Mylady fliegt den Todes-Looping Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
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Mylady fliegt den Todes-Looping Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
Flugtrainer Higgins geriet völlig aus der Fassung und hatte echte Mühe, dies nicht sichtbar werden zu lassen. Der drahtige, mittelgroße Mann hatte im Lauf der Zeit schon viel erlebt, doch das hier überstieg alles bisher Dagewesene. Er wußte nicht, ob er weinen oder lachen sollte. »Sind Sie sicher, daß Sie Flugstunden nehmen wollen?« fragte er seine angehende Schülerin. »Dumme Frage, junger Mann, sonst wäre ich ja nicht hier«, erwiderte die majestätisch aussehende Dame, die ein recht ausgebeultes Tweedkostüm trug. Sie schien um die sechzig zu sein, wirkte aber noch sehr aktiv und resolut. »Mylady besitzen bereits einen Flugschein« schaltete sich der Butler der unternehmungslustigen Dame ein. Er besaß ein durchschnittliches Gesicht, das glatt und ausdruckslos wie das eines versierten Pokerspielers war. Der Butler war etwas über mittelgroß, fast schlank und trug einen schwarzen Zweireiher. Auf seinem Kopf thronte eine schwarze Melone. Über seinem angewinkelten linken Unterarm hing ein altväterlich gebundener Regenschirm. »Mylady?«
Flugtrainer Higgins war leicht überrascht. Diese sich burschikos gebende Dame hätte er niemals für eine Angehörige des englischen Adels gehalten. Auf der anderen Seite atmete er innerlich ein wenig auf. Sie besaß also bereits einen Flugschein und wollte sicher ein paar Auffrischungsstunden nehmen. Das hörte sich schon wesentlich besser an. »Er stammt aus dem Jahr neununddreißig«, präzisierte Agatha Simpson, um die es sich handelte. »Aber im Grund hat sich an der ganzen Fliegerei ja kaum etwas geändert, oder?« »Kaum, kaum.« Flugtrainer Higgins grinste wider Willen. »Höhensteuer ist Höhensteuer, und Seitenruder bleibt Seitenruder«, verkündete Lady Agatha. »Worauf warten Sie eigentlich noch? Besorgen Sie einen passenden Vogel, junger Mann!« »So schnell geht das nicht, Mylady«, entgegnete Higgins. Wir werden uns erst mit der Theorie befassen müssen.« »Reine Zeitverschwendung, junger Mann.« Agatha Simpson schüttele energisch den Kopf. »Ich bin eine Frau der Praxis.«
Dem Flugtrainer kam eine geradezu teuflische Idee. Warum sollte er nicht jetzt hier dieser Frau die Flausen aus dem Kopf vertreiben? Warum packte er sie nicht in einen offenen Doppeldecker und schwenkte sie durch die Lüfte? Nach zehn Minuten würde sie um Gnade winseln und ein für allemal darauf verzichten, je wieder als Flugschülerin in die Luft zu steigen. »Also gut, Mylady«, sagte er. »Warten Sie hier! Als alte Praktikerin macht es Ihnen ja wohl nichts aus, in einen Doppeldecker zu steigen, wie?« »Das Wort >alt< möchte ich nicht gehört haben.« Lady Simpson sah Higgins strafend an. »Natürlich werde ich in eine offene Kiste steigen. Früher hat es ja nichts anderes gegeben.« Higgins nickte und trollte sich von dannen. »Finden Sie nicht auch, daß er sehr umständlich wirkt?« Agatha Simpson sah ihren Butler kopfschüttelnd an. »Mr. Higgins gut als erfolgreicher Trainer«, erwiderte Josuah Parker gemessen. »Er wurde mir sehr empfohlen.« »Wir werden ja sehen.« »Sollten Mylady nicht vielleicht passende Kleidung anlegen?« erkundigte sich Parker. »Papperlapapp, Mr. Parker! Wir fliegen ja nur eine kleine Informationsrunde. Ich möchte wissen, ob meine Reflexe noch in Ordnung sind.« »Mylady bestehen nach wie vor darauf, Flugstunden zu nehmen?«
»Selbstverständlich. Und versuchen Sie nicht schon wieder, mir das auszureden, Mr. Parker. Nur so kann ich den internen Betrieb hier studieren. Sie wissen, daß das Innenministerium mich um Hilfe gebeten hat.« Die Augen der Lady glänzten, als Higgins sich näherte. Er saß bereits auf dem hinteren Sitz der kleinen kunstflugtauglichen Maschine und dirigierte den Doppeldecker an Agatha Simpson und Butler Parker heran. Higgins schien seine Freunde und Bekannten informiert zu haben. Am Fuß des kleinen Tower sammelten sich Menschen, die sich diesen Spaß nicht entgehen lassen wollten. Sie kannten Higgins und wußten, daß es ihm bisher noch immer gelungen war, Mitflieger knieweich zu kriegen. Von diesem Unternehmen versprachen sie sich einiges. Butler Parker leistete diskrete Hilfe, als seine Herrin in den vorderen Sitz stieg. Es dauerte eine Weile, bis sie ihre Fülle dort untergebracht hatte. Anschließend bemühte Parker sich, Lady Simpson die Gurte anzulegen, was jedoch an sich nicht notwendig gewesen wäre. Die korpulente Flugschülerin saß derart fest im schmalen Cockpit, daß sie selbst bei einem Looping mit Sicherheit nicht herausfiel. »Darf ich mir erlauben, Mylady einen guten Flug zu wünschen?« Parker lüftete grüßend seine schwarze Melone. »Natürlich dürfen Sie!« Agatha Simpson nickte strahlend. »Wir werden die Wolken erstürmen, Mr.
Parker. Schade, daß Sie nicht mitkommen können!« »Mein Ehrgeiz, Mylady, geht in eine erheblich andere Richtung«, antwortete der Butler. Dann trat er zurück und verfolgte den Start der zierlichen, leichten Maschine, die, wie bereits gesagt, voll kunstflugtauglich war. * Flugtrainer Higgins verstand sein Handwerk. Er hatte den leichten Doppeldecker hochgerissen und stieß fast senkrecht zum Himmel hoch. Dann ließ er ihn über die Luftschraube wieder nach unten fallen, drehte dabei eine hart gerissene Rolle und jagte zurück auf den Boden zu. Dicht über der Piste fing er die Maschine ab und begann dann mit seinem eigentlichen Kunstflugprogramm. Er war fest entschlossen, sich die ältere Dame vom Hals zu schaffen. Er hatte keine Lust, seine Nervenkraft zu vergeuden. Josuah Parker bezog am Fuß des Tower Posten und beobachtete die Demonstration eines einmaligen Könners. Es gab da Rollen, Loopings, Messerflug, Rückenflug und jähe Auf- und Abschwünge. Im Grund bedauerte Parker zwar die Belastungen, die Mylady zugemutet wurden, auf der anderen Seite aber begrüßte er sie auch. Er hielt nichts davon, daß seine Herrin diesen Auftrag so ernst nahm. Sie war dabei, sich wieder mal zu intensiv einzusetzen. Zudem hegte der Butler gewisse Befürchtungen: War nicht zu erwarten, daß Agatha Simpson
ihn eines Tages zu einem Rundflug einlud? Solch einem Risiko wollte Parker sich nicht unnötig aussetzen. Knapp zehn Minuten waren verstrichen. Der Doppeldecker setzte zur Landung an. Parker sah um sich herum erwartungsvoll-schadenfrohe Gesichter. Die Flugschüler und das technische Personal erwarteten ein menschliches Wrack, das aus dem Doppeldecker geborgen werden mußte. Die Besatzung eines Krankenwagens machte sich bereit, mit dem Wagen dicht an die Maschine heranzurollen, um die entnervte Mylady zu übernehmen. Higgins rollte mit dem Doppeldecker bis dicht an die Hangars und an den Tower. Die Schraube drehte sich noch ein paarmal und blieb dann stehen. Parker schritt zwar gemessen, aber doch nicht gerade langsam in Richtung Maschine und legte sich bereits einige tröstende Worte zurecht. Er wurde überholt von den Flugschülern, die den Zustand des Passagiers aus nächster Nähe begutachten wollten. Higgins war bereits ausgestiegen und wurde 'von seinen Flugschülern umringt. Agatha Simpson saß noch im Cockpit und rührte sich nicht. Parker dachte sofort an einen mittelschweren Kreislaufkollaps und nahm sich vor, mit Higgins ein paar ernste Worte zu reden. Es war geradezu unverantwortlich, was er da mit seinem Fluggast angestellt hatte. »Es ist nicht zu glauben«, hörte er Higgins sagen.
»Dieser Ihrer Meinung möchte ich mich in aller Bescheidenheit, aber auch Entschiedenheit anschließen«, erwiderte Parker, der sich seinen Weg durch die Neugierigen gebahnt hatte. »Ich . . . Ich habe alles versucht«, redete Higgins schnaufend weiter. Er sah erstaunlicherweise ein wenig mitgenommen aus. »Auch dies kann ich nur unterstreichen«, kommentierte der Butler. »Wer hilft mir endlich aus der Kiste heraus?« war in diesem Moment die äußerst munter klingende Stimme der Lady zu hören. »Mr. Parker, verplaudern Sie sich nicht schon wieder!« »Mylady fühlen sich den Umständen entsprechend einigermaßen wohl?« erkundigte sich Josuah Parker. Er stand auf der unteren Tragfläche und beugte sich über seine Herrin. »Was heißt hier wohl?« »Darf ich mir gestatten, Mylady einen Kreislaufbeschleuniger anzubieten? « Parker hatte die flache, lederumhüllte Flasche bereits in Händen und schraubte den Verschluß ab, der als Trinkbecher diente. »Higgins dürfte ihn nötiger haben«, erwiderte Agatha Simpson. »Wissen Sie, er hat schwache Nerven.« »Schwache Nerven, Mylady?« Parker steckte die bewußte Flasche weg und wuchtete die korpulente Dame aus dem engen Cockpit. Die Maschine ging nach rechts in die Federn, als Agatha Simpson die Tragfläche mit ihrem Gewicht
einseitig belastete. Dann stieg sie auf die Grasnarbe hinunter, worauf der Doppeldecker sich wieder erleichtert aufrichtete. »Schwache Nerven«, wiederholte Lady Agatha und nickte. »Als ich den Steuerknüppel übernahm und ihm zeigte, wie man bewußt trudelt, geriet er in Panik.« , »Diese Figur flogen Mylady?« Parker erinnerte sich an dieses Programm, das einem Absturz glich. »Natürlich, Mr. Parker«, sagte sie, »Higgins wollte mir das streitig machen und eingreifen, doch ich war stärker.« »Mylady bemerken möglicherweise meine Unkenntnis.« »Der Vogel hat Doppelsteuerung«, sagte sie. »Wer stärker ist, fliegt die Figuren. Und ich war stärker!« Flugtrainer Higgins wankte auf die ältere Dame zu, diskret gestützt von zwei Flugschülern, die sich seine Knieweichheit immer noch nicht erklären konnten. Er blieb vor Lady Simpson stehen und sah sie klagend an. »Wieder erholt, junger Mann?« fragte sie. »Ich . .. Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, stotterte Higgins. »Sie . . . Sie hätten uns mit dem Trudeln beinahe umgebracht. « »Papperlapapp, junger Mann«, gab sie zurück. »Mit der Fliegerei ist es wie mit dem Radfahren: So etwas vergißt man nie. Gelernt ist gelernt!« * »Was hast du ausgegraben?« fragte der kleine, magere Mann, der irgendwie an eine struppige Ratte
erinnerte. Er hieß Paul Maser und mochte etwa sechsundzwanzig Jahre alt sein. »Die Alte will Flugstunden nehmen«, erwiderte Steve Ralston. Er war etwa vierundzwanzig Jahre alt, mittelgroß und sah treuherzig aus. Selbst ein erfahrener Beobachter der Gangsterszene hätte ihn nie für einen Gangster gehalten. »Flugstunden? Sag das noch mal. ..« »Die Lady will fliegen«, wiederholte Ralston wunschgemäß. »Ich habe es aus erster Hand. Die ist total verrückt.« »Oder genau das Gegenteil.« Paul Maser schüttelte langsam den Kopf. Sein rattenähnliches Gesicht mit den schwarzen Augen nahm einen nachdenklichen Ausdruck an. »Warum ausgerechnet hier im Club? Nee, das kann kein Zufall sein.« »Komisch ist das wirklich.« Steve Ralston nickte. »Ob wir den Chef verständigen sollten?« »Worauf du Gift nehmen kannst, Junge.« Maser nickte. »Die Lady will hier doch nur herumschnüffeln. Ich möchte bloß mal wissen, wie sie Lunte gerochen hat. Normalerweise arbeitet sie doch nur in London und Umgebung. « »Ich verdrücke mich wieder.« Steve Ralston, der als Koch im Flugplatzrestaurant arbeitete, verließ seinen Mittelsmann und ging zurück zu der großen zweistöckigen Steinbaracke, in der das einfache Restaurant und die Küche untergebracht waren. Der Flugplatz befand sich in der Nähe von Ipswich nahe der Kanalküste. Während des zweiten
Weltkriegs hatte er als Feldflugplatz gedient. Aus dieser Zeit stammten noch die zweistöckige Steinbaracke, die Hangars, die zum Teil unbenutzt waren, die Reihe der halb versenkten Munitionsbunker am Ende der Rollbahn und auch die Verwaltungsgebäude, die jetzt als Unterkünfte der Flugschule dienten. Der normale Linienverkehr der Fluggesellschaften war hier nicht anzutreffen. Auf dem alten Feldflugplatz landeten und starteten nur noch Privatmaschinen. Die Ausbildungsschule, in der Trainer Higgins tätig war, erfreute sich großer Beliebtheit und wurde frequentiert. Der Club hatte keine finanziellen Sorgen. Paul Maser hatte es eilig, zur Telefonzelle zu kommen. Das plötzliche Auftauchen der Lady Simpson hatte ihn alarmiert. Er hatte sie rein zufällig vor dem Tower entdeckt, worauf er sofort einen trockenen Mund bekam. Noch besser kannte er natürlich den Butler Parker. Vor Jahren hatte er mal mit ihm in London zu tun gehabt. An diese Begegnung erinnerte er sich nur ungern. Er hatte dabei nämlich auf der ganzen Linie draufzahlen müssen und war zum Gespött seiner Freunde geworden. Mit dem Chef selbst konnte Paul Maser natürlich nicht sprechen, dazu war seine Stellung viel zu gering. Er war schon froh, daß sich ein gewisser Teddy Tralley meldete. Paul Maser nannte seinen Namen und setzte seine Meldung ab.
»Sind Sie noch dran?« fragte er, als auf der Gegenseite keine Antwort erfolgte. »Was denn sonst?« Teddy Tralleys Stimme klang gereizt. »Ein Irrtum ist also ausgeschlossen?« »Ralston weiß mit Sicherheit, daß die alte Schreckschraube Flugstunden nehmen will. Er bleibt am Ball.« »Er bleibt weg vom Ball«, erfolgte jetzt die schnelle Antwort, die keine Auslegung zuließ.« Ihr beide macht euch unsichtbar, ist das klar?« »Natürlich, Tralley«, erwiderte Paul Maser respektvoll. »Wir werden uns um dieses Duo kümmern«, schloß Teddy Tralley. »Das ist was für Spezialisten, Maser.« Paul Maser legte auf und war wütend. Was dieser arrogante Tralley sich bloß dachte? Spezialisten! Sollten die doch herkommen und sich mit Lady Simpson und Butler Parker anlegen. Schadenfroh im voraus, hoffte Paul Maser, daß diese angeblichen Spezialisten sich eine blutige Nase holten. * »Haben Sie Quartier gemacht, Mr. Parker?« erkundigte sich Lady Agatha. Sie saß im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum und genoß den Blick auf den Orwell, der der Nordsee zuströmte. »Mylady werden, falls Mylady meiner bescheidenen Wahl zustimmen, im >Golden Horse< wohnen, eine seriöse Herberge in der Nähe des Flugplatzes.«
»Sehr schön, Mr. Parker. Sagen Sie, hätten Sie nicht Lust, auch ein paar Flugstunden zu nehmen? Sie sollten Ihre Kenntnisse wieder mal auffrischen. Wer rastet, der rostet!« »Wie Mylady meinen.« Parker deutete ein höfliches Nicken an. »Falls die Zeit bleibt, werde ich mir erlauben, Myladys Anregung aufzugreifen.« »Warum sollte die Zeit nicht reichen? « wunderte sich die Detektivin. »Der sprichwörtliche Zufall, Mylady, spielte mir eine Information visueller Art zu.« »Was soll denn das schon wieder heißen?« »Erinnern Mylady sich an Mr. Paul Maser?« »Nie gehört, Mr. Parker. Was ist mit diesem Mann?« »Als ich seinerzeit für Mr. Rander arbeitete, Mylady, der jetzt in den Staaten weilt, hatte ich eine kleine Auseinandersetzung mit dem erwähnten Mr. Maser.« »Ein Gangster etwa?« Lady Agathas Stimme nahm einen sehr interessierten Klang an. »In der Tat, Mylady, ein Gangster der unteren Klasse, ein Schläger und Messerstecher.« »Das klingt nicht schlecht!« Agatha Simpson beugte sich vor. »Zufall oder Absicht?« »Das, Mylady, würde ich gern herausfinden, wenn es gestattet ist.« »Warum treibt ein Gangster sich in der Nähe des Flugplatzes herum, Mr. Parker?« fragte die ältere Dame sofort. Ihre Phantasie heizte sich bereits leicht auf. Sie witterte einen
neuen Kriminalfall. »Ob er etwas mit unserem Sonderfall zu tun hat?« »In Sachen Spionage war Mr. Paul Maser noch nie tätig, Mylady. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er sein Metier gewechselt hat. Zudem würden sich Spionageringe niemals solcher Männer bedienen.« »Auch als bezahlte Killer nicht? « Lady Agatha kannte sich in den Praktiken der Unterwelt aus. »Mit Sicherheit nicht, Mylady.« Parker wußte ebenfalls über die Praktiken der Spionagearbeit Bescheid. Natürlich waren Lady Simpson und er nicht zufällig hier in Ipswich, und wollte Lady Agatha nicht aus Langeweile Flugstunden nehmen. Das Innenministerium hatte sich an Agatha Simpson und Josuah Parker mit der dringenden Bitte um Hilfe gewandt. Nach leider nur spärlichen Informationen eines wie vom Erdboden verschwundenen Mannes des britischen Geheimdienstes sollte sich ein ausländischer Agentenring im Flugclub eingenistet haben. Nach dem Anhören dieser Bitte hatte Mylady sich sofort in Marsch gesetzt. Sie witterte selbstverständlich wieder mal den Stoff für ihren geplanten KriminalBestseller, mit dem sie eine gewisse Agatha Christie in den Schatten stellen wollte. Parker war weniger optimistisch als Lady Simpson. Für ihn waren die spärlichen Hinweise noch zu mysteriös und zu mager. Es war von Flugzeugen gesprochen worden, doch im Grund nicht von diesem Club, den sie gerade besucht hatten. Es wäre jedoch sinnlos gewesen, sich gegen Myladys Pläne
stemmen zu wollen. Selbstverständlich hatte er seinen Privatwagen aus der Garage geholt und die Reise vorbereitet. »Um noch mal auf dieses Subjekt Maser zu kommen«, ließ die ältere Dame sich vernehmen. »Hat er Sie ebenfalls gesehen, Mr. Parker?« »Davon sollte man sicherheitshalber ausgehen, Mylady.« »Glauben Sie, daß er etwas gegen uns unternehmen wird?« »Man sollte sich darauf einrichten, Mylady.« »Sehr schön, sehr nett.« Lady Simpson liebte aufregende Abenteuer. »Hoffentlich enttäuscht uns dieser Lümmel nicht. Falls aber doch, werden wir ihn leicht reizen und aus seiner Reserve locken.« »Myladys Wunsch wird mir Befehl sein.« Parker bedauerte es fast schon, seine Herrin auf Paul Maser hingewiesen zu haben. Kommende Verwicklungen waren bereits so gut wie vorprogrammiert. Insgeheim fragte Parker sich natürlich, ob der wie vom Erdboden verschwundene Agent Ihrer Majestät auf das Konto dieses Paul Maser ging. Zuzutrauen war Maser so etwas schon. Diesem Mann kam es auf ein Menschenleben überhaupt nicht an. »Hören Sie denn nichts?« fragte Agatha Simpson plötzlich energisch. »Mylady?« Parker wußte nicht, was die Detektivin meinte, doch eine Sekunde später wußte er sehr genau, worauf sie anspielte. Dicht über dem hochbeinigen Monstrum mußte sich ein Flugzeug befinden. Das Geräusch wurde aufdringlich, die
Maschine hatte die zulässige Mindesthöhe bei weitem unterschritten. Und das geschah wahrscheinlich nicht aus Leichtsinn oder Zufall! * Aus einem stets wachen Instinkt heraus, der bei Parker schon fast überentwickelt war, trat der Butler hart aufs Bremspedal, ohne seine Herrin vorwarnen zu können. Sie stieß einen Überraschungsruf aus, als sie plötzlich in ihrem Anschnallgurt hing, den sie auch auf dem Rücksitz angelegt hatte. Bevor sie sich dazu grollend äußern konnte, jagte über dem hochbeinigen Monstrum des Butlers eine kleine moderne Sportmaschine entlang. Bruchteile von Sekunden später landete etwa fünfzig Meter vor dem Kühler des Wagens eine Art Kanister auf der Fahrbahn, der aufschlug, hochsprang, weitergewirbelt wurde und dann mit einem Satz in der nahen Wiese landete. Parker hatte bereits den Rückwärtsgang eingelegt und gab Vollgas. Sein Wagen, ein ehemaliges Londoner Taxi rollte im Eiltempo in die Gegenrichtung und wurde dann von der Druckluftwelle des detonierenden »Kanisters« erfaßt und durchgeschüttelt. Aus der Wiese stieg ein schwarzer Rauchpilz hoch, als sei dort eine Bombe eingeschlagen. Erde, Steine und Grasnarben wirbelten durch die Luft und prasselten auf die Straße. Parkers Monstrum schaukelte in der Federung, Erdreich prasselte aufs Wagendach, und eigentlich erst jetzt
war das reißende Krachen der Detonation so richtig zu vernehmen. »Das ist aber die Höhe«, entrüstete sich Lady Simpson. »Was war denn das, Mr. Parker?« »Ein Explosivkörper, Mylady«, lautete Parkers Antwort. »Man könnte unter Umständen auch Bombe dazu sagen.« »Das ist ja lebensgefährlich.« Myladys Stimme ließ erkennen, wie beeindruckt die ältere Dame war. »Die beobachtete Sprengkraft möchte ich als durchaus beachtlich qualifizieren«, sagte Parker. »Wahrscheinlich ist mit einem zweiten Anflug zu rechnen.« »Dann tun Sie gefälligst etwas dagegen«, verlangte Agatha Simpson grimmig. »Natürlich, das Motorengeräusch ist schon wieder zu hören.« Parker hatte es ebenfalls mitbekommen. Er stand inzwischen neben der geöffneten Fahrertür und beobachtete den Himmel. Die Angreifer hatten sich ein besonders gutes Gelände für ihren Tiefangriff ausgesucht. Die Straße befand sich auf einer Art Damm, der zum Fluß hin steil abfiel. Auf der anderen Straßenseite fiel das Gelände ebenfalls recht steil ab und ging dann in weite, baumlose Wiesen über. Man befand sich wie auf einem Präsentierteller. Die Angreifer konnten sich in aller Ruhe und Gelassenheit mit ihrem Zielobjekt befassen. Und dann war der kleine schnelle Tiefdecker bereits wieder zu sehen. Hinter einem fernen Wäldchen hatte er gedreht und flog seinen
zweiten Angriff. Die Lage war mehr als kritisch. Parker mußte sich tatsächlich etwas einfallen lassen, wenn er und seine Herrin nicht tödlich getroffen werden wollten. Obwohl sein hochbeiniges Monstrum durchaus als eine Trickkiste auf Rädern bezeichnet werden konnte, verfügte Parker selbstverständlich nicht über ein Maschinengewehr, mit dem er sich jetzt hätte wehren können. Er setzte sich zurück in den Wagen und drückte auf einen der vielen Bedienungsknöpfe des Armaturenbretts. Dann gab er Vollgas und wartete darauf, daß die Einnebelung begann. Es dauerte etwa zehn Sekunden, bis aus am Wagen versteckt angebrachten Düsen tiefschwarze Rauch- und Rußwolken quollen, die eine undurchsichtige Zone bildeten. Parker ließ seinen Trickwagen vorrollen, um dann wieder zurückzustoßen. Auf diese Art und Weise nebelte er ein gutes Stück der Dammstraße ein und machte es dem Bombenschützen unmöglich, das Ziel genau zu orten. Eine zweite Detonation! Parkers Wagen wurde erneut durchgeschüttelt. Wieder prasselten Erdschollen auf das Wagendach. Irgendwo in der Rauchzone schoß ein orangefarbener Blitz hoch. »War das nicht eine zweite Bombe?« erkundigte sich Agatha Simpson mit erstaunlicher Ruhe. Sie war keine Frau, die sich gehen ließ. »Myladys Deutung dürfte mit den Tatsachen übereinstimmen«, antwortete Josuah Parker. »Darf ich
mir die Freiheit nehmen, Mylady einen Moment allein zu lassen?« »Was haben Sie vor, Mr. Parker?« »Vielleicht sollte man einem dritten Angriff vorbeugen, Mylady«, gab der Butler würdevoll zurück. »Diese Belästigungen erweisen sich auf die Dauer als störend, wenn ich es so umschreiben darf.« * Josuah Parker öffnete den Kofferraum seines hochbeinigen Monstrums und entnahm ihm einige Gegenstände, die an lustige Feuerwerkskörper erinnerten. Sie wurden gemeinhin in Silvesternächten verwendet, um das neue Jahr gebührend zu begrüßen. Es handelte sich also um Raketen, die man im freien Fachhandel kaufen konnte. Sie waren an langen Holzpflöcken befestigt, um den Amateurfeuerwerker nicht zu gefährden. Parker schritt mit diesen Raketen durch den dichten schwarzen Nebel, bis er eine hellere Zone erreicht hatte. Er hörte den Motor des kreisenden Tiefdeckers, ohne die Maschine im Moment aber schon ausmachen zu können. Er holte eine kleine Taschenschere aus einer seiner vielen Westentaschen und verkürzte die Lunten der Feuerwerkskörper derart drastisch, daß sie unmittelbar nach dem Anzünden zischten. Parker verließ die Dämmerzone der dunklen Schwaden und blieb plötzlich stehen. Der Tiefdecker suchte nach seinem Opfer.
