Mylady tauft die Gangster Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges »Eine bemerkenswerte art...
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Mylady tauft die Gangster Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges »Eine bemerkenswerte artistische Leistung, Mr. Parker, oder sollten Sie etwa anderer Ansicht sein?« Lady Agatha Simpson, eine ausgesprochen würdevolle und stattliche Erscheinung, irgendwie an die Walküre einer Wagner-Oper erinnernd, sah hinauf zu den schier endlosen Etagen eines Bürohochhauses am Themseufer. »Ich möchte mich nicht erkühnen, Myladys Ansicht in Zweifel zu ziehen«, erwiderte Josuah Parker. Mittelgroß, nicht gerade mager, ein Mann undefinierbaren Alters, ein Butler, wie man ihn nur noch auf der Bühne und in einschlägigen Filmen zu sehen bekommt. Alles an ihm war perfekt und von gemessener Höflichkeit. Er war selbstverständlich erheblich anderer Meinung als seine Herrin. Das, was sich Myladys und seinen Augen bot, entsprach keineswegs dem gehobenen Leistungsstand, wie er unter den Kuppeln international renommierter Zirkuszelte gezeigt wurde. Das dort oben in der achtzehnten Etage des Bürohochhauses war geradezu sensationell und grenzte schon an Selbstmord. Auf der Fensterbank stand ein junger Mann, der sich im Moment abdrückte, um mit ausgebreiteten Armen wie ein Vogel durch die Luft zu schweben. Sein Ziel schien das Flachdach eines benachbarten Hauses zu sein, das allerdings wesentlich niedriger war. Ob sich dort ein Sicherheits- oder Sprungnetz befand, konnte Parker von seinem Standort aus nicht sehen. Er befand sich mit Mylady auf einem Parkplatz neben seinem hochbeinigen Monstrum, wie Kenner seinen Privatwagen nannten. An dem frei in der Luft schwebenden Menschen zerrte verständlicherweise die Schwerkraft. Die Flugbahnkurve wurde wesentlich kürzer als ursprünglich vielleicht gedacht. »So etwas habe ich noch nie gesehen«, gab die Detektivin anerkennend zu. »Wohin will er eigentlich schweben?« Das hatte Josuah Parker sich inzwischen ebenfalls gefragt. Das Flachdach des wesentlich niedrigeren Hauses war für den Flugkünstler indiskutabel weit und unerreichbar geworden. Er hätte es selbst mit riesigen Vogelschwingen nicht mehr erreicht. Die Flugbahnkurve war noch steiler geworden. Der Artist - falls es einer war - steuerte inzwischen das Glasdach eines Warenhauses an. »Wie will er sich eigentlich abfangen?« fragte Lady Agatha, sich an ihren Butler wendend. »Dies, Mylady, entzieht sich meinem bescheidenen Beurteilungsvermögen«, antwortete der Butter in seiner gewohnt gemessenen und höflichen Art. »Wenn es
erlaubt ist, möchte ich den Verdacht hegen und aussprechen, daß es sich unter Umständen um einen Selbstmörder handelt.« * »Und? War es ein Selbstmörder?« fragte eine Stunde später Kathy Porter, eine junge, schlanke und langbeinige Dame, die an ein scheues Reh erinnerte. Die Fünfundzwanzigjährige war die Sekretärin und Gesellschafterin der Lady, wurde aber von ihr fast wie eine Tochter gehalten. Sie hatte braun-rotes Haar, sah bestechend gut aus und wirkte stets ein wenig hilflos und ängstlich. In Wirklichkeit aber konnte sie sich innerhalb weniger Sekunden in eine Pantherkatze verwandeln. Ihre Kenntnisse in fast allen Spielarten fernöstlicher Verteidigungstechniken waren frappierend. Darüber hinaus hatte sie bei Butler Parker Unterricht in der Kunst der Maske genommen. Ebenfalls innerhalb weniger Sekunden vermochte sie sich ohne Zuhilfenahme von aufwendigen Materialien in eine völlig andere und fremde Frau zu verwandeln. Als sie ihre Frage stellte, stand sie im Salon des altehrwürdigen Fachwerkhauses der Agatha Simpson. Dieses Haus im Stadtteil Shepherd's Market, war auf den uralten Gewölben einer ehemaligen Abtei errichtet worden und barg eine Fülle von Geheimnissen. Kathy Porter trug einen Jeansrock und dazu eine leichte Bluse. Sie sah ihr Gegenüber erwartungsvoll an. »Mr. Parker wird Ihnen die Einzelheiten erklären«, meinte Lady Agatha. »Ich möchte nur sagen, daß es grauenvoll war. Ich begreife einfach nicht, wieso Mr. Parker mich in die Nähe dieses Hochhauses bringen konnte.« »Es war ein Selbstmörder«, bestätigte der Butler und ging auf den Vorwurf seiner Herrin erst gar nicht ein. Es war schließlich ihr Wunsch gewesen, in der Nähe des bewußten Bürohochhauses in einem Antiquitätengeschäft einzukaufen. »Der junge Mann, dessen Identität bisher nicht festgestellt werden konnte, gehörte nicht zu den Angestellten des Hauses.« »Es muß schrecklich gewesen sein«, sagte Kathy Porter. »Warum tut ein Mensch so etwas?« »Selbstmörder, Miß Porter, sind im Grund seelisch kranke Menschen, die dringender ärztlicher Hilfe bedürfen«, antwortete Parker. »Dies natürlich generell gesehen. Nach meinen bescheidenen Feststellungen dürfte der junge Mann, um den es sich handelte, wohl unter dem Einfluß einer Droge gehandelt haben.« »Ein Süchtiger, Mr. Parker?« »Dies möchte ich annehmen, Miß Porter. Drogenabhängige enden leider häufig auf solch ungewöhnliche Art und Weise.« »Vergessen wir es«, schaltete die Detektivin sich ein. »Ich hoffe, Mr. Parker, Sie ersparen mir in Zukunft solche Zwischenfälle. Sie wissen, wie sensibel ich nun mal bin.« »Mylady können sich fest auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen«, gab Parker zurück. Er nahm kommentarlos zur Kenntnis, daß Lady Agatha sich für sensibel hielt. Genau das Gegenteil war schließlich der Fall. Ein Elefant im
sprichwörtlichen Porzellanladen war gegen die ältere Dame ein Vorbild an Rücksichtnahme und Feingefühl. Lady Simpson, sehr reich, mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und verschwägert, liebte es, jedem genußvoll vor den Kopf zu stoßen. Sie sagte mit boshafter Vorliebe fast immer das, was sie gerade dachte. Sie war daher gefürchtet und entsprechend beliebt. »Wenn es sich wenigstens um einen Mord gehandelt hätte«, meinte Agatha Simpson seufzend. »Okay, dagegen hätte ich nichts gehabt, aber ein Selbstmord!?« Lady Agatha war Amateurkriminalistin aus Leidenschaft. Sie hatte das Glück, auf Kriminelle aller Schattierungen wie ein Magnet zu wirken. Sie stolperte förmlich gegen ihren Willen von einem Kriminalfall in den anderen und richtete dann stets heillose Verwirrung an. Ohne Parker hätte sie mit Sicherheit wohl kaum einen Fall gelöst, doch das nahm sie einfach nicht zur Kenntnis. Sie übersah auch, daß Parker ihr quasi am laufenden Band das Leben retten mußte, wobei Kathy Porter oft diskrete Hüfe leistete. Darüber hinaus arbeitete die ältere Dame seit geraumer Zeit an einem Bestseller. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, eine gewisse Agatha Christie in schriftstellerische Schranken zu weisen. In ihrem altehrwürdigen Haus hatte sie sich ein Arbeitsstudio einrichten lassen, und hin und wieder saß sie tatsächlich vor der modernen elektrischen Schreibmaschine, um den ersten Satz ihres geplanten Bestsellers zu Papier zu bringen. Es war allerdings bei der Absicht geblieben. Agatha Simpson suchte immer noch nach dem richtigen literarischen Stoff. Inzwischen aber klärte sie Kriminalfälle, die sie ihrem Intimfeind präsentierte. Und es war genau dieser Intimfeind, der sich wenig später meldete und Agatha Simpson um eine Unterredung bat. Er meinte natürlich Butler Parker, doch er hütete sich, dies auch nur andeutungsweise erkennen zu lassen. * »Sie kommen natürlich wieder mal zufällig vorbei, nicht wahr?« fragte die Lady boshaft, als Josuah Parker Chief-Superintendent McWarden in den Salon führte. »Sie sind ein wenig spät dran, denn ich habe den Tee bereits genommen.« McWarden, untersetzt, rundlich, bullig, ein Energiebündel, stets ein wenig gereizt wirkend, überhörte diese Anspielurig. Er war Myladys Intimfeind, denn er haßte es, daß Amateure sich kriminalistisch betätigten. Auf der anderen Seite aber schätzte er Parkers Sachkenntnis und Trickreichtum. Darüber hinaus bestand zwischen Lady Simpson und ihm auch so etwas wie eine Haßliebe. Sie hatten sich im Lauf der Zeit aneinander gewöhnt und brauchten sich, was ihre Wortduelle betraf. »Ich komme keineswegs zufällig vorbei, Mylady«, sagte er. »Und meinen Tee hatte ich bereits.« »Dann braucht Mr. Parker Ihnen ja nichts mehr zu servieren«, entschied die Hausherrin. »Was haben Sie denn wieder auf dem Herzen, McWarden? Ich wette, Sie müssen ohne mich Ihren beruflichen Konkurs anmelden.«
»Was wäre ich ohne Ihre Mitarbeit, Mylady«, gab McWarden grimmig-ironisch zurück. »Der Yard müßte schließen.« »Endlich mal eine ehrliche Antwort«, entgegnete Agatha Simpson. »Diesen Eindruck habe ich schon seit längerer Zeit.« »Darf ich mir erlauben, einen Sherry zu servieren?« Butler Parker wußte um die Vorliebe des Chief-Superintendenten für trockene Spirituosen. Parker nahm den bannenden und vorwurfsvollen Blick seiner Herrin gelassen zur Kenntnis, die McWarden den Sherry nicht gönnte. Mit abgezirkelten und gemessenen Bewegungen reichte er dem Chef eines Sonderdezernats beim Yard das kleine Glas mit dem wertvollen Inhalt. »Ausgezeichnet«, sagte McWarden nach dem ersten kleinen Schluck. »Natürlich ist er ausgezeichnet«, grollte Lady Agatha. »Er ist ja auch teuer genug. Man sollte sparsam mit ihm umgehen. So, aber sagen Sie mir jetzt endlich, wie ich Ihr Dezernat retten kann. Vielleicht bin ich gerade in Stimmung, einen Kriminalfall zu übernehmen.« »Ich habe erfahren, daß sie vor jetzt rund anderthalb Stunden Augenzeugen eines Selbstmords wurden«, begann McWarden. »Kein Fall für mich.« Agatha Simpson schüttelte den Kopf. »Verschonen Sie mich mit solchen Dingen!« »Der junge Mann konnte inzwischen identifiziert werden, Mylady. Es handelt sich um einen gewissen Ralph Dales, zweiundzwanzig Jahre alt. Er stand nach dem ersten Bericht unseres Polizeiarztes unter Drogeneinfluß.« »Kennen wir einen Ralph Dales, Mr. Parker?« Die Lady wandte sich an ihren Butler. »In der Tat, Mylady«, gab Parker würdevoll zurück. »Er ist der einzige Sohn des Sir Edward Dales, seines Zeichens ein bekannter und erfolgreicher Importeur von Fleischprodukten aller Art.« »Genau dieser Mann ist es.« McWarden nickte bestätigend. »Ralph war sein einziger Sohn, studierte Volkswirtschaft und sollte später mal die Firma seines Vaters übernehmen.« »Darf man erfahren, Sir, welche Droge ermittelt wurde?« »Was wohl schon!?« Agatha Simpson verfügte über Sach- und Fachkenntnisse, die sie selbstverständlich an den Mann bringen wollte. »Er wird Heroin oder LSD genommen haben, nicht wahr? Nach diesen Giften gerät man ja in Höhenflüge und soll bekanntermaßen glauben, es einem Vogel nachmachen zu können.« »LSD oder Heroin scheiden aus«, antwortete McWarden. »In diesem Fall haben wir es wohl mit Phencyclidin zu tun.« »Mit was, bitte?« Agatha Simpson verzichtete auf den Versuch, diesen Namen auszusprechen. »Mit Phencyclidin, Maylady«, wiederholte der Chief-Superintendent. »Es wurde in den fünfziger Jahren von einer amerikanischen Firma entwickelt und zwar als Antischmerzmittel. Es wurde jedoch schnell wieder aus dem Verkehr gezogen, weil zahlreiche Patienten delirierten und in schwere Rauschzustände gerieten.«
»Von diesem Rauschgift haben wir noch nie gehört, Mr. Parker, oder?« Agatha Simpson sah ihren Butler grimmig an. Sie ärgerte sich, von McWarden Informationen zu bekommen, die ihr bisher fremd gewesen waren. »Leider sehe ich mich gezwungen, Myladys Frage abschlägig zu bescheiden«, erwiderte Parker in seiner speziellen und unmißverständlichen Ausdrucksweise. »Kein Wunder, daß Sie diesen Namen nicht kennen«, redete der Chief-Superintendent weiter. »Nachdem diese Droge für die Humanmedizin nicht mehr in Betracht kam, wurde sie nur noch von Tierärzten verwendet.« »Seit wann versetzt man Tiere in einen Rausch?« wollte Lady Simpson wissen. »Dieses Präparat, Mylady, wurde Schlachtvieh verabreicht, um es - sagen wir mal so - zu beruhigen.« »Scheußlich«, meinte die resolute Dame. »Mr. Parker, mein Magen rebelliert.« »Ich werde sofort einen Kognak servieren.« Josuah Parker kannte solche und ähnliche Zustände und präsentierte seiner Herrin das probate Gegenmittel. Sie nahm einen mehr als herzhaften Schluck und nickte McWarden dann gönnerhaft zu. »Anfang der siebziger Jahre, Mylady, erschien die Droge plötzlich drüben in den Staaten wieder auf dem Markt und verbreitete sich leider nach außerhalb Amerikas rapide. Sie ist wesentlich billiger und wirkt nachhaltiger.« »Und was passiert, wenn man dieses Zeug schluckt?« »Man wird in eine andere Welt versetzt, Mylady, wie entsprechende Aussagen beweisen. Diese Vorstellungen reichen vom Aufenthalt in einer Märchenwelt bis hin zu den sogenannten Horrortrips bekannter Art. Man fühlt sich offensichtlich ungeheuer stark und unüberwindlich und glaubt eine Art Übermensch zu sein, um wenig später schon wieder von Monstern umlauert und angegriffen zu werden. Die Todesraten sind enorm hoch, und erst nach Jahren scheinen sich die letzten Reste dieser Droge im Körper abzubauen.« »Erst nach Jahren? Agatha Simpson hob ihren leeren Kognakschwenker in Richtung Parker, der sofort nachfüllte. »Die Chemiker haben noch nicht herausgefunden, warum diese Droge so langsam abgebaut wird. Sie scheint überhaupt eine Art Neuland zu sein. Die intensiven Forschungen laufen gerade erst an.« »Und wie wird dieses Giftzeug hergestellt?« »Die Grundstoffe sind in jeder Chemikaliengroßhandlung zu bekommen«, entgegnete McWarden. »In den sogenannten Küchen- und Kellerlabors wird es dann chemisch dargestellt. Aus ein paar lächerlichen Pfundnoten lassen sich auf diese Art und Weise Riesenvermögen verdienen.« »Hat diese Droge einen Namen, Sir?« erkundigte der Butler sich höflich. »Sie wird Engelsstaub genannt, Mr. Parker«, schloß McWarden seinen Bericht. »Ich wette, dieser Name ist Ihnen unbekannt.« Das war zwar nicht der Fall, doch Butler Parker hütete sich, dazu etwas zu sagen. *
Er sah nicht nur aus wie eine menschliche Ratte, er war auch eine, hieß Norman Fandy, war fünfunddreißig Jahre alt, klein, wendig und blitzschnell in seinen Reaktionen. Selbst seine schlimmsten Gegner sagten ihm Intelligenz, Anpassungsvermögen, Bissigkeit und Brutalität nach. Norman Fandy hatte fast schwarze Augen, die ununterbrochen in Bewegung waren. Im Augenblick konzentrierten sie sich auf einen gewissen Butter Parker, der gemessen und steif, als habe er einen Ladestock verschluckt, das Fotoatelier betrat. Parkers und Fandys Wege hatten sich bisher noch nicht gekreuzt, doch Fandy wußte sofort, mit wem er es zu tun hatte. Die Existenz des Butlers hatte sich in London natürlich längst herumgesprochen und machte der Unterwelt zu schaffen. Das Fotoatelier war recht ansprechend eingerichtet. Es gab eine in modernem Stil gehaltene Anmeldung, eine Art Wartezimmer mit Sitzmöbeln, die mit Plastik bespannt waren, es gab sogar so etwas wie eine kleine Espressobar und schließlich hinter einem Perlschnürvorhang eine Treppe, die in die oberen Räume führte. Das Geschäft lag im Stadtteil Soho, nicht weit von Picadilly Circus entfernt, in einer schmalen Seitenstraße. Es war später Nachmittag, als Parker höflich seine schwarze Melone lüftete und sich nach Mr. Norman Fandy erkundigte, der neben seiner ein wenig exotisch aussehenden Empfangsdame stand und mit ihr eine Liste durchging. »Was kann ich für Sie tun?« fragte Fandy und ging auf den vermeintlichen Kunden zu. »Ich möchte Sie herzlich um eine Unterredung unter vier Augen bitten«, schickte der Butler voraus, »mein Name ist Parker, Josuah Parker. Nach der mir gelieferten Beschreibung können Sie nur Mr. Norman Fandy sein, oder sollte ich mich irren?« »Sie liegen richtig, Mr. Parker. Ich schlage vor, wir gehen 'rauf in mein Privatbüro. Einverstanden?« »Ich werde Ihr Entgegenkommen bei Gelegenheit zu würdigen wissen«, gab Parker zurück. »Darf ich davon ausgehen, daß mein Besuch den Gang Ihrer Geschäfte nicht sonderlich stört?« »Dann hätte ich es Ihnen bestimmt gesagt, Mr. Parker. Kommen Sie, ich gehe voraus.« Josuah Parker folgte Fandy über die schmale Betontreppe nach oben und war überrascht, wie üppig und einladend das obere Geschoß eingerichtet war. Der Korridor war mit Teppichfliesen ausgelegt, die Wände holzvertäfelt. Einige Türen standen weit auf, und Parker konnte sich davon überzeugen, daß Fandy hier oben tatsächlich einige Studios eingerichtet hatte. »Ich bin überrascht, Sie bei mir zu sehen, Mr. Parker.« Norman Fandy schloß die Tür seines Privatbüros hinter dem Butler und deutete einladend auf einen Sessel vor seinem Arbeitstisch. »Sie wollen sich fotografieren lassen? Vielleicht ein paar hübsche Paßbilder? Oder sollte es etwas Künstlerisches sein?« »Ich erlaube mir, einige Auskünfte einzuholen«, erwiderte der Butler. »Wenn Sie gestatten, komme ich sofort zum Thema.« »Ist mir auch lieber, Mr. Parker. Sie wollen sich mit mir anlegen?«
»Würde Ihnen das etwas ausmachen, Mr. Fandy?« Parker hatte Melone und Universal-Regenschirm abgelegt. »Es würde mir was ausmachen!« Fandy genierte sich keineswegs, das einzuräumen. »Ich befasse mich nicht gern mit Ihnen, dazu sind Sie zu gut.« »Sie beschämen einen alten, müden und relativ verbrauchten Mann ...« » ... der es faustdick hinter den Ohren hat. Machen Sie mir bloß nichts vor, Mr. Parker! Ich weiß genau, was Sie auf dem Kasten haben.« »Sie treiben meine bescheidene Verlegenheit geradezu auf die Spitze, Mr. Fandy.« Parker wischte sich ein unsichtbares Stäubchen vom Revers seines schwarzen Zweireihers. »Handeln Sie neuerdings mit Engelsstaub, um auf den Kern der Sache zu kommen?« »Engelsstaub?« Norman Fandy schien diese Bezeichnung noch nie in seinem Leben gehört zu haben. »Was soll ich mir darunter vorstellen, Mr. Parker? Und weshalb soll ich mit Dingen handeln, die mit meinem Geschäft nichts zu tun haben?« »Wie man sich in gewissen Kreisen hinter vorgehaltener Hand zuraunt, Mr. Fandy, sollen Sie neben der Fotografie auch noch zusätzlich in einem anderen Geschäftszweig tätig sein.« »Was raunt man sich denn so zu?« Fandy schaltete auf Vorsicht um. »Sie sollen mit Rauschgift einen geradezu schwunghaften Handel treiben und mehr sein als nur ein sogenannter kleiner Dealer. In gewissen Kreisen erzählt man sich sogar, daß Sie bereits Großverteiler seien.« »Ich könnte jetzt verdammt sauer reagieren, Mr. Parker.« »Tun Sie sich und Ihren Gefühlen möglichst keinen Zwang an «, bat Butler Parker in seiner höflichen Art. »Ich denke nicht daran, Ihnen auf den Leim zu kriechen und mich provozieren zu lassen.« Fandy lehnte sich zurück und schüttelte lächelnd den Kopf. »Mir kann keiner was nachweisen, ich arbeite in einem völlig legalen Beruf. Alles andere sind bösartige Unterstellungen. Nein, nein, mit Rauschgift habe ich nichts zu tun. Schon gar nicht mit diesem Raketen... äh, ich meine, wie drückten Sie es noch aus?« »Engelsstaub, Mr. Fandy«, gab Parker zurück, »diese Droge wird auch unter der Bezeichnung Raketentreibstoff gehandelt. Wie ich gerade mit Interesse vernahm, scheinen Sie sich in den Umschreibungen dieser Droge recht gut auszukennen.« * »Ich denke, über dieses Thema sollten wir uns noch ein wenig unterhalten«, schlug Norman Fandy vor. Während er redete, drückte er mit dem linken Unterschenkel unauffällig gegen ein Bein des schmalen Rauchtischs. Parker war diese Bewegung selbstverständlich nicht entgangen, und er wußte aus einschlägiger Erfahrung, was das bedeutete. Nicht weniger unauffällig als Fandy griff er mit seiner rechten, schwarz behandschuhten Hand in eine der Westentaschen unter dem schwarzen Zweireiher und holte fast spielerisch einen seiner vielen Patentkugelschreiber hervor. Er wollte
gerüstet sein, wenn Fandys Mitarbeiter erschienen, denn nach ihnen hatte dieser Mann, der wie eine Ratte aussah, eindeutig geklingelt. Sie ließen auch nicht lange auf sich warten. Die Tür zu Fandys Privatbüro öffnete sich plötzlich ohne jede Vorankündigung. Zwei junge, etwa zweiundzwanzig Jahre alte Männer schoben sich in das Büro und langten gleichzeitig nach ihren Schußwaffen, die in Schulterhalftern untergebracht waren. Josuah Parker kannte solche und ähnliche Bewegungen. Er war jedoch schneller, da er sich innerlich auf einen derart unfeinen Zwischenfall vorbereitet hatte. Parker schleuderte seinen Patentkugelschreiber in Richtung Tür und preßte gleichzeitig fest seine Augen zu. Dennoch wurde er empfindlich geblendet. Der sonnenhelle Lichtblitz war von fast unerträglicher Lichtstärke. Fandys Mitarbeiter hätten wahrscheinlich liebend gern auf den Lichtspender Parker geschossen, doch dazu waren sie überhaupt nicht in der Lage. Sie hatten in Sekundenbruchteilen jede Orientierung verloren und rempelten sich gegenseitig an. Norman Fandy, den der Lichtblitz ebenfalls unvorbereitet traf, saß wie eine Marmorstatue auf seinem Platz und war keiner Bewegung fähig. So bekam er auch nicht mit, wie Parker aufstand, um sich erst mal seiner beiden Leute anzunehmen. Der Butler benutzte eine seiner privaten Handschellen, um die beiden Männer aneinanderzukoppeln. Dann führte er sie an die Wand und drückte sie mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms nachdrücklich zu Boden. Sie nahmen auf dem Teppich Platz und bekamen in ihrer Aufregung gar nicht mit, daß Josuah Parker sie entwaffnete. Er barg zwei kurzläufige, bösartig aussehende Revolver. »Ich bedaure diesen Zwischenfall ungemein, Mr. Fandy«, entschuldigte Parker sich anschließend bei seinem Gastgeber. »Leider blieb mir wirklich keine Zeit, Sie entsprechend auf das kleine Ereignis vorzubereiten. Ich hatte das sichere Gefühl, daß meine bescheidene Wenigkeit angegriffen werden sollte. »Meine Augen... Meine Augen«, stöhnte Fandy. Er war nur noch ein jämmerliches Häufchen Elend. »Ich kann Ihnen versichern, daß die augenblicklichen Sehstörungen nur vorübergehender Natur sein werden«, stellte Parker höflich fest. »Sie werden noch nicht mal einen Arzt benötigen.« Butler Parker sagte die Wahrheit. Die Spezialladung in dem von ihm präparierten Patentkugelschreiber war tatsächlich harmloser Natur. Sie diente nur dazu, aggressive Mitglieder der Unterwelt daran zu hindern, Blut zu vergießen. Der Butler ging um den großen Arbeitstisch des Mannes herum und begutachtete die Schriftstücke und Papiere, die dort lagen. Es fehlte ihm natürlich die Zeit, um eine genaue Sichtung vorzunehmen. Er begnügte sich deshalb damit, einfach einige dieser beschriebenen Briefbogen einzustecken. Er war fest entschlossen, sie innerhalb der nächsten Tage mit dem Ausdruck tiefsten Bedauerns wieder zurückzusenden. Ein Josuah Parker wußte schließlich, was sich gehörte. *
