut an. »Sorgen Sie gefälligst dafür, daß ich endlich das richtige Thema für meinen Bestseller bekomme!« ENDE
Scan: crazy2001 @02/2011 Corrected:santos22
Nächste Woche erscheint Butler Parker AUSLESE Band 151 Günter Dönges
PARKER schießt den Falken ab
Butler Parker Auslese erscheint wöchentlich im Zauberkreis Verlag, Abteilung der Erich Pabel Verlag GmbH, 7550 Rastatt, Telefon (07222) 13-1. Redaktion, Druck und Vertrieb: Erich Pabel Verlag GmbH. Anzeigenleitung: Verlagsgruppe Pabel-Moewig, Pabelhaus, 7550 Rastatt. Anzeigenleiter und verantwortlich: Rolf Meibeicker. Zur Zeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 11. Verkaufspreis inkl. gesetzt MwSt. Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Pressegroßvertrieb Salzburg, Niederalm 300, A-5081 Anif. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Genehmigung des Verlages. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen. Printed in Germany. März 1987 Einzelheft-Nachbestellungen sind zu richten an: PV Buchversand, Postfach 510331, 7500 Karlsruhe 51. Lieferung erfolgt bei Vorauskasse zzgl. DM 3,50 Porto- und Verpackungskostenanteil auf Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 85234-751 oder per Nachnahme zum Verkaufspreis zzgl. Porto- und Verpackungskostenanteil. Ab DM 40,- Bestellwert erfolgt Lieferung porto- und verpackungskostenfrei. Abonnement-Bestellungen sind zu richten an: Pabel Verlag GmbH, Postfach 1780, 7550 Rastatt. Lieferung erfolgt zum Verkaufspreis plus ortsüblicher Zustellgebühr.