Die Maschine flog sehr nieder über die Dammstraße, tauchte sogar im Rauch ein und erschien dann wieder in östlicher Richtung. Für einen Augenblick hegte Parker die Befürchtung, eine dritte Bombe sei vielleicht abgeworfen worden, doch das war erfreulicherweise nicht der Fall. Der Bombenschütze wollte diesmal sicher sein und das anvisierte Ziel auch tatsächlich treffen. Parker nahm Deckung hinter einem Meilenstein und wartete auf den nächsten Anflug des Tiefdeckers. Er war bereit, sich energisch zu wehren. Da erschien der Tiefdecker bereits wieder. Er hatte eine scharfe Kurve gezogen und jagte im Tiefflug heran. Josuah Parker nahm seinen ersten Feuerwerkskörper und peilte die Maschine an. Mit der linken Hand knipste er sein altertümlich aussehendes Sturmfeuerzeug an und setzte die kurze Lunte in Brand. Ein, zwei Sekunden später raste die Rakete auf ihr Ziel los, einen bunten, nicht unfreundlich aussehenden Feuerschweif hinter sich herziehend. Der Feuerwerkskörper lag gut, doch er traf nicht. Er zischte dicht unter dem Fahrwerk der Maschine hindurch und löste sich wenig später in eine Art feurigem Wasserfall auf. Die zweite Rakete! Diesmal hatte Parker besser gezielt. Sie erwischte das Leitwerk des Tiefdeckers und zerplatzte am Seitenruder. Der Tiefdecker wurde hochgerissen und gab seine Absicht auf, weiterhin die Straße abzusuchen. Er legte sich auf die
Seite und geriet in bedenkliche Schwankungen, die schon nicht mehr als regulär bezeichnet werden konnten. Die dritte Rakete lag ausgezeichnet. Parker erwies sich als Richtschütze von höchster Präzision. Der Feuerwerkskörper zerplatzte unter der geschlossenen Kabine und regnete als ein Gebilde aus vielen bunten Feuersternen zurück auf den Boden. Der Tiefdecker bäumte sich auf, jagte senkrecht zum Himmel, legte sich wieder auf die Seite und brauste dann im Tiefflug hinaus auf die Wiesen. Er wackelte bedenklich, hüpfte wie ein junger Ziegenbock und verschwand wenig später hinter dem kleinen Waldstück. Dann' erfolgte eine Detonation, die sich mit den ersten überhaupt nicht mehr messen konnte. Eine schwere Bombe schien im Wäldchen aufgeschlagen zu sein. Ein schwarzer Rauchpilz schoß aus der Baumgruppe empor, dann war das Geräusch der Detonation zu vernehmen. Parker schritt zurück in die Rauchwolke und suchte nach Mylady. Er erreichte sein hochbeiniges Monstrum, doch der Wagen war leer. Parker rief diskret nach seiner Herrin und erhielt endlich eine Antwort. Er folgte ihr und fand die Detektivin, die inzwischen ebenfalls den Dunstkreis des Nebels verlassen hatte, und vom Damm aus die Absturzstelle beobachtete. »Das sieht nicht gut aus«, meinte sie, zum Wäldchen hinüber zeigend.
»In der Tat, Mylady«, antwortete Josuah Parker. »Die Täter dürften diesen jähen Bodenkontakt kaum überlebt haben.« * »Wer ist denn die?« fragte Steve Ralston neugierig. Sein Interesse galt einer sehr pikant aussehenden Blondine, die es mit jedem Berufsmannequin aufnehmen konnte. Sie trug ein knappes, schwarzes Servierkleid, eine Miniaturschürze und zeigte einen geradezu atemberaubenden Ausschnitt. »Das ist die Neue«, antwortete Mel Farrow, der Manager des FlugplatzRestaurants, der gleichzeitig auch den Wirtschaftsbetrieb der Flugschule leitete. »Die ist ja 'ne Wucht«, freute sich Steve Ralston. »Darum habe ich sie ja auch eingestellt«, meinte Mel Farrow, ein sechsunddreißigjähriger Mann, der groß und schlank war und einen militärisch straffen Eindruck machte. »Und woher kommt die Neuentdeckung?« fragte Steve Ralston weiter. »Aus Blackpool. Sie hat dort in 'nem Club gearbeitet.« »Und so was verändert sich?« Ralston schüttelte erstaunt den Kopf.« Gegen Blackpool ist das doch hier tiefste Provinz.« »Sie wird ihre Gründe gehabt haben, Ralston.« Mel Farrow war an einer weiteren Unterhaltung nicht interessiert. Er war ein Mann, der auf Abstand hielt. Als Manager verkehrte er mit dem Personal nur
auf dienstlicher Ebene. Er haßte Vertraulichkeiten. Natürlich wußte er über Judy Gander mehr, als er Ralston gegenüber gesagt hatte. Bevor er sie eingestellt hatte, waren ein paar diskrete Telefonate erfolgt. Diese atemberaubend aussehende Blondine hatte in ihrem Club in Blackpool Ärger gehabt und auch gemacht. Sie war, gelinde ausgedrückt, ein wenig zu schnell auf gewisse Einladungen von Clubgästen eingegangen und hatte sich auf charmante Art und Weise kleine und größere Geldbeträge ausgeliehen, deren Rückzahlung von ihr total vergessen worden war. Mel Farrow stieß sich nicht daran. Für seinen Betrieb hier, den er verantwortlich leitete, brauchte er eine weibliche Attraktion, um den Umsatz zu heben. Der eigentliche Pächter des Gesamtunternehmens wollte mehr Geld sehen. Judy Gander brachte genau die Voraussetzungen mit, um das in Zukunft sicherzustellen. Sie merkte, daß sie von Mel Farrow beobachtet wurde, lächelte neutral und beschäftigte sich weiter damit, die Bar aufzuklaren. Farrow schlenderte zu ihr hinüber und schaute ihr einen Moment zu. »Schon eingelebt?« erkundigte er sich. »Wie haben Sie den ersten Ansturm überlebt, Judy?« »Es war ein leichtes Vergnügen«, meinte sie. »Die Gäste machten alle einen ziemlich aufgeregten oder aufgekratzten Eindruck. Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll. Draußen auf dem Flugplatz muß irgend etwas passiert sein.«
»Worauf Sie sich verlassen können, Judy.« Mel Farrow schmunzelte. »Unser Cheftrainer Higgins ist geschafft worden.« »Wie soll ich das verstehen?« Sie beugte sich ein wenig über den Tresen der Bar und verwirrte so selbst einen abgebrühten Mann wie Mel Farrow. Das Dekollete war tatsächlich schon mehr als kühn. »Wir haben eine neue Flugschülerin«, sagte Mel Farrow hastig und lenkte sich ab. Er zündete sich umständlich eine Zigarette an.» Eine gewisse Lady Simpson ist das. Eine Art Fossil, wenn Sie wissen, was ich meine.« »Uralt also?« Judy Gander lächelte. »Fast noch älter«, bestätigte Farrow. »Higgins wollte sie fertigmachen, doch als er aus der Kiste kletterte, war er es, der um ein Haar erste Hilfe gebraucht hätte.« »So gut fliegt sie?« »Sie hat 'ne Fluglizenz aus dem Jahr 39«, entgegnete Farrow. »Aber sie scheint nichts verlernt zu haben. Sie wird für uns Reklame machen. Lady Simpson ist millionenschwer und hat die besten Verbindungen. Ich bin froh, daß sie hier schulen wird.« »Um ihre Kenntnisse aufzufrischen, Mr. Farrow?« »Stellen Sie sich vor, sie will auf Düse umschulen!« Mel Farrow holte tief Luft. »Auf was die Leute nicht alles kommen! Es ist nicht zu glauben.« »Hatte sie nicht einen Butler bei sich?« Judy lächelte amüsiert. »Ich glaube, so etwas gesehen zu haben.«
»Sie hat einen Butler bei sich«, bestätigte Mel Farrow. »Ein verrücktes Gespann. So was sieht man eigentlich nur noch im Film oder im Fernsehen.« Bevor Judy Gander darauf antworten konnte, waren die Martinshörner eines Feuerwehrwagens und eines Rettungswagens zu hören. Beide Fahrzeuge rasten dicht an der Steinbaracke vorüber und verschwanden in Richtung Straße. »Was ist denn das?« wunderte sich Mel Farrow. Er lief ans Telefon und rief den Tower an. Nach wenigen Augenblicken wandte er sich zu Judy Gander um, die ihm gefolgt war. »Da ist 'ne Maschine abgestürzt«, sagte er. »Und vorher soll sie noch Bomben geworfen haben! Bomben! Das kann doch nur ein Irrtum gewesen sein. Wer wirft denn heute noch Bomben über England ab?« * »Chief-Inspektor Broken«, stellte der sportlich aussehende Mann sich vor und musterte Lady Simpson und ihren Butler. »Ich bin hier für den Bezirk zuständig. Erzählen Sie mir genau, was passiert ist!« »Das überlasse ich Mister Parker.« Agatha Simpson deutete auf ihren Butler. »Ich muß erst mal mit meinem Schock fertig werden, junger Mann.« »Verständlich, Mylady«, erwiderte der Chief-Inspektor und widmete sich Josuah Parker, der eine detaillierte Schilderung des Geschehens lieferte.
»Sie haben die Kiste mit einem Feuerwerkskörper abgeschossen?« fragte Broken schließlich und starrte Parker fassungslos an. »Ich habe mich doch nicht verhört, oder?« »Mitnichten und durchaus nicht, Sir«, reagierte Parker würdevoll. »Dies geschah in einem Akt der Notwehr, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Und diese Feuerwerkskörper hatten Sie so einfach bei sich, wie?« Broken traute der Darstellung des Butlers nicht, was an sich verständlich war. Ihm waren Lady Simpson und Butler Parker natürlich völlig unbekannt. »Unter anderem, Sir«, lautete Parkers würdevolle Antwort. »Sie erwiesen sich in dem hier zu behandelnden Fall ais ausgesprochen nützlich und wertvoll.« »Sie wissen, wer die Bomben geworfen hat?« »Natürlich nicht, Sir.« »Aber Sie rechneten damit, daß so etwas wie ein Mordanschlag auf Lady Simpson und Sie verübt werden sollte? « »Dies, Sir, vermag ich mit letzter Sicherheit nicht zu beantworten. Mylady ist manchem Unterweltler, um es mal so auszudrücken, ein Dorn im Auge.« »Wieso denn das?« ChiefInspektor Broken schüttelte amüsiert den Kopf. »Mylady beschäftigt sich in ihrer Freizeit mit der Aufklärung von Kriminalfällen.« »Sie hat eine Lizenz als Privatdetektiv?« Broken fühlte sich leicht auf den Arm genommen. .
»Mylady betreibt dies als eine Art Hobby, Sir.« »Noch mal zurück zu dem Flugzeug. Sie sind also sicher, daß man so eine Art von Bomben geworfen hat?« »In der Tat, Sir, es handelte sich, wie ich beobachten konnte, um kanisterähnliche Explosivkörper. Der Zustand der Dammstraße dürfte Bände sprechen.« »Das allerdings.« Chief-Inspektor Broken sah sich die zerstörte Straße an. »Lady Simpson scheint es da mit einem mächtigen Gegner aufgenommen zu haben. Soviel Aufwand!« »Die Methoden der Unterwelt werden immer rüder, Sir«, pflichtete der Butler dem Chief-Inspektor bei. »Darf ich mir nun erlauben, meinerseits einige Fragen zu stellen?« »Na bitte, Mr. Parker.« »Konnten die beiden Insassen der Maschine identifiziert werden?« »Bisher nicht. Daran wird noch gearbeitet.« »Sie verbrannten nicht in der Maschine? « »Sie wurden hinausgeschleudert.« »Den Tod der beiden Flugzeuginsassen bedaure ich selbstverständlich zutiefst.« »Was werden erst die Leute sagen, die Ihnen diese Maschine auf den Hals geschickt haben, Mr. Parker? Haben Sie daran schon mal gedacht?« »Man dürfte sehr ungehalten sein, fürchte ich.« »Das ist stark untertrieben, Mr. Parker. Man wird Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sich für den
Abschuß zu rächen. Ich mache Lady Simpson und Ihnen einen Vorschlag: Fahren Sie möglichst schnell zurück nach London und tauchen Sie dort unter! Noch besser, verlassen Sie England, bis wir die Dinge geklärt haben! Wer ein Flugzeug einsetzt und Sie mit Bomben bewirft, der wird sich noch ganz andere Dinge einfallen lassen, glauben Sie mir.« Parker unterhielt sich noch eine Weile mit Chief-Inspektor Broken, brachte ihn dann zum Dienstwagen und kehrte zu seiner Herrin zurück, die im Wintergarten des »Golden Horse« ihren Tee nahm. Sie lachte grimmig, als Parker ihr mitteilte, was Chief-Inspektor Broken vorgeschlagen hatte. »Natürlich werden wir bleiben«, entschied sie dann. »Aber unter uns, Mr. Parker, wem haben wir diesen Angriff zu verdanken? Wer könnte sich da gerührt haben? « »Mylady denken an die Spionageorganisation, die Mylady aufspüren soll?« »Natürlich denke ich daran. Diese Kerle scheinen etwas gewittert zu haben.« »Eine bestechende Theorie, Mylady«, stellte Parker höflich fest. »In diesem Zusammenhang sollte man sich auch mal mit Mr. Paul Maser befassen. Vielleicht existieren hier Querverbindungen, die sich als interessant erweisen.« Während Parker noch sprach, erschien eine Hotelangestellte und überbrachte einen Brief, der für Lady Simpson bestimmt war. Parker nahm ihn erst mal in Empfang und begutachtete ihn sorgfältig. Er war
zu dünn, um eine kleine Sprengladung enthalten zu können. »Nun öffnen Sie ihn schon«, drängte die Detektivin. Parker öffnete gemessen und ohne Hast den Umschlag und reichte das Schreiben ungelesen an Lady Simpson weiter. Sie überflog den Text und stieß dann ein grollendes Räuspern aus, das wie ein fernes, aufkommendes Gewitter klang. »Eine Unverschämtheit«, sagte sie und reichte Parker das Blatt. Der Butler überflog den Text. »Eine kollektive Mordandrohung, die Mylady und meine bescheidene Person betrifft«, faßte der Butler zusammen. »Dem Ton nach zu urteilen stammt dieses Schreiben aus Kreisen der Unterwelt. Man sollte nicht versäumen, Mr. Maser schnellstens aufzusuchen.« »Glauben Sie, daß er diesen Brief geschrieben hat?« »Nicht unmittelbar, Mylady, aber er dürfte wissen, wer der Verfasser ist.« » Und wo finden wir diesen Lümmel ? « »Dies, Mylady, bedarf gewisser Ausforschung«, gab der Butler zurück. »Wenn Mylady erlauben, werde ich mich sofort an die Arbeit machen.« »Glauben Sie etwa, ich würde hier im Hotel bleiben und die Hände in den Schoß legen?« »Darf ich daraus schließen, daß Mylady mitzukommen gedenken?« »Sie dürfen, Mr. Parker.« Agatha Simpson stand auf und verwandelte sich sofort in Energie.
»Die Ermittlungen können sich unter Umständen als gefährlich erweisen, Mylady.« »Das möchte ich aber auch stark hoffen«, schloß sie. »Wir sind ja nicht hierher nach Ipswich gekommen, um uns zu amüsieren, oder?« * Paul Maser erinnerte nicht nur an eine Ratte, er verfügte auch über die Gerissenheit und das Mißtrauen eines solchen Nagers. Sein Ärger nach dem Telefongespräch mit Teddy Tralley war längst verraucht. Er saß in der kleinen Ortschaft Bramford-Village in einer Teestube, von wo aus er die Pension beobachten konnte, in der er wohnte. Er hatte sich dort als Chefmonteur einer Londoner Drahtfirma eingetragen, der hier für Weidezäune werben wollte. Paul Maser fuhr einen kleinen Kastenlieferwagen, der mit entsprechenden Mustern und Ausrüstungsgegenständen bepackt war. Eine Kontrolle seines Wagens hätte also keinen Verdacht erregt. Er war ein Mann, der elektrische Weidezäune anbot und auch installierte, falls man es wünschte. Seine Londoner Firma existierte ebenfalls. Eine Nachfrage dort hätte alle Angaben bestätigt. Die tatsächliche Firma, für die Maser arbeitete, war sehr gut organisiert und sorgte dafür, daß ihre Mitarbeiter einen durchaus ehrenhaften Hintergrund aufzuweisen hatten.
Da Maser wie eine Ratte dachte, saß er in der Teestube. Nach seinem Gespräch mit Teddy Tralley war er mißtrauisch und vorsichtig geworden. Er ärgerte sich nachträglich darüber, Tralley informiert zu haben. Das konnte, wie er jetzt glaubte, tödlich sein. War er jetzt nicht zu einem echten Sicherheitsrisiko für die Organisation geworden? Er trank seine dritte Tasse Tee und wartete geduldig. Er hatte das Gefühl, daß bis zum Erscheinen der angekündigten Spezialisten nicht mehr viel Zeit verstrich. Dann würde es sich ja zeigen, wie falsch oder richtig er mit seinen Bedenken lag. Als ihm die vierte Tasse Tee von der mürrischen Bedienung serviert worden war, drückte er seine gerade angerauchte Zigarette aus und beugte sich vor, um die gegenüberliegende Pension besser beobachten zu können. Vor dem einfachen Haus hielt nämlich ein staubbedeckter Ford, dem zwei Männer entstiegen. Paul Maser hatte sie zwar noch nie gesehen.doch er merkte sofort, daß sie aus seiner Branche stammten. Sie bewegten sich betont unauffällig, sahen sich vorsichtig nach allen Seiten um und betraten dann die Pension. Maser zündete sich die nächste Zigarette an, ohne es zu merken. Wieso kreuzten diese beiden Männer in der Pension auf? Weshalb suchten sie direkten Kontakt? Das war eigentlich gegen die normalen Spielregeln. Hatten sie es so eilig, einen Schlußstrich zu ziehen? Standen sie etwa unter Zeitdruck?
Natürlich blieben sie nicht lange. Sie erschienen wieder vor dem Haus, gingen auf den Ford zu und übersahen den Kastenlieferwagen, der auf dem kleinen Parkplatz der Pension stand. Sie setzten sich in den Ford und fuhren davon. Maser verließ den Tisch, ging hinüber an das kleine Eckfenster der Teestube und sah dem Ford nach. Er erschien nach wenigen Augenblicken auf dem Marktplatz und hielt dort am Straßenrand. Die beiden Männer blieben im Wagen. Von ihren Plätzen aus konnten sie die Pension gut überblicken. Nein, das war kein Höflichkeitsbesuch! Paul Maser wußte Bescheid. Er war für die Organisation tatsächlich zu einem Sicherheitsrisiko geworden. Man wollte ihn erledigen, bevor dieser verdammte Butler Parker über ihn, Maser, sich an die Organisation heranmachen konnte. Wahrscheinlich war es aus Teddy Tralleys Sicht einfacher, als sich mit dem Butler anzulegen. Maser war noch nicht mal sauer, als er dies erkannt zu haben glaubte. So ging es nun mal in einem Laden zu, wie er dachte, in dem Riesenumsätze gemacht wurden und in dem man selbst auch prächtig verdiente. Wenn diese Umsätze in Gefahr gerieten, wurde man halt abserviert... An Verrat oder Rache dachte Paul Maser nicht. So etwas wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Jetzt half nur schnelles Absetzen. Er mußte aus dieser Gegend verschwinden und irgendwo auf der Insel untertauchen.
Vielleicht war Schottland das richtige Fleckchen Erde, um erst mal in volle Deckung zu gehen. Geld hatte er ausreichend in seiner Brieftasche. Außerdem existierte schließlich ein Konto, an das nur er allein heran konnte. Für ein paar Monate reichte das. Danach konnte man ja wieder Kontakt mit Tralley aufnehmen und so beweisen, daß man doch kein Sicherheitsrisiko darstellte. Zu diesem Zeitpunkt mußten die Spezialisten Butler Parker und die schrullige Lady längst erwischt haben . . . Paul Maser wollte an seinen Tisch zurückkehren, als er bemerkte, daß ein Besucher die Teestube betrat. Im gleichen Moment wußte Maser, daß nicht zwei, sondern drei Spezialisten nach Bramford-Village gekommen waren. Diesen Mann hier hatte er übersehen! * Parker verlangsamte die Fahrt seines hochbeinigen Monstrums, als sie durch Bramford-Village kamen. Um zum Flugplatz zu gelangen, mußten sie zwangsläufig durch diese kleine Ortschaft, deren Häuser in Fachwerkbauweise noch aus dem Mittelalter zu stammen schienen. »Polizei«, stellte Agatha Simpson fest. »Es scheint sich nach Lage der Dinge sogar um die Mordkommission zu handeln«, antwortete der Butler. »Chief-Inspektor Broken betrat gerade die Teestube dort drüben, Mylady.« Parker ließ sich von einem absperrenden Constable über den
Marktplatz winken, als er den Kastenlieferwagen entdeckte, der ihm nur zu bekannt vorkam. In diesen Wagen war Paul Maser gestiegen, als er ihn draußen auf dem Flugplatz diskret beobachtet hatte. Parker sah nur die linke Seite des Wagens und das Heck, ob Maser am Steuer saß, ließ sich aus seinem Blickwinkel nicht feststellen. Der Butler beschloß, diesem Kastenlieferwagen zu folgen. Maser hatte er ja aufsuchen wollen. Warum sollte der Mann nicht am Steuer seines Wagens sitzen? Der Zufall schien die Karten wieder mal günstig gemischt zu haben. Parker teilte seine Beobachtung Mylady mit, die daraufhin zufrieden nickte. »Dieses Subjekt werde ich mir kaufen«, drohte sie dann genußvoll. »Er wird seine Freude an mir haben, Mr. Parker.« »Vielleicht sollte man Mr. Maser noch etwas Ruhe gönnen«, schlug Josuah Parker vor. »Es wäre interessant zu wissen, wohin Mr. Paul Maser sich zu begeben gedenkt.« » Einverstanden. Dann treffen wir vielleicht auf seine Komplicen.« Natürlich dachte die Detektivin noch immer an die Bombardierung. Sie wußte nur zu gut, daß sie dank der Geschicklichkeit ihres Butlers noch mal mit dem Leben davongekommen war. Unter normalen Umständen wäre sie sicher von einer der Bomben zerfetzt worden. Dafür wollte sie ihre Rechnung präsentieren. »Sie sagten eben, Mr. Parker, diese Mordandrohung würde aus Kreisen
der Unterwelt stammen«, schickte sie voraus. Sie konnte sich mit Parker normal unterhalten und auf die Wechselsprechanlage verzichten, die in Parkers Wagen installiert war. Der Butler hatte die schußsichere Trennscheibe selbstverständlich versenkt, die den Fahrgastraum sonst zum Fahrersitz hin verschloß. »Dieser Ansicht bin ich nach wie vor, Mylady«, beantwortete der Butler die Frage seiner Herrin. »Wir sind aber hinter einem Spionagering her«, erinnerte Lady Agatha. »In der Tat, Mylady.« »Haben wir es nun mit einer Mischung aus Gangstern und Agenten zu tun, oder sollten wir auf zwei verschiedene Gruppen gestoßen sein, die miteinander nichts zu tun haben?« »Diese Frage, Mylady, beschäftigt auch meine bescheidenen Gedanken«, entgegnete der Butler. »Darf ich mich erkühnen, meine Theorie zu äußern?« »Unbedingt! Ich will wissen, woran ich bin.« »Ich möchte von zwei verschiedenen Gruppen ausgehen, Mylady. Spionageringe pflegen in der Regel kaum mit der organisierten Unterwelt zusammenzuarbeiten.« »Das hört sich gut an, Mr. Parker. Zwei verschiedene Gruppen, zwei verschiedene Gegner. Dieser Fall belebt mich.« »Womit sich allerdings auch die Gefahr erhöhen dürfte, Mylady.« »Papperlapapp, Mr. Parker, sie gibt diesem Doppelfall ja erst den richtigen Pfiff! Haben Sie übrigens
mitbekommen, daß wir seit einiger Zeit verfolgt werden?« »Ein reichlich schmutzig aussehender Ford, Mylady, in der Tat!« »Ob darin die gesuchten Agenten sitzen?« Agatha Simpson beobachtete die Straße durch einen zweiten Rückspiegel, der über der Kante des Trennfensters angebracht war. Parker hatte die Verfolgung hingegen über den Seitenspiegel bemerkt. Allein schon das total verdreckte Nummernschild hatte ihn mißtrauisch werden lassen. Hinzu kamen die beiden Insassen im nachfolgenden Wagen: Die Tatsache, daß die Leute Sonnenbrillen trugen, obwohl der Tag leicht verhangen war, sprach Bände. Man wollte auf keinen Fall erkannt werden. »Jetzt hat man also wieder mal die Qual der Wahl«, seufzte die Lady. »Mit wem soll ich mich nun zuerst befassen, Mr. Parker? Was ist jetzt wichtiger?« »Mylady hegen bestimmte Wünsche?« »Dieser Maser muß mit den Burschen in Verbindung stehen, die die Bomben auf mich geworfen haben«, entschied Agatha Simpson. »Beschäftigen wir uns also mit ihm. Die Agenten haben noch Zeit.« »Zumal, falls es sich um solche handelt, sie sich mit Sicherheit wieder melden werden, Mylady.« Parker war mit der Reihenfolge durchaus einverstanden. Er war nicht versessen darauf, eine Art
Zweifrontenkrieg zu führen, und traf alle Vorbereitungen, um die Verfolger erst mal außer Gefecht zu setzen. * Die beiden Spezialisten im verdreckten, grauen Ford hießen Les Lofty und Gene Stills. Es waren ausgekochte Typen der Unterwelt, die so ziemlich jeden Trick kannten. Die Insassen im hochbeinigen Wagen, die sie verfolgten, konnten sie noch nicht mal in erwartungsvolle Erregung versetzen. Eine alte Lady und ein Butler, du lieber Himmel, was brachte das schon ein! Mit so etwas wurden sie nebenbei fertig. Ja, die beiden Gangster genierten sich fast, daß man sie auf solche Opfer angesetzt hatte. So etwas wäre was für Anfänger gewesen, die sich ihre Sporen erst noch verdienen mußten... »Bringen wir's hinter uns«, sagte Stills gelangweilt zu Lofty, der den Ford steuerte. »Ich erledige das mit der Feuerspritze.« Während er noch sprach, setzte er eine Maschinenpistole zusammen und ließ das Magazin einklicken. Er gähnte und lehnte sich zurück. Insgeheim amüsierte er sich, daß die Zentrale mit Kanonen auf Spatzen schoß. Im Gegensatz zu ihm amüsierte sich Lofty plötzlich nicht mehr, obwohl er gerade noch ähnliche Empfindungen gehabt hatte. Er trat voll aufs Bremspedal und hatte seine liebe Mühe und Not, den ausbrechenden Ford abzufangen.