»Ich bin bestimmt kein Unschuldslamm, Mr. Parker«, sagte Harry Raglan und schaute Parker treuherzig an. »Sie sagen es, Mr. Raglan«, pflichtete der Butler seinem Gegenüber bei. »Aber mit Rauschgift will ich nichts zu tun haben«, redete Harry Raglan weiter, ein Mann, der - etwa vierzig Jahre alt - als Kunstschlosser arbeitete. Sein Betrieb befand sich im Osten der Stadt, in der Nähe der gleichnamigen Docks. »Ich kenne Ihre einmaligen handwerklichen Fähigkeiten, Mr. Raglan«, schickte Josuah Parker voraus. »Als Sicherheitstester von Safes und Geldschränken, von Alarmanlagen und ähnlichen Gerätschaften könnten Sie ein Vermögen verdienen.« »Ich bleibe lieber frei und selbständig, Mr. Parker.« Harry Raglan, untersetzt, und nur dem ungeübten Beobachter langsam und schwerfällig scheinend, lächelte fast entschuldigend. »Sie waren lange nicht mehr hier bei mir.« »Was ich ungemein bedaure, Mr. Raglan, wie ich Ihnen versichern darf.« Parker blieb vor dem Stuhl stehen, den Raglan ihm angeboten hatte. »Und leider habe ich auch heute nur herzlich wenig Zeit. Ich benötige einige Auskünfte.« »Sie wissen hoffentlich, daß ich sauber geworden bin, Mr. Parker, oder?« »Dies hat sich selbst bis zu Chief-Superintendent McWarden herumgesprochen, Mr. Raglan, wie ich versichern darf.« »Okay.« Raglan freute sich. »Als Kunstschmied verdiene ich, was ich will. Der Bedarf an Ziereisen ist enorm. Ich arbeite Kamingitter, Balkongitter, Treppengeländer, Fensterverzierungen und...« » ... und sind dazu noch mit einem gewissen Mr. Bill Luton bekannt, wie mir in Erinnerung ist, nicht wahr?« »Bill Luton? Natürlich! Der Glasbläser, den meinen Sie doch, oder?« »In der Tat, Mr. Raglan! Würden Sie die Freundlichkeit und Güte haben, mich mit ihm in Verbindung zu bringen. Sein momentaner Aufenthalt ist mir leider unbekannt.« »Was ... Was wollen Sie denn von Luton, Mr. Parker? Sie wissen, ich verpfeife keinen Freund.« »Ich brauche nur einige Auskünfte.« »Handelt es sich um 'ne heiße Sache?« »Um eine sehr heiße, um der Wahrheit die Ehre zu geben, Mr. Raglan. Ich werde meine Wahrheitsliebe auf die Spitze treiben. Es handelt sich um die Herstellung von Engelsstaub, auch Raketentreibstoff genannt.« »Was ist denn das?« Er wußte es wirklich nicht, das sah man ihm an. »Eine neue, äußerst harte und lebensgefährliche Droge, Mr. Raglan, deren Herstellung und Vertrieb ich unterbinden möchte.« »Mit so etwas würde Bill Luton sich doch nie abgeben, Mr. Parker. Was für mich gilt, gilt auch für ihn.« »Grundsätzlich möchte ich Ihnen beipflichten, Mr. Raglan«, entgegnete Parker höflich, »speziell gesehen aber möchte ich doch sagen, daß Mr. Bill Luton auf eine indirekte Art und Weise mit dem Rauschgiftgeschäft zu tun haben dürfte.«
»Aber doch nicht Bill, Mr. Parker!« Harry Raglan protestierte erneut. »Luton hat mit Sicherheit noch kein einziges Gramm Hasch verhökert.« »Er ist Glasbläser und sehr geschickt. Ich weiß, daß gewisse Kreise seine Fähigkeiten ungemein schätzen.« »Wollen Sie Bill Luton etwa an den Kragen?« »Mir schwebt vor, ihm vielleicht das Leben zu retten - oder ihn vor einer langjährigen Zuchthausstrafe zu bewahren. Wären Sie unter diesen Voraussetzungen bereit, ein Treffen mit ihm zu arrangieren?« »Ich werde sehen, ob ich seine Adresse auftreiben kann, Mr. Parker.« »Ich ahnte, nein, ich wußte, daß ich mich auf Sie verlassen kann.« Parker lüftete höflich die schwarze Melone. »Wo ich zu erreichen bin, wissen Sie ja.« »Versprechen kann ich aber nichts, Mr. Parker.« »Sie werden mit Sicherheit jene Möglichkeiten nutzen, die sich Ihnen anbieten«, erwiderte Josuah Parker. »Und wie gesagt, denken Sie daran, Mr. Raglan, daß es möglicherweise um das Leben Ihres Bekannten oder Freundes geht! Er dürfte sich in einer Situation befinden, die ich nur als äußerst heikel umschreiben kann.« Parker hatte Raglans kleine Werkstatt verlassen und schritt würdevoll zurück zu seinem Wagen, den er in einer schmalen Seitenstraße parkte. Dabei mußte er notgedrungen einen parkenden Lastwagen passieren, dessen Fahrer gerade aussteigen wollte. Zu spät schrillte Parkers inneres Warnsystem... Er blickte plötzlich in die mörderisch drohende Mündung eines Revolvers und erkannte dahinter einen Mann, dessen Gesicht starr wie eine Maske war. Die Augen dieses Mannes zeigten einen typischen Ausdruck und spiegelten Mord wider. * »Mr. Parker müßte doch längst wieder zurück sein«, sagte Agatha Simpson gereizt zu Kathy Porter. »Ich möchte wetten, daß er mich hintergeht.« »Das möchte ich aber ausschließen, Mylady«, antwortete Kathy Porter und schüttelte lächelnd den Kopf. »Er sammelt wahrscheinlich einige Informationen, damit Mylady später zielbewußter vorgehen kann.« »Glauben Sie wirklich, Kindchen?« »Mr. Parker wollte nur einen flüchtigen Bekannten aufsuchen und sich ein Gesamtbild der Drogenszene verschaffen, Mylady.« »Dazu hätte er mich durchaus mitnehmen müssen. Sie wissen doch, Kindchen, wie vertrauensselig Mr. Parker ist.« Das war zwar eine starke Behauptung der älteren Dame, die mit der Realität nichts zu tun hatte, doch Kathy Porter unterdrückte das aufsteigende Schmunzeln und ging auf diesen Punkt nicht näher ein. Sie wußte schließlich, für wie gut Lady Agatha sich hielt. »Er tappt doch in jede noch so simple Falle«, redete die Lady weiter. »Wollen Sie Beispiele hören, Kindchen?«
»Natürlich, Mylady«, gab Kathy Porter jetzt allerdings zurück. Sie war gespannt, was die energische Dame aufzählen würde. Wenn einer in Fallen tappte, dann war es Lady Agatha! »Ich... Ich möchte ihn nicht beschämen«, redete Agatha Simpson sich bereits heraus und winkte lässig ab. »Ich kann vergessen, Kindchen, aber Sie müssen zugeben, daß er sich längst hätte melden müssen. Nun ist er schon seit über zwei Stunden fort.« Damit berührte die Detektivin einen wunden Punkt. Auch Kathy Porter machte sich einige Sorgen. Normalerweise versäumte Butler Parker es nie, sich von Zeit zu Zeit zu melden, wenn er unterwegs war, um Informationen zu sammeln. Dies geschah meist im Abstand von einer knappen Stunde. Es war wie auf der Bühne, wo das fällige Stichwort gefallen war. Genau in diesem Augenblick läutete das Telefon. Kathy Porter, zusammen mit Lady Simpson im Salon des Stadthauses, ging an den Apparat und nahm den Hörer ab. »Ich weiß nicht, ob Sie an 'nem miesen Butler überhaupt interessiert sind«, sagte eine undeutliche, sehr unangenehme Stimme. »Falls ja, sollten Sie auf meine Bedingung eingehen.« Während die Stimme noch zu hören war, hatte Kathy Porter bereits den Adapter eingeschaltet, damit Lady Simpson über den Verstärker alles mithören konnte. »Und wie sind diese Bedingungen?« fragte Kathy Porter. »Werfen Sie sich in 'nen Wagen und kommen Sie möglichst schnell mit dieser alten Schachtel zu den Docks, Mädchen.« »Sprechen Sie von Lady Simpson?« »Von wem sonst!?« Ein häßliches Lachen war zu hören. »Und nun sperren Sie mal die Lauscher auf, Süße! Ich will Sie in der Tollgate Road sehen. Lassen Sie die Karre da stehen und gehen Sie zu Fuß weiter, bis sich was tut! Marschieren Sie in Richtung Windsor Terrace! Alles klar? Schön, dann los, Süße! Und noch etwas: Keine miesen Tricks von wegen Polizei oder so. Das würde dieser miese Butler nicht überleben.« »Hier spricht Lady Simpson!« Die resolute Dame hatte Kathy Porter den Telefonhörer förmlich aus der Hand gerissen. »Halten Sie den Mund, wenn ich rede, haben Sie mich verstanden? Wer sagt mir, daß Mr. Parker noch lebt? Sie Lümmel haben es doch nicht mit einer Anfängerin zu tun.« Kathy Porter rechnete fest damit, daß die Gegenseite auflegte, doch erstaunlicherweise war das nicht der Fall. Kathy Porter hörte über den Adapter und Verstärker ein spöttisches Auflachen. »Sie sin' der alte Drachen, wie?« fragte die häßliche Stimme dann und bemühte sich um Ironie. »Ich werde Ihnen bei Gelegenheit eine schallende Ohrfeige verabreichen, Sie Flegel!« »Darauf freu' ich mich schon jetzt«, reagierte die häßliche Stimme. »Möglich, daß ich dann aber zurücklange, alte Schachtel!«
Bevor Agatha Simpson zu diesem Angebot Stellung nehmen konnte, wurde zu ihrem Leidwesen von der Gegenseite aus die Verbindung unterbrochen. »Aufgelegt, ohne daß ich es ihm erlaubt habe«, entrüstete Lady Agatha sich und sah Kathy Porter gereizt an. »Ich glaube, Kindchen, er wird sich auf zwei Ohrfeigen einrichten müssen!« * Parker ärgerte sich. Er ging zwar nicht mit sich zu Gericht und überschüttete sich auch keineswegs mit Selbstvorwürfen, doch er ärgerte sich. Er hatte sich für sein Gefühl ein wenig zu leicht überrumpeln lassen und keine Gelegenheit gehabt, etwas gegen diesen angeblichen Lastwagenfahrer zu unternehmen, der übrigens, wie sich herausstellte, nicht allein gewesen war. Butler Parker befand sich in einem engen Keller, der naß war und in dem es übel roch. Die Tür bestand aus dicken Bohlen und war von außen durch einen Querbalken zusätzlich abgesichert worden, wie er deutlich gehört hatte. Mit normalen Mitteln war sie nicht zu sprengen. Wem er dieses Kidnapping zu verdanken hatte, lag für den Butler auf der Hand. Dies hier ging auf das Konto des Rauschgiftgangsters Norman Fandy. Der Mann mußte sich, nachdem er sich von seiner Niederlage erholt hatte, sehr nachdrücklich mit Josuah Parker beschäftigt haben. Wahrscheinlich hatte er innerhalb seiner Organisation Alarm geschlagen und eine Art Großfahndung ausgelöst. Es gab auf Londons Straßen ja eine Vielzahl kleiner Dealer, die nur zu gern bereit waren, für Fandy zu arbeiten. Der Butler sorgte sich um Harry Raglan, der angeblich nur noch als Kunstschmied arbeitete. Man mußte beobachtet haben, daß er den kleinen Betrieb dieses Mannes verlassen hatte. Ein Mann wie Norman Fandy wollte mit Sicherheit erfahren, wonach Parker sich erkundigt hatte. Fandy würde selbst vor Folter und Mord nicht zurückschrecken. Die Handschellen, die man Parker angelegt hatte, saßen inzwischen nur noch oberflächlich locker an den Handgelenken. Parker hatte sie mit einem kleinen Schlüssel seines Spezialbestecks leicht öffnen können. Dieses Spezialbesteck gehörte zu seiner Grundausrüstung und befand sich in einer seiner vielen Westentaschen. Sobald die Tür geöffnet wurde, hatte der Butler also durchaus die Möglichkeit, das Blatt zu wenden. Seit seinem Kidnapping war fast eine Stunde verstrichen. Seinem Gefühl nach konnte es nun nicht mehr lange dauern, bis hier unten im Keller handfeste, harte Männer erschienen, um ihn einem Verhör zu unterziehen. Norman Fandy mußte wissen, wieso man sich plötzlich für den sogenannten Engelsstaub interessierte und warum Parker ausgerechnet zu ihm gekommen war. Es verstrichen allerdings noch weitere fünfzehn Minuten, bis Parker endlich draußen vor der schweren Bohlentür Geräusche hörte. Der Querbalken wurde entfernt, dann der Riegel zurückgeschoben und schließlich ein Schloß geöffnet.
Parker, der auf einer recht wackligen Kiste Platz genommen hatte, kontrollierte noch mal den ordentlichen und unauffälligen Sitz der bereits geöffneten Handschellen und beobachtete die Tür, die sich langsam öffnete. Der Mann mit dem maskenhaft starren Gesicht und den gelben Augen schob sich unter Wahrung aller Vorsicht in den Raum und richtete dabei den Lauf seines Revolvers auf den Gefangenen. »Sie werden oben verlangt, Parker«, sagte er mit einer Stimme, die man nur als häßlich bezeichnen konnte. »Hoffentlich fallen Ihnen die richtigen Antworten ein.« »Stehen Sie in Mr. Fandys Diensten, wenn man fragen darf?« Parker erhob sich. »Fandy, Fandy!« Die häßliche Stimme des Maskenhaften färbte sich abfällig. »Der kleine Kläffer! Sie, Parker, tanzen auf 'ner anderen Hochzeit! Los, kommen Sie schon!« Der Maskenhafte war nicht allein gekommen, sonst hätte Josuah Parker vielleicht schon Schritte zu seiner Befreiung unternommen. Vor der Tür warteten zwei weitere Männer, die nicht mit den Schlägern aus Fandys Büro identisch waren. Auch sie waren bewaffnet und sahen nicht danach aus, als könnte man sie ohne weiteres hereinlegen. Zudem war Parkers Neugier inzwischen voll geweckt worden. Dieser Maskenhafte hatte von Fandy in abfälliger Weise gesprochen und ihn als einen kleinen Kläffer bezeichnet. Wer also wartete auf ihn? Wer wollte ihn sprechen? Es mußte sich um eine Person handeln, die ihre Anonymität bisher strikt gewahrt hatte. Auf diese Person war Josuah Parker sehr gespannt. Er ließ sich also abführen wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Der Mann mit dem maskenhaft starren Gesicht und den gelben Augen mußte den Eindruck gewinnen, daß er einem Josuah Parker inzwischen den Schneid abgekauft hatte. * Kathy Porter litt an einer leichten Nervenkrise, als Lady Simpson endlich die Tollgate Road erreicht hatte. Dies hing eindeutig mit dem Fahrstil ihrer Chefin zusammen, die seit einiger Zeit einen stabilen Land-Rover fuhr und mit ihm gerade die City durchkreuzt hatte. Lady Agatha verwechselte ihren Wagen mit einem mittelschweren Panzer und schien jede Verkehrsregel vergessen zu haben. Dazu kam noch, daß Mylady recht gern und vor allem sehr schnell fuhr. Das Chaos, das sie schon auf Straßen hinterlassen hatte, war beträchtlich. »Ist Ihnen nicht gut, Kindchen?« erkundigte die ältere Dame sich, als sie den Wagenschlag öffnete und sich neugierig in der Tollgate Road umschaute. »Es wird gleich vorüber sein, Mylady«, meinte Kathy Porter. »Mein Magen scheint nicht ganz in Ordnung zu sein.«
»Ich würde Ihnen ja einen Kognak vorschlagen, Kindchen, aber Alkohol für junge Menschen...? Das sollte man besser vermeiden. Atmen Sie ein paar Mal kräftig durch, das hilft auch!« Agatha Simpson war enttäuscht. Sie hatte hier draußen im Osten der Stadt mit einem spannenden Überfall gerechnet, doch nichts geschah. Sie fürchtete fast schon, man habe sie absichtlich in diese finstere Gegend gelockt, um sie an der Nase herumzuführen. Sie sehnte sich immerhin danach, die angekündigten Ohrfeigen an den Mann zu bringen. Die Tollgate Road lag in einem Randbezirk der Docks und anderer Industrieansiedlungen. Es war keine hinreißend schöne Gegend. Es gab viele Bretterund Drahtzäune, Mauern, Hallen, Schuppen und Steinbaracken. Von der Themseschleife her war das klagende Tuten von Bugsierschleppern und Barkassen zu hören. »Wir werden jetzt die Tollgate hinuntergehen«, entschied Lady Agatha energisch. »Ich hoffe, Kindchen, Sie sind wieder in Ordnung, sonst können Sie hier im Wagen zurück bleiben.« »Ich bin schon wieder fit«, antwortete Kathy Porter wahrheitsgemäß. Ihr aufgewühlter und zuckender Magen hatte sich beruhigt. Zudem wäre sie auch selbst mit einem noch revoltierenden Verdauungsapparat mitgekommen, denn eine Lady Simpson ließ man tunlichst nicht allein. Sie nutzte jede Gelegenheit, um zumindest für Verwirrung zu sorgen. Die Detektivin schritt also energisch und unternehmungslustig die Tollgate Road in Richtung Windsor Terrace hinunter und wartete ungeduldig auf einen Überfall. An ihrem rechten Handgelenk pendelte der perlenbestickte Pompadour, ein Handbeutel, wie ihn Damen der Gesellschaft ausgangs des letzten Jahrhunderts trugen, um einige Toiletteartikel zu verbergen. Auch Lady Simpson hatte etwas zu verbergen, doch im Pompadour befanden sich weder Haarnadeln, Puderdose noch ein Spitzentuch. Hier hatte die ältere Dame ihren sogenannten »Glücksbringer« untergebracht, ein echtes Pferdehufeisen, das aus Gründen der Humanität mit dünnem Schaumstoff umwickelt war. Mit Pompadour und »Glücksbringer« wußte Lady Simpson sehr geschickt umzugehen, denn sie war noch recht beweglich und wußte zum Beispiel den Sportbogen zu spannen und spielte darüber hinaus mit Begeisterung Golf. Ihre Oberarmmuskulatur hatte es in sich, wie in der Vergangenheit schon mancher Angreifer zu spüren bekam. Kathy Porter erinnerte wieder mal an ein scheues und ein wenig ängstliches Reh. Sie trug einen Hosenanzug, der ihre Schlankheit und scheinbare Zerbrechlichkeit nur noch unterstrich. Beide Frauen forderten irgendwo versteckt lauernde Angreifer förmlich dazu heraus, einen wohl risikolosen Angriff zu wagen. Zwei Männer in Overalls erschienen plötzlich auf der Straße. Sie kamen durch ein schmales Tor, das Teil eines Bretterzauns war. Wie Gangster sahen diese beiden Arbeiter nicht aus. Sie trugen ihre rechteckigen Blechboxen, in denen Frühstück und Mittagessen untergebracht wurden. Die beiden Männer redeten miteinander und übersahen ein wenig zu offensichtlich die beiden Frauen, die in
diese Gegend eigentlich gar nicht paßten. Sie passierten die Damen und ... gingen sofort zur Aktion über. Sie hatten nicht mit der Schnelligkeit ihrer Opfer gerechnet. Kathy Porter benutzte beim geschmeidigen Umdrehen ihre Handkante als Waffe, Lady Simpson hingegen ließ ihren Pompadour pendeln. Die Wirkung war frappierend. Der getroffene Mann wurde vom »Glücksbringer« unter dem rechten Ohr erwischt. Er konnte von Glück sagen, daß es sich bei dieser Berührung mehr um einen flüchtigen Wischer, denn um einen vollen Schlag handelte. Dennoch riß es dem Getroffenen die Beine unter dem Körper weg. Er absolvierte einen halben Salto, blieb einen Moment waagerecht in der Luft, um dann wie ein nasser Sack auf den Boden zu klatschen. »Diese Gimpel«, räsonierte die ältere Dame enttäuscht. »Sie hätten eigentlich etwas mehr bieten können, Kindchen, finden Sie nicht auch?« »Sie wurden von Myladys Energie überrascht«, entschuldigte Kathy Porter die betäubten Angreifer, bückte sich, öffnete die Blechboxen und holte aus jeder von ihnen einen Revolver hervor. »Vielleicht lassen die Dinge sich später noch besser an, Mylady.« »Was ich mir auch ausgebeten haben möchte!« Agatha Simpson nickte grimmig und deutete auf das schmale Tor im Bretterzaun. »Ich werde schon mal vorgehen und die Lage sondieren.« Nein, sie war absolut nicht zu halten. Die passionierte Detektivin stürmte förmlich auf das nicht einzusehende Grundstück und war bereit, es mit einer Welt von Feinden aufzunehmen. Sie war am Telefon beleidigt worden und wollte unbedingt die angekündigten Ohrfeigen austeilen... * Der Maskenhafte hatte Josuah Parker auf einen einfachen Stuhl gedrückt und es auch jetzt unterlassen, sich für die Handschellen zu interessieren. Er konnte sich wohl überhaupt nicht vorstellen, daß man sie quasi mit »Bordmitteln« bereits geöffnet hatte. Parker befand sich in einem völlig normal eingerichteten Büro ohne jeden Komfort. Die Vorhänge waren geschlossen, und er konnte nicht erkennen, wo genau dieses Büro sich befand. Er wußte natürlich, daß man ihn in die Nähe der Royal Albert Docks gebracht hatte, wo die Tollgate Road nicht weit war. Der Mann mit dem maskenhaft starren Gesicht und den gelben Augen hielt den Revolver schußbereit in der Hand. Parker zweifelte keinen Augenblick daran, daß dieser Mann ein ausgezeichneter Schütze war. Noch war es nicht an der Zeit, den Mann anzugreifen. Zudem wartete der Butler auf den angekündigten Gesprächspartner. Der Maskenhafte ging zu einer Nebentür und drückte sie spaltbreit auf. Dabei ließ er den Butler nicht aus den Augen.
»Er is' jetzt hier, Sir«, rief der Maskenhafte in den Nebenraum hinein. »Soll ich, wenn ich die Lage richtig beurteile, mit einem Anonymus sprechen?« Parkers Stimme drückte leichtes Erstaunen aus. »Sie werden«, kam eine undeutliche Stimme aus dem Nebenraum. »Sie waren bei Fandy und fragten nach Engelsstaub, Parker. Wieso gingen Sie zu Fandy?« »Ich erlaubte mir von der Voraussetzung auszugehen, daß ein Großverteiler wie Fandy auch mit Phencyclidin handelt«, antwortete Josuah Parker höflich. »Wie ich seiner Reaktion entnehmen konnte, ist ihm diese Droge keineswegs unbekannt. So wußte er zum Beispiel von dem umschreibenden Namen Raketentreibstoff. Wie Sie wissen, existieren noch weitere Umschreibungen ähnlicher Art.« »Sie arbeiten mit Scotland Yard zusammen?« »Ein Sonderdezernat des Yard, dem Chief-Superintendent McWarden vorsteht, hat Mylady um Mithilfe gebeten, um genau zu sein. Man fürchtete, daß der bisher bekannte Drogenmarkt völlig aus dem gerät, was man gemeinhin die Fugen nennt. Ich darf zusätzlich darauf aufmerksam machen, daß diese alte und neue Droge wesentlich billiger zu handeln ist. Die klassischen Drogen werden bei einer Großherstellung des Phencyclidin im Verkauf erheblich zurückgehen, aber das brauche ich Ihnen ja wohl nicht besonders zu sagen.« »Was wollten Sie bei Harry Raglan, Parker? Bleiben Sie weiterhin bei der Wahrheit, sie ist Ihre einzige Chance!« »Ich suche einen Mann, der in der Lage ist, Glasgeräte für die chemische Darstellung von Präparaten herzustellen.« »Bill Luton, nicht wahr?« fragte die undeutliche Stimme aus dem Nebenraum. »In der Tat!« Parker nickte und hielt sich an die Wahrheit. Durch sie allein hoffte er, Raglan und Luton schonen zu können. »Was hat dieser McWarden bisher an Informationen bekommen?« wollte der Mann im Nebenraum wissen. »Dies entzieht sich meinem bisherigen Kenntnisstand«, entgegnete Josuah Parker. »Chief-Superintendent McWarden pflegt leider immer wieder mit verdeckten Karten zu spielen, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Wie sie, Parker, nicht wahr?« Aus dem Nebenraum war ein leises Auflachen zu vernehmen. »Das mit Ihrem Kenntnisstand nehme ich Ihnen nicht ab, aber Sie werden noch reden, sobald Lady Simpson und Miß Porter hier sind. Ich will wissen, was man inzwischen herausgefunden hat, und sollte ich die mittelalterliche Folter anwenden!« »Ich bin nich' brutal«, schaltete das Maskengesicht sich ein. »Ich bin'n friedlicher Mensch, Parker, aber ich werde Sie stückweise zusammenschießen, mein Wort drauf!« »Das sind Ankündigungen, die ich nicht als angenehm bezeichnen kann und möchte«, erwiderte Josuah Parker in seiner einmalig höflichen Art und Weise. »Zudem muß ich bekennen, daß mein Magen revoltiert. Ist es erlaubt, eine entsprechende Pille dagegen einzunehmen?« »Darf er Sir?« rief das Maskengesicht
in den Nebenraum. Parker war auf die Antwort mehr als gespannt. Sie würde zeigen, aus welchen Kreisen, der Anonymus stammte. »Soll er seine Pille nehmen«, lautete die undeutliche Antwort, »aber passen Sie auf, Steve, Parker soll mit Tricks arbeiten!« »Möglich, aber nicht bei mir, Sir.« Das Maskengesicht grinste flüchtig und Überwachte jede Bewegung, als Parker sehr vorsichtig seine Pillendose aus einer der vielen Westentaschen hervorzog und sie dann mit spitzen Fingern öffnete. * Agatha Simpson befand sich auf einem großen Lagerplatz, an den ein anderer Betrieb grenzte. Hier auf dem Gelände waren eine Bürobaracke und ein kleiner Schuppen zu sehen, alles gut erhalten und in Farbe. Verdächtig sah dieses Gelände nicht aus. Ein Unterschlupf für Gangster schien nach Myladys Ansicht doch erheblich anders getarnt zu sein. Die Firma, die sich auf diesem Gelände niedergelassen hatte, produzierte offensichtlich Holzbänke, wie die ältere Dame inzwischen festgestellt hatte. Vor und neben dem Schuppen stapelten sich solche Sitzgelegenheiten, die alle sehr solide aussahen und aus bestem Kernholz bestanden. Neben der Bürobaracke lagerten bereits zugeschnittene Vierkanthölzer und Bretterbohlen. Über dem Eingang der Bürobaracke verkündete ein Firmenschild, daß dieser Betrieb einem James F. Galbert gehörte, was Mylady aber nichts sagte. Sie wußte mit diesem Namen nichts anzufangen. Nun hätte die Detektivin sich natürlich an die Bürobaracke heranpirschen können. Sie hätte zumindest eine gewisse Vorsicht an den späten Nachmittag legen können, doch das tat sie selbstverständlich, nicht. Sie begegnete ihren Gegnern stets mit geöffnetem Visier, wie sie es gern ausdrückte. Lady Simpson marschierte also energisch auf die Bürobaracke zu und ließ ihren Pompadour unternehmungslustig am rechten Handgelenk pendeln. Sicherheitshalber aber hatte sie einen der beiden Revolver mitgenommen, die man in den Blechboxen der angeblichen Arbeiter gefunden hatte. Die resolute Dame hielt ihn in der linken Hand, offen und eindeutig. Jedermann sollte wissen, daß sie bereit war, sich ihrer zähen Haut zu wehren. Ihre Augen funkelten, als sie plötzlich einen Mann sah, der seitlich neben der Baracke erschien. Er hatte es ungemein eilig und strebte dem Schuppen zu. »Bleiben Sie sofort stehen!« Myladys Stimme, eine Mischung aus Baß und Nebelhorn, trug weit und nagelte den Mann förmlich am Boden fest. Er wandte sich verdutzt um und zeigte der älteren Dame sein Gesicht. Lady Simpson prägte es sich ein. »Herkommen!« Sie hob den Revolver an und tat das sehr fachfraulich, doch der Mann mit dem eierähnlichen Gesicht ließ sich nicht länger beeindrucken. Er warf sich herum und eilte weiter. Das heißt, er rannte los wie ein Sportfanatiker, der Start und Sprint üben wollte. Daraufhin schoß Lady Simpson.
Das Projektil aus dem Revolver lag nicht schlecht. Es ließ neben dem Sprinter eine kleine Erdfontäne aufsteigen, was den Mann zu einer plötzlichen Richtungsänderung veranlaßte. Die Lady ballerte erneut, doch inzwischen war der Mann hinter hochgestapelten Bänken bereits verschwunden. Holzsplitter sirrten durch die Luft und wurden zu gefährlichen Sekundärgeschossen. Agatha Simpson schnaufte vor Ärger. Sie wartete darauf, daß der Mann sich wieder zeigte, doch dies tat er erst, als er bereits die hintere Begrenzung des Grundstücks erreicht hatte. Er riß hier eine schmale Pforte auf und war innerhalb von Sekunden endgültig verschwunden. Lady Simpson zuckte die Achseln. Es hatte keinen Sinn, sich über eine verpaßte Gelegenheit aufzuregen. Sie marschierte weiter zur Bürobaracke und riß die Tür auf. Die Detektivin fuhr zurück, als sei sie gegen eine unsichtbare Wand geprallt. Ein Schwall weißlichen Nebels zog nach draußen und bildete eine undurchdringliche Wand. Damit wußte die ältere Dame Bescheid. Sie ging zu den bereits fertiggestellten Bänken und nahm auf einer der . Sitzgelegenheiten Platz. Sie winkte Kathy Porter, die gerade das Grundstück betrat und dann auf sie zulief. »Setzen Sie sich, Kindchen«, meinte Lady Simpson und deutete auf die Bürobaracke. Jetzt drangen weiße Schwaden auch durch die Fensterritzen und Lüftungsöffnungen. »Mr. Parker scheint sich wieder mal wichtig zu machen. Man kennt das ja. Aber lassen wir ihm den Spaß, er scheint das zu brauchen!« * »Sie sind also der Lümmel, der mich einen alten Drachen nannte?« Die Lady hatte sich vor dem Mann mit dem maskenhaft starren Gesicht und den gelben Augen aufgebaut. Sie sah ihn abschätzend an und studierte seine Wangen. »Ich weiß nich', wovon Sie eigentlich reden«, erwiderte der Mann mit seiner typisch heiseren und häßlichen Stimme. »Sie nannten mich auch eine alte Schachtel, nicht wahr?« »Quatsch, ich hab' noch nie mit Ihnen geredet.« »Das wird sich gleich gründlich ändern«, versprach Agatha Simpson dem Gangster. »Ich hoffe, Sie sind in gesundheitlich guter Verfassung, junger Mann.« Man hatte die Bürobaracke verlassen und war in den Schuppen hinübergewechselt. Der Mann mit dem maskenhaft starren Gesicht hustete immer noch, denn er litt unter der Spezialpille, die Parker geschickt aus seiner Dose hatte zu Boden rollen lassen. Mit solch einem Trick konnte der Gangster bei aller Vorsicht nicht rechnen. Nachdem Parker das Präparat zertreten hatte, war es zuerst zu einer Gasentwicklung gekommen, die völlig geruch- und farblos war. Erst später, als der
Gangster bereits hinreichend müde schien, war es zur intensiveren Nebelbildung gekommen. Zu diesem Zeitpunkt war der Gangster aber schon nicht mehr in der Lage gewesen, seine Waffe auf den Butler zu richten, der der Chemie der Pille erfolgreich widerstanden hatte. Parker hatte seine Atemluft durch eine kleine Kapsel gefiltert, die er mit den Zähnen festhielt. Dabei hatte er sich natürlich gehütet, durch die Nase zu atmen. Diese harmlos und durchschnittlich aussehende Kapsel war nichts anderes als ein Miniaturfilter, der wieder mal bestens funktioniert hatte. »Ich möchte mit diesem Flegel allein sein.« Agatha Simpson wandte sich zu Parker und Kathy Porter um. »Mylady sollten vielleicht eine gewisse Vorsicht walten lassen«, empfahl Parker. Er unterschätzte den Gangster keineswegs. »Papperlapapp, Mr. Parker, diesem Subjekt werde ich jetzt Manieren beibringen«, verkündete die ältere Dame grollend. »Mich eine alte Schachtel zu nennen! Finden Sie das nicht empörend?« »In der Tat, Mylady!« »Aber bloß nicht unsittlich werden«, spottete der Gangster, dessen Vorname Steve war. Er sah Agatha Simpson unverschämt an. »Man sollte jetzt wohl gehen«, schlug Parker seiner jungen Begleiterin vor. »Mylady befindet sich im Stadium hoher Erregung.« »Trotzdem wird'se Pech haben«, spöttelte der Gangster weiter. »Sowas pack' ich doch nich' mal mit 'ner Zange an!« Er hätte sich seine Ausdrucksweise besser überlegen sollen. Agatha Simpson hatte blitzschnell ausgeholt und dem Gangster eine Maulschelle serviert, die sicher nicht von schlechten Eltern war. Ihr golfspielgestärkter Arm bewies, wie kraftvoll die ältere Dame zulangen konnte. Gangster Steve reagierte falsch. Er war nicht gewillt, diese Ohrfeige so einfach zu kassieren, das ließ sein Stolz nicht zu. Er beging den Fehler, Mylady einen Boxhieb verpassen zu wollen. Gangster Steve ließ also seine rechte Hand vorzischen und ... brüllte Sekundenbruchteile später auf. Seine Hand kollidierte nämlich mit dem Glücksbringer in Myladys Pompadour. Der Mann mit dem starren Gesicht zeigte ohne jeden Übergang, zumal es in seiner Hand diskret geknirscht hatte. Der Maskenhafte verzog sein Gesicht und heulte auf wie ein Kojote kurz nach Mitternacht. Genau in dieses Heulen hinein erfolgte die zweite Maulschelle, die Lady Simpson immerhin bereits per Telefon angekündigt hatte. Gangster Steve verlor den Halt und setzte sich erst mal auf den Boden. Dann schob er sich zentimeterweise zurück, als Lady Agatha langsam auf ihn zuschritt. »Ich habe da noch einige Fragen«, sagte die Sechzigjährige grollend, »und ich hoffe, junger Mann, daß Sie recht widerspenstig sind. Sie könnten mir keinen größeren Gefallen erweisen.« Butler Parker und Kathy Porter verließen inzwischen den Schuppen und begaben sich ins Freie. Sie wollten nicht länger stören.
* »Was für ein Waschlappen!« Die Lady trat ebenfalls aus dem Schuppen und schüttelte angewidert den Kopf. »Diese Gangster sind auch nicht mehr das, was sie mal waren!« »Mylady haben die Befragung abgeschlossen?« erkundigte Parker sich höflich. »Er heißt Steve Barking, die beiden Lümmel im Land-Rover sind Joe und Herry. Mr. Parker, packen Sie diesen Barking zu seinen beiden Subjekten!« Kathy Porter, die den Land-Rover inzwischen auf das Grundstück geholt hatte, setzte sich ans Steuer und fuhr den Wagen dicht an das Schuppentor heran. Parker betrat unterdessen den Holzbau und widmete sich dem Gangster, dessen maskenhaft starres Gesicht sehr viel Leben und Farbe zeigte. »Diese Alte, äh, ich meine, diese Lady is' ja wie'n Orkan«, stöhnte Steve Barking und rieb sich die Kinnlade. »Mann, sowas is' mir noch nie passiert.« »Würden Sie sich freundlicherweise in den Wagen begeben?« Parker deutete auf das Tor und die Rückseite des Land-Rover. »Bedürfen Sie möglicherweise der ersten Hilfe?« »Nee, ich komm' schon zurecht, Parker.« Steve Barking, der die Handschellen trug, die für den Butler gedacht waren, ging ein wenig taumelnd zu dem LandRover und hustete, als er seine beiden Partner sah, die auf der schmalen Ladefläche des Wagens hockten. »Was haben Sie mit uns vor?« wollte Steve Barking wissen. Seine Stimme klang zwar wieder häßlich und unangenehm, doch sie war nicht mehr aggressiv. Er hatte seine Lektion erhalten und war vorsichtig. »Darüber wird Mylady entscheiden.« Parker gab sich zurückhaltend.« Mylady hat, im Vertrauen gesagt, häufig recht skurrile Vorstellungen, die in die Tat umzusetzen ich natürlich gezwungen bin.« »Wie war das?« Barking hatte den etwas komplizierten Satzbau nicht verfolgen können. »Sie werden sich überraschen lassen müssen, Mr. Barking.« »Die ... Die wird mich doch nicht umbringen wollen?« Barking dachte nur an sich, die Gegenwart seiner beiden Mitarbeiter schien er gründlich vergessen zu haben. »Was Mylady anbetrifft, so sollte man stets und immer mit allen Möglichkeiten rechnen.« »Das wäre ja ... Das wäre ja Mord!« Steve Barking sah den Butler entrüstet an, als habe er davon noch nie etwas gehört, als habe er selbst noch nie einen Mord begangen. »Bitte, steigen Sie ein!« Parker deutete mit der Spitze seines Schirmes auf die schmale Ladefläche. »Ein Platz wird sich mit Sicherheit für Sie finden, denke ich.« »Hören Sie, Parker, ich schlage Ihnen'n Geschäft vor«, flüsterte Steve Barking, der es sichtlich mit der Angst zu tun bekam.
»Ich würde mir nie erlauben, Myladys Vertrauen zu enttäuschen«, gab Parker abweisend zurück. »Ich red' ja nicht von Geld, Parker.« »Mr. Parker, wenn ich doch sehr bitten darf.« »Ich 'rück mit 'ner saftigen Information 'raus, wenn Sie mir helfen.« »Auf wen oder was sollte diese Information sich denn beziehen, wenn ich fragen darf?« »Ich hab' der Lady natürlich nich' gesagt, wer der Mann ist, für den wir arbeiten, ich hab' ihr 'nen falschen Namen genannt. Der richtige Name aber ist bares Geld wert, Millionen, ob Sie's nun glauben oder nicht.« »Sie sprechen jetzt gewiß von jenem Herry, der sich einer Befragung durch schnelle Flucht entziehen konnte, nicht wahr?« »Ich red' von dem Burschen, der im Nebenzimmer gewesen is'.« »Warum sollte dieser Mann millionenschwer sein, wie Sie anzudeuten beliebten?« »Weil er den Engelsstaub herstellt und verkauft. Mann, Sie haben doch keinen blauen Dunst, wie das staubt und Pfunde einbringt!« »Sie werden versuchen, auch meine bescheidene Wenigkeit zu belügen«, vermutete Josuah Parker. »Sie können's ja nachprüfen, Mr. Parker. Sorgen Sie dafür, daß die alte Verrückte mich nich' umbringt, und schon sin' Sie'n reicher Mann!« »Man könnte es eventuell und unter Umständen auf einen an sich wohl riskanten Versuch ankommen lassen«, entgegnete Josuah Parker, während er Steve Barking auf die schmale Ladefläche drückte. »Halten Sie sich an Peterson, Dale Peterson. Das is' der Bursche, der im Nebenraum gewesen is', mein Wort darauf!« »Und wo finde ich erwähnten Mr. Peterson?« »Der ist Tierarzt in Westend«, redete Steve Barking hastig weiter. »Sagen Sie ihm, daß ich Sie geschickt hab', Mr. Parker. Sagen Sie ihm, daß er Ihnen fünfzig Riesen in die Hand drücken soll, oder ich würde sonst sagen, wo er den Engelsstaub herstellt. Is' das 'ne Basis?« »Ich werde mir die Freiheit nehmen, darüber ausgiebig nachzudenken«, lautete Parkers Antwort. »Ich verspreche Ihnen aber, daß ich vorerst Ihr Leben hegen und schützen werde.« * Parkers hochbeiniges Monstrum stand noch in der Nähe des Betriebs von Harry Raglan. Hier stieg er erleichtert aus dem Land-Rover, den Lady Simpson natürlich gesteuert hatte und suchte draußen auf dem festen Boden der Straße nach seinem Gleichgewicht. Die Fahrt hatte ihn ein wenig angestrengt, denn Lady Agatha ließ wieder mal all ihre Fahrkünste spielen.
Harry Raglan befand sich in einem Zustand, der nicht mehr als erfreulich bezeichnet werden konnte. Er hatte ein geschwollenes Auge, eine schiefe Nase und einige Schürf- und Platzwunden im Gesicht. Er saß in seiner kleinen Kellerwohnung matt und wie innerlich abwesend auf einer Couch und fuhr zusammen, als Parker diskret hüstelte. Raglan reagierte dann recht bezeichnend: Er hob abwehrend die Arme und preßte sich ängstlich in die Ecke der Couch. Als er Parker erkannte, nahm er nur zögernd die Arme wieder herunter. »Sie sehen meine bescheidene Wenigkeit zutiefst erschüttert«, sagte Josuah Parker. »Mir ist inzwischen bekannt, daß Sie von einem gewissen Steve Barking besucht wurden, der sich nach dem Grund meines Besuches erkundigte.« »Warum sind Sie noch mal zurückgekommen, Mr. Parker?« erwiderte Raglan. »Eine Abreibung reicht mir dicke. Sie ahnen ja nicht, wie brutal dieser Barking ist.« »Er war nicht allein, wie ich weiter erfuhr. Er wurde von zwei Schlägern begleitet.« »Gehen Sie, Mr. Parker! Ich will mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun haben. Sehen Sie mich doch an! Ich habe die Nase voll.« »Mylady wird Ihnen ein Schmerzensgeld zahlen, dessen bin ich durchaus sicher«, entgegnete Josuah Parker tröstend. »Ich darf Ihnen schon jetzt im Vertrauen sagen, daß dieses Schmerzensgeld honorig ausfallen wird.« »Ich hätt's besser wissen müssen.« Harry Raglan winkte mutlos ab. »Warum bin ich nicht sofort abgehauen, als Sie auftauchten? Das hätte mich vielleicht gerade noch gerettet.« »Sie werden für ein paar Wochen Urlaub machen können, Mr. Raglan.« »Für ein paar Wochen?« Raglan zeigte erwachendes Interesse. Er war ein harter Bursche, den die Fragestunde mit Barking nicht gerade seelisch zerbrochen hatte. »Urlaub nach Wunsch, Mr. Raglan«, tröstete Parker. »Steve Barking wollte also wissen, nach wem ich mich erkundigte, nicht wahr? Hoffentlich haben Sie ihm die Wahrheit gesagt.« »Darauf können Sie sich verlassen, Mr. Parker. Bevor ich mich abschlachten lasse, packe ich lieber aus. Das können Sie mir nicht verdenken.« »Wissen Sie, ob er nach seinem Besuch bei Ihnen sofort zu Mr. Luton fuhr?« »Weiß ich nicht.« »Haben Sie versucht, Bill Luton zu warnen?« »Nichts habe ich getan. Ich bringe mich doch nicht freiwillig in des Teufels Küche, Mr. Parker. Ich hab' meinen Kopf eingezogen und mich betrinken wollen, aber das hat nicht geklappt. Ich hab's einfach nicht geschafft.« »Und wo finde ich Mr. Luton nun?« »Sie stellen ja schon wieder Fragen, und ich werde nicht mehr antworten. Ich laß mich von Barking nicht noch mal behandeln.« »Mr. Barking wird Sie mit Sicherheit nicht mehr belästigen, auch seine beiden Schläger nicht, Mr. Raglan. Deutlicher brauche ich mich wohl nicht auszudrücken.« »Sie haben das Schwein einkassiert?«
»Ihre Ausdrucksweise ist zwar ein wenig grob, wenn ich es so sagen darf, aber sie umschreibt die Tatsachen vollkommen richtig.« »Bill Luton steckt in Hackney, Stadium Street. Er hat da 'ne Glaserei gepachtet. Mehr sage ich nicht, Mr. Parker. Und wann bekomme ich nun mein Urlaubs- und Schmerzensgeld?« »Es wird Ihnen morgen mit der Post zugestellt werden. Wünschen Sie es in bar, oder darf es gegebenenfalls auch ein Scheck sein?« »Bargeld lacht, Mr. Parker. So, und jetzt ist mir schon viel wohler. Wahrscheinlich schaff ich es jetzt, mich vollaufen zulassen.« ´ * »Was soll'n das?« protestierte Steve Barking, als Parker ihn bat, die Ladefläche zu verlassen. Es war inzwischen dunkel geworden, und die drei Gangster hatten keine Ahnung, wohin man sie gebracht hatte. Sie hatten sich während der Fahrt nur oberflächlich orientieren können. Ihrer Ansicht nach befanden sie sich im Norden der Stadt. »Mylady besteht darauf, Sie und Ihre beiden Freunde für eine gewisse Zeit unterzubringen«, erwiderte Josuah Parker und deutete auf den übermannshohen Zwinger aus soliden Stahlrohren und starkem Maschendraht. Steve Barking, der Mann mit dem maskenhaft starren Gesicht und den gelben Augen, hatte den Zwinger blitzschnell eingeschätzt. Er maulte zwar noch etwas herum, doch in Wirklichkeit war er mit dieser Unterkunft durchaus einverstanden. Für ihn und seine beiden Freunde würde es eine Kleinigkeit sein, von hier zu entwischen. Er marschierte also in den überdachten Zwinger, in dem eine recht große Hundehütte stand. Seine beiden Mitschläger folgten ihm und warteten, bis Parker das Schloß der Zwingertür betätigt hatte. Die drei Schläger und Gangster blieben vor dem Maschendraht stehen und warteten, bis der Land-Rover und Parkers hochbeiniges Monstrum hinter Sträuchern und Büschen verschwunden waren. »Warum hast du Dale Peterson in die Pfanne gehauen?« konnte Schläger Joe jetzt endlich fragen. »Weil dieses miese Stück mich einfach hat sitzen lassen«, gab Steve Barking gereizt zurück. »Wird dieser komische Butler teilen?« wollte Schläger Herry wissen. Skepsis war in seiner Stimme. »Er wird erst mal beschäftigt. Und wir können uns von hier absetzen.« Für Steve Barking war alles einfach und problemlos geworden. »Und wer ist schon Dale Peterson? Der hat doch keine Ahnung, wer der Boß ist. Ein Peterson ist jederzeit zu ersetzen.«
»Worauf warten wir eigentlich noch?« erkundigte Schläger Joe sich und deutete auf die Zwingertür. Auch er trug wie Barking und Herry Handschellen, doch sie behinderten ihn nicht sonderlich. »Warum hauen wir nicht endlich ab, Barking?« »Nur nichts überstürzen.« Barking war stolz auf seinen Trick, den Namen Dale Petersons verraten zu haben, um seine Haut zu retten. Er arbeitete schließlich nicht für diesen Mann in Westend, sondern für einen ganz anderen, dem die Zukunft in der Stadt gehörte. Herry befaßte sich bereits mit dem Schloß der Zwingertür und lachte plötzlich leise. »Das Ding is' mit 'ner Haarnadel zu knacken«, stellte er fachmännisch fest. »Haben wir 'ne Haarnadel?« erkundigte sich Steve Barking. Er hatte auf dem flachen Dach des Hundezwingers Platz genommen. »Passende Büroklammern hat der Mann von Welt immer bei sich«, meinte Herry. »Joe, lang' mal in meine rechte Jackentasche! In ein paar Minuten können wir losmarschieren.« »Und, was dann?« Joe holte die verlangte Büroklammer aus der Tasche und reichte sie Herry, der sie geschickt zurechtbog und sich dann mit dem einfachen Schloß befaßte. »Dann werden wir erst mal die Handschellen knacken, Jungens. Und anschließend schnappe ich mir diese verrückte Lady.« »War's hart?« fragte Herry von der Tür her. »Leute, sowas hab' ich noch nie erlebt. Die muß total bekloppt sein. Die hat 'nen Schlag am Leib, einfach nicht zu fassen! Aber das bekommt die Alte alles doppelt und dreifach zurück ...« »Wollen wir nun gehen oder nicht?« Herry hatte das Schloß inzwischen geöffnet und drückte die Tür auf. Er trat einladend zur Seite und deutete sogar so etwas wie eine Verbeugung an. »Gute Arbeit«, lobte Steve Barking und trat ins Freie. Die Rückkehr in die City konnte kein Problem sein. Irgendwo würden sie sich einen passenden Wagen besorgen, um Zeit zu gewinnen. Er brannte darauf, so schnell wie möglich wieder Kontakt mit Agatha Simpson aufzunehmen. Weder er noch seine beiden Begleiter ahnten auch nur, was auf sie wartete, sonst hätten sie den Zwinger mit Sicherheit nicht verlassen. * Das Haus des Tierarztes Dr. Dale Peterson lag in einem kleinen parkähnlichen Garten in Westend. Hübsch gestrichen, gepflegt aussehend, strahlte es förmlich Tierliebe aus. Es mußte eine wahre Freude sein, mit einem vierbeinigen Patienten hier zu erscheinen. Agatha Simpson glich allerdings einem gereizten Kampfelefanten, als sie vor dem Haus aus ihrem Land-Rover stieg und die wenigen Stufen zur Praxis hinauf schritt. Kathy Porter hatte Mühe, ihrer Herrin zu folgen, die unbedingt mit dem Hersteller von Engelsstaub bekannt werden wollte.
Die Detektivin klingelte Sturm und donnerte mit ihrem Pompadour gegen die Tür der Praxis, die in einem Anbau des Hauses untergebracht war. Ihre Attacke hatte Erfolg, denn schon nach knapp einer halben Minute flammte Licht hinter der Türscheibe auf, dann näherten sich Schritte. »Wer ist denn da?« fragte eine Männerstimme. »Mein Hund«, erwiderte Kathy Porter klagend. Sie stand inzwischen neben der älteren Dame. »Er ist gerade angefahren worden. Sie müssen unbedingt helfen.« Die Tür zur Praxis wurde geöffnet. Lady Simpson sah sich dem Mann gegenüber, den sie insgeheim Eiergesicht getauft hatte. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Das hier war der Mann, den sie auf dem Grundstück gesehen und auf den sie geschossen hatte ... Er erkannte die Einlaßbegehrende natürlich ebenfalls und hatte Mühe, sich nichts anmerken zu lassen, trat dann aber unwillkürlich einen halben Schritt zurück. Sein ovales, an ein Ei erinnerndes Gesicht, färbte sich leicht rot. »Wie ist Ihnen der Sprint bekommen, Doc?« erkundigte Lady Agatha sich grimmig. »Sie scheinen ja noch immer außer Atem zu sein.« »Bitte, ich verstehe nicht, was Sie meinen.« »Sagt Ihnen der Begriff ,Engelsstaub' etwas, Doc? Ich habe diesen Tip aus erster Hand bekommen. Und raten Sie, von wem!« »Ich verstehe noch immer nicht, was Sie . . . Wer sind Sie eigentlich?« Das Eiergesicht hatte sich entschlossen, forsch zu werden. Es wollte Lady Agatha die Tür vor der Nase zuschlagen. Doch das hätte der Veterinär wohl besser erst gar nicht versucht. Lady Simpsons Schuh hatte sich längst zwischen Tür und Angel geschoben. Und dieser Schuh war mehr ein Flachkahn, der auf der Themse hätte dienen können. Die Tür verzog sich, als Dr. Dale Peterson es noch mal mit Nachdruck versuchte und erneut scheiterte. »Ich werde mich bei Ihnen etwas umsehen, Doc«, entschied Agatha Simpson und lehnte sich mit ihrer stattlichen Fülle gegen die Tür, die daraufhin samt Tierarzt nach innen aufschwang. »Das ist... Das ist Hausfriedensbruch, dafür werde ich Sie verklagen«, schnaufte Peterson wütend. »Schnickschnack«, lautete die Antwort der Detektivin. »Wo stellen Sie diesen Engelsstaub her? Zieren Sie sich nicht länger, Doc! Ich glaube, daß ich langsam ärgerlich werde.« »Ich weiß von keinem Engelsstaub.« »Phencyclidin oder auch kurz PCP genannt.« Die Lady hatte sich während der Fahrt von Kathy Porter näher informieren lassen. »Aber das alles kennen Sie natürlich nicht, oder?« »Ich ... Ich protestiere!« »Einverstanden.« Agatha Simpson marschierte bereits durch die Praxis und sah sich um. Sie erwartete selbstverständlich nicht, in den offiziell zugänglichen Räumen so etwas wie ein Geheimlabor zu finden. Sie interessierte sich für Keller und deutete auf eine weiß lackierte Tür.