»Was soll denn das?« ärgerte sich Stills. »Hast du das nicht mitbekommen?« »Was denn?« Stills hing noch im Sicherheitsgurt und schaute seinen Partner verblüfft an. »Handgranaten!« Lofty knallte förmlich den Rückwärtsgang ein und raste in wilden Schlangenlinien zurück. Und jetzt sah auch Stills, was dort auf der Fahrbahn lag, beziehungsweise noch herumkollerte: Eierhandgranaten! »Drück drauf!« Seine Stimme überschlug sich fast. Er zog den Kopf ein und wartete auf die erste Detonation. Dann schielte er auf eine besonders rollfreudige Eierhandgranate, die dem Ford äußerst hartnäckig folgte und es sich in den Kopf gesetzt zu haben schien, ihn noch zu erreichen. Lofty mühte sich ab. Auch ihm war dieser hartnäckige Verfolger nicht entgangen. Er gab wirklich Vollgas, kam aus der Richtung und landete im Straßengraben. Inzwischen rollte die Eierhandgranate munter weiter, tat noch einen fast lustigen Hüpf er und sprang dann unter den schräg im Graben hängenden Ford. Lofty und Stills verwandelten sich in olympiareife Sprinter. Sie fielen förmlich aus dem Wagen und jagten einträchtig weiter über die Wiese. Dann warfen sie sich zu Boden, rollten seitlich ab und hechteten in einen Graben, der mit Wasser gefüllt war. Hoch spritzte das Wasser auf, als sie darin
landeten. Sie duckten sich und warteten auf die Detonation. Doch nichts ereignete sich. Es blieb still in Höhe des Wagens. Ein paar Lerchen tirilierten und schwebten dann neugierig näher, um sich die beiden Figuren anzusehen, die sich im Wassergraben suhlten. »Jetzt müßten die Dinger gleich hochgehen«, vermutete Stills. »Dieses verdammte Miststück«, fluchte Lofty. »Einfach Eierhandgranaten auf die Straße zu werfen.« Er nahm vorsichtig den Kopf hoch und beobachtete den Ford, der gleich in die Luft fliegen mußte. Die beiden Spezialisten aus London warteten vergebens, doch der eirunde Sprengkörper unter dem Ford rührte sich nicht. »Vielleicht hat das Ding 'nen raffinierten Verzögerungssatz«, sagte Lofty. »Vielleicht war das Ding harmlos«, meinte Stills, dem inzwischen ein böser Verdacht kam. »Du denkst an 'ne Attrappe?« fragte Lofty verblüfft. »Warum eigentlich nicht?« »Dann sieh mal nach«, forderte Les Lofty seinen Partner Gene Stills auf. »Ich bin nicht besonders neugierig. Ich fühle mich hier ganz wohl.« Dies entsprach zwar nicht den Tatsachen, denn er war bis auf die Haut durchnäßt. Doch er wollte um keinen Preis der Welt aufstehen und sich vergewissern, ob die Eierhandgranate nun echt war oder nicht. An Luftreisen ohne Flugzeug war er nicht interessiert.
* »Ist das dieser Maser?« erkundigte sich Agatha Simpson. Der kleine Kastenlieferwagen hielt in der Nähe des Hafens an und entließ einen Mann, den Parker allerdings noch nicht gesehen hatte. Dieser Mann war mittelgroß, rundlich und trug eine Lederjacke. Er schien keine Ahnung zu haben, daß er die ganze Zeit über verfolgt worden war. Er ging auf ein altes Bürohaus zu, an das sich Schuppen und Lagerhallen anschlössen. »Ich möchte bekennen, Mylady, daß ich den falschen Mann verfolgt habe«, entschuldigte sich Josuah Parker. »Der Herr dort ist auf keinen Fall Mr. Paul Maser.« »Das macht doch nichts.« Lady Agatha war nicht zu verblüffen. »Aber er muß mit ihm in Verbindung stehen, sonst hätte er ja nicht Masers Wagen benutzt. Laden wir ihn zu uns ein?« »Wenn Mylady gestatten, würde ich ihm gern folgen«, antwortete der Butler. »Mylady könnten inzwischen den Lieferwagen beobachten und ihm folgen, falls er fortbewegt werden sollte.« »Das klingt nicht schlecht.« Sie ging ihm auf den Leim. »Nehmen Sie sich nur Zeit, Mr. Parker.« Der Butler stieg aus dem Wagen, legte sich den bleigefüllten Bambusgriff seines Universalregenschirms über den angewinkelten linken Unterarm, betrat das alte Bürohaus und fand sich in einer Empfangshalle wieder, auf die einige lange Korridore mündeten. Eine breite Freitreppe führte ins
Obergeschoß, einen Lift gab es nicht. Parker hörte die Schritte des Lieferwagenfahrers auf der Treppe, wartete einen Moment und stieg dann ebenfalls nach oben. Als er den ersten Stock erreicht hatte, verschwand der Mann gerade in einem Büro. Der Butler schritt würdevoll und gemessen an den vielen Türen entlang und studierte die Firmenschilder. Sie machten einen völlig unverdächtigen Eindruck und betrafen alle gängigen Branchen, wie sie in bedeutenden Hafenstädten anzutreffen sind. An der Tür, hinter der der Mann verschwunden war, gab es selbstverständlich ebenfalls ein Firmenschild. Demzufolge befand sich hier das Büro des Schiffsausrüsters Teddy Tralley, wie Parker las. Diskret, wie es seiner Art entsprach, brachte Parker sein Ohr in die Nähe der Tür. Er hörte das Klappern von Schreibmaschinen, Stimmen, das Läuten eines Telefons, Lachen und das Rücken von Stühlen. Normaler konnte es in keinem Büro zugehen. Parker klopfte an und trat ein. Nein, normaler und unverdächtiger konnte der Bürobetrieb wirklich nicht sein. Es handelte sich um einen großen, fast quadratischen Raum, in dem ein Block stand, der aus drei Schreibtischen gebildet wurde. Dazu gab es noch kleine Schreibmaschinentische, Aktenablagen und Schränke. Im
Raum befanden sich zwei ältere Büroangestellte, ein schnauzbärtiger Mann, vielleicht fünfzig, und zwei Stenotypistinnen. Es herrschte drangvolle Enge. Vom Fahrer des kleinen Lieferwagens war jedoch nichts zu sehen. Wahrscheinlich war er hinüber in das angrenzende Büro gewechselt, auf dem die Aufschrift »Privat« stand. Der Schnauzbärtige kümmerte sich sofort um Parker, kam um den Block aus Schreibtischen herum und fragte nach Parkers Wünschen. Er maß den Butler mit einem schnellen und prüfenden Blick, als wolle er die Finanzkraft des vermeintlichen Kunden abschätzen. »Mein Name ist Parker«, stellte der Butler sich vor. »Josuah Parker, um genau zu sein. Ich habe die Ehre, der Butler Lady Simpsons zu sein. Mir obliegt die Ausrüstung von Myladys Jacht, und in diesem Zusammenhang, Sir, wurde mir Ihre Firma besonders empfohlen.« »Das freut mich zu hören«, lautete die Antwort des Schnauzbärtigen. »Mylady hegt, was die Ausrüstung angeht, besondere, ich möchte fast sagen, sehr ungewöhnliche Wünsche.« »Wir werden sie erfüllen können«, versprach der Schnauzbart und verbeugte sich verbindlich-beflissen. »Mylady ist an einem Fliegerabwehrgeschütz interessiert«, redete Parker wie selbstverständlich weiter. »Mylady wurde vor kurzer Zeit von einem Tiefdecker belästigt, der sich als ausgesprochen störend erwies.«
»Ein Fliegerabwehrgeschütz?« Dem Schnauzbart fiel im wahrsten Sinn des Wortes der Unterkiefer herunter. »Es kann durchaus eine Art Vierlingsflak sein«, sagte Parker. Während er noch redete, wurde es im Büro still. »Übrigens, der Kunde, der vor mir das Büro betreten hat, dürfte mit einiger Sicherheit Scherereien mit der Polizei haben. Sein kleiner Lieferwagen steht im Parkverbot.« * »Seid ihr denn überhaupt noch zu retten?« wütete Teddy Tralley, während er sich vor seinen drei Helden aufbaute. »Da schickt man erstklassige Spezialisten los und glaubt, in 'ner knappen Stunde sei alles über die Bühne gegangen. Und was ist? Pannen am laufenden Band!« »Paul Maser ist immerhin erledigt«, sagte Hale Minster hastig. »Ich habe ihn in der Teestube erledigt. Der sagt kein Wort mehr.« »Es geht um Lady Simpson und ihren Butler. Habt ihr das denn immer noch nicht begriffen?« Teddy Tralley war ein kahlköpfiger Mittvierziger, mittelgroß und bullig aussehend. »Warum die nur mit unfairen Tricks arbeiten«, beschwerte sich Les Lofty und dachte an den Wassergraben. »Sie wären auch voll in die Bremsen gestiegen«, behauptete Gene Stills. Er dachte an die Eierhandgranaten und an den Ford,
der noch immer im Straßengraben hing. »Spielzeuggranaten«, schnaufte Teddy Tralley verächtlich. »Aber das haben wir erst hinterher gemerkt«, verteidigte sich Lofty verärgert. »So ein Zeug müßte von Staats wegen verboten werden«, schlug Stills vor. »Kriegsspielzeug für Kinder! Wo führt denn das hin?« »Und du Trottel läßt dich bis in die Firma verfolgen«, regte Teddy Tralley sich weiter auf. Er widmete sich jetzt dem dritten Spezialisten. »Ich habe auf das Taxi überhaupt nicht weiter geachtet«, sagte Hale Minster. »Der Boß wird schäumen«, prophezeite Teddy Tralley. »Zuerst die Maschine, die abgeschossen wurde, und jetzt diese Pleite!« »Die Panne läßt sich ja ausbügeln«, meinte Les Lofty vorsichtig. »Jeder macht mal einen Fehler«, ergänzte Gene Stills. »Keiner ist perfekt«, fügte Hale Minster noch hinzu. »Eine weitere Panne können wir uns nicht leisten«, stellte dann Teddy Tralley fest. »Ich erwarte jede Minute die nächste Sendung, die nach London muß. Da stehen Millionen auf dem Spiel!« »Eine nächste Panne wird's nicht geben«, versprach Les Lofty. »Der Butler legt uns nicht noch mal rein.« Gene Stills war sich seiner Sache sicher. »Diesmal zahlt er drauf! Und auch diese alte Fregatte!» Hale Minster
war fest entschlossen, sein Bestes zu geben. »Also schön, laßt euch was einfallen.« Teddy Tralley hatte sich etwas beruhigt. »Löscht das Duo aus! Butler Parker und die alte Lady dürfen uns nicht mehr ins Gehege kommen, Minster, bist du sicher, daß Maser wirklich erledigt ist?« »Vollkommen sicher, ganz bestimmt.« Hale Minster, der Mann aus dem kleinen Lieferwagen, nickte nachdrücklich. »Ich habe ihn hinter der Teestube erwischt, als er sich absetzen wollte. Bevor ich losfuhr, war die Mordkommission da.« »Die haben wir auch gesehen«, sagte Lofty. »Klar und deutlich.« Gene Stills ließ keine Zweifel aufkommen.« Als wir losbrausten, wurde er in 'nem Zinksarg 'rausgetragen.« »Wenigstens etwas.« Teddy Tralley nickte. »Am besten, ihr nehmt die beiden Typen in die Zange. Ihr könnt sie entweder draußen auf dem Flugplatz erwischen, oder aber im >Golden Horse<. Und sorgt gefälligst dafür, daß ihre Leichen anschließend verschwinden! Die Nordsee ist ja schließlich nahe genug. Mensch, wozu seid ihr Spezialisten?« Teddy Tralley gähnte und setzte sich. Sein Gähnen wirkte ansteckend. Die drei Spezialisten ließen ebenfalls ihre Kiefergelenke knacken und spürten die Müdigkeit. Der Tag war lang gewesen und anstrengend. Die vier Gangster gähnten sich gegenseitig an und hatten kein Interesse mehr, ihr Problem zu diskutieren.
»Schwül hier«, sagte Lofty. »Das Wetter«, stellte Stills intelligenterweise fest. »Richtig drückend«, monierte Minster. Teddy Tralley wollte auch noch etwas sagen, doch er war einfach zu matt und müde. Er schloß die Augen und fiel in die Arme eines gewissen Morpheus. Es dauerte nur noch knapp zwanzig Sekunden, bis alle vier Gangster fest schliefen. Sie entwickelten dabei erstaunliche Fähigkeiten. Sie schnarchten im Quartett und vierstimmig. * »Wenn Mylady sich überzeugen wollen.« Parker hatte die Tür geöffnet, trat zur Seite und ließ seiner Herrin den Vortritt. Dabei versenkte er den kleinen Stahlzylinder in den Falten seines Universal-Regenschirms. In diesem Zylinder hatte sich eben noch ein äußerst wirksames Schlafgaskonzentrat befunden. Es war durch einen dünnen Schlauch und auf dem Umweg über das Schlüsselloch ins Zimmer geblasen worden, in dem die vier Gangster um die Wette schnarchten. »Kann man sich da 'reingetrauen?« erkundigte sich Agatha Simpson und hielt den Atem an. »Man sollte vielleicht nur einige Sekunden bleiben«, sagte Parker. »Was machen wir jetzt mit diesen Subjekten?« Lady Simpson nahm die vier Gangster noch mal in Augenschein und ging dann mit
Parker zurück in den Korridor. Der Butler schloß wieder die Tür, um den Schlaf der Männer weiter zu fördern. Er und Lady Simpson befanden sich in einem Anbau des eigentlichen Bürohauses. Parker hatte diskret herausgefunden, wohin der Fahrer des kleinen Lieferwagens und ein zweiter Mann nach seinem Bürobesuch gegangen waren. Dieser Anbau war von der Schiffsausrüsterfirma gemietet worden, wie sich gezeigt hatte. Und in einem der Erdgeschoßräume hatte die Besprechung der drei Spezialisten mit Teddy Tralley stattgefunden. »Es handelt sich um vier Gangster, Mylady«, faßte Parker zusammen.« Man sollte sie meiner bescheidenen Ansicht nach nicht weiter frei herumlaufen lassen.« »Natürlich nicht. Man sollte ihnen sogar einen Denkzettel verpassen, Mr. Parker. Einen sehr gründlichen sogar.« »Mylady haben bestimmte Vorstellungen?« »Bekommen wir sie ungesehen auf die Straße?« »Das, Mylady, wird sich nur schwer einrichten lassen. Die örtlichen und räumlichen Verhältnisse bieten einige Schwierigkeiten.« »Was schlagen Sie also vor?« »Ob Chief-Inspektor Broken nicht dankbar sein wird, falls er das Quartett abholen kann, Mylady?« »Und mit welcher Begründung soll er sie festnehmen?« »Einer der vier Gangster hat Mr. Paul Maser niedergeschossen,
Mylady. Ein entsprechender Hinweis für Chief-Inspektor Broken dürfte sich da als sehr nützlich erweisen. Die vier Gangster tragen mit Sicherheit ihre diversen Schußwaffen bei sich.« »Also schön.« Die ältere Dame war einverstanden. »Aber vorher sollten wir uns noch etwas in den anderen Räumen umsehen. Womit rüsten sie welche Schiffe aus? Wird das Tarnunternehmen hier ordnungsgemäß geführt? Steckt mehr dahinter?« Parker machte sich umgehend an die Durchsuchung der übrigen Räume im Erdgeschoß. Alles vermittelte einen völlig unverdächtigen Eindruck. Ihm fiel allerdings auf, daß der Warenbestand der Firma Teddy Tralley recht bescheiden war. Ein normaler Schiffsausrüster hätte mehr zu bieten gehabt. In einem Nebenraum, der voll altem Gerümpel war, entdeckte Butler Parker dann rechteckige Blechkanister, die sehr ramponiert und verrostet aussahen. Sie hatten Schraubverschlüsse, die eindeutig mit Teer und Wachs zusätzlich noch versiegelt gewesen sein mußten. »Wozu diente denn das?« Agatha Simpson stieß mit ihrem derben Schuh gegen einen der Kanister. »Sie müssen im Salzwasser gelegen haben, Mylady. Die Rostspuren weisen das eindeutig nach.« »Sind das Bojen?« »Mit Sicherheit nicht, Mylady.« Parker deutete mit der Spitze seines Schirms auf die Schraubverschlüsse. »Die Kanister müssen einen Inhalt
gehabt haben, der wasserlöslich war, sonst hätte man die Öffnungen nicht derart gesichert.« »Und was ist das hier?« Agatha Simpson deutete auf einen kleinen Stapel langer, dünner Stäbe, die wie starke Antennen aussahen. Parker untersuchte diese »Antennen«, die ohne Ausnahme an ihrem dicken Ende Spuren von Eisensägen aufweisen. Man schien sie von irgendeiner Halterung abgesägt zu haben. Er erinnerte sich an eine wichtige und winzige Kleinigkeit, die er zwar gesehen, die er aber nicht näher untersucht und gewürdigt hatte: An den zerbeulten Kanistern hatte er Schweiß- oder Lötspuren ausgemacht! Wenig später wußte er mehr. »Diese Antennen, Mylady, um bei dieser Arbeitsbezeichnung zu bleiben, befanden sich mit größter Wahrscheinlichkeit auf den Kanistern.« Er nahm eine der »Antennen« in die schwarzbehandschuhte Hand und fügte deren Unterteil auf die Schweißspur am Kanister. »Das paßt zusammen.« Agatha Simpson nickte. »Diese Dinger sind nachträglich abgesägt worden.« »Kanister, die im Salzwasser treiben.« Parker entwickelte eine Theorie. »Kanister, die eine Art Signalantennen tragen.« »Geheimsender«, vermutete die Detektivin eifrig. »Eine Erklärung, die im Bereich der Möglichkeiten hegt«, erwiderte der Butler höflich. »Man sollte sich dann allerdings fragen, warum man mit solch einer erklecklichen Anzahl von Geheimsendern arbeitet, die
man zudem noch von Land aus betreiben könnte.« »Schon gut, schon gut«, grollte Lady Agatha, die durchaus verstand, daß sie völlig auf dem Holzweg war. »Also keine Geheimsender. Wollen Sie nicht endlich mal in solch einen Kanister sehen?« »Dies, Mylady, war gerade meine Absicht.« Parker beschäftigte sich mit einem der Behälter, während Lady Simpson sich weiter in der Rumpelkammer umschaute. Der Butler holte einen Kugelschreiber aus einer der vielen Westentaschen und schaltete die darin befindliche, leistungsstarke Taschenlampe ein. Der scharf gebündelte Lichtstrahl suchte das Innere des Kanisters sorgfältig aus. Parker sah, daß sich im Kanister Plastikbahnen befanden, die den ehemaligen Inhalt wahrscheinlich noch zusätzlich gegen das aggressive Seewasser hatten schützen sollen. Er holte diese Plastikbahnen hervor, die sich als grobe, zusammengeschweißte, sackähnliche Beutel entpuppten. »Sehen Sie doch, Mr. Parker!« Lady Simpson hatte ebenfalls eine Entdeckung gemacht. Sie präsentierte ihrem Butler seltsame Schlaufen aus starkem Stahldraht. Sie zog eine dieser zusammengedrückten Schlaufen auseinander und formte einen Kreis. Der Durchmesser solch einer Schlaufe oder eines Kreises betrug fast zwei Meter. »Haben Sie immer noch nichts gemerkt?« fragte sie triumphierend. »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit ratlos.«
»Diese Drahtschlingen müssen oben an den Antennen befestigt gewesen sein.« »Dies Mylady, werde ich sofort nachprüfen. « Parker nahm die Drahtschlaufe und manipulierte mit ihr an der Spitze eines Antennenstabes. Dann nickte er. »Mylady haben die richtigen Schlüsse gezogen«, sagte er. »Diese Drahtschlaufen befanden sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an den Antennenspitzen.« »Man sieht ja deutlich die Sägespuren. Auch sie sind von den Antennen abgetrennt worden. Mr. Parker. Ich hoffe, Sie liefern mir dafür sofort eine Erklärung.« Butler Parker schickte sich an, diese Erklärung zu geben, doch er kam nicht mehr dazu. Es war die Mündung einer Maschinenpistole, die ihn daran hinderte. Sie war auf ihn und Agatha Simpson gerichtet, und sie wurde von einem schnauzbärtigen Mann gehalten, der einen finsteren und entschlossenen Eindruck machte. * Die Blondine mit den aufregenden Kurven hatte eine Art Freistunde vor dem abendlichen Ansturm der Flugschüler im Restaurant und in der Bar, für die sie zuständig war. Judy Gander, inzwischen umgezogen, trug engsitzende Jeans, die ihre langen Beine nur noch zusätzlich zur Geltung brachten. Ein weit geschnittener Pullover
vervollständigte das Bild dieser jungen, attraktiven Frau. Sie schlenderte an der Reihe der Sportmaschinen vorüber, die rechts von den Hangars abgestellt waren. Es handelte sich in der Mehrzahl um amerikanische Typen, teils ein-, teils zweimotorig. Judy Gander interessierte sich aber besonders für die alten, zerbrechlich aussehenden »Kisten«, die ganz eindeutig aus der Zeit des ersten Weltkriegs stammten. Sie sah Doppeldecker, Dreidecker und Tiefdecker, die alle wohl nur aus Holz und Leinwand zu bestehen schienen. Sie trugen noch die Kokarden der jeweiligen, seinerzeit kriegsführenden Länder, befanden sich aber in einem erstklassigen Zustand. Man schien sie hebevoll zu pflegen. Diese leichten Vögel standen selbstverständlich in einem großen Hangar, der sie vor Wind und Wetter schützte. Judy Gander schlenderte in die große Halle, in der bereits die Neonlichter eingeschaltet waren. Sie wunderte sich, daß die klobigen Maschinengewehre noch montiert waren. Da waren Systeme, die durch den Propellerkreis schössen, da waren Maschinenwaffen, die von einem mitfliegenden Schützen bedient werden mußten. »Interessieren Sie sich für die Fliegerei?« hörte sie plötzlich eine Stimme. Judy fuhr herum und tat überrascht. Natürlich hatte sie die leisen Schritte gehört, doch das brauchte Higgins nicht zu wissen. Um ihn handelte es sich nämlich. »Die sehen ja abenteuerlich aus«, meinte Judy Gander. »Du lieber
Himmel, haben Sie mich aber erschreckt.« »War keine Absicht. Schöne Kisten, nicht wahr?« »Ist das hier eine Art Clubmuseum?« »Ja und nein.« Cheftrainer Higgins lächelte. »Ob Sie's glauben oder nicht, Miß Gander, diese Kisten fliegen noch.« »Sie kennen mich?« »Sie sind bereits das Tagesgespräch«, entgegnete er witzelnd. »Sie werden nachher an der Bar Schwerstarbeit leisten müssen.« »Nichts dagegen einzuwenden. Ich bekomme Umsatzprozente.« Sie deutete auf die Maschinen. »Die fliegen wirklich noch?« »Worauf Sie sich verlassen können, Miß Gander. Die gehören zum >Veteran-club<, den wir hier aufgezogen haben. Wir veranstalten damit von Zeit zu Zeit so 'ne Art Luftzirkus.« »Was muß ich mir darunter vorstellen?« Sie sah ihn erwartungsvoll an. »Wir führen Luftkämpfe vor, wie sie damals üblich waren.« »Und das interessiert die Leute?« Sie schüttelte erstaunt den Kopf. »An solchen Showtagen kommen weit über zwanzigtausend Zuschauer«, erzählte Higgins. »Nostalgie, verstehen Sie? Die ganze Umwelt ist zu technisiert und zu stromlinienförmig. Da sieht man sich gern etwas Romantisches an.« »Aber die Waffen dort sind doch nicht mehr einsatzfähig, oder?« »Das fehlte noch.« Cheftrainer Higgins lachte. »Wir schießen uns ja
nicht gegenseitig ab. Wir kurven nur umeinander herum und demonstrieren, wie prächtig diese alten Mühlen noch sind.« »Werden diese Maschinen nur an den Showtagen geflogen?« »Nein, nein, Miß Gander. Die werden immer wieder bewegt, damit sie nicht einrosten. Wenn Sie Mut und Lust haben, werde ich Sie mal mitnehmen. Die nächste Show findet übrigens Sonntag statt.« » Sie gehören dem Veteranenclub an? « »Ich bin der Vorsitzende. Aber damit keine Mißverständnisse aufkommen, als Veteran fühle ich mich nicht. Ich denke, daß ich auch keiner bin, wollen wir wetten?« Sie antwortete nicht, sah ihn nur kokett an, lächelte rätselhaft und ging dann nach draußen, wobei sie etwas aufreizend ihre Hüften schwenkte. * »Mylady sehen mich untröstlich«, sagte Josuah Parker. »Was kann ich mir dafür schon kaufen?« gab sie grollend zurück. »Wie konnten Sie sich nur derart ungeschickt überrumpeln lassen, Mr. Parker?« »Ich stehe vor einem Rätsel, Mylady.« Butler Parker und Lady Simpson bewahrten Würde, obwohl sie sehr genau wußten, daß ihr Tod bereits eine beschlossene Sache war. Ja, sie konnten von Glück sagen, daß der Schnauzbärtige sie nicht gleich niedergeschossen hatte. Wahrscheinlich wollte er aber nur
auf die Genehmigung des Firmenchefs Tralleys warten, der zusammen mit seinen drei Spezialisten noch immer fest schlief. »Wie lange hocken wir nun schon in dieser Rumpelkammer?« fragte Agatha Simpson ungeduldig. »Seit knapp dreißig Minuten, Mylady«, lautete Parkers Antwort. »Wollen Sie nicht endlich die Tür öffnen?« Sie sah ihn leicht gereizt an. »Haben Sie Ihre Patentkugelschreiber vergessen?« »Darf ich Mylady darauf hinweisen, daß die Stahltür von außen zusätzlich noch zweimal verriegelt wurde?« »Und da versagen Ihre Kugelschreiber schon?« Lady Agatha sah Butler Parker fast verächtlich an. »Mit der Thermitfüllung eines der Kugelschreiber ließe sich ein selbst komplizierteres Schloß öffnen, Mylady«, schickte Parker voraus, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Gegen Stahlriegel jedoch ist meine bescheidene Wenigkeit machtlos.« »Das klingt nicht sehr ermutigend, Mr. Parker.« »Man wird warten müssen, Mylady, bis die Gangster wieder erscheinen. Dann läßt sich unter Umständen einiges erreichen.« »Also warten wir.« Sie ließ sich auf einer alten Holzkiste nieder und starrte grimmig die Tür an. Parker und Lady Agatha waren von dem Schnauzbärtigen in einen anderen Raum gebracht worden, der tatsächlich nur altes Gerumpel enthielt, keineswegs aber rätselvolle
Kanister, durchsägte Antennen und Drahtschlaufen. Eine Gegenwehr während der Umquartierung war nicht ratsam gewesen. Die Maschinenpistole in der Hand des Schnauzbarts hatte alle Aktivitäten von vornherein im Keim erstickt. Ein Mann wie Josuah Parker wußte das Risiko zu kalkulieren. An Selbstmord war er nicht interessiert. »In wessen Hand befinden wir uns nun eigentlich? « ließ die Detektivin sich wieder vernehmen. »Haben uns nun diese Spione erwischt? Oder werden wir nur von ordinären Gangstern festgehalten?« »Ich möchte davon ausgehen, Mylady, daß man sich in der Hand ordinärer Gangster befindet«, erwiderte Parker. »Und wieso sind Sie sich Ihrer Sache so sicher?« »Darf ich auf Mr. Paul Maser verweisen, Mylady?« »Mit diesem Subjekt fing der ganze Ärger an.« Lady Agatha erinnerte sich und nickte dementsprechend. »Da war dieser Luftangriff auf mich, diese Bomben und dann diese Flegel, die wir in den Straßengraben geschickt haben.« »Aus dieser Kette der Ereignisse ziehe ich meinen bescheidenen Schluß«, bestätigte der Butler. »Spione und Agenten fremder Mächte pflegen wesentlich diskreter zu arbeiten.« »Ein Treppenwitz«, knurrte Lady Agatha. »Da fahren wir nach Ipswich, um uns mit einem feindlichen Agentenring zu befassen, und was geschieht?« »Mylady und meine bescheidene Wenigkeit geraten in die Kreise
einer Gangsterbande«, führte der Butler weiter aus. »Treffender, Mylady, könnte man die Dinge nicht umreißen.« »Und in Sachen Spionage sind wir keinen Schritt vorangekommen.« Agatha Simpson war verärgert. »Darf ich Mylady darauf verweisen, daß Mylady sich ja erst seit einem Tag in Ipswich befinden«, sagte der Butler gemessen. »Wunder sollte man in Sachen Ermittlung gegen gezielt arbeitende Agenten niemals erwarten.« »Vielen Dank für Ihre tröstenden Worte«, erwiderte Agatha Simpson ironisch. Dann geriet sie in einen Zustand leichten Zorns und warf ein einzeln herumliegendes Stuhlbein gegen die Tür. Und genau in diesem Moment ereignete sich etwas Erstaunliches: Die Tür bewegte sich! * »Kneifen Sie mich mal«, forderte Lady Agatha ihren Butler auf. Sie war aufgesprungen und starrte entgeistert zur Tür. »Bestehen Mylady auf diesem ungewöhnlichen Wunsch?« erkundigte sich Parker gemessen. Auch er schaute sich die Tür an, ging aber bereits langsam auf sie zu. »Nehmen Sie doch nicht immer alles so wörtlich«, fauchte die resolute Dame, überholte ihn und lehnte sich gegen die an sich recht solide Tür. Sie schwang gut geölt auf. »Begreifen Sie das?« Agatha Simpson blieb stehen und sah die
Tür dann wieder mißtrauisch an. »Das kann doch nur eine Falle sein!« »Wenn Mylady gestatten, werde ich den Vortritt übernehmen.« Parker wartete die gewünschte Erlaubnis jedoch nicht ab, sondern stieß mit seinem UniversalRegenschirm die Tür noch weiter auf. Sie öffnete sich vollends, aber nichts passierte". »Das finde ich sehr albern.« Die Lady war in Rage geraten, fühlte sich auf den Arm genommen und marschierte an Parker vorbei nach draußen. Sie schaute sich in dem engen Korridor um und ging dann auf die steile Kellertreppe zu. Parker überholte nun seinerseits Mylady, um sie vor eventuellen Angriffen schützen zu können. Er stieg über die Stufen hinauf ins Erdgeschoß und orientierte sich kurz. Er wartete, bis Mylady ihm nachgekommen war, dann schritten sie einträchtig auf die Kammer zu, in der sie die bewußten Blechkanister gefunden hatten. Die Tür war nur angelehnt. Parker benutzte erneut seinen altväterlich gebundenen Regenschirm, um sie weit zu öffnen. »Was soll denn das bedeuten? « Agatha Simpson blieb erstaunt stehen. Die Kammer war leer. Nichts deutete drauf -hin, daß die rätselhaften Gegenstände sich hier befunden hatten. »Ist das auch wirklich der Raum, den wir durchsucht haben?« Agatha Simpson sah sich genauer um. »Das ist der Raum, Mylady«, bestätigte der Butler. »Man scheint Mylady düpieren zu wollen.« »Wie soll ich denn das verstehen?«
»Weder Mylady noch meine bescheidene Wenigkeit werden beweisen können, daß sich Gegenstände der beobachteten Art hier jemals befanden.« »Aha, daher pfeift der Wind!« Mylady hatte verstanden. »Wir haben auch niemals vier Gangster in Tiefschlaf versetzt, nicht wahr?« »Mylady und meine bescheidene Person wurden auch niemals unter Druck in den Keller befördert.« »Und oben im Büro weiß man überhaupt nicht, wer wir sind?« »Dies wird der Fall sein, Mylady.« »Warum hat man uns nicht umgebracht?« wundert sich Mylady. »Das heißt, warum hat man sich nicht getraut, es überhaupt mal zu versuchen?« »Die Leitung der Bande wird sich die Sache anders überlegt haben«, fand Parker. »Zwei Morde bedeuten zwei Leichen. Und zwei Leichen bedeuten auch für Gangster immer ein Problem. Es erhebt sich dann die Frage, wohin mit den entseelten Körpern.« »Gehen wir noch mal nach oben in das Büro dieses Lümmels Tralley, Mr. Parker?« »Ich werde vorausgehen, Mylady.« Parkers Vermutung sollte sich bald bestätigen. Als er und Agatha Simpson das Büro des Schiffsausrüsters betraten, wurden sie von dem Schnauzbärtigen begrüßt, der sie nie in seinem Leben gesehen zu haben schien. Er hatte sich gerade nach Myladys Wünschen erkundigt, als sich die Tür des Privatbüros öffnete und Teddy Tralley auftauchte. Glatt, höflich und verbindlich erkundigte
auch er sich nach den speziellen Wünschen seiner Besucher. Die beiden älteren Büroangestellten und auch die Stenotypistinnen waren übrigens nicht zu sehen. Wahrscheinlich hatte man sie inzwischen nach Hause geschickt. Zudem war die Bürozeit längst überschritten. »Mylady hat in der Tat spezielle Wünsche«, beantwortete Butler Parker Teddy Tralleys Frage. »Mylady sucht Blechkanister, die möglichst seewasserfest sind.« »Dazu Antennen, die etwa sechs bis acht Meter lang sein dürfen«, redete die Detektivin weiter. »Nicht zu vergessen Drahtschlaufen, die man an den gewünschten Stäben unter Umständen befestigen kann«, schloß Parker. »Und wozu, wenn man fragen darf, brauchen Sie das?« erkundigte sich Teddy Tralley, ohne mit der Wimper zu zucken. Ja, er schien sich sogar ein wenig zu amüsieren. Immerhin hatte er Lady Simpson und Butler Parker leerlaufen lassen. »Mylady ist sich noch nicht klar darüber, wozu diese Kombination taugt«, meinte Parker. »Das spielt im Moment auch keine Rolle«, fügte die ältere Dame grimmig hinzu. »Sie können sich darauf verlassen, daß ich hinter diesen Verwendungszweck noch komme.« »Dann informieren Sie uns doch bitte«, stichelte Teddy Tralley, bevor Lady Agatha und Butler Parker das Büro des Schiffsausrüsters verließen. *
Judy Gander hatte anstrengende Stunden hinter sich. Die Arbeit am Bartresen hatte sie kaum eine Minute zur Ruhe kommen lassen. Sie war zur Attraktion des Restaurants und der angrenzenden Bar geworden. Die Mitglieder und Flugschüler hatten erstaunliche Umsätze gemacht. Judy Gander rechnete im Augenblick mit Mel Farrow ab, dem Manager der Lokalität. »Sie sind ein Treffer, Judy«, meinte er vertraulich. »Ich glaube, daß wir uns gut verstehen werden.« »Es waren angenehme Gäste«, erwiderte Judy Gander. »Und sie gehören bestimmt nicht alle zur Flugschule, oder?« »Natürlich nicht, Judy.« Er schüttelte den Kopf. »Viele Gäste kommen aus Ipswich und den Orten der näheren Umgebung. Man schätzt die Atmosphäre hier bei uns.« »Und heute wahrscheinlich diesen Absturz der Maschine, oder?« »Das war das Thema des Tages«, gab Mel Farrow zurück. »Weiß man inzwischen, woher die Maschine stammte?« »Keine Ahnung! Die Polizei ermittelt noch. Eines steht fest, hier bei uns auf dem Flugplatz war sie nicht stationiert.« »Ich hörte so beiläufig, daß sie wahrscheinlich aus Belgien oder Frankreich stammt, Mr. Farrow.« »Sie sollten Mel zu mir sagen«, bat er erst mal. Der große und schlanke Mann gab sich vertraulich und charmant. »Ja, das mit Belgien oder
Frankreich habe ich ebenfalls gehört.« »Und so was kann ohne weiteres quer über den Kanal?« wunderte sich Judy Gander. »Natürlich, das ist doch keine Entfernung. « »Aber haben wir denn keine Wachen am Kanal? « Judy Gander nahm eine von Mel Farrow angebotene Zigarette. »Sie meinen sicher unsere Flugüberwachung und so?« Es tat Farrow wohl, den Überlegenen und Informierten spielen zu können. »So nennt man das wohl.« Judy nickte bestätigend. »Radar soll doch alles erfassen, habe ich irgendwo mal gelesen.« »Wenn die Maschinen tief genug fliegen, bleiben sie auf dem Radarschirm unsichtbar«, erklärte Farrow. »Zudem herrscht gerade über dem Kanal ein ziemlich lebhafter Betrieb. Da kann sich leicht eine Maschine zwischenmogeln.« »Und diese Maschine soll auf einen Wagen geschossen haben? Stimmt das eigentlich?« »Eine verrückte Geschichte.« Mel Farrow rückte. »Was da genau gelaufen ist, weiß man noch nicht.« Judy Gander schien sich für dieses Thema nicht weiter zu interessieren. Sie hatte nichts dagegen, sich von Farrow zu einem letzten Drink für diesen Tag einladen zu lassen. Nach der Abrechnung verabschiedete sie sich von ihm und ging über eine Hintertreppe ins Obergeschoß des Restaurants, wo sich ihr kleines Zimmer befand. Schon nach einer Viertelstunde lag sie auf ihrem Bett und lauschte den Geräuschen im
Haus. Ihre eben noch sichtbare Müdigkeit schien restlos verflogen zu sein. Sie machte einen hellwachen Eindruck. Als sie den Anlasser eines Wagens hörte, stand sie auf und eilte ans Fenster. Der Wagen von Mel Farrow verließ gerade seinen reservierten Stellplatz hinter dem Büro und rollte langsam hinüber zu den ehemaligen Verwaltungsgebäuden, wo Farrow seine Wohnung hatte. Nachdem sie noch etwa zehn Minuten gewartet hatte, verließ Judy Gander ihr Zimmer. Es geschah auf eine fast schon profihafte Weise. Sie verursachte dabei so gut wie kein Geräusch. Sie stahl sich über die Treppe nach unten und verließ die zweistöckige Steinbaracke, in der Küchenbetrieb, Restaurant und Bar untergebracht waren. Dann verschwand sie in der Dunkelheit und schnürte wie ein mißtrauisches und vorsichtiges Wild hinüber zu den Hangars. Sie schien ihr Herz für Flugzeuge entdeckt zu haben. * »Mylady sollten sich vielleicht doch für einen Fallschirm entscheiden«, schlug Josuah Parker gemessen vor. »Einverstanden«, antwortete sie erstaunlicherweise, ohne ihrem Butler zu widersprechen. »Für einen Fallschirm, Mylady, den zu besorgen ich mir die Freiheit nahm.« »Sie glauben ...?« Die Detektivin sprach nicht aus, was sie dachte.
»Ich würde eher von einer gewissen Vermutung ausgehen, Mylady. Der höchste Grad der Sicherheit würde allerdings darin bestehen, auf die Schulungsstunde völlig zu verzichten.« »Ausgeschlossen. Ich bin nicht ängstlich.« Sie schüttelte schon wieder energisch den Kopf. Agatha Simpson hatte sich bereits im »Golden Horse« auf ihre erste offizielle Flugstunde vorbereitet und trug den Overall, der ihre junonischen Formen ein wenig extrem zusammenschnürte. Parker hatte Mylady in seinem hochbeinigen Monstrum hinaus zu den Hangars gefahren, wo die Maschinen der Flugschule standen. Überall herrschte geschäftiges Treiben. Trainer Higgins hielt eine Art Prüfung mit seinen Fluglehrern ab. Heute sollte ein volles Programm geflogen werden. Die Schule verfügte außer Higgins noch über drei weitere Fluglehrer. »Wird Cheftrainer Higgins Mylady einweisen?« fragte Parker. Bevor Agatha Simpson antworten konnte, erschien einer dieser Fluglehrer und stellte sich als Walt Baker vor. Er war etwa vierzig, ein gemütlich und vertrauensvoll aussehender Mann. Er reichte Mylady einen verpackten Fallschirm. »Sicher ist sicher«, meinte er. »Zudem ist es Vorschrift, sich solch ein Ding anzulegen, Mylady.« »Mylady wird ihn doch hoffentlich nicht benötigen«, sorgte sich Butler Parker. »Aber nein.« Walt Baker lächelte die ältere Dame beruhigend an.« Wir fliegen 'ne völlig sanfte Kiste, die
bombensicher ist. Ich selbst habe sie noch mal durchgecheckt. Ich habe nämlich auch keine Lust, oben auszusteigen.« »Darf ich Sie um ein privates Wort bitten, Sir?« Josuah Parker lüftete in Richtung Walt Baker seine schwarze Melone und sorgte dafür, daß der Fluglehrer abgelenkt wurde. Agatha Simpson schien das gar nicht mitzubekommen. Sie sah hinüber auf eine gerade startende Maschine, die unsicher abhob. Einer der Flugschüler erhob sich in die Luft. »Muß Mylady davon ausgehen, daß Cheftrainer Higgins verärgert ist?« erkundigte sich Parker bei Walt Baker. »Wie kommen Sie denn darauf?« »Nun, ich darf und möchte an den gestrigen Tag erinnern«, redete der Butler weiter, während Lady Simpson sich inzwischen den Fallschirm anlegte. »Mylady flog einige Figuren, die man vielleicht als regulär empfand.« »Sie flog erstklassig«, begeisterte sich Walt Baker und lachte. »Ich glaube, sie hat mehr auf dem Kasten, als sie zugeben will. So wie ich die Sache sehe, brauche ich ihr nicht mehr viel beizubringen. Und was Cheftrainer Higgins angeht, Mr. Parker, so hat der heute morgen 'ne Besprechung wegen des Flugtags. Wir eröffnen ja kommenden Sonntag die große Veteranen Show.« »Worauf warten wir eigentlich noch?« erkundigte sich Agatha Simpson in diesem Moment. Sie erweckte einen geradezu tatendurstigen Eindruck und schien es kaum erwarten zu können, in die Lüfte zu steigen.
Parker begleitete sie und Walt Baker hinüber zu einem der Doppeldecker und mühte sich anschließend intensiv ab, seine Herrin ins Cockpit zu bekommen. »Ich wünsche Mylady einen erholsamen Flug«, sagte er, um dann zurückzutreten. Er hielt sich mit dem Bambusgriff seines UniversalRegenschirms die schwarze Melone auf dem Kopf fest, als der Propeller rotierte. »So sorgenvoll, Mr. Parker?« hörte der Butler neben sich die Stimme von Cheftrainer Higgins. »In der Tat, Sir«, räumte Josuah Parker ein. »Mylady ist, um es salopp auszudrücken, stets ein wenig ungestüm.« »Bei Baker ist sie in besten Händen, einer meiner besten Trainer.« »Mylady neigt zum Leichtsinn, Sir, um ganz offen und konkret zu sein.« »Aber sie fliegt doch erstklassig.« Higgins lächelte ein wenig gequält. »Sie hat mich doch gestern an der Nase herumgeführt. « »Darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf die schwache Rauchfahne lenken, Sir?« Parker deutete mit der Schirmspitze nach oben in die Luft. »Rauchfahne? Das ist.. . Das ist ja Öl!« Higgins Stimme wurde rauh vor Überraschung und Nervosität. Er starrte zum Himmel empor und schluckte. Die Rauch- oder Ölfahne wurde deutlicher und kompakter. Dazu war ein Spucken und Husten des Sternmotors zu vernehmen. Der Doppeldecker, in dem Agatha Simpson saß, war bereits hoch in der
Luft, zeigte jetzt aber technische Mängel. »Was hat diese Rauchfahne zu bedeuten, Sir?« erkundigte Parker sich gemessen. »Motordefekt! Verdammt, und dabei ist die Maschine doch gerade erst genau durchgecheckt worden! Das verstehe ich nicht!« »Um eine Extravaganz Myladys kann es sich also wohl kaum handeln, Sir?« »Natürlich nicht! Sehen Sie doch! Die Kiste verliert an Fahrt. Die rauscht ab.« »Wird man sie zu einer Notlandung bringen können, Sir? « »Nee, da hilft nur schnelles Aussteigen, Mr. Parker. Warum steigen die denn nicht aus? Macht doch schon! Macht doch!« Cheftrainer Higgins geriet in echte Panik. Um ihn herum versammelten sich Flugschüler, technisches Personal und neutrale Zuschauer. Alle starrten zum Himmel, wo der kleine Doppeldecker bereits in erste Trudelbewegungen kam. »Na, endlich!« Higgins' Seufzer war wie eine Erlösung. »Sie springen ab.« Das sah auch Josuah Parker. Von der Maschine löste sich ein schwarzer Punkt, der plötzlich Arme und Beine bekam, die weit vom Rumpf abgespreizt wurden. »Das ist Baker«, sagte Higgins. »Verdammt, wo bleibt die Dame? Die muß jetzt 'raus, sonst wird es kritisch!« »Das müßte Mylady sein«, stellte Parker dann fest. Ein erheblich kompakterer, schwarzer Punkt fiel
aus der Maschine und sauste in Richtung Erdboden. Während Bakers Fallschirm sich jedoch bereits entfaltet hatte, tat sich bei Agatha Simpson überhaupt nichts. »Was ist denn mit dem Fallschirm? Was ist denn? Komm doch endlich, komm doch!« Cheftrainer Higgins Stimme wurde sehr leise, aber auch sehr beschwörend und eindringlich. »Ein irregulärer Zustand, Sir?« erkundigte sich Butler Parker, in dessen Stimme leichte Besorgnis mitschwang. »Irregulär? Das Ding öffnet sich nicht! Mein Gott, der Fallschirm öffnet sich nicht!« »Eine Tatsache, die ich als sehr peinlich bezeichnen möchte.« Butler Parker behielt seine gemessene Würde. »Machen Sie mich nicht wahnsinnig, Parker!« brüllte Higgins. »Peinlich? Sie wird wie ein Stein auf dem Boden landen!« Der dicke und schwarze Punkt, der inzwischen noch größer geworden war, fiel derweil und fiel und fiel.. . * »Das war das, Mylady, was man als äußerst knapp bezeichnen muß«, sagte Parker etwa fünf Minuten später. Er stand neben seiner Herrin, die sich gerade vom Geschirr ihres Fallschirms los gegurtet hatte. Im letzten Moment hatte er sich doch noch geöffnet. Die Detektivin war sicher und heil gelandet und machte einen durchaus normalen Eindruck.