»Bitte, sehen Sie sich nur um.« Dr. Peterson, das Eiergesicht, zuckte die Achseln. »Sie scheinen einer falschen Information aufgesessen zu sein.« »Was ist das dort hinten für ein Haus?« Kathy Porter hatte einen Blick durchs Fenster nach draußen geworfen. Sie deutete auf einen einstöckigen, rechteckigen und etwa zwei Meter hohen Stall, der sich mit der Rückseite gegen die Einfriedungsmauer des Grundstücks lehnte. »Tierboxen«, sagte Dr. Peterson kurz angebunden, als sei das völlig uninteressant. »Die möchte ich mir mal ansehen«, entschied Lady Simpson. »Und ich werde inzwischen die Polizei verständigen«, gab Dr. Dale Peterson zurück. »Helfen Sie ihm dabei, Kindchen«, meinte Lady Simpson und nickte Kathy Porter zu. Dann öffnete sie die Hintertür und trat in den parkähnlichen Garten. Hier waren einige Lampen eingeschaltet und lieferten ausreichend Licht, um den Plattenweg, der zum Stall führte, zu beleuchten. »Wer ist diese Frau eigentlich?« Dale Peterson wandte sich an Kathy Porter. »Erstaunlich, Sir, daß Sie erst jetzt danach fragen.« Kathy lächelte wissend. »Doc, eine Frage im Vertrauen: Wieso sind Sie eigentlich noch in London?« »Warum sollte ich nicht in London sein?« Der Gefragte sah sie erstaunt an. »Nun, Sie werden den Zwischenfall draußen bei den Docks doch wahrscheinlich weitergemeldet haben. Fürchten Sie eigentlich nicht, daß man Sie als jetzt lästigen Mitwisser ausschalten wird? Sie sind zwar nur ein relativ unwichtiges Mitglied der Organisation, aber eben doch ein Sicherheitsrisiko.« Kathy Porter hatte ihren Satz noch nicht ganz beendet, als plötzlich die Fensterscheibe barst. Glassplitter flogen durch den Raum, und Dr. Peterson ging automatisch in die Knie. Dann warf er sich flach auf den gekachelten Boden. »Bleiben Sie liegen!« Kathy Porters Stimme war eine einzige Warnung. Man will Sie ausschalten, Doc. Wo ist der Lichtschalter? Hoffentlich bringt man nicht Lady Simpson um.« * Steve Barking, der Gangster mit dem maskenhaft starren Gesicht, zündete sich erst mal genußvoll eine Zigarette an und wartete auf seine beiden Begleiter Joe und Herry, die gerade aus dem Zwinger kamen. »Irgendwann machen diese Amateure alle mal 'nen Fehler«, sagte Barking und deutete verächtlich auf den Käfig. »Er hätte doch wissen müssen, daß wir den Zwinger knacken können.« »Gegen Parkers Fehler hab' ich überhaupt nichts«, meinte Herry und grinste. »Un' an dem Fehler wird er noch ersticken«, verkündete Joe optimistisch. Die drei Gangster setzten sich in Bewegung und suchten nach dem Ausgang. Besonders schwierig war die Orientierung nicht, obwohl es längst dunkel geworden war. Steve Barking hatte die Spitze übernommen und ... blieb plötzlich wie angewurzelt stehen.
»Was is' denn?« fragte Joe, der knapp hinter ihm ging. »Nich' rühren«, flüsterte Barking mit seiner häßlichen Stimme, in der jetzt deutlich die Angst mitschwang. »Was is' denn los?« erkundigte sich Herry, der hinter Joe stand. »Schnauze«, flüsterte Barking. »Ganz langsam zurück, Jungens, ganz schön langsam!« Er sah mehr als seine beiden Partner, und er hatte allen Grund, den Rückzug zu empfehlen. Vor ihm stand nämlich ein vierbeiniges, pechschwarzes Ungeheuer, dessen Formen sich nur vage erahnen ließen. Dafür redeten die glühenden Augen dieses Monsters jedoch eine deutliche Sprache. Plötzlich war auch ein andeutungsweises Knurren zu hören. Steve Barking, ein Kind der Großstadt, schätzte Vierbeiner dieser Art nicht besonders. Er überlegte zwar kurz, ob er diesem Hund einen Fußtritt versetzen sollte, verwarf diesen Gedanken aber wieder schnell. Er dachte an die Reißzähne dieser Tiere und an ihre blitzschnellen Reaktionen. Er hatte keine Lust, sich den Fuß zerfleischen zu lassen. Im Rückwärtsgang schoben die Gangster sich zurück zum Zwinger. Steve Barking hörte knapp daneben ein weiteres Knurren und ... entdeckte ein zweites, pechschwarzes Monster, das im Gegensatz zum ersten jedoch sein reichhaltig ausgestattetes Gebiß zeigte. Im schwachen Licht waren die dolchartigen Eckzähne besonders deutlich auszumachen. Steve Barking ahnte inzwischen, daß ein gewisser Josuah Parker keineswegs der Amateur war, wie er ihn eingeschätzt hatte. Und dieser Parker schien mit Sicherheit keinen Fehler begangen zu haben. Er hatte genau gewußt, wohin er seine drei Gefangenen gebracht hatte. Herry spürte etwas, das sich gegen seine linke Kniekehle schob. Er blieb sofort stehen, hörte ein feines Fauchen, wandte sich um und schluckte vor Angst. Hinter ihm stand ein drittes Monster, das ihn mit seiner stumpfen Schnauze ausgiebig beschnupperte. »Weiter, weiter«, drängte Barking, der mit Joe zusammengestoßen war. »Hier is'n Hund«, rief Herry mit heiserer Stimme. Er riskierte einen kleinen Schritt nach hinten und atmete erleichtert auf, als der Vierbeiner Platz machte. Mit winzigen Schritten brachten die Gangster sich in den Zwinger zurück, beobachtet und geduldig verfolgt von den drei schwarzen Vierbeinern, von denen nach wie vor nur die Umrisse zu erkennen waren. Aufatmend schlug Steve Barking schließlich die Drahttür hinter sich zu und wischte sich den Angstschweiß von der Stirn. »So'n Mistkerl«, sagte er dann und meinte mit Sicherheit einen Mann namens Parker. »Die hätten uns doch glatt in der Luft zerrissen«, vermutete Joe. »Hoffentlich hält der Maschendraht«, sorgte sich Herry. Die drei schwarzen Vierbeiner hatten inzwischen vor der Zwingertür Platz genommen und schienen sich zu langweilen. Nur hin und wieder warfen sie einen
prüfenden Blick auf die drei Gangster, die hier sicherer untergebracht waren als in einer Gefängniszelle. * Dr. Dale Peterson zitterte. Er hatte sich erhoben und in eine Ecke des Zimmers gedrückt, wo er sich einigermaßen sicher glaubte. »Man hat auf mich geschossen. Man hat auf mich geschossen«, sagte er fassungslos. »Man wollte mich umbringen ...« »Sie sind eben für Ihre Geldgeber ein Sicherheitsrisiko geworden«, erwiderte Kathy. »Hoffentlich haben Sie eine Möglichkeit, London so schnell wie möglich zu verlassen. Können Sie sich irgendwo draußen auf dem Land verstecken?« »Ich ... Ich weiß es nicht.« Dr. Peterson drückte sich noch tiefer und fester in die Ecke. »Sie werden mich überallhin verfolgen, bestimmt. Sie werden mich aufspüren.« »Mylady könnte dafür sorgen, daß Sie sicher aus der Stadt kommen«, deutete Kathy Porter an. »Eine Frau gegen diese Organisation? Ausgeschlossen! Sie haben ja keine Ahnung, wie mächtig die sind.« Dr. Dale Peterson merkte gar nicht, daß er im Grund bereits ein Geständnis ablegte. Der Schock saß zu tief in ihm. Er dachte nur noch an sein Leben. »Und was wollen Sie jetzt machen, Doc?« »Ich weiß es nicht, ich werde anrufen, ich werde mit den Leuten vernünftig reden. Sie müssen mir glauben, daß ich keinen Verrat geübt habe. Nicht im Traum hätte ich daran gedacht. Ich werde schweigen wie ein Grab.« »Grab? Das ist das Stichwort, Doc! Man wird Ihnen nicht glauben. Man geht davon aus, daß die Polizei bald hier erscheinen wird. Und dann wird auch Ihr Labor gefunden werden, glauben Sie mir.« »Das Labor! Es muß verschwinden. Ich muß es auflösen. Hören Sie, Miß, Sie müssen mir helfen!« »Wo befindet sich das Labor?« Kathy Porter fragte kühl und zielbewußt. »Unter dem Stall, da drüben im Garten.« Dr. Peterson, der Mann mit dem eiförmigen Gesicht, redete sich seine Angst von der Seele. »Und ich hab' wirklich nur unter Zwang mitgemacht, das wird die Polizei mir abnehmen müssen.« »Wie zwang man Sie, Doc? Nein, nein, bleiben Sie in der Ecke! Die Gefahr ist noch längst nicht vorüber. Hoffen Sie, daß Mylady schneller sein wird als Ihre Mörder.« »Wie man mich zwang? Sehr einfach! Das geschah ganz raffiniert. Sie können sich ja nicht vorstellen, wie geschickt man das eingefädelt hat.« »Nämlich, Doc?« Kathy Porter heizte dem Mann weiter geschickt ein. Sie schob sich an das zerbrochene Fenster und warf einen kurzen Blick nach draußen. Dann zuckte sie zurück, als habe sie etwas entdeckt. »Draußen hat sich was bewegt, Dr. Peterson. Bleiben Sie in der Ecke!«
»Was haben Sie gesehen?« »Einen Schatten. Man scheint nicht aufgeben zu wollen. Wie hat man Sie überredet, für die Organisation mitzumachen?« »Ist das jetzt noch so wichtig?« »Sie wollen doch weiterleben, oder? Und nur eine Lady Simpson wird es schaffen, sie aus London herauszubringen. Dafür erwartet sie natürlich Offenheit.« »Ich bekam einige besonders lohnende Verträge«, berichtete Dr. Peterson hastig. »Tierärztliche Kontrolle von Großfarmen, leicht verdientes Geld.« »Wem gehören diese Farmen?« »Einem Schlachtviehverkaufsring, Miß.« »Der wie heißt?« Kathy Porter ließ sich nicht mit Halbheiten abspeisen. »Der Name ist »London Steak Corporation«. Die befaßt sich auch mit Rindfleischeinfuhren aus Argentinien, den Staaten und Neuseeland. Das alles hatte ich zu überwachen. War eine schrecklich einfache Sache.« »Und in diesem Zusammenhang verwandten Sie zum ersten Mal Phencyclidin, nicht wahr?« »Ein völlig reguläres Präparat, Miß. Damit stellt man Schlachtvieh ruhig, wenn es ins Schlachthaus getrieben wird. Die Tiere sind dann ruhig und entspannt.« »Der Bedarf an dem chemischen Präparat wurde immer größer, oder?« »Eines Tages kam dieser Steve Barking, Miß. Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen.« »Er forderte sie auf, dieses PCP in einem eigenen Labor herzustellen, war es so?« »Die haben mir unter dem Stall das Labor eingerichtet und für die chemischen Grundsubstanzen gesorgt. Ich konnte nicht mehr zurück.« »Wieso eigentlich nicht, Doc? Sie hätten sich doch weigern können. Warum setzten Sie sich nicht mit der Polizei in Verbindung?« »Weil man mir sagte, das PCP sei als Droge längst verkauft worden. Man hätte mir allein alles in die Schuhe geschoben. Nein, nein, ich konnte nicht mehr zurück, ich mußte einfach mitmachen.« »Wer leitet die .London Steak Corporation', Doc? Sie werden ja nicht nur mit Steve Barking zu tun gehabt haben.« »Ein gewisser Dales, Miß.« Kathy Porter schluckte vor Überraschung. Sie brauchte einige Sekunden, bis sie sich von dieser echten Neuigkeit erholt hatte. Der Name Dales sagte ihr natürlich einiges. Sie dachte an den Selbstmörder Ralph Dales, mit dem alles angefangen hatte. Er war der Sohn eines gewissen Sir Edward Dales. Sollte das der Dales sein, von dem der Tierarzt gerade gesprochen hatte? »Sie meinten eben doch Sir Edward Dales, nicht wahr?« Sie fragte sicherheitshalber nochmal zurück. »Das ist er, Miß. Er hat mir das alles eingebrockt. Ihm hab' ich das zu verdanken. Und jetzt will er mich umbringen lassen. Sie müssen mir helfen. Ich will 'raus aus der Stadt.« »Mylady wird das arrangieren, Doc. Ich glaube, sie kommt. Aber bleiben Sie in der Ecke, es könnten auch Ihre Mörder sein.«
Dale Peterson machte sich sehr klein, ging in die Hocke und keuchte vor Angst und Erregung. Kathy Porter ging zur Tür und öffnete sie. Als sie Licht einschaltete, schrie Peterson auf. Kathy Porter aber zwinkerte der hereinmarschierenden Lady zu. »Nun?« fragte die Detektivin leise. »Hat mein Schuß gewirkt?« »Wunderbar, Mylady«, gab Kathy Porter ebenso leise zurück. »Dr. Peterson hat ein umfassendes Geständnis abgelegt. Damit wird man weiterarbeiten können.« »Ein Schuß zur rechten Zeit, Kindchen, erspart langwierige Verhöre«, erklärte Lady Agatha zufrieden. »Mr. Parker wird sich schwarz ärgern, wenn er erfährt, daß ich den Fall bereits gelöst habe.« * Butler Parker brauchte nur wenige Sekunden, bis er das einfache Schloß zu Bill Lutons Wohnung geöffnet hatte. Nach einem Gespräch mit Harry Raglan war der Butler nach Hackney gefahren, um sich mit dem Glasbläser zu unterhalten. Auf das Läuten an der Haustür hatte Luton nicht reagiert. Darum verschaffte Josuah Parker sich auf diese Art und Weise Zutritt zu der Wohnung. Gewiß, dies geschah nicht im Einklang mit den herrschenden Gesetzen, doch etwas in Parker drängte ihn, auf gewisse Regularien zu verzichten. Parker hatte das Gefühl, daß Luton etwas passiert war. Seine Befürchtungen bestätigten sich leider. Bill Luton, der Glasbläser, lebte nicht mehr. Er lag in einem der Kellerräume vor einem Arbeitstisch. Äußere Verletzungen konnte Parker zwar nicht erkennen, doch er ahnte bereits, daß dieser Mann ermordet worden war. Parker war erfahren genug, um den Zeitpunkt des Todeseintritts einigermaßen sicher festzustellen. Seiner Ansicht nach war Bill Luton vor etwa einer Stunde ums Leben gebracht worden. Auf dem Arbeitstisch lagen nur noch Glasscherben. Man hatte alles zertrümmert, was Form gehabt hatte und war dabei sehr gründlich vorgegangen, um eine spätere Identifikation der hergestellten Glasgefäße so gut wie unmöglich zu machen. Nun, das war etwas für Spezialisten ... Josuah Parker befaßte sich erneut mit Bill Luton und entdeckte in der linken Armbeuge des Toten einen blutunterlaufenen Einstich, als sei dort eine Injektion erfolgt. Die drei Gangster Steve Barking, Joe und Herry kamen als Mörder nicht in Betracht. Vor einer Stunde noch hatten sie sich auf der schmalen Ladefläche von Myladys Land-Rover befunden. Sollte der Mann mit dem eiförmigen Gesicht hier zugeschlagen haben? Nein, auch das war so gut wie ausgeschlossen. Mylady und Kathy Porter waren zu Dr. Peterson gefahren, um dem Tierarzt einige harte Fragen zu stellen. Sie hatten ihn in seinem Haus angetroffen, das wußte der Butler von einer Funksprechdurchsage her. Kathy Porter hatte es ihm vor dem Betreten des Hauses noch mitgeteilt.
Die Organisation, die mit dem Engelsstaub handelte, war offensichtlich doch stärker besetzt, als Parker bisher angenommen hatte. Wahrscheinlich beschäftigte der Chef dieser Rauschgiftorganisation noch weitere Handlanger und Mörder, um Spuren zu verwischen. Butler Parker verzichtete darauf, die Wohnung nach brauchbaren Spuren zu durchsuchen. Das hatten die Mörder wohl bereits gründlich besorgt. Es war kaum anzunehmen, daß sie dabei etwas Wichtiges übersehen hatten. Parker bedauerte den Glasbläser. Dieser Mann war schließlich nur eine Randfigur gewesen, aber dennoch hatte man ihn gnadenlos in den Tod geschickt. Die Hersteller und Verteiler des Engelsstaubs ließen sich auf kein Risiko ein. Parker hatte sich aufgerichtet und horchte nach oben in die Wohnung. Dort hatte sich gerade das Telefon gemeldet. Er ging über die schmale Kellertreppe hinauf und hob den Hörer ab. »Bei Luton«, meldete er sich mit neutraler Stimme. »Parker, nicht wahr?« fragte es undeutlich zurück. »In der Tat! und mit wem habe ich die Ehre?« »Mit einem, der es gut mit Ihnen meint, Parker.« »Darf ich mir gestatten, mich bereits im vorhinein zu bedanken?« »Sie leben gefährlich, Parker«, sagte die undeutliche Stimme. »Sie spielen mit Ihrem Leben! Möchten Sie so umkommen wie Luton?« »Dies ist nicht meine erklärte Absicht«, gab der Butler zurück. »Sollte ich unterstellen, daß man Luton PCP injiziert hat?« »Richtig, man hat, Parker! Und das passiert jedem, der meine Kreise stört, prägen Sie sich das ein! Ich lasse mir mein Geschäft nicht vermasseln.« »Es stört Sie mit Sicherheit überhaupt nicht, daß dieses Geschäft Menschenleben kosten wird?« »Überhaupt nicht. Ich zwinge ja keinen, den Engelsstaub zu nehmen. Das kann jeder halten, wie er will.« »Eine mehr als zweifelhafte Rechtfertigung, wenn ich es so bezeichnen darf. Süchtige sind kranke Menschen. Sie sind gezwungen, sich immer wieder neue Drogen zu verschaffen.« »Kommen Sie mir bloß nicht mit diesem Unsinn, Parker, und bleiben wir beim Thema. Ich werde Ihnen eine Chance geben.« »Sie sind offensichtlich ein Menschenfreund.« »Spotten Sie ruhig von mir aus, Parker! Ich zahle Ihnen zehntausend Pfund, dafür vergessen Sie diesen PCP-Fall. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt.« »Und wie wollen Sie mir die avisierte Summe zusenden?« »Morgen werden Sie ein Päckchen bekommen, darin wird das Geld sein. Nehmen Sie's an, ist es gut, nehmen Sie's nicht an, dann werden Sie nicht mehr lange leben! Wie gesagt, ich lasse mir das Geschäft nicht kaputt machen. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?« »Sie werden verstehen, daß ich mir Ihren Vorschlag erst mal durch den Kopf gehen lasse. Wissen Sie übrigens, daß ich so frei war, die Herren Barking, Joe und Herry in Gewahrsam zu nehmen?«
Auf der Gegenseite wurde es für einen Moment sehr still. Noch nicht mal das Atmen seines Gesprächspartners war zu vernehmen. »Okay, Sie werden in dem Päckchen fünfzehntausend Pfund vorfinden«, hörte Parker dann. »Ich werde, wie ich versichern darf, sehr ausgiebig nachdenken müssen«, schloß Parker das Gespräch. »Darf ich davon ausgehen, daß sich in dem angekündigten Päckchen kein Sprengstoff befindet?« »Sie würden ja doch dahinter kommen, Parker. Ich versuch's also gar nicht.« Es klickte, dann wurde aufgelegt. Josuah Parker ließ seinen Hörer in die Gabel fallen und korrigierte den Sitz seiner Melone. Er dachte über den Gesprächspartner nach. Wie ein Gangster hatte die undeutliche Stimme nicht geredet. Es hatte fast jede Andeutung eines Slangs gefehlt. Der Mann, der ihm fünfzehntausend Pfund offeriert hatte, stammte wahrscheinlich nicht aus den tiefsten Kreisen der Unterwelt. Dieser Mann verstand es auch, logisch zu denken und Zeiten zu berechnen. Warum hatte er ausgerechnet jetzt bei Bill Luton angerufen? Wieso hatte er diesen richtigen Zeitpunkt berechnen können? Nein, das war eigentlich schlecht möglich! Parker hätte überall, nur nicht gerade bei dem Glasbläser sein können. Das Haus des ermordeten Bill Luton stand unter Sichtkontrolle. Man wußte, daß er hier war. Und man würde draußen in der Dunkelheit auf ihn warten, um ihn auszuschalten. Parker konnte sich denken, was ihn erwartete. Er richtete sich darauf ein, von Profis unter Feuer genommen zu werden. Und gerade diese Profis hätte er sich liebend gern mal aus der Nähe angesehen. Er mußte sich also etwas einfallen lassen. Was er dann auch tat. * Es waren die beiden jungen Männer aus Fandys Büro, die dem Butler auflauerten. Sie freuten sich darauf, mit Parker endlich abrechnen zu können. Sie dachten natürlich noch immer an ihre mehr als peinliche Niederlage im Büro ihres Arbeitgebers, als die Lichtbombe des Butlers sie außer Gefecht gesetzt hatte. Diesmal wollten sie sich nicht noch mal hereinlegen lassen. Sie hatten kurzläufige Maschinenpistolen auf ihren Knien und warteten nur darauf, einige Feuerstöße auf den verhaßten Butler abfeuern zu können. Fandys Leibwächter, Harry und Duff, saßen in einem schnellen Wagen, den sie vor dem Haus des Glasbläsers abgestellt hatten. Sie standen per Sprechfunk mit Fandy in Verbindung, der in einem anderen Wagen saß und zwar mit einem neuen Geschäftspartner, wie die beiden Leibwächter wußten. Sie wußten auch, daß diese neue Verbindung erst einige Stunden alt war und ein Vermögen einbringen würde. »Tut sich was?« Fandy hatte sich über das kleine Sprechfunkgerät gemeldet. Harry schaltete sein Gerät auf Sendung und teilte Fandy mit, Parker sei immer noch im Haus.
»Paßt auf wie die Schießhunde«, schärfte Fandy seinen beiden jungen Leuten ein. »Parker steckt voller Tricks. Ihr müßt ihn unbedingt erledigen.« »Darauf können Sie jetzt schon Gift nehmen, Chef«, erwiderte Harry. »Der komische Butler ist eigentlich schon hin, er weiß es nur noch nicht.« Harry schaltete das Sprechfunkgerät ab und widmete sich wieder dem Haus des Glasbläsers. »Wen hat der Chef sich denn da an Land gezogen, Harry?« wollte Duff wissen. »Den neuen Partner?« Harry hob die Schultern. »Keine Ahnung, was Fandy auskocht, Hauptsache, wir kriegen Kohlen.« »Ich hab' nur'n Teil mitbekommen«, redete Duff weiter, »ich war gerade im Nebenzimmer, als der Neue anrief.« »Und was hast du aufgeschnappt?« »Das Gespräch dauerte höchstens fünf Minuten, und schon war die Sache geritzt. Fandy ist mit genau fünfzig Prozent eingestiegen, wie ich gehört habe.« »Dann werden's bald hundert Prozent sein.« Harry lachte leise.« »Fandy legt jeden aufs Kreuz.« »Bis auf Parker.« Duff grinste. »Versteh' mich bloß nicht miß, Harry, aber irgendwie hat's mir geschmeckt, daß auch er mal aufs Kreuz gelegt worden ist.« »Und wie!« Nun grinste auch Harry, der überhaupt nicht mißverstand. »Darum ist Fandy ja auch so scharf darauf, daß wir den Butler jetzt umlegen.« »Ob er mit neuen Tricks kommt?« Duff fühlte sich sehr unbehaglich bei diesem Gedanken. »Dagegen kommt er auch mit den übelsten Tricks nicht an.« Harry klopfte auf seine Maschinenpistole. »Warum kommt er denn nicht 'raus?« »Geh' 'rüber und frag' ihn mal!« Fandys schießlüsterne Leibwächter gerieten von Minute zu Minute immer mehr in Spannung. Parker mußte die Leiche des Glasbläsers doch längst gefunden haben. Und er hatte auch Zeit gehabt, die Wohnung zu durchsuchen. Warum kam er also nicht endlich aus dem Haus? »Ob er überhaupt noch drin ist?« fragte Harry plötzlich. »Wo soll er denn sonst sein?« Duff sah seinen Partner überrascht an. . »Vielleicht ist er längst über 'nen Hinterhof abgehauen.« »Warum sollte er?« »Weil er vielleicht Lunte gerochen hat.« »Unsinn, Jungens, ihr wartet«, kommandierte Fandy gereizt. »Warum sollte er sich heimlich absetzen? Er hat doch überhaupt keine Ahnung, daß wir auf ihn warten.« Duff, der zugehört hatte, spürte plötzlich einen stechenden Schmerz im Oberarm. Durch das geöffnete Wagenfenster schien sich ein immerhin erstaunlich großes Insekt ins Innere verirrt und ihn gestochen zu haben.