»Was war äußerst knapp?« wollte sie jetzt wissen. »Das öffnen des rettenden Fallschirms, Mylady.« »Wozu diese Hast?« fragte sie etwas zu gespielt kühl. »Zudem mußte ich ja erst mal den Auslösegriff für die Reißleine suchen. So etwas braucht seine Zeit.« Parker enthielt sich jeden Kommentars. Aber es sah Lady Agatha wieder mal ähnlich: Sie war mit der Mechanik des Fallschirms nicht klar gekommen. Ihr einmaliges technisches Verständnis hätte glatt zum Tod führen können, doch darüber dachte sie überhaupt nicht nach. »Sie sagten mir doch, Sie würden sich mit einem Fallschirm auskennen«, schaltete Higgins sich ein, der neben Parker und Walt Baker stand, der ebenfalls sicher gelandet war. »Aber doch nicht mit diesen modernen Spielereien«, antwortete Agatha Simpson gereizt. »Vor lauter Handgriffen weiß man ja nicht, welchen man ziehen muß.« . »Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen«, sagte Baker mehr zu Higgins als zu Lady Simpson. »Ich weiß nicht, was mit dem Motor los war. Das Ding spielte plötzlich verrückt.« »Und brennt wie eine Fackel!« Lady Simpson deutete auf die völlig zu Bruch gegangene Sportmaschine, die in Höhe des Towers aufgeschlagen und in Brand geraten war. »Sagen Sie, junger Mann, veranstalten Sie auch Kurse für
Fallschirmspringen?« erkundigte sich Agatha Simpson bei Higgins, der sie mißtrauisch ansah. »Ja, natürlich«, meinte er dann. »Sehr schön! Mr. Parker, tragen Sie mich für den nächsten Kurs ein, ja?« »Wie Mylady meinen.« Parker deutete eine leichte Verbeugung an und nahm sich vor, diese Einschreibung einfach zu vergessen. »Die Luftaufsicht wird sich mit diesem Unfall befassen«, sagte Mel Farrow, der zur Runde gestoßen war. »Ich begreife einfach nicht, wie so etwas passieren konnte.« »Fluch und Segen der überentwickelten Technik, wenn ich so sagen darf«, kommentierte Josuah Parker. »Darf ich fragen, ob nach diesem Unfall der Flugverkehr für diesen Tag eingestellt wird?« »Natürlich nicht.« Cheftrainer Higgins schüttelte energisch den Kopf. »Das würde ja bei den Flugschülern nur einen zusätzlichen Schock auslösen. Ich selbst werde den nächsten Flug übernehmen. Und zwar sofort!« »Dann können wir unsere Trainingsstunde ja fortsetzen, Mr. Higgins«, warf Lady Agatha munter ein. »Das auf keinen Fall.« Higgins wich unwillkürlich einen Schritt zurück. »Mylady, haben Sie denn überhaupt keine Angst?« »Natürlich, junger Mann. Aber sie zu überwinden ist eine Frage der Erziehung.« Sie grollte. »Man darf eben nicht jeder Gefühlsregung nachgeben, begreifen Sie das?« »Ich ... Ich habe bereits einen Flugschüler«, wich Higgins aus.
»Vielleicht kann ich Sie am Nachmittag noch für eine Stunde einschieben.« Während er noch redete, griff er nach seinem Fallschirm, der im Gras neben Parkers hochbeinigem Monstrum lag. Er hakte ihn ins Tragegeschirr der Gurte ein. »Haben Sie sich nicht vertan, Sir?« erkundigte sich Parker höflich und deutete auf das Fallschirmpaket auf der Kehrseite von Higgins. »Wieso' vertan? « Higgins griff automatisch nach dem verpackten Fallschirm. »Es ist der Fallschirm, der für Mylady bestimmt war«, sagte Parker.« Ich muß die beiden Schirme vor Myladys Flugantritt verwechselt haben.« »Myladys Fallschirm?« Higgins griff noch einmal nach dem wohlverpackten Rettungsutensil und sah den Butler dann verständnislos an. »Wieso können Sie die Fallschirme vertauscht haben?« wollte er wissen. »Ich war so frei, Sir, für Mylady einen Spezialschirm der Luftwaffe zu besorgen«, erläuterte der Butler. »Ihr Fallschirm dort ist das Rettungsinstrument dieser Flugschule, das für Mylady ausgegeben wurde.« Parker war gespannt, wie Higgins reagieren würde. Parker hatte einen Schuß ins Blaue riskiert. War der ursprüngliche Fallschirm für Agatha Simpson präpariert worden? War der technische Defekt an der immer noch brennenden Sportmaschine vorsorglich eingebaut worden? Hatte man Mylady umbringen wollen?
»Na und?« Higgins zuckte die Achseln. »Fallschirm ist Fallschirm! Und wenn der hier aus unserer Schule ist, muß er in Ordnung sein.« Er nickte Parker zu und ging hinüber zu den Trainingsmaschinen, gefolgt von Parker, der sich vergewissern wollte, ob Higgins den bewußten Fallschirm doch noch austauschte oder nicht. Higgins dachte jedoch nicht im Traum daran. Er kletterte in seine Maschine und wartete, bis sein Schüler ebenfalls Platz genommen hatte. Wenig später startete er mit ihm zu einer Platzrunde. »Was haben Sie sich denn davon versprochen?« fragte Agatha Simpson später, als Parker zu ihr zurückgekehrt war. »Mir lag daran, Mr. Higgins' Reaktion zu studieren«, antwortete der Butler. »Und? Haben Sie etwas entdecken können?« »Diese Frage muß ich leider verneinen, Mylady«, entgegnete der Butler. »Zudem braucht Mr. Higgins ja nichts zu befürchten. Wahrscheinlich ist ihm sehr bewußt, daß er kaum abzuspringen braucht.« »Man wollte mich natürlich umbringen, nicht wahr?« Die Detektivin war ernst geworden. »Davon sollte man ausgehen, Mylady«, antwortete der Butler. »Alle Zeichen stehen auf Mord, wenn ich es derart umschreiben darf.« * »Sie wollen jetzt noch starten?«
Judy Gander erschien an der Ecke zu einem der Hangars und sah Mel Farrow erfreut an. Der Manager des Gesamtbetriebs nickte lächelnd. »Ich habe eine Bitte«, schickte sie voraus. »Können Sie mich mitnehmen, Mr. Farrow? Ich würde für mein Leben gern mal fliegen.« »Läßt sich machen, Judy.« Er nickte. »Nur nicht heute, verstehen Sie?« »Ich habe meine Freistunde«, gab sie schnell zurück. Es ging auf den Abend zu, die Sonne stand bereits recht tief. »Morgen werde ich Sie mitnehmen, Judy. Ich will 'rüber nach Norwich und werde erst morgen wieder zurückkommen.« »Schade«, bedauerte Judy. »Aber ich nehme Sie beim Wort. Morgen nehmen Sie mich mal mit! Ich wußte gar nicht, daß Sie fliegen können.« »Higgins ist der Ansicht, daß ich es wirklich nicht kann.« Der Manager der Restaurantbetriebe lachte selbstironisch. »Er wundert sich immer wieder, daß ich genau dort ankomme, wohin ich tatsächlich will.« »Das klingt ja sehr aufregend.« Sie trat mit Mel Farrow zur Seite, als die Maschine für ihn startklar gemacht wurde. Es handelte sich um einen kleinen Hochdecker mit einem extrem hohen Fahrgestell. Solch eine Maschine nahm sich wie ein skurriles Insekt zwischen den modernen Flugzeugen aus. »Wie ein Jet sieht sie nicht gerade aus«, meinte Judy. »Was ist das für ein Flugzeug, Mr. Farrow?« »Eine ehemalige Kurier- und Beobachtungsmaschine«, war seine
Antwort. »Sie stammt aus dem Zweiten Weltkrieg. « Er stand sichtlich unter Zeitdruck. Mel Farrow kletterte in die Maschine und rollte ein wenig später auf die Piste. Judy Gander beobachtete den Start, der extrem kurz war. Der hochbeinige Vogel, der sie jetzt an einen Storch erinnerte, brauchte nur knapp hundert Meter, um sich bereits vom Boden zu lösen. Mel Farrow zog das Flugzeug steil nach oben und wackelte mit den Tragflächen, um sich optisch von Judy zu verabschieden. Dann nahm er nördlichen Kurs und verschwand hinter der Pappelreihe am Ende des Flugplatzes. »Besonders schnell ist sie aber nicht«, sagte sie, sich an einen der Männer vom technischen Personal wendend. »Nee, ganz sicher nicht«, sagte der Mann. »Die steht fest auf der Stelle wie ein Hubschrauber.« »Mr. Farrows Hobby?« »Kann man wohl sagen. An den Storch läßt er kaum einen 'ran. Hier hat so jeder sein Steckenpferd.« »Gibt es in Norwich eine Filiale der hiesigen Flugschule?« »Da soll später mal eine aufgemacht werden«, erwiderte der Mann achselzuckend. »Hier platzen wir ja fast aus den Nähten.« Judy wechselte noch einige Worte mit ihm und den anderen Männern, schlenderte weiter und ging zurück zur zweistöckigen Steinbaracke. Steve Ralston, der Koch, mußte sie bereits die ganze Zeit über beobachtet haben. Er kam aus der
Hintertür der Küche und lächelte sie in seiner treuherzigen Art an. »Toller Laden hier, wie?« begann er ein Gespräch. »Wie gefällt es Ihnen, Judy?« »Das hier ist alles sehr neu für mich.« »Sie fühlen sich allein? Dagegen könnte man was tun.« »Und was, nur so zum Beispiel?« Sie lächelte kokett. »Wie wäre es mit einem Drink?« »Da sage ich nicht nein, Steve.« Sie hatte sich bereits ein wenig mit ihm angefreundet. »Ich war draußen bei Farrow.« »Habe ich von der Küche aus beobachtet.« »Er will mich morgen mal mitnehmen.« »Ich habe für die Fliegerei nichts übrig«, bekannte Steve Ralston.« Luft hat keine Balken. Wie Wasser. Ich bleibe lieber auf dem Boden. Das ist mir sicherer.« Sie gingen in einen Nebenraum der großen Wirtschaftsküche, wo Steve Ralston zwei Drinks mixte. Er bemühte sich sichtlich um Judy Gander. »Sie kennen sich hier doch aus, Steve«, schickte sie voraus, als sie sich zugetrunken hatten. »Wer ist denn nun eigentlich der Chef des ganzen Ladens? Mel Farrow?« Sie gab sich burschikos und kumpelhaft. Auch sie schien Steve Ralston sympathisch zu finden. »Mel Farrow?« Ralston, der gerade trinken wollte, verschluckte sich fast und schüttelte dann lachend den Kopf. »Nee, der spielt nur den Manager, Judy. Farrow muß ganz schön kuschen, wenn die Chefs erscheinen.«
»Es gibt mehrere davon? « Sie war sehr überrascht. »Eine Art Gesellschaft«, bestätigte er. »Geldleute aus London und so. Die finanzieren den Laden, das heißt, jetzt holen sie die Gewinne 'raus. Der Betrieb hier läuft ja prima.« »Kann man diese Chefs mal kennenlernen?« »Keine Ahnung, sie lassen sich kaum sehen. Mal im Vertrauen, Judy, Sie würden gern einen Angelhaken samt Köder auswerfen, wie?« »Ich sollte jetzt sauer reagieren«, erwiderte sie. »Aber ich denke nicht daran. Geld regiert die Welt, Steve! Denken Sie anders darüber? « »Nee, eigentlich nicht.« Steve Ralston nahm wieder einen Schluck.« Auf den richtigen Job kommt es an.« »Als Koch oder Barfrau wird man wohl kaum ein Vermögen machen können. Leider!« »Wie sieht denn Ihr Ziel aus, Judy?« Er beugte sich vertraulich vor und sah sie treuherzig an. »Irgendwo an der Urlaubsküste ein kleines Hotel«, schwärmte sie.« Schuldenfrei, erstklassige Gäste und Spezialservice.« »Mensch, genau davon träume ich auch.« Steve Ralston nickte. »Und man kann es erreichen, wenn man nur will und auch was riskiert.« »Gegen ein Risiko habe ich nichts.« Sie schaute träumerisch aufs Flugfeld. »Aber es muß sich dann auch lohnen. Na ja, Illusionen.« »Nicht nur.« »Wie soll ich das verstehen?«
»Alles auf eine Karte setzen und dann seinen Schnitt machen.« Er trank sein Glas leer. »Und einen echten Partner müßte man haben.« »Der Kapital hat«, fügte sie hinzu. »Ach, Steve, kommen Sie, landen wir wieder auf dem Boden der Tatsachen. Sie werden weiter kochen, und ich werde angetrunkenen Kerlen Drinks servieren.« »Wer sagt Ihnen, Judy, daß ich kein Kapital habe?« Er dämpfte unwillkürlich seine Stimme. »Mir fehlt nur der richtige Partner.« »Denken Sie da etwa an mich?« Sie schüttelte den Kopf. »Wollen wir etwa mit der Tageseinnahme durchbrennen, Steve?« »Man könnte mit einem Schlag reich werden«, redete er gedankenverloren weiter. »Mit einem einzigen Schlag! Man müßte nur den Mut dazu haben.« »Man könnte, man könnte.« Judy Gander winkte ab und gähnte. »Man könnte auch die Bank von England ausrauben.« »Warten Sie es ab, Judy«, sagte er. »Ich bin schlauer als mein Freund. Ich bleibe nicht Handlanger, um mich dann abservieren zu lassen.« »Von welchem Freund reden Sie eigentlich? « Judy Gander schien nur noch aus Höflichkeit zuzuhören. »Von einem, der mit Millionen zu tun hatte und sich mit einem Taschengeld abspeisen ließ. Man kann einen Spieß auch umdrehen!« *
»Wir hätten die Geschichte schon längst hinter uns haben können«, beschwerte sich Les Lofty. »Ich war gleich dafür«, fügte Gene Stills hinzu. »Aber die Bosse wissen ja immer alles besser.« »Ich hätte nie gedacht, daß der Fallschirm sich doch noch öffnete«, meinte Hale Minster kopfschüttelnd. »Die Alte rauschte wie eine Bleikugel 'runter zu Boden. Mensch, Jungens, stellt euch mal vor, wie die ausgesehen hätte!« Die drei Gangsterspezialisten hatten in der Nähe des »Golden Horse« Posten bezogen, um Agatha Simpson und Butler Parker endgültig den Garaus zu machen. Das heißt, sie hatten den Auftrag, das Duo auf keinen Fall niederzuschießen. Lady Agatha und ihr Butler sollten nur zu einer kleinen intimen Seereise eingeladen werden. Die Bosse, von denen die drei Gangster redeten, waren nach wir vor dagegen, die Polizei hellhörig zu machen. Lofty, Stills und Minster, die zusammen mit Teddy Tralley in der Schiffausrüsterfirma einen kurzen Tiefschlaf verbracht hatten, hofften auf baldige Abrechnung. Ihnen ging es darum, ihr angekratztes Image wieder aufzupolieren. Zudem wollten sie sich eine zusätzliche Fangprämie verdienen, die die Bosse auf die Ergreifung von Lady Simpson und Butler Parker ausgesetzt hatten. Die drei Superspezialisten hatten es sich in einem kleinen Pavillon bequem gemacht, der zum Garten des »Golden Horse« gehörte. Er war von Sträuchern und Büschen dicht umgeben, dennoch aber konnten die
Gangster den nahen Parkplatz des kleinen Hotels gut überblicken. Ihr Plan war einfach und zeugte von Routine. Sobald die hochbeinige Kutsche des Butlers erschien, wollten die drei Spezialisten den Pavillon verlassen und ihre Opfer mittels vorgehaltener Maschinenpistole zu der bewußten Spazierfahrt einladen. Mit Widerstand war selbstverständlich nicht zu rechnen. Was wollten die komischen Typen denn schon unternehmen? Sie würden sich beeilen, alle Wünsche zu erfüllen. Es ging auf 23 Uhr, und den drei Burschen wurde die Zeit langsam zäh wie Kaugummi, den sie kauten. Sie hingen in den Strohsesseln und redeten kaum noch miteinander. Sie gähnten sich an und warteten ungeduldig. Lofty setzte sich ruckartig hoch, als plötzlich im Erdgeschoß des kleinen Hotels ein grelles Neonlicht eingeschaltet wurde. Ein Fenster wurde hochgeschoben, und Lofty konnte in die Küche des Hotels blicken. Was er dort sah, ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. »Seht euch das an«, flüsterte er andächtig. »Flaschen, Jungens, nichts als Flaschen!« Er meinte tatsächlich Flaschen aus Glas. Ein älterer, gebeugter Kellner stellte ein großes Tablett auf dem Tisch unmittelbar am Fenster ab. Der Mann trug einen Schnurrbart, hatte eine hohe Stirnglatze und überdies keine Lust, noch groß aufzuräumen. Einige offensichtlich noch volle Flaschen stellte er in eine Eisbox im
hinteren Teil der Küche, andere Flaschen blieben einfach auf dem Tablett stehen. »Jetzt einen anständigen Schluck haben«, seufzte Stills. »Ist doch eine Kleinigkeit«, behauptete Minster und erhob sich aus seinem Korbsessel. »Seht doch, der Alte haut wieder ab. Na, was habe ich gesagt?« Das Licht der Hotelküche erlosch. Minster ging zur Tür des Pavillons und drehte sich zu seinen beiden Partnern um. »Ich werde mal eine Kleinigkeit besorgen«, sagte er. »Weiß der Teufel, wann die Alte und ihr Butler kommen.« Les Lofty und Gene Stills hatten nichts einzuwenden. Ja, sie nickten Minster aufmunternd zu und beobachteten ihn, als er in der Dunkelheit verschwand, um für eine kleine Erfrischung zu sorgen. Er blieb nur wenige Minuten, erschien dann wieder im Pavillon, präsentierte seinen Freunden eine rechteckige Flasche und schnalzte dazu mit der Zunge. »Bester Schottischer«, sagte er. »Wie für uns serviert!« Er ahnte nicht, wie treffend seine Bemerkung war. Er schraubte den Verschluß ab, nahm einen Schluck und ließ die Flasche reihum gehen, Lofty, Stills und Minster taten genau das, womit der gebeugte Kellner gerechnet hatte. Sie nahmen nur zu gern und zu willig das Schlafmittel ein, das sich im besten schottischen Whisky befand. *
»Ich möchte auf keinen Fall stören«, sagte Chief-Inspektor Broken. Er stand im Erker des »Golden Horse« und grüßte höflich. »Haben Sie schon gefrühstückt, junger Mann?« erkundigte sich Agatha Simpson. »Schon vor Stunden, Mylady«, erwiderte Broken respektvoll. »Dann kann eine Tasse Tee ja nicht schaden. Nehmen Sie Platz! Ich wette, Sie haben einiges auf dem Herzen.« Chief-Inspektor Broken nickte Parker zu, der zusammen mit Mylady am Tisch saß, worüber Broken sich im Grund wunderte. Es war eigentlich gegen die Regel, daß ein Butler zusammen mit seiner Herrschaft frühstückte. »Ich muß immer wieder energisch werden, damit Mr. Parker sich setzt«, sagte die ältere Dame, die Brokens Gedanken erraten zu haben schien. »Mylady sollten stets an meinen Status als Butler denken«, warf Josuah Parker ein. »Es ziemt sich nicht. . .« »Papperlapapp, Mr, Parker! Ich denke, dieses Thema ist ausdiskutiert«, unterbrach sie ihn grollend. »Was sich für andere Butler ziemt, ist mir völlig gleichgültig. Die Butter, wenn ich bitten darf!« »Ich komme nicht zufällig vorbei«, sagte Broken. »Das unterscheidet Sie von Superintendent McWarden in London«, entgegnete Lady Agatha ironisch. »Der kommt immer rein zufällig vorbei. Was kann ich für Sie tun?«
»Wir wurden vor etwa zwei Stunden telefonisch verständigt«, berichtete Broken. »Anonym, wie ich hinzufügen möchte. Man machte uns auf eine kleine Sandbank in der Mündung des Orwell River aufmerksam.« »Aha.« Mehr sagte Lady Agatha nicht, tauschte mit Butler Parker aber einen schnellen und amüsierten Blick aus. »Darf man erfahren, um was es sich handelte?« erkundigte sich Josuah Parker höflich. »Wir schickten ein Polizeiboot hinaus«, berichtete Chief-Inspektor Broken weiter. »Und es kam zu einer wilden Schlägerei mit drei Männern, die bis an die Zähne bewaffnet waren.« »Es wurde also nicht geschossen?« wunderte die Detektivin sich. »Die drei Männer hätten es wohl liebend gern getan, Mylady, aber ihre Maschinenpistolen und Revolver waren unbrauchbar. Meine Leute konnten die drei Männer überwältigen.« »Und in diverse Zellen stecken, hoffe ich.« »Richtig, Mylady. Sie wurden festgenommen. Eine erste Untersuchung brachte bereits erstaunliche Ergebnisse.« »Die Sie uns hoffentlich nicht vorenthalten werden, junger Mann.« »Es handelt sich um drei sehr bösartige Kerle, die auf der Fahndungsliste der Polizei stehen, wenn auch unter anderen Namen. Hier nennen sie sich Lofty, Stills und Minster, die wahre Identität steht aber bereits fest.«
»Wird man sie wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt unter Anklage stellen?« schaltete der Butler sich würdevoll ein. »Und wegen Mord! Bandenraub und räuberische Erpressung ebenfalls.« »Mord?« Agatha Simpson tat erstaunt. »Aus einer der gefundenen Waffen wurde auf einen gewissen Paul Maser geschossen, der gestern getötet wurde. Hier in BramfordVillage. Sie wissen nichts davon?« »Mr. Parker und ich sind hier wegen der Flugschule«, gab Lady Agatha zurück. »Mit Verbrechern geben wir uns grundsätzlich nicht ab.« »Da ist Superintendent McWarden aber ganz anderer Meinung, Mylady. Verzeihen Sie, daß ich Erkundigungen über Sie eingezogen habe, als dieser Tieffliegerangriff auf Sie erfolgte.« »Dann hat dieses Plappermaul McWarden also wieder mal geredet«, seufzte Agatha Simpson. »Eingehend, Mylady. Er legte mir dringend ans Herz, mit Ihnen und mit Mr. Parker eng zusammenzuarbeiten. In diesem Zusammenhang vielleicht noch eine Kleinigkeit. Die drei Festgenommenen von der Sandbank sind davon überzeugt, daß Mr. Parker sie auf diese Sandbank geschafft hat.« »Eine Behauptung, die ich als Kompliment verbuche«, sagte Josuah Parker gemessen. »Sie behaupten, Hereingelegt worden zu sein.« »Wie soll man sich das vorstellen?« Lady Agatha schmunzelte.
»Die drei Gangster behaupten, Mr. Parker habe sich als Kellner verkleidet und ihnen praktisch eine Flasche Whisky zugespielt, in der sich ein starkes Schlafmittel befand.« »Was muß ich da von Ihnen hören, Mi-. Parker? Sie verkleiden sich?« Agatha Simpson lachte dunkel und vergnügt. »Das hätte ich gern gesehen.« »Wie dem auch sei«, redete ChiefInspektor Broken weiter. »Wie die drei Gangster ausgetrickst wurden, interessiert mich nicht. Hauptsache, sie sitzen hinter Schloß und Riegel. Und dafür möchte ich mich bei Ihnen bedanken.« »Nun denn, Sir, ich möchte einräumen, daß ich mir die Freiheit nahm, ein wenig Katz und Maus mit den drei Herren zu spielen«, gestand nun der Butler. »Die Herren Lofty, Stills und Minster störten Myladys Arbeit doch sehr.« »Womit ich zum eigentlichen Grund meines Besuches komme«, schickte Broken voraus. »Darf man erfahren, welchen Fall Sie verfolgen? Inzwischen ist mir klar, daß Sie nicht nur Flugstunden nehmen wollen, Mylady. Superintendent McWarden meint, Ihr Besuch hier in Ipswich müsse einen sehr ernsten Hintergrund haben.« »Den Sie sich nicht vorstellen können?« tippte Agatha Simpson erstaunt an. »Sie ahnen es wirklich nicht? Mr. Parker, was sagen Sie denn dazu? Chief-Inspektor Broken möchte uns überspielen.« »Überspielen, Mylady?« »Sie wollen Informationen von uns, ohne selbst welche zu liefern?
Wie finden wir denn das, Mr. Parker?« » Zumindest befremdend, Mylady.« »Schön, ich lege meine Karten auf den Tisch. Sie sind hinter der Bande her, die hier an der Küste einen Schmuggelring aufgezogen hat, nicht wahr?« »Zieren Sie sich nicht, junger Mann! Welche Art Schmuggel meinen Sie? Vielleicht fahren wir auf verschiedenen Schienen.« »Rauschgift. Genauer gesagt, Heroin!« »Arbeiten wir an solch einem Fall, Mr. Parker?« erkundigte Lady Agatha sich bei ihrem Butler. »Wie Mylady meinen«, lautete Parkers Antwort, mit der Broken allerdings nicht so recht zufrieden war. Ja, er fühlte sich eigentlich sogar leicht auf den Arm genommen. McWarden in London hatte am Telefon wirklich nicht übertrieben. Agatha Simpson und Butler Parker waren in ein normales Schema nicht einzuordnen. Man mußte sie so nehmen, wie sie waren. * Judy Gander fühlte sich pudelwohl. Sie saß im vorderen Cockpit des alten Doppeldeckers, der noch aus der Zeit des ersten Weltkriegs stammte. Cheftrainer Higgins hatte sie am Morgen zu diesem Flug eingeladen. Das Unternehmen war nicht zu vergleichen mit dem Flug in einem Jet. Das hier war noch echtes Flugvergnügen, Man war Teil der
Luft und kam sich vor wie ein Vogel. Daran änderte sich auch nichts, daß der alte Motor des Doppeldeckers röhrte und spuckte. Judy Gander hatte ein vollkommen sicheres Gefühl. Higgins veranstaltete mit ihr natürlich keinen Kunstflug. Er wollte sie nicht unsicher machen oder ängstigen. Er hatte sich hoch in die Luft geschraubt und flog entlang der Küstenlinie. Draußen auf See, die in der Morgensonne wie flüssiges Silber glänzte, waren erstaunlich viele Kutter und Schiffe aller Größen zu sehen. Sie wirkten wie reizende Spielzeuge. Higgins flog in Richtung Norden, drückte den Doppeldecker an und ging nach unten. Hin und wieder zog er Kreise, schraubte sich wieder hoch, um dann sanft hinunter zu gleiten. Judy Gander nahm erstaunt den Kopf herum, als plötzlich eine orangerote Signalrakete ein paar hundert Meter vor ihr zum Himmel zischte. Higgins, der ihre Kopfbewegung registriert hatte, winkte beruhigend ab und ließ den Doppeldecker seitlich wegkippen. Er schien jetzt eine bestimmte Zone zu umfliegen. Er rief ihr etwas zu, was sie aber wegen des Motorenlärms nicht verstand. Er deutete nach rechts. Judy Gander nahm ein erstaunliches Fluggebilde wahr, das sie bereits im Hangar der Veteranen bestaunt hatte: ein Dreidecker. Diese seltsam anmutende Maschine schien direkt aus der Sonne gekommen zu sein. Sie slipte über die linken Tragflächen steil
nach unten und kam nahe an den Doppeldecker heran. Der Pilot winkte, Judy winkte zurück. Bald darauf erschien ein dritter Veteran am Himmel. Dieses Flugzeug glich von der Form der Tragfläche her fast einer Taube. Die Maschine, die ungewöhnlich grazil und zerbrechlich wirkte, kurvte um den Dreidecker. herum. Beide Maschinen lieferten sich eine Art Scheingefecht und zogen solch enge Kurven, daß Judy befürchtete, die Tragflächen könnten sich im nächsten Moment berühren. Sie hörte einen halb verwehten Ruf, wandte sich um und sah Cheftrainer Higgins an. Er rief ihr noch mal etwas zu. Diesmal verstand sie einige Worte. Higgins fragte, ob er mitmischen dürfe. Seine rechte Hand, die einige Kreise beschrieb, unterstrich die Frage. Judy nickte. Sie war fest angeschnallt und hatte keine Angst. Higgins formte Daumen und Zeigefinger zu einem Kreis, lachte und beteiligte sich dann an dem gespielten Luftkampf. Schon nach wenigen Sekunden verlor Judy Gander die Übersicht, Sie wußte nicht mehr genau, wo Erde und Himmel waren. Alles wechselte mit unheimlicher Geschwindigkeit. Cheftrainer Higgins war ein erstklassiger Pilot, der den Doppeldecker in einen echten Vogel verwandelte, dem keine Figur mißlang. Die drei Veteranen kurvten umeinander, jagten aufeinander zu, schienen sich rammen zu wollen, explodierten förmlich wieder auseinander und gingen in Steilflug
über. Sie rutschten über die Tragflächen ab, versuchten, in Schußposition zu kommen, tricksten sich dabei gegenseitig aus und boten ein einmaliges Schauspiel. Judy wußte längst nicht mehr, wo sie sich befanden. Immer dann, wenn sie sich orientieren wollte, kippte der Horizont einfach weg, sah sie nur das Blau des Himmels oder das Braungrün der Erde. Sie war ehrlich überrascht, als dann plötzlich die Pappelreihe am Ende des Flugplatzes vor dem Propeller auftauchte und sie dann auch schon landeten. »Hoffentlich habe ich nicht übertrieben?« fragte Higgins, als die Maschine ausgerollt war und der Propeller ausdrehte. »Irgendwie ist es mit mir durchgegangen. « »Lassen Sie mich erst mal verschnaufen«, bat Judy und holte tief Luft. »Was war das?« »Eine kleine Trainingseinlage«, entschuldigte sich Higgins. »War eigentlich nicht geplant.« »Und warum hat man mit der Rakete auf uns geschossen?« erkundigte sie sich naiv. »Sperrzone«, entgegnete Higgins.' »Das wird wieder Ärger mit der Luftaufsicht geben.« »Sperrzone? Darf man denn nicht fliegen, wo und wohin man will?« Sie ließ sich von Higgins aus der Maschine helfen. Sie mußte sich an ihn lehnen, der Boden unter ihren Füßen schien zu schwanken und nachzugeben. »Militärische Sperrzonen, Judy«, sagte Higgins wegwerfend. »Raketen, Radar und andere Geheimnisse, die bestimmt keine mehr sind! Hat es Ihnen gefallen?«
»Traumhaft«, antwortete Judy Gander. Sie sah zu den beiden anderen Veteranen hinüber, die inzwischen ebenfalls gelandet waren und auf den Hangar der Veteranen zurollten. »Wer hat denn die geflogen?« »Walt Baker und Pat Vance«, sagte Higgins. »Prächtige Burschen, nicht wahr?« »Dazu äußere ich mich später.« Sie holte wieder tief Luft. »Ich fürchte, ich muß jetzt erst mal in den nächsten Waschraum. Mein Magen hat sich meiner Ansicht noch nicht angeschlossen, wie schön alles war.« * »Sie haben hoffentlich gehört, Mr. Parker, daß das Stichwort Heroin gefallen ist, oder?« Josuah Parker und Agatha Simpson saßen im hochbeinigen Monstrum, das Kurs auf den Flugplatz nahm. Mylady wollte ihre Flugstunde absolvieren und barst vor Tatenlust. »Dies, Mylady, bestätigt meine Überlegung, daß man es mit zwei völlig verschiedenen Organisationen zu tun hat«, antwortete der Butler. »Was ich ja schon immer gesagt habe«, fügte sie hinzu. »Wir erledigen zwei Banden mit einem Schlag. Das gefällt mir.« »Eine hoffnungsfrohe Vorstellung, Mylady«, pflichtete Parker ihr bei. »In Sachen Spionage ist man allerdings leider kaum einen Schritt vorangekommen. « »Alles braucht seine Zeit. Glauben Sie, daß dieser Chief-Inspektor Broken Glück mit dem Schiffsausrüster haben wird?«
»Mr. Teddy Tralley und sein schnauzbärtiger Bürochef werden längst das gesucht haben, was man das Weite nennen muß, Mylady.« »Glauben Sie, daß Broken mehr weiß, als er gesagt hat?« »Er dürfte wie Mylady und meine bescheidene Wenigkeit vor einem Rätsel stehen, was die Blechkanister, die Antennen und auch die Drahtschlaufen anbetrifft.« »Mußten wir ihm unbedingt davon erzählen? Ich wollte Ihnen einen Tritt auf den Fuß geben, als Sie davon sprachen, aber ich habe Ihren Fuß leider nicht erwischt.« »Ich war so frei, Mylady, mit solch einem Fußtritt zu rechnen. Daher zog ich es vor, ihn in Sicherheit zu bringen.« »Sie wollten ihm also diesen Tip unbedingt geben?« »Mylady, nach Lage der Dinge handelt es sich um Heroin. In solch einem Ausnahmefall sollte man mit den zuständigen Behörden eng zusammenarbeiten.« »Und Sie haben immer noch keine Idee, wozu diese Koksschmuggler die Kanister brauchten?« »In mir bildet sich eine erste bescheidene Vorstellung, Mylady.« »Und die hört sich wie an?« »In diesen Behältern könnte das Heroin transportiert worden sein.« »Und weiter? Bisher war das aber sehr dürftig.« Spott lag in Myladys Stimme. »Diese Kanister müssen im Salzwasser gewesen sein. Mit anderen Worten, in diesem Fall in der Nordsee.« »Das dachte ich mir auch«, behauptete die Detektivin wieder
mal unverfroren. »Und daraus wurden sie aufgefischt. Das hegt doch auf der Hand.« »Sehr wohl, Mylady.« »Aber wie?« grollte sie, da Parker nicht mehr sagte. »Mittels einer Vorrichtung, Mylady, die diese großen Antennen und Drahtschlaufen rechtfertigten.« »Sie nehmen mir das Wort von der Zunge.« »Wahrscheinlich wird dazu ein Flugzeug verwendet, Mylady.« »Was dachten denn Sie? Das ist doch klar!« »Mylady teilen meine bescheidene Auffassung?« »Diese Kanister werden aus dem Wasser gezogen und an Land gebracht«, redete Lady Agatha weiter. »Die Piloten finden wir drüben auf dem Flugplatz.« »Das möchte auch ich unterstellen, Mylady.« »Wie die Spione.« Mylady nickte sehr nachdrücklich. »Auf dem Flugplatz laufen alle Fäden zusammen. Ich wußte es ja gleich. Jetzt brauchen wir nur noch die richtigen Burschen zu finden. Und wissen Sie auch, wen ich für den Haupttäter halte?« »Mylady sehen meine bescheidene Person äußerst interessiert und neugierig.« »Ich sage nur ein Wort: Higgins!« »Steht Mr. Higgins Myladys Ansicht nach dem Agentenring oder dem Schmugglerring vor?« »Nun spalten Sie nur keine Haare, Mr. Parker«, sagte sie verärgert, weil sie darauf nicht zu antworten wußte. »Diese letzte Kleinigkeit könnten Sie ja eigentlich herausfinden. Muß ich
mich denn kümmern?«
immer
um
alles
* Mylady saß in einem Doppeldecker und genoß den Flug. Cheftrainer Higgins hatte im vorderen Cockpit Platz genommen und war mit den Leistungen seiner Schülerin recht zufrieden. Diesmal benahm sie sich sehr passabel und absolvierte alle Figuren, die sie vorher genau vereinbart hatten. Sie befanden sich mit dem Doppeldecker über dem breiten Mündungsgebiet des Orwell River und hatten die Sonne praktisch hinter sich. Agatha Simpson leitete gerade eine Linkskurve ein, als sie plötzlich stutzte. Dicht neben ihr splitterte auf der linken Seite des Cockpits die leichte Holz-verplankung, riß und ließ lange Splitter durch die Luft jagen. Agatha Simpson nahm unwillkürlich den Kopf herunter und wußte im ersten Moment nicht, was sie davon halten sollte. Doch dann hatte sie die richtige Eingebung. Es handelte sich um einen neuen Mordanschlag! Zornesröte stieg ihr ins Gesicht. Sie drückte die Maschine steil nach unten und wunderte sich, daß Higgins nicht gegenteilig reagierte. Hatte er noch nicht bemerkt, daß an der Maschine Sabotage verübt worden war? Mylady bereitete sich auf einen zweiten Fallschirmabsprung vor. Mit der linken Hand hielt sie den Steuerknüppel, mit der rechten reichte sie nach vorn, um Higgins
auf die Schulter zu schlagen. Sie wollte ihm zu verstehen geben, daß sie bereit war, sich auf Wunsch also noch mal in die Tiefe zu stürzen. Genau in diesem Moment wurde eine Reihe brandiger Löcher in die obere, rechte Tragfläche gestanzt. Sie waren plötzlich wie durch Zauberei vorhanden. Die Bespannung fetzte auf, Holzsplitter wirbelten erneut durch die Luft. Die Detektivin fand, daß dies mit »normaler« Sabotage unmöglich zu tun haben konnte. Sie kippte den Doppeldecker über die linken Tragflächen nach unten und entdeckte erst jetzt den Luftveteranen, der ihr praktisch im Genick saß. Es handelte sich um eine Maschine, wie sie im ersten Weltkrieg verwendet worden war. Agatha Simpson sah das Maschinengewehr, aus dessen Lauf kleine Flammenzungen leckten. Die Geschosse jagten in genauen Abständen durch den Propellerkreis. Nun wußte sie Bescheid. Man wollte sie abschießen! Mit dem Tieffliegerangriff auf der Dammstraße hatte es nicht geklappt, auch nicht mit dem wohl sicher tödlich gedachten Fallschirmabsprung. Nun wollte man ihr in einer Art Luftkampf den Garaus machen. Sie dachte unwillkürlich an Butler Parker. Wie würde er sich in solch einer Situation verhalten? Wie würde er reagieren? Nur zu gern hätte sie ihn vorn im Cockpit gehabt. Ohne Parker kam die ältere Dame sich sehr allein und verlassen vor. Ein Gefühl
der panischen Angst stieg in ihr hoch. Cheftrainer Higgins hatte bisher nicht reagiert. Agatha Simpson hatte keine Zeit, sich weiter mit ihm zu befassen. Sie mußte sich auf den nächsten Angriff vorbereiten, doch sie konnte den Luftveteran nicht mehr ausmachen. Er schien sich in Luft aufgelöst zu haben. War die Gefahr bereits vorüber? Hatte der Pilot und Mörder bereits aufgegeben? Agatha Simpson erlebte eine herbe Überraschung. Praktisch aus der Sonne heraus stieß die gegnerische Maschine wie ein beutesuchender Falke auf den kleinen Doppeldecker hinab. Aus dem Lauf des Maschinengewehrs züngelten wieder Flammenzungen. Agatha Simpson wußte eigentlich gar nicht, was sie tat. Vom Fliegen verstand sie nicht allzuviel. Die wenigen Grundkenntnisse reichten hier nicht aus. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis die tödliche Geschoßgarbe den Doppeldecker zerfetzte. In -ihrer Aufregung betätigte die fliegende Detektivin den Steuerknüppel derart, als müßte sie eine dicke Suppe bewegen. Der Doppeldecker reagierte natürlich entsprechend und führte Flugbewegungen aus, die der Mordpilot wahrscheinlich noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Und dabei passierte es dann auch .. .' Mylady rammte mit dem Fahrgestell des Doppeldeckers die rechte Tragfläche des Angreifers, die darauf hin wegbrach und wie eine
gewaltsam geöffnete Riesentür gegen den Rumpf schlug. Sekunden später geriet der Angreifer bereits ins Trudeln und schmierte steil nach unten ab. Mylady zitterte am ganzen Leib. Sie war den Tränen nahe und gleichzeitig froh, daß kein Mensch diesen Zustand beobachten konnte. Sie hatte den kleinen Doppeldecker wieder einigermaßen unter Kontrolle und schrie nach Higgins, der sich nach wie vor nicht rührte. Als Agatha Simpson sich gewaltsam vorbeugte, entdeckte sie, warum Higgins die ganze Zeit über so ruhig gewesen war: In Höhe seiner rechten Schulter war ein großer Blutfleck zu sehen, der sich immer weiter ausbreitete. Cheftrainer Higgins war zumindest angeschossen worden und offensichtlich ohnmächtig. * »Ich möchte mich erkühnen, Mylady meine Hochachtung auszusprechen«, sagte Josuah Parker. »Ich möchte bekennen, daß ich Blut und Wasser geschwitzt habe, wie der Volksmund so treffend ausdrücken würde.« »Ich auch«, sagte die ältere Dame knapp und schaute der Bahre nach, auf der Cheftrainer Higgins lag. Er wurde zu einem Rettungswagengetragen, der vorn auf der Dammstraße stand. Lebensgefahr für Higgins bestand nicht, doch sein Zustand war ernst. Er hatte viel Blut verloren. »Myladys Luftkampf war bewundernswürdig«, redete Parker weiter.
»Von der Außenlandung hier auf der Wiese ganz zu schweigen.« »Schade, daß die Maschine dabei zu Bruch gegangen ist«, bedauerte die Sechzigjährige. »Die Landungen werde ich in Zukunft noch etwas üben müssen.« »Vielleicht sollten Mylady eine kleine Pause in der Kunst des Fliegens einlegen«, schlug Josuah Parker vor. »Die Dinge scheinen einem Höhepunkt zuzutreiben. « »Weiß man, wer dieser Mordpilot ist? « fragte Agatha Simpson grimmig. Sie gewann innerlich bereits wieder an Boden und schien den Schock überwunden zu haben. Vielleicht hing es damit zusammen, daß Parker ihr einen dreistöckigen Kreislaufbeschleuniger gereicht hatte. »Chief-Inspektor Broken kommt gerade an«, meldete Parker. »Er wird sicher mit Hinweisen oder sogar Namen dienen können.« »Moment, wiederholen Sie das noch mal«, bat Lady Agatha fünf Minuten später. »Teddy Tralley sagten Sie, junger Mann?« »Der Mann, den wir suchten, nachdem Sie uns die erforderlichen Hinweise gegeben haben«, gab Broken zurück, »Bei diesem Luftangriff scheint es sich um eine Art Racheakt gehandelt zu haben.« »Wegen dieser drei Lümmel von der Sandbank?« »Das nehme ich an, Mylady.« Broken nickte. »Er ist natürlich tot. Er hat den Absturz der Maschine nicht überlebt.«
»Und woher hatte er die Maschine?« wollte Lady Simpson wissen. »Darf man davon ausgehen, daß er Mitglied des Veteranenclubs war?« erkundigte sich Josuah Parker. »Richtig! Und er flog mit seiner eigenen Maschine.« Broken blätterte in einem kleinen Notizbuch. »Ich habe mit Farrow von der Flugschule gesprochen. Er hat das alles bestätigt.« »Er dürfte sich während der Fahndung nach ihm auf dem Gelände der Flugschule aufgehalten haben«, vermutete Parker. »Wahrscheinlich, Mr. Parker. Damit dürfte der Schmugglerring zerschlagen sein. Tralley war sicher der Boß dieser Heroinhändler.« »Und was ist mit dem Schnauzbart aus der Firma?« fragte Lady Agatha. »Wir wollen doch keines dieser Subjekte vergessen, nicht wahr?« »Ist und bleibt vorerst verschwunden, Mylady«, bedauerte der Chief-Inspektor. »Aber als Boß der Heroinbande kommt er ja wohl nicht in Betracht, denke ich. Einzelheiten werden uns jetzt die Gangster Lofty, Stills und Minster sagen. Nach dem Tod von Tralley werden sie ganz bestimmt nicht mehr schweigen.« »Gehört er etwa auch dem Veteranenclub an?« wollte Lady Simpson mißtrauisch wissen. »Ich möchte nicht noch mal in der Luft angegriffen werden.« »Nein, er gehört dem Club nicht an«, lautete Brokens Antwort. »Danach habe ich mich bereits erkundigt, Mylady.«
»Vielleicht hören diese Belästigungen jetzt tatsächlich auf«, gab die ältere Dame zurück. »Mr. Parker, zurück ins Hotel!« »Mylady wollen sich bestimmt etwas zurückziehen und erholen«, meinte Broken formvollendet und auch ehrlich mitfühlend. »Nach diesen Aufregungen!« »Unsinn, junger Mann«, gab sie verächtlich zurück. »Ich will nicht den Lunch versäumen! Einen anderen Grund gibt es nicht.« * Judy Gander stand hinter dem Bartresen und bediente die diskutierenden Gäste. Es gab nur ein einziges Gesprächsthema: Der echte Luftkampf über der Mündung des Orwell River war in aller Mund. Selbst Mel Farrow mußte hinter der Bar aushelfen, allein wäre die attraktive Judy überhaupt nicht dem Ansturm gerecht geworden. Sie bemühte sich vor allen Dingen um die beiden Fluglehrer Walt Baker und Pat Vance, die es einfach nicht fassen konnten, daß ihr Chef Higgins nur dank der Geistesgegenwart dieser skurrilen Lady gerettet worden war. »Und ich dachte die ganze Zeit, die alten Waffen wären unbrauchbar«, sagte Judy kopfschüttelnd. »Das sind sie doch auch«, erwiderte Baker. »Zugeschweißt und ohne Schlösser«, fügte Fluglehrer Vance hinzu, ein kleiner, drahtiger Mann von vielleicht achtunddreißig Jahren. »Das Maschinengewehr in Tralleys Kiste muß er ausgetauscht haben.«
»Warum wollte er die Lady nur abschießen?« fragte Baker und fuhr sich durch das schüttere Haar. »An dem Fall wird die Polizei noch zu knacken haben.« »Sie wird erst mal hier auf dem Flugplatz erscheinen und alle Flugzeuge durchsuchen«, warf Judy Gander ein. »Wer weiß denn, ob nicht noch mehr alte Waffen ausgetauscht worden sind?« »Da ist was dran«, meinte auch Pat Vance und nickte seinem Freund Baker zu. »Sie wird alles auf den Kopf stellen«, steigerte sich Judy Gander hinein. »Wie ich diese Herumschnüffelei hasse! Mir kommt da gerade ein Gedanke. Könnte dieser Tralley nicht versucht haben, Higgins abzuschießen?« »Warum sollte er das denn vorgehabt haben?« schaltete sich Clubmanager Mel Farrow ein, der zugehört hatte. »Vielleicht haben sich Tralley und Higgins nicht ausstehen können.« Judy schaute Farrow naiv an. »Davon hätte ich doch was gemerkt«, meinte Baker. »Nee, die hatten nichts miteinander«, wußte auch Pat Vance zu sagen. »Judy, vergessen Sie die Gäste drüben an der Ecke nicht«, mahnte Mel Farrow. Judy nickte und verließ die drei Männer, die sich noch weiter unterhielten, ließ sie jedoch nicht aus den Augen. Sie hielt vor allen Dingen die beiden Fluglehrer Baker und Vance unter Sichtkontrolle. Als sie bei Farrow gezahlt hatten und gingen, wurde sie nervös und ungeduldig. Judy trat zu Farrow.
»Sie müssen mich für ein paar Minuten entschuldigen«, sagte sie. »Vorerst sind hier alle versorgt. Ich bin gleich wieder zurück.« »Lassen Sie mich bloß nicht im Stich«, mahnte Farrow, der zustimmend nickte. »Nur ein paar Minuten.« Judy Gander verließ die Bar, betrat den Korridor, der zur Hintertür führte, und winkte Steve Ralston zu, der durch das lange, schmale Fenster in der Küche zu sehen war. Er bereitete gerade wahre Berge von Sandwiches zu, ließ dann Arbeit Arbeit sein, rannte um den Tisch herum und fing Judy an der hinteren Tür der Küche ab. »Sehen wir uns heute noch? « fragte er. »Bei dem Betrieb in der Bar?« »Der läuft auch mal aus, Judy. Denken Sie noch an unser Gespräch?« »Natürlich, Steve«, antwortete sie. »Viel Zeit haben wir nicht mehr«, sagte er leise und geheimnisvoll.« Wenn wir das große Geld machen wollen, müssen wir uns entschließen. Bis spätestens übermorgen!« »Wir reden noch darüber, Steve, ja?« »Hier wird die Bude bald dicht gemacht werden.« »Welche Bude? « wollte sie wissen. Obwohl sie es sehr eilig hatte, blieb sie doch stehen. »Der ganze Laden hier«, entgegnete Steve Ralston. »Genaugenommen gibt es nur noch eine einzige Möglichkeit. Und die ist übermorgen fällig.«
»Und warum? Hat das was mit der Schießerei in der Luft zu tun? Oder mit Higgins?« »So ungefähr«, deutete er an. »Aber halten Sie den Mund, Judy, sonst kann es uns verdammt dreckig gehen!« »Wem sollte ich schon was sagen? « Sie lächelte kokett. »Keine Ahnung!« Er hörte seinen Namen, der vom Restaurant aus in die Küche gerufen wurde, nickte ihr zu und lief zurück zu seinen Sandwiches. Judy Gander schaute auf ihre Armbanduhr. Sie hatte wertvolle Zeit verloren, doch auf der anderen Seite einen wichtigen Tip erhalten. Sie verließ das Gebäude und lief zu den Hangars hinüber. * Walt Baker befand sich im Umkleideraum des Veteranenclubs und stand vor einem schmalen Eisenspind, dessen Tür er gerade geöffnet hatte. Der gemütlich aussehende Vierziger durchsuchte in aller Hast den Inhalt des Spinds und hatte es sehr eilig. Hin und wieder hatte er etwas gefunden, was ihn interessierte. Er warf diese Dinge fast achtlos in einen ehemaligen Waschmittelkarton, wechselte zum nächsten Spind über und benutzte einen starken Schraubenschlüssel, um den Bügel des Vorhängeschlosses aufzusprengen. Hier wiederholte sich das seltsame Spiel.