Duff faßte nach der schmerzenden Stelle und keuchte plötzlich vor Angst und Erregung. Seine Finger fühlten einen stricknadellangen Pfeil, der fest in seinem Oberarm steckte. »Harry«, sagte er dann mit belegter Stimme und wandte sich seinem Partner zu, »Harry, ich glaub', ich bin . . . Ich hab'... Mich hat's ...« »Was ist denn los?« wollte Harry wissen und drehte sich zu seinem Begleiter um, der am Steuer des Wagens saß, doch Duff konnte schon nicht mehr antworten. Er war mit dem Oberkörper nach vorn gerutscht und ruhte sich auf dem Lenkrad aus. * »Eine recht erfolgreiche Nacht, wenn man mal davon absieht, Mr. Parker, daß Sie den Anschluß verpaßt haben«, stellte Lady Simpson eine Stunde später zufrieden fest. »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit zerknirscht «, erwiderte Josuah Parker. »Was wären Sie ohne mich, Mr. Parker!?« Die ältere Dame triumphierte. »Wäre es Ihnen gelungen, diesen Dr. Peterson zu einem Geständnis zu bewegen?« »Mit Sicherheit wäre es nicht der Fall gewesen, Mylady«, gab Parker zurück. »Eigentlich ist es ja Kathy gewesen, aber das spielt in diesem Zusammenhang überhaupt keine Rolle«, stellte die Detektivin fest. »Ich habe immerhin durch das Fenster geschossen und diesen Peterson geständnisbereit gemacht, oder?« »Er wird sich bestimmt noch melden«, hoffte Parker. Er spielte dezent auf die Tatsache an, daß Dr. Peterson die Flucht ergriffen hatte. »Natürlich wird er sich noch melden«, erwiderte Agatha Simpson scharf. Petersons Flucht ging auf ihr Konto, doch davon wollte sie natürlich nichts wissen. »Schade, daß Miß Porter mich daran gehindert hat, diesen Lümmel doch noch zu erwischen.« Das stimmte zwar überhaupt nicht, doch Kathy Porter verzichtete darauf, die Dinge klarzustellen. »Ich habe Ihnen ja bereits verziehen, Kindchen«, redete Lady Agatha munter weiter. »Wir wissen immerhin, für wen Peterson das PCP hergestellt hat, nicht wahr?« »Für die London Steak Corporation, Mylady.« Kathy nickte. »Und der Inhaber dieser Firma soll laut Dr. Peterson Sir Edward Dales sein.« »Der Vater jenes Unglücklichen, der sich durch Selbstmord ums Leben brachte«, fügte Parker hinzu. »Hier deuten sich recht interessante Aspekte an, wenn ich so sagen darf.« »Damit ist der Fall eigentlich schon gelöst, Mr. Parker, nehmen Sie das zur Kenntnis. Und jetzt könnte ich noch einen kleinen Schlummertrunk vertragen, ich werde sonst nicht einschlafen.« Es war weit nach Mitternacht. Das Trio befand sich wieder im Stadthaus der Lady und hatte die Ereignisse der vergangenen Stunden besprochen. Parker servierte seiner Herrin das zweite, hoch
gefüllte Glas mit Punsch, einer raffinierten Mischung aus Rotwein, Rum und Kognak. Mylady schnupperte liebevoll am Inhalt und nickte anerkennend. »Punsch können Sie immerhin zubereiten«, meinte sie dann spöttisch und anzüglich. »Aber was haben Sie sonst erreicht?« »Mir war es leider nur vergönnt, Mylady, ein kleines Detail am Rande wahrzunehmen.« »Sie reden natürlich von diesen beiden Gangstern im Auto, nicht wahr? Wie konnten Sie sie nur entwischen lassen? Das passiert ja noch nicht mal einem Anfänger, Mr. Parker!« »Erlaubte ich mir bereits zu sagen, daß ich mich einer gewissen Zerknirschung hingebe?« schickte Parker in seiner höflichen Art voraus.« Falls meine Augen mich nicht trogen, Mylady, handelte es sich bei den jungen Männern um die beiden Leibwächter Mr. Fandys.« »Warum auch nicht?« Agatha Simpson genoß ihren Punsch. Sie hatte die ganze Tragweite dieser Tatsache noch nicht hinreichend erkannt. »Daraus läßt sich schließen, Mylady, mit aller gebotener Vorsicht natürlich, daß die Engelsstaubhändler sich plötzlich mit Norman Fandy liiert zu haben scheinen.« »Das war doch zu erwarten.« »Möglicherweise, Mylady.« Parker ließ sich auf keine Debatte ein. »Meiner bescheidenen Ansicht nach scheint man hier eine Art Not- und Interessengemeinschaft eingegangen zu sein. Mr. Fandy handelte bisher nur mit konventionellen Drogen, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Und jetzt eben noch zusätzlich mit Engelsstaub, Mr. Parker. Er weitet sein mörderisches Geschäft aus. Aber wir wissen, wo wir anzusetzen haben, sollte Ihnen das entgangen sein? Wir werden uns morgen mit dieser ,Steak Corporation' befassen und mit diesem Sir Edward Dales. In ein paar Minuten werde ich McWarden dann den fertig gelösten Fall auf den Tisch legen.« So optimistisch wie die Lady sah Butler Parker den Fall keineswegs, doch er hütete sich zu widersprechen. Er glaubte, daß die Dinge erst jetzt gefährlich wurden. Bisher schien eine Art Amateurgruppe den Engelsstaub hergestellt und vertrieben zu haben, eine Gruppe ohne harte Profis, wenn man mal von Barking und den beiden Gangstern Joe und Herry absah. Nun aber hatte sich Fandy eingeschaltet. Dieser Gangsterchef verfügte über eine schlagkräftige Organisation, die auf Knopfdruck reagierte und seit vielen Monaten aufeinander eingespielt war. * Butler Parker hatte sich zu Bett begeben. Er wohnte im ausgebauten Souterrain des altehrwürdigen Stadthauses und konnte hier seinem Privatleben ungestört nachgehen. Agatha Simpson ließ sich hier mehr als selten sehen, sie respektierte Parkers Intimsphäre. Seine Wohnung bestand aus einem Wohnraum, einem Schlafraum, dem obligaten Bad und einem Raum, den der Butler gern sein Labor nannte. Eingeweihte
hingegen sprachen in diesem Zusammenhang von Parkers Bastelstube. Hier fertigte er die kleinen Miniaturüberraschungen an, die seine Gegner immer wieder verwirrten. Parker blätterte in einem Magazin für Elektronik und informierte sich über den neusten Stand auf diesem Gebiet. Von seinem Bett aus konnte er die Signaltafel überschauen, die er auf Betrieb geschaltet hatte. Wer immer auch versuchte, in das Haus einzudringen, mußte mit Überraschungen am laufenden Band rechnen. Lady Simpsons Heim war im Lauf der Zeit zu einer erstklassig gesicherten Festung geworden. Auf der Signaltafel waren kleine Fernsehmonitore angebracht, die von Parker ganz nach Belieben geschaltet werden konnten. Er bediente sich dazu einer Ultraschallsteueranlage, die auf dem Nachttisch lag. Er wollte das Magazin gerade aus der Hand legen, als eine kleine Signallampe rot aufleuchtete. Parker wußte mit einem Blick, was das zu bedeuten hatte: Oben auf dem Dach des Fachwerkhauses war ein Sensor belästigt worden, der jetzt Alarm auslöste. Von einem größeren Nachtvogel konnte dieser Alarm unmöglich verursacht worden sein. Daran hatte Parker bei der Installation natürlich gedacht.. Er griff nach dem Fernbedienungsschalter und drückte auf einen der vielen Knöpfe der Ultraschallanlage. Ein Monitor schaltete sich ein, flackerte nur kurz und lieferte dann ein erstaunlich lichtstarkes Bild. Auf dem Dach war eine schwenkbare Fernsehkamera installiert, deren Objektiv jetzt nur noch auf den Störenfried ausgerichtet werden mußte. Auch das ließ sich per Fernbedienung leicht einrichten. Nach wenigen Minuten lieferte der Bildschirm den richtigen Dachabschnitt. Neben einem der vielen Kamine waren zwei Männer zu erkennen, die natürlich keine Ahnung hatten, daß sie bereits aufgenommen wurden. Sie versuchten, durch eines der nahen Dachfenster ins Haus einzusteigen. Es mußte sich um erfahrene Profis handeln, wie Parker gleich bemerkte. Sie gingen ohne Hast, doch sehr geschickt vor. Parker blieb nach wie vor im Bett. So etwas war nicht geeignet, seine Nachtruhe zu stören. Er beobachtete, wie die beiden Männer, deren Gesichter geschwärzt waren, das Fenster knackten, um dann in Richtung Dachboden zu verschwinden. Parker bediente einen weiteren Knopf. Und was jetzt kommen würde, sah er im Geist genau vor sich. Die beiden Männer würden auf die vermeintliche Dachbodentür zugehen, auch sie gewaltsam öffnen und sich dann in einem kleinen Vorflur befinden, der noch mal vor einer weiteren Tür endete. Butler Parker gähnte diskret, schaltete das Licht aus und legte sich in durchaus korrekter Haltung auf die rechte Seite. Für ihn gab es jetzt nichts mehr zu tun. Alles weitere dort oben auf dem Dachboden lief nach einem genauen Schema ab. Er schlief schnell und übergangslos ein. Als am anderen Morgen - er hatte nur wenige Stunden geruht - der Wecker sich meldete, fühlte Parker sich taufrisch und erholt. Er stand auf, warf einen recht altertümlich wirkenden Morgenmantel über und bereitete sich erst mal eine Tasse Tee. Nach dem Genuß dieses erfrischenden
Getränks kleidete Parker sich an, nachdem er seine Morgentoilette mit abgezirkelten Bewegungen beendet hatte. Er begab sich hinauf in die Küche des Hauses und machte sich daran, das Diätfrühstück für Lady Simpson zuzubereiten. Er grillte ein nicht zu kleines Steak, einige Würstchen, bereitete Eier mit Speck, zu, sorgte für eine kräftige Fleischbrühe, für Toast und verschiedene Käsesorten, um dann sicherheitshalber noch an Porridge zu denken. Lady Agatha hatte sich fest vorgenommen, eine strenge Diät zu halten. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, etwas für ihre Figur zu tun. Daher auch nur dieses recht frugale Angebot... Während dieser ganzen Zeit dachte Parker zwar an die beiden Männer oben auf dem Dachboden, doch er kümmerte sich nicht um sie. Er wußte sie gut aufgehoben, sie hatten noch Zeit. Rein psychologisch gesehen, schadete es ihnen überhaupt nicht, wenn sie warten mußten. * »Ich komme wieder mal nicht zufällig vorbei, Mylady«, sagte Chief-Superintendent McWarden, nachdem Josuah Parker ihn in den kleinen Frühstücksraum geführt hatte. McWarden verbeugte sich knapp vor der alten Dame, die auf die leeren Teller ihres Diätfrühstücks zeigte. »Wären Sie nur ein paar Minuten früher gekommen, McWarden, vielleicht hätte ich Sie eingeladen.« »Ich habe schon gefrühstückt«, gab McWarden grimmig zurück. »Man hat mir einen Mord serviert, um ganz genau zu sein.« »Denken Sie an meinen schwachen Magen«, bat Agatha Simpson. »Sie wissen doch, wie empfindlich ich bin.« »Dann werde ich lieber nichts sagen, Mylady.« »Sie müssen nicht immer gleich übertreiben«, grollte Lady Agatha. »Wer ist ermordet worden?« »Sagt Ihnen der Name Dr. Dale Peterson etwas?« fragte McWarden und sah Lady Simpson argwöhnisch und abwartend an. »Fragen Sie Mr. Parker, ob dieser Name mir etwas sagt«, wich die Hausherrin der Frage geschickt aus. »Sie sollten doch wissen, daß eine Frau in meinen Jahren nur noch ein schlechtes Gedächtnis hat.« »Sie kennen Dr. Peterson?« McWarden wandte sich an Josuah Parker. »Nehmen Sie einen Tee, Sir?« fragte Parker erst mal, um Zeit zu gewinnen. »Ich will keinen Tee, ich will eine Auskunft, Mr. Parker.« »Ist dieser gerade erwähnte Dr. Peterson der Ermordete?« »Das haben Sie doch längst herausgehört, Mr. Parker. Ja, er ist es! Man hat ihn im Hyde Park gefunden, erschossen.« »Und darum muß ich ihn bereits kennen?« wunderte Lady Agatha sich. »Wollen Sie mir etwa diesen Mord in die Schuhe schieben, McWarden?«
»Unsinn, aber in seiner Ziertuchtasche fanden meine Leute einen Zettel, auf dem Ihr Name und Ihre Telefonnummer stehen. Es ist doch klar, daß ich Sie nach diesem Dr. Peterson fragen muß.« »Ein Tierarzt aus dem Westend, wenn ich nicht sehr irre«, antwortete Butler Parker vorsichtig. »Mehr wissen Sie nicht über ihn?« McWarden lächelte wissend. »Falls ich mich nicht sehr täusche, Sir, waren Mylady und Miß Porter in der vergangenen Nacht bei eben jenem Dr. Peterson.« Parker räumte das sicherheitshalber im vorhinein ein, denn er dachte an die vielen Fingerabdrücke, die beide Damen dort im Haus zurückgelassen hatten. »Ich bin für die Wahrheit und nichts als die Wahrheit«, schaltete die ältere Dame sich jetzt ein. »Sie wissen ja, McWarden, daß ich Sie noch nie angeschwindelt habe.« »Sind Sie sicher, Mylady?« McWarden schnaufte, winkte aber hastig ab, als die Detektivin sich in ihrer ganzen Stattlichkeit aufrichtete und ihn anblickte. »Natürlich weiß ich das, um keine Zweifel aufkommen zu lassen.« »Das möchte ich Ihnen auch geraten haben, McWarden.« Lady Agatha nickte zufrieden. »Um aber auf den Tierarzt zurückzukommen, haben Sie überhaupt gewußt, daß er Engelsstaub herstellte?« »Unter einem leichten Stallgebäude in seinem Garten fanden wir ein Labor, das aber leider total ausgebrannt ist.« McWarden räusperte sich. »Seit wann wußten Sie vom Doppelleben des Dr. Peterson?« »Seit etwa sechs Stunden, Sir.« Parker hatte auf die große, alte Standuhr geblickt und die Zeit berechnet. »Und warum erfahre ich erst jetzt davon?« Der Chief-Superintendent wirkte schon wieder gereizt wie eine Bulldogge. »Sie hätten es heute erfahren«, meinte die ältere Dame. »Alles zu seiner Zeit. Eine alte Frau wie ich muß ja auch mal schlafen, oder gönnen Sie mir das nicht?« »Ein Anruf hätte genügt, Mylady.« »Diesen Anruf zu tätigen, Sir, habe ich leider versäumt«, warf Josuah Parker ein. »Hoffentlich sind Sie in der Lage, meiner bescheidenen Wenigkeit noch mal zu verzeihen.« »Dr. Peterson hätte mir bestimmt wichtige Hinweise auf die Drogenhändler geben können«, erwiderte McWarden. »Wie sind Sie überhaupt an diesen Namen geraten? Man muß Ihnen doch einen Tip zugespielt haben, oder?« »Richtig«, sagte die ältere Dame, bevor Parker die Frage beantworten konnte. »Und ich glaube, McWarden, daß es Konkurrenten dieses Dr. Peterson gewesen sind, die ihm eins auswischen wollten. Sie haben es ja selbst gesagt, dieser Engelsstaub ist erheblich billiger als das klassische Giftzeug. Er ruiniert den Drogenmarkt, so ähnlich drückten Sie sich doch aus, wenn ich mich recht erinnere. Aber bisher haben Sie nur Fragen gestellt, nun möchte ich mal etwas von Ihnen hören, damit das Gleichgewicht wiederhergestellt wird. Was haben denn Sie bisher herausgefunden? Oder haben Sie auf der faulen Haut gelegen?«
* »Wir haben zwei weitere Selbstmorde, vier schwere Fälle von Drogenvergiftungen und sechs leichtere. Alles Engelsstaub, wie die Polizeiärzte herausfanden. Dieses Gift scheint plötzlich in großen Mengen gehandelt zu werden.« »Von den klassischen Drogenhändlern?« erkundigte sich Parker. »Da bin ich mir nicht ganz sicher.« McWarden schüttelte den Kopf. »Hier scheint eine völlig neue Verteilerorganisation aufgebaut zu werden.« »Die bisherigen Drogenhändler werden sich das Geschäft nicht aus der Hand nehmen lassen, Sir.« Parker begnügte sich mit dieser Andeutung. »Das fürchte ich allerdings auch.« McWarden seufzte. »Wahrscheinlich wird es zu Bandenkriegen kommen. Habe ich Ihnen übrigens schon gesagt, daß Scotland Yard heute in früher Morgenstunde wegen eines seltsamen Vorfalls alarmiert wurde?« »Kommen Sie mir nur ja nicht mit Spitzfindigkeiten, McWarden.« Lady Agathas Stimme grollte. »Sagen Sie schon endlich, was passiert ist. Ein weiterer Mord?« »Wir wurden von Leuten alarmiert, die Schreie hörten. Sie kamen aus dem Gelände einer Hundezuchtfarm.« »Das hört sich aber nicht besonders interessant an.« Agatha Simpson verzog ihr Gesicht. Sie tat so, als wisse sie nicht Bescheid. »Wir mußten zwei Streifenwagen und drei Hundefänger einsetzen«, berichtete McWarden weiter und lächelte wider Willen. »Drei bekannte Schläger und Gangster befanden sich in einem Hundezwinger und wurden von Rottweilern belagert.« »Drei bekannte Gangster?« fragte Parker. ' »Sie heißen Barking, Joe und Herry«, schloß der Chief-Superintendent.« Sie haben bisher jede Aussage verweigert und nicht gesagt, wer sie in diesen Zwinger gesperrt hat. Sie wissen zufällig nichts darüber?« »Wo stecken die Lümmel jetzt?« »Sie befinden sich zwar noch in Haft, aber man wird sie freilassen müssen. Sie haben schließlich kein Verbrechen begangen, ich meine, man kann ihnen nichts nachweisen.« »Den Namen Barking müßte ich schon mal gehört haben«, sinnierte Josuah Parker halblaut. »Ein Gangster, der sich und seine beiden Partner gegen Honorar vermietet«, präzisierte McWarden. »Das wissen wir natürlich auch. Übrigens, eine verrückte Idee, diese drei Männer in einen Hundezwinger zu stecken und von scharfen Rottweilern bewachen zu lassen.« »Könnten diese drei Herren möglicherweise für Dr. Peterson gearbeitet haben?« deutete Parker an. »Daran dachte ich auch schon.« McWarden ging auf diese Frage behutsam ein. Ihm war natürlich bewußt, daß Parker mehr wußte. »Vielleicht wurden Barking, Joe und Herry bewußt ausgeschaltet, Sir. Und vielleicht könnte man sie für einige Zeit in Untersuchungshaft halten.«
»Ohne jede Anschuldigung? Wir leben schließlich in einem Rechtsstaat, Mr. Parker.« »Ich möchte mir nicht erlauben, Ihren Untersuchungen vorzugreifen, Sir«, schickte Parker voraus, »aber konnte man bei den drei Herren keine Drogen finden? Falls sie wirklich für Dr. Peterson arbeiteten, tragen sie möglicherweise Proben mit sich herum.« »Das werde ich nachprüfen lassen«, versprach McWarden erleichtert. Er wußte jetzt, daß man Drogen bei den drei Gangstern finden würde. Ein Mann wie Josuah Parker hatte bestimmt dafür gesorgt, daß sie entdeckt werden mußten. »Ich hätte da noch eine Frage«, meinte McWarden. »Angenommen, Dr. Peterson hätte wirklich Engelsstaub hergestellt, ich meine, in seinem Geheimlabor unter dem Stall, könnten Sie sich vorstellen, Mr. Parker, daß ein Mann wie er versucht hat, eine eigene Verteilerorganisation aufzubauen?« »Falls Dr. Peterson auf irgendeine Art und Weise mit Barking in Verbindung kam, durchaus, Sir. Ich möchte sogar soweit gehen und unterstellen, daß Barking den Vorschlag gemacht hat, solch einen Verteilerring aufzuziehen. Aber wie gesagt, das alles sind nur vage Vermutungen, die im Augenblick nicht beweiskräftig untermauert werden können.« »Noch eine Frage, Mr. Parker: Glauben Sie, daß mit Petersens Ermordung kein weiterer Engelsstaub auf dem Drogenmarkt angeboten wird?« »Davon kann und darf man leider nicht ausgehen, Sir.« Parker schüttelte andeutungsweise den Kopf. »Meiner bescheidenen Schätzung nach dürfte genau das Gegenteil der Fall sein. Nun werden die Dinge erst richtig in Bewegung geraten.« »Gut zu wissen.« McWarden holte tief Luft. »Dann wird ja noch einiges auf mich zukommen, fürchte ich.« »Davon sollten Sie ausgehen, Sir«, bestätigte Josuah Parker und warf seiner Herrin einen schnellen Blick zu. »Der Fall ist keineswegs geklärt. Er beginnt erst, um es präzise auszudrücken.« * »Mit diesem Mann kann man doch unmöglich vertrauensvoll zusammenarbeiten«, stellte Lady Simpson fest, als Chief-Superintendent McWarden das Haus verlassen hatte. »Er hat mir doch glatt verschwiegen, daß Dr. Peterson für die .London Steak Corporation' gearbeitet hat.« »Wäre es denkbar, Mylady, daß Mr. McWardens Wissensstand diesen' Erkenntnispunkt noch nicht erreicht haben könnte?« »Papperlapapp, Mr.. Parker! Sie wissen genau, daß er das inzwischen längst herausgefunden hat. Er wird vor mir bei diesem Sir Edward Dales sein und ihm Fragen stellen.« »Und nur nichtssagende Antworten erhalten, Mylady. Gewiß, ein Verdacht wird zurückbleiben, doch nicht mehr. Myladys Position hingegen möchte ich als
ungemein stark bezeichnen. Mylady haben andere Möglichkeiten, die Wahrheit herauszufinden.« »Worauf Sie sich verlassen können, Mr. Parker.« Sie nickte grimmig. »Und ich werde das sofort in die Hand nehmen. Diesem Sir Edward Dales werde ich gründlich die Hölle einheizen.« »Sollten Mylady sich vielleicht vorher nicht mit den beiden Zwangsgästen unterhalten, die sich während der Nacht eingefunden haben?« »Zwangsgäste? Wir hatten Besuch?« »Zwei Herren, die versuchten, über das Dach ins Haus einzusteigen.« »Und das erfahre ich erst jetzt?« »Mir lag daran, Myladys Frühstück nicht zu belasten.« »Nun gut, Sie sind entschuldigt, Mr. Parker.« Sie lächelte zufrieden. »Wer könnte sie mir ins Haus geschickt haben?« »Ich möchte annehmen, Mylady, daß Mr. Fandy dafür verantwortlich zeichnet.« »Wer sonst?« Sie schien es wieder mal im vorhinein gewußt zu haben. »Gehen wir nach oben, ich bin auf diese beiden Galgenvögel gespannt.« Durch einen Türspion, der in die schwere Stahltür eingebaut worden war, sah die energische Dame sich wenig später die beiden Galgenvögel an. Sie befanden sich in einer nicht gerade beneidenswerten Lage. Von zwei schweren Türen eingeschlossen, standen sie in einem engen Zwischenflur und hatten keine Möglichkeit, sich aus eigener Kraft zu befreien. Sie machten bereits einen recht mitgenommenen Eindruck, denn immerhin waren seit ihrer »Festnahme« Stunden verstrichen. »Kennen Sie diese Burschen? Sind es die, die Ihnen vor dem Haus des Glasbläsers auflauerten?« Mylady trat zur Seite, und Parker konnte sich nun die Gesichter der beiden Einsteiger genauer ansehen. Nach einem kurzen Blick trat er zurück und schüttelte den Kopf. »Es sind nicht die beiden Männer aus Mr. Fandys Büro«, gab er dann zurück. »Aber sie dürften zu seiner Bande gehören. Wie darf ich Mylady die beiden Herren reichen?« »Werden sie überhaupt reden, Mr. Parker?« »Ich möchte mir erlauben zu unterstellen, Mylady, daß sie so gut wie nichts wissen. Sie hatten sicher nur den Auftrag, Mylady, Miß Porter und meine bescheidene Wenigkeit außer Gefecht zu setzen.« »Oder zu ermorden, wie?« »Auch das sollte man durchaus in Betracht ziehen, Mylady.« »Schaffen Sie die beiden Lümmel aus dem Haus«, entschied die Detektivin. »Aber sorgen Sie dafür, daß sie vorerst nicht wieder auf der Bildflache erscheinen können! Und noch etwas, verpassen Sie ihnen einen ordentlichen Denkzettel! Es gehört sich nicht, während der Nacht bei einer Dame einzusteigen, ich hätte mich ja zu Tode erschrecken können!« Dies bezweifelte Parker zwar grundsätzlich, doch er nahm keine Stellung dazu. Er geleitete seine Herrin zurück nach unten ins Erdgeschoß und verschwand für einen Moment im Souterrain. Als er aus seinem Labor zurückkehrte, hielt er eine
kleine Spraydose in der Hand, deren Düse durch einen dünnen Plastikschlauch verlängert war. »Halten Sie sich nicht zu lange auf, Mr. Parker«, sagte Lady Simpson ungeduldig. »Sie wissen, daß ich diesen Sir Edward Dales noch besuchen will.« »Darf ich um etwa zehn Minuten bitten, Mylady?« Sie war einverstanden und wandte sich der Haustür zu, an der es geläutet hatte. Parker ging zur Tür, spähte durch den Öffner nach draußen und erkannte einen Expreßboten, der ein Päckchen in der Hand hielt. Der Mann war echt, und Parker nahm das Päckchen in Empfang. Lady Simpson genierte sich überhaupt nicht, ihre Neugier zu zeigen. »Für mich, Mr. Parker?« fragte sie. »Für meine bescheidene Person, Mylady. Entweder werden hiermit fünfzehntausend Pfund übersandt, oder aber auch eine Sprengladung. Ich möchte mir die Freiheit nehmen, mich nicht festzulegen.« »Geld oder Sprengladung? Was soll das heißen?« Butler Parker berichtete von seinem Telefongespräch in der Wohnung des ermordeten Glasbläsers Bill Luton. »Natürlich enthält es Sprengstoff«, sagte Lady Simpson. »Warum nehmen wir das Päckchen nicht mit zu Sir Edward Dales?« »Mylady glauben, daß er der Absender ist?« »Alles kann ich natürlich auch nicht wissen«, erwiderte sie schnell.« Es war nur so eine Idee. Warum erhöhte der Mann am Telefon die Summe auf fünfzehntausend, als er von Ihnen hörte, daß Barking, Joe und Heims nicht mehr im Spiel waren?« »Ich war so frei, Mylady, mir darüber Gedanken zu machen. Es war eindeutig Betroffenheit, die ihn derart reagieren ließ. Der Mann am Telefon sah sich wohl um seine Profis gebracht, die er dringend brauchte, um sein Geschäft aufziehen zu können.« »Eben, genau das wollte ich gerade sagen.« Für Mylady war wieder mal alles sonnenklar. »Aber Dr. Peterson kann der Anrufer nicht gewesen sein, Mr. Parker, das ist Ihnen hoffentlich bewußt, oder?« »In der Tat, Mylady! Zum Zeitpunkt des Anrufes befanden Mylady und Miß Porter sich ja in der Wohnung des Tierarztes.« »Dann ist es dieser Sir Edward Dales gewesen.« »Das wäre durchaus eine Möglichkeit, Mylady. Irritierend ist jedoch, daß vor dem Haus des Glasbläsers bereits Mr. Fandys Leibwächter warteten, wie ich ja wenig später feststellen konnte.« »Sind Sie sicher, daß Sie richtig gesehen haben?« »Mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit waren es die beiden jungen Leute aus Mr. Fandys Büro, Mylady. Weiter möchte ich allerdings nicht gehen.« »Und was schließen Sie daraus, Mr. Parker? Ich hoffe, Sie bieten mir eine Erklärung an, die ich akzeptieren kann!«
»Entweder arbeitete Fandy noch auf eigene Rechnung, Mylady, oder aber bereits in Zusammenarbeit mit seinem neuen PCP-Partner, wenn ich es so umschreiben darf. Wahrscheinlich wollte und will man meine bescheidene Wenigkeit irritieren und verunsichern.« »Was ja nicht sonderlich schwer ist«, meinte Parkers Herrin spitz, »Sie sind nun mal zu leichtgläubig, Mr. Parker. Das sollten Sie sich endlich abgewöhnen, sonst werden Sie eines Tages hohes Lehrgeld bezahlen müssen!« * Die »London Steak Corporation« befand sich in der Nähe der Royal Victoria Docks und machte einen grundsoliden Eindruck. Die Büroräume waren in einem vierstöckigen, modernen Bau untergebracht, an den sich Lagerhallen und Kühlhäuser anschlossen. Nach Unterwelt, Gangstertum und Drogenszene sah dieser Gebäudekomplex wirklich nicht aus, aber das hatte nichts zu besagen. Durch Äußerlichkeiten dieser Art hatte Josuah Parker sich noch nie täuschen lassen. Parker geleitete die ältere Dame in die Empfangshalle und setzte sich mit dem Pförtner ins Benehmen. Als er den Namen der Lady Simpson nannte, nahm der Pförtner fast Haltung an. »Ich werde sofort mit dem Vorzimmer Sir Edwards reden«, sagte er. »Hoffentlich hat er Zeit für Mylady. Sie wissen vielleicht, daß der Sohn Sir Edwards ...?« »Diese bedauerliche Tatsache war aus den Morgenzeitungen zu erfahren«, antwortete Parker. Er wartete, bis das Telefongespräch erledigt war. Der Pförtner wischte hastig aus der Loge und näherte sich Agatha Simpson. »Man wird Sie sofort abholen und nach oben bringen, Mylady«, sagte er respektvoll. »Selbstverständlich wird Sir Edward Sie empfangen.« Es dauerte nur wenige Minuten, bis ein junger, dynamisch wirkender Mann von etwa dreißig Jahren in der Halle erschien. Er trug graue Hosen, einen dunkelblauen Blazer und eine dezent gestreifte Krawatte. Er stellte sich als Herbert Romford vor, der als Privatsekretär und Assistent Sir Edwards tätig war. »Sie sind sicher gekommen, Mylady, um Sir Edward zu kondolieren?« erkundigte er sich. »Das möglicherweise auch«, gab Lady Agatha kühl zurück. »Seit wann arbeiten Sie hier in der Firma, junger Mann?« »Seit fast zwei Jahren, Mylady.« »Kannten Sie den verstorbenen Ralph Dales?« »Selbstverständlich, Mylady, wir waren sogar, das darf ich ohne Übertreibung sagen, miteinander befreundet.« »Dann wußten Sie, daß er drogensüchtig war?« Herbert Romford erlitt nach dieser sehr direkten Frage einen schon fast mittleren Hustenanfall und bekam einen roten Kopf. Mit solch einer Geradlinigkeit hatte er auf keinen Fall gerechnet, das war ihm deutlich anzusehen.