Walt Baker kramte im Spind und warf erneut Flugkarten, Fotos und Papiere in den Karton. Er merkte gar nicht, daß er bereits seit einigen Minuten von Judy Gander beobachtet wurde. Sie stand vor der spaltbreit geöffneten Tür und ließ sich keine Einzelheit entgehen. Fluglehrer Baker hatte seine Arbeit beendet. Nachdem er das aufgebrochene Schloß auch noch in den Karton geworfen hatte, lief er zur Tür. Judy Gander verschwand blitzschnell hinter einem Werkzeugschrank, der links von der Eingangstür stand. Baker wischte mit dem Karton an den alten Luftveteranen vorbei, öffnete eine schmale Seitentür des Hangars und trat ins Freie. Dort rannte er zu den vielen Blechtonnen, die, hinter dem Erdwall aufgereiht, für den Abfall bestimmt waren. Er kippte den Inhalt des Kartons in einen dieser Behälter, zog ein Stück Putzwolle aus seinem Overall, zündete es an und ließ das lichterloh brennende Bündel in die Blechtonne fallen. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß der Inhalt des Kartons in Flammen stand, lief er am Hangar entlang zu den aufgestellten Maschinen. Er bekam überhaupt nicht mit, daß Judy sich durch die Tür stahl, sich duckte und zu den Tonnen hinübersprintete. Sie wollte feststellen, was verbrannt und vernichtet wurde. Kaum dort angekommen, hörte sie das Anspringen von Flugzeugmotoren. Judy Gander hatte keine Zeit, weiter darauf zu achten. Mit einem langen und starken Draht,
der wohl als Schürhaken diente, wenn in den Blechtonnen etwas verbrannt wurde, zerrte sie das Putzlappenbündel aus dem Behälter und warf es in den nächststehenden. Sie kippte die Blechtonne mit dem bereits brennenden Inhalt einfach um und trat dann die Flammen aus. Nach wenigen Sekunden hatte sie ihr Ziel erreicht und den Inhalt des Pappkartons fast vollständig sichergestellt. Die brennende Putzwolle hatte den Inhalt des anderen Blechkübels in Flammen gesetzt. Dunkle Rauchwolken quollen aus dem Behälter und bildeten einen schwarzen Pilz in der Luft. Judy Gander raffte das sichergestellte Material zusammen und lief damit weiter zu einem der ehemaligen Munitionsbunker. Sie stopfte alles, was sie bergen konnte, unter einen freiliegenden Betonträger, richtete sich auf und verfolgte dann mit ihrem Blick die gerade gestartete Maschine, deren Motoren sie gehört hatte. Walt Baker hatte sich diesmal für eine moderne Maschine entschieden. Die zweimotorige Piper hielt genau auf den Erdwall zu, flog sehr tief. Baker wollte sich wahrscheinlich vergewissern, ob die Papiere in der Mülltonne auch tatsächlich brannten. Judy Gander warf sich gegen den Hang und verschwand im hohen Gras. Die Zweimotorige donnerte dicht über sie hinweg, zog dann steil hoch und nahm nördlichen Kurs. Natürlich konnte Baker nicht wissen, daß inzwischen der Inhalt einer anderen Mülltonne brannte. Diese Unterscheidung war in der
Schnelligkeit mit größter Sicherheit nicht zu treffen. Er sah die Rauchwolke und ging davon aus, daß das Material aus beiden Metallspinden ein Opfer der Flammen wurde. »Ich bin von Baker aufgehalten worden«, sagte sie, als sie wieder in der Bar erschien und Mel Farrow sie ungeduldig ansah. »Baker?« » Er ist eben mit einer Maschine gestartet«, berichtete Judy Gander. »Er schien es eilig gehabt zu haben.« Sie wartete keine Antwort ab, sondern widmete sich wieder den Gästen vor dem Bartresen. Sie servierte gerade die ersten Drinks, als einer der Monteure hereinstürzte und mit gellender, sich überschlagender Stimme etwas in die Bar rief. Sofort herrschte Totenstille. »Was war?« fragt Mel Farrow mit scharfer Stimme. »Vance«, keuchte der Monteur. »Vance liegt da draußen am Hangar. Ich glaube, er ist erschossen worden!« * Von einem ausgiebigen Lunch konnte überhaupt keine Rede sein. Agatha Simpson und Butler Parker waren zum Flugplatz von Ipswich gefahren und befanden sich auf jenem Teil des Geländes, der für das Militär reserviert war. Genauer gesagt, sie standen im Tower und verfolgten mit Interesse die Arbeit der Radarspezialisten. Oberst Thorne, ein schmaler und schlanker Mann von knapp fünfund-
dreißig Jahren, kam auf sie zu und nickte beruhigend. »Wir haben ihn im Radar«, sagte er. »Er versucht, 'raus auf die See zu fliegen. Wahrscheinlich will er 'rüber nach Belgien oder Holland, vielleicht noch weiter.« »Ich hoffe doch sehr, daß Ihre Leute dagegen etwas unternehmen«, meinte die Detektivin grimmig. »Baker darf nicht entwischen.« »Zwei Düsen sind bereits hinter ihm her«, antwortete Oberst Thorne lächelnd. »Er hat keine Chance. Sie werden ihn in wenigen Minuten stellen.« »Und dann abschießen?« wollte Lady Agatha wissen. »Aber nein.« Oberst Thorne schüttelte indigniert den Kopf. »Sie werden ihn zwingen, zurück zur Küste zu fliegen.« »Kann man denn das?« »Wir Flieger haben da unsere Tricks «, erklärte der Oberst. »Und Baker ist sicher kein Selbstmörder.« »Sie haben eine Möglichkeit übersehen, Sir«, ließ der Butler sich vernehmen. »Da bin ich aber gespannt.« Thorne gab sich überlegen. »Er wird nicht entwischen, verlassen Sie sich darauf!« »Mr. Baker könnte mit dem Fallschirm abspringen«, redete der Butler gemessen weiter. »Mit anderen Worten, Sir, er könnte seine Maschine dem Meer überantworten.« »Nun ja, dagegen können wir natürlich nichts unternehmen. Dann werden wir ihn aber herausfischen. Die Küstenwache ist längst informiert. Ein paar
Rettungshubschrauber stehen bereit. Die würden ihn übernehmen.« »Jedoch nicht das Material, das sich an Bord der Piper befinden dürfte, Sir.« . »Sie unterschätzen das Militär. Und Sie unterschätzen die Luftwaffe speziell.« Oberst Thorne schmunzelte. »Unter den Hubschraubern befindet sich auch ein Lastenträger, eine Art fliegender Kran. Mit etwas Glück werden wir die Piper bergen. Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen?« »Wenn er gut ist, Oberst.« Lady Simpson sah Thorne skeptisch an. »Gehen wir doch in die Messe«, meinte der Oberst. »Wir erfahren auch dort umgehend, wenn sich etwas Neues ereignet.« »Gegen einen Kreislaufbeschleuniger hätte ich nichts einzuwenden.« Agatha Simpson ging auf Thornes Vorschlag ein. Sie verließ mit Parker und dem Oberst den Tower und passierte wenig später die Reihe der Düsenjäger, die vor ihren Erdbunkern standen. »Wunderbar«, sagte sie andächtig. »Herrliche Kisten, nicht wahr? « fragte Thorne begeistert. »So was würde ich gern mal fliegen.« »Mylady«, murmelte der Butler leicht entsetzt. »Trauen Sie mir das etwa nicht zu?« Sie sah ihn grimmig an. »Jederzeit, Mylady«, gab Parker zurück und meinte genau das, was er sagte. »Ich fürchte nur, daß Mylady dazu niemals die erforderliche Erlaubnis erhalten werden.«
»Das denke ich allerdings auch.« Oberst Thorne, der die Lady nicht kannte, schüttelte den Kopf. »Darauf lasse ich es ankommen.« Agatha Simpson blieb vor einem zweistrahligen Jagdbomber stehen. »Ich glaube, ich werde mich darüber mal mit Archie unterhalten.« »Mit Archie Conters vom Kriegsministerium«, redete Lady Agatha wie selbstverständlich weiter. »Archie steht noch tief in meiner Schuld.« »Vielleicht läßt es sich ermöglichen, Mylady mal zu einem Gastflug einzuladen«, schlug Oberst Thorne beeindruckt vor. Diese resolute Dame schien ja einmalige Verbindungen zu haben! Sir Archie Conters vom Kriegsministerium war für Thorne bereits eine Art Halbgott. »Fluggast? Papperlapapp, junger Mann! Solch einen Vogel möchte ich selbst mal fliegen. Mr. Parker, erinnern Sie mich daran, daß ich Sir Archie anrufen muß!« »Sehr wohl, Mylady«, gab Parker zurück und nahm sich fest vor, dies auf keinen Fall zu tun. Er war froh, als in diesem Moment eine Lautsprecherdurchsage vom Tower erfolgte: Das Objekt war gestellt worden. Weiter hieß es, es sei auf Null gegangen. »Immer diese Geheimnistuerei«, beschwerte sich Lady Agatha grollend und wandte sich an Parker. »Was soll denn das schon wieder heißen?« »Mr. Baker hat es vorgezogen, Mylady, auszusteigen und seine Piper abstürzen zu lassen«, interpretierte der Butler die knappe Durchsage. »Hoffentlich sind damit
nicht alle Spuren und Beweisstücke vernichtet worden.« * Walt Baker war ein trockener Trainingsanzug zur Verfügung gestellt worden. Er saß auf einem Stuhl in Oberst Thornes Dienstzimmer und rauchte eine Zigarette. Er machte einen durchaus ausgeglichenen Eindruck und stritt gerade ab, mit Spionage je etwas zu tun gehabt zu haben. »Wie kommen Sie eigentlich auf diese verrückte Idee? « Er wandte sich an Butler Parker. »Ich habe einen ganz normalen Flug durchgeführt. Schön, ich habe vergessen, ihn bei der Luftaufsicht anzumelden, aber deswegen wird man mir ja nicht gleich einen Strick drehen wollen.« »Warum sind Sie so schnell losgeflogen, junger Mann?« grollte die ältere Dame. »Nach Higgins' Verletzung wollten Sie sich absetzen.« »Das ist doch Unsinn, Mylady! Ich wollte allein sein. Higgins ist ein guter Freund von mir. Ich wollte mir die Sache mit dem Luftgefecht durch den Kopf gehen lassen. Das ist aber auch alles. Und dann tauchen da plötzlich zwei Jäger auf und drücken mich 'runter aufs Wasser. Ich will Ihnen mal was sagen, Oberst, das wird noch Konsequenzen haben.« »Für Sie, Sir, in der Tat!« Parker nickte gemessen und auch zustimmend. »Sie wissen vielleicht noch nicht, daß Ihre Piper geborgen wurde.«
Walt Baker stutzte, sog an der Zigarette und hüllte sich erst mal in dichte Rauchschwaden. »Na und?« fragte er dann vorsichtig. »An Bord der Piper wurden interessante Objekte gefunden«, redete Parker weiter. » Na und ? « wiederholte Walt Baker gereizt. »Die Auswertung dieser Objekte, Mr. Baker, wird Sache der einschlägigen Spezialisten sein«, verhieß Parker gelassen. »Wieso wurde die Piper geborgen?« Walt Baker hatte sich endlich wieder gefangen und sichtlich unter Kontrolle. »Die Kiste soff doch vor meinen Augen ab. Mann, Sie wollen mir eine Falle stellen!« »Sie haben den sogenannten fliegenden Kran vergessen und wahrscheinlich auch nach Ihrem Fallschirmabsprung übersehen«, erklärte Butler Parker. » Kampftaucher, die von dem erwähnten fliegenden Kran absprangen, konnten eine Stahltrosse an der sinkenden Piper befestigen und sie dann bergen.« »Das glaube ich einfach nicht. Das ist ein fauler Trick!« Walt Baker rauchte wieder normal. »Aber die Masche war nicht schlecht, Mr. Parker, ehrlich!« »Falls es Ihnen nichts ausmacht, Mr. Baker, sollten Sie einen Blick durchs Fenster werfen.« Parker deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf eines der Fenster. »Ihrem Auge wird ein interessanter Ausblick nicht entgehen. «
Walt Baker zuckte die Achseln, erhob sich fast pomadig und lässig, ging ans Fenster und blieb dort ruckartig stehen. Vor einen der Erdbunker, in die man die Düsenjäger abzustellen pflegte, wurde gerade eine reichlich deformierte, zweimotorige Maschine geschoben; die auf einem Transportkarren stand. Sie glitzerte vor Nässe. Aus dem angebrochenen Rumpf rannen kleine Wasserrinnsale, sogar Tangstränge am Leitwerk waren nicht zu übersehen. Vor dem Erdbunker erhob sich ein Hubschrauber, den Parker gerade als fliegender Kran bezeichnet hatte. Er stieg steil nach oben, schwenkte zur Seite und verschwand dann hinter einer der übergroßen Hallen. »Also schön, optische Geräte wird man finden«, sagte Baker, sich zu Mylady, Parker und Thorne umwendend. »Und? Was beweist das schon?« »Die Güte der Optiken, die Qualität der Kameras und die Quantität der übrigen Zusatzgeräte werden das sprechen, Mr. Baker, was man gemeinhin Bände nennt.« »Sie wollten die ganze Spionageausrüstung wegschaffen, bevor die Polizei erschien«, schaltete Lady Simpson sich grimmig ein. »Nach Higgins' Verletzung war Ihnen klar, daß man sich mit ihm und seinem persönlichen Kram befassen würde.« »Wobei man davon ausgehen sollte, Mr. Baker, daß Sie nur ausführendes Organ waren«, übernahm Parker wieder das Gespräch. »Der leitende Kopf dürfte Mr. Higgins gewesen sein.«
»Aus mir bekommen Sie kein Wort heraus! Ich habe mit der ganzen Sache nichts zu tun. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, was sich in der Piper befand.« »Im Rahmen Ihrer Trainingsflüge mit den Veteranen aus dem ersten Weltkrieg fotografierten Sie in aller Ruhe die Küstenbefestigungen« , warf Oberst Thorne ihm vor. »Sie und Higgins. Und die zuständigen Dienststellen an der Küste kamen überhaupt nicht auf die Idee, wie genau das alles abfotografiert wurde. Wer vermutet in solchen Oldtimern schon modernstes optisches Gerät? Das aber war genau der Trick, mit dem Sie und Higgins gearbeitet haben.« »Dummes Zeug! Ich bin kein Spion!« » Sie haben den ganzen Küstenteil vermessen, fotografiert und alle Schiffsbewegungen registriert«, lautete die nächste Anklage von Oberst Thorne. »Das müssen Sie mir erst mal beweisen.« »Wer schoß Ihren Freund Pat Vance nieder, wenn man mal fragen darf?« erkundigte sich die Detektivin grimmig. »Vance ist erschossen worden?« wunderte sich Walt Baker, ohne große Aufregung zu zeigen. »Niedergeschossen, Sir«, meldete Josuah Parker sich wieder gemessen. »Achten Sie tunlichst auf diesen feinen Unterschied! Niedergeschossen! Mr. Pat Vance lebt erfreulicherweise noch. Er befindet sich im Hospital von Ipswich. Lebensgefahr besteht nicht.«
»Er kann niemals behaupten, daß ich ihn niedergeschossen hätte.« Jetzt war Baker sich seiner Sache sicher. Wahrscheinlich hatte er den Schuß aus dem Hinterhalt auf ihn abgefeuert. »Und warum hätte ich das überhaupt tun sollen? Wollen Sie mir dafür mal eine Erklärung geben?« »Er folgte Ihnen, als Sie zum Hangar gingen. Er war mißtrauisch Ihnen und Higgins gegenüber.« Agatha Simpson war gereizt. Für ihre Begriffe zeigte Baker sich doch reichlich verstockt. »Reine Vermutungen, Mylady, die Sie niemals beweisen können. Ich bin unschuldig. Und ich werde klagen, darauf können Sie sich verlassen. Hier wird doch eindeutig eine Intrige gegen mich gesponnen.« »Und was, wenn man fragen darf, verbrannten Sie in einer der Mülltonnen neben dem Hangar?« Josuah Parker fragte ganz beiläufig, doch Walt Baker wurde sofort wieder hellhörig. »Verbrennen? Mülltonne?« »Sie räumten Ihren und Mr. Higgins' Spind im Umkleideraum des Veteranenclubs aus«, zählte Parker weiter auf. »Sie warfen gewisse Dinge in einen Karton, trugen ihn zu einer der Mülltonnen und zündeten alles an.« »Wer hat mich denn da wieder belauert? Etwa Vance?« »Mr. Vance war zu diesem Zeitpunkt bereits erheblich verletzt«, meinte Parker. »Er war es nicht.« »Was ich verbrannt habe? Na ja, Plunder, der sich so angesammelt hatte. Das hatte ich mit Higgins verabredet.«
»Von Plunder, Mr. Baker, kann keine Rede sein«, sagte Josuah Parker. »Dieser angebliche Plunder konnte sichergestellt werden. Das Feuer, das Sie beim Überfliegen der Mülltonnen sahen, brannte in einem anderen Blechbehälter.« »Mann, können Sie Märchen erzählen«, belustigte sich Baker mühsam. »Und wer hat den Plunder gerettet?« »Eine gewisse Miß Kathy Porter, die Sie unter dem Namen Judy Gander kennen«, schloß Josuah Parker. »Miß Porter ist die Sekretärin und Gesellschafterin von Lady Simpson, um genau zu sein. Sie wird in der nächsten halben Stunde hier erscheinen und den mehrfach erwähnten wertlosen Plunder aus der Mülltonne präsentieren.« * Wo sie sich befand, wußte sie nicht. Der Raum, in dem sie wach geworden war, zeichnete sich durch Nässe und Enge aus. Es handelte sich um einen winzigen Verschlag, in dem es stockfinster war. Sie hörte sich nur schwer atmen, sonst aber drang kein Geräusch in diesen Betonverschlag. Kathy Porter richtete sich auf und lehnte sich gegen eine der feuchten Wände. Sie ordnete ihre Gedanken, massierte sich den Hals und ärgerte sich. Trotz aller Vorsicht mußte sie sich irgendwie verraten haben. Man hatte also ihre Doppelrolle durchschaut und sie matt gesetzt. Wie das
passiert war, wußte sie nur in groben Umrissen. Nach der Meldung des Monteurs, man habe Fluglehrer Pat Vance angeschossen aufgefunden, hatte die Bar sich natürlich schlagartig geleert. Kathy war zurückgeblieben, um den günstigen Zeitpunkt zu nutzen. Sie war hinüber in eines der Häuser gelaufen, in denen Higgins, Baker und Vance wohnten. Sie hatte die Absicht gehabt, sich diese Räume schnell' und gründlich anzusehen. Dann war es in Higgins' kleiner Wohnung passiert: Beim Durchsuchen seines Kleiderschranks hatte sie ein Geräusch hinter sich gehört, war sofort herumgefahren und dann blitzschnell niedergeschlagen worden. Sie konnte sich nur noch vage an das Gesicht des Mannes erinnern, der sie geschafft hatte: Dieser Mann hatte einen Schnauzbart getragen und war vielleicht fünfzig Jahre alt gewesen. Mehr bekam sie einfach nicht zusammen. Nun saß sie also ganz schön in der Tinte. Sie richtete sich ein wenig auf, tastete mit den ausgestreckten Armen und Händen die engen Betonwände ab und setzte sich wieder nieder. Die kleine Tür, die sie entdeckt hatte, befand sich über ihr. Es handelte sich wahrscheinlich um eine Einstiegluke, die aber ganz eindeutig aus schwerem Gußstahl bestand. Diese Luke war natürlich noch zusätzlich gesichert worden. Sie hatte sich nicht um einen einzigen Millimeter anheben lassen.
Sie konnte nur warten. Und sie konnte nur auf einen gewissen Butler Parker setzen, bei dem sie sich immerhin angekündigt hatte. Die ganze Zeit über hatte sie mit ihm in Verbindung gestanden. Vor ihrem Einsatz als Barfrau in der Flugschule war sie von Josuah Parker natürlich entsprechend ausgestattet worden. Die wechselseitigen Informationen waren über ein winziges Funksprechgerät erfolgt, das jedoch über eine große Leistungsstärke verfügte. Dieses technische Wunderding stand ihr jetzt aber leider nicht zur Verfügung. Es befand sich in ihrem Zimmer, war eingebaut in ihrer Puderdose. Ganz wehrlos war Kathy Porter natürlich nicht. Abgesehen davon, daß sie sich in allen Künsten der Selbstverteidigung bestens auskannte, trug sie immerhin noch ihre Schmuckkette aus großen Holzperlen, ihren Ring und die beiden Ohrclips, die farblich zur Perlenkette paßten, alles völlig harmlos aussehende Kleinigkeiten, die es allerdings in sich hatten. Sie zweifelte übrigens nicht einen Moment daran, daß Higgins inzwischen abgefangen worden war. Seine überhastete Flucht hatte sie via Puderdose an Butler Parker weitergeleitet. Kathy Porter hob lauschend den Kopf, als sie dumpfe Schritte über sich auf dem Beton hörte. Wenig später scharrte Metall über den gußeisernen Abschlußdeckel ihrer engen Zelle. Dann fiel grelles Licht nach unten und blendete sie.
»Los, heraus!« forderte eine harte Stimme, die sie noch nie gehört hatte. »Ich... Ich kann nicht«, gab sie gekonnt kläglich zurück. »Ich ... Ich kann nicht.« Eine Hand streckte sich nach unten, die von Kathy nur zu gern ergriffen wurde. Dabei verdrehte sie geschickt ihren Schmuckring nach innen in die Richtung Handfläche. Ein kleiner, spitzer Dorn sprang automatisch aus der Umfassung, die den Talmistein umschloß. Oben fluchte eine Männerstimme verhalten. Der leichte Einstich des nadelspitzen Dorns war verspürt worden. Dann wurde Kathy Porter aus der engen Betonzelle nach oben geliftet und sah sich einem etwa fünfzigjährigen Mann gegenüber, der einen Schnauzbart trug. Dieser Mann bedrohte sie mit einer Handfeuerwaffe, auf deren Mündung sich ein Schalldämpfer befand. »Wer ... Wer sind Sie?« fragte Kathy Porter gespielt ängstlich. »Keine dummen Fragen, Mädchen! Los, 'rüber zum Wagen!« Er deutete auf einen kleinen Morris, der nicht weit von einem Drahtzaun entfernt auf einem Feldweg stand. Kathy Porter orientierte sich blitzschnell. Sie befanden sich am westlichen Ende des ehemaligen Feldflugplatzes, wo diese Anlage besonders verwildert war und von den Gebäuden her überhaupt nicht eingesehen werden konnte. »Haben Sie mich niedergeschlagen?« fragte Kathy, die gehorsam neben dem Schnauzbart ging.
»Klappte tadellos, wie?« Er grinste mühsam. Irgendwie war der Mann plötzlich nicht mehr ganz in Ordnung. Das leichte Lähmungsgift an der Dornspitze des Rings tat bereits seine Wirkung. »Warum haben Sie mich denn niedergeschlagen?« fragte Kathy und blieb stehen, womit der Schnauzbart durchaus einverstanden war. Er fühlte eine Seltsame Schwäche in sich aufsteigen. Etwas Ruhe, so dachte er wohl, konnte nicht schaden. »Wer hat denn in den Mülltonnen geschnüffelt?« fragte der Schnauzbart zurück, wobei er nach Luft schnappte. »Und wer hat in Higgins' Wohnung spioniert? Darüber werden wir uns mal unterhalten.« »Das war doch alles ein Mißverständnis«, behauptete Kathy Porter und beobachtete den Schnauzbart, der inzwischen schon taumelte. Die Schußwaffe war ihm längst viel zu schwer geworden. Er hatte den Arm sinken lassen. Die Mündung zeigte zu Boden. Der Mann schielte sie eigentlich nur noch an. Er wollte etwas sagen, doch dazu reichte es nicht mehr. Er fiel plötzlich auf die Knie, sackte seitlich weg und blieb dann auf dem Boden liegen. * »Mein Kompliment«, sagte Oberst Thorne zu Butler Parker. »Ihr Vorschlag war ausgezeichnet.«
»Wir haben immer gute Ideen«, schaltete Lady Agatha sich schnell ein. »Das Kompliment gilt selbstverständlich auch Ihnen, Mylady.« Oberst Thorne bekam einen roten Kopf. »Damit dürfte der Spionagefall erledigt sein«, stellte Josuah Parker fest. »Sind Sie mit dem umfassenden Geständnis des Mr. Baker zufrieden, Sir?« »Natürlich ist er zufrieden.« Lady Simpson war noch immer ein wenig verärgert darüber, daß Thorne zuerst dem Butler ein Kompliment gemacht hatte. »Was die gesamte Abwehr nicht geschafft hat, haben wir praktisch im Vorbeigehen erledigt.« »Dem kann ich nur zustimmen, Mylady.« Oberst Thorne bemühte sich nun sehr um Lady Simpson. »Fast geniert man sich ja, solch einen Mini-Spionagefall zu lösen«, redete Lady Agatha weiter. »Ich begreife nicht, wie man diese Subjekte in aller Ruhe fotografieren läßt.« »Die Tarnung war eben ausgezeichnet«, meinte Thorne vorsichtig. »Falsche Kameraderie«, rügte die Detektivin. »Weil diese Herren Agenten mit Veteranen in der Luft herumkurvten und angeblich die Tradition hoch hielten, wurden immer wieder Augen zugedrückt, wenn sie die Sperrbezirke überflogen. Sir Archie wird von mir einiges zu hören bekommen.« »Vergessen Sie bitte nicht, unsere gute Zusammenarbeit zu erwähnen«, bat Oberst Thorne.