»Ich habe es geahnt, Mylady«, sagte er, nachdem seine Bronchien sich beruhigt hatten. »Arbeitete Ralph Dales hier in der Firma?« »Nein, eigentlich nicht, Mylady.« »Und uneigentlich, junger Mann? Drücken Sie sich gefälligst deutlich aus!« »Ralph ließ sich in der Firma so gut wie nie sehen, Mylady.« Herbert Romfords Stimme wurde ein wenig härter. Jetzt merkte man ihm an, daß er durch die Fragen gereizt wurde. »Und was trieb Ralph, wenn er nicht in der Firma war?« »Mylady, ich weiß nicht, ob ich befugt bin, darüber...« »Schnickschnack, junger Mann! Ich weiß es für Sie! Sie sind befugt! Womit beschäftigte Ralph Dales sich?« »Er... Er studierte, Kunstgeschichte.« »Verwenden Sie in Ihrem Betrieb Phencyclidin?« schaltete Josuah Parker sich ein. »Wie, bitte? Natürlich, glaube ich wenigstens, für den betriebstechnischen Sektor bin ich nicht zuständig.« »Und wer ist dafür zuständig?« hakte Lady Simpson sofort nach. »Ernie Coopers, Mylady«, lautete die hastige Antwort. »Hatte Ralph Dales die Möglichkeit, an Phencyclidin heranzukommen?« »Mylady, ist das ein Verhör?« Herbert Romford schnappte nach Luft. »Selbstverständlich«, erwiderte die ältere Dame ungerührt. »Geht Ihnen das erst jetzt auf? Beantworten Sie die Frage, junger Mann, bevor ich ärgerlich werde!« »Ralph hätte ohne weiteres an das Präparat herankommen können.« »Wie gut verstand er sich mit Dr. Peterson?« »Sie kannten sich kaum, glaube ich, Mylady.« »Wie gut waren Ralph Dales und der technische Direktor miteinander befreundet?« wollte Parker nun wieder wissen.« »Mr. Coopers und Ralph, Sir?« Herbert Romford stand der Schweiß auf der Stirn. »Wie gut, junger Mann?« drängte die Detektivin. »Versuchen Sie erst gar nicht, mich anschwindeln zu wollen. Ich bekomme es doch heraus.« »Sie waren häufiger zusammen, glaube ich, Mylady.« »Sie sollen nicht glauben, Sie sollen wissen!« Sie sah ihn streng an. »Seit wann arbeitet ein gewisser Barking für diesen Betrieb?« »Meinen Sie Steve Barking, Mylady?« kam die wirklich überraschende Antwort. »Wen denn sonst?« raunzte die ältere Dame. »Er arbeitet für einen neuen Firmenprospekt, Mylady«, erwiderte der junge Mann und wich dem strengen Blick der Lady aus. »Mr. Barking und seine beiden Angestellten sind häufig hier, in letzter Zeit sogar sehr oft.« »Es ist also richtig, daß Mr. Barking durch den Sohn Sir Edwards hier in die Firma eingeführt wurde?« fragte Parker in einer Art, als wünsche er nur noch eine letzte Bestätigung.
»Das ist richtig, Sir«, lautete die Antwort. Herbert Romford merkte überhaupt nicht, daß er überrumpelt worden war. »Und es ist ferner richtig, daß Dr. Peterson und Ralph Dales sich doch ein wenig besser kannten, als Sie es bisher zugeben wollten, oder?« Nun war die resolute Dame wieder an der Reihe, den Assistenten Sir Edwards unter Druck zu setzen. »Nein, Mylady, wirklich nicht«, entgegnete Herbert Romford. »Sie kannten sich nur flüchtig, wie ich bereits sagte. Warum sollte ich Sie anlügen? Und ich begreife überhaupt nicht, warum Sie all diese Fragen stellen? Sir Edward wird bestimmt schon auf Sie warten.«" »Warum führen Sie mich nicht endlich zu ihm, junger Mann?« fuhr die Besucherin den nun völlig Verwirrten an. »Verschonen Sie mich gefälligst endlich mit diesem Tratsch und Klatsch!« »Wie, bitte?« Herbert Romford brach fast zusammen. Mit solch einer Anschuldigung hatte er nicht gerechnet. »Wann verließ Chief-Superintendent McWarden das Haus?« warf Parker ein, als Lady Simpson sich in Richtung Fahrstuhl in Bewegung setzte. »Vor einer knappen Stunde, Sir«, antwortete Herbert Romford ohne jeden Widerstand. »Bitte, kommen Sie, Sir, Mylady sieht mich schon wieder gereizt an. Ich weiß überhaupt nicht, was ich ihr getan habe.« * Die beiden jungen Männer, die während der Nacht versucht hatten, über das Dach in Lady Simpsons Haus einzusteigen, kamen fast gleichzeitig wieder zu sich. Sie fühlten sich noch benommen, waren sonst aber in Ordnung. Sie richteten sich auf und orientierten sich. Immerhin hatten sie sich noch in einem recht engen Vorflur befunden, bevor sie von einer plötzlichen Müdigkeit befallen worden waren. Sie hatten sich dem Schlaf förmlich in die Arme geworfen und nicht mehr gemerkt, was mit Ihnen geschehen war. Josuah Parker hatte sie mit einem Spezialspray, den er durch das Schlüsselloch in den Vorflur gedrückt hatte, ein wenig betäubt, um sie ungestört aus Myladys Haus schaffen zu können. »Wie ... Wie kommen wir denn in den Karren hier?« fragte der größere der beiden Männer. »Keine Ahnung.« Der schmalere Mann zuckte die Achseln. »Ich will's auch gar nicht wissen. Nichts wie weg, sag' ich nur. Wie spät haben wir's eigentlich?« »Es geht auf zehn Uhr zu.« »Was wird Fandy zu unserer Pleite sagen?« »Ich denk' lieber nich' dran. Aber er hätte uns eigentlich warnen müssen. Mit solchen Tricks konnte doch kein Schwein rechnen.« »Läßt uns einfach einsteigen, dieser verdammte Butler, um dann die Falle zuschnappen zu lassen. Mann, dem möchte ich's mal geben!« »Hauptsache, Fandy gibt uns noch 'ne Chance«, erwiderte der Partner. »Du sitzt am Steuer, fahr' los! Ich brauch' was für den Magen...«
»Un' ich für die Kehle.« Der Wagen, es handelte sich um einen alten, leicht angerosteten VW-Käfer, war noch betriebsbereit. Die beiden Gangster atmeten fast gleichzeitig erleichtert auf, als das Fahrzeug sich in Bewegung setzte. Beide Gangster ahnten nicht, daß sie sehr diskret abgehört worden waren. Und sie bekamen auch nicht mit, daß man sie verfolgte. Sie achteten nicht weiter auf die ältliche Jungfer, die am Steuer eines klapprigen Morris saß und sich von ihnen durch die Stadt dirigieren ließ. Diese ältliche Jungfer trug einen streng geschnittenen Tuchmantel und ein Kopftuch. Sie benutzte eine Brille, um den Verkehr besser beobachten zu können. Die Brille bestand aus Fensterglas, denn Kathy Porter hatte es nicht nötig, sich ihrer zu bedienen. Ihre Augen waren in bester Verfassung. Sie hatte ein wenig Maske gemacht und erledigte hier einen Auftrag, um den Josuah Parker sie gebeten hatte. Sie sollte die Unterhaltung der beiden Einsteiger abhören und herausfinden, wohin sie fuhren. Das Abhören der Unterhaltung war eine Kleinigkeit. Bevor Josuah Parker die beiden jungen Zwangsgäste in den VW-Käfer gepackt hatte, war von ihm ein winzig kleiner Sender im Wagen installiert worden. Über das Bordradio in Kathy Porters Morris' bekam sie jedes Wort leicht mit. Viel hatten die Zwei sich nicht zu sagen. Ihr Gespräch drehte sich um die angebliche Hinterlist Butler Parkers, dem sie einfach nicht verzeihen konnten, daß er sie stundenlang in dem kleinen Vorflur hatte stehen lassen. Sie unterhielten sich über ihren Boß Norman Fandy und beklagten sich darüber, daß sie die Schmutzarbeit zu erledigen hätten, während zwei Herren namens Harry und Duff sich die Rosinen aus dem Kuchen picken durften und die Leibwächter spielten... Die Fahrt des VW-Käfer endete in Soho. Die Männer stiegen aus und gingen zu Fuß weiter. Und auch jetzt entging ihnen, daß sie von einer netten, jungen Dame verfolgt wurden, die ein schwingendes Sommerkleid trug und eine Sonnenbrille. Kathy Porter hatte sich innerhalb von Sekunden in eine andere Frau und in einen völlig neuen Typ verwandelt. Ihr Lehrmeister Josuah Parker hatte ihr beigebracht, wie man so etwas mit wenigen Hilfsmitteln schaffte. Die beiden nächtlichen Dachbesteiger hatten inzwischen das Fotohaus des Norman Fandy erreicht, gingen aber vorüber, als hätten sie mit diesem Geschäft überhaupt nichts zu tun. Nun, Kathy Porter wunderte sich darüber keineswegs. Fandy war bestimmt daran gelegen, daß sein Geschäft nur von regulären Kunden besucht wurde. Die beiden jungen Männer verschwanden in einem benachbarten Haus in einem kleinen Zeitschriftengeschäft, das einen ganz normalen Eindruck machte. Sie nickten dem Verkäufer zu und verschwanden dann hinter einem Vorhang in der Tiefe des handtuchschmalen Ladenlokals. Kathy Porter hatte das alles von der anderen Straßenseite aus beobachtet, schlenderte desinteressiert weiter, sah sich die Auslagen einiger Geschäfte an und
setzte sich dann in eine Teestube, von wo aus sie beide Geschäftslokale unter Sichtkontrolle halten konnte. * Sir Edward Dales war ein Mann von schätzungsweise sechzig Jahren, mittelgroß und dickleibig. Er saß in einem Rollstuhl, ein Anblick, mit dem Josuah Parker nicht gerechnet hatte. Neben ihm stand eine jüngere Ausgabe von ihm. Dieser Mann, Sir Edward sehr ähnlich, schien vielleicht fünfzig zu sein. Er hatte sich offensichtlich einige Unterschriften geben lassen, denn er schloß jetzt eine Mappe und nickte der eintretenden Mylady und Parker knapp zu. »Das ist mein Bruder Clark«, stellte Sir Edward vor. Dann nickte er ihm zu und winkte ihn mit einer Handbewegung aus dem Büro. Bruder Clark nahm diese an sich etwas herablassende Behandlung gleichmütig hin und ging. »Sie wollen mir kondolieren, Mylady?« fragte Sir Edward. »Mein Beileid«, erwiderte Agatha Simpson. »Irgendwann mußte es mal so mit Ralph enden«, sagte Sir Edward mit fester Stimme, als rede er über eine geschäftliche Transaktion. »Ich habe Ralph oft genug gewarnt, aber ihm war wohl nicht mehr zu helfen.« »Sie wußten, daß er drogensüchtig war, Sir Edward?« »Das habe ich eben bereits einem Polizeibeamten erklärt.« Sir Edward nickte. »Nein, nein, Sie sehen keinen gebrochenen Mann und Vater vor sich, Mylady. Innerlich hatte ich Ralph längst abgeschrieben. Wie oft schon hatte ich ihn zu Entziehungskuren geschickt, aber das half überhaupt nicht.« »Immerhin haben Sie Ihren Erben verloren, Sir Edward.« Lady Simpsons Feststellung war hart und direkt, doch sie blieb ohne Eindruck. »Ralph hätte den Betrieb nie geerbt, Mylady«, erwiderte der Mann und Vater, der den Tod seines Sohnes hinnahm wie das Sinken einer Kursnotierung an der Börse. »Nein, die Firma wird nach meinem Tod an meinen jüngeren Bruder Clark gehen.« »Der Ihre Erwartungen wohl erfüllt, wie?« »Er muß noch viel lernen, Mylady, und er weiß es. Ich lasse ihn durch die Höhe des Streß gehen. Besteht er diese Prüfung, ist er mein Erbe, versagt er, wird der Betrieb verkauft. Das Geld geht dann an irgendwelche Stiftungen.« Bevor Agatha Simpson weitere Fragen stellen konnte, klopfte es an der Tür. Sir Edward sagte ein scharfes herein«, worauf die Tür sich öffnete und ein untersetzter, sehr vital aussehender Mann eintrat, der einen weißen Arbeitskittel trug. »Ich störe, Sir?« fragte er. »Dann hätte ich Sie nicht eingelassen, Coopers«, sagte Sir Edward.« Mylady, das ist Ernie Coopers, mein technischer Direktor. Was gibt's denn, Coopers?«
»Wir haben eine Panne an der Steak-Verpackungsmaschine, Sir«, antwortete Coopers. »Wir werden den heutigen Ausstoß nicht halten können. Ich denke, Ihr Bruder sollte das wissen, damit er die Sendungen umdisponieren kann.« »Wann ist die Panne wieder behoben, Coopers?« »Die Monteure sind bereits dabei, ein paar Wellen auszuwechseln, Sir. Ich denke, bis gegen Abend müßten wir es geschafft haben.« »Machen Sie den Burschen Dampf, Coopers! Haben Sie Romford schon informiert?« »Bevor ich 'reinkam, Sir.« Ernie Coopers, der technische Direktor der London Steak Corporation, der mit Ralph' Dales laut Romford gut befreundet gewesen war, verließ das Büro. »Ein guter Mann«, stellte Sir Edward fest. »Zielbewußt, energisch und zupackend.« »Nicht energisch genug, Sir Edward, würde ich sagen.« Agatha Simpson runzelte die an sich schon recht faltige Stirn. »Er war mit Ihrem Sohn befreundet, doch er schaffte es nicht, ihn von den Drogen abzubringen.« »Befreundet? Daß ich nicht lache! Ich selbst habe Coopers auf meinen Jungen angesetzt. Ich hatte gehofft, Coopers würde es gelingen, Ralph zur Ordnung zu rufen, aber das war wohl nicht zu schaffen.« »Die Polizei hat Ihnen mitgeteilt, an welcher Droge Ihr Junge starb?« Lady Simpson fuhr stärkere Geschütze auf. Sie glaubte, sie diesem harten Mann zumuten zu können. Ja, sie wartete eigentlich nur darauf, daß Sir Edward endlich mal eine menschliche Regung zeigte. Er benahm sich im Grund unnatürlich. »Phencyclidin, Mylady.« Sir Edward nickte. »Das Zeug wird auch in meiner Firma verwendet. Für das Schlachtvieh, wie Sie ja wohl wissen.« »Man nennt es in eingeweihten Kreisen auch Engelsstaub, Sir«, ließ Josuah Parker sich vernehmen. »Ja, das sagte mir der Chief-Superintendent bereits.« Sir Edward winkte fast gelangweilt ab. »Wahrscheinlich hat Ralph es sich hier in der Firma verschafft. Das Wie ist jetzt nicht mehr interessant. Er wußte, daß er mit dem Tod spielte, und er hat dieses Spiel verloren.« * »Ich hätte ihn am liebsten aus dem Fenster geworfen«, entrüstete die ältere Dame sich, als sie mit Parker im Lift hinunter in die Empfangshalle fuhr. »Was sagen Sie zu solch einem Vater, Mr. Parker? Nein, sagen Sie nichts! Sie drücken sich bestimmt wieder zu höflich aus.« »Käme Sir Edward als der Hintermann einer Rauschgiftorganisation in Betracht, Mylady?« Parker überhörte die Entrüstung seiner Herrin, die ihm allerdings nur zu verständlich war.
»Sir Edward? Niemals!« Lady Agatha schüttelte den Kopf. »Dann schon eher sein jüngerer Bruder Clark. Oder dieser technische Direktor Coopers. Aber auch diesem glatten Assistenten Romford traue ich nicht über den Weg.« »Hier wird die Wahl zur oft zitierten Qual, Mylady.« »Für Sie vielleicht, Mr. Parker, nicht aber für mich!« »Mylady ahnen oder wissen bereits, wer der gesuchte Täter ist?« »Selbstverständlich.« Die Detektivin wartete, bis Parker die Lifttür geöffnet hatte, und betrat die Empfangshalle. »Ich habe mir diesen Coopers genau angesehen. Auf ihn werden wir uns konzentrieren. Dieser dynamische Bursche hat mir schon auf den ersten Blick nicht gefallen.« »Dann wäre er also der neue Partner des Gangsters Fandy, Mylady?« »Natürlich. So etwas spüre ich einfach in den Fingerspitzen, Mr. Parker. Er ist auch der Mörder des Tierarztes Peterson.« »Demnach hat er also auch mit Barking zusammengearbeitet, Mylady?« »Das paßt doch alles haargenau zusammen, Mr. Parker, merken Sie das denn nicht? Barking ging bei der ,Steak Corporation' ein und aus, wie wir hörten. Er ist wahrscheinlich in ständigem Kontakt mit Coopers gewesen. Und Coopers hatte weiterhin mit Dr. Peterson zu tun, der diesen Engelsstaub herstellte. Und Coopers versorgte Ralph Dales mit der teuflischen Droge.« »Um jetzt, nach Barkings Ausschalten, mit Fandy zusammenzuarbeiten.« »Sind Sie endlich überzeugt, Mr. Parker?« Agatha Simpson sah keine Probleme mehr, ja, sie langweilte sich bereits. Für sie war ein Fall wieder mal aufgeklärt worden. Die Beschaffung der Beweise wollte sie, wie üblich, ihrem Butler überlassen. »Auch McWarden wird die Zusammenhänge inzwischen erkannt haben«, ärgerte die ältere Dame sich. Man hatte das Bürohaus verlassen und schritt auf Parkers hochbeiniges Monstrum zu, das auf dem Firmenparkplatz stand. »Wir hätten ihm Barking nicht zuspielen dürfen, Mr. Parker, ich war ja von Anfang an dagegen. Jetzt braucht er dieses Subjekt nur durch die Mühle seiner Verhöre zu drehen, bis er die letzte Wahrheit kennt.« »Darf ich mir die Freiheit nehmen, Mylady in dieser Beziehung zu beruhigen?« Parker öffnete den hinteren Wagenschlag und ließ seine Herrin einsteigen. »Meiner bescheidenen Ansicht nach kannte und kennt Steve Barking nicht den eigentlichen Drahtzieher, der ihn engagierte und bezahlte.« »Das klingt schon besser.« »Barking dürfte nur über Dr. Peterson mit dem Drahtzieher Beziehungen unterhalten haben, Mylady. Ich darf daran erinnern, daß Dr. Peterson wohl auch aus diesem Grund ermordet wurde. Dr. Peterson hätte diesen Drahtzieher innerhalb der ,Steak Corporation' verraten können. Das bedeutete seinen Tod.« »Manchmal können Sie ja direkt logisch denken, Mr. Parker«, spöttelte die Lady. »Natürlich habe ich die ganze Zeit über genauso gedacht, aber ich wollte Sie nur mal auf die Probe stellen.« Das war zwar wieder mal geschwindelt, doch Josuah Parker war höflich genug, dieses Thema nicht weiter zu behandeln.
»Werden wir wenigstens verfolgt?« erkundigte Agatha Simpson sich nach einigen Minuten. »Ich muß leider bedauern, Mylady.« »Das ist doch eine unerhörte Frechheit«, raunzte die passionierte Detektivin. »Das ist eine Mißachtung, Mr. Parker! Dieser Drahtzieher muß doch wissen, daß ich ihn bereits im Visier habe. Warum hetzt er seine Gangster nicht auf mich?« »Möglicherweise hindert ihn seine Vorsicht an solch einer Handlungsweise, Mylady«, lautete Parkers Antwort. »Vielleicht setzt er aber auch auf das Päckchen, das meiner bescheidenen Wenigkeit zugestellt wurde.« »Konnten Sie es denn noch öffnen, bevor wir losfuhren?« »Gewiß, Mylady.« »Und? Man hatte natürlich eine Sprengladung eingebaut, nicht wahr?« »Darf ich mich erkühnen, Mylady zu korrigieren? In dem bewußten Päckchen befanden sich die angekündigten fünfzehntausend Pfund!« * Norman Fandy hatte sich den Bericht der beiden jungen Männer angehört und winkte ab, als sie sich für ihre nächtliche Panne auf dem Dachboden entschuldigen wollten. »Is' schon gut, Jungens«, sagte er großzügig. »Dieser Parker is' eben raffinierter, als ich dachte. Aber der wird uns schon bald keinen Ärger mehr machen.« »Nehmen wir ihn hoch?« erkundigte sich Gangster Harry. »Hoffentlich noch heute«, fügte Duff hinzu. »Noch heute!« Norman Fandy nickte. »Er wird in einer Falle landen, zusammen mit seiner verrückten Lady und der kleinen Porter.« »In das Haus der Lady kommen wir kaum 'rein«, warnte der größere der bei-' den jungen Männer. »Das Haus steckt wahrscheinlich voller Tricks«, setzte der zweite Mann hinzu. »Wir sind ja schließlich keine Anfänger«, meinte Norman Fandy und tat überlegen. »Klarer Fall, daß ihr beschattet worden seid, Jungens.« »Ich verstehe kein Wort.« Gangster Harry zuckte die Achseln. »Irgendwo draußen auf der Straße steht ein Spitzel dieses Butlers«, vermutete Fandy halblaut und nachdenklich. »Ich werde mich gleich in meinen Schlitten setzen und 'raus aufs Land fahren. Harry und Duff, ihr werdet mir in je einem Wagen folgen. Ihr kennt ja die Masche. Wir locken den Spitzel in unser Netz, und dann schnappt die Falle zu.« »Wer könnte dieser Spitzel sein?« »Ich nehme an, daß Parker die kleine Porter auf uns angesetzt hat. Zur Zeit treibt er sich nämlich in 'ner bestimmten Firma rum, und zwar zusammen mit seiner Lady.« »Woher ist denn das bekannt?« wunderte sich Gangster Harry.
»Direktleitung«, versicherte Norman Fandy und lachte leise auf. »Mein neuer Geschäftspartner ist auf Draht, das kann ich euch sagen. So, und sobald wir die kleine Porter haben, werden Parker und die verrückte Lady antanzen müssen. Wir bestimmen, wohin sie zu fahren haben.« »Aber nicht gleich umbringen«, bat Gangster Harry. »Einverstanden«, räumte Norman Fandy großzügig ein. »Der Mensch muß ja auch seinen Spaß haben. Aber abservieren müssen wir sie, das ist ja wohl sonnenklar, oder?« »Wir werden ein Vermögen machen mit dem neuen Artikel«, redete Norman Fandy weiter. »Dieser Engelsstaub wird der Hit der Saison! Jede Menge Nachschub vorhanden, Jungens. Auf Auslandslieferungen sind wir überhaupt nicht mehr angewiesen. Der Stoff wird hier auf der Insel hergestellt.« »Auf sowas haben wir eigentlich schon seit Jahren gewartet«, meinte Harry fröhlich. »Aber ich warne euch, Jungens.« Norman Fandy wurde ernst. »Dieser Engelsstaub ist höllisch gefährlich. Probiert ihn erst gar nicht! Laßt die Finger davon, hütet euch davor wie vor der Pest!« »Wir sind doch keine Selbstmörder.« Duff winkte beruhigend ab. »Man handelt mit Drogen, aber man nimmt sie doch nicht selbst...« »Genau, Jungens.« Norman Fandy schloß seine Instruktionsstunde. »So, und jetzt werden wir die Falle aufbauen. In ein paar Stunden haben wir nichts mehr zu befürchten. Und dann steigen wir ganz groß in das neue Geschäft ein. Sobald wir aber wissen, wie die Droge hergestellt werden kann, machen wir uns selbständig und boxen den Partner aus dem Geschäft. Dann wird der Markt uns allein gehören!« * Kathy Porter zahlte ihren Tee, als die beiden jungen Männer aus dem kleinen Zeitschriftengeschäft kamen. In ihrer Begleitung befand sich mit Sicherheit Norman Fandy, von dem Josuah Parker eine eindeutige Beschreibung geliefert hatte. Die drei Männer schienen es eilig zu haben. Sie setzten sich in einen am Straßenrand parkenden Ford und fuhren sofort los. Kathy Porter verließ die Teestube und eilte zu ihrem klapprigen Morris. Es war selbstverständlich für sie, die Verfolgung fortzusetzen. Sie wollte schließlich herausfinden, wohin Norman Fandy fuhr. Plante der Gangster einen weiteren Mord? Wollte er sich mit seinem neuen Geschäftspartner in Verbindung setzen? Sollte Engelsstaub geholt werden? Als sie anfuhr, kamen ihr plötzlich Bedenken. Norman Fandy, ein doch sehr versierter Gangster und Rauschgifthändler, schien plötzlich jede Vorsicht vergessen zu haben. Was mochte diesen ausgekochten Mann so sehr unter Druck gesetzt haben? Warum setzte er sich selbst in Szene?
In Szene setzen, das war das Stichwort! Norman Fandy schien sich als Köder geradezu aufzudrängen. Rechnete er mit einer Überwachung? Davon mußte er doch schließlich ausgehen. Und wenn er damit rechnete, warum fuhr er dann so offensichtlich und ungeniert durch die Stadt, irgendeinem Ziel entgegen? Diese Ausfahrt konnte nur der Teil einer Falle sein. Kathy Porter, eine gelehrige Schülerin des Butlers, schaltete auf größte Wachsamkeit und Vorsicht. Sie blickte in den Rückspiegel und hielt Ausschau nach Verfolgern. Wegen des starken Verkehrs konnte sie jedoch nichts ausmachen. In jedem der vielen Wagen hinter ihrem Morris konnten Fandy-Kreaturen sitzen. Kathy Porter griff nach dem kleinen Funksprechgerät und ging auf Sendung. Sie wollte sich mit ihrem Lehrmeister in Verbindung setzen und rief das Code-Wort für Butler Parker. Leider blieben ihre Bemühungen erfolglos, Parker meldete sich nicht. Kathy mußte also allein eine Entscheidung treffen und dabei berücksichtigen, daß Fandy nicht in den Genuß eines Vorteils kam. Nun, sie wußte sehr schnell, wie sie sich zu verhalten hatte. Wenn sie Fandy ab sofort ignorierte, wenn sie sehr bewußt auf seine weitere Verfolgung verzichtete, dann würde der Bursche gezwungen sein, ihr nachzufahren. Hatte er tatsächlich die Absicht, sie in eine Falle zu locken, dann konnte er gar nicht anders handeln. Sie bog mit ihrem kleinen Morris von der Hauptstraße ab und fuhr langsam in Richtung der Docks zurück. Dort kannte sie sich recht gut aus, dort gab es ausreichend Möglichkeiten, die Gangster ihrerseits in eine Falle zu bugsieren. Es dauerte nicht lange, bis hinter ihr ein Ford erschien. Das war der Wagen, mit dem Fandy losgefahren war. Er hatte seinen Platz gewechselt und saß jetzt auf dem Rücksitz. Sein Gesicht tarnte eine Sonnenbrille. Kathy Porter wußte nun Bescheid: Norman Fandy hatte sie tatsächlich in eine Falle locken wollen. Nun war aus dem Jäger der Gejagte geworden. Nun mußte er nach ihren Spielregeln das Spiel machen. Kathy Porter freute sich plötzlich auf das kommende Katz- und Maus-Spiel. Der Ford ließ sich zurückfallen, und ein Volvo übernahm die Verfolgung. Dann verschwand der Volvo aus ihrem Blickfeld und machte einem Vauxhall Platz. Schließlich wiederholte sich das alles noch mal, und der Ford tauchte erneut im Rückspiegel auf. An einen Überfall konnten die sie verfolgenden Gangster noch nicht denken, dazu war zuviel Leben auf den Straßen. Sie mußten weiter auf eine günstige Gelegenheit warten. Kathy hatte inzwischen die West India Docks erreicht und suchte nach dem passenden Terrain für ihren Coup. Ihr war klar, daß sie allein mit den ausgefuchsten Gangstern nie fertig wurde. Man durfte seine Möglichkeiten und Kräfte nicht überschätzen. Als sie in eine schmale Dockstraße einbog, die vor einer kleinen Werft endete, stand ihr Plan fest. Sie gab Vollgas, jagte durch das Werfttor und hielt mit quietschenden Bremsen vor einem langgestreckten Materialschuppen. Sie sprang aus dem Wagen, wandte sich um und sah den Ford und den Volvo, die gerade durch das Werfttor fuhren.
Kathy Porter ließ deutlich werden, wie groß ihre Angst war. Sie spielte ihren Verfolgern Panik vor, rannte los und verschwand in dem Materialschuppen. Dabei zerfetzte sie das leichte Kleid über dem Busen und riß es am Saum in Streifen auf. Sie zerzauste sich das Haar und hatte dicke Tränen in den Augen, als sie auf einen stämmigen Werftarbeiter stieß, der einen Gabelstapler fuhr und Eisenbleche transportierte. Der Gabelstaplerfahrer trat voll auf das Bremspedal und starrte Kathy Porter entgeistert an. »Kidnapper«, keuchte Kathy. »Bitte, helfen Sie mir! Kidnapper! Man will mich entführen.« Der Mann war sofort angetan von Kathy, die an ein gejagtes, hilfloses und scheues Reh erinnerte. Er sprang vom Fahrersitz und lief auf sie zu. »Sie sind bewaffnet«, keuchte Kathy weiter. »Helfen Sie mir, sie wollen mich umbringen.« »So schnell geht das nicht, Mädchen«, sagte der stämmige Werftarbeiter, der es sich nicht verkneifen konnte, einen prüfenden Blick auf ihre Figur zu werfen. »Kommen Sie mit, Kleines! Denen werden wir mal zeigen, was 'ne Harke ist...« * »Ausschwärmen«, kommandierte Norman Fandy halblaut. »Sie muß hier im Schuppen sein.« Norman Fandy kochte innerlich vor Wut. Sein schöner Plan war in die Binsen gegangen. Kathy Porter hatte aus ihm unerfindlichen Gründen die Verfolgung abgebrochen und war einfach davongefahren. Nur mit Glück hatte sich der Anschluß wiederherstellen lassen. Und nun wollte er die junge Frau einkassieren, um sie als Faustpfand gegen Lady Simpson und Butler Parker zu verwenden. Man schwärmte also aus. Die beiden Dachbesteiger wandten sich nach rechts, Harry und Duff nach links. Jede der beiden Gruppen wollte sich eine Art Gasse vornehmen, durch die Gabelstapler fuhren. Norman Fandy hingegen behielt die Oberleitung des Unternehmens und baute sich am Eingang des Schuppens auf. Im Grund, so überlegte er, war Kathy Porter doch in eine Falle gegangen. Hier auf dem Gelände schien sich überhaupt nichts zu tun. Weit und breit war kein Arbeiter zu sehen. Aber warum, so fragte sich Norman Fandy, war Kathy Porter hierher gefahren? Mit wem wollte sie sich treffen? Oder hatte sie herausgefunden, daß sie verfolgt wurde? Hatte sie sich hierher retten wollen? Norman Fandy hörte irgendwo weit hinten in dem Schuppen ein klapperndes Geräusch. Er duckte sich, zog sich ein wenig zurück und wartete. Hatten seine Leute die Kleine erwischt? Erneut ein Klappern. Ein Gegenstand aus Metall schien auf dem Betonboden gelandet zu sein. Dann ein schallgedämpfter Schuß!
Klar, seine Jungens waren am Ball. Wahrscheinlich trieben sie ihr Opfer jetzt gezielt in die Enge. Nein, nein, Kathy Porter hatte überhaupt keine Chance. Vier erfahrene Männer waren zuviel für sie. Warum war sie auch freiwillig in diese riesige Falle gegangen? Erneut ein Schuß! Das typische »Plopp«, bedingt durch den Schalldämpfer, kannte Norman Fandy nur zu gut. Er grinste. Sobald man die Kleine hatte, konnte er Lady Simpson und dem Butler die Daumenschrauben anlegen. Dann mußten sie nach seiner Pfeife tanzen. Ein dritter Schuß! Nun, die Kleine schien Schwierigkeiten zu machen. Norman Fandy wandte sich um und ... schluckte. Er sah sich drei Werftarbeitern gegenüber, die handliche Werkzeuge in Händen hielten und langsam auf ihn zukamen. Sie machten keineswegs einen friedlichen Eindruck. »Was ist los?« fragte Fandy. Er schielte zu seinem Ford, der knapp hinter dem Werfttor stand. »Sind Sie der Neue?« fragte einer der Werftarbeiter. »Der Neue?« Norman Fandys Nackenhaare sträubten sich. Sein Instinkt sagte ihm, daß Gefahr in der Luft lag. Die Frage war etwas zu beiläufig gestellt worden. »Der neue Werftleiter«, sagte der zweite Arbeiter und rang sich ein Lächeln ab, das aber ein wenig fletschend ausfiel. So sah ein Hund aus, der im nächsten Moment schnappen wollte. »Ich... Ich bin der Neue«, behauptete Norman Fandy und deutete dann auf das Tor des Schuppens. »Was ist das für ein Krach dort?« Sie ließen sich hereinlegen, denn mit dieser frechen Behauptung hatten die drei biederen Männer nicht gerechnet. Sie schauten sich etwas verwirrt an und gaben Norman Fandy so die Chance, blitzschnell nach der Schußwaffe zu greifen. Er riß sie aus der Halfter und richtete den Schalldämpfer auf die drei Männer. »Zurück!« Fandys Stimme war wie eine durch die Luft zischende Peitsche. »Keinen Schritt weiter, Leute, sonst knallt es!« Die drei Werftarbeiter waren klug genug, sich erst mal an dieses Kommando zu halten. Wahrscheinlich sahen sie Norman Fandy auch an, daß er wirklich schießen würde. Der Gangsterchef ließ die drei Männer nicht aus den Augen, als er in weitem Bogen um sie herumging. Norman Fandy hatte seine vier Männer längst vergessen. Auch Kathy Porter interessierte ihn plötzlich nicht mehr. Es ging ihm nur noch um seine eigene Haut. Aus dem Magazinschuppen waren jetzt ein paar Brüller und Schreie zu vernehmen, dann wieder das Geräusch von Metallstücken, die auf dem Betonboden landeten. Norman Fandy reichte das. Er zog sich in Richtung Ford zurück, setzte sich ans Steuer und legte den Rückwärtsgang ein. Er ließ den Motor anspringen, kuppelte aus und gab gleichzeitig Vollgas.
Der Wagen sprang mit einem gewaltigen Satz nach hinten, schrammte an einem Torpfosten vorbei und wurde dann eingedeckt von einem Hagel von Werkzeugen. Die Werftarbeiter warfen kraftvoll und gezielt. Ein Schraubenschlüssel landete krachend auf der Windschutzscheibe und ließ sie milchig werden. Ein Hammer krachte durch die bereits angeschlagene Scheibe und landete auf Fandys linker Schulter. Der Gangster stöhnte auf, schaute weiter nach hinten, riß das Heck des Ford um ein Hindernis herum und konnte den Wagen endlich wenden. Er schaltete, gab wieder Vollgas und preschte davon, als sei der Leibhaftige hinter ihm her... * »Kindchen, sind Sie in Ordnung?« fragte Lady Simpson erst mal, als sie aus Parkers hochbeinigem Monstrum ausstieg. »Vollkommen, Mylady«, erwiderte Kathy. Sie hatte sich endlich über Funk mit Lady Agatha und Parker verständigen können und sie zum Werftgelände gebeten. Fünfzehn Minuten nach ihrem Funkspruch war Parkers Wagen bereits zur Stelle. Es war übrigens jetzt Lady Simpson, die sichtlich unter einer gewissen Konditionsschwäche litt. Sie schwankte leicht, als sie auf Kathy Porter zuschritt, die von stämmigen Werftarbeitern umgeben war. »Ich erlaube mir, den Herren zu danken.« Parker richtete seinen Dank an die Werftarbeiter und lüftete betont höflich seine schwarze Melone. »Mylady wird sich, dessen bin ich sicher, erkenntlich erweisen.« »Mein Kreislauf!« Agatha Simpson ließ sich ungeniert auf einer Tonne nieder und maß den Butler dann mit eisigem Blick. »Sie haben einen Fahrstil, Mr. Parker! Es ist einfach nicht zu glauben. Er ist geradezu selbstmörderisch.« »Ich möchte nicht verhehlen, Mylady, daß ich mir erlaubte, vielleicht ein wenig schneller als sonst zu fahren«, entgegnete der Butler, »in Anbetracht der Situation aber schien mir dies gerechtfertigt.« Während er noch sprach, holte er die flache, lederumhüllte Taschenflasche aus seinem schwarzen Zweireiher und schraubte den becherartigen, ovalen Verschluß ab. Wenige Sekunden später servierte er seiner Herrin einen Kognak. »Sie hätten mich beinahe umgebracht«, beschwerte die ältere Dame sich. »Dies, Mylady, wurde von meiner bescheidenen Wenigkeit nicht einen einzigen Moment lang in Betracht gezogen oder erwogen«, versicherte Butler Parker. »Mein Kreislauf ist noch immer nicht in Ordnung«, klagte Lady Simpson. »Bestehen Mylady darauf, daß man einen Arzt verständigt?« »Papperlapapp«, herrschte sie ihn gereizt an. »Geben Sie mir endlich das Fläschchen, Mr. Parker! Mit diesem winzigen Schluck komme ich nicht wieder ins Gleichgewicht.« Butler Parker reichte ihr die Taschenflasche. Und nun konnten die Werftarbeiter nur noch staunen. Lady Simpson setzte sie sehr fachmännisch an den Mund und trank sie gekonnt und in einem Zug leer. Sie schüttelte sich ein wenig, während ihre Wangen sich röteten, dann reichte sie die Taschenflasche zurück und nickte.
»Das war schon besser«, sagte sie. »Und jetzt zu Ihnen, Kindchen! Reizen Sie die Männer nicht unnötig!« »Sie waren wunderbar.« Kathy Porter nickte den Männern lächelnd und dankbar zu. »Sie haben verhindert, Mylady, daß man mich kidnappte.« »Und wo sind die Subjekte, die Sie entführen wollten, Kindchen?« »Die Herren haben sie sicher untergebracht, Mylady.« »Konnte man auch Mr. Fandy in Gewahrsam nehmen, Miß Porter?« erkundigte Josuah Parker sich. »Der ist leider entwischt«, bedauerte Kathy Porter. »Wollen Sie nicht sehen, wo die vier Gangster sich befinden? Ich glaube, meinen Freunden hier ist etwas sehr Originelles eingefallen.« * »Eine verrückte Geschichte, Mylady«, bekannte Chief-Superintendent McWarden kopfschüttelnd. »Übrigens, guten Abend! Sagte ich schon, daß ich nicht zufällig vorbeikomme?« Parker hatte McWarden ins Haus gelassen und gerade in den Salon geführt, ,in dem sich auch Kathy Porter befand. »Sind Sie etwa befördert worden, McWarden?« erkundigte Agatha Simpson sich. »Haben Sie etwa eine Gehaltserhöhung bekommen?« »Ich habe einen seltsamen Stahlbehälter gefunden«, redete McWarden weiter, ohne auf die Fragen der älteren Dame einzugehen. »Ich bin nicht selbst darauf gestoßen, um genau zu sein, ich erhielt einen anonymen Hinweis.« »Sie reagieren auf anonyme Hinweise?« wunderte sich Lady Simpson. »Wenn sie in einer bestimmten Form erfolgen, eigentlich immer«, meinte McWarden und lächelte, was an sich recht ungewöhnlich war. »Sie ahnen sicher, wer sich in diesem Stahlbehälter befand?« »Wie sollte ich?« Agatha Simpson wandte sich an ihren Butler. »Wissen Sie etwas darüber, Mr. Parker? Oder Sie, Miß Porter?« »Wenn Mylady erlauben, warte ich auf die weiteren Erklärungen des ChiefSuperintendent«, gab Parker eine ausweichende Antwort, während Kathy Porter gar nichts sagte. »In diesem Stahlbehälter fanden meine Leute und ich vier Gangster«, berichtete McWarden genußvoll. »Sie trugen noch vollen Waffenschmuck, aber sie konnten mit ihren Revolvern überhaupt nichts anfangen.« »Und wieso nicht?« erkundigte sich Lady Simpson. »Man hatte die vier Gangster eingeschweißt«, sagte der Chief-Superintendent. »Das muß man sich mal plastisch vorstellen, Mylady, man hatte sie eingeschweißt!« »In einen Stahlbehälter?« Agatha Simpson kannte diesen Behälter und den Inhalt, aber sie ließ sich selbstverständlich nichts anmerken. Es gab zwischen dem Trio und McWarden Spielregeln, an die man sich stets hielt.
»Ein Druckbehälter, wie er in der Industrie verwendet wird«, beschrieb McWarden das Gefängnis der vier Gangster. »Den gewölbten Abschlußdeckel müssen Fachleute aufgeschweißt haben.« »Konnten diese vier Subjekte denn nicht ersticken?« »Nein, nein, daran muß man gedacht haben. Da waren ein paar kleinere Stutzen, die man offen ließ und die für frische Luft sorgten. Ich kann's noch immer nicht glauben. Vier bestens bekannte Gauner lassen sich einschweißen, als sei das die selbstverständlichste Sache der Welt.« »Um welche Gangster handelt es, wenn man höflich nachfragen darf?« warf Josuah Parker ein. Auch er tat ahnungslos, obwohl er McWarden unter Verzicht auf seinen Namen verständigt hatte. »Sie gehören der Fandy-Gang an«, gab McWarden zurück. »Schade, daß dieser Fandy entwischen konnte. Aber den werden wir früher oder später noch erwischen.« »Und wo fanden Sie diesen Stahlbehälter?« erkundigte sich Kathy Porter. »Auf einem verlassenen Grundstück in der Nähe der West India Docks«, entgegnete McWarden. »Die Gangster verweigern natürlich jede Aussage, aber das macht ebenfalls nichts. Sie werden schon reden, wenn sie merken, daß Fandy sie im Stich läßt.« »Ich darf unterstellen, Sir, daß Mr. Fandys Wohnung und Geschäft inzwischen durchsucht wurden?« Parker lieferte dem Chief-Superintendent das nächste Stichwort. »Und wir sind fündig geworden«, bestätigte McWarden, der nachdrücklich nickte. »Jetzt wissen wir auch, wie er die Drogen an seine Kleinverteiler weiterreichte. Ich muß schon sagen, er hat das sehr raffiniert angestellt, ein toller Trick!« »Den Sie mir sicher nicht verschweigen werden, oder?« Mylady sah McWarden erwartungsvoll an. »Aber nein, Mylady, Ihnen gegenüber bin ich doch immer von einer Offenheit, die ich mir als Polizeibeamter eigentlich gar nicht leisten kann.« »Sie rühren mich fast zu Tränen, McWarden, aber reden Sie doch endlich!« »Norman Fandy betreibt doch ein Fotoatelier«, schickte McWarden voraus. »Seine sogenannten Mitarbeiter, natürlich sind es Gangster, werden in diesem Betrieb als Fotografen geführt. Sie machen Stimmungsfotos in den einschlägigen Lokalen, in denen die Kleinverteiler ihre Drogen anbieten. Schön, jetzt kommt der Trick. In den Blitzlichtbirnen wurde das Rauschgift transportiert und weitergereicht. Wir haben eine ganze Sammlung dieser bereits vorbereiteten Packungen sicherstellen können. Fandy ist erledigt, er ist ohne weiteres zu überführen.« »Blitzlichtbirnen!« Agatha Simpson nickte und warf Parker einen Blick zu, der etwa besagte, er, Parker, habe diesen Trick doch längst durchschauen müssen. »Darf man fragen, was sich im Fall Steve Barking getan hat?« erkundigte sich Parker.
»Bei ihm und seinen Leuten fand sich in den Anzugtaschen Rauschgift«, berichtete McWarden. »Auch das wird für eine längere Untersuchungshaft und Aburteilung reichen, falls nicht noch mehr dazukommt. Ich muß schon sagen, hier konnte die Polizei endlich mal wieder beweisen, wie schlagkräftig und erfolgreich sie ist.« Nach dieser Behauptung erlitt Lady Simpson einen leichten Hustenanfall, der dann in ein amüsiertes Lachen überging. * »Ist Ihnen aufgefallen, Mr. Parker, daß McWarden kein Wort über den Mann verloren hat, der den Engelsstaub überhaupt erst auf den Drogenmarkt gebracht hat?« fragte die Detektivin, als der Chief-Superintendent gegangen war. »Dies ist meiner bescheidenen Aufmerksamkeit keineswegs entgangen, Mylady«, erwiderte Parker gemessen. »Mr. McWarden scheint bereits einen gewissen Verdacht zu hegen, der sich auf die Firma »London Steak Corporation' bezieht.« »Wer ist unser Mann?« Agatha Simpson genoß ihren Schlummerpunsch. »Ist es wirklich dieser Coopers?« »Mylady haben ihren Verdacht ausgeweitet?« »Es könnte auch Sir Edwards Bruder Clark sein, nicht wahr?« »Er hätte zumindest ein Motiv, Mylady. Er wurde von seinem Bruder recht abfällig behandelt und dürfte auch nicht sonderlich gut verdienen.« »Genau das geht mir durch den Kopf, Mr. Parker.« Die ältere Dame sah Parker wohlwollend an. »Es könnte aber auch dieser Assistent Romford sein, nicht wahr?« »Auch dies, Mylady, läge durchaus im Bereich des Möglichen.« »Warum eigentlich nicht Sir Edward selbst?« warf Kathy Porter in diesem Moment ein. »Aber Kindchen!« Lady Agatha schüttelte verweisend den Kopf. »Sie haben den verbitterten alten Mann, der in einem Rollstuhl sitzt, nicht gesehen, sonst würden Sie erst gar nicht auf solch einen Gedanken kommen.« »Sir Edward könnte von Geldgier geleitet werden, Mylady. Zudem weiß man nicht, wie finanziell gesund seine Firma ist.« »Was sagen denn Sie, Mr. Parker?« Agatha Simpson war nun doch ein wenig verwirrt. »Es fehlt im Hinblick auf Sir Edward in der Tat an Detailwissen«, räumte Josuah Parker ein. »Miß Porters Hinweise auf die Finanzkraft der Firma müßte verfolgt werden, wenn ich mir diesen Rat erlauben darf.« »Selbst wenn die Firma gesund ist, Mr. Parker, könnte Sir Edward immer noch aus Geldgier heraus gehandelt haben. Das wäre ein Motiv.« »Dann hätte er doch mit dem Engelsstaub, den er vertreibt, seinen eigenen Sohn umgebracht.« Lady Simpson wollte und konnte sich an diesen Gedanken nicht gewöhnen.