»Weil Sie diesen Trümmervogel auf meinen Wunsch so herrichteten, daß Baker getäuscht wurde und glaubte, es sei seine Piper gewesen?« Agatha Simpson lachte verächtlich. »Die Illusion war immerhin vollkommen«, stellte Josuah Parker fest. »Wird man die echte Piper, Sir, die leider in den Fluten der Nordsee versank, noch bergen können?« »Die Marine wird sich darum kümmern. Die Aussichten einer Bergung sind gut, wie ich hörte.« »Hoffentlich muß ich nicht auch noch dieses Wrack bergen«, grollte die ältere Dame. »Sie werden jetzt zurück nach London fahren?« erkundigte sich Oberst Thorne. »Wo denken Sie hin, junger Mann?« Sie sah ihn fast empört an. »Ihr Spionagefall war nur so etwas wie Beiwerk. Ich bin hinter einem ganz anderen Fall her.« »Tatsächlich, Mylady?« Oberst Thorne war mehr als beeindruckt. Butler Parker schluckte diese Behauptung, ohne eine Miene zu verziehen. Er kannte seine Herrin inund auswendig. Sie behauptete stets munter immer gerade das, was ihr paßte. »Wir sind einem internationalen Schmugglerring auf der Spur«, verkündete Lady Agatha. »Und auch der steht dicht vor dem Abschuß, um in Ihrer Sprache zu reden, junger Mann.« »Wann ist mit dem Erscheinen Ihrer Sekretärin zu rechnen?« fragte Thorne. »Ich denke da an das belastende Material. Oder war der Hinweis darauf auch nur eine Finte, um Baker zu verunsichern?«
»Dieses Material existiert, Sir.« Parker nickte beruhigend. »Ich erlaube mir allerdings auch, ein wenig Erstaunen darüber zu empfinden, daß Miß Porter noch nicht eingetroffen ist.« »Sie müßte wirklich längst hier sein.« Agatha Simpson zeigte Unruhe. »Wenn Sie erlauben, Mylady, werde ich zum Wagen gehen und versuchen, eine Verbindung herzustellen.« »Sie stehen mit Ihrer Sekretärin in Verbindung?« wunderte sich Thorne höflich. »Was dachten denn Sie? Unsere Aktionen sind immer aufeinander abgestimmt, Oberst. Daran sollte das Militär sich mal ein Beispiel nehmen. Warten Sie, Mr. Parker, ich werde selbstverständlich mitkommen!« Lady Simpson und Butler Parker verabschiedeten sich von einem sehr beeindruckten, erleichterten und gleichzeitig auch völlig verwirrten Oberst Thorne, verließen das Stabsgebäude und begaben sich zum Parkplatz, wo Parkers hochbeiniges Monstrum stand. Der Butler entdeckte sofort den Briefumschlag, der unter einem der Scheibensicher festgeklemmt worden war. Er löste ihn aus der Halterung, öffnete den Umschlag und überflog die wenigen Zeilen, die auf einem Stück Papier standen. Dann reichte er die Mitteilung an Lady Simpson weiter. »Miß Porter«, sagte er dazu gemessen und ohne jede Aufregung, »Miß Porter, Mylady, befindet sich in der Hand der Heroinschmuggler.
Sie ist leider enttarnt worden, wie es so treffend heißt. Man wünscht Mylady und meine bescheidene Person an einem bestimmten Punkt zu sehen, falls Miß Porter überleben soll.« * »Wo ist die Alte?« fragte Steve Ralston knapp. Butler Parker war an dem im Brief vereinbarten Treffpunkt erschienen und lüftete höflich seine schwarze Melone. Er stand neben dem hochbeinigen Monstrum, dessen Fahrertür weit geöffnet war. »Mylady läßt sich entschuldigen«, antwortete Parker. Mylady leidet an einer Herzattacke. Darf ich davon ausgehen, daß Sie sich mit meiner bescheidenen Wenigkeit begnügen?« Der Koch aus dem Wirtschaftsbetrieb der Flugschule sah gar nicht mehr treuherzig aus. Er hielt einen kurzläufigen Revolver in der rechten Hand, doch er benutzte ihn wahrscheinlich nur zur Dekoration. »Verdammt, das wird der Boß aber gar nicht mögen«, erwiderte der Koch, der jetzt einen einfachen Jeansanzug trug. Er schien einen Moment ratlos zu sein. »Darf ich fragen, wie es Miß Gander geht?« Parker benutzte den Tarnnamen von Kathy Porter. »Die lebt«, sagte Steve Ralston. »Also los, kommen Sie!« »Wir benutzen nicht meinen Wagen?« »Nee, wir haben es nicht weit.« Steve Ralston grinste. »Wir gehen da rüber zu der Strauchreihe.«
»Hinter der sich das Gelände des Flugplatzes befindet?« »Sie merken aber auch alles.« Steve Ralston sah Parker gereizt an. »Na, worauf warten Sie eigentlich noch?« Parker folgte dem Koch. Sie arbeiteten sich durch mannshohes Unkraut, durch Sträucher und Büsche, bis sie den schadhaften Zaun des Flugplatzgeländes erreicht hatten. Sie schlüpften durch eine Lücke im Zaun und gingen dann zu einem Erdwall, der hinter der Tragfläche einer Maschine zu sehen war. »Sie beabsichtigen, mit meiner bescheidenen Person einen Rundflug zu unternehmen?« fragte Parker. »Ich nicht, der Boß!« Ralston grinste. »Und Miß Gander?« »Sehen Sie dann anschließend.« Parker blieb seitlich vor der Maschine stehen, deren hohes, stelzenartiges Fahrwerk ihr das Aussehen eines Storches verlieh. Solche Flugzeugtypen waren dem Butler nicht ganz unbekannt. Im Zweiten Weltkrieg wurden sie für die Artilleriebeobachtung verwendet. Sie zeichneten sich durch Langsamflug aus und brauchten nur kurze Pisten, um starten und landen zu können. »Steigen Sie ein«, forderte Ralston ihn auf. »Und der Pilot?« »Ist hier!« Hinter dem Rumpf der Maschine erschien ein großer, schlanker Mann, der Parker zunickte. »Sie sehen mich ratlos«, sagte Parker.
»Ich bin Mel Farrow«, stellte der Mann sich lächelnd vor. »Ihr Spitzel muß meinen Namen doch längst durchgegeben haben, oder? « »Sie sprechen von Miß Gander?« »Oder wie sie heißen mag.« Mel Farrow, der Manager des Flughafenrestaurants, winkte desinteressiert ab. »Sie laden mich zu einem Rundflug ein?« »Sie müssen nicht mit in die Luft«, sagte Farrow. »Aber in dem Fall, wird es der Kleinen nicht besonders gut gehen. Das begreifen Sie doch.« »Betrachten Sie mich als Ihren Gast.« »Dann hüpfen Sie mal in die Maschine. Halt, vorher noch die Handschellen, Ralston!« »Sie trauen meiner bescheidenen Person offensichtlich nicht.« »Hände 'rüber!« Ralston ließ Handschellen um Parkers Gelenke klicken. »Darf ich meinen Schirm behalten?« Parker lächelte höflich. »Aus einer gewissen Tradition heraus möchte ich nicht auf ihn verzichten.« »Behalten Sie das Ding von mir aus«, erwiderte Mel Farrow leichtsinnigerweise. »Vielleicht können Sie ihn mal als Fallschirm verwenden.« »Ein guter Hinweis, für den ich mich bedanken möchte.« Parker stieg in den storchenähnlichen Hochdecker und nahm Platz auf dem vorderen Sitz. »Schnapp dir seinen Wagen, erledige die Alte im Hotel und komme dann rüber zum vereinbarten Treffpunkt«, rief Mel Farrow seinem
Mitarbeiter zu. »Und paß auf! Die Alte ist tückisch!« Steve Ralston nickte und trat zur Seite. Mel Farrow, der Clubmanager, schwang sich in die leichte Maschine, ließ den Motor an und wartete, bis die richtige Drehzahl erreicht war. Dann rumpelte der »Storch« ein wenig schwerfällig über die Grasnarbe, erreichte eine Art Aschenbahn und befand sich schon nach kurzem Anlauf in der Luft. Butler Parker war natürlich klar, daß er umgebracht werden sollte, doch er bewahrte Ruhe und Gelassenheit, wie es einem Butler ziemte. Noch war das letzte Wort in Sachen Mord nicht gesprochen. * Steve Ralston trabte den Weg zurück zum hochbeinigen Monstrum des Butlers. Er hatte von seinem Boß Mel Farrow zwar klare Anweisung erhalten, doch er dachte nicht im Traum daran, einen Mord zu begehen. Schön, er hatte bisher mitgespielt und war ein kleines Rädchen im Getriebe der Schmugglerorganisation gewesen, doch Mord war nichts für ihn. Damit wollte er nichts zu tun haben. Nach der »Enttarnung« dieser Judy Gander hatte er seine Pläne geändert. Die Enttäuschung hatte er inzwischen geschluckt. Nur zu gern hätte er gerade mit dieser Gander irgendwo ein neues Leben begonnen, doch vielleicht war es besser, ganz allein auf sich gestellt zu sein. So
konnte er in Zukunft wenigstens nicht verraten werden. Er wollte das große Geschäft seines Lebens auf eigene Rechnung machen. Dazu hatte er sich inzwischen durchgerungen. Die Organisation hatte eine Schlappe nach der anderen erlitten und bestand eigentlich nur noch aus Farrow, ihm und diesem Burschen aus der Schiffsausrüsterfirma, den er nur vom Sehen kannte. Mit diesem Typ würde er schon fertig werden, da machte er sich keine Sorgen. Steve Ralston hatte Parkers Privatwagen erreicht, setzte sich ans Steuer und kam sich plötzlich ratlos vor. Die Menge der Kipphebel, Schalter und Knöpfe auf dem mehr als großen Armaturenbrett verwirrte ihn sichtlich. Er fragte sich, wozu all diese Dinge wohl dienen mochten. »Worauf warten Sie noch, junger Mann?« hörte er plötzlich eine barsche und grollende Stimme hinter sich. Er fuhr herum und sah sich einer grimmig dreinschauenden älteren Dame gegenüber, die ihn mit funkelnden Augen maß. Ralston wollte verständlicherweise nichts mit ihr zu tun haben. Er stieg hastig aus, griff nach seinem Revolver und sah plötzlich knapp vor sich einen perlenbestickten Handbeutel, wie ihn ältere Damen immer noch gern verwenden. Dieser Pompadour, wie er in der Modefachsprache heißt, knallte nachdrücklich gegen seine Stirn. Steve Ralston hatte das Gefühl, von einem auskeilenden Pferdehuf getroffen zu werden. Er verdrehte lustvoll die Augen, stieß ein dumpfes Knurren aus und sank ins Gras. Er
war bereits ohnmächtig, bevor er es sich bequem machen konnte. »Lümmel!« sagte die Detektivin und stampfte auf ihn zu. Sie nahm den Pompadour hoch, in dem sich tatsächlich ein echtes Hufeisen befand, richtete den jungen Koch auf und ohrfeigte ihn, bis er sein Bewußtsein zurückerlangt hatte. »Wo ... Woher kommen Sie denn?« stotterte Steve Ralston benommen. »Ich war im Wagen. Auf dem Rücksitz.« Lady Simpson maß ihn grimmig. »Und nun keine Faxen, junger Mann! Ich bin ärgerlich. Und wenn ich ärgerlich bin, verliere ich leicht die Fassung. Und wenn ich die Fassung verliere, kenne ich mich nicht mehr.« Steve Ralston hatte sich inzwischen etwas erholt und wollte das Blatt noch mal wenden. Er drückte sich hoch und warf sich auf Lady Simpson. Er wollte sie auf eine brutale Art niederschlagen. Das Hufeisen im Pompadour knallte gegen seinen Solarplexus. Steve Ralston kickste auf, verbeugte sich tief und höflich vor der resoluten Dame, handelte sich einen zweiten Schlag ein und legte sich dann zu Myladys Füßen nieder. Dann schnappte er für längere Zeit verzweifelt nach Luft. »Ich bin dabei, die Fassung zu verlieren«, verkündete die grollende Stimme der älteren Dame. »Sagen Sie ganz schnell, was Sie wissen! Wohin wird Mr. Parker gebracht? Und wohin sollen Sie fahren? Gleich kenne ich mich nicht mehr!« Steve Ralston war längst zu der Erkenntnis gekommen, daß seine
bejahrte Gegnerin nicht scherzte; Er verzichtete innerhalb weniger Sekunden auf sein geplantes Millionengeschäft und weihte Mylady in seine kleinen Geheimnisse ein. »Mr. Parker soll über der See abgeworfen werden?« fragte Agatha verärgert, als Ralston diesen speziellen Punkt erwähnte. »Was denkt dieses Subjekt Farrow sich eigentlich? Schade, sehr schade, daß ich nicht in der Maschine sitze! Diesem Lümmel würde ich schon einheizen!« * »'raus!« sagte Mel Farrow und richtete den Lauf seiner Waffe auf Butler Parker. »Aussteigen, Parker! Ich gebe Ihnen eine winzige Chance, mehr aber auch nicht.« »Muß ich dahingehend interpretieren, daß ich ohne Fallschirm abspringen soll?« erkundigte Parker sich gemessen. Die Unterhaltung in der geschlossenen Kabine war zwar ein wenig mühsam, weil der Lärm des Motors laut war, doch man verstand sich immerhin. »Springen sie 'raus«, wiederholte Farrow. »Die Wasseroberfläche wird der von Beton gleichen, wenn ich aufschlage«, stellte Parker fest. »Ihr Problem! Warum mußten Sie auch hinter uns herschnüffeln!« »Warum haben Sie mich nicht gleich auf dem Flugplatz umgebracht?« »In der Nordsee wird man Sie nicht finden.«
»Ich werde Ihrem Wunsch entsprechen«, schickte der Butler voraus. »Darf ich vorher noch eine Frage äußern?« »Von mir aus! Wir haben Zeit.« Mel Farrow lächelte amüsiert. »Sie bergen mit dieser Maschine die Blechkanister, wie ich vermute?« »Gut geschaltet.« Farrow nickte. »Sie enthalten das Heroin, wie ich weiter vermute?« »Die Kanister werden von einem Kutter draußen auf See ausgesetzt«, sagte Mel Farrow. »Außerhalb der Meilenzone. Und ich fische sie dann auf und bringe sie an Land.« »Ein ungewöhnliches, gleichzeitig aber auch raffiniertes Verfahren«, stellte Parker fest. »Dazu also diese antennenähnlichen Stäbe mit den Drahtschlaufen, wenn ich nicht sehr irre?« »Am Heck der Maschine lasse ich eine Art Angelhaken heraus«, redete Mel Farrow genüßlich weiter. »Damit fische ich nach den Drahtschlaufen und ziehe dann die Kanister an Bord.« »Und in Ihnen darf und muß ich den Leiter dieser Organisation sehen?« »Hoffentlich paßt Ihnen meine Nase, Parker. So, aber jetzt genug gequatscht. Steigen Sie aus! Nutzen Sie Ihre Chance! Sie haben ja Ihren Regenschirm bei sich. Versuchen Sie mal, ob er als Fallschirm was taugt.« »Wie denken Sie darüber, Miß Gander?« fragte Parker und schaute an Farrow vorbei nach hinten in die kleine Kabine. »Mann, ich breche in Tränen aus.« Mel Farrow grinste. »Mit solch
einem uralten Trick wollten Sie mich hereinlegen? Sie enttäuschen mich!« »Nun denn«, sagte Parker. »Dann werde ich wohl aussteigen müssen.« Er erhob sich von seinem Sitz und war sich bewußt, daß Mel Farrow ihn keinen Moment aus den Augen ließ. Farrows Lächeln war tückisch und grausam geworden. Natürlich hatte der Butler nicht die Spur einer Chance. Der Mann war bereits so gut wie tot. Als Parkers schwarz behandschuhte Hand nach dem Knebelgriff der schmalen Kabinentür langte, spürte Mel Farrow einen scharfen Luftzug am Hals, spürte einen stechenden Schmerz im Nacken und sackte haltlos in sich zusammen. »Herzlichen Dank, Miß Porter«, rief Parker der Sekretärin seiner Herrin zu und lüftete hochachtungsvoll die schwarze Melone. »Hoffentlich war es im Rumpf der Maschine nicht zu eng.« »Lady Simpson hätte mehr Schwierigkeiten gehabt als ich«, antwortete Kathy Porter. »Wer von uns übernimmt nun die Maschine, Mr. Parker? Ich habe den Eindruck, daß sie inzwischen ziemlich steil nach unten wegsackt.« * »Du lieber Himmel, sind Ihre Nerven aber schwach«, wunderte sich Agatha Simpson und sah ChiefInspektor Broken kopfschüttelnd an. »Können Sie sich denn nicht beherrschen?«
»Ich verstehe Ihre Ruhe nicht«, wunderte sich Broken und wischte sich über die schweißnasse Stirn. »Wer sagt Ihnen denn, daß Mr. Parker es schaffen wird? Er ist immerhin mit dem Boß der Bande in der Maschine. Und er trägt Handschellen! Und er soll über See abspringen!« »Sie kennen Mr. Parker nicht«, antwortete Lady Simpson gelassen. »Solche Dinge sind eine Kleinigkeit für ihn.« »Und Miß Porter ist verschwunden«, erinnerte ChiefInspektor Broken noch zusätzlich. »Sie hat seit Stunden kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben.« »Sie kennen Miß Porter nicht«, wiederholte die Detektivin leichthin. »Natürlich ist ihr nichts passiert.« »Und wer sagt Ihnen, daß dieser Ralston nicht gelogen hat?« Broken beschäftigte sich wieder mit seiner Stirn. »Wie soll denn hier eine Maschine überhaupt was gezielt abwerfen können? Der Platz ist ja nicht größer als eine Rasenbleiche!« »Sie kennen mich nicht, junger Mann.« Agatha Simpson schmunzelte. »Er hat die Wahrheit gesagt, verlassen Sie sich darauf! Er weiß inzwischen aus Erfahrung, wie unbeherrscht ich sein kann. Ich habe ... Moment, hören Sie denn nichts? Haben Sie Watte in den Ohren?« »Ein Flugzeug!« Brokens Stimme wurde unwillkürlich leise. »Natürlich ein Flugzeug. Und dort ist die Maschine auch schon zu sehen.« Der kleine, schwarze Punkt wurde größer. Er kam über das
Sumpfgebiet, flog sehr schnell und entpuppte sich dann als Hochdecker, der fast gemächlich heranschnurrte, einige Kreise flog und dann nacheinander drei Blechkanister über der Wiese abwarf, die sich hier im Moor befanden. »Das sieht aber leider nach einer Panne aus«, meinte Broken. »Hätten wir doch nur die Luftwaffe eingeschaltet.« Die drei Kanister sprangen wie träge Bälle über die Wiese, überschlugen sich, sprangen wieder hoch und landeten dann seitlich von der Wiese im morastigen Gelände. »Sie landet ja!« Broken richtete sich auf. Es war ihm nicht bewußt, daß er damit sein Versteck aufgab, in dem er sich zusammen mit Mylady und seinen Beamten befand. »Und zwar sehr schlecht«, urteilte Lady Simpson fachmännisch. »Das sieht ganz nach Mr. Parker aus. Er war schon immer ein schlechter Pilot.« »Sie glauben, daß Mr. Parker ...?« »Das sieht man doch. Nun, es wird Zeit, daß ich ihm ein paar Flugstunden gebe. Das ist ja direkt blamabel.« Nun, elegant war die Landung der kleinen Maschine gewiß nicht zu nennen, doch das hing mit dem Minilandeplatz zusammen. Der »Storch« rollte auf einem Rad über die Wiese, drehte sich und rutschte schließlich in den Morast. Mylady hatte das Versteck längst verlassen und marschierte auf die Maschine zu, die nicht weit von ihr stand. Die Kabinentür öffnete sich, und Kathy Porter und Butler Parker
stiegen aus. Parker lüftete seine schwarze Melone. »Mylady mögen die kleine Verspätung entschuldigen«, sagte er dann. »Miß Porter und meine bescheidene Wenigkeit konnten nicht umhin, drei Heroinkanister aus der See zu bergen. Mr. Farrow war so gütig, uns die bewußte Aufnahmestelle zu verraten.« »Kathy, ich glaube es einfach nicht.« Agatha Simpson schloß ihre Sekretärin fest in die Arme und tätschelte ihr den Rücken. »Kindchen, ich habe mir fast Sorgen um Sie gemacht.« »Sir, Mr. Farrow steht zu Ihrer Verfügung«, meinte der Butler, sich an Chief-Inspektor Broken wendend. »Er ist, wie Sie ja sicher inzwischen wissen, der Chef der Heroinschmuggler.« »Ich... Ich glaube es immer noch nicht«, sagte Broken und schaute den Butler, dann Mylady und schließlich Kathy Porter andächtig an. »Miß Porter war so gütig, meine Bemühungen hilfreich zu unterstützen«, erläuterte der Butler. »Sehr brav, Kindchen.« Mylady freute sich. »Und wo haben Sie die ganze Zeit gesteckt?« »Zuerst in einem Betonschacht, dann im Rumpf der Maschine«, gab Kathy Porter zurück. »Richtig, Chief-Inspektor, aus diesem Schacht können Sie noch ein Bandenmitglied bergen. Der Mann wird sich sicher freuen.« »Dieser Schnauzbart etwa?« wollte die ältere Dame wissen. »Er muß längst aus seiner Ohnmacht erwacht sein«, gab Kathy Porter zurück und deutete auf ihren
Ring. »Von Ralston wußte ich, daß heute der letzte Coup der Schmuggler gelandet werden sollte. Darum kroch ich in den Rumpf der Maschine, Mylady. Meine Puderdose befand sich leider in meinem Zimmer, ich konnte nicht an sie heran.« »Puderdose?« fragte Broken, der überhaupt nichts verstand. »Stören Sie gefälligst nicht«, raunzte Lady Agatha ihn an. »Parkers Auftauchen war eine Überraschung für Sie, Kindchen?« »Und wie!« Sie lachte. »Auch meine bescheidene Person erlebte den Moment solch einer Überraschung«, schaltete Josuah Parker sich ein. »Miß Porter erwies sich als ausgesprochen hilfreich, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Dann wird dieses Subjekt Farrow seine Überraschung erleben«, meinte die Detektivin und marschierte zu dem >Storch<. »Ich habe nicht vergessen, daß man einen Tieffliegerangriff auf mich ausführte. Nun will ich wissen, wer das veranlaßt hat.« »Mylady brauchen keine diesbezüglichen Fragen zu stellen«, sagte Butler Parker. »Mr. Farrow war während des Heimflugs bereits so freundlich, diese Frage zu klären: Die Maschine stammt von den Zulieferern aus Belgien. Mr. Farrow hat sie eiligst bestellt, nachdem ihm zugetragen worden war, daß Mylady sich auf dem Flugplatzgelände befanden. Mr. Farrow war wohl gleich der richtigen Ansicht, daß ihm Ärger in jeder erdenklichen Form drohte.« »Dann gehört dieses Subjekt jetzt Ihnen«, antwortete Lady Agatha und
»Ich werde mir Mühe geben«, versprach Butler Parker und tauschte mit der amüsiert dreinschauenden Kathy Porter einen schnellen Blick. »Worauf warten Sie noch?« wollte Lady Agatha wissen. »Es wird langsam dunkel. Fahren wir zurück nach London. Dort ist wenigstens noch etwas los!«
nickte Broken zu. »So, und nun, Mr. Parker, sollten wir uns endlich mal um einen richtigen Kriminalfall kümmern.« »Wie Mylady meinen und wünschen.« »Einen, der aufregend ist«, ergänzte Lady Agatha.
ENDE
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Red. Hinweis: Der heutigen in der Schweiz verbreiteten Auflage ist ein interessanter Prospekt des Instituts Mössinger, Fernschule in Zürich, beigelegt, den wir der Aufmerksamkeit unserer Leser empfehlen.
Günter Dönges schrieb für Sie den nächsten
Nr. 163
PARKER trotzt dem weißen Hai Es war schon eine schreckliche Überraschung, als an der englischen Südwestküste plötzlich ein Hai auftauchte, der sich auf ahnungslose Badegäste spezialisiert zu haben schien. Er war mörderisch wie jener weiße Hai, den der Film zeigte. Er griff alles an, was sich bewegte, doch er verschwand wie durch Zauberei, wenn die zuständigen Ferienmanager Bargeld einzahlten. Dieser seltsame weiße Hai schien immer dann zahm zu werden, wenn man sich gewissen Bedingungen beugte. Butler Parker und Lady Simpson erfuhren unter seltsamen Umständen von diesem Hai und verwandelten sich augenblicklich in sonnenhungrige Ferien- und Badegäste. Parker konnte der Versuchung nicht widerstehen, sich mit diesem Hai anzulegen und ging damit ein lebensgefährliches Risiko ein. Lady Simpson war natürlich wieder mal für ungewöhnliche Methoden und wurde prompt als Nachtisch für diesen Mordhai auserkoren... Günter Dönges legt einen neuen Parker-Krimi vor, in dem sich Hochspannung und Humor die Hand reichen. Sie sollten diesen neuen Parker-Krimi auf keinen Fall versäumen. Er garantiert Stunden echter Entspannung. Als Neuauflage erscheint Butler Parker Nr. 131
PARKER und der Sex-Report ebenfalls von Günter Dönges