»Hierin läge eine gewisse Tragik, Mylady.« Parker deutete ein Nicken an. »Wie können wir den Drahtzieher entlarven?« wollte die ältere Dame wissen. »Wie ist das mit den fünfzehntausend Pfund, Mr. Parker, die man Ihnen zugeschickt hat? Sie haben sie doch noch nicht an eine caritative Organisation überwiesen, oder?« »Keineswegs, Mylady, die Pfundnoten liegen in meinem bescheidenen Arbeitsraum.« »In Ihrem Labor?« »Oder auch so ausgedrückt, Mylady.« Parker nickte erneut. »Die Pfundnoten befinden sich unter einem abgedichteten Glassturz.« »Warum denn das? Glauben Sie, daß mit dem Geld etwas nicht stimmt?« »Diesen Verdacht hege ich in der Tat, Mylady. Ich darf darauf verweisen, daß das Präparat Phencyclidin in vielfältiger Form dargereicht werden kann. Man kann es, da wasserlöslich, ohne weiteres trinken, man kann es in Kristallform verabreichen oder auch als Pulver zerstäuben. Ich gehe davon aus, daß die überbrachten Banknoten sehr reichlich mit PCP getränkt und bestäubt wurden.« »Wozu sollte dieser Drahtzieher das getan haben?« »Beim öffnen des Päckchens und beim Durchzählen der Banknoten hätte dieser Drahtzieher mit letzter Sicherheit meiner bescheidenen Wenigkeit eine tödlich zu nennende Dosis an Phencyclidin zugespielt. Mit anderen Worten, Mylady, dieser Mann hofft, daß es auf irgendeine Art und Weise zu einem weiteren Selbstmord kommt.« »Sie haben mit solch einer Teufelei gerechnet?« »Sicherheitshalber, Mylady! Darum öffnete ich das Päckchen mit aller gebotenen Vorsicht. Wenn Mylady erlauben, werde ich gleich eine genaue Untersuchung vornehmen. Darf ich in diesem Zusammenhang eine Warnung aussprechen?« »Worauf warten Sie eigentlich noch?« Agatha Simpson sah den Butler unruhig an. »Warnen Sie mich doch endlich!« »In der kommenden Nacht könnte der Täter versuchen, Myladys Haus mit Engelsstaub zu präparieren. Darf ich daran erinnern, daß sich ein gewisser Norman Fandy noch immer auf freiem Fuß befindet?« * Ein Mann wie Norman Fandy war nach seiner Flucht nicht gerade hilflos. Er hatte sich glücklich absetzen können, den Ford irgendwo in der Stadt einfach stehen lassen und hielt sich zur Zeit in einem kleinen Apartment auf, dessen Lage nur ihm allein bekannt war. In diesem Wohnblock hatte er sich bei der Wohnungsgesellschaft unter fremdem Namen eingemietet und dazu auch die entsprechenden Falschpapiere vorweisen können. Norman Fandy hatte sich längst eingestanden, daß man ihm eine schwere Niederlage beigebracht hatte. Seine Organisation war so gut wie zerschlagen, seine Männer inzwischen wohl längst verhaftet. Irgendwann würden sie natürlich auspacken und versuchen, ihre Haut zu retten. Zudem hatte die Polizei inzwischen
wohl auch das Geheimnis der Blitzlichtbirnen erkannt. Nein, unter dem Namen Fandy war in dieser Stadt für ihn nichts mehr zu holen. Und wem hatte er das alles zu verdanken? Im Endeffekt, so lautete sein Schluß, doch wohl nur diesem Butler Parker, den er wohl gründlich unterschätzt hatte. Darüber hinaus aber verfluchte Norman Fandy seinen Entschluß, sich mit dem Hersteller des Engelsstaubes zusammengetan zu haben. Solange er sich auf die klassischen Drogen beschränkt hatte, war das Geschäft bestens gelaufen, dieser neue Mann aber hatte ihm nichts als Ärger eingebracht. Diesen Mann galt es jetzt zu schröpfen. Er mußte bereits ein kleines Vermögen gemacht haben. Und er war in der Lage, ein Vielfaches der bisher verdienten Summe einzustreichen. Diese neue Droge, die inzwischen auch Kobrabiß genannt wurde, schien der Renner der Saison zu werden. Der Mann hatte also zu teilen, wenn er in Ruhe weiter herstellen und verteilen wollte! Norman Fandy, der im Lauf der Stunden ruhiger geworden war, hatte inzwischen die Absicht aufgegeben, London zu verlassen. In der Millionenstadt lebte man relativ sicher. Vom Ausland her ließ sich ein Mann nicht anzapfen. Man mußte hart am Ball bleiben und gegebenenfalls sehr nachdrücklich werden. Man hatte es ja erfreulicherweise nicht mit einem Profi zu tun, sondern mit einem geldgierigen Mann, der einfach nicht genug einstreichen konnte. Fandy goß sich einen Brandy ein, überlegte einen Moment und rief dann die Privatnummer seines Partners an. Es dauerte eine Weile, bis er sich meldete. »Hier Fandy«, sagte der Gangsterchef. »Hoffentlich sagt Ihnen der Name etwas.« »Selbstverständlich, Fandy«, erwiderte die undeutliche Stimme. »Sie sind noch in der Stadt?« »Warum sollte ich nicht?« »Wissen Sie denn nicht, daß die Polizei Ihre Leute festgenommen hat?« »Das passiert hin und wieder. In ein paar Tagen werden sie wieder frei sein. Man kann ihnen nichts nachweisen.« »Von wo aus rufen Sie an, Fandy?« »So fragt man Dumme aus.« Fandy lachte leise. »War die Polizei schon in der Firma?« »Zweimal sogar. Eben erst ist Chief-Superintendent McWarden gegangen. Von ihm habe ich ja auch erfahren, was passiert ist« »Und jetzt machen Sie sich in die Hosen, wie? Moment, Partner, jetzt rede ich erst mal, klar? Gut, Sie kapieren schnell. Sie werden weitermachen wie bisher. Wir werden falsche Spuren legen und die Bullen ablenken. Ihnen kann überhaupt nichts passieren. Vergessen Sie nicht, daß Peterson nicht mehr reden kann! Und das war der schwache Punkt. Ich werde mich hüten, Sie in die Pfanne zu hauen.« »Aber Sie verfügen doch nicht mehr über eine Verteilerorganisation, Fandy. Wie wollen Sie die Droge verkaufen?« »Ich werde mir eine neue Organisation aufbauen, das ist doch eine Kleinigkeit. Mit Geld schafft man alles. Und damit wären wir bereits beim Thema.«
»Ich verstehe nicht, Fandy.« »Sehr einfach, Partner. Stellen Sie erst mal fünfzigtausend Pfund bereit, damit ich die Vorbereitungen treffen kann. Ja, ich sagte, fünfzigtausend, ist das klar? Natürlich haben Sie soviel Geld, machen Sie mir nichts vor! Ich weiß doch, daß Barking und seine Leute für Sie das Geld nur so gescheffelt haben. Ich werde mich wieder melden und mit Ihnen ausmachen, wo ich mir die Scheine abholen kann.« »Und was ist mit Parker?« »Der Butler ist kein Problem«, meinte Fandy großspurig. »Den morgigen Tag wird er nicht überleben. Also, bis in einer Stunde oder so! Ich melde mich wieder...« Norman Fandy legte auf und fühlte sich ausgezeichnet. Die Dinge waren wieder in Bewegung geraten. Er glaubte an das, was er seinem Partner versprochen hatte: Eine neue Organisation war schnell wieder aufgebaut, und ein Butler Parker kein Problem. * »Wie ich es zu vermuten mir erlaubte, Mylady.« Parker erschien im Salon des altehrwürdigen Stadthauses. »Die Banknoten sind ausgesprochen großzügig mit Engelsstaub behandelt worden. Schon allein beim Durchblättern wäre meine bescheidene Wenigkeit in einen Zustand gefährlichster Euphorie geraten.« »Ließe sich daraus nicht etwas machen, Mr. Parker?« »Mylady denken an den Spender der fünfzehntausend Pfund?« »Suggerieren Sie ihm ein, daß Sie vollgepumpt sind mit Drogen, Mr. Parker. Wenn Sie möchten, kann natürlich auch ich diese Rolle übernehmen. Als Schauspielerin bin ich ohnehin besser als Sie!« »Gewiß, Mylady.« Parker zuckte mit keiner Wimper. »Es bestünde die Möglichkeit, die betreffenden Herren der .London Steak Corporation' der Reihe nach abzufahren.« »Genau das wollte ich gerade vorschlagen. Sie werden dann von Besuch zu Besuch den Mann spielen, der unter Drogen steht. Damit könnte man den geheimnisvollen Mann aus seiner Reserve locken.« »Es gäbe Vielleicht noch eine andere Möglichkeit, Mylady.« »Kaum, aber ich höre, Mr. Parker.« »Myladys Plan basiert darauf, wenn ich recht verstanden habe, daß Mylady mitfahren. Könnten Mylady sich nicht im Hintergrund halten und eine Art Eingreifreserve bilden?« »Was sollte das bringen?« »Mehr Mordlust bei dem Täter, Mylady. Ich würde so frei sein, in eigener Sache zu operieren.« »Sie wollen so tun, als verlangten Sie noch mehr Geld, nicht wahr?« »Ich räume ein, daß Myladys Plan mir entgegenkommt.«
»Also gut, bieten Sie sich dem Mörder als Köder an! Ich Werde im Hintergrund bleiben, aber ich möchte später keine Vorwürfe hören, wenn es Sie erwischen sollte.« »Ganz sicher nicht, Mylady.« »Und wann wollen Sie das Unternehmen starten?« »Wie Mylady bereits vorschlugen, noch in dieser Nacht.« »Hatte ich das wirklich vorgeschlagen? Richtig, stimmt ja! Natürlich noch in dieser Nacht, damit McWarden morgen zu spät auf der Bildfläche erscheint. Arbeiten Sie die Einzelheiten aus, Mr. Parker, die unwichtigen Details interessieren mich nicht!« Parker ließ sich nichts anmerken, als er Myladys Salon verließ. Er hatte das erreicht, was er wollte. Die Damen blieben im Hintergrund und gerieten auf diese Art und Weise nicht unnötig in etwaige Schußlinien. Parker wollte das Risiko ganz allein tragen, aber dazu waren wohl doch einige Vorbereitungen notwendig. Nach knapp dreißig Minuten erschien er wieder im Salon und war ausgehfertig gekleidet. »Sie sehen ja direkt flott aus«, sagte seine Herrin verblüfft. »Du lieber Himmel, Mr. Parker, was ist mit Ihnen passiert? « Parker sah tatsächlich unternehmungslustig, aufgekratzt und ausgesprochen flott aus. Die schwarze Melone saß schief auf seinem Kopf, der schwarze Binder war ein wenig gelockert. Der schwarze Übermantel war falsch zugeknöpft und verriet so, daß Parker an Korrektheit erheblich eingebüßt hatte. Er machte insgesamt den Eindruck, als sei er gerade aus einer Bar gekommen und habe ein paar Gläser zuviel getrunken. »Sie haben von diesem scheußlichen Engelsstaub doch nichts abbekommen?« fragte die ältere Dame besorgt. »Möglicherweise wohl doch einige Quentchen, Mylady.« Parker grinste seine Herrin fröhlich an. Er schwankte leicht, als er zur Tür ging, und schien wie auf Wolken zu wandeln. »Mylady finden meine bescheidene Person überzeugend in der Rolle eines Mannes, der unter Drogeneinfluß steht?« »Ich würde Sie für betrunken halten, Mr. Parker«, erwiderte die Lady und lächelte. »Könnten Sie sich in Zukunft nicht immer etwas gelockerter geben? Das steht Ihnen ausgezeichnet, das hätte ich nicht gedacht!« * »Was wollen Sie zu dieser Zeit von mir?« fragte Sir Edward ärgerlich, als Parker den großen Wohnraum betrat. »Lady Simpson hat Sie geschickt, wie man mir sagte?« Parker wartete, bis der Pfleger die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Sir Edward Dales war der zweite Mann, den er in der Rolle des mehr als angeheiterten Butlers besuchte. Dann schwankte er leicht zum Inhaber der »London Steak Corporation« hinüber und ließ sich in einen Sessel fallen, wobei die schwarze Melone ihm noch verwegener auf das linke Ohr rutschte.
»Ich wollte meinen Wohltäter besuchen«, sagte Parker mit freundlichem Lächeln. Er tat so, als sei die Zunge ein wenig schwer. »Wohltäter? Ich verstehe nicht!« »Ich möchte mich für die fünfzehntausend Pfund bedanken«, redete Parker weiter. »Dankend angenommen, hoffe, daß noch mehr daraus wird. Dafür haben Sie mein Schweigen.« »Sind Sie verrückt, Parker?« »Ich fühle mich sauwohl, Sir, entschuldigen Sie diesen Ausdruck! Vielleicht fang' ich bei Ihnen als Butler an. Brauchen Sie einen erstklassigen Butler?« »Ich werde Sie hinauswerfen lassen!« »Warum denn, Sir Edward? Wo wir doch quasi Partner sind?« Josuah Parker hatte die Rolle mit diesem Text bereits Sir Edwards Bruder vorgespielt. Dort war er sehr nachdrücklich an die frische Luft gesetzt worden, doch Sir Edward lächelte plötzlich. »Einen Butler könnte ich wirklich brauchen«, sagte er. »Sie würden Ihre momentane Stellung aufgeben?« »Wer verbessert sich nicht gern, Sir Edward?« Parker erhob sich mühsam aus dem Sessel und schwankte. »Auf mich können Sie sich verlassen. Und ich mich auf Sie! Ich hätte nie gedacht, daß Sie die fünfzehntausend Pfund zahlen würden. Ich hab' die Scheine immer wieder durchgeblättert. Sie fühlen sich wunderbar an.« »Wieso sind Sie so sicher, daß ich Ihnen diese Summe gezahlt habe?« »Weil ich denken kann, Sir Edward.« Parker hielt sich an der Kante des Schreibtisches fest. »Nur ein höchst intellenter, äh, ich meine intelligenter Kopf kann sich so etwas ausdenken, ich meine, diese Sache mit dem Phen... Phen..., also mit dem Engelsstaub.« »Weil Peterson für meine Firma gearbeitet hat?« »Weil ein Peterson nur mit einem Mann, wie Sie einer sind, zusammengearbeitet hätte, Sir Edward, niemals mit Ihrem Bruder, oder mit Ihrem technischen Direktor, oder gar mit Ihrem Assistenten. Nur ein Sir Edward konnte einen Dr. Peterson dazu überreden, Phen... Phen...« »Geschenkt«, sagte Sir Edward und winkte ab. »Ich weiß, was Sie meinen.« »Also überreden, Engelsstaub herzustellen«, vollendete Parker hartnäckig seinen Satz. »Für mich ist das völlig logisch.« »Logisch? Ich besitze Geld genug. Meine Firma geht ausgezeichnet, Mr. Parker. Ich bin ein alter und kranker Mann. Was bedeutet mir schon Geld?« »Ihnen geht's doch überhaupt nicht um Geld, Sir Edward.« Butler Parker setzte sich wieder und löste sich vollends die lockere Krawatte. »Sie handeln aus einem völlig anderen Motiv heraus, aber das versteht nur einer, der's in den Fingerspitzen hat.« Sir Edward Dales wollte antworten, doch in diesem Moment meldete sich das Telefon. Der alte, kranke Mann rollte zum Apparat und hob den Hörer ab. Er hörte nur kurz zu. »Kommen Sie zu mir«, sagte er. »Kommen Sie sofort!«
»Dann will ich nicht länger stören«, sagte Parker und drückte sich von der Schreibtischkante ab. »Sie stören nicht. Welches Motiv hätte ich also?« »Ihr Sohn, Sir Edward.« »Was hat Ralph damit zu tun?« Das Gesicht des kranken Mannes wurde überraschend hart. »Er war drogensüchtig, Sir. Die Drogen haben ihn umgebracht. Er ist in ein Milieu geraten, das Sie für seinen Tod verantwortlich machen. Jetzt wollen Sie sich an diesem Milieu rächen, Sie taten's schon, als Ihr Junge zwar noch lebte, als ihm aber nicht mehr zu helfen war. Das war und is' Ihr Motiv.« »Sie sind ein guter Psychologe, Mr. Parker! Mit wem haben Sie darüber gesprochen?« »Nur mit Ihnen, Sir Edward. Ich bin ein diskreter Butler.« »Und ein dummer dazu!« Sir Edward Dales hielt plötzlich einen Revolver in der Hand und richtete den Lauf auf Josuah Parker. »Dummheit muß bestraft werden. Gehen Sie zum Fenster hinüber und öffnen Sie es! Dann werden Sie springen! Und wenn Sie Glück haben, werden Sie fliegen wie mein Sohn Ralph!« * Agatha Simpson starrte entsetzt auf das Bild, das sich ihren Augen bot. Auf der Fensterbank im vierten Stock des eleganten Hauses stand Butler Parker und breitete weit die Arme aus. In seiner rechten Hand hielt er den UniversalRegenschirm, den er als eine Art Balancierstange benutzte. Die Detektivin wollte ihrem Butler einen Warnruf entgegenschmettern, doch die Stimme hatte ihr den Dienst ausgerechnet in diesem Moment aufgekündigt. Sie brachte keinen Ton heraus. Sie wußte nur, daß Butler Parker sich im nächsten Moment in die Tiefe stürzen würde... Er hatte also doch zuviel von diesem tödlichen Engelsstaub geschluckt und hatte jede Kontrolle über sich verloren. Er hielt sich unter der Einwirkung dieser Droge für einen Übermenschen, der fliegen kann. Er würde nicht anders enden als der unglückliche Ralph Edwards. Lady Simpson bekam nur nebenbei mit, daß sich ein Wagen näherte. Sie achtete nicht weiter auf ihn. Sie hörte das öffnen und Zuschlagen von Wagentüren, Schritte, leise Stimmen... »Gleich wird er springen«, sagte dann eine haßerfüllte Stimme neben ihr. »Wie schön! Das habe ich mir immer gewünscht.« Sie wandte sich nur kurz zur Seite. Neben ihr stand Norman Fandy, etwas hinter ihm zwei andere Männer, die sie noch nie gesehen hatte. Aber was scherte sie das jetzt alles! Sie schaute wieder hoch zum vierten Stock. Butler Parker visierte irgendein nur ihm bekanntes Ziel irgendwo über der Stadt an und ... drückte sich dann kraftvoll ab. Lady Simpson stöhnte und schloß die Augen.
Dann wartete sie auf den schrecklichen Aufschlag des Körpers, der zerschmettert auf der Straße liegen bleiben würde. Sie hörte jedoch nur ein »Verdammt«, einen weiteren, ordinären Fluch und riß schleunigst wieder die Augen auf. Es war nicht zu glauben! Butler Parker hing an seinem Universal-Regenschirm, dessen bleigefütterter Bambusgriff sich wie eine Klaue oder ein Greifhaken um die Doppelleitung einer Telefonzuführung gelegt hatte. Und in sausender Fahrt rutschte Josuah Parker quer über die Straße auf die gegenüberliegenden Häuser zu. Ein Artist hätte das nicht besser und eleganter hingekriegt. Norman Fandy hatte seine Schußwaffe aus der Halfter gerissen und richtete den Lauf samt Schalldämpfer auf den Butler, der die Mitte der Straße gerade hinter sich gebracht hatte. »Nicht doch«, sagte Agatha Simpson und ... donnerte dem Gangsterchef aus einer blitzschnellen Drehung heraus ihren Pompadour um die Ohren. Norman Fandy stieg etwa viereinhalb Zentimeter steil und hoch in die Luft. Inzwischen fegte der Pompadour schwungvoll zurück und erwischte die beiden ahnungslosen, frisch von Fandy angeheuerten Schläger, die von dieser Waffe noch nichts wußten. Sie wurden voll getroffen und gingen ohne jeden Widerspruch zu Boden, das heißt, einer von ihnen versuchte aufzustehen. Lady Simpson, einmal in Fahrt geraten, trat sehr nachdrücklich mit ihrem rechten Schuh zu. Das Ergebnis war frappierend. Der Mann rutschte, wie von einem Katapult geschleudert, mit der Bauchseite über den Boden und landete mit dem Kopf vor einer Hauswand. Daraufhin gab er endgültig Ruhe. Norman Fandy war inzwischen wieder auf seinen Beinen und suchte nach seinem seelischen und körperlichen Gleichgewicht was sich aber nicht so auf Anhieb wiederentdecken ließ. Agatha Simpson ließ ihren Pompadour erneut kreisen und »taufte« den Gangsterchef noch mal mit dem »Glücksbringer«. Norman Fandy absolvierte jetzt den in solchen Fällen obligaten Salto und landete krachend auf dem Pflaster. Er blieb regungslos liegen. Agatha Simpson wandte sich Kathy Porter zu, die inzwischen auf dem Kriegsschauplatz eingetroffen war. Sie hatte sich bisher in ihrem Mini-Cooper versteckt gehalten, um ihre Chefin abzuschirmen. »Kümmern Sie sich um diese Subjekte«, sagte die ältere Dame und deutete angewidert auf ihre Opfer. »Ich werde nach Mr. Parker sehen. Daß dieser Mann auch immer wieder übertreiben muß!« Sie überquerte die Fahrbahn und winkte ihrem Butler zu, der wie eine schwarze Fledermaus etwa anderthalb Stock hoch vor einer Hauswand hing. Parker, höflich wie immer, lüftete seine schwarze Melone und grüßte. *
»Ich komme wieder mal nicht zufällig vorbei«, schickte Chief-Superintendent McWarden voraus, als er den Salon des altehrwürdigen Stadthauses betrat. »Sie wissen, daß ich mich bedanken möchte, Mylady, nicht wahr?« »Man sieht es Ihnen an der Nasenspitze an, wie schwer Ihnen das fällt«, erwiderte Agatha Simpson. »Schade, wären Sie etwas früher gekommen, hätte ich Sie zum Frühstück eingeladen.« »Es wären noch einige Kleinigkeiten vorhanden, Mylady«, meldete Parker von der Anrichte her. »Drängen Sie Mr. McWarden doch nichts auf«, tadelte die Detektivin und schickte Parker einen grimmigen Blick zu. »Ich fühle mich überhaupt nicht gedrängt«, erklärte McWarden. »Gegen ein paar Kleinigkeiten habe ich nichts einzuwenden. Also, Mylady, noch mal und von ganzem Herzen: Vielen Dank für die Klärung dieses Falles!« »So etwas erledige ich beiläufig«, sagte die resolute Dame mit blasierter Miene. »Im Gegensatz übrigens zu Ihnen, McWarden.« »Ich weiß, Mylady.« Der Chief-Superintendent gab sich ungemein friedlich. »Sir Edward hat bereits ein Geständnis abgelegt. Die Gangster ebenfalls. Der Kronanwalt kann die Klagen erheben, und wir vom Sonderdezernat haben eine erstklassige Presse.« »Wollen Sie Mr. McWarden unbedingt mästen?« Agatha Simpson schaute ärgerlich auf die Kleinigkeiten, die Parker servierte. »Er ist ohnehin doch schon dick genug.« »Darf ich Ihnen sagen, Mylady, warum ich so gern zu Ihnen komme?« schickte McWarden voraus. »Jetzt bin ich aber gespannt.« Mylady wirkte mißmutig. »Es ist diese liebenswürdige Atmosphäre«, frotzelte McWarden, »es ist diese einmalige Gastfreundschaft und dann wohl auch noch die Herzenswärme, die einem entgegenschlagen.« »Sie übertreiben, McWarden«, sagte Agatha Simpson. »Natürlich, Mylady«, erwiderte McWarden, »aber so ungefähr fühle und empfinde ich.« »Was führen Sie im Schild, McWarden?« wollte die Detektivin wissen. »Überhaupt nichts, Mylady.« McWarden kostete von den Kleinigkeiten und verdrehte entzückt die Augen. »Sie brauchen also wieder mal meine Hilfe, nicht wahr?« »Natürlich, Mylady.« McWarden trank einen Schluck Tee und spitzte dann verzückt den Mund. »Ausgezeichnet, dieser Tee, wirklich, ausgezeichnet!« »Übernehme ich einen neuen Fall, Mr. Parker?« erkundigte die ältere Dame sich bei Josuah Parker. »Mit letzter Sicherheit, Mylady«, antwortete der Butler in seiner vornehmzurückhaltenden Art. »Vielleicht stoßen Mylady dabei auf einen Fall, der sich als Stoffvorlage für den Bestseller eignet.«
»Das ist allerdings ein Argument«, bestätigte Agatha Simpson. Sie nahm McWarden den Teller weg. »Erzählen Sie, stopfen Sie sich später voll, McWarden! Und für mich einen Kreislaufbeschleuniger, Mr. Parker!« »Wurde Mylady gerade serviert«, entgegnete Butler Parker und wies diskret auf den Kognakschwenker. Ein Butler Parker ahnte im vorhinein, wie gewisse Dinge sich entwickelten. Und ihm war klar, daß es einem neuen und wahrscheinlich verrückten Abenteuer entgegenging. Er hatte nichts dagegen! ENDE
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Red. Hinweis: Der heutigen in der Schweiz verbreiteten Auflage ist ein interessanter Prospekt des Instituts Mössinger, Fernschule in Zürich, beigelegt, den wir der Aufmerksamkeit unserer Leser empfehlen.
Günter Dönges schrieb für Sie wieder einen Nr. 181
Butler Parkers Löwentour Das Verfahren dieser Gangster war mehr als einfach und orientierte sich an Praktiken, die längst bekannt waren. Sie stahlen aus privaten und staatlichen Galerien ungemein wertvolle Gemälde und Plastiken, um sie dann gegen die Erstattung gewisser »Unkosten« den rechtmäßigen Besitzern wieder zuzustellen. Dabei kam es diesen Tätern gar nicht darauf an, Morde zu begehen. Geld war ihnen wichtiger als Menschenleben. Butler Parker und Lady Simpson hefteten sich auf die Spur der Gangster und gerieten prompt an einen Clown des Todes, der überhaupt nicht zu Spaßen aufgelegt war und seine Mörder auf das Duo hetzte. Butler Parker wurde zu einem Artisten In Sachen Überleben und sorgte dafür, daß gewissen Mitgliedern der Unterwelt das Lachen verging. Günter Dönges schrieb einen neuen Parker-Krimi, in dem gelacht werden darf, der allerdings auch für eine ausgeprägte Gänsehaut sorgt. Parker-Freunde sollten diesen Krimi auf keinen Fall versäumen.